|136|SECHSTES KAPITEL

Ende Oktober kehrten wir von Lesigny-en-Brie zurück, und als weder im November noch im Dezember irgend etwas geschah, das dem Reich Hoffnung auf einen Dauphin gab, begann ich zu fürchten, daß Luynes seine Mühen vergeudete. Während aber die Ungewißheit weiter auf uns lastete, tröstete ich mich mit dem Gedanken, daß Ludwig gerade erst siebzehn war und daß auch sein Vater erst spät angefangen hatte.

Allerdings hat unser Henri dann tüchtig aufgeholt, er war wahrlich keiner, den die fleischliche Sünde schreckte, wie er es bewies, als er Paris belagerte und die Langwierigkeit der Sache bannte, indem er sich mit zwei Nonnen verlustierte, einer in Longchamp, der anderen in Montmartre. Und da gab es keine Frage von Gewalt, nur glühendstes Einvernehmen, denn die armen Mädchen saßen nicht freiwillig im Kloster, sondern nach dem Willen ihrer Eltern.

Henri nahm Paris, und als König von Frankreich nun vergaß er dennoch seine Klosterfrauen nicht. Er machte sie beide zu Äbtissinnen, was mehr seine persönliche Dankbarkeit als irgendeine Sorge um Erbauung bezeugt. Aber wie fern lag jenem Jahrhundertende noch die erhabene Strenge von Port-Royal!

Gleich nach der Rückkehr von Lesigny-en-Brie erhielt ich vom König die Erlaubnis, nach meinem Gut Orbieu zu gehen, um für meine Dörfler die Weinlese zu eröffnen. Zwei Tage vor meiner Abreise nun erfuhr mein Vater, daß ein Gerichtsrat vom Pariser Parlament, der einen Besitz in der Nähe von Montfort l’Amaury hatte, auf dem Weg von Paris nach Montfort erbarmungslos ausgeraubt und erschlagen worden war von einer Räuberbande, die sich in dieser Gegend angeblich nicht zum erstenmal hervorgetan hatte. Also mietete ich mir auf väterliches Anraten ein halbes Dutzend Schweizer, Arkebusiere allesamt, die mit Pissebœuf, Poussevent, La Barge, Robin und unserem hühnenhaften Kutscher Lachaise, den mein Vater mir |137|ebenfalls auslieh, eine hinreichende berittene und gewaffnete Eskorte bildeten, um jeglichen Überfall zu entmutigen. Ich machte die Reise in meiner Kutsche mit vier Pistolen und mit Louison, der ich beibrachte, wie man die Waffen lud, und die es, lebhaft und aufgeweckt, wie sie war, im Handumdrehen lernte. So gedachte ich im Fall eines Angriffs, wenn ich schoß und sie lud, ein ununterbrochenes Musketenfeuer auf die Angreifer loszulassen.

Meine Soubrette, schon höchst vergnügt, daß Frau von Lichtenberg fort war, wußte sich vor Freude nicht zu lassen, als sie hörte, daß sie allein mit mir in meiner wappengezierten Karosse reisen sollte, »ganz als ob ich Eure Gräfin wäre, Herr Graf«, sagte sie errötend. Sie legte ihre schönsten Kleider an und genehmigte sich zum erstenmal einen Reifrock statt des Kotillons, der ihrem Stand geziemte. Was bei unserer Abfahrt von unserem Majordomus Franz mit Stirnrunzeln, von unseren anderen Kammerzofen mit Gekicher und von meinem Vater mit Duldsamkeit bemerkt wurde.

Als sie neben mir Platz nahm, sah ich, daß in einer Schlaufe ihres Schnürmieders, sicherlich zur Verteidigung ihrer Tugend gegen die Räuber, ein zierlicher Dolch stak, den ich ihr, mehr zur Schau allerdings als zum Gebrauch, geschenkt hatte. Lachend sagte ich, für gewöhnlich mache sich das gentil sesso nicht mit solchen Waffen über unsere schwachen Herzen her. Als die Reise sich aber sehr in die Länge zog, weil Wind und Regen unser Fortkommen behinderten, zeigte sie mir, daß sie auch weiblicher Waffen mächtig war und mich mit allen Zärtlichkeiten zu beglücken wußte, die ihr Temperament, ihre Lust, mir zu gefallen, und die neue Örtlichkeit ihr eingaben.

Als nettes Mädchen, das sie war (außer gegen andere Mädchen), schwatzhaft und munter, doch nicht ohne Feingefühl, wußte sie, daß sie besser den Schnabel hielt, wenn sie mich in Gedanken sah. Und auf dieser Reise dachte ich viel.

Das Fortgehen meiner Gräfin betrübte mich nicht so sehr, wie ich zuerst glaubte. Unser Altersunterschied, unsere verschiedenen Nationalitäten, ihre hugenottische Ernsthaftigkeit, ihre seltsame Überzeugtheit, daß sie die Wahrheit sage, sowie sie den Mund auftat, ihre manchmal sehr anstrengende Art, ihre Ansprüche, ihr Hochmut, vor allem aber ihre kleinlichen Vorwürfe, all das hatte mir oft die Laune verdorben und mehr |138|meine Geduld als meine Zuneigung geprüft. Auch endete nun mein schon erwähntes Ungemach, die eine mit der anderen zu betrügen.

Unsere Reise ging ohne Ärgernis vonstatten. Übrigens war ich mir schon vorher ziemlich gewiß, daß wir bei soviel Sicherheitsmaßregeln unterwegs keinen Angriff der Räuber gewärtigen müßten. Wer Stärke zeigt, enthebt sich ihres Gebrauchs. Diese Wegelagerer gehen auf Raub und Mord aus, aber sie fliehen den Kampf und machen sich nur an schwache Beute. Und so, mit Louison an meiner Seite, die so gut zu leiden war, verspürte ich ein großes Glück, je näher wir Orbieu kamen. Ich sollte meinen ersten irdischen Besitz wiedersehen, mein geliebtes Schloß, meine dunklen Wälder, meine saftigen Wiesen, mit einem Wort, das kleine Reich, wo ich Prinz war. Und trotz des Herbstes draußen hätte ich sagen können wie der Dichter, »zu den Freuden meiner Seele regnete es einen Lenz von Blüten«.

Noch immer erstaunte es mich, wenn ich darüber nachsann, wieviel Macht ich in Orbieu hatte. Sie war so mannigfach und so groß, daß ich es kaum fassen konnte und daß ich mir fest vornahm, sie niemals auszunutzen. Keiner auf meinem Gut, auch wenn er Eigentümer war, durfte sein Heu mähen, sein Korn ernten oder seinen Wein lesen, ohne daß ich das Zeichen dazu gab. Keiner konnte sein Getreide mahlen, sein Brot backen oder seine Trauben pressen, ohne sich meiner Mühle, meines Ofens, meiner Presse zu bedienen – zu meinem großen Gewinn. Keiner durfte seinen Weizen, seinen Wein, sein Obst oder sein Jungvieh vor mir verkaufen. Bis auf den Pfarrer und den Vikar durfte ich als einziger die Kirche durch die Sakristeitür betreten und durfte auf dem Bischofsstuhl im Chor sitzen, unter dem ich dereinst bestattet werden würde. Und hatte der Meßdiener dem Herrgott Dank gespendet, mußte er gleich darauf mich beweihräuchern, wie man sah. Jeder, der auf meinem Land ein Haus und ein paar Ar besaß, schuldete mir eine jährliche Abgabe, und wenn er sie verkaufen wollte, eine Gebühr. Ich hatte das jedem anderen verbotene Recht, ein Taubenhaus zu besitzen und Hunderte Tauben zu züchten, die sich in aller Muße an den Saaten meiner Untertanen gütlich tun durften, bevor sie auf meine Tafel kamen. Der Himmel über meinem Gut, das Wasser, das in meinen Feldern und Wiesen |139|floß oder stand – Bäche, Flüsse, Sümpfe, Teiche – alles war mein. Und alles, was in der Luft flog, auf der Erde lief oder im Wasser schwamm, war ebenfalls mein. Und wer immer zu seinem Eigennutz – Verkauf oder Kochtopf –, eines dieser Gottesgeschöpfe fing, verfiel einem Bußgeld, einer Auspeitschung oder sogar dem Strick, der höchsten Strafe, die ich als oberster Gerichtsherr selbst verhängen konnte.

Jedoch war dieses Privileg wenn auch nicht nach dem Recht, so doch in der Tat außer Gebrauch gekommen, und nur der Tradition halber behielt Orbieu das Gerüst bei, das sich auf einem Hügel erhob. Einst war es dort errichtet worden, damit es vom Dorf aus gut zu sehen war, mit dem Strick in der Mitte des Querbalkens, an dem die Gehenkten früherer Herren unerbittlich geschaukelt hatten. Nicht vergessen war im Dorf, daß der Verwalter Rapinaud sich dieses Recht über Leben und Tod schändlich angemaßt hatte, als er von einem Fenster des Schlosses einen Wilderer erschoß, der in der Morgenfrühe einen Karpfen aus dem Teich des seligen Grafen fischte. Dieser Mord hatte ihn bei allen in Verruf gebracht, und hätte man die Leiche des Opfers gefunden, es wäre ihm übel bekommen.

Doch Louison schmiegte sich immer enger an mich im behaglichen Kutschengehäuse, bis ich schließlich verstand, daß ihre Zunge sie juckte und daß ungesagte Worte ihre rosigen Wangen schwellten. Denn rosig waren sie, im Kontrast zu ihren schwarzen Haaren, die wiederum das Blau ihrer zärtlichen Augen höhten. Nach den Blicken, mit denen sie dann und wann ihren Reifrock bedachte, schien sie mir furchtbar stolz darauf. Trotzdem nahm ich mir vor, ihr zu sagen, sie möge ihn in Orbieu ruhig tragen, aber nicht in Paris, um die Kotillons der anderen Bedienten nicht herabzusetzen.

