16 DeR pLan

Zusammen machten wir uns auf den Weg in die Cafeteria. Als wir uns dem Eingang näherten, sagte Sara: »Wir müssen uns einen Plan ausdenken.«

»Was denn für einen Plan?«

»Du verdienst es, glücklich zu sein. Ich habe gemerkt, wie viel entspannter du bist, seit Evan seinen schlechten Einfluss auf dich ausübt. Also lass uns eine Methode finden, wie du es aufs College schaffst, das Leben bei deiner Tante und deinem Onkel durchhältst und trotzdem auch ein bisschen Spaß hast.«

»Klingt unmöglich«, meinte ich kopfschüttelnd.

»Wir werden es superschlau anstellen«, meinte sie und zwinkerte mir zu.

»Irre ich mich, oder hast du mir gerade zugezwinkert?«

»Ach, sei still«, erwiderte sie und gab meinem Arm einen spaßigen Schubser. Zum Glück war es nicht der Arm mit dem frischen blauen Fleck.

Als wir mit unseren Tabletts am Tisch saßen, fuhr Sara mit ihren Überlegungen fort. Ganz offensichtlich hatte sie sich schon eine Weile Gedanken zu diesem Thema gemacht.

»Okay, du und Evan habt eigentlich schon mit dem angefangen, was mir durch den Kopf geht. Du weißt schon, dass wir die Zeit nutzen, die du in der Schule und in der Bibliothek verbringst. Ich glaube, wir könnten versuchen, freitags oder samstags einen Abend dranzuhängen, dann kannst du bei mir übernachten. An den Abenden, an denen du ein Basketballspiel hast, funktioniert das garantiert, aber dann nimmt das Spiel den größten Teil der Zeit in Anspruch und lässt nicht viel Raum für andere Dinge. Ich muss mir noch eine richtig gute Ausrede einfallen lassen, die deine Tante und dein Onkel schlucken, damit du so wenig wie möglich bei ihnen zu Hause sein musst.«

Sie hatte recht – wenn ich behauptete, in der Schule oder in der Bibliothek zu sein, nutzte ich das kleine bisschen Freiheit, das sie mir ließen, schon jetzt zu meinen Gunsten. Da konnte doch ein zusätzlicher Abend nicht so schwer zu ergattern sein, oder? Doch dann fiel mir Carols argwöhnisches Verhör wieder ein, Zweifel überfielen mich, und es lief mir eiskalt den Rücken hinunter. Wie sollte ich damit durchkommen?

»Aber Emma«, erklärte Sara sehr ernst, »wenn du jemals erwischt wirst, werde ich nicht zulassen, dass sie dir etwas antut. Du wirst nicht für meinen Plan bestraft werden. Eher erkläre ich meinen Eltern, was los ist, oder ich rufe die Polizei. Okay?« Ihr war anzusehen, dass sie es todernst meinte.

»Okay«, flüsterte ich, wusste aber, dass ich das niemals geschehen lassen würde. »Sara, wenn wir schon darüber reden – du musst mir vertrauen.« Mir war sofort klar, dass sie mich nicht verstand, und ich fuhr fort: »Ich weiß, was ich mir zumuten kann. Auch wenn es nicht richtig ist – es ist eben so und es wird so bleiben, bis ich endlich ihr Haus verlassen kann. Deshalb musst du mir vertrauen, auch wenn ich dir manchmal nicht sage, was los ist. Okay?«

Einen Augenblick zögerte Sara, anscheinend musste sie meine Worte erst einmal verdauen. »Emma, sei bitte immer ehrlich zu mir.« Ich sah ihr direkt in ihre eindringlichen Augen und nickte, obwohl ich schon jetzt wusste, dass ich mich auch daran nicht halten würde.

Auf dem Weg zu unseren Spinden wandte Sara sich zu mir und fragte: »Bist du jetzt eigentlich offiziell mit Evan zusammen?«

Ich verdrehte die Augen. »Das wird nicht passieren, daran hat sich nichts geändert.«

»Ich begreife einfach nicht, warum du das nicht zulässt«, entgegnete sie und lächelte vielsagend.

Als wir Evan entdeckten, der wartend an meinem Spind stand, wurde ihr Lächeln noch breiter. Und Evan fing an zu strahlen, als er mich mit Sara zusammen sah.

»Hi, Sara«, begrüßte er sie grinsend.

»Hi, Evan«, erwiderte sie fröhlich.

»Bereit für Journalistik?«, fragte er. »Oh, Em, meinst du, der Kurs und die Lernstunde reichen dir, um mit der Zeitung fertig zu werden? Dann könnten wir nach dem Training noch was zusammen unternehmen.«

»Perfekt«, warf Sara ein, ehe ich antworten konnte. »Lasst uns zu mir nach Hause gehen und Pizza holen.« Sie war so begeistert, einen Komplizen für ihr Projekt »Befreit Em« gefunden zu haben, dass sie kaum stillstehen konnte.

