|30|ZWEITES KAPITEL

Drei Tage suchte ich in der ganzen Stadt nach Tronçon und schrie seinen Namen in alle Winde. Der König war nach Saint-Germain gegangen, wo er Hof hielt, ich aber war extra, um den verflixten Sekretär zu finden, in Paris geblieben, doch seltsamerweise konnte ich ihn nirgends finden, wo er für gewöhnlich anzutreffen war.

Am dritten Tag immerhin – die Drei ist bekanntlich eine Glückszahl – begegnete ich auf der großen Treppe Monsieur de Bassompierre, der mich mit Umarmungen fast erdrückte und mit Glückwünschen überschüttete, und beides so ernsthaft, wie es am Hof nicht die Regel war, denn trotz seiner Vorliebe für Scherz und Schrauberei hatte er mich sehr gern, weil er mich von Kind auf kannte. Und ich liebte ihn wieder, voll großer Bewunderung für all seine hohen Gaben, die er hinter dem Pfauentum des Höflings und Schürzenjägers verbarg.

»Ah, Chevalier!« rief er aus, womit er unsere entzückenden Herrchen imitierte, mit denen man ihn aber beileibe nicht in einen Topf werfen sollte, »wie elegant Ihr auf einmal seid! Und wie Euch dieser große venezianische Spitzenkragen gut steht! Endlich werft Ihr Eure hugenottische Familienstrenge ab und kleidet Euch, wie es Eurem Rang geziemt – Eurem gegenwärtigen und vor allem Eurem zukünftigen! Alle Wetter, wie habt Ihr Euch verschönt, ganz nach der neuesten Mode! Gar nicht zu reden von dieser selbstbewußten, triumphierenden Miene, die neuerdings aus Eurem Antlitz strahlt und dem Neid verkündet, daß Eure Schöne Euch verwöhnt und der König Euch liebt! Aber da fällt mir ein: Ich hörte – weil ich ja nicht das Glück hatte, zur Hochzeit von Monsieur de Luynes geladen zu sein –, Ihr hättet während der Zeremonie die Braut mit den Augen verschlungen? Pfui, das Weib Eures Nächsten! Was wird Euer Beichtvater dazu sagen? Und was hätte Frau von Lichtenberg gedacht, wenn sie das mit angesehen hätte? Aber |31|Ihr seid so ungeduldig, wo wollt Ihr so eilig hin? Es kommt mir vor, als gucktet Ihr Euch nach jemandem die Augen aus. Hat dieser Jemand einen Namen?«

»Tronçon«, sagte ich, obwohl mir klar war, daß er Bescheid wußte.

»Nanu?« sagte er und hob die Brauen, »Tronçon? Der berüchtigte Tronçon? Mein Freund, Ihr erwartet doch keine Tronçonnade?«

»Ich weiß nicht. Ludwig hat gesagt, ich soll ihn aufsuchen, also suche ich ihn.«

»Aber, Ihr wißt doch, Chevalier, Tronçonnaden können Glück wie Unglück bringen. Was davon erwartet Euch?«

»Ich kann’s nicht sagen.«

»Im Gegenteil, Ihr wißt es sehr gut. Schade, ich wollte Euch gerade verraten, wo Tronçon ist, aber wenn Ihr mit Eurem Geheimnis dermaßen zugeknöpft seid und einem alten Freund so wenig traut, denke ich nicht daran, Euch die Information zu schenken. Aber, gut, ich verkaufe sie Euch.«

»Verkaufen! Graf, habt Ihr Appetit auf mein Taschengeld?«

»I bewahre! Ich bin reicher als Ihr. Nein, mir genügt ein Kuß Eurer Schönen.«

»Graf, die Küsse meiner Schönen sind nicht zu verkaufen.«

»Also, Zug um Zug. Erst Euer Geheimnis!«

»Wer weiß, ob es noch meins ist? Ich war sozusagen allein mit dem König, als er mir befahl, Tronçon aufzusuchen.«

»Sozusagen?«

»Soupite und Berlinghen waren zugegen. Aber eigentlich sind sie verschwiegen, was das im Zimmer des Königs Gehörte anbetrifft.«

»Von ihnen, Chevalier, habe ich das Geheimnis Eurer Tronçonnade ja auch nicht. Nun denn, um es kurz zu machen: Ludwig will Euch verheiraten.«

»Mich verheiraten!« schrie ich auf.

»Ludwig«, fuhr Bassompierre mit gesenkter Stimme fort, »ist derzeit auf Ehen versessen, nur offenbar nicht auf seine.«

»Mich verheiraten, und mit wem?«

»Mit einer trefflich betitelten Witwe, deren Titel er bei der Gelegenheit auf Euch übertragen will. Die Dame hat keine männlichen Nachkommen.«

»Ach!« sagte ich, zitternd vor Schreck. »Darum geht es also! |32|Und was ist das für eine Dame? Kennt Ihr sie? Habt Ihr sie gesehen?«

»Leider, ja!«

»Graf!«

»Leider!«

»Graf, bitte, hört auf, mich zu verspotten!«

»Ich spotte nicht! Die Dame ist ziemlich unhöflich und mißlaunig, und das Schlimmste: Sie ist bereits im kanonischen Alter.«

»Um Himmels willen! Graf, das ist nicht Euer Ernst! Stimmt das?«

Hier platzte Bassompierre heraus vor Lachen, und indem er mich aufs neue in die Arme schloß, raunte er mir ins Ohr: »Ihr findet Tronçon im Gasthof Zu den zwei Tauben, Rue du Chantre.« Dann stieg er rasch die Treppe hinauf, die ich hinabging, und sein ausgelassenes Gelächter hallte mir noch in den Ohren, als er längst verschwunden war.

Im Nu wich alle Freude aus meinem Herzen. Mein heiterer Himmel regnete Asche, mein Trank war Schlamm, und die Zukunft gähnte wie ein schwarzes Loch unter meinen Schritten. Denn wenn Bassompierre die Wahrheit gesagt hatte, was sollte mir eine Erhöhung auf der Adelsleiter zu dem von ihm genannten Preis? Und wie sollte ich andererseits die Schreckenswitwe ablehnen, ohne Ludwig furchtbar zu kränken?

Wieder und wieder käute ich diese Ängste und Ärgernisse auf dem zum Glück kurzen Weg vom Louvre zur Rue du Champ Fleuri, und kaum im heimatlichen Nest angelangt, fiel ich meinem Vater an die Brust und erzählte ihm alles mit hechelnder Stimme. Zuerst lachte er, und La Surie lachte mit. Als er mich aber ganz bestürzt sah über dieses Lachen, nahm er mich in die Arme.

