Am nächsten Morgen frühstückten wir beizeiten, leider ohne Madame de Brézolles, die uns durch Monsieur de Vignevieille ausrichten ließ, sie sei noch zu müde von einer schlaflosen Nacht. In Wahrheit, glaube ich, wollte sie sich vor vier Edelmännern nicht zeigen, ohne zuerst entzückend geputzt, geschminkt und frisiert zu sein.
Nicht bei allen traf die »schlaflose Nacht« auf taube Ohren, so wie bei Nicolas, der still und stumm blieb, als wisse er von nichts. Mein Vater blinzelte mich an, öffnete den Mund, schloß ihn aber gleich wieder, und in den Mundwinkeln von Miroul1 glomm ein Schmunzeln.
Es war mir eine Freude, meinen Vater trotz der langen Reise so lebhaft und munter zu sehen. Mit welchem Heißhunger biß er in die Brotschnitten, die ihm Margot, auf einem Schemel neben ihm, mit frischer Butter bestrich. An ihr waren die Jahre spurlos vorübergegangen. Ihr Gesicht war noch genauso frisch und schön wie an jenem Wintertag, als sie in ihrer Not versucht hatte, uns Holzscheite zu stehlen – ein gesegneter Diebeszug, denn seitdem erleuchteten ihre goldenen Haare das Leben meines Vaters.
Bei Regen und Wind trabten wir gemeinsam durch den Morast nach Aytré, wo mein Vater sich dem König vorstellte und sehr gnädig empfangen wurde, ebenso La Surie, wenn auch kürzer, weil die Aufmerksamkeit Seiner Majestät von den Offizieren des Heerlagers beansprucht wurde.
Außerhalb der Balustraden konnte mein Vater seinen lieben alten Freund Fogacer umarmen, mit dem er einst gemeinsam an der Ecole de Médecine zu Montpellier studiert hatte. Und weil unser Domherr ja immer alles wußte, erfuhren wir von ihm, daß Toiras, wenn auch noch unverändert Feldkommandeur unter Bassompierre, gestern nach Chef de Baie versetzt |70|worden war und daß in Coureille nun der Herzog von Angoulême und Schomberg den Befehl führten.
Wir mußten also, nachdem wir den dröhnenden Du Hallier um Passierscheine für meinen Vater und La Surie ersucht hatten, den endlosen Weg von Aytré nach Coureille zurücklegen, um Herrn von Schomberg aufzusuchen, den wir in dem behaglichen kleinen Haus fanden, das Toiras soeben verlassen hatte.
Ich hatte mir Herrn von Schomberg für meine erste Unterhandlung auserkoren, weil er sicherlich nicht vergessen hatte, welchen Dienst ich ihm einmal erwies, als er infolge einer Verleumdung bei Ludwig in Ungnade gefallen war. Er wußte genau, daß ich, als ich mich bei Seiner Majestät für ihn einsetzte, Gefahr lief, selbst »tronçonniert« zu werden, denn Ludwig hielt eifersüchtig auf seine Macht und duldete keinen Widerspruch.
Schöne Leserin, ich möchte, daß Sie Schomberg näher kennenlernen, und sei es nur, weil er urbi et orbi als Musterbeispiel der ehelichen Treue galt: eine von allen bewunderte Tugend, die aber wenige pflegen, vor allem am Hof.
Vor neunundzwanzig Jahren hatte er die schöne Françoise d’Epiant geheiratet, und er liebte sie noch wie am ersten Tag. Er war jetzt zweiundfünfzig, aber ihn deshalb alt zu nennen wäre höchst unpassend gewesen. Er war groß, hatte breite Schultern, blaue Augen im kantigen Gesicht und nicht die Spur von einem Schmerbauch. Gewiß waren seine Züge nicht so fein ziseliert wie die von Lord Duke of Buckingham, dafür waren sie männlicher, und so manche Schöne am Hof hätte sich gern an seiner rauhen Schale gerieben. Aber Schomberg sah und merkte von den Sammetpfoten und verstohlenen Blicken nichts. Er liebte seine Frau und fürchtete Gott.
Gottesfürchtig war er, aber niemals im politischen Sinn, ohne jede Neigung zu den Ultramontanen, für die der Papst über Königen und Kaisern steht und über ihre Bündnisse zu gebieten hat: eine Ansicht, die Ludwig mit solcher Schärfe bekämpfte, daß er seinen Bischöfen eines Tages vorwarf, sie seien »keine echten Franzosen«.
Franzose war Schomberg, weil er in Frankreich lebte, aber nicht vom Blut her, er entstammte altem sächsischen Adel. Von seinem Vater, Oberst der Deutschen Reiterei unter Karl IX., hatte er nicht nur deutsche Tugenden wie Verläßlichkeit und |71|Treue geerbt, sondern auch das Gouvernement Marche und den Oberbefehl der deutschen Truppen in Frankreich. Am Hof hieß es, nie würde der König jemand anderen zum Kammerdiener nehmen als einen Berlinghen und nie in seinem Heer auf einen Schomberg verzichten. Nachdem Ludwig ihn der Ungnade enthoben hatte, war Schomberg glücklich aus seiner Verbannung zurückgekehrt, ohne seinem Gebieter etwas nachzutragen. Im Gegenteil. Der König hatte ihm Gerechtigkeit erwiesen: Er liebte ihn dafür noch mehr und diente ihm aufs beste. Und Ludwig ernannte ihn in Anerkennung seiner Tapferkeit, Erfahrung, Redlichkeit und Treue im Jahr 1625 zum Marschall von Frankreich, und es war für Schomberg ein großer Tag, als der König ihn aus diesem Anlaß im Louvre empfing und protokollgemäß mit »mein Cousin« anredete.
Wir ließen uns durch den Wachhabenden melden, und nach herzlichen Begrüßungen lud Schomberg uns alle zu Tisch. Es war das erstemal, daß Schomberg meinem Vater begegnete. Er zeigte sich von ihm tief beeindruckt, nicht nur, weil der Marquis de Siorac zwanzig Jahre älter war als er, sondern vor allem, weil er, der nie mehr bei Hofe erschien, eine Art Legende darstellte, denn es war allbekannt, welche gefährlichen Missionen er unter Heinrich III. und Henri Quatre erfüllt hatte und daß er nach Giacomis Tod als einziger in Frankreich die berühmte Jarnac-Finte beherrschte. Bis er sie eines Tages mir beibrachte, auf daß es die Haudegen des Hofes gar nicht erst gelüste, sich zur Vergrößerung ihres Ruhms mit mir anzulegen. Ein großartiger Dienst, den er mir damit erwies, denn so wenig diesen Schlagetots ein Menschenleben auch galt, fürchteten sie doch jene berüchtigte Finte, die zwar nicht tötet, die einem aber die Kniekehle durchtrennt und einen damit fürs Leben verstümmelt. Und wie, zum Teufel, imponiert man den Schönen des Hofes auf einem Bein? Oder mit einer Krücke unterm Arm?
