2 ErStEr eiNdRuCk

Während ich mit Sara zum Journalistik-Kurs ging, merkte ich, dass die Darbietung beim Lunch immer noch in ihrem Kopf herumspukte. Sie machte einen geradezu verzückten Eindruck – es war fast ein bisschen unheimlich. Schweigend ging ich neben ihr her und hoffte, sie würde bald wieder normal.

Im Kursraum steuerte ich sofort auf den Computer mit dem extragroßen Monitor zu und rief den neuesten Entwurf der Weslyn High Times auf. Vollkommen auf den Bildschirm konzentriert, blendete ich das Stühlerücken und Stimmengemurmel der anderen einfach aus. Die Ausgabe musste in dieser Stunde druckfertig werden, damit wir sie morgen früh in Umlauf bringen konnten.

Von fern hörte ich, wie Ms Holt um Aufmerksamkeit bat und dazu aufforderte, die Aufträge für die Ausgabe der nächsten Woche durchzugehen. Doch ich widmete mich weiter dem Seitenaufbau, verschob Anzeigen, passte sie den Artikeln an und fügte Fotos ein, um die Beiträge entsprechend zu ergänzen.

»Ist es zu spät, um für die nächste Wochenausgabe noch einen weiteren Artikel zu berücksichtigen?«

Die Stimme lenkte mich ab. Ich kannte sie nicht. Der Junge sprach, ohne zu zögern, zielstrebig und selbstbewusst. Ich starrte auf den Bildschirm, ohne wirklich zu sehen, was ich vor mir hatte, und wartete. Im Raum herrschte gespannte Stille. Ms Holt forderte den jungen Mann auf fortzufahren.

»Ich wollte einen Artikel über das Selbstbild von Teenagern schreiben. Ob sie fähig sind, ihre körperlichen Mängel zu akzeptieren. Dafür würde ich gern Interviews mit Schülern machen und Fragebögen verteilen, um rauszufinden, welches Körperteil sie am meisten verunsichert.« Jetzt drehte ich meinen Stuhl herum, denn es interessierte mich, wer sich ein dermaßen brisantes Thema einfallen ließ. »Der Artikel könnte zeigen, dass jeder gewisse Unsicherheiten hat, unabhängig vom sozialen Status, der ihm zugeschrieben wird.« Während er das erklärte, schaute er zu mir herüber. Anscheinend hatte er gemerkt, dass ich zuhörte. Ein paar von den anderen hatten ebenfalls zur Kenntnis genommen, dass ich nicht mehr am Computer hing, beobachteten mich und versuchten offensichtlich, meinen nachdenklichen Gesichtsausdruck zu deuten.

Die Stimme gehörte einem Jungen, den ich noch nie gesehen hatte. Während er fertigsprach, fing ich an, mich zu ärgern. Wie konnte jemand mit einem so offensichtlich makellosen Äußeren glauben, es wäre in Ordnung, dass emotional verletzliche Mitschüler ihm offenbaren sollten, was sie an sich selbst nicht mochten? Womöglich müssten sie ihm Unsicherheiten anvertrauen, die sie sich kaum selbst eingestehen konnten. Wer würde denn gern offen über seine peinlichen Mitesser reden oder zugeben wollen, Körbchengröße A zu tragen oder die Muskelmasse eines Zehnjährigen zu besitzen? Das klang brutal. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr irritierte mich die Idee. Ehrlich – wer war dieser Kerl überhaupt?

Er saß ganz hinten in der Klasse, in einem hellblauen Hemd und einer perfekt sitzenden Jeans. Die Ärmel waren aufgerollt und genügend Knöpfe offen, dass man seine glatte Haut und die Andeutung eines schlanken, muskulösen Oberkörpers erkennen konnte.

Das Hemd unterstrich seine stahlblauen Augen, die im Raum umherwanderten und Kontakt zu den Zuhörern suchten. Obwohl alle ihn anstarrten, machte er einen recht entspannten Eindruck. Wahrscheinlich war er es gewohnt, dass man ihn zur Kenntnis nahm.

Aber da war noch etwas anderes an ihm, das ich nicht recht identifizieren konnte – irgendwie schien er älter, als wäre er womöglich schon in der zwölften Klasse. Er hatte ein jugendliches Gesicht mit einer starken Kinnpartie, die sich in seinen ausgeprägten Wangenknochen fortsetzte, eine gerade Nase und makellos geschwungene Lippen. Eine bessere Knochenstruktur hätte kein Bildhauer erschaffen können.