»Ihr solltet Bassompierre doch besser kennen«, sagte er. »Wahrheit war nie seine größte Sorge, im Gegenteil! Außerdem, so gern er Euch mag, so gerne schraubt er Euch auch, schließlich ist er immer ein bißchen auf Euch eifersüchtig.«

»Eifersüchtig auf mich? Der schöne Bassompierre?«

»Ja, gewiß, und mit Grund! Immerhin hat er seinerzeit erfolglos um Frau von Lichtenberg geworben, aber wer die Palme errang, wart Ihr. Und glaubt Ihr, er sähe Eure neuerliche Beförderung nur freundlichen Auges? An wem nagte nicht das |33|Gefühl, auf der Stelle zu treten, wenn man einen Jüngeren so schnell aufsteigen sieht? Ich wette, damit ist er nicht der einzige am Hof. Macht Euch drauf gefaßt, noch öfter genarrt zu werden. Na, und? Wie heißt es so schön in meinem lieben Périgord: Kein Honig ohne Galle.«

»Aber was ist das mit dieser Gräfin von Orbieu, kennt Ihr sie?«

»Dem Namen nach: Sie lebt ganz zurückgezogen. Aber, mein Herr Sohn, was spräche dafür, daß Ludwig Euch verheiraten wollte, ohne nach Eurem Geschmack zu fragen? Und noch dazu mit einer Frau im kanonischen Alter, die Euch folglich keine Nachkommen schenken kann? Das ergibt keinen Sinn. Kommt, gehen wir zu Tisch, Euer Teller wartet.«

»Meiner auch«, sagte La Surie, der sich setzte, kaum daß mein Vater und ich Platz genommen hatten. »Allerdings«, fuhr er fort, »dünkt mir, Chevalier, daß Ihr sehr unrecht hättet, eine unleidliche Frau auszuschlagen.«

»Wie das?«

»Wißt Ihr, was Sokrates antwortete, als jemand ihn fragte, warum er seine zänkische Frau nicht verstieß? ›Oh, nein‹, sagte Sokrates, ›dazu ist sie mir zu kostbar: Sie stellt meine Geduld auf die Probe.‹«

Trotz der düsteren Stimmung, in die Bassompierre mich versetzt hatte, mußte ich lachen, doch ohne daß dieses Lachen die Befürchtungen ganz zerstreute, die mich im stillen bei dem Gedanken an jene grausige Ehe bewegten.

Von der Rue du Champ Fleuri zur Rue du Chantre sind es ein paar Schritte, denn liegt unser Hof an der einen, so unser Garten an der anderen. Der Gasthof Zu den zwei Tauben grenzt fast an unser Grundstück und ist durchaus kein schäbiges, unsauberes und übelbeleumundetes Haus. Wenn Personen von Stand nach Paris kommen, können sie dort speisen, ohne daß sich ihnen der Magen umdreht, und nächtigen, ohne von Ungeziefer gefressen zu werden. Manchmal esse ich dort zu Mittag, wenn ich die Suppen leid bin, die mein Robin mir in meiner Louvre-Wohnung vorsetzt und mein Vater unglücklicherweise auf seinem Gut Chêne Rogneux in Montfort-l’Amaury weilt und unseren Koch Caboche mitgenommen hat.

Noch mehr als der Gasthof gefiel mir aber die Wirtin, genannt La Doucette. Ehemals Marketenderin, ergatterte sie sich |34|in heißem Kampf – schließlich war sie nicht die einzige Marketenderin im Regiment –, einen schmucken Hauptmann, der sie großzügig beschenkte, bevor er fiel. Danach verließ sie das Heer, heiratete einen wohlhabenden Mann namens Schlosser und eröffnete mit ihm diesen Gasthof.

La Doucette war eine kleine Brünette, zierlich, rundlich, lebhaft, frisch und so schlagfertig wie gutmütig. Kurioserweise war sie ihrem schönen Hauptmann im Kriege nicht treu gewesen, war es aber im Frieden ihrem unansehnlichen Mann. Vermutlich verstand dieser Schlosser ihr Herz besser zu öffnen als der Hauptmann.

Beim Eintreten küßte ich ihr beide Wangen, was sie duldete, weil sie mich von Kind auf kannte, wie sie sagte, doch das stimmte nicht ganz, denn als sie ihren Gasthof aufmachte, war ich schon dreizehn und verwegen mit Blicken, wenn nicht mit Händen.

»Frau Wirtin«, sagte ich, indem ich sie beiseite zog, »ich möchte Monsieur Tronçon sprechen.«

»Der ist nicht hier«, sagte La Doucette errötend.

»Meine Liebe«, sagte ich, »mit so zarter Haut kann man nicht lügen. Tronçon ist hier.«

»Ist er nicht«, sagte sie trotzig.

»Er versteckt sich in einem Eurer Zimmer.«

»Aber nein.«

»Aber ja!«

»Ich habe nein gesagt«, sagte La Doucette, durchaus nicht mehr gutmütig.

»Und ich sage ja! Meine Liebe, Ihr verstoßt gegen das Verbot des Königs, in Paris behauste Personen in Pariser Herbergen zu empfangen. Und dies, um Ehebruch, Unzucht, Ausschweifung und andere Laster zu unterbinden.«

»Solche Schweinereien gibt es bei mir nicht!« sagte La Doucette wütend.

»Das glaube ich. Aber Tronçon ist bei Euch. Ich weiß, daß er hier ist. Und ohne daß Ihr seinen Namen eingetragen, noch die Durchschrift an den Polizeihauptmann geschickt habt, wie es Eure Pflicht war.«

Der Schuß war ein bißchen gewagt, aber zum Glück traf er ins Schwarze.

»Sollte ich ihn auf der Gasse umkommen lassen?« fragte La |35|Doucette leise. »Ich hab ihn aufgenommen. Wenn das ein Vergehen ist, bitte, dazu steh ich.«

»Und ich habe nichts dagegen. Nur in einem bleibe ich hart: Ich will ihn sprechen.«

»Das geht nicht.«

»Das geht.«

»Monsieur Tronçon liegt krank zu Bett. Er will keinen Besuch.«

»Aber mich.«

»Ich bin hier Herrin im Haus!« sagte sie und reckte sich empor.

»Und der König ist Herr in seinem Reich. Und der König befiehlt mir, Tronçon aufzusuchen.«

»Stimmt das wirklich?«

»Frau Wirtin, Ihr kennt mich von klein auf: Bin ich ein Lügner?«

»Nein«, gab sie widerwillig zu.

»Also, ich will Tronçon sehen«, sagte ich mit einiger Autorität, indem ich gleichzeitig die Hand auf ihre Schulter legte, die nackt und wunderbar weich war.