»Herr Marschall«, sagte ich zwischen Birnen und Käse, »sosehr ich mich auch freue, Euch wiederzusehen, komme ich jetzt doch im Auftrag des Königs zu Euch, den der Zwist zwischen Euch und dem Herzog von Angoulême außerordentlich beunruhigt. Er wünscht, daß wir gemeinsam einen Weg finden, diesen zu schlichten. Wollen wir darüber unter vier Augen reden oder in Gegenwart dieser Herren?«
|72|»Wozu unter vier Augen?« entgegnete Schomberg störrisch. »Meine Ansicht ist jedem im Lager bekannt. Ludwig hatte den Herzog von Angoulême zum Oberbefehlshaber der Truppen von La Rochelle ernannt, wie Ihr wißt, weil ihn, kurz bevor er zur Belagerung der Stadt aufbrechen wollte, eine schwere Krankheit niederwarf. Er brauchte einen Prinzen von Geblüt als Stellvertreter, um der Welt deutlich zu machen, wie wichtig ihm dieser Feldzug war. Und weil er die Hugenotten seinem Thron eines Tages zurückzugewinnen hofft, entschied er sich gegen Prinz von Condé, weil der Prinz seit dem abscheulichen Massaker von Nègrepelisse als wütender Protestantenfeind verschrien ist. Seit aber Seine Majestät genesen im Feldlager eintraf, führt Sie und niemand anders den Oberbefehl der Truppen, und Angoulême kann nicht verlangen, daß ich als Marschall von Frankreich mich ihm weiterhin unterordne. Ich bin nur dem König verpflichtet.«
Hierauf gab es nichts zu erwidern, und ich fragte mich, wie ich das festgefahrene Gespräch fortsetzen sollte, als mein Vater, nachdem er mich mit den Augen befragt hatte, das Wort ergriff.
»Herr Marschall«, sagte er, »erlaubt Ihr, daß ich mich in diese Diskussion einmische?«
»Monsieur de Siorac«, sagte Schomberg, indem er sich ehrerbietig verneigte, »Eurem Spruch lausche ich gern, wie immer er ausfalle. Eure Erfahrung und Weisheit sind mir bekannt.«
»Er wird Euch gefallen, Herr Marschall, denn ich gebe Euch von A bis Z Recht. Jedoch …«
»Jedoch?« fragte Schomberg.
»Der König will weder auf Euch verzichten noch auf Monsieur de Bassompierre, noch auf den Herzog von Angoulême. Er braucht Euch alle drei. Und Ihr könnt notgedrungen nicht anders, als Euch zu bemühen, ihn auf die eine oder andere Weise zufriedenzustellen.«
»Ja, aber wie?« sagte Schomberg, und aus seinem mannhaften Gesicht sprachen zugleich Pflichttreue und die Ratlosigkeit, wie ihr zu genügen wäre.
Ich nützte den Moment, die Würfel von meinem Vater zu übernehmen.
»Herr Marschall, es gibt keine Wahl. Wir müssen einen Kompromiß finden.«
|73|»Einen Kompromiß!« rief Schomberg und hob die Arme. »Das Vergnügen kenne ich! Jedesmal, wenn ich im Leben einem Kompromiß zugestimmt habe, hatte ich das Nachsehen.«
»Das muß nicht so bleiben, Herr Marschall«, sagte ich lächelnd. »Darf ich einen Vorschlag machen? Nehmen wir, mit Verlaub, einmal an, der König würde den Herzog und Euch völlig gleichstellen und sagen, jeder von Euch solle die Armee von Coureille abwechselnd befehligen.«
»Darüber ließe sich nachdenken«, sagte Schomberg. »Trotzdem bliebe der Herzog bei dieser Hypothese weiterhin Oberbefehlshaber.«
»Zugegeben. Es wäre ja auch unziemlich, ihm diesen Titel zu entziehen, nur würde der Titel in dem Fall zur leeren Hülse. Da jetzt der König zugegen ist, führt de facto er das Kommando.«
»Und wie«, fragte Schomberg, »sollte bei Eurer Hypothese die abwechselnde Befehlsführung aussehen?«
»Einen Tag er, einen Tag Ihr.«
»Oho!« sagte Schomberg, »das ist vom Standpunkt der Strategie aber höchst bedenklich.«
»Ihr habt völlig recht, Herr Marschall«, sprang mein Vater mir bei. »In einem Bewegungskrieg wären zwei verschiedene Kommandeure ein Desaster, wenn der eine hü sagte und der andere hott. Aber bei einer Belagerung, wo die Grundposition ja die gleiche bleibt, wird ein Befehlswechsel die Kriegführung kaum beeinträchtigen.«
Ich hätte ahnen können, daß mein Vater, als er dem Marschall zum zweitenmal recht gab, dies nur tat, um ihm anschließend nachzuweisen, daß er im vorliegenden Fall unrecht hatte. Und wirklich gelang es der feinfühligen Gewandtheit meines Vaters, Schomberg zu überzeugen.
»Tatsächlich!« sagte er, »das läßt sich nicht bestreiten.«
Doch auf einmal sah er mich mißtrauisch an.
»Graf«, sagte er, »habt Ihr dieses Arrangement schon dem Herzog von Angoulême vorgeschlagen?«
»Keineswegs«, sagte ich. »Ihr seid der erste. Wenn Ihr es gutheißt, trage ich es dem König vor, und wenn er es billigt, übermittle ich seine Befehle dem Herzog von Angoulême.«
***
|74|Der König stimmte unserer Vereinbarung sofort zu, doch ohne Richelieu davon zu unterrichten. Seine Majestät leistete sich hier und da das Vergnügen, ihm geringfügigere Entscheidungen vorzuenthalten, wichtige allerdings nie. Diese Geheimniskrämerei brachte mich in eine heikle Lage gegenüber dem Kardinal, schließlich hatte er mir den Auftrag im einzelnen erläutert. Und so raunte ich das Ergebnis noch am selben Tag Charpentier ins Ohr, der es Richelieu weitersagte, und als der König am folgenden Tag darauf zu sprechen kam, tat der Kardinal, als wisse er von nichts.
Ich konnte über diese kleinen Tücken nur schmunzeln. Sie erinnerten mich daran, wie alte Paare, obwohl in ungebrochener Treue verbunden, sich hin und wieder den Spaß machen, vor dem anderen ihre kleinen Geheimnisse zu haben.
Nachdem der König mich entlassen hatte, galt es also, dem Herzog von Angoulême natürlich nicht seine »Befehle« zu übermitteln, sondern seine Bitte zu unterbreiten.
Vielleicht sollte ich Sie hier daran erinnern, schöne Leserin, daß der Herzog, der beim Tod seines Vaters, Karls IX., erst ein Jahr alt gewesen war, mit großer Sorgfalt und Liebe von seinem Onkel, Heinrich III., erzogen wurde und dessen Liebe hundertfach erwiderte. Und als das Messer des Mönchs Clément Heinrich auf den Tod verwundete, litt der sechzehnjährige Großprior, wie Angoulême damals genannt wurde, unendlichen Schmerz und stürzte, als der König verschied, längelang wie leblos zu Boden. Mein Vater trug ihn mit Hilfe von Bellegarde zu seinem Lager und hatte große Mühe, ihn aus seiner tiefen Ohnmacht zu erwecken. Dem Leben endlich wiedergegeben, entsann sich der Jüngling auch seines Schmerzes und seiner Verzweiflung wieder. Er habe nicht nur den besten Vater verloren, klagte er, sondern auch seinen einzigen Beschützer am Hof, so daß er nicht aus noch ein wisse. Mein Vater stand ihm damals mit seiner Fürsorge und seinem Trost zur Seite, pries ihm den König von Navarra, den der sterbende Heinrich III. ja als seinen Nachfolger anerkannt hatte, und riet dem jungen Mann, sich diesem anzuschließen, auch wenn so viele hohe Herren, Epernon an der Spitze, den feierlichen Eid brachen, den sie dem sterbenden Herrscher soeben geleistet hatten, und den König von Navarra mit ihren Truppen schamlos im Stich ließen, so daß diesem nur das Skelett eines Heeres verblieb.
|75|Der Großprior befolgte den Rat meines Vaters, unterwarf sich Henri Quatre und kämpfte an seiner Seite. Danach verlief seine Geschichte, wie bereits gesagt, weniger glücklich, denn der Graf von Auvergne – zu dem Henri Quatre den Großprior ernannt hatte – hatte zwölf öde Jahre in der Bastille zu verbüßen, bevor er wieder mit einem Degen zur Seite im Sattel saß und sich den Wind ins Gesicht wehen ließ.
