22

Alex war nicht gerade erfreut, dass sie allein nach Fairbanks gefahren war, hielt sich aber zurück und schwor lediglich, sich Thomas Whittler und seine beiden Wachhunde »zur Brust zu nehmen«, sobald er wieder laufen konnte. Viel schwerer fiel es ihm, im Haus herumzusitzen und den verstauchten Fuß auf einen Stuhl zu legen und den wehen Knöchel in ein Handtuch mit zerstoßenem Eis zu packen, wie es Doc Boone empfohlen hatte. »Und was soll ich den ganzen Tag tun?«, rief er vorwurfsvoll, als Clarissa ihm Tee brachte.

Sie bot ihm ihr Buffalo Bill Magazine an, doch ihm war nicht nach Lesen zumute, und noch viel weniger war ihm danach, den Frauen beim Kartoffelschälen zu helfen. Jerry war schon am frühen Morgen aufgebrochen, um einige seiner Freunde für den Bau des neuen Blockhauses zu mobilisieren. Nach dem Mittagessen ließen Clarissa und Dolly Alex allein, um in den Trümmern der niedergebrannten Hütte nach etwas Brauchbarem zu suchen. Dem schweren Herd und dem Ofen hatten die Flammen kaum etwas anhaben können, auch das eiserne Bettgestell war vielleicht noch zu gebrauchen, aber der größte Teil ihrer wenigen Habe war verkohlt oder hatte sich in Asche verwandelt.

Als sie nach Hause kamen, ging Dolly in die Küche, um das Abendessen vorzubereiten. Clarissa wollte nach Alex sehen und verspürte bereits ein flaues Gefühl im Magen, als sie den Drehknopf der Tür berührte. Sie öffnete und blieb erschrocken stehen. Alex lag ausgestreckt auf dem Bett, eine halb volle Whiskeyflasche in der Hand, und unterbrach nicht mal sein Schnarchen, als sie ihm die Flasche aus der Hand nahm und mit dem Handtuch, das von seinem verrenkten Fuß gerutscht war, den Schweiß vom Gesicht wischte. »Verdammt!«, fluchte sie leise. »Warum hab ich dich bloß allein gelassen? Ich hätte doch wissen müssen, dass du dir eine Flasche aus dem Gastraum holst. Was soll das, Alex? Glaubst du, das Zeug macht dich schneller gesund?«

Alex schlief den Nachmittag und die ganze Nacht durch, ohne auch nur einmal sein lautes Schnarchen zu unterbrechen, und litt am Morgen unter einem kräftigen Kater, der seine Laune auch nicht verbesserte. Clarissa war so klug, ihm keine Vorwürfe zu machen, versuchte ihn aufzumuntern und ließ ihn einen Grundriss der neuen Blockhütte zeichnen, ohne dass sich seine Miene deswegen aufhellte. Sie nahm ihn sogar zum Füttern der Hunde mit, half ihm auf das Geländer vor dem Eingang, von dem aus er bequem mit ihnen reden konnte. »Siehst du?«, rief Clarissa ihm zu. »Emmett meint auch, dass du ruhig ein bisschen lächeln könntest. Dir geht es schon viel besser.«

»Emmett hat doch keine Ahnung«, erwiderte er mürrisch.

Clarissa nahm ihren Leithund in die Arme und kraulte ihn liebevoll. »Hast du das gehört?«, rief sie in gespielter Entrüstung. »Alex sagt, du hättest keine Ahnung, dabei bist du der klügste Husky zwischen Valdez und dem Nordpol.« Sie lächelte Alex zu. »Komm, sag Alex, dass wir alle zu ihm halten!«

Emmett bellte zweimal laut.

»Siehst du, Alex? Emmett hält auch zu dir.«

Während der nächsten beiden Tage blieb Alex nüchtern, aber seine Laune besserte sich kaum. Er schlief viel oder lag tatenlos auf seinem Bett und blickte aus dem Fenster. »Jetzt wird’s bald Frühling«, war alles, was er an einem Nachmittag sagte, und Clarissa spürte, dass er am liebsten die Krücken weggeworfen und nach draußen gerannt wäre. Ein Fallensteller, der fast sein ganzes Leben in der freien Natur verbrachte, mochte keine geschlossenen Räume. Am nächsten Morgen schleppte er sich vors Haus und humpelte über den verschneiten Trail, fluchte ungeniert, als er ausrutschte und Clarissa und Dolly ihm mit vereinten Kräften vom Boden hochhelfen musste. Clarissa glaubte Tränen in seinen Augen zu sehen und reagierte mit einem Lächeln.

