|349|VIERZEHNTES KAPITEL

Dieser andere Böse war Benjamin de Soubise, der Bruder des Herzogs von Rohan, der mit dem Herzog de La Force die protestantische Rebellion anführte. Der lange Küstenstreifen am Atlantik, den er der Krone entrissen hatte, erstreckte sich von Les Sables-d’Olonne bis Royan, einschließlich der Insel Oléron. Er reichte also von Norden wie von Süden an La Rochelle heran, das Juwel der hugenottischen Macht, die Trutzburg, die von ihren Einwohnern für uneinnehmbar gehalten wurde, weil die Engländer sie von der See her unterstützen konnten und weil Heinrich III., damals noch Herzog von Anjou, die Festung auch mit einer halbjährigen, erbitterten Belagerung nicht bezwingen konnte.

Ludwig hatte gar nicht den Ehrgeiz, sie einzunehmen: Dazu besaß er noch nicht die Mittel. Sein fernes Ziel war Montpellier, sein nahes war Soubise und sein siebentausend Mann starkes Heer, während Ludwig nur fünftausend Mann hatte, die allerdings besser ausgebildet waren! Und Ludwig hatte jene drei Tugenden, die Henri Quatre bei einem Heerführer für ausschlaggebend hielt: Entschlußkraft, Schnelligkeit und Tapferkeit im Feld.

Seit dem Aufbruch von Paris hatte er seine häuslichen Sorgen hinter sich gelassen. Mit verhängten Zügeln, das Gesicht entschlossen und klar, jagte er voll eines heldischen Traums dahin, und für Augenblicke schien es mir, als treibe ihn der Schatten seines Vaters dem Ruhm entgegen.

Seine Marschgeschwindigkeit – von Blois bis Nantes brauchte er keine sechs Tage – setzte alles in Erstaunen: Noch nie war ein Heer so schnell marschiert, und bestimmt frappierte dies keinen mehr als Soubise.

Soubise hatte allerdings Gründe genug, voller Furcht in die Zukunft zu blicken. Als er dem König Saint-Jean-d’Angély übergab, hatte er um Verzeihung gebeten. Ludwig hatte sie ihm gewährt und ihm obendrein die Freiheit geschenkt, die Soubise |350|aber sofort benutzt hatte, sich wiederum gegen seinen König zu empören und ihm seine Städte zu rauben. Über seine Truppenstärke machte sich Soubise keine Illusionen. Mit seinen siebentausend Mann hätte er natürlich jeden Provinzgouverneur, den die Krone gegen ihn aufgeboten hätte, mit Sicherheit geschlagen. Aber nun kam der König, das änderte alles. Ludwig war der Gesalbte des Herrn, dem man Ehrfurcht und Unterwerfung schuldete. Sein Recht galt mehr als eine Legion. Und so tapfer Soubise im Kugelregen auch war, schwand seine Selbstgewißheit, je näher der König ihm rückte. Ob er wollte oder nicht, sah er, daß ihm Ketten, Kerker und das Henkersschwert drohten.

Als er hörte, daß die königliche Armee von Nantes aufbrach nach Challans, ging er mit seinem Heer auf die Insel Riez, ein kleines Eiland vor Saint-Gilles. Es gab in der Nähe keine Zitadelle, die ihm Zuflucht geboten hätte, und er entschied sich für diese Insel wegen einer Besonderheit, die sie jedem Verfolger furchtbar machte: Sie war zu Fuß erreichbar, aber nur bei Niedrigwasser, und wirklich niedrig war es um diese Zeit nur zu Mitternacht. Jeder Angreifer mußte sich also klar sein, daß, sogar wenn er es fertigbrachte, das Watt in finsterer Nacht zu durchschreiten, ihm der Rückzug, falls ihn das Waffenglück verließ, durch den unausweichlichen Anstieg der Flut abgeschnitten war.

Als Ludwig an die Atlantikküste kam, wollte er den Ort erkunden, wo Soubise sich aufhielt. Mit seinen Heerführern erklomm er eine Sanddüne, von deren Gipfel er die Insel Riez überschauen konnte. Allen schien die Sache voller Gefahren: das Watt in der Finsternis, das eiskalte Wasser im April, die Soldaten durchnäßt und kälteschlotternd, wenn sie kämpfen sollten, und vor allem die Unmöglichkeit des Rückzugs, sollte das Glück gegen uns sein.

Ludwigs Berater erhoben Einwände über Einwände. Vor allem wollten sie nicht, daß der König seine Person in dieser gefährlichen Unternehmung aufs Spiel setzte. Ludwig ließ es nicht gelten.

»Meine Herren«, sagte er, »ich bin nicht um nichts und wieder nichts bis hierher marschiert. Wir werden dem Feind nicht die Wahl lassen, zu kämpfen oder zu fliehen. Meine Herren, habt nicht mehr Angst um mich als ich selbst. Meine Sache ist |351|gerecht, Gott wird mir beistehen. Wir gehen um Mitternacht übers Watt.«

Hierauf ließ er den Soldaten Brot austeilen und schickte die Pferde zum Weiden auf die Wiesen von Saint-Jean-de-Monts. Er bezog ein karges Quartier im Bauernhof L’Épine, ließ sich nach einem Mahl aus Brot und Wein einen Jägerrock aufs Stroh breiten und schlief wie ein Stein. Er hatte fünfzehn Stunden im Sattel gesessen.

Die Furt zur Insel hinüber war die Furt von Besse. Um Mitternacht überquerte sie die Kavallerie mit dem König an vorderster Spitze binnen einer knappen halben Stunde. Die Infanterie, die über die Furt von Épine ging, traf es nicht so gut und wurde naß. Auf der Insel erwartete alle eine Überraschung. Die Späher, die man vorausgeschickt hatte, meldeten, sie hätten eine halbe Meile weit keine feindliche Spur entdeckt. Ludwig konnte seine Leute also in Muße antreten lassen. Bei der Inspektion stellte er fest, daß die Männer vor Nässe und Kälte schlotterten. Er ließ in Abständen Feuer machen mit dem Holz zerfallener Hütten, die man unweit entdeckte, und befahl, wiederum Brot an die Truppen auszugeben.

Für jeden, der in den Krieg zieht, und ich war diesmal die ganze Zeit mit beim König, ist ein Feldzug ein langer Marsch oder eine lange Rast – eins so erschöpfend wie das andere. Der Kampf selber ist, außer wenn es eine Belagerung gibt, verblüffend kurz, oder wenigstens erscheint er einem so, wenn man ihn heil überstanden hat.

Die Nacht war pechschwarz, und weil man eine Schlacht nicht im Dunkeln anfangen kann, beschied der König, den Tag abzuwarten. Nie kam ein Tag zögerlicher: Es war, als wollte die Sonne nicht aufgehen, um kein Blutvergießen zu sehen, vor allem nicht das Blut eines Bruderkrieges. Als der Tag graute, ließ Ludwig abermals Brot austeilen. Da hörte er einen Soldaten klagen, die Portion sei sehr klein.