Der pundonor, wie die Spanier sagen, war der schwache, oder wenn man so will, der starke Punkt meiner Louison. Wie sehr hatte sie Margot beneidet, daß sie die Liebste eines Marquis geworden war, als sie selbst die Liebste nur eines Chevaliers war. Und heute, da sie das Gefühl genoß, mit mir im Leben vorangekommen zu sein, spielte sie sich vor Margot auf als die Liebste eines Grafen. Jedenfalls mußte ich mich entschließen, ihr behutsam die Federn zu stutzen, damit kein Zank ausbrach.

»Herr Graf«, sagte sie endlich mit leiser Stimme, »seid Ihr fertig mit Eurer Grübelei, oder soll ich noch weiter still sein?«

|140|»Rede, Liebchen, rede! Ich will nicht, daß du an deinen Worten erstickst.«

»Aber zuerst, Herr Graf, beliebt einen Blick auf mich zu werfen.«

Ihr Kopf ruhte an meiner Schulter, also faßte ich ihr Kinn und hob es empor, während ich sie, gerührt von ihrer Süße, anschaute, worauf sie es abgesehen hatte.

»Und warum«, sagte ich, »soll ich Dich anschauen?«

»Darum, Herr Graf, weil ich Euch was fragen möchte.«

»Frage!«

»Herr Graf, respektiert Ihr Euer Blut?«

»Was soll das?« fragte ich, höchlich erstaunt.

»Das sind die eigenen Worte vom Herrn Marquis, Eurem Vater, zu Margot. Und diese Tugend, sagte er, verdanke er dem Beispiel seines Vaters, des Barons von Mespech im Périgord, der in seinem Schloß den Bastard aufzog, den er von einer einfachen Hirtin hatte und dem er seinen Namen gab.«1

»Und warum versicherte mein Vater Margot, daß er sein Blut respektiere?«

»Na, weil sie von ihm schwanger ist.«

»Heiliger Antonius! Was sagst du da?«

»Und weil auf diese Nachricht hin der Herr Marquis ihr gesagt hat, daß er den Respekt hätte, wie ich sage, und daß er sein Kind anerkennen und in seinem Pariser Haus aufziehen würde.«

»Nun, das freut mich für Margot und ihre Frucht.«

»Ihr meint also, Herr Graf, Euer Vater hat recht daran getan?«

»Sicher.«

»Und Ihr, Herr Graf, würdet Ihr es auch so machen, wenn mir dasselbe Schicksal blühte?«

Ich war baff.

»Himmel, was soll das heißen? Du willst mir doch nicht sagen, daß du auch schwanger bist?«

»Nein, nein. Aber kann es eines Tages nicht sein? Das liegt in der Natur der Frauen.«

»Wieso? Habe ich dich nicht gelehrt, die Kräuter anzuwenden?«

|141|»Das mit den Kräutern, das wußte Margot auch, obendrein belehrt von Eurem Herrn Vater, der ein großer Doktor ist. Und trotzdem hat die Natur gesprochen.«

Hier besann ich mich erst ein wenig, dann sprach ich in ernstem Ton: »Meine Liebe, wenn ich dir nun sagen würde, daß dein Kind in dem Fall genauso anerkannt und in meinem Schloß erzogen würde wie das von Margot, kämst du dann nicht in Versuchung, mit den Kräutern zu mogeln, damit die Natur spricht?«

»Bewahre, Herr Graf! Ich werd so redlich zu Euch sein wie immer.«

»Trotzdem, Frauen wollen Kinder, soviel steht fest.«

»Liebe Zeit, ja, warum nicht? Aber ich werd von mir aus nicht schummeln, damit es schneller geht. Soll das Kleine kommen, wenn Gott will, vorher nicht! Und geb’s Gott, daß es nicht zu früh kommt, damit ich hübsch und munter bleibe und Euch gefalle, sonst lacht Ihr Euch noch eine an vom platten Land!«

»Nur das nicht! Die starren doch alle vor Schmutz, die Ärmsten.«

»Nicht für den, der Augen hat, Herr Graf. Monsieur de Saint-Clair hat durch den Schmutz durchgesehen. Der hat sich ein Fischchen aus dem Modder gezogen, was, erst mal mit klarem Wasser gewaschen, sich ganz schmuck macht auf seinem Teller.«

»Das wußte ich nicht! Woher hast du das denn?«

»Von unserem letzten Mal in Orbieu.«

»Dir entgeht aber auch nichts! Vor allem, wenn in deiner Nähe ein anderes hübsches Ding auftaucht. Wie heißt die Kleine?«

»Jeannette. Aber das ist eine ganz Gewiefte! Wenn ich die machen laß, tanzt am Ende die ganze Dienerschaft im Schloß nach ihrer Pfeife, Männer wie Weiber. Na, da schaff ich aber Ordnung.«

Das versprach für unsere Tage in Orbieu einen schönen Hickhack, bis aufs Blut und mit fliegenden Federn! Nun verstand ich auch, welchen Zweck dieser neue Reifrock hatte, er war nicht etwa pure Eitelkeit, er war das einschüchternde Gefieder, bevor es mit Schnabel und Krallen zur Sache ging.

»Meine Liebe«, sagte ich ernst, »es gibt keinen Grund, diese |142|Jeannette anzugreifen. Monsieur de Saint-Clair könnte sich verletzt fühlen. Und wie willst du über Wäsche, Silber, Vorratskammern und über die ganze Dienerschaft gebieten, wenn Monsieur de Saint-Clair als der Verwalter des Gutes dich als Haushofmeisterin mit ungutem Auge sieht?«

»Herr Graf«, sagte Louison, »Monsieur de Saint-Clair steht in Eurem Dienst. Es liegt in Eurer Hand, mich bei ihm durchzusetzen.«

»Wenn es nötig würde, gut. Aber fürs erste zöge ich mir eine gemischte Lösung vor. Du könntest die Haushofmeisterin auf Schloß Orbieu sein, wenn du mit mir dort bist, und Jeannette könnte dich vertreten, wenn wir in Paris sind.«

»Abgemacht, Herr Graf! Sagt Ihr es Monsieur de Saint-Clair, damit das reibungslos abgeht zwischen seiner Kleinen und mir?«

»Versprochen. Aber nun enträtsele mir, meine Liebe, warum es dir so wichtig ist, Haushofmeisterin in Orbieu zu sein.«

Hierauf wurde sie ein wenig rot, und es dauerte ein Weilchen, bis sie antwortete.

»Naja«, sagte sie schließlich, »es wird ja nicht ausbleiben, Herr Graf, daß Ihr Euch eines Tages – und wäre es nur wegen Eurer Nachfolge – mit einer hohen Dame verheiratet. Und weil diese hohe Dame dann ein Haus in der Stadt wird führen wollen, würd ich mich gern um Euer Haus auf dem Land kümmern, und vielleicht auch für Eure Kinder sorgen, wenn Ihr wolltet, daß sie nicht in Paris aufwachsen, sondern in der guten Landluft.«

Sieh einer diese Schlaubergerin an, dachte ich, anstatt andere über ihr Los entscheiden zu lassen, versucht sie die Dinge von vornherein beim Schopf zu packen und in die Bahnen zu lenken, die ihr am meisten zusagen, ihrem Interesse, aber auch ihren Neigungen.

»Louison«, sagte ich, »ich wäre froh, wenn es so würde. Du wirst deine Sache gut machen und hast mein volles Vertrauen.«

Hierauf ergriff sie meine Hand im Fluge und küßte sie mehrmals, aber ohne einen Ton zu sagen. Dann lehnte sie ihren Kopf an meine Schulter und blieb lange in Gedanken.

»Herr Graf«, sagte sie schließlich, »wollt Ihr mir eine Gnade gewähren? Wenn Ihr eines Tages Eure Wahl für eine Gemahlin getroffen habt, würde ich es gern erfahren, natürlich nicht vor, |143|aber gleich nach dem Herrn Marquis und dem Herrn Chevalier.«

»Und warum?« fragte ich neugierig.

»Bin ich Euch nach ihnen nicht die Nächste?«

Ich versprach ihr, was sie eine Gnade nannte, doch erst Jahre später begriff ich, aus welchem Grund sie mich darum gebeten hatte. Es waren noch keine zwei Monate vergangen, nachdem ich ihr meine Verlobung mitgeteilt hatte, als sie mir sagte, sie sei schwanger. Nun fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Bevor meine Hochzeit unser beider Schlaf trennte, wollte sie die Mutter meines ersten Kindes sein.

***

Uns blieb noch eine Sonnenstunde, als wir in Orbieu anlangten, und der Leser mag sich denken, wie ich sie nutzte. Zu Anfang meines Besitztums verließ ich die Karosse, hieß La Barge absteigen und schwang mich in den noch warmen Sattel meiner Fuchsstute, mein Reitknecht wechselte auf den Kutschbock neben Lachaise, der mit Louison geradewegs zum Schloß fahren sollte.

Da steckte meine Soubrette den Kopf zum Schlag heraus und fragte, was ich vorhätte. »Mein Liebes«, sagte ich, »was könnte ich anderes vorhaben, als gleich jetzt meine Wege, alle meine neugepflasterten Wege zu bewundern. Bitte, melde Monsieur de Saint-Clair, daß ich um sieben Uhr zum Souper im Schloß bin.« Ich setzte mich in Trab, ritt, um nicht den Staub meiner Karosse zu schlucken, voraus und nahm mit meinem Gefolge den erstbesten Weg zur Linken.

Und alle ritt ich sie entlang, einen nach dem anderen, begeistert von der Pflasterung, die unter Saint-Clairs Anleitung mit großer Mühe und Arbeit von meinen Leuten gemacht und gut gemacht worden war und die mich ein tüchtiges Stück Geld gekostet hatte. Aber ich weinte meinen Talern nicht nach, im Gegenteil. Das Herz schlug mir vor Freude, daß mein Land geheilt war von seinen Schlammlöchern und Wasserlachen und nun so bequeme und stattliche Wege hatte, die ihm zur Ehre gereichten wie auch mir.

