|250|ZEHNTES KAPITEL

Am fünften Mai wurde der Marquis de Bressac, Hauptmann der französischen Garden, bei einem verwegenen Ausfall der Belagerten gefangengenommen, und unverzüglich forderte die Stadt für seine Freilassung ein Lösegeld. Da ich den Rochelaisern bereits bekannt war, seit sie mich zum Besuch bei der Herzogin von Rohan in ihre Mauern eingelassen hatten, beauftragte mich Seine Majestät, die Verhandlung mit den Belagerten zu führen. Denn verhandelt werden mußte, die geforderte Summe war derart übersteigert, daß Ludwig den Stadtrat ersuchen ließ, sich zu einer Mäßigung zu bequemen. Dies geschah denn auch, aber erst nach langen, zähflüssigen Palavern, die intra muros in einem kleinen Haus statthatten, in welchem man mich, sowie ich das Tasdon-Tor passiert hatte, gleichsam verschwinden ließ. Mein Junker und der königliche Trommler, der mich angekündigt hatte, mußten außerhalb warten.

Unverkennbar hatte diese Eile, mich zu verstecken, ihren Grund: Man wollte verhindern, daß die Bevölkerung bei meinem Anblick die Hoffnung auf Friedensverhandlungen schöpfe, denn danach schrien die am schlimmsten hungernden Rochelaiser mittlerweile aus Leib und Seele. Außerdem vermutete ich, daß der Stadtrat derweise zwei Fliegen mit einer Klappe schlug: Auch ich sollte nicht sehen, wie furchtbar der Hunger schon unter den Einwohnern wütete.

Und wirklich bekam ich von all den zum Skelett abgezehrten Armen, deren jammervollen Zustand unsere Zuträger dem Kardinal schilderten, keinen einzigen zu Gesicht. Die beiden Schöffen, die der Stadtrat zur Verhandlung über das Lösegeld entsandte, waren nicht gerade fett zu nennen, aber doch auch nicht mager, und sie brachten genug Mundfertigkeit und Ausdauer auf, die Forderungen des Stadtrats zu verfechten. Dennoch näherten wir uns der Einigung, als unsere Verhandlungen durch ein Ereignis unterbrochen wurden, das zwar vorhersehbar gewesen war, dessen Eintreten uns aber trotzdem überraschte.

Am elften Mai, einem Donnerstag, als ich mich zum Tasdon-Tor |251|begab, um ein neuerliches und, wie ich hoffte, abschließendes Gespräch zu führen, dröhnten mir plötzlich die Ohren: Alle Glocken von La Rochelle begannen gleichzeitig zu läuten, als gälte es, ein glückliches Ereignis zu feiern. Dieser Freudenlärm in der hart geprüften Stadt verwunderte mich um so mehr, als er nach einer knappen Minute wieder aussetzte. Später erfuhr ich den Grund dafür: Die Glöckner waren vom Hunger zu sehr entkräftet.

So beunruhigt ich mich auch fragte, was dieses so festliche und so rasch abgebrochene Geläute wohl zu bedeuten habe, setzte ich nichtsdestoweniger meinen Weg zum Tasdon-Tor fort. Und angelangt, hieß ich den prächtig in den Farben des Königs gekleideten Trommler, jene Weise anzustimmen, die beide Seiten zum Einlaß von Parlamentären vereinbart hatten. Doch bedurften die hohen Mauerzinnen keines solchen Aufrufs, im Nu starrten sie von Musketenläufen, die sämtlich auf uns zielten und uns sozusagen doppelt und dreifach zusammengeschossen hätten, wenn ihr Hauptmann Sanceaux den Befehl dazu gegeben hätte.

»Monsieur!« schrie dieser größte Dummkopf und Wichtigtuer der Schöpfung, der meinen Titel doch mittlerweile kennen mußte, »macht ja, daß Ihr hier wegkommt! Aber schleunigst, Ihr Teufelsanbeter, wenn Euch nichts daran liegt, daß meine Musketiere Eure Wänster zu Klöppelspitze machen. Wir haben, Gottlob, nichts mehr mit Euch zu schaffen! Die englische Flotte ist da! Sie naht, sie kommt, jawohl! Und drischt Euren stolzen Deich mit ein paar Kanonenschlägen zusammen, so wie der Herr einst den Turm zu Babel zertrümmert hat! Und binnen nicht mal einer Woche seid Ihr Herren Papisten von hier mit eingezogenem Schwanz verschwunden!«

Hierauf ertönte von den Wällen ein so bedrohliches Gegröle gegen uns, daß ich begriff, wie sehr es die hugenottischen Finger am Abzug der Musketen juckte und mit welcher Lust diese wackeren Leutchen, die sich schon als Sieger fühlten, uns zu Sündenböcken für sämtliche Katholiken erkoren hätten. Jede Schärfe, mit der ich die beleidigenden Reden zurückgewiesen hätte, so sah ich ein, konnte das Schlimmste auslösen. Dies war nicht der Moment, sich aufs hohe Roß zu schwingen, solche Provokationen beantwortete man sehr viel ratsamer, indem man gelinde Saiten anschlug.

»Monsieur«, sagte ich in ruhigem und höflichem Ton, »ich |252|habe Eure Botschaft wohl vernommen und werde sie meinem König Wort für Wort übermitteln.«

Höhnisches Gejohle erscholl hinter den Zinnen, doch was scherte es mich? Besser, davon bin ich überzeugt, hätte ich gar nicht antworten können. Die Vorstellung, daß Ludwig seine unverschämte Botschaft wortwörtlich aus meinem Mund vernehmen würde, erfüllte dieses Großmaul mit einem Triumphgefühl, das die Verlockung, mich abzuknallen, bei weitem überwog. Und ganz außer Rand und Band, brach er in schallendes Gelächter aus und machte mit der erhobenen Hand eine anzügliche Geste.

»Übermittelt, Monsieur, übermittelt!« schrie er.

Das Gelächter verdoppelte sich. Ich bedeutete dem Trommler aufzusitzen, wir schwenkten um und entfernten uns in gemächlichem Trab, unser Rückzug sollte beileibe nicht nach Flucht aussehen.

»Herr Graf«, sagte Nicolas, der sich zu mir gesellte, sobald wir außer Reichweite der Musketen waren, »glaubt Ihr, daß die uns wirklich erschossen hätten?«

»Bestimmt, wenn ich seine Unverschämtheit entsprechend beantwortet hätte.«

»Aber das wäre ein Verstoß gegen die Kriegsgesetze gewesen.«

»Die diesen Herrn Sanceaux so viel kümmern wie seine ersten Hosen.«

»Ihr meint, sie hätten uns alle drei niedergeschossen?«

»Und ob! Das kleine Vergnügen hätten sie sich gegönnt.«

»Ha, Herr Graf!« rief Nicolas begeistert, »dann war dies meine erste Gelegenheit, im Angesicht des Feindes zu fallen! Ist das nicht toll?«

»Allerdings, und das Tollste daran, du hättest eine junge Witwe hinterlassen, die sich bis ans Ende ihrer Erdentage die Seele aus dem Leib geweint hätte.«

»Das habe ich nicht bedacht.«

»Dann empfehle ich dir, es künftig zu bedenken, und auch, daß Tapferkeit nicht darin besteht, sein Leben zu riskieren, ohne daß es der Sache nützt, die man vertritt.«

Ich spornte mein Pferd und ließ den Grünschnabel ganz zerknirscht zurück. Wer weiß, dachte ich, vielleicht merkt er sich |253|meine Lehre, und sie rettet ihm, wenn er sich eines Tages im Kampf darauf besinnt, das Leben.

Ziemlich besorgt durch die Nachricht, die mir dieser Prahlhans von Sanceaux verkündet hatte, wenn auch noch ungläubig, kehrte ich zurück zum Lager. Doch just als ich die königlichen Gräben erreichte, vernahm ich drei Kanonenschläge, aber aus zu großer Entfernung, als daß sie von den Rochelaisern kommen konnten.

»Herr Graf«, sagte der wachhabende Gefreite, obwohl er mich gut kannte, »beliebt die Parole zu nennen.«

»Saint-Germain«, sagte ich.

Hiermit war aber kein Heiliger gemeint, sondern das Schloß Saint-Germain-en-Laye, wo Ludwig aufgewachsen war.

Auf die Losung hin gab mir der Gefreite den Zutritt zum Graben mit breitem Lachen frei. Mit breitem sage ich, weil er einen so großen Mund hatte, daß sein Lachen doppelt so breit war wie ein gewöhnliches.

»Gefreiter«, sagte ich, »wißt Ihr, was dieser Kanonendonner zu bedeuten hat?«

»Herr Graf, der ist die erste Hälfte eines Signals«, sagte der Gefreite. »Um sicherzugehen, was es bedeutet, muß man aber die zweite Hälfte abwarten.«

»Und was bedeutet das Signal, wenn es vollständig ist?«

»Um Vergebung, Herr Graf«, sagte der Gefreite mit seinem breitesten Lachen, »ob vollständig oder nicht, ich darf es Euch nicht verraten, das ist Kriegsgeheimnis.«

Er hatte kaum geendet, als am Horizont eine schwarze Rauchsäule emporstieg und den sonnigen Himmel verdüsterte.