»Wenn ihr mehr wollt«, sagte er, »müßt ihr es euch jetzt beim Feind holen.«

Der Scherz ging von Mund zu Mund, und er war so ganz in der Art seines Vaters, daß einige, die noch mit Henri Quatre gekämpft hatten, sich davon wie neugeboren fühlten.

Doch hieß es noch einmal lange warten, bis die Sonne aufging. Man versuchte sich an einem der großen Feuer zu wärmen, |352|die jetzt mit Schilf vom Rand der Sümpfe unterhalten wurden. Ludwig legte sich abseits auf dem Erdboden schlafen, auf bloßem Sand, indem er sich in seinen Jägerrock hüllte.

»Sire«, sagte sein Quartiermeister, »Ihr wärt besser in Eurem Bett im Louvre aufgehoben!«

»Im Gegenteil«, sagte Ludwig, »ich bin voll zufrieden, daß ich hier bin, denn ich ziehe gegen diesen Hochmütigen, der mir meine Städte und Inseln nehmen will. Aber ich lasse ihm keine einzige, nicht einmal dieses Inselchen!«

Hierauf schlief er ein, und wir verboten jedem Ankömmling, ihn zu stören, bis der helle Tag anbrach, und es war tatsächlich ein Anbrechen, denn das Licht fiel durch den jähen Spalt einer dicken schwarzen Wolke und richtete seine Strahlen auf uns wie auf biblischen Bildern, wo Gottvater sich aus dem Himmel herabbeugt und den Menschen erscheint.

Ludwig war schon auf. Berlinghen und Soupite legten ihm seinen Harnisch an, der Reitknecht brachte sein Pferd, und Ludwig schwang sich ohne Hilfe trotz des schweren Panzers behende in den Sattel. Jedoch setzte er keinen Helm auf, sondern einen Hut mit einer großen weißen Feder, und nicht nur ich dachte dabei an den weißen Federbusch, den sein Vater in der Schlacht von Ivry getragen hatte.

Auf seinen Befehl setzte sich das Heer in Marsch, die Kavallerie mit Ludwig an der Spitze, und zog eine halbe Meile in Richtung des Marktfleckens von Riez, ohne auf eine lebende Seele zu treffen. Nun stellten wir uns langsam doch einige Fragen. Da kehrte Monsieur de Beaumont, der mit den Spähern weiter vorgedrungen war, mit Gefangenen und Fischern zurück, die auf Befragung berichteten, was vorgefallen war.

Als Soubise am Vorabend sah, daß die königliche Armee sich darauf vorbereitete, von den Dünen des Festlands auf die Insel hinüberzugehen, begriff er, daß die Falle von Ebbe und Flut, durch die er sich hatte schützen wollen, nun doch über ihm zuschnappen würde. Wenn er unterlag, und alles sah danach aus, war ihm der Rückzug durch die steigende Flut abgeschnitten. Also beschloß er, sich unverweilt aus der Klemme zu ziehen. Der König war noch keine Stunde auf der Insel, als Soubise im Schutz der Nacht über eine andere Furt Saint-Gilles-Croix-de-Vie zu erreichen versuchte, um sich nach La Rochelle einzuschiffen.

|353|Zum Unglück stieg die Flut bereits. Soubise konnte die Furt mit seiner Reiterei noch ohne große Behinderung überschreiten, auch ein Teil seiner Infanterie schaffte es, wenn auch mit dem Wasser bis zum Hals. Der Rest, etwa zweitausend Mann, kam nicht mehr an gegen die Flut, die von Minute zu Minute stieg, und blieb auf der Insel zurück, ohne Führung, ohne Hoffnung, den Tod vor Augen.

Unsere Soldaten hätten sich aber nicht angestrengt, viele gefangenzunehmen, doch der König versprach ihnen eine Belohnung für jeden Mann, den man ihm für seine Galeeren brächte.

Auf unserem Vormarsch stießen wir auf seltsame Beute: einen Karren voller Glocken, den die Hugenotten bei ihren Eroberungen längs der Küste von den katholischen Kirchtürmen geholt und auf die Insel geschafft hatten, um sie zu Kanonen einzuschmelzen, was ihnen sicherlich eine weniger melodische Stimme verliehen hätte. Ludwig befahl, die Glocken zurück aufs Festland zu bringen, eine jede an ihren Ort, damit keine Kirche im Land länger stumm bleibe.

Dieses Inselabenteuer hatte etwas Wunderbares: Ohne irgend zu kämpfen und ohne jeden Verlust wurde ein folgenreicher Sieg errungen, denn Soubise verlor einen Teil seines Heeres und seinen Ruf, und alle Festungen, die er genommen hatte, fielen zurück an den König. Royan kapitulierte binnen vier Tagen, ein großer Gewinn, denn diese Stadt an der Girondemündung hätte die Verbindung mit Bordeaux unterbrechen und den hugenottischen Schiffen als Schlupfwinkel dienen können.

Ludwig bereitete dieser Erfolg um so mehr Genugtuung, als sein Kronrat und seine Minister in Paris einstimmig versucht hatten, ihn von einem neuerlichen Feldzug gegen die Hugenotten abzubringen. Nur Prinz Condé hatte ihn energisch unterstützt. Seitdem stand er beim König in solcher Gunst, daß der Hof vermutete, er werde Luynes bei Seiner Majestät als Favorit ablösen. Aber wie ich noch erzählen werde, verdarb Condé soviel und so dumm, daß er seinen Vorzug nach wenigen Monaten verlor.

Weil ich wußte, daß das letzte Ziel des königlichen Heeres Montpellier war, die stärkste Hugenottenstadt nach La Rochelle und Montauban, dachte ich, wir würden nach der Einnahme von Royan bis Bordeaux marschieren, von dort entlang der Garonne bis Toulouse und dann nach Carcassonne, Narbonne, |354|Béziers, Pézénas und Mauguio, das unweit von Montpellier lag. Und genau das taten wir im großen ganzen, aber mit zwei beträchtlichen Haken. Der erste führte uns östlich von Bordeaux nach Sainte-Foix-la-Grande, das wir belagerten, den zweiten schlugen wir östlich von Montauban, um Nègrepelisse und Saint-Antonin zu nehmen. Man sieht also, daß wir zwei bedeutende Städte, Bordeaux und Montauban, nicht berührten, die erste, weil sie königstreu war, und die zweite, weil sie uns feindlich war und der König nicht die Mittel hatte, sie durch eine erneute Belagerung zu bezwingen.

Der Herzog de La Force, der Sainte-Foix-la-Grande, östlich von Bordeaux, hielt, war mit dem Herzog von Rohan, der Montpellier hielt, der bedeutendste Chef der hugenottischen Rebellion. Doch gingen bei ihm die Interessen des Seigneurs weit über die des Protestanten. Als Ludwig zum großen Kummer des Herzogs sein Schloß besetzte und das königliche Heer kurz darauf vor den Mauern von Sainte-Foix erschien, gab La Force die Stadt und die ganze Basse-Guyenne preis gegen zweihunderttausend Ecus und den Titel eines Marschalls von Frankreich. Sein Schloß wurde ihm gnädig zurückgegeben.