Als meine Dörfler den Hufschlag der vielen Pferde auf dem nun befestigten Grunde hörten, traten sie ängstlich in ihre |144|Türen, doch dann erkannten sie mich und zogen ihre Mützen. Da hielt ich inne und erwiderte ihren Gruß, indem ich meinen Hut zog und einem jeden auf Platt einige Worte sagte, denn ich hatte ihre Mundart fast täglich nach dem Wörterbuch von Figulus geübt, seit ich das letztemal in Orbieu gewesen war. Nicht daß ich behaupten wollte, daß ich den Akzent schon ganz traf, aber sie sahen aus, als verstünden sie, wenn ich ihnen sagte, sofern das Wetter gut bliebe, würde ich am übernächsten Tag mit meiner Weinlese beginnen, so daß sie sich dann auch an ihre Weinstöcke machen könnten, wenn sie welche hätten.

Monsieur de Saint-Clair erwartete mich mit der ganzen Dienerschaft auf der Freitreppe des Schlosses und kam mir entgegen, sowie er mich von meiner Allegra absitzen sah. Da ging ich auf ihn zu und umarmte ihn freundschaftlich vor allen, um ihm meine Zufriedenheit über die gute Arbeit zu bezeigen, die er beim Wegebau geleistet hatte. Sein junges Gesicht errötete freudig, und er erwiderte meine Umarmung. Dann hakte ich ihn unter, eilte schwungvoll mit ihm über die Schwelle und zog ihn mit zu dem kleinen Raum, wo für gewöhnlich der Tisch gedeckt war. Gott sei Dank, war er es auch diesmal, denn ich hatte einen Wolfshunger und freute mich, ihn sogleich zu stillen.

Ich hatte es Monsieur de Saint-Clair überlassen, die Bediensteten für Orbieu auszuwählen, und bezweifelte nicht, daß er eine glückliche Hand gehabt hatte. Sein Koch konnte es wenn auch nicht mit dem Caboche meines Vaters aufnehmen, so doch immerhin mit meinem Robin. Und was die nette Kleine anging, die bei Tisch bediente, so hätte ich, auch wenn Saint-Clair nicht zu ihr gesagt hätte: »Jeannette, fülle doch das Glas des Herrn Grafen«, allein bei ihrem Anblick erraten, daß sie diejenige war, deren wirklicher oder vermuteter Ehrgeiz meiner Louison Verdacht und Verstimmung einflößte.

Jeannette mochte siebzehn oder achtzehn sein, nicht mehr, rabenschwarzes Haar, die Haut sonnengebräunt, die Gestalt eher mager, dafür aber blitzende schwarze Augen, sprechend, lebhaft und flink wie bei einem Eichhörnchen, dazu eine angenehme Behendigkeit. Was ihr an Rundungen fehlte, konnte durch Behagen und Überfluß ihres neuen Lebens ja noch erblühen.

Ich wartete, bis sie hinaus war, dann fragte ich Saint-Clair |145|mit Unschuldsmiene: »Seid Ihr mit Jeannettes Diensten zufrieden?«

»Oh, sehr«, sagte er errötend, nachdem er seinen Speichel verschluckt hatte. »Jeannette ist sehr gut: reinlich, lenksam und sehr fleißig. Und auch wenn ich ihr keine Arbeit gebe – sie findet immer welche, sie kann die Hände nicht in den Schoß legen. Außerdem fehlt es ihr nicht an Verstand, sie lernt bewundernswert schnell Französisch. Sie lernt es sogar schneller als ich das hiesige Platt. Auch darin ist sie mir sehr nützlich.«

Dieses »auch darin« war lustig, und wieder wurde er rot, was ich nicht zu bemerken vorgab, indem ich auf meinen Teller blickte, als wollte ich jeden Bissen auskosten, den ich verzehrte.

»Was ist ihr Vater?« fragte ich nach einer Weile. »Ein reicher Bauer oder einer mit kleiner Hofstelle?«

»Weder das eine noch das andere. Der Vater ist nicht reich, aber die Hofstelle ist auch nicht klein.«

»Steht er bei uns in Schulden?«

»Ein wenig, wenn man Rapinauds Büchern glauben darf.«

»Wieviel?«

»Fünfzig Livres.«

»Habt Ihr ihm die Schuld erlassen?«

»Herr Graf«, sagte Saint-Clair mit leiser Entrüstung, »das würde ich mir nie herausnehmen ohne Eure Erlaubnis.«

»Schön. Gewährt dem guten Mann großzügigen Aufschub für die Bezahlung, wenn seine Tochter meinem Hause so fleißig dient.«

»Er wird Euch sehr verpflichtet sein, Herr Graf, und Jeannette auch.«

Und als ich sah, wie Saint-Clair, der offenbar noch im ersten Feuer seiner Zuneigung stand, sich im voraus freute, besagter Jeannette die gute Nachricht mitzuteilen, beschloß ich, im selben Zuge das Verhältnis unserer Kammerfrauen ein für allemal zu regeln.

»Mein Freund, was die Führung des Haushalts angeht, habe ich an Louison gedacht. Vorläufig kann sie aber nicht dauerhaft in Orbieu leben. Was meint Ihr, könnte Jeannette in ihrer Abwesenheit für sie eintreten und Louison, wenn sie hier ist, in ihrer Arbeit unterstützen? Glaubt Ihr, daß Jeannette die notwendigen Fähigkeiten dazu hat und auch den Wunsch, diese Aufgaben zu übernehmen?«

|146|Ein kleines Schweigen folgte meiner Entscheidung, die ich absichtlich in eine höfliche Frage gekleidet hatte, dann antwortete Saint-Clair rundweg: »Ich denke, Jeannette hätte die Fähigkeiten dazu, wenn Louison sie einweisen würde. Ob es ihr Wunsch ist, weiß ich nicht, aber jedenfalls ist sie so arbeitsam, daß sie ihre Aufgaben gerne erweitern wird.«

Diese aufrichtige Antwort erleichterte mich sehr, sie enthielt auch nicht den Anflug eines Vorbehalts. Gott sei Dank, dachte ich, der Krieg der Zofen findet nicht statt. Er hätte nicht nur den guten Gang des Hauses verderben können, sondern womöglich auch meinen vertrauten Umgang mit Saint-Clair.

Vielleicht denkt mein Leser, ich hätte an eine so geringfügige Sache zuviel Zeit und Mühe verschwendet. Nun, ich weiß nicht. Ein Herr, der einem Streit zwischen Bedienten nicht beizeiten die Spitze nimmt, hat leicht das Nachsehen. Auch muß ich gestehen, daß ich damals von dem schönsten Eifer für alles beseelt war, was meine Herrschaft betraf. Und noch heute, da ich diese Memoiren schreibe, so viele Jahre nach meinem Einstand in Orbieu, erinnere ich mich mit Bewegung daran, welch starker Wunsch und Wille mich erfüllte, das Gut, dessen Namen ich trug, in allen Bereichen gut zu führen und zu bessern, und wie heiter ich mich allmorgendlich dieser Aufgabe stellte.

»Herr Graf«, sagte Saint-Clair, »habt Ihr das Schreiben erhalten, in dem ich Euch meldete, daß es in Eurem Wald bei Cornebouc gebrannt hat, daß aber das Feuer von der Vorsehung durch einen großen Gewitterguß gelöscht wurde?«

»Richtig«, sagte ich, »und die Nachricht beunruhigte mich, denn in diesem regnerischen Herbst dürfte ein Feuer doch nicht von allein ausgebrochen sein.«

»Dasselbe meinte auch ich. Und gestern sagte mir Pfarrer Séraphin, er wolle Euch gleich nach Eurer Ankunft sprechen, weil er Euch dazu Neuigkeiten mitzuteilen habe. Wenn Ihr nichts dagegen habt, schicke ich ihm meinen Einspänner, sein Maultier humpelt nämlich.«

»Nein, nein«, sagte ich lächelnd, »schickt ihm meine Karosse mit zwei Pferden und laßt auch die Kutschenlaternen anzünden, damit der Weg beleuchtet ist. Orbieu soll wissen, daß ich die Kirche ehre.«

Später erfuhr ich durch Figulus, wie gerührt der Pfarrer war, |147|daß ich ihm meine Kutsche geschickt hatte. »Niemals«, sagte er zu seinem Vikar, »niemals hat der selige Graf mir eine solche Aufmerksamkeit erwiesen! Für ihn war ich gerade nur sein Kaplan, ach, nicht mal das, eine Art Stallknecht, der ihm von Zeit zu Zeit die Seele ausmistete.«

Schon als der stattliche Mann den kleinen Salon betrat, wo Jeannette eben ein gutes Feuer machte – der Oktoberabend war doch schon frisch –, verriet seine Miene, daß er tatsächlich wichtige Neuigkeiten für mich brachte. Doch wollte ich ihn nicht bedrängen, ich wußte ja, wie langsam und schwerfällig er war, und als er sein breites Gesäß in einen Lehnstuhl plaziert hatte, bot ich ihm erst einmal ein Glas Burgunder, das er nach zwei, drei Ablehnungen aus törichter Höflichkeit denn doch annahm. Er trank es aber nicht, wie ich getan hätte, in kleinen Schlucken, um das Bouquet besser auszukosten, sondern in großen Zügen. Und als das Glas leer war, putzte er sich den Mund mit seinem breiten Handrücken, dann aber mit der Serviette, die ihm die wachsame Jeannette rasch mit den Fingerspitzen reichte.

»Herr Graf«, begann er mit seiner schönen Baßstimme (das einzige, was ich an ihm nicht leiden mochte, weil sie uns am Sonntag immer diese endlosen gesungenen Messen bescherte), »der Brand in Eurem Wald Cornebouc war kein Zufall, sondern Bosheit. Dafür habe ich unwiderlegliche Beweise.«

Das Wort »unwiderleglich« schien ihm zu gefallen, denn er wiederholte: »Unwiderlegliche Beweise, sage ich.«

»Also kennt Ihr den Schuldigen, Monsieur Séraphin?«

»Ich kenne die Schuldigen«, sagte Séraphin mit bedeutungsschwerer Miene. »Ich weiß, wer das Verbrechen angestiftet hat und weiß, wer es ausgeführt hat.«

»Und wer hat es angestiftet?«

»Der Verwalter Rapinaud.«

»Rapinaud?«

»Cui prodest scelus, is fecit«, sagte Séraphin ernst.