So konnte es nicht weitergehen, dachte sie, ohne sich anmerken zu lassen, welches Problem sie belastete. Alex litt weniger unter den Kopfschmerzen, die Dr. Blanchard ihm vorausgesagt hatte, sondern vor allem unter der psychischen Belastung, die seine langwierige Genesung mit sich brachte. Er war es nicht gewohnt, nach zwei Stunden Holzhacken oder einer Schlittenfahrt außer Atem zu sein. Und noch weniger gefiel ihm, von immer öfter auftretenden Stimmungsschwankungen gepeinigt zu werden und sich immer entschuldigen zu müssen. Er hatte Angst, nicht mehr als Mann für voll genommen zu werden und sie zu verlieren, so oft sie ihm auch versicherte, treu an seiner Seite auszuharren und sich auch durch seine Anfälle nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Er war außer Lebensgefahr und musste doch um sein Leben fürchten, wenn er seine Probleme in der Whiskyflasche ersäufen wollte.

Mehrmals unternahm Clarissa den Versuch, ihm von der Bereitschaft des greisen Medizinmannes zu berichten, ihn bei sich aufzunehmen und ihn auf indianische Weise zu heilen. Doch jedes Mal gab sie schon nach wenigen Versuchen wieder auf. Sie fand einfach nicht die richtigen Worte. Wahrhaft verzweifelt war sie, als Jerry mit seinen Freunden zurückkehrte und noch vor dem Abendessen die Whiskeyflasche kreisen ließ. Alex hatte sich zu ihnen gesellt, saß in einem bequemen Ledersessel, das Bein mit dem verstauchten Knöchel auf dem Tisch, und nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche. »Ich kann meinen Iren doch nicht das Whiskeytrinken verbieten«, sagte Dolly, »wenn ich denen die Flasche wegnehme, bekommt ihr nie ein Blockhaus.«

Ungefähr zwei Stunden nach Mitternacht merkte Clarissa, dass Alex verschwunden war … Wieder einmal. Sie suchte im ganzen Haus nach ihm, im Gästeraum, wo die Iren in ihren Schlafsäcken schliefen, und sogar im gemeinsamen Schlafzimmer von Dolly und Jerry. Während Jerry seinen Rausch ausschlief und nicht merkte, dass sie das Zimmer betrat, schreckte Dolly aus dem Schlaf und wollte ihr bei der Suche helfen, nachdem Clarissa ihr berichtet hatte, dass Alex erneut weggelaufen war, doch Clarissa winkte ab und beruhigte sie: »Das schaffe ich schon allein. Ich nehm deinen Schlitten, okay?«

Sie zog sich an und trat vor die Tür. Das Wetter hatte sich kaum verschlechtert, und der Mond und die Sterne waren deutlich zu sehen. Die Luft war klar und lange nicht mehr so kalt wie noch vor ein paar Wochen. Die verschneiten Berge hoben sich deutlich gegen den Himmel ab und leuchteten in dem grünlichen Schimmer des Nordlichts. Irgendwo krächzte ein Rabe. Eine friedliche Nacht, so ruhig und geheimnisvoll, wie Clarissa sie am liebsten mochte, und in der man das trügerische Gefühl hatte, nur das Gute regierte die Welt und nichts Böses könnte die andächtige Stille zerstören.

Noch bevor sie den unruhigen Hunden ihrer Freundin etwas zurufen konnte, durchbrach ein anderes Geräusch die Stille: das aufgeregte Bellen von Hunden und das Scharren von Schlittenkufen. »Alex!«, rief sie erfreut, als sie das Bellen ihres Leithundes erkannte. »Alex, du bist zurück!« Doch es war nur der leere Schlitten, der um das Haus geschlittert kam, gegen eine Böschung mit aufgeworfenem Schnee schleuderte und vor ihr zum Stehen kam.

