Kapitel 27
Cirilo Villaverde

Der Zuckerknecht hatte recht. Cirilo Villaverde bekämpfte inkognito in der Sierra de los Organos in Pinar del Río das Analphabetentum.

Die Gründe des Schulmeisters dafür waren sehr einfach: Nach der Veröffentlichung seines Romans Cecilia Valdés in New York und nachdem er auch auf Kuba mehrere Bücher veröffentlicht hatte, war er von seiner beunruhigten Frau unterrichtet worden, dass in mehr als vierzig Jahren nicht ein einziges Exemplar davon verkauft worden war. Das lag daran, tröstete er sich, dass niemand auf der Insel lesen konnte.

Auf Befehl seiner ehrgeizigen Frau war Villaverde, mit Fibeln und Heften gewappnet, unverzüglich nach Kuba aufgebrochen. Da er von der Kolonialregierung zum Tode verurteilt worden war, musste er sich illegal in besagtes Gebirge begeben. Und im dichten Wald hatte er aus Palmblättern und Palmenbast eine Schule errichtet.

Als Don Cándido mit seiner Frau und allen seinen Kindern, dazu noch Isabel Ilincheta und der als Führer dienende Zuckerknecht, bei Cirilo Villaverde ankam, fing dieser gerade mit dem Unterricht an.

Zahlreich waren die Kinder, die den Weg zur abgelegenen Hütte fanden (auch wenn, um ehrlich zu sein, die Eltern mit einem leichten Schlag auf den Hinterkopf etwas nachgeholfen hatten). Allerdings wollte keines der Kinder, unter denen es sogar einen Indio gab (eine auf Kuba bereits ausgelöschte Rasse), wirklich das Abc lernen. Sie wussten, dem Lehrer lag nur daran, dass sie seine Bücher läsen, und ein solches Schrecknis vor Augen, wollten sie lieber Analphabeten bleiben.

Zum anderen war der Unterricht nicht kostenlos, ließ doch Villaverdes Frau, die ihn von New York aus überwachte – sie hatte nämlich Adleraugen –, dies nicht zu. So musste jeder Schüler regelmäßig seinen Obolus entrichten, und da es in jener Gegend noch nicht einmal Geld gab, geschah dies in Naturalien.

Einer brachte ein Huhn mit, ein anderer ein Ferkel, wieder ein anderer einen Korb Eier und ein weiterer schließlich ein paar grüne Aale. Die Frechsten (die in der Überzahl waren) brachten Frösche, Krebse, Schlangen, Mäuse und sogar Spinnen mit, die Villaverde ungerührt in die Fässer zu stecken befahl, die er für jede Art von Bezahlung (auf Befehl seiner unerbittlichen Frau) auf einer Seite des Klassenzimmers aufgestellt hatte.

»Señor!«, rief, gerade als die Besucher kamen, ein junger Mulatte. »Mein Vater schickt Ihnen diese Wasserschildkröten hier, damit Sie mir schnell die Kunst des Rechnens beibringen!«

»Ich unterrichte keine Mathematik, ich bringe euch das Lesen bei!«, erwiderte Villaverde. Und dann ruhiger: »Leg die Schildkröten dort ins Fass und setz dich hin.«

»Dieses Schaf schickt Ihnen meine Mutter!«, rief ein barfüßiges kleines Mädchen. »Es ist das Schulgeld für ein halbes Jahr.«

»Bind es an und setz dich«, befahl der Lehrer und wollte schon die Anwesenheitsliste durchgehen, da erblickte er die Besucher.

»Womit kann ich Ihnen dienen?«, fragte er und erhob sich von seinem Platz.

»Ist das die Möglichkeit? Kennen Sie uns denn gar nicht mehr?«, schlug Don Cándido einen vertraulichen Ton an.

»Natürlich kenne ich Sie noch. Aber ich habe nirgendwo geschrieben, dass Sie mich besuchen kommen sollen, schon gar nicht in der Schule. Ich bin hier inkognito, und zwar auf der zweiten Silbe betont, inkognito, und nicht auf der dritten, wie Sie ungebildeter Mensch es vor ein paar Seiten gesagt haben!«, wies er den Zuckerknecht zurecht.

»Jedenfalls sind wir nun da, Señor Inkognito«, fuhr Doña Rosa dazwischen, spitz auf der dritten Silbe betonend. »Und wir werden erst dann wieder gehen, wenn Sie uns über eine sehr wichtige Angelegenheit aufgeklärt haben!«

»Die da wäre, wenn man wissen darf?«, fragte Villaverde, sich seine Brille zurechtrückend.