Ich übersetzte für Saint-Clair: »Wem das Verbrechen nützt, der hat es begangen.«

Hier wechselten Pfarrer Séraphin und ich als Lateiner einen einverständigen Blick, der wenigstens ebensoviel wie meine Karosse dazu beitrug, mich in seiner Wertschätzung zu erhöhen.

|148|»Ich höre, Herr Pfarrer Séraphin«, sagte ich und hob die Brauen.

»Vorgestern, Herr Graf, kam Yvon …«

»Wer ist Yvon?«

»Yvon Janin, der Schankwirt«, sagte Saint-Clair.

»Yvon also kam zu mir ins Pfarrhaus und fragte, ob er mir beichten könne. ›Wieso, Yvon?‹ sag ich, ›du hast doch gestern erst gebeichtet. In was für eine schwere Sünde hast du Unglücklicher dich seit gestern verstrickt, daß ich dich heut schon wieder hören soll?‹ – ›Nicht ich‹, sagt Yvon, ›hab die schwere Sünde begangen. Es war wer anders.‹ – ›Und wer, glaubst du, bist du, Yvon, daß du die Sünden anderer beichten willst?‹ – ›Weil‹, sagt er, ›der andere wird sie nie beichten.‹ – ›Soso‹, sag ich, ›schlimm für ihn! Der wird am Spieß schmoren in Ewigkeit. Und nackicht zu seiner größten Schande!‹ – ›Mich grätzt das nicht‹, sagt Yvon. ›Soll er schmoren, solang er will, das ist seine Sache, aber solang er lebt, kann er seine schwere Sünde noch mal machen, und das ist nicht gut für Orbieu.‹«

»Nicht gut für Orbieu?« warf ich ein. »Da hätte ich allerdings die Ohren gespitzt.«

»Und wie ich die Ohren gespitzt hab, Herr Graf«, sagte Séraphin. »›Yvon‹, sag ich, ›redselig bist du nicht. Jetzt scheue dich nicht und sag mir, was du von dem anderen und seiner schweren Sünde weißt, wenn du nicht in den Kesseln der siebenzig Höllenteufel schmoren willst!‹ – ›Ich will schon, Herr Pfarrer‹, sagt Yvon, ›aber bloß in der Beichte.‹ – ›Warum in der Beichte?‹ frag ich. – ›Weil Ihr es wegen dem Beichtgeheimnis nicht weitersagen könnt‹, sagt Yvon. – ›Ach‹, sag ich stirnrunzelnd, ›du willst den anderen schützen, damit er wieder Böses tut?‹ – ›Ehrlich, Herr Pfarrer, schützen will ich den nicht! Aber Angst hab ich. Das ist ein Lumpenhund.‹ – ›Dann ist es Mougeot!‹ sag ich. – ›Ich hab nichts gesagt! Ich hab nichts gesagt!‹ schreit Yvon. – ›Könnte es sein‹, sag ich, ›daß der Mougeot gezündelt hat, wo er nicht sollte? Und daß daraus groß Leid und Schaden erwachsen wär, hätte der Herrgott es nicht aus allen Himmeln schütten lassen?‹ – ›Ich hab nichts gesagt! Ich hab nichts gesagt!‹ schreit Yvon. – ›So, und jetzt sagst du, Schafskopf, mir alles, wie und was. Sonst kommst du mir nicht mehr zur Beichte oder zur Kommunion. Und, was schlimmer ist, wenn du stirbst, laß ich dich nicht in christlicher Erde begraben. Und am Tag des Jüngsten |149|Gerichts finden die Engel dich dann nicht, wo du sein solltest, und vergessen dich in deinem Winkel, und du kannst nicht auferstehen.‹ – ›Ach, nein, bloß nicht, Herr Pfarrer, ich werd Euch alles sagen.‹ – ›Ich höre.‹ – ›Also, Herr Pfarrer, in meiner Schenke sind welche, die trinken zuviel. Und wenn sie zuviel getrunken haben, dann reden sie zuviel. Und es gibt welche, und es werden wohl dieselben sein, die zwölf Monate im Jahr keinen blanken Heller haben, und auf einmal haben sie den Hosensack voll, daß es bloß so klingelt.‹ – ›Und alle die sind einer, nämlich Mougeot, stimmt es?‹ – ›Den Namen habt Ihr genannt, Herr Pfarrer, nicht ich.‹ – ›Und der ihm das Geld gegeben hat für die Zündelei im Wald Cornebouc, das ist Rapinaud, stimmt’s?‹ – ›Ich hab nichts gesagt! Ich hab nichts gesagt!‹ schreit Yvon.«

»Herr Pfarrer«, sagte ich, nachdem ich den Bericht offenen Ohres vernommen hatte, »diese Aussage klagt Mougeot an, aber was beweist, daß Rapinaud ihn dafür bezahlt hat?«

»Weil es sehr wahrscheinlich ist, Herr Graf, denn zu der Zeit, als Rapinaud die große Macht über das Gut hatte, führte dieser Mougeot alle seine bösen Werke aus.«

»Trotzdem«, sagte Saint-Clair, »um Rapinaud zu überführen, braucht man ein Geständnis von Mougeot, und dazu muß man ihn erst einmal festsetzen.«

»Das besorgen wir morgen«, sagte ich, »sowie ich den Richter von Montfort l’Amaury habe kommen lassen, von dem Ihr mir sagtet, daß er früher dem seligen Grafen bei seinen Rechtsfällen beigestanden hat. Bis dahin wahren wir alle drei Schweigen über die Geschichte. Denn bekäme Mougeot Wind davon, könnte er flüchten, bevor man ihn in der Hand hat.«

Ich machte Pfarrer Séraphin ein großes Kompliment zu seiner Befragung des Schankwirts, ließ ihn in meiner Karosse heimfahren zum Pfarrhaus, mit zwei Flaschen meines Burgunders zur Gesellschaft, dann begab ich mich in mein Zimmer. Es war warm und mollig, Louison hatte die schweren Damastvorhänge geschlossen, ein Feuer gemacht und war, als ich eintrat, dabei, meine Decken anzuwärmen.

Im Vertrauen auf ihr Urteil – schließlich hatte sie mir schon öfter gut geraten –, setzte ich ihr meinen Schlachtplan für den nächsten Morgen auseinander und bat sie, mir frei zu sagen, was sie dazu meine.

»Wie Ihr den Mougeot festnehmen wollt«, sagte sie nach |150|einiger Überlegung, »das ist gut, auch das mit den Soldaten, dem Karren und den Ketten und zum Schluß mit der Sturmglocke, um die Dörfler zusammenzurufen. Wie ich gehört hab, können sie den Kerl sowieso nicht ausstehen. Aber wenn der Richter kommt mit seinem Schreiber, um das Geständnis aufzunehmen, da müßt Ihr andere Seiten aufziehen, Herr Graf, das wird nichts mit dem großen Saal hier im Schloß.«

»Was meinst du damit, meine Liebe?«

»Na, es müßt unterm Galgen sein zum Beispiel, wo dem Mougeot die Schlinge überm Kopf baumelt, und Poussevent daneben mit schwarzer Kapuze vorm Gesicht.«

»Mein Liebchen«, sagte ich lachend, »bist du nicht ein bißchen sehr grausam und erbarmungslos?«

»Überhaupt nicht, Herr Graf! Ich denk mir schon, daß Ihr den Schuft nicht in der Luft tanzen lassen werdet wegen ein paar verbrannten Bäumen. Aber dieser Mougeot ist ein Bauer, stur wie ein Klotz, aus dem kriegt Ihr doch nichts raus wie ›nein, nein, nein‹, wenn Ihr ihm nicht erst einen Schreck einjagt, daß ihm seine Angebinde am Hintern anfrieren. Sowie Ihr seht, daß er bleich wird und schlottert und tausend Tode schwitzt, stellt Ihr ihn vor die Wahl: Entweder er redet, dann wird er nur verbannt, oder er hält das Maul und muß hängen.«

»Du meinst, dann redet er?«

»Darauf wett ich. Der wird lieber seine Zunge gebrauchen und Rapinaud belasten, als daß sie ihm einen Klafter zum Halse raushängt und der Strick ihm die Gurgel zudrückt.«

Mein schlaues Mädchen hatte recht. Nicht nur, daß Mougeot redete, sowie er die Schlinge und Poussevents Maske erblickte, er redete sogar mehr, als erhofft, so daß der Gerichtsschreiber alle Mühe hatte, seine Geständnisse so schnell mitzuschreiben. Auf Anstiftung Rapinauds hatte er in meinem Wald Cornebouc Feuer gelegt, und auf seinen Befehl hatte er auch den armen Kerl, den der Verwalter vom Schloßfenster aus erschossen hatte, fortgeschafft und an einem nur ihm bekannten Ort verscharrt.

Ich hieß Mougeot in seinen Ketten uns vorausgehen in den Wald, wo er den armen Wilderer verscharrt hatte, der wurde ausgegraben, und die Dörfler, die uns gefolgt waren, erkannten den Toten richtig als den Guillaumin.

***

|151|Mein Urteil erging, wie schon gesagt, gemäß dem mit Mougeot getroffenen Handel, dann lud ich Séraphin und den Richter von Montfort zu einem Imbiß ins Schloß. Bei der Gelegenheit fragte ich den Richter, welche der beiden Rapinaud nachgewiesenen Missetaten die größte Aussicht bot, daß er verurteilt würde, wenn ich ihn verklagte: der Mord an Guillaumin oder die Brandstiftung in meinem Wald.