Wenn der Leser erlaubt, mache ich jetzt einen Sprung – einen Riesensprung, offen gestanden –, aus der Umgebung von Bordeaux in jene von Montauban, um das der König, wie oben gesagt, den zweiten östlichen Haken schlug, denn ich möchte die Umstände des Massakers von Nègrepelisse aufklären, eines der abscheulichsten Schauspiele, das ich in diesem Krieg mit ansehen mußte.

In Wahrheit gab es nicht ein, sondern zwei Massaker in Nègrepelisse, das zweite war eine Folge des ersten, und dieses erste hatten die Einwohner selbst vollbracht. Als fanatische Hugenotten hatten sie im Januar bei Nacht die Garnison überrumpelt, die der König auf seinem vorigen Feldzug bei ihnen eingesetzt hatte, und hatten die vierhundert Mann, aus denen sie bestand, gnadenlos über die Klinge gehen lassen.

Der König war empört und schwor Vergeltung für dieses Verbrechen, zumal Nègrepelisse nur ein paar Meilen von Montauban lag und er der aufsässigen großen Stadt zeigen wollte, daß man ihm nicht mitten im Frieden seine Soldaten tötete, ohne daß der Frevel bestraft wurde. Was für ihn aber nicht hieß, den Mord an der Garnison mit der Austilgung des Fleckens zu |355|beantworten. Zum Unglück war Ludwig sehr krank, als die Stadt genommen wurde, er fieberte, von trockenem Husten geschüttelt, und war sehr matt. Der Oberbefehl des Heeres wurde Condé übertragen, dem Ersten Prinzen von Geblüt. Und als unsere Truppen Nègrepelisse nahmen, gab er Befehl, »alles niederzumachen«. Diese Schlächterei hatte gegen sieben Uhr an einem schönen Juniabend statt. Ludwig hörte von seinem Zimmer die Schreie der Gemetzelten. Dieses »alles niedermachen« des Prinzen war nicht nur entsetzlich, es war auch scheinheilig, denn ohne es ausdrücklich zu sagen, schloß das auch Frauen und Kinder ein. Ludwig schleppte sich zu dem Fenster, das nach der kleinen Stadt blickte, aber er sah nur die Mauern. Als die Schreckensschreie verstummten, kamen unsere Soldaten bluttriefend und taumelnd vor Erschöpfung in kleinen Gruppen von Nègrepelisse. Kurz darauf loderten in den Mauern hohe Flammen empor, und dichter schwarzer Rauch trug den eklen Geruch von verbranntem Fleisch bis zu uns. Ludwig schleppte sich zurück zu seinem Bett und legte sich wortlos nieder.

Ich meine, daß hiermit die Ungnade des Herrn Prinzen begann. Indem er es unterließ, den König zu fragen, bevor er »alles niederzumachen« befahl, hatte Condé das königliche Gnadenrecht mißachtet und Ludwig gezwungen, eine Schlächterei auf sich zu nehmen, die weder seinem Naturell entsprach (wie man es auf der Insel Riez gesehen hat) noch seiner Politik. Gewiß wollte Ludwig die Rebellen zum Gehorsam bringen, doch wollte er um keinen Preis die Erinnerung an die Bartholomäusnacht wecken.

Für diese Einstellung des Königs nur ein Beispiel: Als er bei Mirambeau zwei französische Gardisten dabei erwischte, wie sie die Hütte eines hugenottischen Bauern plünderten, ließ er sie festnehmen und windelweich prügeln, dann ging er zu ihrem Obersten und sagte mit aller Schärfe: »Wenn Ihr nicht sofort Ordnung schafft, werdet Ihr selbst mir für all den Raub und Diebstahl geradestehen.«

Nach Nègrepelisse wurde eine benachbarte kleine Feste belagert, die den hübschen Namen Saint-Antonin-Noble-Val trug. Diese Belagerung, die kurz gedacht war, dauerte fast einen Monat, aber nicht nur, weil die Einwohner sich hartnäckig verteidigten und sogar die Frauen, sobald ein Angriff nahte, zu |356|den Hellebarden griffen und die Unseren wacker in die Flucht schlugen. Vor allem war Prinz Condé in der Meinung, daß sein Blut ihn erfahrenen Kriegsmännern überlegen mache, ohne sich zu beraten darauf verfallen, die kleine Feste von ihrer stärksten Seite her anzugreifen, anstatt von ihrer schwächsten.

Diese Dummheit, die so viele Leben und soviel Zeit kostete, entging Ludwig nicht. Sein Mißfallen, daß Condés Grausamkeit nur seinem Unvermögen gleichkam, erhöhte sich noch, als er am dritten Juli in Toulouse von einem Fenster sah, wie der Herr Prinz, ohne es ihm vorher mitgeteilt zu haben, an einer Prozession der Blauen Büßer teilnahm. Daß der Erste Prinz von Geblüt sich zu diesen Mönchen gesellte, die durch die Straßen zogen, um den Pöbel der Guyenne gegen die Hugenotten aufzuputschen, gab dem königlichen Feldzug einen Anstrich von Kreuzzug, den Ludwig von Anfang an strikt hatte vermeiden wollen.

Die anhaltende Krankheit des Königs machte mir große Sorgen, und nicht nur mir, sondern dem ganzen Heer, denn das ging ständig auf und ab, mal besser, mal schlimmer, und wollte kein Ende nehmen. Tag und Nacht schüttelte den König der Husten, und um ihn zu heilen, verordnete ihm Héroard Klistiere. La Barge mit seinem Mutterwitz sagte: »Er verwechselt oben und unten«, ein Urteil, das mein Vater später in gelehrteren Worten bekräftigte.

Eine Seuche, die ich nicht kannte – unvermeidlich, wenn so viele Menschen umherziehen –, dezimierte das Heer. Damit sich alle erholten, wurde beschlossen, drei Wochen in Béziers zu rasten.

Über uns ein unabänderlich blauer Himmel und eine glühende Sonne, unter uns der ausgedörrte Boden. Wasser war knapp, denn es hatte seit Monaten nicht geregnet, und alles mögliche Unbehagen verschlimmerte sich. Vor allem aber umschwirrten uns ständig Unmengen von Fliegen bei Tag und Mücken bei Nacht.

In Béziers spricht man Okzitanisch. Ein etwas anderes Okzitanisch zwar als im Périgord meines Vaters, aber ich verstand es einigermaßen, und das brachte mir ein gutes Quartier bei einer fürsorglichen Wirtin ein, einer munteren Witwe, die mir sehr wohl wollte und mich verwöhnte. Am Tag nach meinem Einzug überbrachte mir ein Soldat eine Nachricht von Bassompierre: |357|Wenn es mir recht wäre, würde er mich am Abend um sieben Uhr besuchen, um vertraulich mit mir zu plaudern. Selbstverständlich willigte ich sofort ein, denn ich hatte ihn seit Beginn des Feldzugs kaum gesehen. Doch konnte er sich auf seine Kriegerpflichten berufen, die er übrigens aufs beste erfüllte.