Evan wunderte sich zwar offensichtlich etwas über Saras überschwängliche Reaktion, aber er hatte ja auch keine Ahnung, worüber Sara und ich beim Lunch gesprochen hatten.

»Sara schmiedet gerade Pläne, mich noch stärker in die Welt außerhalb der Schule und meines Zuhauses einzubinden. Da passt dein Vorschlag natürlich perfekt«, erklärte ich ihm.

»Das war schon immer mein Plan«, gab er unumwunden zu, und Sara strahlte.

»Ich hoffe, ich weiß, worauf ich mich da einlasse«, sagte ich seufzend und verdrehte die Augen.

»Ja, auf die Chance, ein bisschen was vom Leben zu haben«, verkündete Sara, kaum in der Lage, ihren Enthusiasmus in Schach zu halten.

»Das sagst du«, grummelte ich, aber sie lachte nur. Ich war so froh, sie wieder bei mir zu haben.

Nach dem Training begleiteten Evan und Jason uns zu Sara.

»Es tut mir so leid, Sara, dass ihr nicht beim Homecoming-Ball wart«, sagte ich im Auto zu ihr. »Ich gehe vermutlich recht in der Annahme, dass ich daran schuld bin.«

»Mach dir deswegen bloß keine Gedanken«, winkte Sara ab. »Ich hatte überhaupt keine Lust darauf, und Jason ist so schüchtern, dass es ihm todpeinlich gewesen wäre, mit der Krone auf die Bühne zu müssen.« Aber ich fühlte mich immer noch schlecht, weil sie so einen großen Moment meinetwegen verpasst hatten.

»Wie war denn gestern die Heimfahrt mit Lauren?«, wechselte Sara das Thema.

»Anstrengend«, seufzte ich, und Sara musste lachen. »Mir war nicht klar, dass jemand so viel und so schnell reden kann«, erklärte ich.

»Sie ist echt nett, aber ja, sie hört sich selbst gern reden und findet manchmal kein Ende.«

Saras Haus war dunkel, als wir in der Auffahrt hielten.

»Meine Eltern sind schon wieder bei irgendeinem Abendessen«, bemerkte sie mit einem tiefen Seufzer.

Die nächsten Stunden versinnbildlichten all das, was Sara sich für mich wünschte. Wir aßen Pizza, hörten Musik, spielten Videospiele und lachten. Allmählich füllte das Lachen die Leere in mir, mein Herz kehrte an seinen angestammten Platz in meiner Brust zurück, und ich war wieder ganz.

Da ich nichts davon aufs Spiel setzen wollte, beschloss ich, am besten schon gegen neun wieder zu Hause zu sein. Evan bot an, mich zu fahren. Sara umarmte mich und wünschte mir eine gute Nacht. Als sie versprach, mich morgen abzuholen, blickte Evan, der gerade seine Jacke anzog, zu uns herüber.

»Es hat mir gefallen, dich abzuholen«, gestand er, als wir hinausgingen. »Obwohl du weniger gesprächig warst als sonst, hab ich mich immer gefreut, dich morgens gleich als Erstes zu sehen.«

»Sorry, du musst dich wohl damit zufriedengeben, stattdessen in ungefähr jedem Kurs neben mir zu sitzen.«

»Es ist gut, dass zwischen Sara und dir wieder alles in Ordnung ist«, sagte er unterwegs. »Wie habt ihr das eigentlich geschafft?«

»Ich hab sie dazu gebracht, mir zuzuhören.«

Er lächelte.

 

Die nächste Woche verging, als wäre die Zeit ohne Sara nur eine kleine Atempause gewesen. Jetzt waren wir wieder unzertrennlich. Evan begleitete mich zwar weiterhin in meine Kurse, verschwand aber im zweiten Teil des Tages, wenn ich mit Sara zusammen aß, lernte und Hausaufgaben machte. In den ersten Tagen fiel mir das auf, und ich verstand nicht, warum es mich störte.

Nach der Schule unternahmen wir oft etwas zu dritt, manchmal gesellte sich auch Jason zu uns. Am Donnerstag ließ der Coach uns die zweite Hälfte des Viertelfinales der Jungs ansehen, was sie leider verloren. Evan war am Boden zerstört, erholte sich aber, als ich ihm sagte, dass ich erst um neun zu Hause sein müsse. Am Freitag gewannen wir unser Spiel mit vier zu drei. Ich trug zwei Tore bei, was schön war, denn im Publikum saßen drei Scouts. Coach Peña versicherte mir, dass ich gut gespielt hätte und bestimmt von ihnen hören würde. Ich konnte es nur hoffen.