Die Wirtin bedachte abwechselnd meine gerunzelte Miene und die Hand auf ihrer Schulter, und weil die Sanftheit der einen die Strenge der anderen aufwog, sagte sie leise aufseufzend: »Dann muß wohl auch ich dem König gehorchen.«

Sie stieg die Treppe hinauf und bedeutete mir, zu folgen, dennoch kapitulierte sie nicht gänzlich, sondern stellte sich taub für meine Fragen und wollte mir nicht verraten, woran Tronçon litt, noch warum er sich im Gasthof kurierte und nicht wie jedermann bei sich zu Haus. Dabei hätte der glückliche Tronçon sogar wählen können, denn er hatte eine Wohnung für sich allein im Louvre und unweit von dort, in der Rue d’Orléans, mit seiner Frau und seinen sieben Kindern ein großes Haus mit Taubenschlag davor.

Weil die Wirtin die Tür vor mir öffnete und das Zimmer dunkel war, konnte ich Tronçon zuerst nicht sehen, dafür hörte ich ihn aber, als er die Wirtin mit aufgebrachter, scharfer Stimme anschrie: »Was soll denn das, dumme Trine? Ihr bringt mir Besuch! Habe ich Euch nicht hundertmal gesagt, ich will niemand sehen? Wißt Ihr nicht, wer ich bin und was es Euch kosten kann, mir zuwiderzuhandeln?«

|36|»Um Himmels willen, Monsieur Tronçon«, sagte ich, indem ich vortrat, »schimpft nicht auf die Wirtin. Sie trifft keine Schuld. Ich bin hier auf Befehl des Königs, und Seiner Majestät müssen wir alle gehorchen, Ihr, sie und ich.«

Das stopfte unserem Tronçon den Mund, die Wirtin ging und schloß hinter sich die Tür.

»Herr Chevalier«, sagte der lammfromm Gewordene, und seine Stimme verriet gelinden Schrecken, »läßt der König mich suchen?«

»Nicht ganz. Er hat mir nur befohlen, Euch aufzusuchen, damit Ihr mir seine weiteren Intentionen erklärt.«

»Ach, das ist es!« sagte er unendlich erleichtert. »Und darf ich fragen, Herr Chevalier, von wem Ihr erfahren habt, daß ich hier bin?«

»Um Vergebung«, sagte ich, nun meinerseits geheimnisvoll, »das kann ich Euch nicht verraten.«

Und ohne daß er mich dazu aufgefordert hätte, nahm ich kurzerhand auf einem Schemel an seinem Kopfende Platz. Meine Augen hatten sich inzwischen an das Halbdunkel gewöhnt, ich sah jetzt einigermaßen deutlich Tronçons Kopf, und mir schien, daß er mit einem Verband umhüllt war.

»Was habt Ihr denn, Monsieur Tronçon«, rief ich, »seid Ihr verletzt?«

»Ach, verletzt, Herr Chevalier! Zerschunden bin ich! Und die am Kopf ist nicht meine schlimmste Wunde, obwohl sie sehr geblutet hat! Ach, Herr Chevalier, zur Strafe für meine Sünden bin ich unter die Räuber gefallen! Vor drei Tagen, wie ich nichtsahnend durch die Rue du Chantre komme, greifen mich doch drei Strolche an, ich werde zusammengeschlagen, meiner Börse beraubt und wie tot auf dem Pflaster liegengelassen. Ich hatte gerade nur die Kraft, mich zu diesem Gasthof zu schleppen, die gute Wirtin nahm mich auf, brachte mich zu Bett und hat einen Doktor gerufen.«

»Konntet Ihr Euch denn nicht nach Hause bringen lassen?«

»Auf keinen Fall. Ich hätte meine Frau Gemahlin in zu große Sorgen gestürzt, sie hat ein so schwaches Herz, daß sie bei jeder Aufregung in Ohnmacht fällt. Darum habe ich sie sofort über mein Ausbleiben beruhigen wollen und ihr durch einen Laufburschen ausrichten lassen, ich sei mit dem König |37|nach Saint-Germain gefahren. Herr Chevalier«, setzte er mit einer Zerknirschung hinzu, die mir ein bißchen übertrieben vorkam, »darf ich Euch bitten, von meiner Anwesenheit hier niemandem ein Wort zu sagen?«

»Ich verspreche es.«

Während ich dies aussprach, trafen meine Augen am Boden zufällig auf eine halb unters Bett geschobene, halboffene Börse voll blinkender Taler. Hatte Tronçon zwei Börsen bei sich gehabt? Was für zartfühlende Räuber, daß sie ihm wenigstens eine gelassen, nachdem sie ihn durchgeprügelt hatten! Daraus schloß ich – und Sie, Leser, hätten nichts anderes getan –, daß der gute Mann mir einen Bären aufgebunden hatte.

»Versprecht Ihr es wirklich?« beharrte Tronçon.

»Monsieur«, versetzte ich kalt, »ob man Euch Eure Börse geraubt hat oder nicht und weshalb Ihr Euch von Eurem Überfall lieber hier erholt anstatt daheim, was schert es mich. Ihr habt mein Wort und müßt nicht bezweifeln, daß ich es halte.«

»Herr Chevalier«, sagte er, nachdem er ein Weilchen gebraucht hatte, meinen zarten Rüffel zu verdauen, »ich danke Euch ergebenst.«

Bei einiger Betrachtung, trotz des Halbdunkels, konnte ich diesem Tronçon wenig abgewinnen. Sein Gesicht hatte dieses zugleich Weichliche und Harte, das sowohl auf Hochmut wie Servilität hindeutet, und mir erschien es sehr fraglich, ob er Ludwig lange der gute Diener sein würde, als den er sich ausgab.

»Um denn auf Eure Angelegenheit zu kommen«, sagte Tronçon, indem er sich plötzlich im Bett aufsetzte und seinen Verband zurechtrückte, als trüge er eine Krone. »In dem Wunsche«, fuhr er fort, »die Dienste zu belohnen, welche Ihr Unserer Person im Verlauf Unserer Unternehmung gegen den Verräter Concini geleistet habt, haben Wir beschlossen, Euch eine Summe von zweihunderttausend Livres zu übereignen, deren eine Hälfte Euch ermöglichen soll, das Gut der Gräfin von Orbieu zu kaufen, und mit deren anderer Hälfte Ihr das Schloß baulich herrichten und den Besitz instand setzen mögt, dessen Erträge derzeit auf so gut wie nichts gesunken sind. Die Gräfin, die seit dem Tod des Grafen in Paris wohnhaft ist und an der Gutsführung kein Interesse hat, lebt von sehr geringen Einkünften und möchte verkaufen, um den Erlös des Gutes beim |38|Florentiner Pfandhaus mit zwanzig Prozent Zinsen anzulegen. Ein hervorragender Gewinn«, bemerkte Tronçon ohne seinen königlichen Tonfall, »jedenfalls für jemand«, setzte er genießerisch hinzu, »der hunderttausend Livres besitzt. Im übrigen«, fuhr er fort, »hatte sich gleich ein Bewerber gemeldet; weil es aber der Verwalter des Schlosses war, mutmaßten Wir, daß er eine solche Summe nur angehäuft haben konnte, indem er seine Herrschaft nach Strich und Faden bestahl, und so haben Wir Euch unverzüglich das Vorkaufsrecht reserviert. Diese Reservierung verpflichtet Euch indes zu nichts. Solltet Ihr nach Besichtigung von Schloß und Ländereien vom Kauf zurücktreten, werden Wir Euch anderweitig versorgen. Wenn Ihr hingegen kauft, so gedenken Wir, Euch den Titel Graf von Orbieu zu übertragen, weil die Gräfin keine männlichen Erben hat.«

