Kapitel 26
Die Verwirrung

Als es dunkel wurde, nach dem Abendessen, ging die Familie mit ihren Gästen hinaus in den Garten des Landsitzes (gefolgt von den Haussklaven, die Laternen und Sessel trugen) und schickte sich an, Frische und Pracht der Inselnacht zu genießen. Gut gelaunt zudem wegen der Vorbereitungen zum Weihnachtsessen, das am nächsten Abend stattfinden würde.

Unter freiem Himmel wurde der Tischgesellschaft auf rasch von den Sklaven aufgestellten Tischen die Schokolade serviert. Nach der dritten Tasse richtete Don Cándido als höflicher Mann, der er war, das Wort an seine zukünftige Schwiegertochter.

»Isabel«, sagte er, »ich möchte, dass du dich bei uns wie zu Hause fühlst; ich hoffe, du amüsierst dich gut und genießt hier auch alles Schöne von Alquízar.««

Bei diesen Worten ihres Ehemannes sprang Doña Rosa wie von der Tarantel gestochen auf und warf ihre Tasse einem Sklaven an den Kopf.

»Wie!«, entfuhr es der empörten Dame. »Du wagst es und schäkerst vor mir und meinen Töchtern mit Isabel?««

»Frau«, gab Don Cándido gleichmütig zurück, »kein Mensch hat mit Isabel geschäkert. Ich habe lediglich ein höfliches Gespräch mit der Person angeknüpft, die künftig unsere Schwiegertochter sein wird.«

»Erstens, Don Cándido de Gamboa«, donnerte Doña Rosa los, »hat sich Leonardo noch für keine Frau entschieden und wird es auch nicht tun, solange ich lebe, denn es gibt keine Frau außer mir, die ihn lieben und umhegen, ertragen und verstehen kann, wie er es verdient!«

»Rosa, Rosa!«

»Schweig!«, schrie Doña Rosa und stieß ihrem Ehemann den Ellbogen in die Rippen. »Und zweitens hast du sehr wohl mit Isabel geschäkert! Oder ist die ›Schöne von Alquízar‹ etwa keine Schäkerei? Außerdem hast du ihr gesagt, sie soll sich amüsieren und alles genießen, und das in einem hochanständigen Haus wie dem unseren. Was erlaubst du dir eigentlich, Don Cándido de Gamboa!«

»Señora«, unterbrach Isabel sie liebenswürdig. »Gestatten Sie mir eine Klarstellung. Wenn ich recht verstanden habe, bezog sich Don Cándidos Bemerkung ›ich hoffe, du amüsierst dich gut und genießt auch alles Schöne von Alquízar‹ nicht auf meine Schönheit, sondern die des Anwesens, das ich dort besitze. Sonst stünde nach ›genießt auch alles‹ ein Komma.«

»Und wer sagt, dass das Komma nicht einfach vergessen wurde?«, erwiderte Doña Rosa unerbittlich.

»In der Tat kann dies nur der Autor des Romans tun, dessen Figuren wir sind, Señor Cirilo Villaverde«, antwortete Isabel unparteiisch.

»Der Romanautor! Der Romanautor! Kommen Sie mir nicht damit, Señorita. Ich habe erlebt, wie Sie Sachen gemacht und gesagt haben, die der Autor des Romans, dessen Figur Sie sein wollen, niemals geduldet hätte! Hören Sie!«

»Rosa! Rosa! Mit welchem Recht beleidigst du Isabelita?«, meldete sich bekümmert Don Cándido wieder zu Wort.

»Mit dem Recht«, fauchte Doña Rosa, »einer Ehefrau, Dame und Mutter! Entweder du bringst mich hin zu diesem ›Villa Verde‹, damit er die Angelegenheit klärt, oder ich reiche noch morgen die Scheidung ein, mit Gütertrennung, dann bist du ruiniert! Hast du gehört, Don Cándido de Gamboa! Ich lasse es nicht zu, dass man sich über mich und meine Töchter lustig macht!«

Doña Rosa brach in lang anhaltendes Schluchzen aus.

Alle Fräuleins und jungen Kavaliere, so auch der Zuckerknecht und Leonardo Gamboa, umringten die untröstlich weinende Dame.

»Mein Gott! Mein Gott!«, rief Don Cándido aus und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Wie soll ich diesen Cirilo Villaverde herbeischaffen, damit er den Irrtum aufklärt oder seine schlampige Schreibe? Dieses verkommene Subjekt ist doch aus dem Gefängnis ausgebrochen, wo er eine Haftstrafe als Verbrecher und Aufrührer absaß. In den Norden geflüchtet ist er und schmiedet dort die gemeinsten Pläne, um uns allen ein Ende zu machen.«

»Señor«, warf schüchtern der schmucke Zuckerknecht ein. »Ich kann Ihnen versichern, dass Don Cirilo Villaverde nicht im Norden ist, sondern hier, in Pinar del Río, und zwar gar nicht weit weg.«

»Was sagst du?«, fragte ungläubig Don Cándido. »Warum haben die Gendarmen ihn dann noch nicht festgenommen?«

»Weil er inkognito ist. Er hat tief im Wald eine Schule und bringt dort den Bauernkindern und sogar den entlaufenen Sklaven das Lesen bei.«

»Hab ich es nicht gesagt?«, rief Don Cándido noch einmal aus. »Ein Verbrecher, ein Krimineller.«

»Verbrecher hin oder her«, schnaubte Doña Rosa zwischen zwei Schluchzern, »morgen gehen wir zu ihm, damit er uns aufklärt, ob er das oder die ›Schöne von Alquízar‹ meint. Und jetzt ab ins Bett, damit wir morgen in aller Herrgottsfrühe aufstehen können und diesen gesegneten Herrn suchen gehen. Glaubt nicht«, und bei diesen Worten warf sie einen vernichtenden Blick auf Don Cándido wie auch auf Isabel, »dass ich mich so einfach hinters Licht führen lasse.«

Und gefolgt von ihren Töchtern und einem Schwarm Sklaven verschwand sie im Haus.