Um sieben Uhr klopfte es, und strahlend führte die Witwe mir Bassompierre herein, und nachdem sie ihn hereingeführt und mit Blicken verschlungen hatte, sagte sie, sie käme gleich wieder. Wirklich erschien sie mit einem Tablett voller Becher, einer Flasche Frontignan und Waffeln, die sie auf den Tisch stellte, ohne meinen Besucher aus den Augen zu lassen.

»Madame«, sagte ich auf okzitanisch, denn ich erhob sie zur Madame, was ihr unendlich schmeichelte, »wie findet Ihr Graf von Bassompierre?«

Hierauf machte sie ihm eine Reverenz, die Bassompierre erwiderte, indem er sich halb vom Sitz erhob, und nach kurzer Überlegung sagte sie auf okzitanisch: »Er ist sehr schön, obwohl er schon weiße Schläfen hat.«

Ich übersetzte es Bassompierre, der, ohne mit der Wimper zu zucken, antwortete: »Madame, ich bin wie Porree: Mein Kopf ist weiß, aber mein Schwanz ist grün.«

Ich übersetzte, und die Wirtin brach in ein Lachen aus, daß ihr Busen nur so bebte und ihre Hüften wogten. Ich wette, wenn sie noch ein Zimmer übrig gehabt hätte, hätte sie auch Bassompierre gerne unter ihre Fittiche genommen.

Auf ein Zeichen, das ich ihr machte und das sie wohl für Eifersucht hielt, zog sie sich mit betretener Miene und unter Knicksen zurück.

»Was wollt Ihr mehr, Siorac?« sagte Bassompierre. »Knusprige Waffeln, guter Wein, eine geneigte Wirtin.«

Er lachte, dann setzte er seufzend hinzu: »Nur daß es zum Ersticken ist. Könnte man nicht ein Fenster öffnen?«

»Wenn man es öffnet«, sagte ich, »fressen uns die Mücken auf.«

»Und die hier«, sagte Bassompierre, indem er sich auf die rechte Wange klatschte, »ist die durchs Glas gekrochen?«

In dem Augenblick erschien die Wirtin aufs neue mit zwei in Hälften geschnittenen Zitronen auf einem Teller, den sie auf den Tisch stellte.

|358|»Meine Herren«, sagte sie wiederum auf okzitanisch, »wenn Ihr nicht wollt, daß die Mücken Euch stechen, reibt Euch mit dem Saft Wangen und Hände ein.«

»Horcht sie an der Tür?« fragte Bassompierre, als sie fort war.

»Was hätte sie davon? Sie versteht kaum Französisch. Und was haben wir so Ernstes zu besprechen?«

»Das werden wir sehen«, sagte Bassompierre lächelnd, indem er mich aber mit einer Miene ansah, die sein Lächeln Lügen strafte. »Es gibt Dinge«, fuhr er fort, »die ich weiß, und Dinge, die Ihr wißt, also wäre es, denke ich, nicht verkehrt, sie auf einen Haufen zu werfen und zu sortieren. Zum Beispiel sehe ich Euch besorgt. Darf ich fragen warum?«

»Mich bekümmert die Gesundheit des Königs, und ich fürchte, daß uns Condé diesen Feldzug durch seine Torheiten verdirbt.«

»Um die Gesundheit des Königs, mein Freund, sorge ich mich auch, aber keiner so wie er selbst. Wißt Ihr, was er mir gestern sagte? ›Ich war krank in Toulouse, ich war krank in Castelnaudary und werde es hier wohl auch sein. Wenn es in Paris wäre, würde ich an Sterben nicht denken, aber mir scheint, wenn ein Mensch hier krank wird, ist er verloren.«

»Mein Gott!« rief ich, »das ist kein sehr entmutigendes Wort!«

»Das man cum grano salis1 nehmen muß. Will sagen, gewiß sind Hitze, Fliegen und Mücken unerträglich, trotzdem geht es Ludwig heute schon besser.«

»Was nicht viel heißen will: heute gut, morgen schlecht, und immer dieser verdammte Husten und dieses Fieber.«

»Immerhin«, sagte Bassompierre, »er ist noch so jung und ziemlich robust. Und was Condé betrifft, könnt Ihr beruhigt sein: Lesdiguières ist diesen Monat zum Katholizismus übergetreten.«

»Ist das wahr?«

»Wie das Evangelium.«

»Aber Ihr sprecht in Rätseln. Was bedeutet das?«

»Daß Lesdiguières aus seiner Dauphiné kommt und vor Montpellier zu uns stößt. Dann gürtet ihn der König mit dem |359|Degen des Konnetabels, und Lesdiguières wird, Gott sei Dank, die Belagerung führen. Condé rückt in den Hintergrund.«

»Woher wißt Ihr das?«

»Ich habe Ohren.«

»So lange?« fragte ich lachend. »Dann habt Ihr vielleicht auch gehört, daß Richelieu auf dem besten Wege ist, vom Papst zum Kardinal ernannt zu werden?«

»Oho! Das ist mir neu«, sagte Bassompierre und wölbte die Brauen. »Und es ist von höchstem Interesse! Zumal der Kardinal von Retz in den letzten Zügen liegt.«

»Das hörte ich.«

»Und einen Platz im Kronrat freimachen wird. Den Richelieu einnehmen könnte.«

»Leider bezweifle ich«, sagte ich, »daß Ludwig ihn berufen wird.«

»Warum? Verkennt er den überragenden Scharfsinn des Bischofs von Luçon?«

»Er kennt ihn nur zu gut. Sobald Richelieu auch nur die Zehenspitze in den Kronrat setzte, würde Ludwig fürchten, von ihm beherrscht zu werden.«

»Wie wär’s«, sagte Bassompierre nach einem Schweigen, »wenn wir jetzt ein bißchen über mich sprechen würden?«

»Über Euch, Graf?« fragte ich lächelnd.

»Über mich, mein Freund. Bin ich keine interessante Person? Habe ich nicht diese und jene Meriten?«

»Oh, das unterschreibe ich, und wenn sie ein ganzes Buch füllen würden!« sagte ich mit einer Verneigung.

»Als der Herzog de La Force die Stadt Sainte-Foix-la-Grande gegen das Marschallsamt eintauschte, sagte Condé zu mir, dieser Rebell würde für seine Rebellion besser belohnt als ich für meine Verdienste.«

»Ein Beweis«, sagte ich, »daß sogar Wirrköpfe manchmal die Wahrheit sagen.«

»Wißt Ihr, daß Blainville dem König Condés Wort gestern abend wiederholt hat?«

»Ich weiß.«

»Und der König hat keinen Ton dazu gesagt!«

»Nicht ganz. Ludwig blieb nicht stumm, nachdem Blainville gegangen war.«

»Und was hat er gesagt?«

|360|Ich blickte Bassompierre süßsauer an.

»Ich weiß nicht, ob ich nicht lieber schweige«, sagte ich, »und wäre es nur, um mich für Eure kleine Schofelei zu rächen, als Ihr mich damals glauben machtet, der König wolle mich mit der Gräfin von Orbieu verheiraten.«

»In dem Fall verbietet mir meine Würde zu insistieren«, sagte Bassompierre steif und erhob sich.