Jeder im hohen Norden wusste, was die Rückkehr eines leeren Schlittens bedeutete. Der Musher war verunglückt und irgendwo in der Wildnis zurückgeblieben. Ein Husky-Team rannte weiter, merkte manchmal gar nicht, dass es den Musher verloren hatte, auch wenn ein so intelligenter Leithund vor dem Schlitten stand wie Emmett. »Emmett!«, rief Clarissa besorgt. »Wo habt ihr denn Alex gelassen? Ihr müsst mich zu ihm führen! Hörst du, Emmett?«

Sie stieg mit einem Bein auf die Kufen, half mit dem anderen, den Schlitten zu wenden, und fuhr los. Die Huskys schienen verstanden zu haben, was sie vorhatte, und fuhren auf den Trail nach Norden, legten ein schnelles Tempo vor, ohne dass sie dazu angetrieben werden mussten. Clarissa glaubte nicht, dass Alex wieder zu ihrem See geflohen war. In seinem Rausch war er sicher nur drauflos gefahren, über den Trail nach Norden, und war in der erstbesten Kurve von den Kufen gestürzt. Ihre Mutter hatte behauptet, Betrunkene hätten einen besonderen Schutzengel und würden sich selten etwas tun, wenn sie stürzten, und bei ihrem Vater war das auch meist der Fall gewesen, aber in Alaska galten andere Gesetze. In der Wildnis waren schon Menschen erfroren, nur weil sie vergessen hatten, ihren Schlitten zu verankern.

Diesmal brauchte sie nicht lange zu fahren. Schon nach wenigen Meilen sah sie Alex im Schnee liegen. Der greise Medizinmann hatte seinen Schlitten angehalten und war gerade dabei, ihn in warme Decken zu wickeln. Er schien wenig überrascht, Clarissa zu sehen, und begrüßte sie mit ernster Miene. »Der Tag ist gekommen«, sagte er. »Im Traum habe ich gesehen, wie dein Mann vom Schlitten stürzte und im Schnee liegen blieb. Er ist bewusstlos, aber er lebt. Er hat von dem scharfen Wasser getrunken, das auch die Weißen nicht vertragen. Meine Brüder sind daran gestorben. Meine Frau und ich werden verhindern, dass Alex ebenfalls ein Opfer dieses scharfen Wassers wird.« Er legte ihn auf seinen Schlitten und band ihn mit einigen Rohhautschnüren an den Streben fest. »Du bist einverstanden, dass ich ihn mitnehme und meine Frau und ich versuchen, die bösen Geister aus seinem Körper zu vertreiben?«

»Ihr seid meine letzte Rettung.« Sie kniete neben ihrem bewusstlosen Mann nieder und küsste ihn auf die Stirn. »Ihn trifft keine Schuld, John. Die Krankheit hat ihm schwer zugesetzt, dann die schwere Operation, und als er dachte, es endlich geschafft zu haben, kamen neue Kopfschmerzen und diese seltsamen Anfälle, und wenn er Holz hackte oder mit dem Schlitten fuhr und sich zu sehr anstrengte, brach er nach kurzer Zeit zusammen. Ich glaube, er hat Angst, nicht mehr so leben zu können wie früher.« Sie strich Alex mit dem Handrücken über die linke Wange. »Er trank schon lange nicht mehr.«

John blickte ebenfalls auf ihren Mann hinab. »Ich weiß. Ihn plagt keine Krankheit, die ein Arzt heilen könnte. Nicht sein Körper, seine Seele ist krank. Ich habe gehört, dass die Weißen wilde Tiere in Käfigen zur Schau stellen. Wie ein Wolf, den man eingesperrt hat … So muss sich auch er fühlen. Er muss die Fesseln abschütteln und stark genug werden, um wieder allein durch die Wälder ziehen zu können. Ich werde ihn auf den heiligen Berg in den White Mountains führen und versuchen, die bösen Geister, die sich in seinem Körper eingenistet haben, zu vertreiben. Die guten Geister, die mich ein Leben lang begleitet haben, werden mir dabei helfen.« Er wandte sich Clarissa zu und ergriff ihre Hände. »Es kann einige Zeit dauern, Schwester.«

»Und wenn es den ganzen Sommer dauert«, erwiderte Clarissa. »Ich vertraue dir, Großvater.« Sie gebrauchte die Anrede, die bei den Indianern großen Respekt ausdrückt. »Du weißt am besten, wie man die bösen Geister bekämpft.« Sie glaubte zwar nicht an böse Geister, sehr wohl aber an Krankheiten der Seele, die kein Arzt der Welt heilen konnte. Um in die Seele eines Menschen blicken zu können, bedurfte es eines Mannes wie John, der sein Leben in der Einsamkeit verbracht und gelernt hatte, auch Stimmen zu hören, die kein anderer vernahm. »Bring ihn mir zurück, wenn er gesund ist, Großvater! Ich fiebere dem Tag entgegen, an dem wir wieder vereint sein werden.«