Als wir das Quartier des Herzogs von Angoulême betraten, sahen wir ihn zunächst nur von ferne, wie er im Kreis seiner Offiziere stand und mit ihnen sprach, aber nicht im Befehlston, sondern vielmehr, als erteile er freundschaftliche Ratschläge.
Der Herzog war mittelgroß und sehr wohlgestalt. Sein Antlitz glich, Gott sei Dank, nicht dem harten und starrsinnigen seines Vaters Karl IX., vielmehr ähnelte es dem seiner Mutter, der rührenden, sanftmütigen Marie Touchet, die man nur anzusehen brauchte, um ihr gut zu sein, so sehr schien sie erfüllt von Menschenliebe.
Indes paarte sich dieser gutmütige Ausdruck bei Angoulême durchaus mit Entschlossenheit, und so leutselig er jedermann auch begegnete, lag doch in seinen Augen ein gewisser Dünkel, der anzeigte, daß er um seinen Rang wußte und nicht der Mann war, sich dreinreden zu lassen.
Was mich aber am meisten erstaunte, das war die Jugendlichkeit, die der über fünfzigjährige Prinz ausstrahlte. »Man möchte fast meinen«, sagte La Surie auf dem Rückweg, »daß ihn die Jahre in der Bastille so jung erhalten haben! Liebe Zeit, außer dem bißchen Grau an den Schläfen und ein paar Fältchen um die Augen verrät nichts sein Alter!«
Angoulême war mit dem Marquis de Siorac damals in Saint-Cloud, während der Feldzüge Henri Quatres, und dann in Paris, bevor er gefangengesetzt wurde, gut vertraut gewesen. Als dieser seinen Kerker jedoch endlich verließ, lebte mein Vater längst vom Hof zurückgezogen in seinem Stadthaus in der Rue du Champ Fleuri oder auf seinem Gut Chêne Rogneux in Montfort l’Amaury. Als Angoulême ihn nach so langen Jahren nun erblickte, schrie er auf vor Freude, schloß ihn wortlos in die Arme und netzte seine Wangen mit Tränen. Bei dieser Szene erstarrten die etwa zehn anwesenden Edelleute vor Staunen, zumal keiner unter ihnen so alt war, daß er meinen Vater hätte erkennen können.
|76|»Ach, Siorac!« sagte Angoulême schließlich, »welche glücklichen und unglücklichen Erinnerungen Ihr in mir weckt! Aber wie dankbar bin ich Euch bis heute für alles, was Ihr in Saint-Cloud für mich getan habt!«
Saint-Cloud zu berufen hieß leider auch, der Ermordung Heinrichs III. durch den ruchlosen Clément zu gedenken, was wiederum meinen Vater so tief bewegte, daß ihm die Augen übergingen. Denn sosehr er Henri Quatre geschätzt, geliebt und bewundert hatte, war er seinem Vorgänger doch unendlich viel inniger verbunden gewesen, wie es das liebevolle Porträt dieses von der Nachwelt so schimpflich abgetanen Königs in seinen Memoiren beweist.
Doch muß es Angoulême wohl peinlich gewesen sein, daß er sich vor seinen Offizieren zu Tränen hinreißen ließ, denn er schickte sie mit knappen, wenngleich freundlichen Worten hinaus, worauf er sich mir zuwandte, der ich ihn ehrerbietig grüßte.
»Und das ist ohne Zweifel der Graf von Orbieu!« sagte er. »Ein frappierendes Ebenbild seines Vaters, nur zu selten am Hof zu sehen, weil er immer unterwegs ist im Dienst des Königs, um Kabalen aufzudecken oder Freundschaften zu retten. Nun, Graf«, fuhr er fort, nachdem er dem Chevalier de La Surie ein Kopfnicken und ein Lächeln geschenkt hatte, »was führt Euch zu mir, was für eine Botschaft bringt Ihr mir und von wem?«
»Natürlich vom König, Monseigneur, und die Botschaft ist eine Bitte.«
»Oh, eine Bitte!« rief Angoulême lächelnd aus. »Fest steht ja wohl, daß man dem König eine Bitte schwerlich abschlagen kann, und also kommen seine ›Bitten‹ doch immer Befehlen gleich.«
»Trotzdem«, sagte ich, »ist ein königlicher Befehl an einen Prinzen von Geblüt der Anpassung zugänglich.«
»Und Ihr, Graf, seid hier, um diese Anpassung vorzunehmen? Alsdann, laßt hören«, sagte Angoulême gutmütig. »Ihr findet in mir einen bereitwilligen Gesprächspartner, sofern mir das Entscheidende unangetastet bleibt.«
Ich trug ihm vor, wie der abwechselnde Befehl zwischen Schomberg und ihm geregelt werden solle, ohne allerdings zu erwähnen, daß diese Machtteilung meine Idee gewesen war und daß der König sie nur nachträglich gebilligt hatte.
Eine Weile sann Angoulême still, dann hob er den Kopf.
|77|»Warum nicht?« sagte er. »Da es sich um eine Belagerung handelt, kann die Sache keinen großen Schaden anrichten. Und mit Schomberg läßt sich auskommen. Er ist ein guter Soldat. Zwar sind seine Manieren ein bißchen schroff, aber nicht unerträglich. Offen ist nur das Entscheidende.«
»Und was ist das, Monseigneur?«
»Behalte ich meinen Titel als Oberbefehlshaber der Truppen?«
»Der König hat sich dazu nicht ausdrücklich erklärt, aber ich halte es für selbstverständlich.«
»Mir wäre es lieber, wenn Seine Majestät sich gnädigst erklären wollte.«
»Ich werde Seine Majestät bitten, sich hierüber auszusprechen.«
»Wenn das in dem von mir erhofften Sinn geschieht, möchte ich, daß mir auch die entsprechenden Bezüge verbleiben.«
»Auch das, Monseigneur, erscheint mir berechtigt, ich werde den König auch hierzu um Präzisierung bitten.«
Im stillen sagte ich mir, daß der Herzog für einen »bereitwilligen Partner« seine Interessen doch sehr genau im Auge hatte. In seinen grünen Jahren durch die außerordentliche Großzügigkeit Heinrichs III. verwöhnt, war er der größte Verschwender der Schöpfung geworden. Wie mir mein Vater erzählte, gab der Großprior in Saint-Cloud, am Tag vor der Ermordung seines Onkels, ein Souper für nicht weniger als vierzig Edelleute. Als Heinrich III. mit Biron am Saal des Gelages vorüberkam, sagte er lachend: »Da seht Ihr, Herr Marschall, wie der Großprior mein Hab und Gut verfrißt!«
Angoulême stand im Begriff, zur Parade der Truppen von Coureille aufzubrechen, wollte uns aber nicht verlassen, ohne uns mit einer Flasche Burgunder zu erquicken.
Er selbst trank nacheinander zwei Becher, doch sein Gemüt erheiterte sich nicht, wie es das lateinische Sprichwort behauptet, es verdüsterte sich. Als mein Vater sagte, daß er nicht lange bleiben, sondern in Kürze nach Nantes weiterreisen würde, um seine anderen beiden Söhne, Pierre und Olivier, zu besuchen, die dort Reeder und Handelskapitäne waren, seufzte er.