Am Sonntag traf Sara sich mit Evan und mir zu unserem Bibliothekstag. Ich hatte das Gefühl, dass sie die verlorene Zeit wettzumachen versuchte, was mich sehr freute. Aber ich bemerkte auch die Überraschung in Evans Gesicht, als Sara hinter seinem Auto hielt. Ich wusste nicht, was er ursprünglich geplant hatte, aber als er sah, dass Sara mit von der Partie war, schlug er vor, zu ihm zu fahren und eine Runde Pool zu spielen.

Sara und ich bildeten ein Team und traten gegen Evan an. Natürlich besiegte er uns trotzdem. Nach seiner ersten Reaktion gab es keinerlei Anzeichen mehr, dass er sich nicht über Saras Anwesenheit freute. Während wir spielten, begann Sara einen Plan für das kommende Wochenende auszuarbeiten. Sie malte sich aus, dass ich am Freitag nach dem Meisterschaftsspiel bei ihr übernachtete, vorausgesetzt, wir gewannen das Halbfinale am Dienstag. Ich war nicht überzeugt, weil das Spiel um fünf begann und daher nicht meine Sperrstunde überschritt.

Außerdem suchte sie noch nach einer Möglichkeit, mich auch am Samstag bei sich zu behalten, damit wir sowohl den Samstag als auch den gesamten Sonntag zusammen verbringen konnten. Als sie den Sonntag erwähnte, warf Evan mir einen kurzen Blick zu, widersprach aber nicht. Ich ließ Sara mit ihren Plänen weitermachen, weil ich wusste, dass sie ohnehin nicht umsetzbar waren. Der einzige Tag, an dem ich eine Chance hatte, war der Sonntag, wegen meines gut etablierten Bibliotheksbesuchs.

Alles änderte sich an diesem Abend, als George zu mir sagte: »Wir nehmen die Kinder nächstes Wochenende mit zum Skifahren. Janet hat gesagt, du kannst so lange bei ihr bleiben.«

Mir wurde flau im Magen. Janet wohnte in der übernächsten Stadt, so dass ich am Freitag nicht beim Spiel dabei sein konnte, ganz zu schweigen von der Bibliothek am Sonntag.

»Am Freitagabend ist das Meisterschaftsspiel«, sagte ich.

Carol blitzte mich wütend an. »Vielleicht wirst du darauf verzichten müssen«, meinte sie schneidend. »Meine Mutter ist so nett, dich aufzunehmen, du solltest dankbar sein.«

Mir wurde eng um die Brust, mein Magen zog sich immer mehr zusammen. Das konnte doch nicht wahr sein!

»Kann ich Sara fragen, ob ich vielleicht bei ihr bleiben kann?«, bettelte ich und sah George direkt an, ohne auf Carol zu achten.

»Ja, ich denke, das wäre okay«, stimmte George widerwillig zu, und ich hörte, wie Carol scharf einatmete.

»Ich frage sie gleich morgen«, versprach ich erleichtert.

»Nein, ich rufe lieber ihre Eltern heute Abend noch an«, warf Carol ein. »Ich möchte sicher sein, dass es ihnen auch wirklich recht ist. Nicht dass sie sich dazu verpflichtet fühlen, wenn du fragst.«

Da ich wusste, dass Anna und Carl nichts dagegen haben würden, machte ich mir keine Sorgen. Jedes Mal, wenn ich bei ihnen war, betonten sie, dass ich in ihrem Haus immer willkommen war. Also versuchte ich, nervös auszusehen, obwohl ich in Wirklichkeit ein Lächeln unterdrücken musste – wenn ich Carols Radar entgehen wollte, benahm ich mich am besten wie ein Häufchen Elend.

Nach dem Essen telefonierte Carol mit Anna. Natürlich brachte sie zahlreiche Gründe vor, warum ich zwei Nächte lang eine Last sein würde, aber zu ihrem Leidwesen freute Anna sich auf meinen Besuch. Und ich wusste, Sara würde außer sich vor Freude sein, wenn sie hörte, dass wir uns für unser gemeinsames Wochenende keine Lüge ausdenken mussten.

Ich irrte mich nicht. Als Sara am nächsten Morgen vor dem Haus hielt, platzte sie fast vor Energie, und ich musste über ihre überschwängliche Begrüßung lachen. Sie war schon mitten in der Planung für das Wochenende. Unter anderem zog sie für Samstagabend eine Party in Erwägung, aber als sie sah, wie mir die Farbe aus dem Gesicht wich, verwarf sie die Idee rasch wieder.