»Señor«, ergriff Isabel das Wort, »in Kapitel vier des dritten Teils Ihres Romans Cecilia Valdés lassen Sie Don Cándido de Gamboa im Gespräch mit Isabel Ilincheta, meiner Wenigkeit, Folgendes sagen: ›Ich möchte, dass du dich bei uns wie zu Hause fühlst; ich hoffe, du amüsierst dich gut und genießt hier auch alles, Schöne von Alquízar.‹ Also, wir wollen jetzt wissen, und zwar ohne Drumherumgerede, ob da ein Komma stehen soll und sich ›Schöne von Alquízar‹ auf mein Anwesen oder meine Person bezieht.«

»Oh!«, sagte Villaverde und machte eine Pause, in der er mit den Händen fuchtelte, um die krakeelenden Kinder zur Ruhe zu bringen. »Das bleibt dem geneigten Leser überlassen …«

»Nichts da mit ›dem Leser überlassen‹«, protestierte aufgebracht Doña Rosa. »Sie müssen das auf der Stelle klären! Sonst ist hier gleich die Hölle los!«

»Mama, bitte«, versuchte Antonia zu vermitteln, »vielleicht weiß er ja selbst nicht, was er damit meinte.«

»Wenn er nicht weiß, was er schreibt, dann soll er Schuster werden oder im Zuckerrohr schuften. Die Angelegenheit muss auf der Stelle geklärt werden!«

»Señora«, sagte Villaverde nervös und rang unter seinem langen Bart, in der europäischen Kleidung, die ihm seine Frau von New York aus für das tropische Klima verordnet hatte, nach Luft, »ich habe den ersten Teil dieses Romans in der Buchdruckerei von Lino Valdés im Jahre 1839 veröffentlicht …«

»Das interessiert mich nicht!«, brüllte Rosa. »Zur Sache, bitte!«

»Zurückgekehrt in die Hauptstadt im Jahre 1842, ohne dass ich meinen Lehrerberuf aufgab …«

»Nun hören Sie schon auf und erklären Sie sich!«, fiel ihm auch Don Cándido lautstark ins Wort. »Ihretwegen stehe ich davor, meine Familie zu verlieren!«

In diesem Moment blökte das Schaf mit aller Kraft, die Kinder blökten mit und sprangen von ihren Plätzen: Endlich einmal gab einer diesem komischen Pauker Saures.

»Hau ihn!«, war eine Kinderstimme zu vernehmen.

»Zieh ihm am Bart!«, riet eine zweite.

»Dresch ihm das Lineal auf den Kopf!«, schlug ein dünnes Mädchenstimmchen vor.

»Die längste Zeit in diesen Jahren der patriotischen Fantastereien und Träume«, fuhr Villaverde fort, den es mit Macht drängte, von sich und seinem Werk zu sprechen, »blieb das Manuskript des Romans natürlich in der Schublade …«

»Aber, mein Herr, was reden Sie da eigentlich!«, wagte Don Cándido ihm ins Gesicht zu schmettern.

»Immer feste drauf! Immer feste drauf!«, empfahl wahrhaft begeistert das Indiolein.

»… sodass«, spann Villaverde seinen Faden weiter, »nicht die Rede davon sein kann, dass ich vierzig Jahre lang an meinem Roman geschrieben hätte.«

»Es reicht!«, explodierte Doña Rosa.

Sie packte eines der Fässer und wollte es dem Lehrer an den Kopf werfen, doch als sie es anhob, fiel der Deckel herunter, und heraus quoll, was darin gewesen war: ein Geschlinge von Nattern. Damit nicht genug, nahm Doña Rosa ein weiteres Fass, das ebenfalls aufging und den Raum mit krakengroßen Vogelspinnen bevölkerte. Doch die unbeirrbare Señora konnte sich trotz der Lebensgefahr, in der sie sich befand, nicht enthalten, ein drittes Fass zu ergreifen und es aufs Lehrerpult zu schleudern, wo es zu Bruch ging und Hunderte von Mohrenkrabben mit angriffsbereiten Scheren heraussprangen. Eines dieser Tiere kniff mit seiner mächtigen Zange dem Lehrer in die (zweifellos ziemlich lange) Nase und zerbrach ihm die Brillengläser.

Blind um sich schlagend und ohne das Köfferchen loszulassen, das seine Unterrichtsvorbereitungen enthielt, durchstieß Villaverde die Palmenbastwand der Hütte (die zusammenkrachte) und entsprang mit einer für sein Alter und seinen Aufzug beachtlichen Geschwindigkeit in die Berge.

»Ferkelratte, Ferkelratte!«, schrien ihm die überglücklichen Schüler nach, voll Jubel über das Ende ihrer Leiden.

Rasch halfen sie den Damen und Herren, von diesem Ort fortzukommen, an dem es nur so wimmelte von giftigem Gezücht.

Als die Besucher auf dem Rückweg, ruhiger nun, mit dem Tilbury die gefährlichen Steilhänge passierten, hörten sie einen Schreckensschrei, ausgestoßen zweifellos von dem Lehrer, den der Krebs nicht freizulassen gedachte.

»Ich frage mich«, sagte da Doña Rosa, »ob dieser Schwachkopf endlich gestorben ist.«

»Ach!«, antwortete Don Cándido und ergriff galant seiner Gattin Schwabbelhand. »Das bleibt dem geneigten Leser überlassen …«