»Ach, mein lieber Siorac«, sagte er, »wenn Ihr wüßtet, wie gern ich an Eurer Stelle wäre! Ihr glaubt gar nicht, wie ich diese Belagerung leid bin. Es ist wahrlich kein Vergnügen bei |78|dem ewigen Regen, den Stürmen und eisigen Winden an dieser unwirtlichen Küste hier. Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein langweiligeres Leben geführt zu haben!«
Mein Vater sah, wie La Suries Lippen sich verzogen, und wollte einer kleinen Impertinenz aus seinem Munde vorbeugen.
»Langweilig, Monseigneur!« sagte er darum. »Und die Bastille?«
»Oh, im Vergleich zu dem hier war die Bastille ein Paradies! Ich hatte eine ziemlich große Zelle, meine eigenen Möbel, ein Himmelbett, einen Kamin, einen Diener, der alles instand hielt, und einen Koch für mich allein. Und wenn mein Fenster auch vergittert war, konnte ich doch den Kopf hinausstecken und das ganze schöne Paris überschauen, vom Saint-Jacques-Tor bis zum Tor Saint-Martin, und mittendrin die Seine mit ihren Inseln, mit Notre-Dame de Paris, dann, weiter weg, die Türme des Louvre und am anderen Ufer der hohe Turm des Hôtel de Nesle, und wenn ich mich ein wenig vorbeugte, sah ich zu meinen Füßen das Pariser Volk wimmeln wie geschäftige Ameisen.«
»Aber es muß Euch doch an Beschäftigungen gemangelt haben?« sagte ich.
»Überhaupt nicht! Ich hatte Bücher und las. Mit dem Gefreiten und den Wachen würfelte ich und spielte Karten. Ich focht mit dem Waffenmeister des Gouverneurs, der mich oft zu Tisch lud und dazu seine Musikanten aufspielen ließ. Ich ging auf den Wällen spazieren, und – das sei nicht vergessen – ich erhielt Besuche.«
»Waren denn Besuche erlaubt?« fragte ich verwundert.
»Ja, aber nur in meiner Zelle und nur weibliche. Man befürchtete, daß Edelmänner mich zu erneuten Kabalen verleiten könnten.«
»Hattet Ihr viele Besucherinnen?«
»Ich hätte jeden Tag eine empfangen können, wenn ich gewollt hätte: Das weibliche Geschlecht ist äußerst mitfühlend! Ich sehe, Ihr lächelt, mein Freund. Nein, nein, Ihr täuscht Euch, die meisten dieser Besuche waren ganz unschuldig, reine Mildtätigkeit. Man brachte mir Süßigkeiten, Marzipan, Honig, sogar Spielzeug, weil man anscheinend meinte, ich sei wieder zum Kind geworden. Nur einige wenige überschritten, wie es der heilige Augustinus so hübsch ausdrückt, »die leuchtende Schwelle der Freundschaft«. Aber sollte ich, der ich ihrer Hingabe |79|so viel Glück verdankte, sie dafür verdammen? Im Gegenteil. Wäre ich nicht ihr Liebhaber, sondern ihr Beichtiger gewesen, hätte ich ihnen, glaube ich, die größte Milde bezeigt. Was gibt es Romantischeres als eine Zelle in diesem hohen Adlerhorst, einen halben Klafter dicke Mauern, vergitterte Fenster, eine schwere Eichentür, eisengepanzert, mit riesigen Schlössern, und dann dieses während der Besuchszeit so höflich geschlossene Guckloch? Wie sollte eine Besucherin sich nicht wunderbar sicher fühlen an einem so abgeschlossenen und unerreichbaren Ort, geschützt vor dem grimmigen Gattenblick oder perfidem Hofklatsch?«
»Trotzdem mußten die Damen«, sagte mein Vater, »die Bastille ja einmal verlassen. War das nicht gefährlich?«
»Ach, bewahre. Sie gingen so anonym, wie sie gekommen waren. Dafür bürgten Mietkutsche und Maske.«
Und der Herzog von Angoulême schwieg heiter versonnen.
»Monseigneur«, sagte mein Vater lächelnd, »wenn man Euch so hört, scheint Ihr Eurer Jahre in der Bastille nicht ohne Vergnügen zu gedenken?«
»Das macht die Zeit«, sagte Angoulême und seufzte. »Lang waren die Jahre, als ich sie erlebte, kurz sind sie, wenn ich dran denke, weil ich nur das Beste davon bewahre. Aber das Geheimnis meiner Erinnerung ist: Ich war jung! Um die Dreißig damals.«
Hier schüttelte sich der Herzog, als erwache er aus einem Traum, warf einen Blick auf seine Uhr, die er aus dem Wamsärmel zog, und sprang auf.
»Liebe Freunde, vergebt, ich muß Euch schleunigst verlassen. Die Truppen erwarten mich. Das fehlte noch, daß Herr von Schomberg mich der Unpünktlichkeit zeihen könnte. Adieu, meine Freunde! Wenn es Euch beliebt, sähe ich Euch gern bald bei mir zu Tisch.«
Als wir den langen, verschlammten Weg durch das unglaubliche Gewimmel des Feldlagers zurück nach Aytré ritten, um den König aufzusuchen, trieb La Surie sein Pferd an meine Seite.
»Herr Graf«, sagte er, »fast möchte ich mir wünschen, eines Tages selbst in der Bastille zu landen.«
»Chevalier«, sagte ich lachend, »in der Bastille hält man nur das Kostbarste verschlossen: das Gold des Reiches und hohe Persönlichkeiten. Wir beide wären dort nicht zugelassen, aber |80|das brauchst du nicht zu bedauern, Miroul. Daß der galante Henri Quatre seinen Gefangenen Damenbesuche erlaubte, heißt nicht, daß es unter Ludwig XIII. und Richelieu genauso ist: Für Schwächen, die sie nicht haben, kennen sie kein Erbarmen.«
***
Ludwig ließ Angoulême umgehend durch einen königlichen Kurier bestätigen, daß er seinen Titel als Oberbefehlshaber der Truppen ebenso behalte wie die damit verbundenen Bezüge, und so stand in Coureille, am südlichen Kliff der Bucht, denn alles zum besten. Blieb das Problem im Norden, in Chef de Baie, wo Bassompierre befehligte, und Bassompierre war aus sehr anderem Holz geschnitzt als der Herzog.
Ich war zwölf, als ich zum erstenmal von Bassompierre hörte, aber nicht durch meinen Vater, sondern durch eine Soubrette, die ihm gedient hatte, bevor sie in meine Dienste trat. Der Leser wird sich entsinnen, daß sie Toinon hieß und daß sie mich ins Paradies der Liebe einführte, und immer, wenn ihr hübsches, offenes Gesicht in meiner Erinnerung auftaucht, schneidet es mir wieder ins Herz.
Wie ich nun Toinon einmal fragte, ob sie das elegante Haus Bassompierres nicht vermisse, sagte sie nein, denn dort, wo immer Spiel und Lachen geherrscht hätten, sei man so wenig zum Schlafen gekommen, daß sie oft todmüde gewesen sei, und sie sei nun einmal eine Schlafmütze.