»Alles klar«, rief sie, als wir den Korridor hinuntergingen. »Hast du Lust, am Freitagabend ein paar Mädels aus dem Fußballteam zum Übernachten einzuladen?«

»Ich hätte nichts dagegen«, stimmte ich zu ihrer Überraschung sofort zu.

Mit ihrem Plan für Freitag war sie sehr zufrieden, nur die Einzelheiten fehlten noch. Zum Beispiel mussten wir uns für das Meisterschaftsspiel qualifizieren und es dann gewinnen.

Sara plapperte noch immer darüber, als Evan nach der Morgenstunde zu uns stieß.

»Emma ist das ganze Wochenende über bei mir!«, verkündete Sara, ehe sie den Korridor hinunter verschwand.

»Echt?«, vergewisserte sich Evan auf dem Weg zu Englisch.

»Meine Tante und mein Onkel nehmen ihre Kinder übers Wochenende mit zum Skifahren nach Maine«, erklärte ich ihm.

»Was machen wir denn am Wochenende?«

»Ich denke, Freitag machen wir einen Mädchenabend. Beim Rest bin ich mir nicht sicher, da musst du Sara fragen. Wie es aussieht, hab ich mit der Planung nicht sehr viel zu tun.«

Ich hatte große Angst, die Woche würde sich endlos hinziehen, denn ich freute mich schon jetzt so aufs Wochenende. Doch die Zeit verging glücklicherweise ziemlich schnell.

Die Pläne für Freitagabend waren besiegelt, als wir am Dienstag das Halbfinale für uns entscheiden konnten. Das Ergebnis war knapp, aber wir gewannen mit zwei zu eins, nachdem Lauren in der letzten Minute den Siegtreffer erzielte und so ihr Abschlussjahr perfekt machte.

Sie hatte beschlossen, das Team unabhängig vom Ausgang des Spiels am Freitag bei sich zu versammeln, und Sara hatte fünf von den Mädels diskret eingeladen, danach bei ihr zu übernachten. Ich freute mich echt auf diesen Mädchenabend. Da ich sie alle gut kannte, hatte ich nichts dagegen, mir die Nacht mit ihnen um die Ohren zu schlagen.

Was wir am Samstag machen wollten, hatten wir noch nicht festgelegt. Erst am Mittwochnachmittag fiel die Entscheidung – durch mich. Ich stand an meinem Spind und wollte meine Chemiebücher holen, als mich Jake Masters ansprach – ein Freund von Evan, Kapitän der Fußballmannschaft, der Kerl, der mir auf Scott Kirklands Party zugezwinkert hatte.

»Hey, Emma«, meinte er lässig, als unterhielten wir uns jeden Tag. »Wie geht’s denn so?« Er lehnte sich an den Spind neben meinem und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf mich.

»Gut, Jake«, antwortete ich und schaute mich um, ob er tatsächlich mit mir redete. »Und wie sieht es bei dir aus?«

Ohne auf meine Frage einzugehen, fuhr er fort.

»Hör mal, ich gebe Samstagabend eine Party, nichts Großes, nur zwanzig Leute oder so, alles gute Freunde. Und ich hätte dich auch gern dabei. Was meinst du?«

Ehe ich verdauen konnte, was er gesagt hatte, fügte er noch hinzu: »Oh, und wenn du magst, kannst du auch gerne Sara mitbringen – oder sonst jemanden.«

»Okay«, antwortete ich, ohne wirklich zu begreifen, dass ich ihm zusagte.

»Super! Dann sehen wir uns am Samstag.« Im Weggehen zwinkerte er mir wieder zu, und ich blieb völlig verdutzt zurück. Einen Moment stand ich da, sah mich um und wartete darauf, dass jemand mich auslachte, weil alles nur ein Scherz war. Und was sollte dieses Gezwinker? Ehrlich, das war echt schräg.

Auf dem Weg zum Mathekurs sagte ich zu Evan: »Ich weiß jetzt übrigens, was wir Samstagabend machen.«

Evan seufzte und fragte: »Na toll, was hat Sara denn geplant?«

»Genaugenommen habe ich Jake Masters versprochen, dass wir zu seiner Party kommen.« Ich hatte erwartet, er würde loslachen, weil ausgerechnet ich den Entschluss fasste, zu einer Party zu gehen. Aber er schwieg, und ich musterte sein nachdenkliches Gesicht.

»Was denn?«

»Jake hat dich zu seiner Party eingeladen?«

»Ja, ich war auch total überrascht und weiß noch immer nicht so recht, warum er mich dabeihaben will – aber er hat mich eingeladen. Und ich hab zugesagt.«

Jetzt lachte Evan kurz auf. »Du hast also keine Ahnung, warum Jake dich zu der Party eingeladen hat? Weiß er denn, dass du mich mitbringen willst?«

»Er hat gesagt, ich kann mitbringen, wen ich will.« Ich kapierte überhaupt nicht, warum Evan das so interessante.