»Gefreiter, woher kommt diese Rauchsäule?«

»Von der Insel Ré, Herr Graf, genauer gesagt, vom Fort de la Prée, ganz im Süden, wo wir Truppen liegen haben. Und die Kanonenschüsse wurden auch von den Unseren abgefeuert, aber ganz im Norden, an der Pointe de Grouin, wo man gute Sicht auf den Bretonischen Pertuis hat.«

»Also ist das Signal jetzt vollständig«, sagte ich lächelnd, »und ich meine, es bedeutet, daß auf dem Bretonischen Pertuis eine Flotte, von günstigem Wind geschwellt, in Richtung La Rochelle heransegelt.«

»Das stimmt, Herr Graf, vergeßt aber bitte nicht, daß ich Euch nichts dergleichen verraten habe.«

|254|»Gewiß. Ich ließ nur meiner Phantasie freien Lauf.«

»Mit Verlaub, Herr Graf«, sagte der Gefreite, zappelig wie ein Floh, »darf ich jetzt gehen? Ich muß Hauptmann de Bellec augenblicklich Bericht erstatten, daß das Signal bestätigt wurde.«

»Dann erwarte ich Euch hier, ich will Monsieur de Bellec auch sprechen. Aber macht schnell.«

Dieses Rates bedurfte er nicht. Wie der Wind verschwand er im Graben und machte tatsächlich so schnell, daß er in Kürze hinter dem knotigen Hauptmann de Bellec wieder auftauchte, der straffen Schrittes herbeigeeilt kam. Knotig sage ich, denn an dem ganzen Mann war keine Unze Fett, und er sah aus, als hätte ihn der Schöpfer aus lauter Seemannsknoten gemacht. Er stammte aus Cancale und sprach ein seltsames Gemisch aus Französisch und Bretonisch, wobei er übrigens kaum die Lippen auseinanderbrachte, vielleicht eine Schutzmaßnahme gegen den bretonischen Nebel.

»Herr Graf«, sagte er und erstaunte mich damit, wie man so viele Worte bei so wenig geöffnetem Mund so schnell abspulen konnte, »die Engländer sind ein paar Taulängen vor der Küste. Ich muß dringlichst den Kardinal in Pont de Pierre benachrichtigen, aber ich würde kostbare Zeit verlieren, wenn ich erst meine Stute aus dem Stall kommen und satteln lassen müßte. Wäret Ihr bereit, statt meiner zum Herrn Kardinal zu reiten, Herr Graf, wenn ich Euch sehr darum bitte?«

»Von Herzen gern, Monsieur de Bellec«, sagte ich. »Und ich werde nicht verfehlen, dem Kardinal zu melden, daß Ihr das Signal als erster gesehen habt. Würdet Ihr bitte dafür sorgen, daß mein Trommler ungehindert zu seiner Kompanie zurückkehren kann?«

***

Nicolas und ich gelangten ohne große Aufhaltungen durchs Feldlager nach Pont de Pierre, ein Beweis, daß die Nachricht von der englischen Invasion noch nicht weit gedrungen war. Sowie Charpentier mich jedoch beim Kardinal einließ, sah ich auf den ersten Blick, daß er sie bereits kannte, denn er war schon im Harnisch, nur trug er keinen Helm, statt dessen saß die kleine Purpurkalotte, geheimnisvoll befestigt wie stets, auf seinem Hinterkopf. Der metallene Harnisch endete oben an |255|den Ellenbogen und unten in halber Schenkelhöhe. Richelieu hatte gleichwohl auf seine Kardinalsrobe nicht verzichtet, die er, wer weiß wie, sowohl unter wie über dem Harnisch trug. Doch war sie derart kunstvoll gefaltet und zum Gürtel aufgeschlagen, daß er Beinfreiheit hatte und man seine überkniehohen, geschmeidigen Stiefel sah. An seiner Linken hing ein feiner, langer Kriegsdegen, und seinen Hals umgab ein weißer, mit zwei Bändern geschlossener Kragen, der ihn wahrscheinlich vor dem scheuernden Harnischrand schützte.

Man sollte meinen, diese Aufmachung, Prälat und Krieger in einem, hätte verstohlenes Gespött hervorrufen können. Dem war aber nicht so, die Erscheinung war schlank und nervig, der Blick gebieterisch, die Nase gebogen, der Mund geschlossen, und offen gesagt, machte der ganze Mann den Eindruck, als fühle er sich in seinem Harnisch wie zu Hause, und ich glaube, er war, ohne es zu zeigen, glücklicher denn je.

»Monsieur d’Orbieu«, sagte Richelieu mit rascher, entschiedener Stimme, »Ihr kommt gerade recht. Ich bin im Begriff, nach Chef de Baie aufzubrechen und die Kanonen auf gewisse Segel zu richten, die im Bretonischen Pertuis nichts zu suchen haben. Seid so gütig, nach Surgères zu eilen und den König von der Ankunft der Eindringlinge zu benachrichtigen. Surgères liegt zu weit landein, als daß Seine Majestät den schwarzen Rauch vom Fort de la Prée hat sehen oder unseren Kanonendonner von der Pointe du Grouin hat hören können. Und da Ihr, Monsieur d’Orbieu, seiner Entourage in Surgères wohlbekannt seid, werdet Ihr weniger Schwierigkeiten als andere haben, rasch zu Seiner Majestät vorzudringen.«

Obwohl es fast Mitte Mai war und die Sonne schien, schlug uns ein scharfer, böiger Wind ins Gesicht, als wir nach draußen kamen. Richelieu schwang sich mit erstaunlicher Behendigkeit in den Sattel und trabte, von seinen Garden und Musketieren begleitet, nach Chef de Baie, während ich mit verhängten Zügeln in Richtung Surgères sprengte, so daß Nicolas mir kaum folgen konnte. Sobald meine Accla den Zaum nicht spürte, war sie nichts als Freude. Nur widerwillig fügte sie sich für gewöhnlich, wenn sie mit trostloser Langsamkeit inmitten der großen, so schmutzigen und schwerfälligen Kriegsgäule einhertrotten mußte. Die feinen Ohren fröhlich aufgestellt, ging sie ganz von selbst vom leichten Trab in den Galopp über, und |256|da der Wind sie obendrein von hinten antrieb, waren wir binnen nicht einmal drei Stunden in Surgères.

Ich traf Ludwig an einem niedrigen Tisch, wie er sich Brot mit frischer Butter bestrich, ohne daß ich wußte, ob dies schon seine Abendmahlzeit war oder nur ein Imbiß zwischendurch. Als er mich erblickte, legte er das Brot auf seinen Teller.

»Nun, was habt Ihr für Nachrichten, Orbieu?« fragte er.

»Sire, im Bretonischen Pertuis wird eine englische Flotte gesichtet.«

»Soupite«, sagte der König, ohne die geringste Aufregung zu zeigen, »bring meinen Harnisch, laß mein Pferd satteln, und Clérac soll überall zum Aufbruch blasen lassen.«

Dann nahm er sein Brot, aß es bis zum letzten Bissen, erhob sich, und als seine Diener mit dem königlichen Harnisch hereintraten, legte er ihn mit ihrer Hilfe an. Eine Weile darauf wandte er sich an mich.

»Dann habe ich es ja richtig gemacht, daß ich gegen die Einwände eines Marschalls von Frankreich neun zusätzliche Kanonen nach Chef de Baie verlegt habe. Um in die Rochelaiser Bucht zu gelangen, müssen die Engländer nahe an dem Kliff vorbei … Gut«, fuhr er fort, als der Harnisch geschnallt war, »ich bin bereit, die Herren Engländer zu empfangen. Im Bretonischen Pertuis wollen wir sie dulden, aber wenn sie sich vermessen, nach La Rochelle durchzustoßen, kommt keiner davon, dafür habe ich gesorgt. Orbieu, beliebt mir nach Chef de Baie zu folgen. Es kann sein, ich habe einen Auftrag für Euch.«

»Zu Euren Diensten, Sire«, sagte ich knapp. Ich wußte, daß Ludwig langes Gerede nicht schätzte.

