Kapitel 11
Dionisios

Als der Kochsklave Dionisios mit der Repetieruhr zurückkehrte, stellte er erfreut fest, dass die Herrschaften schon ihren Mittagsschlaf hielten. Er übergab das wertvolle Stück dem Haushofmeister, Don Reventós, der einen finsteren, sarkastischen Blick darauf warf, und lief schnell in die Küche. Er wusste, seine Stunden waren gezählt, denn wenn Don Cándido aufwachen und feststellen würde, dass er Doña Rosas Laune erfüllt hatte, würde der Herr befehlen, ihn zu töten. Auch wenn er ihn vielleicht, um Doña Rosa nicht zu erzürnen, nicht direkt ermorden würde, sondern der Tod »plötzlich und unerwartet« käme wie im Falle des Dichtersklaven Lezama.

Er wusste, was von den Herrschaften zu erwarten war. Er war nicht umsonst zwanzig Jahre in dieser Familie Koch gewesen. Er wusste, dass ein in Ungnade gefallener Sklave ein toter Mann ist und dass, wenn er in einen Streit zwischen dem Herrn und der Señora geriete, die Schuld immer ihn träfe. Er hatte sich das Sprichwort zu eigen gemacht, das er von den Weißen gelernt hatte: »Denke schlecht, und du hast recht.«

Daher bereitete Dionisios eilig seine Flucht vor. Während alle schliefen (sogar der Haushofmeister im Speisezimmer war eingenickt), würde er die Stadt verlassen, sich im Wald verstecken und zum entflohenen Sklaven werden, zum Cimarrón. Zum ersten Mal wäre er ein freier Mann.

Was ließ er schon zurück? Halsstock, Prügelbock, Peitschenhiebe, Beschimpfungen und endlose Schufterei. Sogar seine Frau, die Negerin María Regla, war zur Strafe in die Zuckermühle geschickt worden, als Doña Rosa sie dabei ertappte, wie sie der kleinen Cecilia, die damals gerade erst geboren war, die Brust gab. Und obwohl sie dies auf Befehl von Cándido Gamboa persönlich getan hatte, konnte niemand verhindern, dass María Regla lebenslänglich nach La Tinaja in die Zuckermühle geschickt wurde, wo sie bei täglich achtzehn Stunden Arbeit in der Siederei zugrunde ging.

Er konnte sich noch gut an die Szene damals erinnern (mit jedem Tag trat sie ihm deutlicher vor Augen). María Regla war die Säugamme der kleinen Adela, weil Doña Rosa sie nicht stillen wollte, damit ihr »die Brüste nicht herabfielen«. Eines Nachts glaubte die Señora im Zimmer der Sklavin ein merkwürdiges Greinen zu hören und fand sie mit zwei Säuglingen an der Brust, einem links, einem rechts. Der eine war Adela Gamboa, der andere Cecilia Valdés. Doña Rosa schlug derart Krach, dass sogar der Generalkapitän seine Mannen schickte, damit sie nachsahen, was los war. Seither hatte Dionisios seine Frau nie wiedergesehen. Und das Schlimmste war, er wusste, dass sie ihm untreu war. Und nicht nur mit einem einzigen Mann. Nicht einmal mit einem Schwarzen. Sondern mit jedem Weißen, der ihr über den Weg lief … Fliehen. Das war die Lösung. Er würde nichts zurücklassen. Nicht einmal die Erinnerung an eine treue Ehefrau.

Er warf seine Sklavenkleider fort und zog sich rasch einen Leonardo Gamboa gehörenden grünen Anzug an, der ihm etwas zu eng war, sowie ein Paar viel zu große Stiefel Don Cándidos samt seinen goldenen Sporen. Dann warf er einen Blick auf den Boden eines Kupferkessels und versuchte, sich mit der übergroßen Bürste aus Gold und Silber seine kurzen Haarkräusel zu glätten, die »Rosinen«, wie die Weißen sie nannten. Die Rosinen am Kopf ließen sich zwar nicht glätten, die Bürste wollte er aber trotzdem lieber behalten und steckte sie flugs in den großen roten Rucksack, mit dem er auf dem Markt immer einkaufen gegangen war. In jedem der verwaisten Zimmer, durch das er kam, steckte er etwas in den Rucksack: Leonardos alte Uhr, verschiedene Silbermünzen, ein paar Talglichter, etliche Hosenträger, sechs Flaschen Wein, ein in der Vorhalle umherflatterndes Huhn, das große Küchenmesser und sogar ein junges Schwein, das Don Cándido für das Jahresende mästen ließ, wenn sie auf dem Lande Weihnachten feiern würden. Als Letztes schnappte sich Dionisios mit gezierter Lässigkeit einen hohen Zylinderhut, den jemand auf einem Stuhl hatte liegen lassen, und trat hinaus auf die Straße.

Er wollte die Flucht versuchen, wo die Stadtmauer am wenigstens bewacht war, und schlug darum den Weg zu den armen, nur von Schwarzen und Mulatten bewohnten Vierteln ein. Dort war es schließlich, wo ihn nach stundenlangem Umherirren, als er beim Überqueren einer Straße schon fast bis an die Knie im Schlamm versank, ein Rhythmus überraschte und gefangen nahm. Eine solche Musik hatte der Sklave noch nie gehört. Sie weckte die geheimsten Sehnsüchte und zwang, ihr zu lauschen und zu gehorchen. Ohne dass Dionisios wusste, was er tat, bahnte er sich mit seinem Rucksack einen Weg durch das Menschengewühl und trat ein in den Salon, wo José Dolores Pimienta, sein ihm unbekannter Sohn, immer noch Klarinette spielte.