»Okay, wir gehen also zu Jake Masters’ Party«, meinte er schließlich. »Hast du schon mal was über seine Partys gehört?«

»Nein. Warum?« Sein Ton machte mich unsicher, ich wusste nicht, ob ich Genaueres erfahren wollte.

»Die sind meistens ziemlich … exklusiv«, erklärte er. »Ich war schon mal bei einer.«

»Und – war es schrecklich?«, hakte ich nach, als er nicht weitersprach. Jetzt wollte ich doch wissen, worauf ich mich da eingelassen hatte.

»Nein, nein«, wiegelte er sofort ab. Dann fiel ihm offensichtlich ein, dass er mir Angst machte, und er fügte beschwichtigend hinzu: »Alles gut. Nur keine Sorge.«

Sara reagierte wesentlich aufgeregter, als ich ihr von der Einladung erzählte. Auch sie hatte schon von Jakes handverlesenen Gästelisten gehört und war begeistert, endlich zu erfahren, was es damit auf sich hatte. Eigentlich verwunderte es mich, dass sie noch nie bei einer der Partys gewesen war. Ich sagte ihr, sie könne gern auch Jason mitbringen, was sie wahrscheinlich ohnehin schon geplant hatte.

Als der Freitag dann endlich kam, war ich ein Nervenbündel, ich konnte an nichts anderes denken als an das Spiel am Abend. Das Mädchen-Fußballteam von Weslyn war in der Liga schon immer sehr wettbewerbsfähig gewesen, aber jetzt hatte es die Mannschaft zum ersten Mal seit zehn Jahren ins Finale geschafft.

Meine stille Nervosität war das Gegenstück zu Saras überschwänglicher Vorfreude. Während der ganzen Fahrt zur Schule zappelte sie herum und konnte ihre Energie kaum bändigen. In dem Versuch, unsere Gedanken von dem bevorstehenden Spiel abzulenken, fing sie an, die Pläne fürs Wochenende noch einmal durchzugehen. Da ich mich überhaupt nicht auf das konzentrieren konnte, was sie sagte, wusste ich auch nichts beizutragen und ließ sie einfach reden.

Als wir in der Schule ankamen, wurden wir auf den Korridoren mit selbstgebastelten Bannern und Flyern empfangen, auf denen dem Mädchenteam Glück für das Meisterschaftsspiel gewünscht wurde. Unsere Spinde waren mit Luftschlangen, Aufmunterungsparolen in Glitzerbuchstaben sowie unseren Trikotnummern dekoriert. Beim Anblick des ganzen Glitzerzeugs stöhnte ich leise auf, doch Sara kreischte vor Begeisterung.

»Ich weiß nicht, wie ich den Tag überstehen soll«, rief sie. »Ich kann gar nicht abwarten, bis es endlich so weit ist!« Natürlich überlegte ich auch, wie ich den Tag überleben sollte. So kurz vor dem Spiel war es schwer, sich zu konzentrieren, da half auch die überschüssige Energie nicht – sie war überwältigend und verwirrend. Am liebsten hätte ich mich mit meiner Musik irgendwo in einen leeren Raum verzogen und versucht, mich zu sammeln.

Aber es wurde noch schlimmer. Während der Morgenstunde teilte man uns mit, dass wir in der letzten Stunde früher gehen und uns zur Motivationsveranstaltung in der Turnhalle treffen sollten. Mir blieb der Mund offen stehen, als ich Sara begeistert aufschreien und den Rest des Raums einstimmen hörte.

»Freust du dich auf das Spiel?«, fragte Evan, während Ms Abbott unsere letzten schriftlichen Arbeiten austeilte.

»Ich glaube, ich muss mich übergeben«, gestand ich, verschränkte die Arme auf dem Tisch und ließ den Kopf darauf sinken. Evan kicherte.

»Mach dir keine Sorgen, du wirst großartig spielen«, beruhigte er mich.

»Ich wünschte, man würde das Spiel wie jedes andere behandeln und aufhören, so ein Theater darum zu machen«, sagte ich, ohne den Kopf zu heben.

»Ich möchte deine Übelkeit nicht noch schlimmer machen, aber ich weiß nicht, ob ich morgen Abend zu Jakes Party kommen kann.«

»Was?« Mit einem Ruck richtete ich mich auf. Leider hatte ich vor Schreck etwas zu laut reagiert, und mehrere Köpfe wandten sich zu mir um. Aber Ms Abbott teilte weiter die Arbeiten aus und ließ sich nicht von mir stören.