Im Feldlager, das noch vor kurzem den Eindruck erweckt hatte, als gedenke man einen ruhigen Tag zu beschließen, eintönig wie jeder andere, wimmelte alles in heller Aufregung. Die Neuigkeit hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet, so gut der Gefreite von Monsieur de Bellec das Kriegsgeheimnis auch gehütet hatte. Und nach dem scharfen Trab, der uns von Surgères nach Pont de Pierre geführt hatte, hieß es nun wieder sehr langsam trotten, als wir die Straße durch die Umzingelung nahmen. So kam es, daß wir Chef de Baie später als gewollt erreichten, doch immerhin noch vor Einbruch der Dunkelheit, um mit eigenen Augen die englische Flotte zu sehen, die außer Reichweite der Kanonen unserer Geschwader und Forts vor Anker lag.

|257|An einer Spitze des Kliffs von Chef de Baie, die dem offenen Meer am nächsten lag, saß Ludwig ab und richtete sein Fernrohr forschend auf die englische Flotte und dann auf unsere. Und wahrhaftig, mit dieser wie mit Richelieu, der sie unter großen Mühen und Kosten aufgebaut hatte, konnte er zufrieden sein. Sie war in vier Geschwader aufgeteilt, das eine, direkt vor Chef de Baie gelegen, kontrollierte die Einfahrt der Schiffe, die vom Bretonischen Pertuis kamen, das andere, auf der drübigen Seite der Bucht, verteidigte das Kliff von Coureille, die beiden übrigen hatten dazwischen ihre Positionen bezogen, so daß der Feind, auf welcher Route er auch in die Bucht einzudringen versuchte, es jedenfalls mit einem Teil unserer Armada zu tun bekam.

Entgegen den verächtlichen Berichten, welche die Rochelaiser den Engländern gegeben hatten, war unsere Flotte weder von der Anzahl noch von der Qualität her minderwertig. Sie wurde von erfahrenen Admirälen befehligt, und die Mannschaften bestanden aus bretonischen und normannischen Seeleuten, die ihr Metier beherrschten, gute Verpflegung, guten Sold genossen und einer eisernen Disziplin unterlagen.

Nur, damit Sie sich ein Bild machen können, Leser: Ging ein Matrose das erstemal unerlaubt von Bord, um sich an Land mit einem Weib zu verlustieren, wurde er »getaucht«, das heißt, man zog den Schuldigen an einer Trosse um das ganze Schiff herum durchs eiskalte Wasser, »um ihn abzukühlen«, wie es hieß. Wurde er rückfällig, hängte man ihn kurzerhand an der höchsten Rah, damit die gesamte königliche Flotte seinen letzten Zuckungen beiwohnen und sich sein klägliches Ende als abschreckendes Beispiel einprägen konnte.

»Monsieur d’Orbieu«, sagte Ludwig, indem er das Fernrohr senkte und sich eine Weile das Augenlid rieb, »was meint Ihr, wie viele Forts und Schanzen wir an beiden Ufern der Bucht haben?«

»Gut zehn, Sire«, sagte ich, »so viele wurden jedenfalls erbaut, seit ich hier bin.«

»Es sind siebzehn, Monsieur d’Orbieu, siebzehn! Und keines weniger. Deshalb denke ich, wenn der feindliche Admiral auch nur eine Unze Menschenverstand in seinem englischen Schädel hat, greift er nicht an.«

»Ich erlaube mir, Sire, Eurer Meinung zu sein«, sagte der Kardinal, der soeben hinzutrat und vor Ludwig ins Knie fiel.

|258|Er war gerade erst angelangt, weil er sich auf den Deichbaustellen mit seinen Anweisungen versäumt hatte, noch mehr Soldaten zum Bau und zum Steinekarren heranzuziehen. Richelieu machte einen großartigen Eindruck, als er sich von seinem Kniefall erhob. Der Ritt im Wind hatte ihm Farbe in die sonst so blassen Wangen getrieben. Der Harnisch verlieh seinem schmalen Leib Fülle, und besagtem Harnisch entwichene Bahnen seiner roten Robe umflatterten ihn im Wind von Chef de Baie, so daß es aussah, als flöge er, obwohl er doch mit beiden Beinen fest auf dem Boden des Reiches stand, das er verteidigte.

»Ah, der Herr Kardinal, da seid Ihr endlich!« sagte Ludwig in jenem zugleich herablassenden und liebevollen Ton, den er oft gegenüber Richelieu anschlug und der zu verstehen gab, daß er ohne seinen treuesten Diener nicht sein konnte, daß dieser Diener aber gut daran tat, sich stets zu gewärtigen, daß immer noch der König »Herr der Butike« war, wie Henri Quatre sagte. »Herr Kardinal«, fuhr er fort, »beliebt Monsieur d’Orbieu zu erklären, warum wir meinen, daß der Engländer nicht angreifen wird.«

Dem König ging es aber nicht so sehr darum, mich über besagte Gründe zu unterrichten: Er wollte sie, zumindest verstand ich es so, zu gerne selbst noch einmal hören, so hoch beglückten ihn diese gewaltigen Befestigungswerke, die La Rochelle vom Meer und von jeglicher Hilfe abschnitten.

»Sire«, sagte Richelieu, »ich behaupte nicht, daß die englische Flotte nicht angreifen wird. Ich behaupte aber, daß sie alle Gründe hat, es bleibenzulassen. Lord Denbigh, der sie befehligt, ist Lord und Admiral nur von Gnaden seines Schwagers Buckingham. Ein armer frischgebackener Lord, der nichts vom Krieg und noch weniger von der Marine versteht! Die Vorstellung, sein Leben und die Flotte seines Königs zu verlieren, muß ihn entsetzen. Und seine Kapitäne werden ihn sicherlich nicht zum Angriff ermutigen. Wir haben in der Bucht so viele Hindernisse und eine solche Feuerkraft aufgerichtet, daß es jedem auf den ersten Blick klarwerden muß, daß ihnen das Eindringen sehr schwerfallen dürfte, aber, sollten sie eindringen, das Herauskommen noch viel schwerer.«

Hierauf legte Richelieu eine Pause ein, um die Aufmerksamkeit seines Gebieters durch dieses Schweigen zu bannen.

|259|»Andererseits, Sire«, fuhr er in verändertem Ton fort, »kann Lord Denbigh aber, sofern er mehr töricht als vernünftig und mehr wagemutig als besonnen ist, seinem guten Stern vertrauen, besagte Hindernisse mißachten und sich zum Angriff entschließen. In dem Fall, Sire, möchte ich an Bord eines unserer Schiffe gehen, um den Verlauf der Seeschlacht zu beobachten und daraus Schlüsse für die Erneuerung Eurer Marine zu ziehen.«

»Und ich«, sagte Ludwig mit Nachdruck, »ich befehle und beschwöre Euch in Gottes Namen, Euch nicht dieser Gefahr auszusetzen. Es ist der größte Liebesbeweis, den Ihr mir geben könnt, wenn Ihr acht auf Euch habt, denn Ihr wißt, was ich Euch mehrmals sagte: Wenn ich Euch verlöre, scheint mir, wäre ich selbst verloren.«

»Oh, Sire!« sagte Richelieu.

Mehr sagen konnte er nicht, denn Ludwig kehrte ihm den Rücken und entfernte sich raschen Schrittes, wahrscheinlich weil es ihm peinlich war, daß er sich zu solchem Erguß hatte hinreißen lassen. Ich warf einen Blick auf den Kardinal, und da ich ihn den Tränen nahe sah, erschüttert gleichsam vor Seligkeit, dieses Zeugnis der Dankbarkeit und Zuneigung seines Herrn vernommen zu haben, wollte ich nicht der indiskrete Dritte sein. Wortlos entschwand ich aus seiner Nähe und folgte dem König, doch in gebührendem Abstand, um auch ihn in seinen Empfindungen nicht zu stören.

Ach, Leser, wie wunderbar und großmütig fand ich, je länger ich darüber nachsann, diese königliche Ehrerweisung gegenüber der untadeligen Ergebenheit und der unerhörten Arbeitsleistung seines Ministers! Und wie er diese ausgedrückt hatte: »Wenn ich Euch verlöre, scheint mir, wäre ich selbst verloren.« Ein Satz, so ergreifend in seiner Sohnesliebe und so bewundernswert in seiner Demut, daß er für immer in mein Gedächtnis eingeschrieben blieb, und ich setze ihn hier zum zweitenmal, auf daß er als ehernes Zeugnis gegen den derzeitigen Hofklatsch stehe, der, von den gehässigen Unterstellungen der diabolischen Reifröcke beeinflußt, in den Fluren des Louvre umging und behauptete, der König sei »ein Idiot, den ein Tyrann beherrscht«.

***

|260|Der Leser wird sich des Marquis de Bressac erinnern, um dessen Lösegeld ich auf königlichen Befehl mit den Hugenotten verhandelte – bis zu jenem Tag, als im Bretonischen Pertuis die englische Flotte aufkreuzte und Hauptmann Sanceaux siegestrunken glaubte, die Königin der Meere werde La Rochelle erretten.

Besagte Flotte jedoch hatte nach achttägigem Warten beigedreht, ohne sich zum Kampf zu entschließen – ein Beweis von gesundem Menschenverstand. Die Verhandlung mit dem Stadtrat wurde wieder aufgenommen, und nachdem wir uns über die Höhe des Lösegelds geeinigt hatten, konnte der Marquis de Bressac seinen Kerker endlich verlassen, fiel mir vor Dankbarkeit in die Arme, drückte mich zum Ersticken und schwor mir die schönste Freundschaft, noch treuer und verläßlicher als die von Achill und Patroklos oder von Orest und Pylades. Ganz grün und blau war ich nach seinen Umarmungen, denn Bressac war ein Hüne von Mann, mit mächtigen Schultern, Beinen wie Säulen und einem Gesicht, das sei nicht verschwiegen, wie ein bärtiger Barbar. Unter dieser rauhen Schale aber verbarg sich eine freimütige Seele und eine große Menschenliebe.