»Aber«, sagte ich und bemühte mich, meine innere Unruhe zu verbergen, »muß ich dazu die Gräfin heiraten?«

Auf die Frage hin ließ Tronçon seinen majestätischen Ton fahren und lachte.

»Ach, um Himmels willen!« sagte er. »Nie haben Wir daran gedacht, ein solches Opfer von Euch zu verlangen! Nicht allein, daß die Dame ihr Leben lang keine Kinder zustandegebracht hat, ist sie auch nicht gerade liebenswürdig. In Ermangelung eines männlichen Nachkommen also betrachten Wir die Linie mit dem Tod des Grafen für erloschen und beabsichtigen, den Titel Euch zu übereignen, sobald Ihr Besitzer des Gutes geworden seid. So, das ist alles.«

Oh, stieß ich da einen Seufzer aus! Mir war, als hätte man mich aus einer ganzen Dornenhecke erlöst. Endlich konnte ich die Rosen um mich wieder frei ins Auge fassen, mich in ihrem Duftkreis laben und weiden an ihrer Farbenpracht.

Tronçon überschüttete mich mit Glückwünschen, wobei er gewohnheitshalber bei dem königlichen Wir blieb. Ich sprach ihm nach ausführlichsten Dankesworten die ausführlichsten Wünsche für eine rasche Genesung aus und machte mich davon, so geschwind und gesittet ich konnte.

Als ich mit Schwung die Zimmertür öffnete, fiel ich fast über die Wirtin, deren Ohr offenbar am Schlüsselloch klebte. Stürmisch zog ich sie mit auf die Wendeltreppe, und vor lauter großer Lebenslust und sicher auch, weil der Übermutsteufel immer nur halb in mir schlief, küßte ich sie auf den Busen und |39|umfing ihn mit meinen Händen, wenn auch nur leicht. Als sie protestierte, spielte ich den Scheinheiligen, indem ich behauptete, ich hätte sie nur für ihr Lauschen bestrafen wollen.

Aber, wie gesagt, sie war schlagfertig, und im Handumdrehen bekam ich meine Retourkutsche.

»Die Wirtin ist Herrin in ihrem Haus. Hätte ich nicht an der Tür gehorcht, wäre ich nicht die erste, die Euch mit ›Herr Graf‹ anreden kann, worauf ich sehr stolz bin. Aber Ihr, Herr Graf, der Ihr nun so hoch auf der Adelsleiter steht, schämt Ihr Euch gar nicht, mir Moral zu predigen, während Ihr mich betätschelt? Was meint Ihr wohl, was ungezogener ist, an einem Schlüsselloch zu horchen, das letzten Endes mir gehört, oder die Hand an einen Busen zu legen, den Euch kein Trauschein zugesprochen hat?«

Das saß, doch schien mir nach ihren lachenden Augen, daß sie dies ohne übermäßige Strenge gesagt hatte, eher, damit ich mir nicht noch mehr Kühnheiten erlaubte.

***

Am folgenden Tag besuchte ich Bassompierre. Nachdem ich mich ein bißchen über seinen gräßlichen Scherz beschwert hatte, bat ich ihn um die Adresse der Gräfin von Orbieu. Die er mir sofort gab und unter so vielen Entschuldigungen, daß ich ihm nicht mehr böse sein konnte. Um mich zu entschädigen, wie er sagte, wollte er mir unbedingt einen prachtvollen Ring schenken, und er blieb so beharrlich dabei, daß ich ihn schließlich annahm. Und um mich aufzuheitern, erzählte er mir Tronçons wahres Abenteuer.

»Ihr wißt ja«, sagte er, »daß dieser Tronçon, ein ungeschliffenerer und großmäuligerer Geselle als jeder anderen guten Mutter Sohn, sich aufbläst wie eine Kröte und sich für den König selber hält, seit er dessen Sekretär ist und seine Gnade oder Ungnade austrägt. Aber was Ihr nicht wißt, ist, daß er es in seinem unerträglichen neuen Dünkel gewagt hat, der Marschallin von Vitry schöne Augen zu machen. Die sich nun ihrerseits fast für eine Prinzessin hält, seit sich Henri Quatre einmal für dreißigtausend Livres ihre Gunst erkauft hat. Kurzum, die Dame fühlte sich in ihrem Rang schwer gekränkt durch dieses bürgerliche Äugeln und lag Vitry mit einer Sturzflut von Klagen in |40|den Ohren. Woraufhin der, um seinen Frieden zu haben, drei seiner Soldaten ausschickte, den Unverfrorenen durchzuprügeln. Nun hatten die Haudegen den Unglücksraben aber ein bißchen zu hart hergenommen; reuig brachten sie ihn daher in den Gasthof Zu den zwei Tauben, wo er sich seitdem versteckt und kuriert aus Furcht vor dem Gespött des Hofes und vor den Fragen seiner Frau.«

Die Gräfin von Orbieu, der ich noch am selben Tag meinen Laufburschen schickte, lud mich für den kommenden Tag auf Punkt Mittag ein. Als ich aber hinkam, ließ sie sich entschuldigen, daß sie mich nicht empfangen könne, sie liege im Bett, und empfahl mir, alle sie betreffenden Dinge mit ihrem maggiordomo zu verhandeln, der sich darin sowieso am besten auskenne.

Diese mündliche Botschaft wurde mir von dem maggiordomo selbst ausgerichtet, einem schönen Kavalier mit Degen zur Seite. Aha, dachte ich, ein Nachgeborener aus gutem Hause, der mangels Geld auf diese Stelle angewiesen ist. Und tatsächlich stellte er sich als Henri de Saint-Clair vor, und klar, wie sein Name es ankündigte, war er wirklich in Erscheinung und Wort, in Denken und Meinen: Er sprach über alles ganz unumwunden.