»Trotzdem«, fügte sie hinzu, »Monsieur de Bassompierre und seine Freunde (unter denen sie – welch Zufall! – auch den Grafen von Auvergne1 nannte) sind wirklich sehr liebenswürdig und dazu so schön und wohlerzogen, darüber geht’s nicht.«
Ich wiederholte meinem Vater ihre Worte, und er lachte herzlich über den Ausdruck »darüber geht’s nicht«. Dann setzte er, um den Eindruck zu korrigieren, den Toinon mir von Bassompierre gegeben hatte, hinzu: »Hütet Euch, mein Sohn, dem Anschein zu glauben. Bassompierre ist in der Tat ein großer Galan, aber er ist auch der höchstgebildete Edelmann am Hof. Er kann Griechisch und Latein, er spricht vier Fremdsprachen. Seine Bibliothek ist eine der bestbestellten in Frankreich. |81|Und Ihr dürft versichert sein, daß die Bücher nicht nur zum Vorzeigen da sind. Er hat sie gelesen. Kurzum, er kennt sich auf allen Gebieten aus und hat eine so rasche Auffassungsgabe, daß er, mit ein wenig Studium, in jedem Bereich glänzen könnte, den der König ihm anvertrauen würde.«
»Toinon hat gesagt, er sei Deutscher«, fuhr ich fort.
»Ein halber«, sagte mein Vater. »Seine Mutter ist Französin, die Nichte des Marschalls von Brissac. Sein Vater, der aus Lothringen stammte, hieß Betstein, und als er nach dessen Tod Henri Quatre vorgestellt und als Franzose anerkannt wurde, übersetzte er seinen Namen Betstein in Bassompierre.«
Mein Vater hatte sich über die brillante Zukunft, die Bassompierre erwartete, nicht getäuscht. Im Lauf der folgenden Jahre konnten wir seinen fabelhaften Aufstieg beobachten. Als vollendeter Hofmann, der, nach seinen eigenen Worten, »des jeweiligen Pfarrers gehorsames Pfarrkind« war, diente er unseren wechselnden Herrschern mit derselben Geschmeidigkeit und Treue: Henri Quatre, Maria von Medici und Ludwig. Und er diente ihnen vortrefflich, führte seine Feldzüge ebenso erfolgreich wie mehrere heikle diplomatische Missionen in Spanien, in der Schweiz und in England.
Seine Talente und Dienste wurden belohnt. Im Jahr 1622 ernannte Ludwig ihn zum Marschall von Frankreich, und da endlich konnte Bassompierre die Dame heiraten, die er am französischen Hof am meisten bewunderte: meine Halbschwester, die Prinzessin Conti. Unser Mann wähnte sich auf dem Gipfel seines Ehrgeizes und seines Glücks. Er wußte nicht, wie verhängnisvoll diese Ehe ihm werden und daß sie den Abstand zwischen dem Kapitol und dem Tarpejischen Felsen für ihn verkürzen sollte.1
***
»Schöne Leserin, bitte, helfen Sie mir aus der Verlegenheit, in der ich mit meiner Erzählung stecke.«
»Sie in Verlegenheit, Monsieur? Das wundert mich. Wo ist der Haken?«
|82|»Der Haken, Madame, ist die Wiederholung. Ich bin an einen Punkt gelangt, wo ich das Porträt Bassompierres nur vervollständigen kann, wenn ich gewisse Dinge aufgreife, die ich schon im vorhergehenden Band geschildert habe.«
»Müssen Sie das unbedingt wiederholen? Warum vertrauen Sie dem Gedächtnis Ihrer Leser nicht? Meinen Sie, wir hätten alles vergessen?«
»Nein, nein. Ich fürchte nur, diejenigen, die den vorigen Band nicht gelesen haben, könnten meine Differenz mit Herrn von Bassompierre nicht verstehen.«
»Also, ich für mein Teil, Graf, weiß noch genau, woher die Entfremdung zwischen Ihnen rührte. Sie hatten Ihre geliebte Halbschwester gewarnt, sich in die schändlichen Komplotte der Herzogin von Chevreuse, dieses der Hölle entsprungenen Sukkubus, einzulassen! Die Prinzessin jedoch fuhr Ihnen hochmütig über den Mund und schwor, sie wolle Sie nie wiedersehen. Dann heiratete Bassompierre sie und übernahm gleichzeitig alle Parteilichkeiten der diabolischen Reifröcke1: Zuvorderst ihren Haß auf Richelieu, ihre Verachtung des Königs und derer, die ihm dienten.«
»Richtig! Aber wie, schöne Leserin, soll man begreifen, daß eine Frau wie die Prinzessin Conti, so lebhaft und geistreich sie auch ist, aber ohne Talente, ohne Bildung, eine solche Macht über einen Mann wie Bassompierre gewinnen konnte? Ist das nicht geradezu ein Musterbeispiel für die ›Tyrannei der Schwachen über die Starken‹?«
»Schön und gut, Monsieur! Wenn aber der Starke sich vom Schwachen tyrannisieren läßt, ist er vielleicht nicht so stark, wie er glaubte?«
»Meine Bewunderung, schöne Leserin! Was ich auch sage, Sie legen es immer zum Vorteil der Frauen aus.«
»Darf ich das gentil sesso nicht verteidigen, dem ich angehöre? Sind Sie nicht selbst ganz von uns betört? Oder schämen Sie sich etwa Ihrer Liebe zu uns?«
»Ganz und gar nicht. Sie ist die Freude meines Lebens.«
»Um aber auf Bassompierre zurückzukommen, haben Sie, |83|glaube ich, keinen Grund, seinerseits einen unfreundlichen Empfang zu befürchten. Richelieu hatte recht. Insgeheim muß er Ihnen einen »Rest Freundschaft« bewahrt haben, sonst hätte er Sie nicht vor dem Hinterhalt gewarnt, den man Ihnen auf dem Weg nach Fleury en Bière bereitete.«
»Aber die Art, schöne Leserin, in der er mich warnte! Es schmerzt mich heute noch, daran zu denken! Wie er auf einer völlig menschenleeren Treppe im Louvre beim Reden ständig die Stufen hinauf- und hinabspähte, als wäre er auf der Flucht, und wie leise er sprach, nur in Andeutungen … Es sah wirklich aus, als verübele er sich diesen Verrat an seiner Partei, um mir das Leben zu retten!«
»Trotzdem, gerettet hat er Sie! Und wenn Sie ihm jetzt eine Möglichkeit bieten, dem Willen des Königs zu entsprechen und seinem Groll zu entgehen, erweisen Sie ihm einen beträchtlichen Gegendienst.«
***
Wir hatten unseren Besuch bei Bassompierre auf den Nachmittag verschoben, weil Madame de Brézolles uns zum Mittagessen erwartete. Während mein Vater, den der morgendliche Ritt erschöpft hatte, eine Siesta hielt, schickte ich Nicolas nach Chef de Baie mit dem Auftrag, Bassompierre unser Kommen anzukündigen und danach seinen älteren Bruder, den Musketierhauptmann de Clérac, zu fragen, wie die Dinge in jenem Teil des Lagers stünden. Ich hielt es für nützlich, im voraus Informationen einzuholen, um mich auf die Situation dort einzustellen.
Zwei Stunden später trat Nicolas mit glänzenden Augen und von Neuigkeiten aufgeplusterten Wangen in mein Zimmer, und weil mein Vater zugegen war, hörten wir gemeinsam, was er zu berichten hatte.