Er war der Sohn eines Hugenotten, der sich, mit einem Messer an der Kehle, zum Katholizismus bekehrt hatte, und ein so guter Katholik er selbst auch war, hatte er der reformierten Religion doch gleichsam eine Kindesliebe bewahrt, die seine Kerkermeister anfangs erstaunte, die sie jedoch sehr anrührte, als sie deren Grund erfuhren.

Der hünenhafte Marquis wurde von drei Frauen geliebt: seiner Mutter, seiner Schwester und seiner Gemahlin. Als sie von seiner Gefangennahme hörten, schickten sie ihm, ohne sich untereinander abzusprechen, Pakete mit allerlei Delikatessen. Diese Pakete wurden von den Rochelaisern erst in die Stadt gelassen, nachdem man sie geöffnet und durchwühlt hatte, um sich zu vergewissern, daß darin keine Seile, Feilen oder Dolche versteckt waren. Nach der Durchsuchung aber wurden sie dem Gefangenen ausgehändigt, ohne daß jemals der kleinste Teil der ihm zugesandten Köstlichkeiten einbehalten wurde. Ebenso hatten die Rochelaiser sich gegen den Feldmarschall Manassés de Pas verhalten (der unterdes übrigens für ein sehr hohes Lösegeld freigekommen war). Und genauso wie den Feldmarschall eine so seltene Redlichkeit gerührt hatte, vor allem bei |261|Menschen, die so bitter darbten, erfüllte sie auch Herrn de Bressac mit Bewunderung, und von Stund an teilte er die guten Dinge mit seinen Bewachern.

Nun glauben Sie ja nicht, Leser, daß der Marquis de Bressac, ein Gardehauptmann, der ein hohes Lösegeld wert war, in einem elenden, vergitterten Gefängnis gesessen hätte. Er bewohnte mit seinen beiden Wächtern ein leerstehendes kleines Haus, dessen Bewohner kürzlich verhungert waren, ebenso wie viele andere in der unglückseligen Stadt, wo tagtäglich an die zehn Menschen vor Entkräftung starben, und diese Zahl erhöhte sich in den folgenden Monaten noch stetig in der entsetzlichsten Weise.

Die beiden Gefangenenwärter, die Monsieur de Bressac in seinen Erzählungen Peter und Paul nannte, wichen ihm nicht von der Seite, froh, ihm ihr Überleben zu verdanken. Sie führten ihn in der Stadt und am Hafen spazieren, damit er sich die Beine vertreten konnte. Sie nahmen ihn sogar mit zum Gottesdienst, denn der Marquis sagte, für ihn sei es kein Unterschied, ob er in einem protestantischen Tempel oder in einer Kirche bete, Gott sei da wie dort derselbe. Als er ins königliche Lager zurückkehrte, bestritt er allerdings, diesen Satz jemals geäußert zu haben. Und den Rat dazu gab ihm Fogacer, der besser als jeder andere die Orthodoxen und ihr erbittertes Streben kannte, jemanden der Ketzerei zu überführen.

»Trotzdem ist es derselbe Gott«, sagte Bressac treuherzig.

»Gewiß«, sagte Fogacer mit seinem langsamen, gewundenen Lächeln, »aber es gibt zweierlei Weise, ihn anzubeten: Die unsere ist gottgefällig, die ihre verdient Abscheu.«

In den Wochen darauf kam Monsieur de Bressac, der eine Wohnung nahe Brézolles gefunden hatte, mich oft besuchen und wurde uns schließlich zum Hausfreund. Uns sage ich, denn nicht nur mir war er stets willkommen, auch Nicolas und Madame de Bazimont, die noch nie einen so großen, so breiten und so muskulösen Mann gesehen hatte und eines Tages erklärte, daß er »sehr schön« sei und daß sie sich gar nicht an ihm sattsehen könne.

»Im Ernst, Mama?« sagte die junge Gattin von Nicolas und zog eine kleine Schnute. »Gewiß ist der Marquis ein sehr wohlgeborener Edelmann, und er weiß Interessantes zu erzählen, aber schön? Findet Ihr ihn wirklich schön, Mama?«

|262|Natürlich war es eine liebenswürdige Herablassung, daß Madame de Clérac, geborene Foliange und Verwandte der Rohans, Madame de Bazimont, deren seliger Gemahl sich den Adelsnamen nur durch den Kauf eines Gütchens erworben hatte, so vertraulich mit »Mama« anredete. Aber mich rührte es, welche Dankbarkeit ihr die junge Frau damit bezeigte, die bei ihrer Ankunft doch einem armen verirrten Küken geglichen hatte, das Madame de Bazimont sogleich unter ihre wärmenden Fittiche nahm.

»Ist das wahr, Madame«, sagte Nicolas, der ja wußte, wie gern die Haushofmeisterin sich necken ließ, wenn es ohne Bosheit geschah, »Ihr findet Monsieur de Bressac wahrhaftig schön?«

»Das finde ich, jawohl«, sagte Madame de Bazimont und errötete wie eine Jungfer, »er ist nicht so schön wie Ihr, Herr Chevalier, und auch nicht wie der Herr Graf. Aber ich würde sagen, der Herr Marquis hat seine eigene Schönheit.«

»Seine sehr eigene«, sagte Nicolas, »und die will ihm auch niemand nehmen.«

Wir lachten und sahen Madame de Bazimont an, die noch röter wurde, diesmal aber vor Glück, sich von uns allen geliebt zu fühlen.

Bevor Monsieur de Bressac sich mit uns zu einem guten Essen setzte, ob mittags oder abends, nahm ich ihn meistens mit auf mein Zimmer und ließ mir von seiner Rochelaiser Gefangenschaft erzählen. Was er zu meinem großen Nutzen tat, doch auch zu meinem Leidwesen, denn kaum hatte er Platz genommen, zog er eine lange, irdene Pfeife hervor, stopfte sie mit Tabak, und nachdem er ihn angezündet hatte, paffte er mit unendlicher, mir aber unbegreiflicher Zufriedenheit vor sich hin, denn ich sah nicht ein, welches Vergnügen es bereiten könne, Rauch in seinen Mund einzusaugen, um ihn wieder auszustoßen. Doch was half es? Ich rückte meinen Lehnstuhl so weit von ihm ab, wie es die Höflichkeit erlaubte, und öffnete dem Rauch heimlich mein Fenster.

Um das Folgende zu erklären, gestatte mir der Leser, einige Tage zurückzugreifen und zu sagen, was mit der Flotte Lord Denbighs geschehen war. Am elften Mai vor der Bucht von La Rochelle aufgekreuzt, verschwand sie in der Nacht vom neunzehnten auf den zwanzigsten Mai, wenn ich so sagen darf, auf |263|leisen Sohlen. Weder hatte sie angegriffen noch irgend etwas anderes getan, außer vor ihrem Abzug ein paar unnütze Kanonenkugeln abzufeuern und einen Sprengsatz gegen eine Palisade zu schießen, der, weil er zu früh gezündet wurde, die betreffende Schaluppe samt den armen Engländern, die sie steuerten, in die Luft jagte.

Welche Hoffnungen und Illusionen nun die Rochelaiser hinsichtlich der englischen Hilfe genährt hatten, woher diese Illusionen rührten und wie ungeheuerlich ihre Enttäuschung war, als diese sich nicht erfüllten, darüber konnte Monsieur de Bressac, der von seinen Wächtern Tag für Tag über die Gefühle der Rochelaiser unterrichtet worden war und also mehr darüber wußte als jeder andere im königlichen Lager, mir etliche Lichter aufstecken. Und mit mir auch Richelieu, der mir erlaubte, ja mich sogar bat, ihm jede dieser Erzählungen zu wiederholen für den Fall, daß sie dem König von Nutzen sein könnten.

Die Gefühle der Rochelaiser, pflegte Monsieur de Bressac zu betonen, könne man nur verstehen, wenn man sich klarmache, daß sie leidenschaftlich an die Gerechtigkeit ihrer Sache und an den Schutz des Herrn glaubten, der ihnen gewißlich beistehe und sie schließlich von allen Leiden mit Hilfe der Engländer befreien werde, weil diese die natürlichen Verbündeten seien, die der Himmel ihnen zu ihrer Erlösung schicke. »Der englische König«, sagte die Herzogin von Rohan, »ist nach Gott die einzige Zuflucht, die uns Rettung bietet.«

Der starke Glaube der Rochelaiser, fuhr Monsieur de Bressac fort, und die nahezu religiöse Hoffnung, die sie auf die englische Unterstützung setzten, führten betrüblicherweise dazu, daß sie die Hindernisse unterschätzten, die wir in der Bucht von La Rochelle errichtet hatten. Er habe mit seinen Wächtern oft freundschaftlich darüber gestritten, sagte er, ohne daß sie in ihrer Überzeugung auch nur um Daumenbreite wankten.