Nachdem ich Platz genommen hatte, erkundigte ich mich höflichkeitshalber, woran die Gräfin denn leide. Saint-Clair lachte nur.

»Die Frau Gräfin und leiden? Es geht ihr blendend, wenn sie an etwas leidet, dann einzig an einer unheilbaren Trägheit, sie lebt nur zwischen Tisch und Bett und Bett und Tisch. Herr Chevalier«, fuhr er fort, »sowie ich von Euren Absichten und Eurem Besuch hörte, habe ich zwei Sendschreiben aufgesetzt, eins an den Gutsverwalter Rapinaud, damit er Euch erlaubt, das Schloß zu besichtigen, und das zweite an den Pfarrer von Orbieu, denn Orbieu ist auch ein Dorf, das zum Gut gehört.«

»Warum so eilig, Monsieur?« sagte ich. »Es brennt doch nicht.«

»Doch, doch! Wir sind ruiniert! Wir leben sozusagen nur noch von Schulden.«

»Ruiniert?« sagte ich verwundert. »Wie denn das? Die Gräfin lebt doch ohne Aufwand, ganz zurückgezogen.«

|41|»Wir haben doppelt so viele Lakaien, Zofen und Köche als nötig. Die Leute fressen uns auf.«

»Warum entläßt man sie dann nicht?«

Hierauf erregte sich Saint-Clair.

»Eben das rate ich der Gräfin ja, seit ich in ihrem Dienst bin«, rief er aufgebracht, »aber sie sieht es nicht ein. Sie sagt, das hieße ›auf ihren Rang verzichten‹! Man faßt es nicht! Herr Chevalier, habt Ihr Töne für so viel Dummheit? Den Rang! Was für ein Rang? Sie empfängt keine Besuche, verbringt ihre Tage im Bett, schläft oder spielt mit ihrem Hündchen. Mir jedenfalls ist diese Schlamperei ein Greuel, und ich ginge lieber heute als morgen, wenn ich wüßte, wohin.«

»Aber«, sagte ich, »es ist doch unbegreiflich, daß Orbieu nicht wenigstens ein bißchen Gewinn abwirft!«

»Keinen blanken Heller, glaubt mir, Monsieur. Zu Lebzeiten des Grafen erbrachte es noch einiges. Denn der Graf war öfter in Orbieu, und wenn er nur Wildbret jagte oder vielmehr Wilddiebe. Natürlich war der Graf ein Kirchenlicht, vor allem wenn es um Zahlen ging oder die Nachprüfung von Rechnungen. Aber er kam wenigstens von Zeit zu Zeit. Er war immerhin der Herr: Man getraute sich nicht, Unterschlagung und Betrug zu weit zu treiben. Das änderte sich, als er starb. Die Gräfin setzte nie mehr den Fuß nach Orbieu, weil es ihr zuwider war. Also kannte man keine Scheu mehr, es wurde zugelangt, wo es nur ging, und die Einkünfte sind auf Null gesunken.«

»Monsieur«, sagte ich mit einem Lächeln, »wollt Ihr mich völlig entmutigen?«

»Ganz und gar nicht, Monsieur. Orbieu«, fuhr Saint-Clair mit Begeisterung fort, »ist ein sehr schöner, großer Besitz, einen Tagesritt von Paris entfernt, mit Wäldern, Wiesen, Äckern, Quellen, einem Teich und einem Fluß, der eine Mühle speist, und mit einem sehr hübschen Schloß in Hau- und Backstein, das allerdings einige Reparaturen braucht. Ich wäre überglücklich, wenn das alles mir gehörte und ich das Geld hätte, es instand zu setzen. Ich würde immer dort leben.«

»Finden Sie das Landleben so anziehend?«

»Ganz ungemein, ich bin nur ungern in diesem stinkenden Paris. Wie Ihr Euch denken mögt, Herr Chevalier, komme ich aus gutem, wenn auch sehr armem Hause.«

»Ich habe es bemerkt«, sagte ich mit einer Verneigung. Einer |42|von diesen Briefen«, fuhr ich fort, »ist für den Pfarrer von Orbieu bestimmt. Das heißt, daß ich ihn besuchen soll?«

»Ihn als ersten, Chevalier. Und er wird Euch von allen am nützlichsten sein. Sein Name ist Omen: Er heißt Séraphin und ist ein guter Priester, ohne übermäßigen Hang zur Flasche oder offene Schwäche für die Weiblichkeit. Im übrigen kennt er seine Lämmer von Grund auf.«

»Und der Verwalter Rapinaud?«

»Den müßt Ihr Euch auch ansehen. Von allen Ratten, die sich in Abwesenheit des Herrn an dem Gut bedient haben, ist er die fetteste, größte und schlaueste.«

»Monsieur de Saint-Clair«, sagte ich, »ich danke Euch tausendmal für Eure Offenheit und tausend Dank auch für Eure Hilfe. Ich wäre gegebenenfalls sehr glücklich, wenn Ihr mir beides in anderer Form weiterhin bezeigen würdet.«

Mit dieser Redensart meinte ich, dem Einfall, der in mir keimte, Rechnung zu tragen, ohne daß damit zuviel noch zuwenig gesagt war. Saint-Clair faßte es auch so auf, denn in seinen Augen erschien ein frohes Leuchten. So verließen wir einander im stillschweigenden Einverständnis und in der Hoffnung, uns wiederzubegegnen.

Weil Orbieu nicht sehr weit von Le Chêne Rogneux und noch näher bei dem Gut von La Surie lag, erboten sich mein Vater und der Chevalier, mich auf meiner Erkundungsreise zu begleiten, denn bestimmt hatten sie viel mehr Kenntnis und Erfahrung als ich, um den Wert von Feldern, Weiden und Wäldern einzuschätzen.

»Ein Titel ist gut und schön«, sagte mein Vater, »aber wenn nichts dazukommt, meine ich, ist er nur Schmuck und Eitelkeit. Um Euch ein klares Bild von Eurem künftigen Besitz und von den erforderlichen Geldern zu seiner Instandsetzung zu machen, müßt Ihr sehr auf der Hut sein, immer eine Pfote vor, die andere zurück.«

»Marquis«, sagte La Surie, »mir scheint, Euer Herr Vater, der Baron von Mespech, pflegte ganz Ähnliches auszudrücken, wenn er sagte, man dürfe nicht die Katz im Sack kaufen.«

»Ja, mein Vater wußte immer eine Reihe périgordinischer Sprichwörter«, sagte der Marquis de Siorac, und dabei lächelte er melancholisch. Wir hatten nämlich erfahren, daß es dem Baron von Mespech gar nicht gut ging. Vor allem, daß er in sich |43|gekehrt blieb, ohne Scherz, ohne Heiterkeit, ohne Pläne, erschien uns als ungutes Zeichen, doch wagten wir dies nicht auszusprechen, um das Schicksal nicht herauszufordern.