»Hinsichtlich des Guillaumin«, sagte der Richter, »wird Rapinaud sagen, er bedaure, er sei ein bißchen zu hastig gewesen, aber er habe schließlich Wild, Fleisch und Fisch seines Herrn zu verteidigen gehabt. Nur die Brandstiftung in Eurem Wald ist ein wahrhaft unabweislicher Klagegrund, weil sie ein Anschlag auf das Hab und Gut des gegenwärtigen Grafen und Grundherrn ist. Aber der Mann hat Geld und ist ins Prozessieren vernarrt. Und das Verfahren kann Jahre dauern, falls Ihr nicht andere, weniger kostspielige und wirksamere Mittel gebraucht.«

»Und was für Mittel, Herr Richter?«

»Es wäre unzulässig, sie Euch zu nennen, Herr Graf«, sagte er mit tiefer Verneigung. »Sie sind illegal.«

Ich drückte ihm ein paar Münzen in die Hand, und er brach mit seinem Schreiber auf. Der arme Mann mit seinem schweren Schreibpult hatte sich die ganze Zeit einen guten Klafter hinter ihm gehalten und hatte weder am selben Tisch mit ihm trinken noch sich überhaupt setzen wollen.

Bis Mougeot in Verbannung ging, was erst nach der Verurteilung Rapinauds erfolgen konnte, weil der Halunke mein einziger Zeuge gegen den Verwalter war, wurde er in einen Keller des Schlosses gesteckt, der durch ein vergittertes Fenster, einen halben Klafter über dem Teich gelegen, Luft bekam. Ich ordnete an, daß er ausreichend ernährt und ohne Grausamkeit behandelt würde. Im Verlauf seiner Gefangenschaft verlangte er, Pfarrer Séraphin zu beichten, der sich mit ihm eine volle Stunde einschloß. Danach ließ sich denken, daß seine bekannten Übeltaten nicht die einzigen Sünden waren, die er zu bereuen hatte. Laut Figulus hatten sich im Dorf die Zungen gelöst und zappelten nun ohne Ende: Inzest, Kindesmord, Sodomie, Vergewaltigung, es gab keine Schandtat, die man ihm nicht anhängte.

Nach dem Aufbruch des Richters schenkte ich Pfarrer Séraphin ein kräftiges junges Maultier, um ihm für seinen Dienst zu |152|danken, aber er war noch nicht zufrieden. Als Saint-Clair ihn in den Stall führte, damit er sich ein Tier aussuche, hörte er den Pfarrer zwischen den Zähnen brummen: »Und wer bezahlt mir jetzt, daß ich die Erde öffne?« Er spielte auf die Leiche von Guillaumin an, die er in christliche Erde betten mußte, aber die Witwe war am Verhungern in ihrer Hütte und hatte nicht das nötige Geld für das Begräbnis.

»Was läßt sich Séraphin denn dafür bezahlen, daß er die Erde öffnet?« fragte ich Saint-Clair, als wir allein waren.

»Ich weiß nicht, aber ich wette, es ist ziemlich teuer, Herr Graf, die meisten unserer Dörfler sind deshalb bei ihm verschuldet und müssen ihre Begräbnisse Sou für Sou abzahlen.«

»Und wer gräbt die Erde auf?«

»Figulus. Und er schließt sie auch wieder über dem Verstorbenen.«

»Wird er dafür bezahlt?«

»Nein, das gehört zu seinen Aufgaben.«

»Soso«, sagte ich nach kurzem Schweigen, »dann ist der Friedhof für Séraphin also eine zusätzliche Rente.«

Am Tag darauf schickte ich Monsieur de Saint-Clair mit Pissebœuf und Poussevent in kriegerischem Aufzug zu Rapinaud, um ihm folgenden Brief zu überreichen:

 

»An den Bauern Rapinaud. Das Geständnis von Mougeot, aufgenommen vom Richter von Montfort l’Amaury, hat erbracht, daß Ihr ihn zu der Brandlegung in meinem Wald Cornebouc angestiftet habt. In meiner Eigenschaft als oberster Gerichtsherr des Gutes Orbieu, dem Eure Liegenschaften und Äcker unterstehen, habe ich beschlossen, Euch auf immer von besagtem Boden zu verbannen. Das Urteil wird binnen acht Tagen vollstreckt. Ihr mögt jedoch einen Eurer Söhne bestimmen, in Eurem Haus und auf Euren Äckern solange zu verbleiben, bis der Verkauf abgeschlossen ist. Ich werde von meinem Vorkaufsrecht Gebrauch machen und Euch den Preis bezahlen, den das Gericht von Montfort l’Amaury für angemessen erachtet.

Pierre-Emmanuel de Siorac

Graf von Orbieu«

 

Früher als gedacht kehrte Saint-Clair zurück, die Unterhaltung war sehr kurz gewesen: Rapinaud leugnete, Mougeot zur |153|Brandlegung in meinem Wald Cornebouc veranlaßt zu haben, und erklärte, er werde gegen meinen Verbannungsbeschluß bei Gericht Einspruch einlegen.

»Wir werden also noch ein Hühnchen zu rupfen haben mit dem Fettsack!« sagte Saint-Clair.

»Nicht lange: Das Gericht wird nichts gegen einen Königlichen Kammerherrn unternehmen, auch wenn Rapinaud es darum mit einem Sack Goldstücke in der Hand ersucht. Wie ist sein Haus? Ich hatte bisher kein Verlangen, es zu sehen.«

»Oh«, sagte Saint-Clair, »solide aus Stein gebaut, die Fassade mit Ziegeln abgesetzt, obenauf ein Schieferdach. Und aus Protzerei hat es dazu einen Turm.«

»Einen Turm!« sagte ich und lachte. »Sollten wir es etwa, ohne es zu wissen, mit einem Herrn von Rapinaud zu tun haben?«

»Ein Turm aus gutem Stein, oben zwei Fenster nach Süden, hübsch nebeneinander unter einem Rundbogen. Auf dem Dach eine stolze Wetterfahne in Form eines Hahns.«

»Ein Hahn? Seid Ihr sicher, daß es kein Adler ist?« scherzte ich.

»Nein, ein Hahn. Kein Kunstwerk etwa, einfach aus Blech geschnitten, aber doch ein Hahn auf seinen Klauen und mit hohem Kamm wie sein Herr.«

»Den Kamm holen wir ihm herunter«, sagte ich.

»Sofort?«

»Nein. Morgen früh.«

Mehr verriet ich Saint-Clair nicht und auch nicht Louison, die ganz verwundert war, als ich mich früh am nächsten Morgen aus ihrem warmen Bette stahl.

Saint-Clair, Pissebœuf, Poussevent und die sechs Schweizer Arkebusiere erwarteten mich vor den Ställen nur, um in den Sattel zu springen, Saint-Clair ritt als Wegweiser vornweg, wir ihm nach im Gänsemarsch und lautlos, denn Poussevent und Pissebœuf hatten die Pferdehufe mit Lappen umwickelt.

Rapinauds Haus – denn das blieb es trotz seines Turms – hatte Türen, Fenster und Fensterläden geschlossen wie eine verschanzte Festung. Doch was scherte es mich, ich wollte ja nicht die Haustür sprengen. Beim wütenden Gebell von drei, vier Wachhunden öffnete sich auch nicht die kleinste Luke. Aber die Hunde waren schlecht dressiert, sie stürzten sich auf |154|die Fleischknochen, die Poussevent ihnen hinwarf und arbeiteten so stark mit den Kiefern, daß sie an kein Lautgeben mehr dachten.

»Kinder«, sagte ich, als die Reiter im Kreis um mich versammelt waren, »unser Ziel ist, Gott sei Dank, kein menschliches. Es ist der Wetterhahn. Durchlöchert ihm die Klauen, bis er fällt. Jeder schießt der Reihe nach einmal, auf festem Boden stehend, sein Nachbar hält das Pferd. Wer das Ziel trifft, erhält von mir einen Krug meines besten Weins, und wer es zu Fall bringt, ein Goldstück. Die Schützen treten nach dem Alphabet an, damit es keinen Streit gibt.«

Aber hierin lag die Schwierigkeit, die Schweizer lehnten eine alphabetische Folge ab, unter ihnen galt eine Rangordnung, die sie geachtet wissen wollten. Also überließ ich die Entscheidung ihnen, und das dauerte, denn sie verhandelten in ihrem mit der heimatlichen Mundart versetzten Deutsch. Endlich war die Frage geregelt, und das Schießen begann. Poussevent und Pissebœuf stellten sich freiwillig als letzte an, vermutlich aber mehr aus Berechnung denn aus Großmut, denn die Klauen würden schon reichlich durchlöchert sein, wenn sie an die Reihe kämen.

Beim ersten Schuß ging im Oberstock des Hauses ein Fenster spaltweit auf, doch ohne daß ein Kopf sich zeigte, und ging sogleich wieder zu, und nun erduldete das Haus regungslos das prasselnde Arkebusenfeuer.

Alle sechs Schweizer trafen, der sechste errang die Palme – und das Goldstück –, der Hahn kippte, schlug mit einem Höllenlärm auf das Schieferdach und sauste zu Boden. »Was ein Jammer!« sagte Poussevent, »zerballert, wie der war, hätt ich ihn mit geschlossenen Augen runtergeholt.« Pissebœuf sagte nichts, sondern hob die Trophäe auf und übergab sie mir.

Wir machten kehrt, wie wir gekommen waren, ohne den geringsten Lärm. Nach dem Mittagessen begab ich mich nach Montfort und ersuchte die Justizbeamten, einen nach dem anderen unter vier Augen, sich unzuständig zu erklären, sollte Rapinaud gegen meinen Beschluß Einspruch erheben.

Doch ohne die Achttagefrist abzuwarten, die ich ihm eingeräumt hatte, packte Rapinaud seine Siebensachen, Möbel, Karren, Getreide, Wein, Getier und Gesinde. Er besaß eine Mühle in Le Perche, dorthin zog er. Ich kaufte seinen Hof für fünfzehntausend |155|Livres, und das war ein mäßiger Preis für einen bedeutenden Zuwachs meines Besitzes.