»Sogar den Deich unterschätzten sie?« fragte ich ungläubig.

»Vor allem den Deich! Über den lachten sie ohne Ende! ›Der erste Sturm‹, sagten sie, ›hat den Deich schon eingerissen. Ihr werdet sehen, Herr Marquis, wie der nächste ihm den Garaus macht. Wir Rochelaiser sind Seeleute vom Vater auf den Sohn, wir kennen das Meer! Bei schwerem Wetter hält nichts den haushohen Brechern stand.‹

›Früher oder später‹, entgegnete ich ihnen, ›wird der Deich |264|sicherlich zu Bruch gehen. Aber wann? Das ist die Frage. Bevor die Engländer kommen? Dann allerdings kann die englische Flotte hindurch. Oder erst, wenn die Stadt das letzte Brot gegessen hat?‹

Ihr wißt, Graf«, fuhr er fort, »daß ich es niemals wagte, vor meinen Wächtern das Wort ›Kapitulation‹ auszusprechen. Dieses Wort war in La Rochelle verpönt, verhaßt und gewissermaßen aus der Sprache verbannt.«

»Aber wie antworteten Eure Wächter, wenn Ihr in diesem Sinn argumentiertet?«

»Mit schallendem Gelächter und endloser Geringschätzung des Kardinals. ›Laßt den Richelieu ruhig spielen‹, sagten sie, ›soll er seine Steinchen doch in die Bucht schütten. Wir kennen unsere Bucht. Wir wissen, was mit seinen Steinhaufen passieren wird: Der nächste Sturm fegt sie im Handumdrehen auseinander.‹

›Und die Palisaden?‹ hielt ich ihnen dann entgegen.

›Firlefanz, Herr Marquis!‹ sagten meine Wächter, ›die Palisaden sind nichts wie dicke Stöcke im Schlick. Die Engländer schießen ein paar Brandbomben bei sinkender Flut dagegen, wir ein paar Brandbomben bei steigender, und dann sehen wir den Salat.‹

Ich war baff über solche Reden. Englische Brandbomben, dachte ich, mag sein, aber wie sollen Rochelaiser Brandbomben an die Palisaden kommen, da sie doch jenseits des Deiches stehen? Natürlich verschwieg ich meinen Wächtern diese Gedanken.

›Immerhin‹, sagte ich, ›muß aber die englische Flotte, bevor sie sich die Palisaden vornehmen kann, die königliche Flotte angreifen.‹

Aber sie lachten nur lauthals.

›Herr Marquis, Ihr scherzt: Die Königin der Meere macht einmal Happs, und weg ist das kleine Scheißgeschwader!‹

Wieder war ich entgeistert über solche Reden (wie ich sie mehrfach auch auf meinen bewachten Spaziergängen am Hafen und in der Stadt hörte). Offenbar wußten die Rochelaiser nicht, oder der Stadtrat sorgte dafür, daß sie es nicht wußten, daß dieses ›kleine Scheißgeschwader‹ nur eine Schildwache war und daß das Gros der königlichen Flotte in Brouage und in dem neu gebauten königlichen Hafen von Fort Louis vor Anker lag, und |265|zwar voll bewaffnet und bereit, das ›kleine Scheißgeschwader‹ zu verstärken, sobald die Kanonen der Insel Ré signalisierten, daß im Bretonischen Pertuis englische Segel aufkreuzten.«

Um es zu wiederholen, Leser, ich bezweifle stark, daß der Rochelaiser Bürgermeister, Jean Guiton, und der Stadtrat eine so töricht vertrauensselige Einschätzung der Lage teilten. Vielmehr glaube ich, daß sie diese in der Bevölkerung propagierten, um den Menschen genug Hoffnung zu geben, damit sie ihren schrecklichen Hunger ertrugen. Zu ihrem Unglück, ihrem ganz großen Unglück, führten sie aber dieselbe Sprache gegenüber den Engländern. Um diese zur Hilfeleistung zu ermutigen, versicherten sie ihnen unter anderem sogar, die französische Flotte vor La Rochelle sei ziemlich »wehrlos«.

»In Frankreich wie in England, vor allem in England, heißt es nun nachträglich«, fuhr Monsieur de Bressac fort, »Lord Denbigh habe sich feige verhalten, indem er eine Woche tatenlos vor der Bucht von La Rochelle verharrte, und König Karl soll ihm bei der Heimkehr deshalb die Leviten gelesen haben. Diese Ansicht teile ich keinesfalls. Gewiß war es von Buckingham unverantwortlich gewesen, besagtem Lord, der noch nie zur See gefahren war, das Kommando zu übertragen. Doch hatte dieser als Berater nicht nur die Schiffskapitäne zur Seite, sondern auch einen echtbürtigen Seemann, seinen Vizeadmiral Sir Henry Palmer. Und der war entsetzt, als man vor der Bucht von La Rochelle anlangte und als erstes auf eine furchtgebietende Flotte traf, sodann auf Palisaden, die ebenso schwer zu durchfahren wie zu zerstören waren, und schließlich noch auf einen hohen Deich, der, was immer man ihm darüber auch erzählt hatte, gespickt war mit Kanonen. Und als wäre dies alles noch nicht genug, lagen zu beiden Seiten der Bucht – in der es ja zwischen den Hindernissen zu navigieren galt – reihenweise Forts und Schanzen, deren Batterien nur darauf warteten, die Engländer unter Beschuß zu nehmen. Und die Kapitäne König Karls, die sich sprachlos einer fast doppelten Anzahl großer Kriegsschiffe gegenüberfanden, sagten laut und vernehmlich, es sei völlig abwegig, eine Flotte Seiner Majestät aufs Spiel zu setzen, um den Rochelaisern Lebensmittel für einen knappen Monat zu liefern.«

Der Leser möge nicht glauben, die Engländer hätten sich leichten Herzens zur Tatenlosigkeit und zur Umkehr entschlossen. |266|Jedenfalls aber setzten sie am Abend des neunzehnten Mai die Segel und drehten zur Rückkehr auf ihre Insel ab in den Bretonischen Pertuis.

Wie ich später von Lady Markby erfuhr, hatte Sir Henry Palmer, dessen vertraute Freundin sie war, als einer der ersten Lord Denbigh abgeraten, sich mit seiner Flotte in diese gefährliche, fallenreiche Klamm zu begeben, in welche die Bucht von La Rochelle sich verwandelt hatte: Selbst wenn es glückte hineinzugelangen, war es doch zweifelhaft, ob man wieder herauskäme. Auch berichtete sie mir, daß Sir Henry Palmer an dem Abend, als die englische Flotte umkehrte, auf dem Achterdeck des Admiralsschiffes gestanden und voll Beklommenheit und Mitleid gesehen habe, wie die Türme und Wälle der armen Stadt am Horizont kleiner und kleiner wurden: Die englische Flotte überließ sie gezwungenermaßen dem Hunger und nahm in ihren Laderäumen die nutzlos gewordenen Nahrungsmittel mit zurück, die sie ihr großmütig hatte bringen wollen.

Schöne Leserin, im Zusammenhang mit dieser englischen Expedition will ich Ihnen noch eine Episode erzählen. Ursprünglich nichtswürdig und sinnlos, war sie in ihren Folgen so verheerend, daß es mich mit unauslöschlicher Empörung und Zorn erfüllte und es mir noch heute, da ich mich dessen erinnere, die Kehle zuschnürt und Tränen in die Augen treibt.

Als Lord Denbigh sich unter dem Druck der Kapitäne und seines Vizeadmirals entschloß, nichts gegen die machtvollen Befestigungswerke der Bucht zu unternehmen, schrieb er dem Bürgermeister Jean Guiton und dem Stadtrat einen Brief, den ein verwegener Rochelaiser Seemann, der sich an Bord befand, unter großer Mühsal und Gefahr – indem er alle Hindernisse der Bucht bei Nacht in einer Nußschale überwand –, an seinen Bestimmungsort brachte. Diesen Brief verlas Guiton vor dem versammelten Stadtrat, nachdem er die Schöffen auf die Bibel strengste Geheimhaltung hatte schwören lassen. Lord Denbigh gab den Rochelaisern bekannt, daß er mangels ausreichender Mittel darauf verzichten müsse, in die Bucht einzudringen und die Stadt mit Lebensmitteln zu versorgen. Deshalb forderte er die Rochelaiser auf, mit dem König von Frankreich zu verhandeln. »Wenn man Ihnen«, so lautete der Brief, »eine Vereinbarung anbietet, durch die Sie sich retten können, verwerfen Sie sie nicht, vor allem nicht, solange wir hier sind. Nur die äußerste |267|Notlage, in der wir Sie vermuten, und unsere zu geringen Mittel, um Ihnen Hilfe leisten zu können, bewegen uns zu unserem tiefen Bedauern, Ihnen diesen Vorschlag zu unterbreiten.«

Nach einer Weile der Lähmung und der furchtbarsten Verzweiflung faßte sich Guiton und überzeugte den Stadtrat, zwei Eisen im Feuer zu halten: Zum einen sollten Gesandte zu König Karl von England reisen und ihn anflehen, eine zweite, stärkere Expedition zu entsenden, und gleichzeitig wollte man unterderhand mit dem König von Frankreich verhandeln.