»Ich werde tun, was in meiner Macht steht.« Er drückte lächelnd ihre Hände, nickte ihr noch einmal zu und stieg auf die Kufen seines Schlittens. »Leb wohl, Schwester. Du hast schwere Prüfungen vor dir, und die Trennung von deinem Mann wird dir schwer zu schaffen machen, aber in meinen Träumen habe ich einen Schutzgeist gesehen, der dich auf deiner langen Reise beschützen wird. »Vertrau mir, Schwester! Ich werde ihn wie einen Sohn pflegen.«

Clarissa hatte Tränen in den Augen, als der greise Medizinmann mit ihrem Mann in der Dunkelheit verschwand. Noch eine Viertelstunde, nachdem er sie verlassen hatte, stand sie neben ihrem Schlitten und starrte nach Norden. Ihr schien erst jetzt bewusst zu werden, auf welches Abenteuer sie sich eingelassen hatte, und dass es länger als ein halbes Jahr dauern konnte, bis sie Alex wiedersehen würde. Ein unerträglicher Gedanke, der sie an die schwere Zeit erinnerte, als man ihn nach China entführt hatte, und ihr die Tränen in die Augen trieb. »Wenn du zurückkommst, beginnen wir ein neues Leben«, versprach sie flüsternd, bevor sie den Schlitten wendete und nach Süden lenkte.

Wie sehr sich der Schmerz in ihren Körper gefressen hatte, glaubte sie einige Minuten später zu spüren, als ihr plötzlich hundeelend wurde und sie den Schlitten anhalten und sich übergeben musste. Die Übelkeit kam so überraschend, dass sich selbst die Huskys nach ihr umdrehten. »Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist«, entschuldigte sie sich bei den Hunden, »mir schlägt sonst nie was auf den Magen. Und den irischen Whiskey hab ich nicht angerührt. Ich mache mir wohl zu viele Sorgen um Alex.« Sie wischte sich den Mund ab und fuhr weiter, war aber froh, als sie endlich das Roadhouse erreichte. Sie versorgte die Hunde, betrat das Haus und stützte sich müde an der Wand ab.

Dolly kam ihr mit einer flackernden Lampe entgegen. »Clarissa! Da bist du ja! Ich hab mir schon Sorgen gemacht. Wo hast du denn Alex gelassen?«

Clarissa erzählte ihr in wenigen Worten, worauf sie sich eingelassen hatte, und spürte plötzlich erneut Übelkeit in sich aufsteigen. Sie ging ein paar Schritte und musste sich an einem Stuhl festhalten. »Ich glaube, ich hab was Falsches gegessen, Dolly. Mir ist auf einmal kotzübel.« Sie lief zur Eingangstür zurück, öffnete sie rasch und übergab sich in den Schnee. Schwer atmend und eine Hand gegen den Türrahmen gestützt, blieb sie stehen. »Tut mir leid, Dolly«, entschuldigte sie sich keuchend. »Ich mach das gleich wieder sauber.«

»Das kriege ich schon wieder hin.« Dolly war nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen und winkte ab. »Du legst dich besser ins Bett und ruhst dich aus. Eine Tasse von meinem Kräutertee, und du schläfst wie ein Murmeltier.«

Das stimmte tatsächlich, doch als sie am nächsten Morgen während des Frühstücks aufsprang und sich in einen herumstehenden Eimer übergab, zog Dolly die Augenbrauen zusammen. »Ich glaube, ich weiß, was du hast«, sagte sie, als Jerry mit seinen irischen Freunden das Roadhouse verließ und mit ihnen den Bau der neuen Blockhütte besprach. Ihre Stimmen schallten bis zu ihr in den Gästeraum. »Hast du deine Regel schon bekommen, Clarissa?«

»Meine Regel? Nein … aber ich bin manchmal spät dran.« Sie erkannte erst jetzt, warum Dolly diese Frage gestellt hatte, und riss ungläubig die Augen auf. »Du glaubst doch nicht, dass … das glaubst du nicht wirklich, oder?«

»Angeblich fängt es so bei jeder Frau an.«

»Ich … schwanger? Das glaube ich nicht.«

»Wieso denn nicht?«

»Weil … weil ich gar nichts spüre.«

»Dir ist übel, deine Regel bleibt aus …«

»Ich kriege ein Kind? Aber Alex …«

»Du meinst, Alex ist nicht zu Hause?« Dolly nahm sie lachend in den Arm. »Alex wird ja wohl kaum neun Monate brauchen, um wieder auf die Beine zu kommen. Und die Arbeit musst du sowieso allein machen. Beim Kinderkriegen sind die Männer nur im Weg. Ich hab zwar nie eins bekommen, aber genug Frauen in Dawson gekannt, die schwanger waren. Männer stören da nur.«