»Und meine Freundschaft gebietet mir, Euch nichts zu verbergen«, sagte ich sofort. »Bitte, nehmt wieder Platz! Schenkt Euch von diesem guten Frontignan ein, und stoßen wir an! Es lohnt sich. Mit Ende dieses Feldzugs werde ich protokollarisch verpflichtet sein, Euch mit Exzellenz anzureden, und der König wird Euch ›mein Cousin‹ nennen.«1

***

Der König erholte sich, als wir Béziers verließen, und in Pézénas war er wieder wohlauf. Da hatte er eine gute Idee, die ihm von niemand eingeflüstert wurde, weder vom Kronrat noch von Condé noch von seinem Oberbefehlshaber. Er beschloß, eine nach der anderen die kleinen Festen rings um Montpellier zu nehmen: Mauguio, Lunel, Sommières, und damit der hugenottischen Zitadelle jede Unterstützung abzuschneiden. Und er ging nach Aigues-Mortes, das der Herzog von Châtillon hielt, verhandelte mit ihm und tauschte die Stadt gegen ein Marschallsamt. Das gefiel Bassompierre wenig, er fand, man gebe den hugenottischen Aufrührern zu viele Marschallsämter. Ich beruhigte ihn jedoch damit, daß der König diese Marschälle nie im Feld einsetzen würde, weil er ihrer Loyalität nicht traute, und daß diese Titel nur Schall und Rauch seien. Vor den Mauern von Montpellier stieß endlich Lesdiguières aus der Dauphiné zu uns, der frisch bekehrte Katholik, aber vor allem ein bewährter General von achtzig Jahren, dessen lange Karriere keine einzige Niederlage aufwies. Er empfing vom König den Degen des Konnetabels, und das Heer atmete auf. Leider war die Erleichterung von kurzer Dauer, denn ebenso dumm wie Luynes vor Montauban, wollte Condé den |361|Befehlen des neuen Konnetabels nicht gehorchen, und Lesdiguières, der zu klug war, um sich mit dem Ersten Prinzen von Geblüt in einen Machtkampf einzulassen, kehrte in die Dauphiné zurück, um Verstärkung zu holen.

Das geschah so schnell, daß Ludwig keine Zeit zu reagieren hatte. Allerdings muß man hier sagen, daß Ludwig in seinen Entscheidungen über Personen ebenso langsam war, wie er rasch war, wenn es gegen den Feind ging. Äußerst gewissenhaft, von der großen Sorge um Gerechtigkeit besessen, wog er lange das Für und Wider und entschied sich erst nach reiflichen Überlegungen. War die Entscheidung aber einmal getroffen, setzte er sie ehern durch. Für Condé mußte er eine Lösung finden, die ihn als General ausschloß, die aber den Prinzen von Geblüt schonte. Und als Lesdiguières wiederkam aus der Dauphiné, fand Ludwig diese Lösung, eine ganz einfache und eben dadurch verblüffende. Obwohl der König bestimmt der ernsthafteste Mensch von der Welt war, sah ich dahinter sogar einen Schalk. Leider hatte Condé in Lesdiguières’ Abwesenheit Gelegenheit zu weiteren Dummheiten, die einige unserer Edelleute mit dem Leben bezahlten. Zum Verteidigungsring von Montpellier gehörte die Butte Saint-Denis im Nordosten, ein kleiner Hügerl, von dem man die Stadt überschaute. Die Strategie gebot, ihn zu besetzen. Von seinen Offizieren gedrängt, besetzte Condé sie tatsächlich, aber in seiner unglaublichen Arroganz und Unterschätzung des Gegners besetzte er ihn nicht mit starker Wehr. Als der Feind diese Schwäche am nächsten Tag bemerkte, stürmte er zum Gegenangriff und nahm die Butte wieder ein, so daß wir schwere Verluste erlitten.

Es lag nicht daran, daß er die Befehlshaber nicht versammelt und angehört hätte. Der schmächtige Condé nahm ihre Vorschläge hochmütigen Gesichts entgegen. Alle stimmten überein, daß man zwei Bastionen der Verteidigung, die Blanquerie und die Tuilerien, erstürmen müsse. Condé schien ihnen zuzuhören, dachte in Wahrheit aber nur daran, daß am folgenden Tag der Marschall von Créquy, Lesdiguières’ Sohn, eintreffen würde. Dieser Gedanke machte ihn krank, und weil er bis dahin noch seine Überlegenheit behaupten wollte, sagte er hochfahrend: »Nein, nein, meine Herren, es wird genügen, den Halbmond zwischen beiden Bastionen anzugreifen.« Also griff man den Halbmond an. Der lag aber im Kreuzfeuer beider |362|Bastionen, und wir verloren eine Menge Leute, ohne daß wir Fuß fassen konnten.

Der Herzog von Rohan, der Montpellier verteidigte, hatte nur eins im Sinn: Er wollte sich in Verhandlungen ebenso gute Konditionen sichern wie La Force und Châtillon. Damit überstürzte er sich jedoch nicht, denn die Fehlschläge des königlichen Heeres erhöhten die Preise. Durch Condés Niederlagen gestärkt, erdreisteten sich die Abgesandten von Montpellier, dem König Bedingungen zu nennen, unter denen sie zur Übergabe bereit wären. Der König empfing sie sehr übel.

»Meine Herren«, sagte er, »meldet in Eurer Stadt, daß ich meinen Untertanen Kapitulation gewähre, aber die Bedingungen stelle ich.«

Hierauf kam, wie gesagt, Lesdiguières aus der Dauphiné zurück. Er brachte sechs Regimenter mit, und weil ein Glück selten allein kommt, traf am nächsten Tag der Herzog von Angoulême mit ebenso vielen aus der Champagne ein, außerdem erreichte uns endlich unsere Nachhut. Lesdiguères und seine beträchtlichen Verstärkungen taten uns genauso wohl, wie Condé die Unterredung, die er am folgenden Tag mit dem König hatte, weh tat.

»Mein Cousin«, sagte Ludwig, indem er ihn freundlich unterhakte und mit ihm auf und ab schritt, »ich will Euch als erstem mitteilen, was ich beschlossen habe. Der Konnetabel wird dem ganzen Heer seine Befehle erteilen, aber Ihr, mein Cousin, sollt sie nur aus meinem Mund hören.«

Condé dankte, kniete nieder und ging. Er war zu feinfühlig, um nicht zu verstehen, daß er nicht viele Befehle aus dem Mund des Königs erhalten würde. Seine Verstimmung wuchs, als der Kronrat am achten Oktober mehrheitlich beschloß, mit Montpellier zu verhandeln. Am folgenden Tag ließ er sich wieder vom König empfangen und plädierte eifernd für die Fortsetzung des Krieges. Vom Ehrgeiz eines neuen Kreuzzugs besessen, strebte er nach der völligen Ausrottung der Hugenotten.

»Mein Cousin«, sagte Ludwig, »reden wir nicht mehr davon. Wir schließen Frieden. Ich habe es so beschlossen.«

»Sire«, sagte Condé, »darf ich Euch um meinen Urlaub bitten? Ich möchte mich auf Pilgerfahrt nach Notre-Dame-de-Lorette begeben.«

|363|»Gern, mein Cousin«, sagte der König.