Wenige Tage darauf erhielt ein ehemaliger Bürgermeister von La Rochelle, Paul Yvon, der alt und gebrechlich war, vom Stadtrat die Erlaubnis, die Mauern zu verlassen, und vom König einen Passierschein, dank dessen er durch die Umzingelung zu seinem Gut Laleu gelangen konnte, um Brot und Frieden zu finden. Guiton nun beauftragte Paul Yvon, Richelieu zu fragen, zu welchen Bedingungen der König zur Verhandlung bereit wäre. Es war vereinbart worden, daß Yvon, wenn die Bedingungen schlecht wären, heimlich zurückkehren und den Stadtrat mündlich unterrichten sollte. Wenn sie indes annehmbar wären, sollte ein königlicher Trommler vorm Tasdon-Tor Einlaß verlangen. Wenn sie aber gut wären, sollte Ludwig statt des Trommlers einen Trompeter schicken.

Ludwig und der Kardinal ergriffen die Gelegenheit beim Schopfe. Doch, was zunächst seltsam anmuten mag, schickten sie zum Tasdon-Tor anstatt eines Trommlers oder Trompeters einen Trommler und einen Trompeter. Vielleicht wollten sie dem Stadtrat auf diese Weise andeuten, daß die Bedingungen des Königs annehmbar seien, daß sie aber gut werden könnten, wenn jeder sein Bestes versuche. Wie dem auch sei, vor dem Tasdon-Tor erscheinen also Trommler und Trompeter, der eine trommelt, der andere trompetet. Und nun, schöne Leserin, mischt sich der größte und eitelste Schwachkopf, den man je sah, als Sandkorn ins Getriebe: Sanceaux. Er hört die königlichen Boten draußen trommeln und blasen und sagt sich, daß das wohl nichts anderes bedeuten könne, als daß der Stadtrat insgeheim, unterderhand, ohne ihn im mindesten einzuweihen, mit dem Feind verhandle, ohne ihn, Sanceaux, den heiligen Wächter der Mauern! Der seiner Wichtigkeit angetane Schimpf entflammt den Mann, in seinem tollwütigen Zorn und Eifer |268|greift er sich eine Muskete, legt an, feuert und zerschießt dem königlichen Trommler die Trommel, und dieser macht sich mit dem Trompeter erschrocken aus dem Staube. Eigentlich war es ein Majestätsverbrechen. Die kaum eingeleitete Verhandlung brach ab. Der Stadtrat wagte Sanceaux weder zu bestrafen noch abzusetzen: Man hätte das Geheimnis der Verhandlung allen offenbaren müssen, auch den Pastoren und jenen wohlhabenden Rochelaisern, die noch zu essen hatten und also nicht verhandlungsbereit waren. Guiton und seine Schöffen quittierten den Tatbestand mit düsterem Schweigen: Die Belagerung dauerte weitere sechs Monate, und die Folge war, daß die Einwohner bis auf einen Bruchteil verhungerten. Ich wette, noch nie in der Weltgeschichte hat wohl ein Einzelner durch seine Anmaßung den Tod so vieler Menschen auf sich geladen wie dieser Sanceaux.

Zwei Wochen nach dem Feuer auf die königliche Trommel nahm mein persönliches Geschick eine so unverhoffte und, ich muß sagen, so liebenswerte Wendung, daß ich die Belagerung und ihre Schrecken eine Zeitlang vergaß. Ein schwer verzeihliches Vergessen, ich weiß, das aber verständlich wird durch meine Freude, dem Morast und den widrigen Winden des Feldlagers um freundlicherer Gefilde willen den Rücken zu kehren.

Sowie ich an jenem Morgen im Hause Richelieus in Pont de Pierre erschien, wurde ich gleichsam von Charpentier geschnappt und zum Kardinal geführt, ein untrügliches Zeichen, daß Seine Eminenz ein dringliches Anliegen an mich hatte.

»Monsieur d’Orbieu«, sagte der Kardinal, kaum daß ich eingetreten war, »bitte, nehmt Platz.«

Doch wartete er nicht einmal, bis ich saß.

»Seine Majestät wünscht«, fuhr er fast in einem Atemzug fort, »daß Ihr morgen aufbrecht nach Nantes, Monsieur d’Orbieu.«

»Nach Nantes, Herr Kardinal?« sagte ich, augenblicklich von Glück durchströmt und nur bemüht, mir nichts anmerken zu lassen. »Selbstverständlich stehe ich Seiner Majestät ganz zu Diensten.«

»Monsieur d’Orbieu«, sagte Richelieu, der mein Kompliment mit einer Handbewegung wegwedelte wie eine lästige Fliege, »habt Ihr einmal vom Baron de La Luthumière gehört?«

|269|»Ja, Herr Kardinal: Im Louvre bezeichnete ihn jemand eines Tages als den Piratenbaron.«

»Das ist wieder so ein dummes Hofgeschwätz wie üblich«, sagte Richelieu. »La Luthumière ist kein Pirat. Er ist Gouverneur von Cherbourg und hat vom König den schriftlichen Auftrag erhalten, den feindlichen Schiffen aufzulauern. Demzufolge ist er ein gesetzlich anerkannter königlicher Korsar. Genauso übrigens wie Eure Brüder, Monsieur d’Orbieu.«

»Wie? Meine Brüder haben sich auf die Freibeuterei verlegt?« fragte ich verdutzt.

»In Kriegszeiten läßt man seinen gewöhnlichen Seehandel ruhen und jagt Beute auf hoher See. Und Eure Brüder verstehen das ausgezeichnet, nur können sie mit ihren drei bewaffneten Fleuten keine großen Prisen machen, so wie der Baron de La Luthumière, der über eine kleine Flotte gebietet. Zur Sache denn: Durch unsere Spione vom Aufbruch der englischen Armada nach Plymouth benachrichtigt, machte es sich Monsieur de La Luthumière zunutze, daß besagte Armada von einem Sturm schwer gebeutelt war, und lief in loser Formation aus, die versprengten Schiffe im Ärmelkanal anzugreifen. Das Ergebnis dieser Angriffe übersteigt jede Vorstellung: Drei englische Schiffe hat er versenkt und vier gekapert. Weil er sich mit diesen aber in Cherbourg nicht sicher fühlte, brachte er die Schiffe nach Nantes.«

Richelieu schwieg und legte, die Augen halb geschlossen, eine Hand auf den Nacken seiner Katze, zog sie jedoch zurück, als hätte er sich bei dem Wunsch, sie zu streicheln, ertappt.

»Zur Erläuterung Eures Auftrags, Monsieur d’Orbieu«, fuhr er fort, »will ich Euch über gewisse Umstände aufklären, die Ihr vielleicht nicht oder nur unzureichend kennt. Die guten Engländer, die unserer ungastlichen Küste (und hierbei huschte ein Lächeln über sein schmales, von der Erschöpfung ausgehöhltes Gesicht) jüngst schleunig den Rücken kehrten, hatten nach Buckinghams ursprünglichem Plan zwanzig Kriegsschiffe gegen uns flottmachen wollen – Ihr wißt zweifellos, daß Kriegsschiffe auf Grund ihrer Größe, ihrer umfangreichen Mannschaft und der Vielzahl ihrer Kanonen den Kern einer Flotte bilden. Nun durchforschten die Engländer sämtliche Häfen ihrer Insel, fanden aber nur vierzehn Kriegsschiffe in seetauglichem Zustand. Das sind fast halb so wenige, als wir vor |270|La Rochelle versammelt hatten, nämlich vierundzwanzig. Nun hat ihnen La Luthumière mit einem großartigen Sieg noch drei versenkt und vier gekapert. Damit sind die stärksten Verbände der englischen Flotte reduziert auf sieben, die es künftig mit unseren vierundzwanzig aufzunehmen haben. Aber wir könnten es noch besser. Monsieur d’Orbieu, ahnt Ihr, worauf ich hinauswill?«

»Herr Kardinal«, sagte ich sofort, »wenn die königliche Flotte sich die vier Schiffe von Monsieur de La Luthumière einverleiben könnte, wüchse sie an auf achtundzwanzig.«

»Wie aber sollte der König«, fuhr Richelieu fort, »sich der vier englischen Schiffe La Luthumières bemächtigen? Der Bestallungsbrief, der ihn zum königlichen Freibeuter erklärt, gesteht ihm das Prisenrecht zu. Wie Ihr wißt, ist im Prinzip an dem erbeuteten Schiff alles sein: das Gefährt selbst, die Mannschaft, die Kanonen, das Pulver samt allen verderblichen oder beständigen Gütern an Bord. Nun muß aber die Rechtmäßigkeit einer Prise von der Cour des Prises anerkannt werden, einem königlichen Gericht. Pflichtgemäß wies ich den König auf diesen Ausweg hin. Seine Majestät wollte aber selbstverständlich keinen so ungerechten und schimpflichen Prozeß gegen einen Edelmann anstrengen, der ihm so gut gedient hat. Wenn wir jedoch eine solche Überlegenheit über die Engländer erreichen wollen, daß sie es nicht mehr wagen, La Rochelle zu unterstützen, brauchen wir diese vier Schiffe. Seht Ihr, Monsieur d’Orbieu, eine andere Möglichkeit, die Schiffe zu erwerben?«

Mir war klar, daß der Kardinal mir – wie Sokrates seinen Schülern – eine Frage stellte, deren Antwort er bereits kannte, um mich auf diese Weise für einen Auftrag zu begeistern, indem er mich dessen Notwendigkeit selbst entdecken ließ.