Wenn er redete, zog er ohne Mühe die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer auf sich. Sogar bei mir hatte es offenkundig funktioniert. Seine Stimme war auffallend tragfähig, und ich vermutete, dass er oft vor einem reiferen Publikum sprach. Aber ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich ehrlich von ihm beeindruckt war oder ob ich ihn arrogant fand. Da er ein enormes Selbstbewusstsein ausstrahlte, neigte ich eher zur Arroganz.

»Interessante Idee …«, begann Ms Holt.

»Im Ernst?«, fiel ich ihr ins Wort, ehe ich mir auf die Zunge beißen konnte. Sofort spürte ich, wie sich vierzehn Augenpaare auf mich richteten, und aus dem Augenwinkel sah ich, dass ein paar staunend den Mund aufsperrten. Aber ich konzentrierte mich auf den Kerl mit der ungewöhnlichen Stimme, und rauchblaue Augen erwiderten verblüfft meinen Blick.

»Hab ich das richtig verstanden – du willst die Unsicherheit von ein paar Teenagern für einen Artikel ausnutzen, in dem du ihre Schwachstellen bloßstellst? Findest du das nicht ein bisschen destruktiv? Außerdem versuchen wir in unserer Zeitung Nachrichten zu bringen. Die können ruhig unterhaltsam und witzig sein – aber eben Nachrichten, kein Tratsch.« Er zog die Augenbrauen hoch und sah aus, als wäre er schockiert.

»Das ist aber eigentlich nicht …«, setzte er an.

»Oder planst du, ein Exposé darüber zu schreiben, wie viele Mädchen gern größere Brüste hätten und wie viele Jungs größere« – ich hielt inne und hörte um mich herum einige nach Luft schnappen – »äh, Muskeln? Oberflächlicher und schmieriger Journalismus funktioniert vielleicht in der Boulevardpresse, vielleicht war so etwas auch dort, wo du herkommst, üblich. Aber ich gehe davon aus, dass unsere Leser ein bisschen Hirn im Kopf haben.« Gedämpftes Gelächter. Ich zuckte nicht mit der Wimper, sondern starrte fest in die unerschütterlichen blauen Augen. Auf dem Gesicht des Jungen lag ein leichtes Schmunzeln. Amüsierte ihn meine verbale Attacke? Ich biss die Zähne zusammen und machte mich auf seinen Gegenangriff gefasst.

»Ich nehme meine Aufträge ernst und hoffe, dass meine Recherche zum Vorschein bringt, wie viel wir alle gemeinsam haben, ganz gleich, wie populär oder angeblich attraktiv wir sind. Ich glaube nicht, dass dieser Artikel irgendjemanden ausbeutet, vielmehr verspreche ich mir davon eine Bestätigung, dass jeder von uns Unsicherheiten hinsichtlich seines Äußeren hat, sogar diejenigen, die man für perfekt hält. Ich behandle meine Quellen vertraulich und ich kenne auch den Unterschied zwischen aufgeblasenem Geschwafel und einer ernstzunehmenden Nachricht.« Seine Stimme klang ruhig und geduldig, aber ich fand ihn trotzdem herablassend und spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg.

»Und du glaubst ernsthaft, dass du ehrliche Antworten bekommst? Dass sie wirklich mit dir reden werden?« Mein bissiger Unterton war selbst für mich ungewohnt, und der Stille im Raum nach zu urteilen, überraschte er auch die anderen.

»Ich kann die Leute meistens ganz gut dazu bewegen, sich zu öffnen und mir zu vertrauen«, sagte er mit einem Lächeln, das vor Selbstgefälligkeit nur so triefte.

Aber ehe ich etwas entgegnen konnte, unterbrach uns Ms Holt. »Danke, Evan«, sagte sie und sah mich dann vorsichtig an. »Emma, da du anscheinend Vorbehalte gegen den Artikel hast – wärst du als Herausgeberin der Zeitung dazu bereit, dass Mr Mathews den Artikel schreibt und du dann das letzte Wort darüber hast, ob er die Anforderungen erfüllt?«

»Ja, darauf kann ich mich einlassen«, erklärte ich bedächtig.

»Mr Mathews, ist das akzeptabel?«

»Ja, damit komme ich zurecht. Schließlich ist sie die Herausgeberin

Oh, wie aufgeblasen! Oder nicht? Ich konnte seinen Anblick nicht mehr ertragen und wandte mich wieder dem Computer zu.

»Großartig«, antwortete Ms Holt hörbar erleichtert. »Emma, bist du bald fertig am Computer? Ich möchte gern mit der Diskussion beginnen.«

»Ich schicke die Ausgabe gerade an den Drucker«, bestätigte ich, ohne mich umzuschauen.