»Herr Graf«, sagte Nicolas, »es ist dem Marschall von Bassompierre ein Vergnügen, Euch und den Herrn Marquis de Siorac um fünf Uhr zu empfangen.«
»Erst um fünf?« sagte ich. »Hat er denn so viel zu tun?«
»Nein. Gar nichts.«
»Gar nichts?«
»Herr Graf, ich wiederhole, was man mir sagte.«
»Und worin besteht dieses Garnichts?«
|84|»Er reitet mit seinen Feldmeistern durchs Lager und übt bissige Kritik an den Befestigungen und Schanzen, die Angoulême zu Beginn der Belagerung hat bauen lassen.«
»Nicht sehr höflich.«
»Noch weniger höflich geht er mit den Sendschreiben des Herzogs um.«
»Hast du es selbst gesehen?«
»Nein, es wurde mir berichtet. Er öffnet das Schreiben, wirft einen kurzen Blick drauf, knittert es auflachend zusammen und stopft es in sein Wams. Und wenn er abends bei Kerzenlicht eines erhält, verbrennt er es sogar, ohne ein Wort zu verlieren.«
»Achtet er wenigstens auf die Sicherheit im Lager?«
»Hervorragend, wie ich hörte. Ebenso hält er auf strenge Disziplin bei den Soldaten, auf Ordnung und Sauberkeit.«
»Konntest du erfahren, ob er versucht hat, mit den Aufständischen von La Rochelle in Verbindung zu treten?«
»Das hat er nicht. Auch sie kritisiert er schneidend. Es seien große Narren, sagt er: Die Habgier habe sie verdorben. Als Buckingham die Insel Ré besetzt hatte, sollen sie ihm zu Höchstpreisen ihre gesamten Fleischvorräte verkauft haben, ohne zu bedenken, daß sie zu Lande bereits eingeschlossen waren und es früher oder später auch zur See sein würden. Unseren Spionen zufolge haben sie große Mengen an Musketen, Kanonen, Kugeln und Pulver angehäuft, aber das Lebensnotwendige vergessen: die Nahrung.«
»Nicolas«, sagte ich, »wie hat Bassompierre die Ankündigung unseres Besuchs aufgenommen.«
»Er hat gelacht.«
»Gelacht?«
»Aber nicht boshaft, im Gegenteil.«
»Was hat er genau gesagt?«
»›Donnerwetter!‹ rief er. ›Rührt sich Ludwig endlich! Schickt mir Siorac und Orbieu, seine schwersten Geschütze! Wenigstens wird es mich freuen, die beiden zu sehen! Daß sie aber nicht denken, sie könnten große Löcher in meine Bastion schießen. Mein Entschluß steht fest. Ich verlasse diesen Ort. Hier ist sowieso nichts anzufangen bei diesem ewigen Wind und Regen.‹ Damit, Herr Graf, entließ er mich.«
»Was sagt Ihr dazu, Herr Vater?« fragte ich, nachdem Nicolas gegangen war.
|85|»Um es rundheraus zu sagen, geht es hier für mein Gefühl nicht so sehr um Querelen mit Angoulême als vielmehr um einen Unwillen gegenüber dem König. Das getreue Pfarrkind hat die Pfarre gewechselt, und deren Geruch gefällt mir nicht.«
»Es wird Zeit«, sagte ich, »uns diesem Geruch auszusetzen. Sehen wir, ob er wirklich so mephitisch ist.«
Und wir machten uns nicht eben leichten Herzens auf nach Chef de Baie, so sehr beunruhigte uns der Gedanke, unser alter Freund könnte denselben bösen Faden spinnen wie die diabolischen Reifröcke am Hof.
***
Obwohl Bassompierre den Unzufriedenen spielte und sich über alles beklagte, bewohnte er doch das schönste Haus von Chef de Baie, mit einem weiten Ausblick aufs Meer. Er empfing uns voller Höflichkeit, in der allerdings eine gewisse Distanz unverkennbar war.
Er ging damals auf die Fünfzig zu, war aber, wie mein Vater es biblisch ausdrückte, »noch prangend im Fleische«, ein sehr ansehnlicher Kavalier, schlank, aufrecht, mit dem elastischen Gang eines Mannes, der sich ein Leben lang allen möglichen körperlichen Übungen unterzogen hatte und der stets maßvoll aß und trank. Obwohl sechs Jahre jünger als Angoulême, wirkte er doch weniger jugendlich als der Herzog mit seiner heiteren, gutmütigen Art, denn Bassompierre, der durch mehr Geist und Wissen glänzte, war verzehrt von seinen Leidenschaften, von Stolz und Ehrgeiz vor allem.
Die hochmütige, ja sarkastische Miene, die man jetzt an ihm sah, habe er als junger Mann nicht gehabt, sagte mein Vater nachher, und La Surie, der sich gern über alles lustig machte, behauptete, die trage er erst seit seiner Vermählung mit meiner Halbschwester zur Schau. »Weil er mit einer Prinzessin schläft«, sagte er, »bildet er sich ein, die Vermischung mit ihr mache ihn selbst zum Prinzen.«
Bassompierre labte uns mit einem Becher Loire-Wein und übernahm sofort die Gesprächsführung, was ich wenig gehörig fand, wußte er doch, daß wir im Auftrag des Königs kamen.
»Meine Herren«, sagte er, »es scheint mir angebracht, daß wir uns nicht mit langen Vorreden aufhalten. Ich weiß, weshalb Ihr hier seid, welche Vereinbarung Ihr mit mir zu treffen sucht |86|und auf wessen Geheiß. Erlaubt, daß ich Euch freimütig meine Meinung dazu sage.«
Hierauf folgten ungefähr die gleichen Reden, die wir schon aus Schombergs Mund gehört hatten: Als Marschall von Frankreich könne er nicht an zweiter Stelle befehligen. Mit dem Moment, da Seine Majestät ins Lager eingezogen sei, liege bei ihr und ihr allein der Oberbefehl der Truppen und nicht mehr bei Angoulême.
»Im übrigen«, fuhr er fort, »wurde Angoulême nicht durch Ratsbeschluß ernannt, sondern durch Lettre de cachet, das heißt, sein Titel ist zeitlich begrenzt und jederzeit widerrufbar.«
»Der Herzog könnte doch den Titel behalten«, sagte ich, »ohne tatsächlich Gebrauch davon zu machen.«
»Das wäre eine Möglichkeit«, sagte Bassompierre mit einem Funkeln in den Augen. »Und wenn der Herzog von Angoulême sich dazu bequemte, täte er gut daran, denn seine kriegerischen Verdienste, muß ich sagen, sind doch sehr mäßig. Er brüstet sich, vierzig Jahre bei den Waffen zu stehen. Aber zunächst einmal muß man von diesen vierzig zwölf Jahre Bastille abziehen, in denen er nur über seine Schönen befehligte.«
»Immerhin«, sagte mein Vater, »hat er unter Henri Quatre bei Arques, Vitry und Fontaine Française gekämpft.«
»So wie auch Ihr, mein lieber Marquis«, sagte Bassompierre, indem er sich verneigte, »und so wie Ihr äußerst tapfer, aber als Chevalier und nicht als Oberbefehlshaber.«
»Nachdem er die Bastille verlassen hatte«, sagte ich, »übergab ihm die Regentin eine Armee, und dasselbe tat später der König.«
»Und was hat er geleistet? Hat er auch nur einen entscheidenden Sieg errungen? Eine wichtige Stadt eingenommen? Welche Trophäen hat er denn vorzuweisen?«
Das war die Wahrheit. Dasselbe hätte mir auch Schomberg entgegenhalten können. Aber daß er es gerade nicht getan hatte, für diese noble Zurückhaltung wußte ich ihm nachträglich um so mehr Dank, als ich die Herabsetzung Angoulêmes durch Bassompierre unziemlich fand.
»Herr Marschall«, sagte ich, »ich weiß jetzt, was Ihr nicht wollt. Eure Wünsche kenne ich noch nicht.«
»Letzteres hängt ab von ersterem«, sagte Bassompierre. »Ich will Angoulême nicht über mir haben, und wenn man ihn mir |87|aufzwingen will, kehre ich, ohne zu klagen, nach Paris zurück, spiele den Bürger und warte, bis Seine Majestät mir ein anderes Kommando überträgt.«
Ich war entgeistert. So sprach nicht ein Diener des Königs, sondern einer, der sich so hochstehend wähnte, daß er seinem Herrscher Forderungen stellen konnte, anstatt ihm zu gehorchen.