Damit umarmte er ihn, küßte ihm beide Wangen und ließ ihn ziehen.

Der Frieden von Montpellier bestätigte das Edikt von Nantes. Überall wurde Gewissens- und Glaubensfreiheit garantiert oder wiederhergestellt. Nur verloren die Protestanten achtzig Festungen. Herr von Rohan wurde Gouverneur der Städte Nîmes, Castres und Uzès, aber deren Befestigungen wurden zu zwei Dritteln geschleift. Zusätzlich erhielt er eine Pension von sechzigtausend Ecus.

Wäre ich Hugenotte in Montpellier gewesen, hätte ich mich wohl gefragt, ob es der Mühe wert war, sich so tapfer zu schlagen und so viele Verwundete und Tote hinzunehmen, nur damit sich am Ende ein so hübscher Goldregen in die Kasse des Herrn Herzogs von Rohan ergoß.

Am zwölften Oktober 1622 trat in Arles der Kronrat zusammen, und der König wartete mit einer Reihe von Beschlüssen auf, an die ich mich mit gutem Grund erinnere. Zuerst gab er sich wie ein abgebrühter Spieler, indem er Bassompierre die ungnädigste Miene zeigte, dann sagte er lächelnd: »Ich habe Bassompierre versprochen, wenn er seine Geschäfte verrichtet hat, ihn zum Marschall von Frankreich zu machen, und ich tue es.«

Dies erschien mir nun als ein etwas derber Scherz bei solcher Gelegenheit, ohne daß er mich aber sonderlich erstaunte. Auf diesem Gebiet war Ludwig ähnlich wie die Priester: Seine Schamhaftigkeit betraf nur das Geschlechtliche, nicht aber die angrenzenden Bereiche. Trotzdem belachten unsere würdigen Räte den Scherz, und Bassompierres Ernennung wurde bestens aufgenommen.

»Meine Herren«, fuhr der König ernsthafter fort, »mir scheint, daß Graf von Orbieu, den Ihr auf unseren Sitzungen stets bemüht saht, Monsieur de Puisieux mit seinen Kenntnissen beizustehen, zu Größerem befähigt ist, und ich ernenne ihn mit diesem Tag zum Rat für besondere Angelegenheiten, mit Beratungs- und Stimmrecht wie die anderen Räte.«

Diese bezeigten auch mir gute Miene wie vorher Bassompierre. Mein Gesicht war ihnen bekannt, und weil ich auf Grund meiner früheren Aufgabe nie jemandem hatte widersprechen können, wollte mir an diesem Tag niemand übel.

|364|»Meine Herren«, sagte Ludwig schließlich, diesmal völlig ernst, »wir hatten in diesem Monat zu Lunel den Tod unseres sehr geliebten und sehr vermißten Kardinals von Retz zu beklagen, den Gott zu sich gerufen hat. Mein sehr geliebter Cousin, der Kardinal von Retz, war Mitglied dieses Rates. Es obliegt mir also, ihn zu ersetzen. Ich ernenne mit heutigem Tage für diesen vakant gewordenen Sitz den Kardinal de La Rochefoucauld.«

Diese Ernennung wurde ebensogut aufgenommen wie die vorherigen, aber man lächelte, wechselte Blicke und stieß sich mit dem Ellbogen an. Interessant an dieser Beförderung war eben nicht der zu diesem hohen Amt Ernannte, sondern derjenige, der nicht ernannt worden war.

Zugegeben, Richelieu war erst kürzlich vom Papst zum Kardinal erhoben worden, Ludwig hatte ihm die Insignien noch nicht überreicht und dafür seinen Treueid empfangen, eine Zeremonie, durch die der Neuernannte sich an die Person des Königs und an den Thron band. Trotzdem, wenn Ludwig Richelieu wirklich in seinem Kronrat hätte haben wollen, hätte er entweder die Zeremonie beschleunigen oder die Nachfolge des Kardinals von Retz im Kronrat hinauszögern können.

Nachdem Bassompierre und ich dem König den Treueschwur geleistet hatten, er als Marschall von Frankreich und ich als Mitglied des Kronrats, erbaten wir vom König unseren Urlaub und gingen nach gegenseitigen Gratulationen davon. Doch strebte ich nicht schnurstracks dem Haus meiner munteren Witwe zu, sondern wandelte am Ufer der Rhône entlang, ein sehr einsamer Spaziergang um diese Vesperstunde und in dem Nebel, der vom Fluß aufstieg. Ich wollte allein sein, wollte in Muße über meine Beförderung nachdenken, die nun wahrlich etwas anderes war als mein Kammerherrenamt oder mein Kreuz vom Heilig-Geist-Orden, das gewiß eine hohe Ehre war, aber nichts, um mich nützlich zu machen.

Ich blieb nicht lange allein. Vor mir sah ich eine Gestalt aus dem Nebel auftauchen und sich allmählich zu einem Mönch verdeutlichen, dessen Haupt und Antlitz unter der Kapuze verborgen waren. Er kam direkt auf mich zu, und ich griff mit der Linken nach meiner Börse, um ihm ein paar Sous zu geben, falls es ein Bettelmönch war, und mit der Rechten nach meinem Degen, sollte es sich um einen Wolf im Schafspelz handeln. |365|Als er aber einen Klafter vor mir innehielt, sprach er mit sanfter, wohlbekannter Stimme: »Herr Graf, ich bin kein Fremdling für Euch, denn ich habe Euch in Euer Wohnung im Louvre besucht, und Ihr habt Euch mit meinem Bruder, Monsieur de Tremblay, lange unterhalten.«

»Ach, Pater Joseph!« rief ich aus, »Ihr seid es? Was sucht Ihr denn hier?«

»Nun, ein Gespräch unter vier Augen mit Euch, wenn Ihr dazu gestimmt seid. Könnten wir uns nicht auf jene Bank dort am Ufer setzen? Ich bin sehr müde, denn ich habe die ganze Reise von Paris nach Arles zu Fuß gemacht.«

»Setzen wir uns, Pater«, sagte ich. »Wollt Ihr heute nicht bei mir übernachten, um Euch von Euren Beschwernissen zu erholen?«

»Nein, Herr Graf, tausend Dank, ich finde in dieser guten Stadt sicher ein Kapuzinerkloster, das mir Suppe und Lager gewährt. Herr Graf, ich sah Euch vorhin ganz vergnügt aus dem Kronrat kommen. Vergebt mir meine Neugier, aber darf ich fragen, was der Grund Eurer Freude ist?«

»Ihr dürft, Pater, es ist kein Geheimnis. Der König hat mich soeben in den Kronrat aufgenommen.«

»Herr Graf!« rief Pater Joseph, »das ist ein erstaunlicher Aufstieg für einen so jungen Mann! Erstaunlich und verdient, denn ich weiß wohl, daß Ihr sehr gelehrt seid. Wie ich hörte«, fügte er hinzu, »soll der Kardinal von Retz seine Seele ausgehaucht haben. Ist das wahr?«