Bevor Evan fortfuhr, wartete er ab, bis sich die Neugier wieder gelegt hatte.

»Meine Eltern wollen mich zwingen, sie morgen zu einem Wohltätigkeitsdinner zu begleiten«, erklärte er dann in einem Ton, dem deutlich anzuhören war, dass er sich ärgerte. »Es wird von einem ihrer Partner ausgerichtet, und wir müssen uns sehen lassen. Mir bleibt keine andere Wahl – tut mir echt leid.«

Der Gedanke, nur mit Jason und Sara zu einer Party zu gehen, war mir nicht sonderlich angenehm. Ich wollte nicht, dass sie sich verpflichtet fühlten, mich zu unterhalten, obwohl sie eigentlich viel lieber zu zweit gewesen wären. Das bedeutete aber, dass ich für mich sein würde, und das wiederum machte mir Angst.

Offenbar konnte man mir meine Gedanken vom Gesicht ablesen, denn Evan sagte: »Mach dir keine Sorgen, ich sehe, was ich tun kann.«

»Ist schon in Ordnung«, wehrte ich ab und versuchte, mir meine Enttäuschung nicht anhören zu lassen. »Ich versteh das ja.«

Dann musste ich noch Geschichte und Chemie überstehen und dabei nicht nur meine Nervosität wegen des Spiels in Zaum halten, sondern auch noch meine Angst, ohne Evan zu Jakes Party zu gehen. Aber ich zwang mich, alle Gedanken an die Party wegzuschieben und mich auf die erste Hürde zu konzentrieren – das Spiel zu gewinnen.

Evan wartete vor dem Chemieraum auf mich, ein schelmisches Grinsen auf dem Gesicht. Vorsichtig ging ich auf ihn zu.

»Ich weiß nicht, ob ich hören will, was du mir zu sagen hast.«

»Aber ich glaube, ich habe eine Möglichkeit gefunden, wie wir beide den morgigen Abend gut überstehen.«

»Und zwar?«, fragte ich, immer noch sehr skeptisch.

»Du kommst mit mir zu dem Essen …«

Ehe er fortfahren konnte, schnappte ich hörbar nach Luft. Evan stockte und biss sich auf die Lippen.

»Es wird bestimmt nicht so schlimm«, tröstete er mich. »Außerdem kannst du dich dort für die Party aufwärmen, und du wärst meine Ausrede, dass ich nicht bis zum Schluss bleiben kann – hinterher gehen wir dann zusammen zur Party.« Ich wusste nicht, was schrecklicher war – praktisch allein zu einer Party zu gehen oder Evans Eltern zu treffen und von Erwachsenen umringt zu werden, die erwarteten, dass ich intelligent und schlagfertig mit ihnen Konversation machte.

»Vielleicht bitte ich Sara, dass sie zu Hause bleibt und sich stattdessen mit mir einen Film anschaut«, flüsterte ich und versuchte, regelmäßig zu atmen.

»Ich wusste, dass es eine blöde Idee war«, meinte Evan leise und sah weg. »Ich hasse diese Abendessen – ich hasse es, so zu tun, als wäre ich der perfekte Sohn meiner perfekten Eltern, während ich Smalltalk mit arroganten Leuten mache, die sich letztlich nur mit ihren Erfolgen brüsten wollen. Ich dachte, es wäre vielleicht nicht so grässlich, wenn du dabei bist.«

Ich antwortete nicht, während wir zu unseren Plätzen gingen. Auch Evan setzte sich stumm neben mich. Ich warf ihm in der Stunde immer wieder verstohlene Blicke zu. Er wirkte so … traurig. Es gefiel mir ganz und gar nicht, wie er dasaß, mit verkniffenem Mund und hängenden Schultern. Kein Zweifel, dieses Abendessen war für ihn das, was Scotts Party für mich gewesen war, und ich wusste nicht, wie ich ohne ihn den Abend damals überstanden hätte.

Schließlich holte ich tief Luft, schluckte und führte mir schnell noch einmal vor Augen, wozu ich mich jetzt gleich bereit erklären würde. Beim Gedanken daran, Evans Eltern kennenzulernen, wurde mir zwar schwindlig, aber wenn ich ihn anschaute, wurde mir warm ums Herz. Ich tat das Richtige, ich musste es wagen.

»Ich tu’s«, sagte ich, als es am Ende der Stunde klingelte.

»Was?«

»Ich glaube, das ist ein guter Kompromiss«, antwortete ich und gab mir alle Mühe, zuversichtlich zu klingen. »Ich geh mit dir zu dem Abendessen, und du gehst mit mir zur Party.« Er musterte mich prüfend und vergewisserte sich, dass ich es ernst meinte, dann erschien ein erfreutes Lächeln auf seinem Gesicht.