***

Das Schicksal wollte es, daß mein Vater und La Surie die verabredete Reise nach Orbieu allein machten, gerüstet mit den besagten Briefen, einem für die »Ratte« und einem für Séraphin. An dem Tag nämlich, den wir dafür festgesetzt hatten, konnte ich nicht umhin, mit Ludwig und seinem ganzen Kronrat in die Normandie zu gehen: Seine Majestät hatte in Rouen eine Versammlung von Notabeln zu eröffnen, die ihm von den graubärtigen Ministern eingeredet worden war und auf der darüber beraten werden sollte, wie man die Mißbräuche im Staat abschaffen könnte.

Warum diese Versammlung in Rouen stattfand und nicht in Paris, kann ich nicht sagen, und warum Ludwig, wenn die Beratungen am 4. Dezember eröffnet werden sollten, bereits am 14. November von Saint-Germain-en-Laye aufbrach und acht Tage in Dieppe zubrachte, kann ich ebensowenig erklären, es sei denn damit, daß Ludwig voll Begeisterung die Städte und ihre Bewohner besuchte, deren König er war, ganz anders hierin als sein Sohn, den seine Größe dereinst an Versailles fesseln wird.

Der Leser möge mir aber erlauben, daß ich die Chronologie ein wenig umkehre – die Erbsünde der Memoirenschreiber – und zunächst ein paar Worte über diese Notabelnversammlung zu Rouen verliere, ehe ich auf Ludwigs Woche in Dieppe zu sprechen komme.

Die Idee, eine Versammlung von Notabeln einzuberufen, war dem subtilen Geist der graubärtigen Minister entsprungen, wahrscheinlich weil sie ihre Rückkehr in die Regierungsgeschäfte durch ein feierliches Ereignis krönen und damit beweisen wollten, wie sehr ihnen das öffentliche Wohl am Herzen lag.

Dies aber hatten sie sehr schlau angefangen, indem sie die Teilnehmer selbst bestimmten. Vertreten waren außer ihnen und dem Kronrat elf Bischöfe, dreizehn Adlige und siebenundzwanzig Mitglieder des Dritten Standes, und zwar in erlesener |44|Auswahl: Gerichtspräsidenten, Präsidenten der Rechnungshöfe, Präsidenten der Berufungsgerichte, alle reich versehen mit Pfründen, Ämtern und Einfluß, ebenso wie ihre Söhne, Schwiegersöhne und Neffen. Der Leser wird unschwer folgern, daß die Graubärte von diesen wohlhabenden und wohlbestallten Würdenträgern auf ihren goldenen Stühlen nichts zu befürchten hatten. Im übrigen lag bei den guten Herren die Stimmenmehrheit, falls Adel und Geistlichkeit sich gegen sie vereinigen sollten.

Noch besser: Um böse Überraschungen und störende Fragen zu vermeiden, behielten sich die Graubärte das Vorschlagsrecht vor. Sie selbst, und sie allein, bestimmten, welche Problempunkte den von ihnen ausgewählten Notabeln unterbreitet wurden. Kurz, diese Versammlung war, ich will nicht gerade sagen eine Karikatur, aber eine ziemlich harmlose Miniatur der Generalstände von 1614. Sie beruhigte die öffentliche Meinung, ohne so kostspielig zu sein wie die Generalstände, noch so lange zu dauern, noch große Zusammenstöße zwischen den drei Ständen heraufzubeschwören wie vor vier Jahren.

Nun blieb aber den Graubärten eine heikle Operation zu bewältigen: sie mußten die Abschaffung von Mißbräuchen just deren Nutznießern vorschlagen, die aber in den drei Ständen jeweils andere waren.

Und das ging so: Man erfreute den Adel, indem man die Abschaffung der Adelsbriefe verlangte – die man seit dreißig Jahren meistbietend verkaufte –, doch ohne den Dritten Stand irgend zu beunruhigen, denn er wußte genau, daß der Staat auf diese Einnahme niemals verzichten würde.

Man schmeichelte dem Dritten Stand mit der Forderung, die Pensionen, die man den Großen zahlte, bedeutend zu verringern –, ohne daß die dreizehn anwesenden Großen auch nur mit der Wimper zuckten. Sie wußten genau, daß keine Regierung sich eine so verletzende Maßnahme erlauben durfte, ohne Rebellionen der Großen auf den Plan zu rufen.

Man tätschelte die Bischöfe, indem man dem König empfahl, Klöster nicht mehr an Personen – ob Männer oder Frauen – zu vergeben, deren Aufführung zu wünschen übriglasse. Doch hütete man sich, den König zu bitten, er möge nachgeborene Söhne aus großem Haus, deren Sitten und Glaubensschwäche sie für diese Aufgaben ungeeignet machten, nicht mehr mit |45|Bistümern betrauen. Hätte man es getan, wären einige der anwesenden Prälaten genötigt gewesen, sich in Zerknirschung zu üben, besonders mein Halbbruder, der Erzbischof von Reims, der mehr Zeit im Schoß von Charlotte des Essarts verbrachte als vorm Altar.

Und dann kam der große Augenblick: Man forderte die Abschaffung der Paulette. Sicher wird man sich erinnern, daß diese Maßnahme auf den Generalständen von 1614 der Gegenstand endloser Debatten gewesen war und daß Frau von Lichtenberg, der ich gesagt hatte, der Adel wolle den Tod der Paulette, mich erschrocken fragte: »Wer ist denn die Frau, und warum soll sie sterben?«

Gott sei Dank, war es keine Frau, sondern eine nach ihrem Erfinder Paulet benannte Steuer. All jene, die wie ich ein Amt oder eine Stelle gekauft hatten, mußten dem Schatz jährlich diese Paulette entrichten, die den sechzigsten Teil der Kaufsumme betrug. Ich bezahlte sie also auch, und das freute mich für meinen zukünftigen ältesten Sohn (derzeit noch in weiter Ferne), denn kraft ihrer würde ich, wenn es soweit wäre, der schrecklichen Vierzig-Tage-Regel entrinnen.

Nehmen Sie an, schöne Leserin, ich bin im Lauf der Zeiten so alt geworden, daß die Lampe nicht mehr Öl genug hat, um noch lange zu brennen. Gewiß kann ich dann von meiner Stelle als Erster königlicher Kammerherr zugunsten meines ältesten Sohnes zurücktreten, aber ich muß diesen Verzicht gemäß jener besagten makabren Regel um mindestens vierzig Tage überleben. Wenn nicht, wird die Abtretung ungültig, und mein Amt fällt zum großen Leidwesen und Verlust meines Sohnes zurück an die Krone.