»Es ist leider wahr.«

Nach einem Schweigen fuhr der Pater fort: »Ich weiß, daß Ihr dem König soeben den Eid geleistet habt, jedermann zu verschweigen, was im Rat gesprochen wird. Folglich«, setzte er mit Unschuldsmiene hinzu, »darf ich Euch nicht fragen, durch wen Seine Majestät den Kardinal von Retz im Rat ersetzt hat.«

Ich mußte lächeln. Da stellte der Pater mir eine Frage, indem er sich verbot, sie mir zu stellen, und erwartete von mir, gleichzeitig verschwiegen und doch nicht verschwiegen zu sein. So gewiß er Kapuziner war, so gewiß roch dies nach Jesuit, und ich bekam Lust, seine Subtilitäten mit einer Subtilität gleichen Kalibers zu beantworten. Ernst sagte ich ein Wort, nur ein einziges, das aber Bände sprach: »Leider!«

|366|Dieses »leider«, das die Hoffnungen begrub, die Pater Joseph für den Kardinal von Richelieu gehegt hatte, machte ihn kurze Zeit stumm, und sein Kopf verschwand völlig unter der Kapuze. Doch schien ihm dieses »leider« auch anzuzeigen, daß ich im stillen für Richelieu eingenommen war, und weil er augenblicks erfaßte, welche Vorteile ein mögliches Bündnis mit mir bringen könnte, bat er mich, meinen Gedanken zu erläutern.

»Wenn ich Euch recht verstehe, Herr Graf«, sagte er mit einschmeichelnder Sanftheit, »billigt Ihr die getroffene Wahl nicht.«

»Nein, nein«, entgegnete ich, »diese Wahl kann nur gut sein, weil Seine Majestät sie getroffen hat. Wenn Ihr mir jedoch erlaubt, von dieser Ernennung abzusehen und zu verallgemeinern, würde ich sagen: Wenn zwei Männer zur Wahl stehen, von denen der eine nur das Verdienst einer beruhigenden Mittelmäßigkeit hat und der andere anerkanntermaßen tausend Talente, kommt es oft vor, daß der erste vorgezogen wird aus Furcht vor dem Genie des anderen. Man scheut die Gefahr, von ihm beherrscht zu werden.«

»Herr Graf, Euer Wort ist von schlagender Weisheit. Erlaubt Ihr, daß ich es weitergebe?«

»Bitte, Pater«, sagte ich mit einem Lächeln, »aber nur einer bestimmten Person.«

Woraufhin der Pater seinerseits lächelte und nach einer Weile fortfuhr: »Ich stelle mir vor, Herr Graf, daß Ihr nun sehr erleichtert seid, der Vormundschaft von Puisieux und seinem Vater im Kronrat enthoben zu sein.«

»Aber nicht, weil ihre Vormundschaft schwer war, Pater. Was mir unerträglich schien, war ihre Politik, vielmehr ihr Mangel an Politik. Diese Minister bewirken für mein Gefühl nichts. Genauer gesagt, Vater und Sohn kümmern sich besser um ihre Eigeninteressen als um Frankreich. Wenn ich meine Gedanken auf den Punkt bringen sollte …«

»Bitte, tut es!« sagte der Pater mit drängender Stimme.

Doch ich antwortete nicht gleich. Meine Kehle war einen Moment wie verknotet, so sehr erregte mich, was ich zu sagen im Begriff war, denn es bedeutete eine folgenschwere Entscheidung für mein weiteres Leben.

»Da ich von Puisieux und seinem Vater sprach«, sagte ich |367|endlich, »so bin ich mir völlig sicher, daß mit ihnen nie etwas Rechtes geschieht. Und ich bin fest überzeugt, daß überhaupt nie etwas Rechtes geschehen wird ohne die Euch bekannte Person.«

Nun bin ich gesprungen, dachte ich, zugleich erleichtert, daß ich meine Ansicht geäußert hatte, und voll tödlicher Unruhe darüber, daß ich mich festgelegt hatte, ohne daß ich es vorher reiflich bedacht hatte.

»Ach, mein guter Freund!« sagte Pater Joseph, indem er heftig meine Hand drückte, aber wortlos, so bewegt war er.

Einen Augenblick später fühlte ich ihn nicht mehr an meiner Seite, und als ich aufstand, sah ich seine schmale Gestalt im Nebel verschwinden.

***

Schöne Leserin, wir haben das Jahr 1623 erreicht, und es ist Zeit, mit einer Geschichte anzufangen, die ich Ihnen hier leider nicht bis zu Ende erzählen kann, weil das Ende nicht mehr in diesen Band gehört und Sie erst im folgenden erwartet. Sie verlieren dabei wenig, denn sosehr diese Episode auch durch abenteuerliche Schilderungen aufgebauscht wurde, eignet ihr in Wahrheit nicht jene Romantik, die man ihr verliehen hat. Vielmehr mündet sie in ein Scheitern, halb lächerlich, halb abscheulich. Was ich, auf unumstrittene Zeugenschaften gestützt, davon berichten werde, dient einfach dazu, die bloßen Tatsachen klarzustellen.

Nachdem Madame de Luynes Monsieur de Chevreuse eingewickelt hatte, Apfel und Schlange in einem, wenn ich so sagen darf, und seine Gemahlin geworden war, gewann sie sowohl ihre Louvre-Wohnung zurück, die sie übrigens gar nicht verlassen hatte, als auch ihr Amt als Haushofmeisterin der Königin und damit ihr tagtägliches, behexendes Zusammensein mit Anna von Österreich. Gewiß verdankte sie diese wunderbare Wendung ihres Schicksals der Protektion des Herzogs von Chevreuse, gegen den sie es an Liebesbeteuerungen und Schwüren von ewiger Dankbarkeit natürlich nicht fehlen ließ. Als sie sich jedoch besann und überlegte, daß sie Monsieur de Luynes doch einen recht üblen Streich gespielt hatte, als sie die Geliebte des Herzogs von Chevreuse wurde, fand sie, nun mit besagtem Herzog verheiratet, sie müsse das Monsieur de Luynes angetane |368|Unrecht gutmachen, indem sie die Geliebte des Grafen von Holland wurde.

Der neue Gegenstand ihrer Liebe war ein englischer Lord, der nach Frankreich entsandt wurde, um die Eheschließung des Prinzen von Wales mit Ludwigs kleiner Schwester Henriette anzubahnen. Nun hatte die englische Krone aber zwei Eisen im Feuer und zögerte zwischen Henriette von Frankreich und Maria Infantin von Spanien, der Schwester unserer Anna von Österreich. Dieses Zögern rührte daher, daß Englands Außenpolitik selbst zögerlich war und zwischen der Freundschaft mit Frankreich und einem Bündnis mit Spanien schwankte. Und es war bestimmt nicht leichter, dem allerkatholischsten König einen protestantischen Schwager nahezubringen als dem allerchristlichsten König.