»Du weißt, dass du mir damit einen Riesengefallen tust, ja?«

»Schon gut«, meinte ich abwehrend. »Ich bin dir immer noch was schuldig wegen Scotts Party. Aber ich muss dich warnen, Smalltalk liegt mir nicht besonders. Es könnte also sein, dass ich dich am Ende blamiere.«

Er lachte. »Ach, das glaube ich nicht. Außerdem wirst du sehen, dass du gar nicht viel zu reden brauchst. Diese Leute quasseln am liebsten über sich selbst, du musst im Grunde nur dastehen und nicken. Keine Angst, ich werde dich auch mit keinem von denen alleine lassen.«

Direkt bevor wir den Kunstraum betraten, hielt Evan inne und sah mich an.

»Bist du auch sicher, dass du es tun willst?«

Ich verzog meinen Mund zu dem besten falschen Lächeln, das ich zustande bringen konnte, und sagte: »Na klar.« Als ich die Erleichterung in seinen Augen sah, spürte ich, dass ich mein Lächeln nicht mehr erzwingen musste.

Beim Lunch erzählte ich Sara von den überarbeiteten Plänen.

»Nein!«, stieß sie aufgeregt hervor. »Du lernst seine Eltern kennen?«

Nachdem sie eine weitere Minute nachgedacht hatte, fügte sie hinzu: »Weißt du, ich glaube dir nicht, dass ihr einfach nur Freunde seid. Du stehst auf ihn, ganz egal, ob du es zugibst oder nicht.«

»Sara!«, rief ich, und meine Wangen wurden heiß. »Du weißt doch überhaupt nicht, wovon du redest!« Den Rest der Mittagspause kühlte mein Gesicht nicht ab, und es war keineswegs hilfreich, dass Sara die ganze Zeit vor sich hin grinste und damit das Feuer in mir schürte.

»Du musst mir aber versprechen, dass du deine Meinung in seiner Anwesenheit für dich behältst«, bat ich sie fast flehend.

»Em, ich würde niemals öffentlich über deine Gefühle für ihn reden«, versprach sie sofort.

»Über die Gefühle, von denen du denkst, dass ich sie für ihn habe!«, verbesserte ich sie, aber weitere Gegenargumente fielen mir nicht ein.

Ich war so überwältigt, dass ich in Journalistik kaum stillsitzen konnte. Auf der einen Seite Saras provozierendes Grinsen, auf der anderen Evans faszinierendes Lächeln – mir schwirrte der Kopf. Ich konnte die Gefühle nicht leugnen, die mich jedes Mal durchströmten, wenn ich in Evans Nähe war. Aber ich hatte mich doch davon überzeugt, dass es am besten war, wenn wir einfach nur Freunde blieben! Und ich wusste doch, was am besten war, oder etwa nicht?

Ich konnte nicht einmal den Gedanken zulassen, dass er mehr war als ein Freund, ich hatte viel zu viel zu verlieren. Warum nahm ich mir Saras Meinung so zu Herzen? Ich hatte doch keine ernsthaften Gefühle für Evan, richtig? Auf keinen Fall …

Ich beobachtete, wie Evan Ms Holts Ausführungen über unser aktuelles Aufgabengebiet lauschte. Nachdenklich betrachtete ich sein Profil, die gerade Nase, die ausgeprägten Wangenknochen, das kantige Kinn. Seine makellosen Lippen waren leicht geöffnet, während seine stahlblauen Augen zwischen Ms Holt und seinem Notizblock hin und her wanderten, auf den er gelegentlich ein paar Worte kritzelte. Die geschmeidigen Halsmuskeln verschwanden unter dem blauen Pullover, der die Konturen seines Brustkorbs erahnen ließ. Ganz langsam atmete ich ein und aus, unfähig, meine Augen abzuwenden, während mein leise pochendes Herz durch meinen ganzen Körper ein Prickeln sandte, das mir eine Gänsehaut auf den Armen verursachte.

Als Evan plötzlich zu mir herüberschaute, wandte ich hastig den Kopf ab und wurde rot. Mir war klar, dass er nicht wusste, was ich dachte – ich wusste es ja selbst nicht –, aber ich wollte trotzdem nicht, dass er mich beim Starren erwischte. Ernsthaft – was bildete ich mir denn ein? Ich konnte doch keine solchen Gefühle für Evan haben! Was war bloß los mit mir? Bilder unserer gemeinsamen Zeit schwirrten mir durch den Kopf, meine Gedanken liefen völlig aus dem Ruder. Schließlich kapitulierte ich vor dem, was ich den ganzen letzten Monat zu ignorieren versucht hatte, holte tief Luft und stellte mich der Wahrheit – ich war in Evan Mathews verliebt.