»Wunderbar. Würden jetzt bitte alle ihr Buch auf Seite dreiundneunzig aufschlagen, die Überschrift lautet: ›Journalistische Ethik‹.« Ms Holt gab sich alle Mühe, die Aufmerksamkeit wieder nach vorn zu lenken.

Ich setzte mich neben Sara, aber ich spürte immer noch die schockierten Blicke auf mir ruhen, und obwohl ich die Augen auf mein Buch richtete, konnte ich mich nicht richtig konzentrieren.

»Was war das denn?«, flüsterte Sara, offenbar genauso überrascht wie die anderen. Ich zuckte die Achseln, ohne sie anzuschauen.

Nach fünfzig Minuten, die sich anfühlten wie die längsten meines Lebens, war der Kurs endlich vorbei. Als wir auf den Korridor strömten, konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. »Wofür hält der sich bloß? Wie arrogant kann ein Mensch denn sein?«

Als wir in Richtung unserer Spinde um die Ecke gebogen waren, blieb Sara stehen und glotzte mich an, als würde sie mich plötzlich nicht mehr kennen. Aber ich achtete nicht auf ihre bestürzte Miene, sondern fuhr fort: »Wer ist er überhaupt?«

»Evan Mathews«, antwortete eine männliche Stimme hinter uns.

Ich erstarrte und sah Sara entsetzt an. Mit knallrotem Gesicht drehte ich mich langsam zu der Stimme um, brachte zunächst aber keinen Ton heraus. Wie viel hatte dieser Typ gehört?

»Hoffentlich hat mein Vorschlag dich nicht zu sehr geärgert. Das wollte ich nämlich nicht.«

Ich brauchte einen Moment, um mich einigermaßen zu beruhigen. Sara stand neben mir, offenbar wenig geneigt, bei dieser Konfrontation ihren Platz in der ersten Reihe aufzugeben.

»Ich hab mich nicht geärgert, ich achte nur darauf, dass die Integrität der Zeitung nicht vor die Hunde geht.« Ich gab mir alle Mühe, cool zu klingen, so, als hätte der Wortwechsel im Kurs mir überhaupt nichts ausgemacht.

»Verstehe. Das ist ja auch dein Job.« Er hörte sich an, als meinte er es ehrlich. Oder war das wieder seine typische herablassende Art?

Kurz entschlossen wechselte ich das Thema. »Ist heute dein erster Tag?«

»Nein«, antwortete er langsam, anscheinend etwas verblüfft. »Ich bin schon die ganze Woche in dem Kurs. Genaugenommen haben wir sogar noch ein paar weitere Kurse zusammen.«

Ich senkte die Augen und sagte leise: »Oh.«

»Aber es überrascht mich nicht, dass ich dir nicht aufgefallen bin. Du scheinst ziemlich auf den Unterricht konzentriert zu sein. Offensichtlich ist die Schule sehr wichtig für dich, und du kümmerst dich kaum um irgendwas anderes.«

»Willst du mir etwa vorwerfen, ich würde nur um mich selbst kreisen?« Jetzt sah ich ihn wieder an und merkte, wie mein Gesicht erneut ganz heiß wurde.

»Was? Nein.« Er lächelte. Anscheinend amüsierte ihn meine heftige Reaktion.

Ich starrte ihn angriffslustig an, aber er hielt meinem Blick stand – seine kühlen grauen Augen blinzelten kein einziges Mal. Wieso hatte ich vorhin bloß gedacht, sie wären blau? Dieser Kerl kam sich anscheinend wahnsinnig wichtig vor, und das widerte mich an. Mit einem ärgerlichen Kopfschütteln drehte ich mich um und ging weg. Sara stand mit offenem Mund da, als hätte sie gerade einen grausigen Autounfall beobachtet.

»Was zum Teufel war das denn nun wieder?«, wollte sie wissen und fixierte mich mit ihren großen Augen, während wir zusammen weiterschlenderten. »So hab ich dich ja noch nie erlebt.« Ich konnte nicht fassen, dass sie so erstaunt war – es kam mir fast vor, als wäre sie enttäuscht von mir.

»Wie bitte?!«, schoss ich zurück, aber es fiel mir schwer, sie länger als eine Sekunde anzuschauen. »Er ist ein arroganter Schnösel, und es ist mir vollkommen egal, was er von mir denkt.«

»Ich glaube, er macht sich bloß Sorgen, dass er dir im Kurs womöglich auf den Schlips getreten ist. Es kommt mir sogar so vor, als wäre er an dir interessiert.«

»Ja, klar.«

»Also mal im Ernst – ich weiß ja, dass du total auf den Unterricht fixiert bist, aber wie hast du es geschafft, ihn bis heute nicht zu bemerken?«

»Was denn, findest du jetzt etwa auch, dass ich nur mit mir selbst beschäftigt bin?«, fauchte ich. Kaum war der Satz über meine Lippen gekommen, bereute ich ihn schon.