Im Dorf waren sich alle einig, daß Rapinaud ein großer Raffzahn war, unerbittlich und verschlagen. Aber wenn ich über die ganze Affäre nachsann, konnte ich mich nur wundern, daß dieser Fuchs in seinem Groll auf eine solche Dummheit verfallen war: meinen Wald anzuzünden. Er hatte wenig dabei gewonnen und alles verloren.

Wie ich aus dem Munde von Séraphin hörte, der ihn vor seinem Aufbruch sprach, hatte die Zerstörung der Wetterfahne seine abergläubische Seele mit Furcht und Schrecken erfüllt: Sie erschien ihm als böses Vorzeichen seines eigenen Falls, und er räumte schnell das Feld.

Die Geschichte beschäftigte meine Dörfler heftig, und sie spannen sie des abends zu epischer Breite aus, obwohl keiner von ihnen dabeigewesen war.

Auf Rapinauds Fortgang folgte der von Mougeot, doch machte ich, als er seine Hofstelle verkaufen mußte, keinen Gebrauch von meinem Vorkaufsrecht, zum ersten, weil ich von Figulus erfuhr, daß ein reicher Bauer aus meinem Dorf darauf aus war, und außerdem, damit der Dorfklatsch meine Ausweisungsbeschlüsse nicht so deute, daß ich mich auf Kosten der Verbannten bereichern wolle. Trotzdem machte ich mir kein Gewissen daraus, die Gebühr einzustreichen, die mir üblicherweise zustand, wenn ein Dörfler seine Habe ganz oder teilweise verkaufte.

Vor meiner Rückkehr nach Paris besuchte ich mit Figulus die Witwe des armen Guillaumin, der sterben mußte, weil er einen Karpfen fischte. Sie war spindeldürr und lebte oder überlebte auf einer ganz kleinen Hofstelle von einer Ziege, drei Hühnern und Kastanien. Zwei Kinder waren ihr früh gestorben, nun stand sie allein und erfuhr wenig Hilfe von den Nachbarn, die selber sehr arm waren. In so tiefer Armut rührt sich kein Herz. Von früh bis spät spann sie Flachs, um sich ein paar Sous aufs Jahr zu verdienen. Ich bot ihr an, ins Schloß zu kommen und meinen Flachs auch zu spinnen, damit sie mehr verdiente und ausreichend zu essen hätte. Aber zu meiner Überraschung lehnte sie ab, sie wollte sich nicht von ihrer Ziege trennen, und ich mußte ihr versprechen, daß sie ihre Ziege mitbringen und meinen Hirten übergeben könne. Nun willigte sie ein, doch unter der Bedingung, daß sie mit ihrer Ziege wenigstens |156|einmal am Tag sprechen dürfe, »sonst«, sagte sie auf Platt, »geht sie mir ein, und ich auch.« Dieses Gespräch führten wir an der Schwelle ihrer Hütte, die ich nicht hatte betreten mögen, so stank sie. Mittlerweile verstand ich alles, was die Witwe mir sagte, um aber zu antworten, fehlten mir immer wieder Wörter, die Figulus mir zuraunen mußte.

Ich entschloß mich auch, Pfarrer Séraphin für Guillaumins Beerdigung zu bezahlen, was Saint-Clair gegen den Strich ging, und er nahm wiederum kein Blatt vor den Mund.

»Herr Graf«, sagte er, »Ihr unterstützt einen Mißbrauch. Denn es ist ein Mißbrauch, und kein geringer, daß Christenmenschen dafür bezahlen, daß man ihnen die christliche Erde öffnet, vor allem wenn man bedenkt, daß die Auferstehung nirgendwo anders stattfinden kann.«

»Mein hugenottischer Großvater, der Baron von Mespech, würde genauso sprechen«, erwiderte ich lachend. »Aber wir wollen hier keinen Religionskrieg, darum werden wir vor diesem Mißbrauch milde die Augen verschließen.«

Am Tag vor meiner Abreise legte Saint-Clair mir Rechnung ab, und zwar mit der löblichsten Kleinlichkeit. Unser erstes Erntejahr war gut ausgefallen. Heu, Korn und Wein – bei der Weinlese hatten die Schweizer geholfen –, alles war aufs beste gediehen, der perigordischen Weisheit: Heujahr ist arm Jahr zum Trotz. Und die Verkäufe, bis auf den Wein, der noch nicht fertig war, hatten die Ausgaben für den Wegebau nicht nur ausgewogen, sondern der Wein würde sogar einen gewissen Überschuß einbringen.

»Herr Graf«, sagte er, »wollen wir in diesem Jahr, nachdem wir schon für die Wege soviel drangegeben haben, wirklich noch das Kirchendach decken? Kann das nicht ein Jahr warten, wenigstens bis zu den Kirschen? Vielleicht holen wir mit deren Verkauf einen Teil der Kosten herein.«

»Mein Freund«, sagte ich, »ich weiß Euch Dank, daß Ihr meine Interessen auch gegen mich verteidigt. Und, glaubt mir, frohen Herzens opfere ich nicht eben für das Bistum, das den Zehnten so pünktlich eintreibt und sich so hartnäckig drückt, die Orte des Kults zu erhalten. Aber es muß sein! Die Kirche von Orbieu gehört zur Grafschaft Orbieu. Also machen wir sie heil.«

***

|157|Ich hatte mich auf Orbieu so gefreut, daß mir das Herz höher schlug, als ich von weitem die Türme meines Anwesens erblickte. Doch seltsam, obwohl die vierzehn Tage in meinem kleinen Reich mich nicht enttäuscht hatten, ganz im Gegenteil, freute ich mich nun, aufzubrechen und meinen Vater und den Chevalier im lieben Champ Fleuri und den König in seinem Palast wiederzusehen.

Gleich am Tag nach der Heimkehr eilte ich in den Louvre, aber ich bekam Ludwig nicht zu sehen, er war zur Jagd gefahren, und so besuchte ich seinen Minister, Monsieur de Puisieux. Wie der Leser sich erinnern wird, war ich sein Dolmetsch für fremde Sprachen.

»Ah, Graf!« sagte er, »Ihr kommt gerade recht! Geht nur gleich zu Monsieur de Bonneuil. Er hat um zehn Uhr ein Gespräch mit Don Fernando de Girón, und weil wir dessen Französisch nicht verstehen und Monsieur de Bonneuil nur wenig Spanisch kann, ist er vielleicht sehr erleichtert, Euch zur Seite zu haben, zumal die Audienz wegen des anstehenden Themas ziemlich dornig zu werden droht.«

Wie ich schon erklärte, war Monsieur de Bonneuil im Räderwerk der Außenpolitik des Louvre ein sehr gewichtiges Rad. An ihn wandten sich die ausländischen Gesandten um eine Audienz, er trug ihr Ersuchen dem König vor, und wenn der König dem nicht stattgeben wollte oder konnte, nahm Monsieur de Bonneuil die Mitteilungen der Diplomaten selbst entgegen oder übermittelte ihnen die von Ludwig oder von Monsieur de Puisieux getroffenen Entscheidungen. Eine heikle Aufgabe, die Urteilsfähigkeit, Freundlichkeit, Klugheit, Geduld und Takt erforderte, Tugenden, an denen es Monsieur de Bonneuil nicht mangelte. Alles an ihm war rund, Gesicht, Stimme, Gestik, Bauch, ein Kiesel, den das Hofleben so glatt geschliffen hatte, daß seine Oberfläche auch nicht die kleinste Rauhheit aufwies.

Kaum erblickte mich Monsieur de Bonneuil, fiel er mir auch fast um den Hals.

»Ach, Graf«, sagte er, »Euch schickt mir der Himmel! Ihr müßt mir helfen. Mein Spanisch ist löcherig wie ein Sieb, und wenn Don Fernando de Girón ebenso schlecht Französisch spricht wie ich seine Sprache, laufen wir bei der schwierigen Affäre auf Grund.«

|158|»Entschuldigt«, sagte ich stirnrunzelnd, »aber wer ist dieser Edelmann?«

»Wie?« entgegnete Monsieur de Bonneuil mit höflichem Erstaunen, »das wißt Ihr nicht?«

»Ich bin erst gestern von meinem Gut Orbieu heimgekehrt.«

»Es ist der neue Gesandte des allerchristlichsten Königs.«

»Ach so?« sagte ich. »Ist der Herzog von Monteleone denn ausgeschieden?«

»Nicht freiwillig. Ludwig«, fuhr Monsieur de Bonneuil mit feinem Lächeln fort, »hat ihm nicht verziehen, daß er ihm dauernd mit der ›Vernachlässigung‹ der Königin in den Ohren lag. Er hat Madrid ersucht, ihn abzuberufen. Und das um so entschiedener, als Monteleone tausend Einwände gegen die Rückführung der spanischen Damen erhob. Aber das Problem ist, dem Himmel sei Dank, nun gelöst.«

»Wirklich? Sind sie fort?«

»Noch nicht, aber sie reisen morgen.«

»Ich könnte mir vorstellen, daß sie untröstlich sind.«

»Keineswegs. Sie sind überglücklich, in ihr heißes Land zurückzukehren. Zumal sie auf Ludwigs Anordnung mit Abschiedsgeschenken bedacht, ja geradezu überhäuft wurden. Doch um wieder auf Don Fernando de Girón zu kommen: Er hat seine Briefe bereits Seiner Majestät überreicht, aber ich habe ihm hier und heute eine Entscheidung des Königs mitzuteilen, die ihm gar nicht gefallen wird. Mein Freund, flehen wir zum Himmel, daß Don Fernando nicht so starrsinnig sein möge wie Monteleone! Denn sollte er ebenso widerspenstig sein, gibt es einen Eklat.«

Monsieur de Bonneuil schürzte seine vollen Purpurlippen, als er das Wort ›Eklat‹ aussprach, und der Leser mag sich denken, daß ein ›Eklat‹ für einen Diplomaten das Schlimmste war, was dem König von Frankreich gegenüber dem Gesandten eines mächtigen Königreiches passieren konnte.