»Alles klar?«, flüsterte Sara. »Du siehst aus, als würdest du gleich ausrasten.«

»Ms Holt«, unterbrach ich den Unterricht mit etwas schwankender Stimme. Die ganze Klasse drehte sich zu mir um. »Äh, Sara und ich müssen jetzt gehen, damit wir uns für die Motivationsveranstaltung fertig machen können.«

Ehe Ms Holt etwas einwenden konnte, stand ich auch schon auf und rannte, meine Bücher unter dem Arm, zur Tür hinaus. Auf dem Korridor wandte ich mich noch einmal um und ermahnte Sara zur Eile, weil sie in aller Ruhe ihre Sachen zusammensammelte.

»Was ist denn los mit dir?«, wollte sie wissen, als wir in die Mädchentoilette gingen, aber bevor ich antwortete, überprüfte ich erst einmal die Kabinen. Sara beobachtete mich mit besorgtem Blick.

»Ich bin wirklich total durch den Wind«, gestand ich ihr dann in lautem Flüsterton. »Sara, ich kann nicht fassen, dass ich ihn mag.«

»Da komm ich nicht mit«, antwortete sie mit zusammengekniffenen Augen. »Und warum flüsterst du?«

»Du hast recht. Evan ist für mich mehr als nur ein Freund«, seufzte ich.

»Und das fällt dir jetzt erst auf?« Sara lachte beinahe.

»Sei still, Sara«, fauchte ich, immer noch flüsternd. »Das ist schrecklich. Ich darf solche Gefühle nicht haben. Du kannst unmöglich behaupten, dass du nicht verstehst, warum ich deswegen ausflippe.«

Sie nahm meine Verzweiflung zur Kenntnis und holte tief Luft.

»Ich weiß schon, warum du denkst, du könntest nicht mit ihm zusammen sein. Aber ich glaube, dass du dir nur noch mehr weh tust, wenn du versuchst, deine Gefühle zu leugnen.«

»Außerdem – woher weiß ich denn, dass er dasselbe empfindet? Ich kann es ihm nicht sagen. Dann wäre zwischen uns alles so komisch, dass wir nicht mal mehr befreundet sein könnten.«

Sara schüttelte fassungslos den Kopf. »Du bist so ein Idiot. Natürlich empfindet er dasselbe für dich. Ich kann gar nicht glauben, dass du so blind bist. Hast du Angst, sie würde es rausfinden, wenn du mit ihm zusammen wärst?«

»Sollte sie jemals rausfinden, dass ich mit irgendeinem Jungen zusammen bin, würde ich alles verlieren. Carol würde mich überhaupt nicht mehr aus dem Haus lassen. Evan darf nie erfahren, was da vor sich geht! Ich kann das nicht machen.«

»Nein, du kannst das nicht machen«, stimmte sie mir entschieden zu. »Ich handle schon jetzt ständig gegen mein Bauchgefühl, indem ich dein Geheimnis bewahre. Ich werde nicht zulassen, dass du dich einem noch größeren Risiko aussetzt. Carol dreht durch, wenn sie die Geschichte mit Evan rausfindet.«

Diese Antwort hatte ich nicht erwartet. Natürlich wusste ich, dass Sara vollkommen recht hatte, aber mein Herz wurde trotzdem schwer.

»Ich möchte nicht, dass du ihn aufgibst, deshalb müssen wir eine Möglichkeit finden, wie ihr Freunde bleiben könnt – mehr nicht. Vielleicht solltest du lieber nicht alleine mit ihm zusammen sein.«

»Muss ich aber am Wochenende«, schnaubte ich, und der Gedanke an dieses Abendessen quälte mich noch mehr. »Aber Sara, wenn ich nicht mit ihm allein sein kann, dann sollte ich auch nicht mit ihm befreundet sein. Du kannst ja nicht ständig die Aufpasserin spielen, damit er mir nicht zu nahe kommt. Hilf mir einfach nur, einen klaren Kopf zu behalten, das reicht. Wenn ich nicht damit umgehen kann, darf ich nicht mehr in seine Nähe kommen. Ganz einfach.«

»Das kriegen wir hin«, versicherte sie, konnte aber ihr Grinsen nicht unterdrücken. »Obwohl ich mir schon die ganze Zeit wünsche, dass ihr beiden zusammenfindet.«

»Sara, das ist nicht hilfreich!«, fauchte ich, und diesmal flüsterte ich nicht.

»Du hast recht – sorry«, antwortete sie, grinste aber weiter.