Schöne Leserin, ich frage Sie: Welcher Mensch auf der Welt könnte jemals mit solcher Genauigkeit die Dauer seines Sterbens kalkulieren? Nun, dieser schrecklichen Bedrängnis hilft die Paulette ab. Sie setzt die Vierzig-Tage-Regel außer Kraft. Wenn Sie die Paulette gezahlt haben, können Sie Ihr Amt noch kurz vorm Tode abtreten, ohne daß Ihrem Sohn die Einkünfte Ihres Amtes entgehen.

Der Adel aber war sich im Haß auf die Paulette einig: Verglichen mit dem Dritten Stand nämlich verfügte der Adel über wenige Ämter, weil er weder das Geld hatte, sie zu kaufen, noch die Fähigkeiten, sie auszufüllen. Vor allem aber ermöglichte |46|die Paulette quasi eine Erbfolge der Ämter und schuf somit einen bürgerlichen Erbadel, der vermögender und auf die Dauer einflußreicher war als der Schwertadel.

Mit wieviel Wonne begrüßten darum die Adligen den Beschluß der – sämtlich mit Ämtern versehenen – Notabeln, sich auf dem Altar des öffentlichen Wohls zu opfern. Allerdings hätten sie diesen Schlaubergern besser mißtrauen sollen, die zwar kein Schwert handhaben konnten, aber mit dem Gehirn desto behender waren. Denn im selben Atemzug, in dem sie den Tod der Paulette beschlossen, wiesen sie darauf hin, daß deren Abschaffung dem Schatz einen jährlichen Verlust von 1500 000 Livres bescheren werde, ein Verlust, sagten sie, der durch keine Steuererhöhung auszugleichen sei. Im Klartext hieß das, weil man keine anderen Ressourcen hatte, um den Verlust der Paulette wettzumachen, war diese, wenngleich zum Tode verurteilt, genötigt weiterzuleben. Scheinheiliger ging es nicht.

Zum Abschluß, am 29. Januar 1618, wurden die Notabeln mit großem Pomp von Ludwig in seinem Schloß Madrid empfangen, das sich im Bois de Boulogne, unweit von Neuilly befand. Wie üblich dankte Ludwig ihnen allen für ihre Mühe und Arbeit und schickte sie nach Hause. Hierauf erließen die Graubärte ein Edikt mit den zweihundertdreiundvierzig Artikeln, auf die man sich geeinigt hatte, die Veröffentlichung aber ließen sie bleiben, und nie führten sie auch nur eine der Reformen aus, die sie selbst vorgeschlagen hatten. Entgegen ihrem Ruf, überaltert zu sein, hatten die Graubärte sich als Erneuerer und Staatsreformer erweisen wollen. Nachdem sie ihre guten Absichten bezeugt hatten, zogen sie sich in ihr Schneckenhaus und auf ihre Standesprivilegien zurück, ließen die Welt, wie sie war, und führten weiter die Geschäfte.

An diesem Punkt nun laß mich umkehren, Leser, und dir von Ludwigs Aufenthalt in Dieppe erzählen, nicht weil sich dort etwas von politischer Konsequenz zugetragen hätte, sondern weil diese Woche in meiner Erinnerung einen unbestimmbaren Zauber bewahrt, der vielleicht spürbar wird, wenn ich davon erzähle.

***

Es war nicht das erste Mal, daß Ludwig sich in unsere westlichen Provinzen begab, aber es war das erste Mal, daß er bis |47|Dieppe kam. Er traf um zwei Uhr nachmittags ein, und weil es dort keinen Bischofspalast gab, wurde er im Gasthaus Zum Wappenschild der Bretagne logiert, das mit der Rückseite gegen den Fischereihafen lag, sicherlich zum Schutz gegen Wetter und Wind. Aber Ludwig, der durch ein rückwärts schauendes Kabinettfenster das Meer gesehen hatte, lief die Treppe hinunter und ums Haus herum, daß seine Offiziere kaum folgen konnten: Er wollte den Hafen von nahem sehen. Er war begeistert, und während er langsam das Becken umschritt, hielt er bei jedem Schiff und stellte Fragen über Fragen nach Segeln und Takelage, die ihm nur die Fischer selbst hätten beantworten können, wenn sie nicht nur normannisches Platt gesprochen hätten. Ludwig ließ sich laut darüber aus, daß die meisten Kähne ziemlich unschön mit Planken verstärkt und ausgebessert waren, aber daß sie dafür alle frisch gestrichen waren, und in leuchtenden Farben. Nach einer Weile bemerkten die Fischer, die überall an Deck den nächtlichen Fischzug vorbereiteten, seine Anwesenheit und sein Interesse, und weil sie wußten, daß er im Wappenschild der Bretagne abgestiegen war und ihn als den erkannten, der er war, begrüßten sie ihn mit Beifall. Ludwig zog ernst seinen Hut vor ihnen, sagte aber kein Sterbenswort, was alle anderen, die zugegen waren, mit Bedauern erfüllte, denn sein Vater hätte an seiner Stelle bestimmt einen Dolmetsch gefunden, vielleicht die Wirtin, die gut Französisch sprach, und hätte mit den Fischern eines jener vergnüglichen, warmherzigen Gespräche geführt, die sein Geheimnis waren.

Als ich am nächsten Tag, dem neunundzwanzigsten November, sein Zimmer im Wappenschild betrat, traf ich nur Soupite und Berlinghen an, die mir sagten, Seine Majestät stehe seit über einer Stunde am Fenster des kleinen Kabinetts zum Meer hinaus und werde sich noch den Tod holen, denn durch die Fensterritzen blies ein scharfer Wind. Héroard mußte die gleichen Befürchtungen gehegt haben, denn er hatte ihm einen Mantel um die Schultern gelegt, ohne daß Ludwig es merkte.

Ich fand ihn dicht an der Fensterscheibe, wie er nach den Fischerbooten ausschaute, die eins nach dem anderen dem Land zustrebten, zurück vom nächtlichen Fang und die Segel gerefft, denn die Brandung ging hoch, und sie hatten große Mühe an der Einmündung der Arque, in den Hafen zu gelangen. Neben Ludwig stand ein Offizier der Stadtgarnison, den er |48|sich hatte kommen lassen, damit er ihm seine unzähligen Fragen beantworte. Von Zeit zu Zeit wischte Ludwig mit seinem Ärmel den Atemhauch von der Scheibe und schaute und schaute, bis der Offizier ihm versicherte, daß nun alle Boote heil zurückgekehrt seien, trotz des von Minute zu Minute höher gehenden Meeres.