»Ich glaub das nicht … Ich glaub das einfach nicht …«

»Dann fahren wir am besten gleich zu Doc Boone. Ich wollte heute sowieso in die Stadt und ein paar Sachen einkaufen. Vor allem Kaffee. Du glaubst nicht, wie viel Kaffee diese Iren trinken. Der Eintopf für heute Mittag steht sowieso schon auf dem Herd, den kann Jerry austeilen, und zum Abendessen sind wir wieder hier. Was meinst du? Wenn wir Zeit haben, kehren wir in dem neuen Café ein, das gehört einem Deutschen, der backt die beste Torte der Welt. Schwarzwälder Kirsch oder so. Du musst jetzt für zwei essen, Clarissa! Nur um den Zeitungsmann sollten wir einen großen Bogen machen …«

»Noch ist es ja gar nicht sicher«, wehrte Clarissa ab.

»Oh doch, das ist sicher. Du wirst sehen …«

Wenige Minuten später waren sie nach Fairbanks unterwegs. Jerry hatte nichts dagegen, rief ihr lediglich nach: »Bring uns Whiskey und Tabak mit!«, und sie rief zurück: »Tabak könnt ihr haben, aber Whiskey haben wir genug im Haus, und ich hab keine Lust, euch ständig … ihr wisst schon! Seht lieber zu, dass ihr die Hütte fertigkriegt. Unsere Clarissa braucht dringend Ruhe.«

»Clarissa braucht Ruhe? Sag bloß, sie ist …«

»Halt die Klappe, Jerry!«

Dolly lenkte den Schlitten, sie hatte darauf bestanden, ihren zu nehmen, weil Clarissa sich nicht anstrengen durfte. Sie benahm sich fürsorglicher als eine Mutter, fühlte sich für sie verantwortlich und redete schon davon, wie sie das Töchterchen bei der Taufe halten würde, falls sie die Taufpatin sein dürfte.

Clarissa lachte amüsiert. »Natürlich mache ich dich zur Taufpatin«, rief sie in den Fahrtwind, aber wie kommst du darauf, dass es ein Mädchen wird?«

»Harte Männer wie Alex wünschen sich meistens einen Jungen und träumen davon, mit ihm auf die Jagd zu gehen und spannende Abenteuer zu erleben. Aber dann wird es fast immer ein Mädchen, und sie verwöhnen die armen Dinger bis zum Geht-nicht-mehr. Frag mich nicht, woher ich das weiß.«

Sie kamen schnell voran. Die Sonne stand bereits über den Bäumen im Osten und leuchtete auf dem Trail und dem nahen Fluss. »Noch zwei, drei Wochen, dann bricht das Eis auf«, erkannte Clarissa, als sie auf den Chena River fuhren. »Es wird Zeit, dass du deine Pferde an das Laufen gewöhnst.«

In Fairbanks hatte sich die Hauptstraße an manchen Stellen bereits in eine Schlammwüste verwandelt. Breite Holzbretter führten an den Läden vorbei und von einer Straßenseite zur anderen. Dolly musste einen Umweg über einige Seitenstraßen nehmen, um zum Krankenhaus zu kommen. Vor dem Eingang bremste sie den Schlitten. »Ich gehe schon mal einkaufen und warte im Café an der Ecke, aber lass mich nicht zu lange warten. Ich bin furchtbar neugierig. Du bist mir doch nicht böse, wenn ich schon mal ein Stück Kuchen esse?«

»Natürlich nicht«, erwiderte Clarissa. »Aber lass noch was übrig.«

Im Krankenhaus suchte sie vergeblich nach Betty-Sue, aber Doc Boone und seine Frau kamen ihr sofort entgegen und sahen ihr schon an der Nasenspitze an, was sie wollte. »Genau können wir das natürlich auch erst sagen, wenn sich das Kind bewegt«, sagte der Arzt, nachdem er sie eingehend untersucht und für kerngesund befunden hatte. »Aber da Ihre Regel überfällig ist, gibt es kaum einen Zweifel. Lassen Sie mich noch Ihren Urin untersuchen.«

Nachdem er auch das getan hatte, war er sicher: »Sie sind schwanger, Clarissa. So riecht der Urin nur bei Frauen, die ein Kind erwarten. Das hat man uns sogar auf der Universität gelehrt. Sie erwarten ein Kind, liebe Clarissa!«