»Herr Kardinal«, sagte ich, »sofern die Finanzverwaltung Seiner Majestät genügend Geld hat und Monsieur de La Luthumière auf einen Handel eingeht, wäre es angezeigt, ihm diese Schiffe abzukaufen.«

»Getroffen, Monsieur d’Orbieu. Was die Kosten anbelangt: Nachdem der König die Bischöfe Frankreichs bereits um drei Millionen erleichtert hat, wird er ihnen wohl auch noch eine Million mehr abringen können.«

Nebenbei bemerkt, Leser, ergötzte es mich, daß ein Kardinal auf Bischöfe das Wort »erleichtern« anwandte.

|271|»Eine Million ist eine stattliche Summe«, fuhr Richelieu fort, »aber es soll Euch überlassen bleiben, welches erste Gebot Ihr Monsieur de La Luthumière machen wollt.«

Also heißt es handeln, dachte ich! Und das mit einem Korsaren! Einem Korsaren, der sicherlich kein Kind war, dem man das Brot in Scheibchen zuteilt!

»Herr Kardinal«, sagte ich, »es könnte aber sein, daß Monsieur de La Luthumière auf diese vier englischen Kriegsschiffe so stolz ist, daß er es rundheraus ablehnt, sich davon zu trennen. Darf ich ihm dann vorschlagen, sie dem König für die Dauer der Belagerung zu vermieten?«

»Monsieur d’Orbieu«, sagte Richelieu mit einem Blitzen in den Augen, »könnte es sein, daß Ihr jetzt mit mir handeln wollt?«

»Keineswegs, Herr Kardinal«, sagte ich voll des höchsten Respekts, »ich dachte daran nur für den Fall, daß es Monsieur de La Luthumière zu sehr widerstreben sollte, den Ruhm seiner Freibeuterei zu veräußern. Das Mietgebot wäre natürlich mein letzter Ausweg.«

»Als solchen akzeptiere ich es«, sagte Richelieu, »aber der Mietzins dürfte hunderttausend Livres nicht übersteigen.«

»Herr Kardinal, darf ich noch etwas fragen?«

»Fragt, Monsieur d’Orbieu.«

»Wenn mich nicht alles täuscht, wird Monsieur de La Luthumière ein harter Verhandlungspartner sein. Dürfte ich, um ihn günstig zu stimmen, vielleicht andeuten, daß der König ihn zum Dank für seine Heldentaten im Adelsrang zu befördern gedenkt?«

»Das dürft Ihr, sagt ihm aber gleich, daß zwischen Vorsatz und Ausführung einige Monate verstreichen könnten. Im übrigen, Monsieur d’Orbieu«, setzte der Kardinal mit einem verschmitzten Lächeln hinzu, »seid Ihr nicht selbst ein Beispiel für solchen Aufschub?«

***

Am fünfzehnten Juni, bei klarem und sonnigem Himmel, brachen wir auf nach Nantes, Monsieur de Clérac mit fünfzehn Musketieren und einem Karren voller Zelte, ich, Nicolas, meine Karosse und meine elf Schweizer samt ihrem Karren. Wie immer wechselte ich, um nicht zu ermüden, zwischen Sattel und |272|Kutsche und lud mir, wenn ich fuhr, bald Monsieur de Clérac, bald Nicolas zur Gesellschaft.

Unsere Reise von La Rochelle nach Nantes dauerte sechs Tage, und je weiter wir uns von Saint-Jean-des-Sables entfernten, desto trüber und schweigsamer wurde mein Nicolas. Am dritten Tag hielt er es nicht mehr aus.

»Herr Graf«, sagte er, als wir beeinander in der Kutsche saßen, »erlaubt Ihr eine Frage?«

»Sprich, Nicolas.«

»Wann sind wir in Nantes?«

»Ich hoffe, in drei Tagen.«

»Also sechs Tage die Hinreise«, sagte er voll Kummer, »die Rückreise noch einmal soviel, macht zwölf Tage.«

»Richtig.«

»Darf ich noch eine Frage stellen, Herr Graf?«

»Bitte, Nicolas.«

»Wie lange werden wir in Nantes bleiben?«

»Leider weiß ich es noch nicht: Das hängt von dem Herrn ab, mit dem ich zu verhandeln habe.«

Hierauf sah Nicolas, sosehr er sich um Haltung bemühte, derart niedergeschlagen aus, daß ich ihm schließlich, wie Richelieu mir, eine Frage stellte, deren Antwort ich durchaus kannte.

»Es hat den Anschein, Nicolas, daß dir die Länge dieser Mission gegen den Strich geht?«

»Herr Graf«, antwortete er tugendhaft, »mir hat nichts gegen den Strich zu gehen. Ich habe Euch zu dienen. Aber dafür scheint Ihr Euch sehr auf Nantes zu freuen?«

»Natürlich freue ich mich, Nicolas, ich kann meine Brüder wiedersehen«, sagte ich scheinheilig.

»Wollt Ihr nicht noch jemanden wiedersehen?«

»Nein. Ich hoffe aber, die Bekanntschaft von Madame de Brézolles zu machen.«

»Aber, Herr Graf«, sagte Nicolas, der seinen Ohren nicht zu trauen glaubte, »Ihr kennt sie doch!«

»Wo, zum Teufel, hast du das her, Nicolas? Sie war zwei Tage vor unserer Ankunft abgereist, den Aufenthalt in ihrem Hause verdanken wir einzig der Güte von Madame de Bazimont.«

Nicolas wandte mir das Gesicht zu und starrte mich fassungslos |273|an. Allerdings war auch ich aus allen Wolken gefallen, als Madame de Bazimont mir nach Erhalt eines Briefes ihrer Herrin diese neue Version der Geschichte mitteilte. Doch hatte mein Staunen kurz gedauert. Da ich die Schläue, um nicht zu sagen den Machiavellismus, von Madame de Brézolles kannte, dachte ich mir, sie müsse für diese erneute Änderung der Tatsachen gute Gründe haben. Auch bewunderte ich, welche Macht sie sich über ihr Gesinde zutraute, das ihre Worte doch bestätigen können oder wenigstens schweigend billigen mußte.

»Wir sollen Madame de Brézolles nie gesehen haben?« fragte Nicolas und sperrte groß die Augen auf.

»Nicht gesehen, nicht kennengelernt. Dachtest du das Gegenteil, Nicolas?« fragte ich vorwurfsvoll.

»Tatsächlich, Herr Graf, aber wie ich Euch jetzt höre, muß ich mich wohl getäuscht haben.«

»Bestimmt hast du dich getäuscht, und weißt du, warum? Du hast die zwei Wahrheiten verwechselt.«

»Weil es zwei Wahrheiten gibt, Herr Graf?«

»Immer, Nicolas. Immer gibt es zwei Wahrheiten.«

»Und die wären, wenn ich fragen darf?«

»Einerseits, Nicolas, gibt es die Wahrheit der Tatsachen. Und andererseits die nützliche Wahrheit. In unserem gegenwärtigen Fall gilt letztere.«

»Ich habe also Madame de Brézolles nie kennengelernt, nie gesehen?«

»Ganz wie ich, Nicolas! Und um ihr meinen Dank dafür auszusprechen, daß sie die Gastfreundschaft, die Madame de Bazimont mir in ihrer Abwesenheit gewährte, durch ein Sendschreiben bestätigt hat, werde ich versuchen, sie kennenzulernen, sobald ich in Nantes eintreffe.«

»Ich verstehe, Herr Graf, daß Ihr der Dame wirklich sehr verbunden seid«, sagte Nicolas, dem es nicht an Witz gebrach, sobald er seine kindliche Einfalt hinter sich ließ.

Hierauf trat in der Kutsche ein Schweigen ein, daß man einen Engel zu hören meinte – den Engel der beleidigten Wahrheit vielleicht. Wie dem auch sei, sein Flügelschlag weckte in mir Gewissensbisse.

»Nicolas«, sagte ich liebevoll, »da du in einer Person mein Junker, mein Schüler und ein wenig sogar mein Sohn bist (bei |274|diesen Worten errötete er vor Freude), sollst du wissen, daß die tatsächliche Wahrheit einem Ehrenmann unendlich viel lieber ist als die nützliche Wahrheit und daß er bei ihr zu bleiben trachtet, wo er nur irgend kann. Indessen gibt es Fälle, bei denen so viele große Interessen, ob öffentliche, ob private, im Spiel sind, daß die nützliche Wahrheit leider zu einer unbedingten Notwendigkeit wird.«

»Ich verstehe schon, Herr Graf«, sagte Nicolas, »und vielen Dank für die Lehre.«

Die Brüder Siorac waren, Gottlob, gerade nicht auf See, um englischen Frachtschiffen nachzujagen, sondern weilten daheim in ihrem schönen, reichen Stadthaus neben der Kathedrale Saint-Pierre.

