Kapitel
19
Das Rendezvous
»O mein Gott!«, rief Cecilia Valdés aus, als sie auf die alte, in die Wand des Schlafzimmers eingemauerte Uhr sah. »Es ist gleich fünf, und ich habe dich noch nicht fertig angemalt! Leonardo kann jeden Moment kommen.«
Diese Worte richtete Cecilia, auch wenn es so aussah, nicht an die alte Wanduhr, sondern an ihre Urgroßmutter Amalia, deren schwarzer Haut die junge Frau mit einem in weiße Farbe getauchten Pinsel das Aussehen von Elfenbein verlieh. Und rasch pinselte sie weiter, ohne dabei mit dem Reden innezuhalten.
»Weiß! Ja, blütenweiß! So muss er dich sehen. Leonardo wird nie erfahren, dass du eine kohlpechrabenschwarze Negerin bist. Wenn er es erfährt, wird er mich nie heiraten. Weiß! Eine Weiße! Nicht einmal eine Mulattin!«
Die hundertjährige Schwarze ließ sich diesen Anstrich nur äußerst ungern gefallen, aber gebrechlich, wie sie war, konnte sie ihren Widerwillen kaum kundtun. Dennoch bekam sie unter großen Mühen ihre von der Lackhülle bedeckten Lippen auseinander und sagte mit sehr leiser Stimme, auch wenn sie hätte schreien mögen:
»Cecilia, Kind, ich wa imma schwazz gewesn, und ich bins gerne. Lass ma wenigstns mit de Fabe sterbn.«
»Wie!«, brauste die Urenkelin auf. »Das ist ja der Gipfel! Ich mache aus dir ein menschliches Wesen, und du hast noch etwas dagegen? Weißt du nicht, welche Mühe es mich gekostet hat, dieses Fass Farbe beim Katalanen an der Ecke Calle Empedrado zu bekommen? Zwei Unzen Gold hat er dafür verlangt. Hast du gehört? Zwei Unzen Gold!«
»Ich will schwazz sein. Lass me de Fabe.«
Noch einmal protestierte die schwarze Frau leise, besser gesagt, die weiße, schwarz war nämlich nur noch eine ihrer verdorrten Brüste, die ebenfalls jeden Moment die Farbe wechseln würde.
»Du willst also schwarz sein, he? Aber begreifst du denn nicht, dass auf dieser Welt ein Neger weniger wert ist als ein Hund? Selbst wenn du arbeitest, dich freikaufst und sogar Geld hast, ist es immer noch sehr schwer. Du siehst es ja an Dolores Santa Cruz, man konnte ihr nicht verzeihen, dass sie in einem bequemen Bett wie die Weißen schlafen wollte, und auch einen Tilbury sollte sie nicht haben. Die Weißen haben ihr mit den Gesetzen, die sie selber machen, Fallstricke gelegt und ihr alles weggenommen. Wäre sie weiß gewesen, wäre ihr dergleichen nicht passiert … Darum werden meine Kinder Weiße sein. Weiße! Auch keine Mulatten! Sie werden nicht zu leiden haben, was du zu leiden hattest und was meine Großmutter zu leiden hatte.«
In diesem Moment ging die Tür zur Straße auf, die Cecilia nur angelehnt gelassen hatte, und Leonardo Gamboa trat ein.
»Leonardo!«, rief Cecilia, warf den Pinsel fort und lief zu dem jungen Mann.
»Was sagt die schönste Mulattin der Welt?«
»Du liebst mich nicht, Leonardo. Wenn du so etwas sagst, dann, weil du mich nicht liebst.«
»Wie kann meine Cecilia so reden? Wo ich unter Gefahr meines Lebens hier bin! Du weißt doch, mein Vater und seine verdammten Neger lassen mich nicht aus den Augen.«
»Diesa Hund weiß sehr gut, wassa tut«, murmelte die Urgroßmutter, einer Ohnmacht nahe.
»Was ist denn das!«, rief überrascht Leonardo aus, als er die frisch geweißte Greisin erblickte, die auf einem dicken Brett saß.
»Ach, das ist Mimi, meine Urgroßmutter. Sie ist krank, darum ist sie so bleich … Oma, das ist Señor Gamboa, mein Verlobter.«
»Dein Verlobter? Dein Verlobter! Dein Beschäler, wolltst woll sagn, du Hure! Wer hat schon ne Negerin mit nem weißn Verlobtn gesehn?«
»Sie fantasiert«, erklärte Cecilia verzweifelt. »Das ist das Fieber. Sie ist gerade aus Spanien gekommen.«
»Ja, sie ist sehr blass«, antwortete Leonardo Gamboa, näherte sich neugierig dem glänzenden Körper und entdeckte die schwarze Brust, die Cecilia noch nicht angestrichen hatte.
Leonardo Gamboa lächelte angewidert, verkniff sich aber jeden Kommentar, um nicht die junge Frau zu verärgern, mit der er seinen Spaß haben wollte.
»Leonardo«, sagte Cecilia und umarmte ihn, »versprich mir, dass du mich nie verlässt.«
»Ich schwöre es dir!«, antwortete wie aus der Pistole geschossen und mit Inbrunst der junge Mann, der noch am selben Morgen mit Isabel Ilincheta aufs Land fahren würde, um dort die Weihnachtstage zu verbringen.
»Leonardo, mein Leonardo, versprich mir, dass du mich heiraten wirst, dass du mein Mann sein wirst.«
»Ich schwöre es dir!«, beteuerte Leonardo Gamboa kategorisch, der vorhatte, zwei Wochen später Isabel Ilincheta zu ehelichen.
»Ach, mein Liebster! Niemand wird uns trennen können!«
Bei diesen Worten verriegelte Cecilia die Haustür und kehrte zu ihrem Geliebten zurück.
Kurz darauf wälzten sich die beiden eng umschlungen auf dem Fußboden.
Als sie dort so lagen, im Schimmer der Kerze vor der vom Flammenschwert durchbohrten Muttergottes, nahm Cecilia unauffällig den Pinsel und malerte die verdorrte Brust ihrer Urgroßmutter zu Ende.
Man weiß nicht, ob aus diesem Grunde oder durch einen unbeabsichtigten Tritt, den die Liebenden austeilten, während sie sich aneinander ergötzten, jedenfalls starb an jenem Morgen Amalia Alarcón, schwarz in Guinea auf die Welt gekommen, hundert Jahre später in Kuba vollständig weiß.