Nach der Messe besichtigte er das Schloß und die Zitadelle und nahm erst um halb zwei sein Mittagsmahl ein. Aber sowie er gegessen hatte, stieg er zu Pferde und galoppierte zum Pollet am rechten Ufer der Arque. Während wir ihm folgten so schnell wir konnten, glaubten wir wegen seiner Versessenheit auf alles Militärische (der Leser erinnert sich sicher, wie er als Kind in Plessis-lès-Tours tagelang an einer Festung aus Lehm baute), er wolle zum Fort Lunes hinauf, das den Pollet überragt. In dem Tal aber gab es einen ganz anderen Magneten: das Meer! Ein stürmisches Meer, das in riesigen Wogen anbrandete und den Gischt hochauf und weit ins Land stäubte. Ludwig stieg vom Pferd und kletterte auf die Felsen, an denen die Flut sich brach. Er sprang hin und her, um den Wogen auszuweichen, die, wenn sie gegen das Hindernis stießen, in wilden Garben zum Himmel aufschossen und vor uns niederschlugen. Und dann geschah, worauf er es wahrscheinlich abgesehen hatte, eine überraschte ihn, er war von Kopf bis Fuß durchnäßt, lachte schallend und machte sogleich ein Spiel daraus, indem er jeden seines Gefolges, den er erwischen konnte, unter die Brecher schubste. Es ging auf fünf Uhr, als er, unseren dringenden Bitten gehorchend, dieses Vergnügen beendete und einwilligte, in den Gasthof zurückzukehren, wo er vor einem großen Feuer aus den Stiefeln befreit und getrocknet wurde und mit Heißhunger sein Souper verzehrte. Um neun Uhr ging er zu Bett, und zwar so glücklich, daß er, was höchst selten vorkam, in einem Zug bis zehn Uhr morgens schlief.

Am dreißigsten November, einen Tag vor unserer Abreise, als die gute Wirtin mir mein Frühstück ans Bett brachte, bemerkte ich, daß sie sich mit einer Bitte trug, die sie nicht auszusprechen wagte. Sie war ganz anders als die Wirtin Zu den zwei Tauben, aber nicht weniger reizend, wenn auch von größerem Umfang. Obwohl ihre Herberge Zum Wappenschild der Bretagne hieß, behauptete die Dame steif und fest, sie sei Normannin, und wenn man sie ansah, konnte man an ihren Wikingervorfahren |49|nicht zweifeln, so groß, blond und kräftig war sie, mit Brüsten wie die Buckelschilde an den Drakkars.

Als ich sie ermutigte, ihr Anliegen frei heraus zu sagen, gestand sie mir, daß ihr Vater sie als junges Mädchen einmal Henri Quatre vorgestellt hatte, als der ihnen die Ehre erwies, in ihrem Gasthof Quartier zu nehmen, und daß der gute König Henri sie bei der Abreise auf beide Wangen geküßt hatte. Seitdem war es jedwedem, sogar ihrem Ehemann, verboten, sie dorthin zu küssen.

Hier hielt sie inne, und ich mußte sie sehr drängen, bis sie endlich herausrückte mit ihrem Wunsch, ich möchte sie Ludwig vor seinem Aufbruch vorstellen.

»Aber, meine Liebe, es ist nicht meine Sache, Euch Seiner Majestät vorzustellen. Das obliegt Monsieur de Bonneuil.«

»Und wo ist dieser Monsieur de Bonneuil?«

»In Rouen.«

»In Rouen!« sagte sie enttäuscht. »Aber«, fuhr sie fort, »könntet Ihr denn nicht, Herr Chevalier …«

»Das geht nicht: Ich würde aus meiner Rolle fallen.«

»Und Seine Majestät würde mit Euch schimpfen?«

»Meine Liebe, er braucht nichts zu sagen. Ein Blick genügt.«

»Jesus! Ist sein Blick so furchtbar?«

»Manchmal, ja.«

»Heilige Jungfrau! Gibt es unter den Herrschaften denn keinen, der sich getrauen könnte, mich vorzustellen?«

»Doch«, sagte ich nach kurzem Schweigen, »es gibt einen, oder vielmehr eine.«

»Wen denn?«

»Mathurine.«

»Mathurine!« schrie die Wirtin, die Hand am Herzen, und ihre Augen quollen aus den Höhlen, ihre Lippen zitterten.

Die Hand war groß, das Herz aber auch, und es dauerte ein Weilchen, bis sie zu Atem kam.

»Mathurine!« sagte sie entrüstet, »die Zwergin! Eine Ausgeburt des Teufels!«

»Woher wollt Ihr das wissen, Gevatterin?« fragte ich mit gerunzelter Stirn. »Zwerge sind vielmehr Geschöpfe Gottes, die Er besonders liebt! Denn Er hat sie so klein nur gemacht, damit sie leichter durch die enge Pforte zu seinem Paradies kommen.«

|50|»Stimmt das?«

»Das dürft Ihr mir glauben«, sagte ich, ohne mir meiner Theologie ganz sicher zu sein, denn Mathurine war ein Erzschalk und spielte jedem gern Streiche.

Doch ihr Herz war ohne Arg, und das bewies sie erneut, als sie die Wirtin an der Hand nahm und zum König führte, der, schon gestiefelt und reisefertig, beim Mittagessen saß.

»Ludwig«, sagte Mathurine, »jetzt werd ich dir mal diese Bohnenstange von Wirtin vorstellen, sie hat in ihrer Jugend deinen königlichen Vater gekannt, und er hat sie auf beide Backen geküßt.«

Ludwig schaute von seinem Teller auf, betrachtete die Wirtin, die vor ihm niedergekniet war, und zog ernst seinen Hut, aber ohne den leisesten Ton zu sagen.

Die Wirtin war ganz verdattert, aber sie raffte ihren Mut zusammen und rief mit einer Naivität, daß alles in der Runde lächelte: »Sire, einst hab ich Euren Vater geküßt, aber ich seh schon, daß man Euch nicht küssen kann.«

Dann setzte sie hinzu: »Trotzdem, Sire, ich wünsche Euch Gottes Segen und ein gutes, langes Leben.«

Und mit einem tiefen Kniefall ging sie davon. Nach dem Essen kam sie in mein Zimmer, und als ich sah, daß ihr die Sache schwer nachging, sagte ich: »Meine Liebe, königliche Küsse habe ich nicht zu vergeben, aber wenn du willst?«

Da brach sie in Tränen aus, und als sie ihre Wangen getrocknet hatte, sagte sie in vertraulichem Ton: »Mein Gott, so jung noch und so ernst! Gewiß kann ich mir denken, daß sein großes Reich ihm allerhand an den Nägeln zu kauen gibt. Aber wahr und wahrhaftig, er ist nicht, wie sein Vater war: So leicht mit Scherzen und mit Küssen!«