Wenn der Graf von Holland in dieser unendlichen Heiratsgeschichte nach Paris kam, stieg er also im Hôtel de Chevreuse ab, wo er, wie man sah, seine Bequemlichkeiten hatte, denn mein armer Claude war viel zu sehr mit Jagden, Pferden und Hunden beschäftigt, um für irgend etwas Augen zu haben, was seine Ruhe stören konnte.

Ich begegnete dem Grafen von Holland mehr als einmal bei meiner Schwester, der Prinzessin Conti, und fand ihn, offen gestanden, sehr schön. Bassompierre dagegen behauptete, er sehe ein bißchen fade aus, und die Prinzessin fand, er habe etwas Weibisches an sich. Nun kann es gut sein, daß bei den beiden ein wenig Neid im Spiel war, denn Bassompierre war damals vierundvierzig Jahre alt, und meine schöne Halbschwester tat ihr Bestes, zu verbergen, daß sie fünfunddreißig war, während Madame de Luynes so schlau gewesen war, mit dem Jahrhundert zur Welt zu kommen, und wenn man Graf von Holland ansah, konnte er kaum älter sein, so frisch waren seine Farben und so lebhaft seine Augen. Was die Prinzessin Conti wahrscheinlich zu der Meinung veranlaßte, daß Holland etwas Weibisches an sich habe, war, daß er ständig von seinem großen und engen Freund sprach, dem Herzog von Buckingham, und dessen Talente und Schönheit rühmte. Er zeigte der Herzogin von Chevreuse, mit der er im Hôtel de Chevreuse besagte Heimlichkeiten hatte, Bildnisse von ihm, und in der undurchschaubaren Seele derer, die Ludwig XIII. den »Satan« nannte, keimte ein teuflischer Plan. Obwohl Anna von Österreich und Buckingham sich nie gesehen |369|hatten, gedachte Madame de Chevreuse es derart anzustellen, daß die Königin von Frankreich, wenn sie ohne Unterlaß Lobreden auf den schönen Herzog hörte und seine Bildnisse sah, sich in ihn verliebte. Holland machte es mit Buckingham ebenso, und das Hauptziel dieser Machenschaften war, eine Intrige zwischen Anna von Österreich und dem Favoriten des englischen Königs anzustiften, wenn dieser in der Heiratsangelegenheit nach Frankreich käme.

Nie hätte ich geglaubt, daß ein solcher Plan, so tollköpfig, eitel und zugleich so gefährlich für alle Beteiligten, einem menschlichen Gehirn entsprießen könnte, wenn Françoise Bertaut, die spätere Madame de Motteville, mir nicht versichert hätte, daß es ihn gab. Und jedenfalls ließ sich der Herzog von Buckingham mit einer Unvernunft in diese Intrige ein, die einfach sprachlos macht. Wahr ist allerdings auch, daß er weit schöner war als klug, sein Urteil war armselig, seine Eitelkeit grenzenlos. Als Holland ihm sagte, daß die Hexerei, derer sich Madame de Chevreuse bei der armen Königin befleißigte, Früchte zu tragen begann, beschloß er, sie zu sehen. Nun favorisierte England zu diesem Zeitpunkt der Geschichte aber gerade die spanische Hochzeit. Also überredete er den Prinzen von Wales, sich nach Madrid zu begeben und die Infantin Maria persönlich kennenzulernen, aber inkognito über Paris zu reisen, um bei dem großen Ballett, das die Königinmutter veranstaltete, die Königin Anna zu sehen.

Anna wußte von diesem romantischen, heimlichen Besuch. Und dem Prinzen von Wales und Buckingham gelang es, einzig auf ihr gutes Aussehen hin, denn sie waren prächtig gekleidet, aber vielleicht verteilten sie auch Trinkgelder um sich, inmitten des Ansturms auf dieses Ballett so günstig plaziert zu werden, daß sie die Königin aus der Nähe sehen und von ihr gesehen werden konnten. Die Herzogin von Chevreuse, neben der Königin auf einem Schemel, zeigte ihr die Besucher, und es wurden Blicke gewechselt, diskret seitens der Königin, aber sehr auffällig von Buckingham, so daß es vom Hof bemerkt wurde, der erst anderntags erfuhr, wer die schönen jungen Herren waren. Und die Zungen überschlugen sich.

Ob nun dieser unziemliche Klatsch Ludwig zu Ohren kam, oder ob er selbst die sträflichen Blicke bemerkt hatte, weiß ich nicht, jedenfalls war er in den folgenden Tagen sehr gereizt und |370|finster. Auch machte Ludwig der Königin nach dem sechsten März, an dem das Ballett stattgefunden hatte, nicht einen Besuch, nicht einmal einen protokollarischen. Am zwölften März jedoch schien er sich seiner besseren Gefühle zu besinnen, denn abends um zehn Uhr ging er zur Königin, und wie ich anderntags erfuhr, erfüllte er zweimal seine dynastische Pflicht.

Daraus schloß ich, daß die auf so harmlosen Anschein gegründete Eifersucht ihn nicht tiefer getroffen hätte. Ich täuschte mich. Im April, fast einen Monat, nachdem Buckingham bei der Königin aufgetaucht war, verbot er Männern den Zutritt zu den Gemächern der Königin, außer wenn er selbst dort war. Dieses Verbot hatte früher am französischen Hof bestanden, es war aber abgeschafft worden, weil es einigermaßen kränkend war für die regierende Königin. Die Tatsache, daß Ludwig es wieder einführte auf die Gefahr hin, Anna von Österreich empfindlich zu verletzen, deutete darauf hin, daß Ludwigs Vertrauen in seine Gemahlin nach dem verhängnisvollen Sturz im Festsaal des Louvre und nach den mit Buckingham gewechselten Blicken während des Balletts der Königinmutter weit mehr erschüttert war, als es zunächst schien.

Er tat mir leid, denn nichts auf der Welt schmerzt mehr als der Stachel der Eifersucht. Trotzdem hätte ich an seiner Stelle der Königin diese rigorose öffentliche Maßnahme nicht zugemutet. Damit verlor die Ärmste das Gesicht, und ein wenig verlor er es selbst. Für meine Begriffe kannte er die Frauen schlecht, wenn er nicht wußte, daß ihre Treue sich durchaus mit dem berauschenden Gefühl vertragen kann, sich von einem schönen, von vielen Damen umschwärmten Kavalier geliebt zu wähnen. Daß Ludwig für Anna eine Art Kloster innerhalb des Louvre schuf, mußte bei der Königin unwiderruflich auslöschen, was sie noch an Zärtlichkeit für ihn empfinden mochte, und gleichzeitig tötete er dies in sich selbst. Durch Héroard wußte ich, daß Ludwig hin und wieder in den Gemächern der Königin und mit ihr schlief. Mich aber dünkten diese Umarmungen sehr unglücklich, weil sie nicht mehr sein konnten als ein pflichtschuldiger Austausch. Und als dieser Umgang auf die Dauer auch nicht das erhoffte Ergebnis erbrachte, verzichtete Ludwig mehr und mehr darauf. Er schien damals jede Hoffnung verloren zu haben, Frankreich einen Dauphin zu geben, und Anna jede Hoffnung, ihn zurückzugewinnen.