Begleitet von einem reizenden kleinen Pagen, der ihm nicht von der Seite wich, empfing Monsieur de Bonneuil Don Fernando im Büchersaal, ein Ort, den ich gut kannte, denn, wie der Leser sicher noch weiß, versteckte ich dort zur Zeit der Regentschaft im dreizehnten Kapitel der Essais von Montaigne Geheimnoten, die für Ludwig bestimmt waren. Nach vielen stummen Verneigungen und gleichzeitigem Hüteschwenken, |159|was an ein wohlgeordnetes Ballett gemahnte, nahmen die beiden Protagonisten in den sich gegenüberstehenden Armstühlen Platz, die man wohlweislich in gleicher Höhe und Zier gewählt hatte, um den Empfindlichkeiten beider Länder Rechnung zu tragen. Ich saß auf einem Schemel zur Rechten des französischen Diplomaten, denn stand mein Adelsrang auch über dem von Monsieur de Bonneuil, so rangierte er in diesem Augenblick durch seine Funktion über mir.

Sitzend nun, ließ jeder der beiden Diplomaten seiner Zunge freien Lauf, es wurden eine Reihe Höflichkeiten gewechselt, endlos, wie mir schien, doch wäre es sicher höchst unziemlich gewesen, sie abzukürzen. Dann stellte Monsieur de Bonneuil mich vor als der »Herr Graf von Orbieu, Mitglied des Kronrats, der so freundlich ist, mir bei diesem Gespräch als Dolmetsch zu dienen.«

Der Titel, den er mir da gab, war pure Höflichkeit. Zum Kronrat gehörte ich als Untergebener von Monsieur de Puisieux, ich war kein Mitglied, und obwohl ich meine Ansicht frei äußern durfte, hatte ich doch keine Stimme. Ich erhob mich also von meinem Schemel und machte Don Fernando eine tiefe Verbeugung, die er erwiderte, indem er mit Grandezza halb den Hut hob. Damit grüßte mich Don Fernando entsprechend der Bedeutung, die mir bei diesem Gespräch zukam. Wenn ich ihn später bei Hofe traf, machte er zwischen uns keinen anderen Unterschied als den üblichen zwischen Graf und Herzog, auch wenn dieser Herzog ein spanischer Grande war.

Nachdem die Vorspiele eine reichliche Viertelstunde gedauert hatten, kam Monsieur de Bonneuil trotzdem noch nicht zur Sache, sondern verbreitete sich lächelnd über ein Problem, das er selbst als beiläufiges darstellte: Elisabeth, der Schwester des französischen Königs, Prinzessin von Asturien und künftigen Königin von Spanien, waren von ihren Dueñas ihre Schmuckstücke eingezogen worden.

»Mein Königlicher Herr weiß nicht«, fuhr Monsieur de Bonneuil mit liebenswürdigem Lächeln fort, »welcher kleinen Missetaten die Prinzessin, die ja erst sechzehn Jahre alt ist, sich schuldig gemacht haben könnte, um eine solche Bestrafung zu verdienen. Doch möchte er seinen Cousin, den König von Spanien, darauf hinweisen, daß diese Schmuckstücke Geschenke teils ihrer Mutter, Maria von Medici, zur Hochzeit ihrer Tochter |160|und teils der französischen Krone sind, die der König seiner geliebten Schwester bei derselben Gelegenheit überreichte. Mein Königlicher Herr ist der Meinung, daß die Dueñas, wenn sie es für notwendig erachten, über das Tragen dieser Schmuckstücke entsprechend den am spanischen Hof geltenden Regeln verfügen mögen, aber daß sie nicht berechtigt sind, diese einzuziehen, und sei es auch nur für kurze Dauer.«

Während Don Fernando dieser Rede mit scharfer Aufmerksamkeit lauschte, erlaubte ich mir einige verstohlene Blicke auf ihn. Sein langes Gesicht mit der schmalen Nase sah hochmütig aus. Doch wurde dieser Ausdruck durch schöne schwarze Augen gemildert, die mir geistvoller zu leuchten schienen als die von Monteleone.

»Exzellenz«, sagte Don Fernando endlich in korrektem Französisch, wenn auch ein wenig zögernd, »ich bin nicht sicher, Eure Worte ganz verstanden zu haben. Der Graf von Orbieu möge sie mir freundlichst übersetzen.«

Ich bemühte mich, in meine Übersetzung nun den gleichen sanft scherzenden Ton zu legen, den Monsieur de Bonneuil angeschlagen hatte. In Wahrheit bezweifelte ich, daß Don Fernando ihn nicht verstanden hatte. Wenn er sich seine Rede wiederholen ließ, so nur, um sich zu vergewissern, daß hinter ihrer Beiläufigkeit nicht irgendeine Falle lauere. Offenbar hatte man ihm am Hof zu Madrid eingeschärft, sehr auf der Hut zu sein vor den Franzosen, einem unendlich geriebenen und verdorbenen Volk, dessen verfeinerte Höflichkeit voll teuflischer Tücken stecke.

»Exzellenz«, sagte Don Fernando, als ich geendet hatte, »ich werde dies meinem Königlichen Herrn übermitteln.«

Und erheitert, lächelte er nun seinerseits und setzte hinzu: »Ich bin mir sicher, daß mein Königlicher Herr die liebenswürdige Prinzessin von Asturien des Anblicks ihrer Schmuckstücke nicht berauben will.«

Dennoch vermerkte ich, daß das Zugeständnis vorsichtig war. Don Fernando hatte gesagt »des Anblicks«. Von »freier Verfügung« war keine Rede. Darf ich hinzusetzen, schöne Leserin, daß ich aber bis zum heutigen Tage nicht weiß, was die Etikette am Hof Philipps III. von Spanien in bezug auf das Tragen von Schmuckstücken seitens der königlichen Hoheiten befahl oder verbot.

|161|»Hinsichtlich der Prinzessin«, fuhr Monsieur de Bonneuil fort, »hat mein Königlicher Herr eine höchst folgenreiche Entscheidung getroffen, die ich Euch mitteilen möchte. Er meint, daß sein Gesandter in Madrid keinen freien Zutritt mehr zu den Gemächern der Prinzessin von Asturien haben soll, sondern daß er sich den diplomatischen Bräuchen des spanischen Hofes bequeme, bevor er sie besucht.«

Nun malte sich lebhafte Verblüffung auf dem langen Gesicht Don Fernandos, und von hier an bat er mich, alles zu verdolmetschen. Das tat ich Wort für Wort, mit der größten Gewissenhaftigkeit, denn ich hatte bemerkt, daß an der Rede von Monsieur de Bonneuil diesmal nichts Beiläufiges war. Und während ich übersetzte, beobachtete ich, wie Don Fernando vor Besorgnis und Verärgerung errötete.

»Exzellenz«, sagte er endlich mit zornbebender Stimme, »habe ich recht verstanden, daß Seine Majestät Ludwig XIII. künftig den freien Zutritt des französischen Gesandten zu den Gemächern der Prinzessin von Asturien beschränken will, ein Recht, das ihm jedoch nach dem Ehevertrag zusteht, den mein Herr Philipp III. und die Königinmutter unterzeichnet haben?«

»Ihr habt mich recht verstanden, Exzellenz«, erwiderte Monsieur de Bonneuil in seinem liebenswürdigsten Ton.

»Soll das heißen, Exzellenz«, fuhr Don Fernando fort mit einer Stimme, die vor verhaltener Erregung zitterte, »daß der Gesandte Philipps III. zu Paris – das heißt ich – sich künftig denselben Formalitäten beugen muß, wenn er die Königin von Frankreich in ihren Gemächern aufsuchen möchte?«

»Mir scheint, Exzellenz«, sagte Monsieur de Bonneuil, »dies wäre in der Tat logisch und gerecht.«

»Aber, Exzellenz«, sagte Fernando, »das ist eine flagrante Verletzung des Ehekontrakts!«

»Es ist höchstenfalls eine unbedeutende Abänderung, Exzellenz«, meinte Monsieur de Bonneuil.

»Unbedeutend!« rief Don Fernando, der diesmal das »Exzellenz« für Monsieur de Bonneuil vergaß. »Um Vergebung, es ist ganz und gar nicht unbedeutend, denn es besagt, ich bin nicht mehr Majordomus des Hauses der Königin und muß mich an Euch wenden, wenn ich Ihre Gnädigste Majestät besuchen will. Ich habe nicht mehr wie mein Vorgänger, der Herzog von Monteleone, das Recht auf freien Zutritt zu ihr.«

|162|Und nun konnte ich beobachten, daß Don Fernando viel besser Französisch sprach, als er zuerst gezeigt hatte, denn in seiner Entrüstung kam er plötzlich ohne meine Übersetzung aus.