Sara verdrehte die Augen. »Du weißt genau, dass ich das nicht finde, also hör auf mit dem Blödsinn. Mir ist klar, warum du die anderen ausblendest. Ich weiß, wie lebenswichtig es für dich ist, die Highschool erfolgreich hinter dich zu bringen. Aber ich weiß auch, wie das auf die anderen wirkt. Die akzeptieren dich einfach so, deshalb achtet niemand mehr darauf. Inzwischen erwartet jeder von dir diesen Mangel an …«, sie zögerte und suchte das richtige Wort, »… an Interesse. Ich finde es verblüffend, dass ein Typ, der gerade mal eine Woche hier ist, mitbekommen hat, was wirklich in dir steckt. Es ist doch offensichtlich, dass er dich bemerkt hat.«

»Sara, so eine starke Wahrnehmungsfähigkeit hat der garantiert nicht«, widersprach ich. »Er hat doch bloß versucht, sich von dem Schlag zu erholen, den sein Ego im Unterricht abgekriegt hat.«

Sie schüttelte lachend den Kopf. »Du bist unmöglich.«

Ich öffnete meinen Spind, doch ehe ich meine Bücher hineinlegte, sah ich Sara noch einmal an. »War er wirklich schon die ganze Woche da?«

»Erinnerst du dich nicht daran, dass ich am Montag beim Lunch von einem heißen neuen Typ geredet habe?«

»Das war er?«, entgegnete ich höhnisch, stopfte meine Bücher in den Spind und schlug die Tür zu. »Du findest ihn attraktiv?« Ich lachte, als wäre allein der Gedanke absurd.

»Ja, allerdings«, antwortete sie mit Nachdruck, als wäre ich die Verrückte, »so wie ungefähr jedes andere Mädchen der Schule auch. Sogar die Mädels aus der Zwölf nehmen ihn unter die Lupe. Und wenn du mich davon überzeugen willst, dass er nicht toll aussieht, hau ich dir eine runter.«

Jetzt verdrehte ich die Augen. »Weißt du was – ich will überhaupt nicht mehr über ihn reden.« Mein Ausbruch hatte mich seltsam erschöpft. Ich geriet nie aus der Fassung, vor allem nicht in der Schule – vor Zeugen.

»Du weißt schon, dass sich die ganze Schule darüber das Maul zerreißen wird, oder? ›Hast du schon gehört, dass Emma Thomas heute tatsächlich mal durchgedreht ist?‹«, neckte mich Sara.

»Schön. Ich freu mich, dass du das witzig findest«, schoss ich zurück und marschierte an ihr vorbei den Korridor hinunter. Sara joggte unbeirrt hinter mir her.

So gern ich die Szene auch vergessen wollte, ich konnte nicht verhindern, dass sie mir ständig im Kopf herumging, während wir zur Lernstunde, in der eigenverantwortlich gearbeitet wurde, in die Cafeteria schlenderten. Wir durchquerten den Raum, in dem eifrig getuschelt wurde, als wir hereinkamen, und gingen durch die Hintertür hinaus zu den Picknicktischen.

Im Ernst, was war eigentlich passiert? Warum störte dieser Kerl mich dermaßen? Er hätte mir doch völlig egal sein müssen. Also ehrlich – ich kannte ihn doch nicht mal! Allmählich begriff ich, dass ich überreagiert hatte.

»Sara, ich bin ein Idiot«, platzte ich heraus. Auf einmal fühlte ich mich hundsmiserabel. Sara genoss ausgestreckt auf einer Bank die warme Sonne und hatte, um Bräunungsstreifen zu vermeiden, die Träger ihres Tanktops zur Seite geschoben – was natürlich keinem Jungen in Sichtweite entging. Neugierig setzte sie sich auf und studierte meinen gequälten Gesichtsausdruck.

»Was redest du denn da?«

»Ich hab keine Ahnung, was in mich gefahren ist. Was kümmert es mich, dass dieser Kerl einen Artikel über die körperlichen Unzulänglichkeiten von Teenagern schreiben will? Ich weiß echt nicht, warum ich mich so aufgeführt und ihm dann auch noch auf dem Korridor diese Szene gemacht habe. Jetzt schäme ich mich grässlich.« Ich stöhnte leise und ließ den Kopf auf meine verschränkten Arme sinken.