Dieser Sinn seiner Worte war für mich unmißverständlich klar, auch wenn Bassompierre ihn bemäntelte, indem er sich mit wenig überzeugendem Stoizismus als Opfer darstellte. Er würde klaglos gehen, sagte er, dabei hatte er von Anfang an nichts anderes getan als sich zu beklagen. Und ebenso mißfiel mir seine geheuchelte Bereitschaft, in Paris den Bürger zu spielen. Hieße das nicht: Seht nur, wie man mich behandelt! Ich werde gezwungen, den Degen einzustecken und zu leben wie ein Hampelmann vom Dritten Stand!
»Herr Marschall«, sagte ich endlich, denn ich durfte nicht länger schweigen, ohne daß Bassompierre es als Mißbilligung verstehen mußte, »nachdem Ihr uns erklärt habt, was Ihr ablehnt, beliebt uns jetzt zu sagen, was zu tun ist, damit Ihr nicht nach Paris zurückkehrt, sondern unter uns bleibt.«
»Mein lieber Graf«, sagte Bassompierre, »Ihr werdet in Euren Missionen zweifellos bestens reüssieren. Ihr versteht, wann ein nein ein nein ist und wann es vielleicht heißt. Das ermutigt mich, ganz offen zu sprechen. Ich will in Chef de Baie meine eigene Armee haben, samt Artillerie, Verpflegung und Finanzen.«
»Das ist viel!« rief ich erschrocken aus, denn stellte sich Bassompierre damit nicht gleichsam auf eine Stufe mit dem König?
Sanft fragte ihn mein Vater: »Wäret Ihr wenigstens bereit, noch Befehle entgegenzunehmen?«
»Vom König, ja«, sagte Bassompierre, »aber nur vom König.«
»Herr Marschall«, sagte ich und verneigte mich, »ich werde Seiner Majestät Eure Forderungen getreulich übermitteln.«
»Nicht Forderungen, mein lieber Graf, sagt Bitten, das klingt höflicher.«
Er wollte uns einen Abschiedstrunk kredenzen, doch wir verzichteten, und er erhob sich, so daß uns nichts übrigblieb, als uns zu verabschieden. Trotzdem stellte mein Vater ihm eine letzte Frage.
|88|»Herr Marschall, mit Verlaub, wie denkt Ihr über diese Belagerung?«
»Wie ich darüber denke?« sagte Bassompierre, indem er lächelnd die Brauen hob. »Wie ich darüber denke? Nun, Ihr werdet sehen: Wir werden so verrückt sein, La Rochelle einzunehmen.«
***
In derselben Minute, da wir Chef de Baie verließen, brach ein schweres Gewitter los, aus den schwarzen Wolken drangen eisige Wassermassen, grelle Blitze zuckten, und fast unaufhörlich rollte der Donner. Bei diesem gewaltigen Getöse konnte man verstehen, daß die Alten geglaubt hatten, der Blitz sei ein göttliches Strafgericht. Doch sollte er dann nicht, anstatt in arme, unschuldige Bäume zu fahren, besser die Schurken zerschmettern?
Trotz unserer Umhänge wurden wir naß bis auf die Knochen, und unsere armen Pferde troffen, rutschten im Schlamm, ließen traurig die Köpfe hängen und sehnten sich sicherlich nach ihrem Hafer und einem warmen Stall. Endlich langten wir an, unsere Schweizer nahmen die Tiere in ihre Obhut, rieben sie ab und striegelten sie, während die Mäuler in den Raufen steckten und die großen Zähne das Heu mahlten, daß es eine Freude war.
Unserer Würde nicht achtend, legten wir den Weg vom Pferdestall zum Schloß im Laufschritt zurück. Dort empfing uns Monsieur de Vignevieille mit aufgeregtem Gekakel wie eine alte Henne und befahl dem Gesinde, uns die Umhänge und Hüte abzunehmen, deren durchweichte Federbüsche platt am Filz klebten. Am liebsten hätte Monsieur de Vignevieille uns ja aufgefordert, unsere Stiefel auszuziehen, um seine Teppiche zu schonen, und er war heilfroh, als mein Vater, der seine Besorgnis erriet, die seinen ablegte und uns damit ein Beispiel gab. So erstiegen wir denn auf Strümpfen einer nach dem anderen die große Treppe zur Beletage, jeder vor sich einen Diener mit den tropfenden Stulpenstiefeln. Ich schämte mich ein bißchen, so am Bildnis der schönen Ahnfrau vorüberzugehen, deren Augen mir geringschätzig nachblickten, aber in Wahrheit fürchtete ich vor allem, auf dem Weg zu meinem Zimmer in diesem lächerlichen Aufzug Madame de Brézolles zu begegnen.
|89|Luc, mein Diener – der Leser hat sicherlich nicht vergessen, weshalb Madame de Brézolles mir einen Diener zugeteilt hatte und nicht eine Kammerzofe –, erbat die Erlaubnis, meine Stiefel ins Nachtgeschirr auszugießen. Verblüfft, welche Menge Wasser da zusammenkam, dachte ich, daß diese Stiefel, so schmuck sie auch aussahen und so bequem sie saßen, doch den großen Nachteil hatten, mit ihren Stulpen allzuviel Regen aufzufangen.
Während ich dies schreibe, fällt mir auf, wie hartnäckig unsere Erinnerung sich an Nebensächlichkeiten wie diese heftet, die mir vermutlich aber nur deshalb auftauchen, weil ihnen ein wichtiges Gespräch in meinem Zimmer folgte.
Sobald Luc mich platschnaß vom Stall zum Schloß hatte laufen sehen, hatte er das Gerüst aus trockenem Reisig und Scheiten angezündet, das er in meinem Kamin stets bereithielt, so daß ich mich mit seiner Hilfe vor prasselnden Flammen entkleiden konnte, deren bloßer Anblick bereits das Herz erwärmte. Er trocknete mich, rieb mich mit einer Bürste warm und half mir in die frischen, nach Lavendel duftenden Kleider. Natürlich hätte ich mich bei alledem lieber den Händen einer Jeannette oder einer Louison anvertraut, doch gab es an der wahrhaft mütterlichen Fürsorge, die Luc mir angedeihen ließ, nichts auszusetzen.
Dieser Zartsinn verwunderte bei dem stämmigen brünetten Mann mit dem breiten Kinn und der großen Nase, dafür vermochte er aber seine laute Stimme beim besten Willen nicht zu dämpfen.
»Herr Graf«, bemühte er sich zu murmeln, daß man es zehn Klafter weit hörte, »Monsieur de Vignevieille hat die Küche angewiesen, Eurem Herrn Vater und Euch einen Krug Glühwein zu bereiten.«
»Wie liebenswürdig!« sagte ich. »Richte Monsieur de Vignevieille meinen Dank aus, doch ließe ich bitten, er möge auch einen Krug für Monsieur de La Surie und Monsieur de Clérac bereiten lassen, und wenn der Wein fertig ist, Luc, bitte die Herren, mich hier aufzusuchen, damit wir uns von dem gemeinsam durchgestandenen Unwetter gemeinsam erholen.«
»Herr Graf«, sagte Luc und vermeinte zu raunen, »darf ich fragen, welche der Herren Ihr zu empfangen wünscht?«
»Du kennst sie doch: Monsieur de Siorac, Monsieur de La Surie und Monsieur de Clérac.«
|90|»Sehr wohl, Herr Graf«, sagte Luc, bevor er verschwand, »dann hatte ich Euch recht verstanden.«
Wie komisch, dachte ich, daß er erst nachfragen mußte. Offenbar hatte er bezweifelt, ob Nicolas, der zwar adlig war, aber keinen Titel hatte und für seinen Dienst bezahlt wurde, wirklich unter uns zugelassen war. Vielleicht glaubte er, daß ein Junker nicht viel über ihm stehe, oder in gewisser Hinsicht womöglich sogar unter ihm, denn wo Nicolas das Privileg hatte, meine Stute zu striegeln, genoß er ja die Ehre, meinen Leib abzubürsten. Verflixt, dachte ich, die Bediensteten großer Häuser sind anscheinend nicht weniger ehrsüchtig als Prinzen, Herzöge oder Marschälle.
