Kapitel 7
Die
versammelte Familie
Das Mittagessen, das um elf Uhr vormittags begonnen hatte, dauerte schon volle zwei Stunden. Alle saßen noch bei Tisch und warteten auf die Yemas, die Eidotter-Bällchen mit Zucker und Zimt, die kein anderer in Havanna so zubereiten konnte wie der Kochsklave Dionisios.
Am Kopfende saß Don Cándido, zu seiner Rechten Doña Rosa und ihr Sohn Leonardo, zur Linken die drei Töchter, Antonia, Carmen und Adela. Das andere Ende nahm der spanische Haushofmeister ein, Don Manuel Reventós. Hinter den Speisenden hantierten unermüdlich, doch lautlos die Hausdienersklaven, dirigiert von Dionisios selbst und von Tirso, einem jungen Sklaven, der ausschließlich Don Cándido bediente.
Dieser junge Mann besaß ein solches Geschick bei seiner Aufgabe, dass er auf eine Handbewegung Don Cándidos hin wusste, ob dieser das mächtige dreifüßige Kohlebecken wollte, um sich eine Zigarre anzuzünden, die große silberne Bürste mit Goldborsten, um sich den Rücken kratzen zu lassen, oder aber die moderne Fliegenklatsche, um die lästigen Insekten breit zu schlagen, die mit lautem Gesumm die Gesichtserker der Señoritas umschwirrten. Dafür musste der junge Mann allerdings ständig auf der Hut sein und fast vierundzwanzig Stunden am Tag auf das geringste Blinzeln seines Herrn achtgeben.
Das Tischgespräch war wie stets im Hause Gamboa eher familiär, und so wurde dem Haushofmeister zwar die Ehre der gemeinsamen Mahlzeit, nicht aber die der Konversation zuteil, es sei denn natürlich, Don Cándido oder Doña Rosa richteten das Wort an ihn.
»Mama«, sagte Leonardo, nachdem er seine fünfte in spanischem Olivenöl und einheimischem Schnaps schwimmende Yema verspeist hatte, »bei Dubois in der Calle de la Muralla sind gerade Schweizer Repetieruhren eingetroffen, die besten der Welt.«
»Bild dir nicht ein, dass wir dir noch eine Uhr kaufen!«, polterte Don Cándido los und machte dabei eine Handbewegung, die der junge Tirso als das Verlangen nach Feuer deutete, weshalb er ihm das Kohlebecken unter den Schnauzbart hielt. »Verdammter Hundesohn!«, schrie Don Cándido noch lauter, nahm das Becken und warf es dem Sklaven an den Kopf, der überlebte, da er ihm auszuweichen verstand. Don Cándido, nun außer sich vor Wut, weil er sich am Kohlebecken die Finger verbrannt hatte, schlug mit der Faust auf den Tisch und zerschmetterte dabei etliche Teller. »Es gibt keine Uhr, es gibt keine Uhr!« Und an Leonardo gewandt: »Was glaubst du eigentlich, wer wir sind? Die Dukatenscheißer von Peru?«
»Was für ein Beispiel du Leonardo gibst!«, enthob ihn Doña Rosa der Antwort. »Man könnte meinen, er wäre nicht dein Sohn.«
»Das schlechte Beispiel gibst du, wie du ihn verziehst. Anstatt auch mal an deine Töchter zu denken, dreht sich bei dir alles nur um ihn!«, wies Don Cándido sie zurecht, stand auf und umarmte seine Älteste, Antonia.
»Und du, du denkst nie an unseren Leonardito!«, erwiderte Doña Rosa und blickte liebevoll auf ihren Sohn.
»Meine Töchter haben eine bessere Mutter verdient als die, die sie haben«, polterte im tragischen Brustton Don Cándido und schloss jetzt jede seiner Töchter mit so viel Kraft in seine Arme, dass sie um ein Haar erstickt wären.
Da wollte ihm Doña Rosa nicht nachstehen, sie erhob sich, schweißgebadet umkreiste sie ihren Sohn und drückte ihn immer wieder an ihren üppigen Busen.
»Die Schokolade!«, brüllte Don Cándido Gamboa. Und augenblicklich war bei der Erwähnung des köstlichen Tranks die Ruhe wiederhergestellt.
Zwei schwarze Sklavinnen in langen Kleidern schleppten mühevoll einen kolossalen Kessel herbei, in dem die Schokolade brodelte. Noch siedend floss sie in die großen Porzellantassen und von dort in die Kehlen der Tischgesellschaft, die in einer von Don Cándido aus seiner Heimat geerbten Tradition jenes Getränk mit solcher Temperatur zu sich nahm.
Nach der Schokolade summierten sich die äußere Hitze und die der fast schon glühenden Körper, sodass die schweren Leiber im Schweiß plätscherten.
»Don Reventós!«, sagte dann mit donnernder Stimme Doña Rosa, als befände sich der Haushofmeister eine Meile weit entfernt.