Sara sagte nichts. Nach einem Moment sah ich fragend zu ihr hoch. »Was denn? Du versuchst nicht mal, mich zu trösten?«

»Sorry, mir fällt nichts ein. Du hast dich ziemlich irre aufgeführt da drin, Em«, erwiderte sie.

»Danke, Sara!« Ich blickte ihr in die Augen. Auf einmal konnten wir uns nicht mehr beherrschen und prusteten gleichzeitig los, so laut, dass die Leute am Nachbartisch ihr Gespräch unterbrachen und uns verwundert anstarrten. Spätestens jetzt musste jeder glauben, dass ich endgültig den Verstand verloren hatte.

Es dauerte eine ganze Weile, bis der hysterische Anfall nachließ, denn jedes Mal, wenn Sara sich einigermaßen gefasst hatte, brauchte sie mich nur anzusehen und bekam sofort den nächsten Lachkrampf.

Schließlich beugte sie sich zu mir und unterbrach ihr Kichern lang genug, um mir zuzuflüstern: »Vielleicht kannst du es gleich in Ordnung bringen, er ist nämlich auf dem Weg hierher.«

»Nein!« Meine Augen weiteten sich vor Schreck.

»Ich hoffe, ihr habt nicht über mich gelacht«, ertönte prompt die selbstbewusste, charmante Stimme. Ich schloss einen Moment die Augen, weil ich Angst hatte, ihm ins Gesicht zu sehen.

Aber dann holte ich tief Luft, machte die Augen wieder auf und wandte mich ihm zu. »Nein, Sara hat bloß was Komisches erzählt.« Nach kurzem Zögern fügte ich hinzu: »Ich hätte vorhin im Kurs nicht auf dich losgehen sollen. Normalerweise bin ich nicht so drauf.«

Sara fing wieder an zu lachen – wahrscheinlich sah sie meinen peinlichen Auftritt in Gedanken noch einmal vor sich. »Sorry, ich kann nichts dagegen tun«, stieß sie hervor, und ihre Augen tränten vor Bemühung, sich zu beherrschen. »Ich brauche dringend ein Glas Wasser.«

Damit ließ sie mich mit ihm allein. O nein – sie ließ mich mit ihm allein!

Er antwortete sofort auf meine indirekte Entschuldigung. »Ich weiß«, meinte er, und seine makellosen Lippen formten sich zu einem Lächeln. Seine Beiläufigkeit verblüffte mich. »Viel Glück bei deinem Spiel heute Abend. Ich hab gehört, du bist ziemlich gut«, fügte er hinzu und wandte sich, ohne eine Antwort abzuwarten, wieder ab.

Was war da gerade passiert? Warum glaubte er zu wissen, dass ich normalerweise nicht so drauf war? Eine halbe Minute starrte ich reglos auf den Fleck, auf dem er gestanden hatte, und versuchte zu begreifen, was eigentlich los war. Warum ärgerte er sich nicht über mich? Ich verstand nicht, warum ich mich so aufregte – über einen Jungen! Ich musste mit dem hysterischen Getue Schluss machen, ich musste darüber hinwegkommen – und mich auf das konzentrieren, was wichtig war.

»Ist er gegangen? Bitte sag mir jetzt nicht, dass du ihn schon wieder beleidigt hast!« Saras Stimme schreckte mich auf, ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie zurückgekommen war.

»Nein, ganz bestimmt nicht. Er hat mir bloß viel Glück für das Spiel gewünscht, dann war er wieder weg. Es war … seltsam.« Sara zog die Augenbrauen in die Höhe. »Oh, und ich glaube, man könnte schon sagen, dass er ganz gut aussieht«, murmelte ich. Jetzt erschien ein strahlendes Lächeln auf Saras Gesicht.

»Er ist so geheimnisvoll, und ich glaube, er mag dich«, neckte sie mich.

»Ach komm schon, Sara. Sei nicht albern.«

Irgendwie wurde ich mit den Hausaufgaben für den nächsten Tag fertig, obwohl ich mich alle zwei Minuten umschaute und die Umgebung nach Evan absuchte. Um meine zeitaufwendigeren Arbeiten kümmerte ich mich erst gar nicht, die sparte ich mir auf fürs Wochenende. Ich hatte ja sonst nichts zu tun.

»Ich geh schon mal in die Kabine und mach mich fertig für das Spiel.«

»Ich komm gleich nach«, antwortete Sara von ihrem meditativen Platz auf der Bank aus.

Langsam sammelte ich meine Bücher zusammen und machte mich auf den Rückweg durch die Cafeteria.

Ich bemühte mich, ausschließlich nach vorn zu blicken und nicht ständig nach Evan Ausschau zu halten – aber ohne Erfolg.