Ich setzte mich in einen Lehnstuhl und streckte meine nun trocken bestrumpften und beschuhten Füße zum Feuer. Bald betrachtete ich meine armen Stiefel, die davor mit klaffenden Mäulern zum Trocknen lagen, bald schaute ich in die Flammen, deren Tanz und Farben bekanntlich die Macht haben, unsere Blicke zu bannen. Was gab es sonst auch zu sehen? Draußen dunkelte es, und der Regen, der die Scheiben zusätzlich trübte, schlug mit solcher Gewalt gegen die Fensterscheiben, daß ich mich fragte, ob er sie nicht sprengen werde. Es war aber keine ernstliche Befürchtung, wahrscheinlich diente sie mir dazu, den Augenblick desto mehr zu genießen. Trotzdem, so durchwärmt und wohlig es mir nun auch war, fühlte ich mich doch nicht recht glücklich. Das lag an dem Gespräch mit Bassompierre. Mich hatte sowohl die Distanz getroffen, die er zwischen uns gelegt hatte – er, der meinem Vater und mir einmal ein so naher und guter Freund gewesen war –, wie auch sein letzter Satz, der mir nicht aus dem Kopf ging, denn er verletzte mich in meiner Königstreue und erregte in mir eine Reihe von Besorgnissen, Mutmaßungen und Zweifeln.
Wenig später, als die Herren, auch Nicolas, mir zur Seite Platz genommen hatten, einen Becher Glühwein in Händen, wurde dieser Satz Gegenstand eines kleinen Streits. Mein Vater erinnerte sich, daß Bassompierre gesagt hatte: »Wir werden so verrückt sein, La Rochelle einzunehmen«, La Surie behauptete, der Satz habe gelautet: »Wir werden verrückt genug sein, La Rochelle einzunehmen«.
»Ob das eine oder das andere«, sagte ich, »darauf kommt es nicht an, so oder so bedeutet der Satz das gleiche.«
|91|Unbehagen machte sich unter uns breit, und wir schwiegen.
»Ihr habt Recht«, sagte mein Vater nach einer Weile, »darauf kommt es nicht an. Worauf es ankommt, ist, was der Satz nicht ausspricht.«
»Ach!« sagte La Surie, »das ist doch eine Witzelei.«
Hierauf öffnete Nicolas den Mund, schloß ihn aber wieder, und sein schönes Gesicht überzog sich mit Röte.
»Nicolas«, sagte ich, »du mußt hier nicht den Stummen vom Serail spielen. Wenn du eine Meinung hast, sprich sie aus.«
»Herr Graf«, sagte Nicolas, »ich war bei dem Gespräch ja nicht dabei. Aber wenn Monsieur de Bassompierre diesen Satz gesagt hat, verstehe ich ihn nicht als Witzelei, sondern als eine Bosheit.«
So unverblümt hätte ich es nicht formuliert, trotzdem fand ich, daß der Junge instinktiv das Wesentliche erfaßt hatte. Und La Surie mußte es ebenso empfinden.
»Eine Bosheit, gegen wen?« fragte er, ohne über den Widerspruch verärgert zu sein.
»Gegen den König«, sagte Nicolas, »der mit großen Mühen, Arbeit und Geld die Belagerung von La Rochelle unternommen hat.«
»Wahrhaftig«, sagte ich, »wer kann verkennen, daß Seine Majestät und der Kardinal allerhöchsten Wert darauf legen, La Rochelle in die Knie zu zwingen, das seit Karl IX. die uneinnehmbare Zitadelle der Hugenotten ist? Nur so können sie den ständigen Rebellionen, die sich die Hugenotten nach Henri Quatres Tod geleistet haben, ein für allemal ein Ende setzen.«
»Hat Bassompierre etwa heimliche Sympathien für die reformierte Religion?« fragte La Surie meinen Vater.
»Bewahre! Nicht die mindesten!« sagte mein Vater. »Bassompierre ist ein unbedingter Katholik, und allein deshalb müßte er die Einnahme La Rochelles wünschen, anstatt uns verrückt zu nennen.«
»Aber wen meint er mit seinem ›wir‹?« sagte La Surie. »Die Soldaten? Die Hauptleute? Oder ihre Befehlshaber?«
»Dieses ›wir‹«, sagte ich, »ist Bassompierre und Bassompierre allein. Und weil er es für eine Verrücktheit ansieht, La Rochelle zu nehmen, versteht man, warum er uns gerne verlassen und in Paris ›den Bürger spielen‹ will. In Paris, wo die |92|Prinzessin Conti ist und die Herzogin von Chevreuse, erbitterte Feindinnen des Königs und des Kardinals.«
»Man kann sich auch fragen«, sagte mein Vater, »ob die Bedingungen, die Bassompierre stellt, um in Chef de Baie zu bleiben, das heißt, eine nahezu unabhängige Armee, eigene Finanzen und so weiter zu haben, nur deshalb so hochgeschraubt sind, damit der König sie ablehnt. Desto leichter könnte er um seinen Abschied ersuchen und nach Paris zurückkehren.«
Hier klopfte es, und Luc meldete, daß Madame de Brézolles uns zum Abendessen erwarte.
Ich erhob mich. Meine Gäste gingen, doch ich hielt meinen Vater zurück.
»Herr Vater«, sagte ich, »soll ich dem König Bassompierres ärgerliche Worte wiederholen?«
»Denkt Ihr, Ihr solltet es nicht?«
»Das frage ich mich eben. Wenn der König sich in seiner Autorität getroffen fühlt, steigert sich sein Zorn bis zur Wut, und dann straft er zu schnell und zu hart. Andererseits aber sind Bassompierres Reden besorgniserregend. Das klingt ja, als befürchte er, daß die Einnahme La Rochelles dem König und dem Kardinal ein solches Prestige verschaffen könnten, daß ihre Macht unanfechtbar wird. Immerhin setzten die Verschwörer in der Affäre um Monsieurs Vermählung alles daran, den Kardinal und den König zu ermorden. Diese Hydra hat vier Köpfe verloren: D’Ornano ist im Kerker gestorben, die Vendôme-Brüder sitzen in Haft, und Chalais wurde enthauptet. Aber es wachsen ihr offensichtlich neue Köpfe nach, die mir nicht weniger furchtbar erscheinen.«
»Mein Sohn«, sagte der Marquis de Siorac, »wenn Ihr diese Sorge tragt, laßt alle Skrupel hinsichtlich einer Freundschaft fahren, die keine mehr ist. Gebt Bassompierres Worte weiter, aber nur dem Kardinal. Er ist sehr viel bedachtsamer als Ludwig. Jede seiner Entscheidungen ist das Resultat sorgfältiger Überlegungen, in denen das Für und Wider genauestens erwogen wurde. Ob Richelieu Bassompierres Worte dem König weitersagt oder nicht –, er wird sie bei seinem künftigen Umgang mit dem Marschall jedenfalls nicht außer acht lassen.