Und während Hauptmann Hörner und Monsieur de Clérac – der eine mit seinen Schweizern, der andere mit seinen Musketieren – auf königlichen Befehl Unterkunft beim Gouverneur von Nantes suchten, boten die »Herren von Siorac«, höchst angesehene Reeder und Korsaren weitum, mir und Nicolas nach wer weiß wie vielen Umarmungen ihre brüderliche Gastfreundschaft, solange ich mich auch in ihrer guten Stadt aufhielte.

Wir hatten uns kaum zum Abendessen gesetzt – das aus köstlichen Fischgerichten und einem guten Loire-Wein bestand –, als ich mich schon nach der Wohnung des Barons de La Luthumière erkundigte, mit dem ich am folgenden Tag zu tun hätte, sagte ich, ohne Näheres zu erläutern.

»Liebe Zeit!« sagte Pierre, der gesprächigere meiner Brüder, »derzeit ist an den Baron schwerer heranzukommen als an den Provinzgouverneur! Er ist voll beschäftigt, überall mit seinen vier gekaperten englischen Schiffen zu protzen, die er jetzt im Trockendock neu anstreichen läßt.«

»Keine schlechte Sache für einen Korsaren«, sagte Olivier ernst, nur mit den Augen lächelnd.

»Es heißt«, fuhr Pierre fort, »er will sogar den Bug der Schiffe mit seinem Wappen verzieren.«

»Den Bug mit seinem Wappen?« sagte ich, »ist das üblich?«

»Nie und nimmer«, sagte Pierre, »zumal er sich das Wappen eben erst ausgedacht hat. Soweit ich weiß, hatte sein Vater keines.«

»Alles hat seinen Anfang«, meinte Olivier, der zu gutmütig und zu vorsichtig war, um jemandem Übles nachzureden. »Als |275|unser Großvater Siorac vom König zum Baron gemacht wurde, stattete er seine Nachkommen auch mit einem Wappen aus, das jetzt unser ganzer Stolz ist.«

»Wie ärgerlich«, sagte ich, »daß Monsieur de La Luthumière so schwer zu erreichen ist, ich bin nämlich hier, um auf königlichen Befehl mit ihm zu sprechen.«

»Das wird nicht leicht sein, auch mit königlichem Befehl«, sagte Olivier. »Immerhin ist der Baron Gouverneur von Cherbourg, besitzt jetzt eine Flotte von acht großen Schiffen – vier in Cherbourg und vier in Nantes – und hält sich selbst für eine Art König und Herrn der Meere.«

»Es gibt aber einen Weg, an ihn heranzukommen«, sagte Pierre munter, »seine Gemahlin.«

»Seine Gemahlin?« fragte ich.

»Aber ja!« erwiderte Pierre lachend. »La Luthumière gebietet mit eiserner Hand über seine Schiffe, seine Kapitäne, über deren rauhe Mannschaften und die Stadt Cherbourg. Aber daheim gehorcht er seiner Angetrauten.«

»Also ist das Sprichwort wahr«, sagte ich, »Weibeswille, Gotteswille.«

»Demgemäß«, fuhr Pierre fort, »wirfst du, mein lieber Graf, dich morgen in deinen elegantesten Anzug, deinen großartigsten Federhut, vergißt auch beileibe dein Kreuz vom Heilig-Geist-Orden nicht und stellst dich bei der Baronin ein, wenn sie ihre Toilette beendet hat, das heißt, gegen elf Uhr. Vorweg schickst du deinen schönen Junker, dich bei ihr anzumelden. Nachdem du der Baronin sämtliche Reverenzen und Komplimente, genau wie bei Hofe, erwiesen hast – kürze sie ja nicht ab! –, sagst du ihr, daß du Königlicher Rat und vom König nach Nantes entsandt worden bist, um ihren Gemahl zu sprechen, und sagst ihr auch, in welcher Gunst er jetzt beim König steht.«

»Warum soll ich ihr das sagen?«

»Weil sie hofft«, sagte Olivier, »daß Ludwig ihren Mann nach seiner Heldentat zur See auf der Adelsleiter befördert. Die Dame ist es leid, Baronin zu sein, sie brennt darauf, Marquise zu werden wie ihre gute Freundin, Madame de Brézolles.«

»Ach, sie sind Freundinnen?«

»Vertraute und unwandelbare, ja. Deshalb wohnen die La Luthumières, wenn sie nach Nantes kommen, auch nicht, wie |276|es dem Protokoll entspräche, beim Gouverneur, sondern bei Madame de Brézolles, deren Hôtel an unseres grenzt.«

Mein Gott, dachte ich, so nahe bin ich ihr! Und schon hämmerte mir das Herz gegen die Rippen, und meine Hände zitterten, daß ich sie schnell unterm Tisch verstecken mußte. Wahrscheinlich war ich auch blaß geworden, aber meine Brüder geizten ein wenig mit Lichtern, deshalb bemerkten sie es wohl nicht. Ich wartete eine Weile, bis die Stimme in meiner Kehle wieder klar wurde, indem ich mir immerzu wiederholte: Nun, nützliche Wahrheit, steh mir bei!

»Wie gut sich das fügt«, sagte ich dann im natürlichsten Ton, »so kann ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Wenn ich Madame de La Luthumière besuche, werde ich gleichzeitig Madame de Brézolles kennenlernen.«

Meine Brüder wollten es nicht glauben, daß ich sie nicht kannte, obwohl ich in Saint-Jean-des-Sables doch in ihrem Hause wohnte, und ich tischte ihnen ungerührt die neueste Version der Geschichte auf.

Die Nacht wird dem Hoffenden lang, und doch darf er des zufrieden sein, denn noch länger wird sie dem, der an seinem Leben oder seiner Liebe verzweifelt. Um zehn Uhr am nächsten Morgen hielt es mich nicht länger, ich schickte Nicolas, Madame de Brézolles folgendes Billett zu überbringen:

 

»Madame,

da ich dank der Freundlichkeit von Madame de Bazimont das unschätzbare Vorrecht genieße, in Eurer Abwesenheit und ohne Euch zu kennen, Gast in Eurem schönen Schloß zu Saint-Jean-des-Sables zu sein, wäre ich Euch sehr verbunden, wenn Ihr die Güte haben wolltet, mich zu empfangen, damit ich Euch persönlich die unendliche Dankbarkeit aussprechen kann, die ich Euch auf ewig für diese wunderbare Gastfreundschaft bewahren werde.

Ich bin, Madame, Euer sehr ergebener und sehr gehorsamer Diener

Graf von Orbieu«

 

Sowie Nicolas pfeilgleich davongeschossen war, kam mir sein Ausbleiben lang und länger vor, obwohl es nur ganze zehn Minuten währte, wie der Grünschnabel zu seiner Rechtfertigung bemerkte, als ich ihn dafür schalt.

|277|»Herr Graf«, berichtete er, »kaum daß ich eingelassen war, empfing mich ein Lakai, dem ich Namen und Stand nannte und bei dem ich den Majordomus zu sprechen verlangte. Bis dieser Edelmann erschien, verging jedoch eine Weile, Monsieur de Vignevieille ist, wie Ihr wißt, sehr schütter und gebrechlich und setzt nur langsam …«

»Laß deine Beschreibungen!« rief ich. »Komm zur Sache!«

»Das tue ich doch«, antwortete Nicolas mit einem so unschuldigen Lächeln, daß es ihm sofort die Himmelspforte geöffnet hätte. »Wie dem auch sei, Monsieur de Vignevieille jedenfalls tat, als ob er mich nicht kenne, und nahm das Billett mit marmornem Gesicht entgegen, um es seiner Herrin zu überbringen, aber in einem solchen Schneckengang, daß ich mich auf eine lange Wartezeit gefaßt machte. Dem war nicht so, Gott sei Dank! Die große, geschweifte Treppe herab kam leichtfüßig eine reizende Jungfer gesprungen, die ich einmal, wie es in der Bibel heißt, ›erkannt‹ hatte, die sich aber ebenfalls benahm, als ob sie mich nie gesehen hätte, so zahlreich sind in jenem Hause, Herr Graf, die artigen Schüler der nützlichen Wahrheit.«

»Und was sagte die Jungfer?« fragte ich, zitternd vor Ungeduld.

»Madame de Brézolles, Herr Graf, läßt es sich zur Ehre gereichen, Eure Bekanntschaft zu machen, und erwartet Euch um halb zwölf Uhr zum Mittagessen. Hingegen könnt Ihr Monsieur und Madame de La Luthumière heute nicht sehen, weil sie zur selben Stunde beim Gouverneur von Nantes eingeladen sind.«