»Señora.«
»Nehmen Sie diese zwanzig Unzen Gold, gehen Sie unverzüglich ins Geschäft Dubois und kaufen Sie mir die beste Repetieruhr, die zu haben ist. Sagen Sie Dubois, sie ist für mich, damit er Sie nicht betrügt.«
»Don Reventós!«, brüllte noch fürchterlicher Don Cándido.
»Señor.«
»Wenn du der Order dieser Verrückten gehorchst, werde ich befehlen, dir fünfhundert Peitschenhiebe zu verabreichen.«
»Señor!«
»Reventós!«, schrie noch wütender Doña Rosa. »Ich will auf der Stelle diese Uhr haben, oder du wanderst in die Zuckermühle und arbeitest in der Siederei.«
»Señora!«
»Ich gehe hoch und mache Siesta«, sagte gelangweilt Leonardo Gamboa, der wusste, dass diese Diskussion den ganzen Nachmittag dauern konnte. Er gab Doña Rosa einen Kuss und verschwand nach oben in sein Zimmer.
»Reventós! Reventós!«, donnerte noch lauter Don Cándido, der seinem Sohn nicht den Mittagsschlaf gönnte. »Der Herr in diesem Haus bin ich, wenn du diese Uhr kaufst, lass ich dich auf den Bock spannen wie einen wilden Neger!«
»Reventós«, sagte dann Doña Rosa leise, um ihren Sohn nicht zu wecken, »du müsstest schon zurück sein, oder möchtest du wirklich in die Zuckersiederei? Du wirst schon sehen, was dich dort erwartet. Weißt du, was es bedeutet, sich in braunen Zucker zu verwandeln?«
Bei dieser Frage, deren Antwort er kannte, verfärbte sich der Haushofmeister, wurde totenbleich und wollte losrennen ins Uhrengeschäft.
»Noch einen Schritt, und ich bringe dich um!«, schrie Don Cándido, zog eine riesige Salzpistole (die er immer am Gürtel trug, um die Sklaven einzuschüchtern), lud sie am großen Salztopf, der auf dem Tisch stand, und zielte auf den Kopf des Haushofmeisters.
Da sagte Don Reventós, der wusste, dass es um Leben oder Tod ging, oder mehr noch um Tod oder Tod:
»Wie ich sehe, ist sowohl für die Señora als auch für den Señor das Hauptproblem, von dem mein Leben abhängt, dass ich ins Uhrengeschäft von Señor Dubois gehe und eine Uhr hole beziehungsweise dies nicht tue. Ist es so, Señores?«
»So ist es«, sagte Don Cándido. »Wenn du gehst, bringe ich dich um.«
»Was mich betrifft«, versetzte Doña Rosa, »so weißt du, was dir blüht.«
»Dann ist das Problem gelöst«, sagte triumphierend der Haushofmeister und rief ohne Umschweife Dionisios.
»Señor«, stieß der schweißgebadete Koch hervor.
»Nimm diese zwanzig Unzen Gold. Gib gut darauf acht, es sind zwanzig Unzen! Geh damit zum Uhrengeschäft in der Calle de la Muralla und hol der Señora die beste Repetieruhr, die du dort findest. Lauf, so schnell du kannst! Hast du verstanden?«
»Jawohl, Señor«, sagte der Sklave und rannte in Windeseile davon.
»Sie sehen ja, Señores, wie sich das Problem gelöst hat und ich mein Leben gerettet habe«, erklärte doktorenhaft der Haushofmeister. »Ich bin nicht ins Uhrengeschäft gegangen, denn ich bin offensichtlich hier, und habe meinen Auftrag dennoch erfüllt, denn in wenigen Minuten wird auch die Repetieruhr hier sein.«
Angesichts des gewitzten Auswegs, den der Haushofmeister gefunden hatte, fasste sich Don Cándido, der glaubte, der Schädel würde ihm zerspringen, an den Kopf, eine Gebärde, die für Tirso bedeutete, dass er seinem Herrn den Rücken zu kratzen habe, was er augenblicklich mit der großen Bürste tat.
Diese irrtümliche Verrichtung des Sklaven genügte Don Cándido, ihm rasend vor Wut die Bürste zu entreißen und sie mit solcher Gewalt in die Vorhalle zu schleudern, dass diese einstürzte und die liebevoll Karmen Balzells geheißene spanische Stute unter sich begrub, die dort mit dem Tilbury wartete, um die Señoritas zur nachmittäglichen Spazierfahrt auszufahren.
Das waidwunde Tier stieß ein dunkel grollendes Wiehern aus und verschied, woraufhin die drei Señoritas in untröstliches Klagen verfielen, vor allem Carmen, Don Cándidos Schoßkind, die (vielleicht wegen des gleichen Namens) eine besonders tiefe Zuneigung zu dem Tier hegte.
Der Vater, tief bewegt von der Trauer seiner Töchter, die das tote Pferd immer wieder umarmten, zwang sich zur Ruhe und wurde still; dann bat er seine am innigsten geliebte Tochter um Verzeihung, stieg die Treppe ins Obergeschoss hinauf und legte sich hin zum Mittagsschlaf.