»Exzellenz«, sagte Monsieur de Bonneuil in völlig unschuldigem Ton, »es ist äußerst unwahrscheinlich, daß Euch die Erlaubnis jemals verwehrt werden wird.«

»Aber sie gebührt mir nicht selbstverständlich, wie der Ehekontrakt sie dem spanischen Gesandten zuerkennt. Ich wiederhole: Dies ist ein flagranter Bruch besagten Kontrakts.«

»Exzellenz«, sagte Monsieur de Bonneuil mit unveränderter Sanftmut, »beliebt doch zu bedenken, daß mein Königlicher Herr noch ein Knabe war, als seine Mutter diesen Kontrakt unterzeichnete, ohne daß er im mindesten dazu gefragt wurde. Aber seit er ihrem Gängelbande entronnen ist und seine volle und ganze Souveränität genießt, erachtet er, daß dieses vertraglich zugestandene Recht der beiden Gesandten, des spanischen wie des französischen, freien Zutritt bei den Fürstinnen ihres Landes zu haben, unzulässig ist und an einen Mißbrauch grenzt. Er hat folglich den Rückruf dieses Artikels beschlossen.«

»Aber vor diesem Beschluß«, rief Don Fernando, »hätte er sich mit meinem Königlichen Herrn verständigen müssen.«

Hierin, fand ich, hatte Don Fernando nicht ganz unrecht, und mir schien, Monsieur de Bonneuil teilte seine Ansicht, denn auf diese Entgegnung hin kam er ins Zwinkern. Gleichwohl hielt er pflichtgemäß dagegen und sagte mit größter Festigkeit: »Mein Königlicher Herr, Exzellenz, ist in seinen Beschlüssen souverän, besonders in einem, der seine eigene Gemahlin betrifft.«

Hier zog Don Fernando eine Miene, die wohl besagen wollte: Seine eigene Gemahlin, die noch nicht einmal sein Weib ist. Weil er aber trotz seines Hochmuts ein beherrschter Mann war, mehr als Monteleone, erklärte er lediglich: »Exzellenz, ich stelle fest, daß mir sozusagen in den ersten Tagen meiner Gesandtschaft in Frankreich ein durch den Ehekontrakt verbrieftes Recht entzogen wird und daß dies ein Vertragsbruch ist. Ich meine, daß dieses unzulässige Vorgehen den Interessen meines Herrn schweren Schaden zufügt und meine Ehre verletzt. Ich werde dem König noch heute schreiben und um meine Abberufung nach Madrid bitten.«

|163|»Oh, Exzellenz«, sagte Monsieur de Bonneuil, »Seine Majestät wäre untröstlich, wenn Eure Exzellenz diese Mücke so auffaßte.«

»Was soll das heißen?« rief Don Fernando und erglühte purpurn. »Was für eine Mücke? Soll ich dulden, daß man mich obendrein persönlich beleidigt?«

»Aber, das ist keine Beleidigung!« rief Monsieur de Bonneuil, indem er die Arme gen Himmel hob. »Graf, bitte, helft doch!«

»Exzellenz«, sagte ich auf spanisch, »es handelt sich um eine völlig harmlose Redensart und bedeutet lediglich, daß Ihr Euch nicht gekränkt fühlen mögt.«

Doch meine Erklärung half der Sache nicht viel, nach Don Fernandos erzürntem Gesicht zu schließen. Auch wenn seine Gesandtenwürde vielleicht versöhnt war, nahm er es doch übel, daß er diese Redensart nicht verstanden hatte, rühmte er sich doch nicht zu Unrecht, unsere Sprache gut zu kennen.

»Trotzdem«, sagte er, indem er sich erhob, »mein Entschluß ist gefaßt. Ich bitte um Erlaubnis, mich entfernen zu dürfen. Noch heute ersuche ich meinen Königlichen Herrn um meine Abberufung.«

»Exzellenz!« rief Monsieur de Bonneuil, »oh bitte, Exzellenz, beliebt doch noch einmal Platz zu nehmen und gnädigst zu warten, bis ich Monsieur de Luynes holen lasse. Er als Vertrauter und Favorit des Königs wird Euch besser als ich erläutern können, warum Seine Majestät diese Maßnahme getroffen hat und was wir uns davon Glückliches für unser beider Kronen erwarten.«

Don Fernando, der majestätisch und verschlossenen Gesichtes stand, erwiderte kein Wort. Aber seine scheinbar undurchdringliche Miene verriet denn doch, daß der Wunsch, mehr über die Intentionen des französischen Königs zu erfahren, was schließlich das A und O seiner Mission war, den Sieg über seine Entrüstung davontrug. Und wirklich, nach einer Weile, die er vermutlich dehnte, um seine Mißbilligung zu betonen, setzte er sich wieder.

»Page«, sagte Monsieur de Bonneuil, »lauf und hole Monsieur de Luynes!«

Der kleine Page enteilte leicht wie ein Vogel durch den Büchersaal, zurückblieben die beiden Diplomaten, die einander |164|gegenüber saßen und sich anschauten wie Fayencehunde. Teufel, dachte ich, wüßte Don Fernando von diesem Vergleich, wie würde er sich dann erst aufregen. Nach der Mücke auch noch ein Hund!

Endlich erschien, sehr schön und sehr elegant in einem perlgrauen Wams, Monsieur de Luynes, und sogleich ergoß er in seinem provenzalischen Akzent, der seiner Rede soviel Saft und Würze gab, eine Flut von Höflichkeiten über Don Fernando, daß der Gesandte staunte, bei einem so mächtigen Mann soviel Liebenswürdigkeit zu begegnen, und dafür nicht unempfänglich blieb. Nachdem Monsieur de Bonneuil den Favoriten mit wenigen Worten über das Problem ins Bild gesetzt hatte, bemühte sich Monsieur de Luynes, den Zorn des Gesandten zu besänftigen.

»Gewiß ist es wahr, Exzellenz, daß die von Seiner Majestät verfügte Maßnahme gegen einen Artikel des Ehekontrakts verstößt und daß es in der Tat bedauerlich ist, daß Philipp III. vor ihrer Verfügung nicht konsultiert wurde. Doch bedenkt auch, Exzellenz, daß besagter Kontrakt bereits, zumindest einmal, verletzt worden ist. Ihr werdet Euch erinnern, Exzellenz, daß laut diesem Kontrakt jede der beiden Königinnen, Anna von Österreich wie Elisabeth von Frankreich, ein Gefolge von dreißig Damen ihres Landes erhalten sollte. Der Artikel wurde unsererseits pünktlich eingehalten, jedoch nicht Eurerseits, denn der spanischen Damen waren ihrer hundert, was dem Hof von Frankreich in jenem Augenblick und auch später eine Reihe Ärgerlichkeiten bereitete. Doch vergangen ist vergessen. Laßt uns darauf nicht zurückkommen! Was nun also die Entscheidung hinsichtlich der Gesandten angeht, so ist diese ein Teil der vom König getroffenen Maßnahmen, um sich der Königin zu nähern. Eine so löbliche, ich würde sogar sagen, eine so heilige Absicht, daß jegliches Mittel dazu von niemandem für schlecht gehalten werden kann. Wie Ihr wißt, Exzellenz, eignet dem König (und hier wurde Don Fernando doppelt aufmerksam) ein sehr unnachgiebiger Charakter. Und es ist ja kein Geheimnis, daß die Umgebung der Königin ihn bisher von ihr fernhielt, um es vorsichtig auszudrücken – ein Fernhalten, unter dem die Königin litt. Deshalb hat der König nun gefordert, die spanischen Damen ebenso zurückzurufen wie auch Euren Vorgänger, und deshalb hat er auch das Besuchsrecht des spanischen |165|Gesandten beschnitten. Exzellenz, es tut mir um Euretwillen herzlich leid, der Ihr dieses Recht sicherlich mit größerem Takt wahrgenommen hättet. Wenigstens dürft Ihr ganz überzeugt sein, daß Ihr in dieser Maßnahme nichts Kränkendes sehen müßt, weil sie nicht persönlich gemeint ist. Und um Euch alles zu sagen, erwarte ich mir von diesen drei Maßnahmen die Befriedigung der Wünsche, die Frankreich und Spanien mit aller Glut hegen, damit die Vernachlässigung der Königin ende und mein Königlicher Herr, seiner Ärgernisse enthoben, sich geneigt zeige, Frankreich einen Dauphin und Eurem Königlichen Herrn einen Enkelsohn zu bescheren. Bedenkt, Exzellenz, welche Befriedigung Euch erwartet, wenn Ihr Eure gegenwärtige Verstimmung zu verwinden und die Geduld aufzubringen vermögt, in Frankreich zu bleiben, und dann der erste sein werdet, der Philipp III. von Spanien diese gloriose Nachricht mitteilen kann.«

Als Monsieur de Luynes schwieg, hatte er gewonnen. Don Fernando blieb in Paris. Sosehr ich aber die Gewandtheit bewunderte, die der Favorit auch hier wieder bewies, beklagte ich im übrigen, daß er nicht nur höchst unwissend war, sondern auch so wenig bestrebt, seinem Unwissen abzuhelfen. Er kannte nichts von der Geschichte der fremden Länder, über die im Kronrat die Rede ging, er hatte keine Vorstellung, wer ihre Fürsten waren, oder auch nur, wo man sie auf der Karte fand, so daß man jedesmal über ihn lächelte, wenn er ein Wort dazu sagte. Es war ein Jammer, meine ich, es mangelte ihm gewiß nicht an Gaben, aber sie blieben notgedrungen auf Hofintrigen beschränkt, in denen er allerdings hervorragte. Deshalb erwies sich Luynes auch so erbärmlich mittelmäßig, als Ludwig ihm die Heeresführung anvertraute; ständig versagte er aus Unwissen und, schlimmer noch, aus Feigheit. Wenigstens aber schuldet die Geschichte ihm einigen Dank für den Beitrag, den er zur Annäherung des Königs und der Königin geleistet hat, denn ohne seine beharrlichen Bemühungen, sein Geschick und seine große Liebe zu Ludwig wäre diese wahrscheinlich nie zustande gekommen.

Um nichts in der Welt wollte ich die Abreise der spanischen Damen verpassen, und als Ludwig sich in die kleine Galerie begab, um zu sehen, wie ihr Zug über den Pont Neuf davonrollte, folgte ich ihm. Es waren nicht weniger als dreißig Karossen, |166|dazu zig Karren mit Gepäck, aber auch mit den reichen Gaben, die Ludwig ihnen zum »freundschaftlichen Lebewohl« geschenkt hatte. Das »freundschaftlich« fand ich spaßig.

Wie damals, als seine Mutter in die Verbannung nach Blois ging, sah Ludwig wortlos, wie die Karossen der spanischen Damen sich entfernten. Aber gerade weil er kein Wort sagte, lieh man ihm eines, das ich hier wiedergeben will, denn es faßt meines Erachtens treffend zusammen, was wir alle in dem Augenblick dachten. Einem Herrn, der beklagte, daß man jene Damen mit allzu großen Geschenken und Geldern abgefunden habe, soll er erwidert haben: »Nein, nein. Das ist nicht zu teuer bezahlt.«