Kapitel 12
Das Duell

Auf dem Ball im Hause Mercedes Ayalas ging es so ausgelassen und beschwingt zu, dass der große, im viel zu engen grünen Anzug steckende Schwarze mit bis an die Schenkel reichenden Reitstiefeln, goldenen Sporen, Zylinderhut und einem riesigen roten Rucksack, in dem wütend ein Schwein grunzte und ein Huhn gackerte, nicht weiter auffiel.

Bei einem Blitz erblickte Dionisios Cecilia Valdés, wie sie mit Leonardo Gamboa tanzte, und ein seit vielen Jahren in ihm schlummernder Hass brach auf. Ohne daran zu denken, dass er auf der Flucht war, näherte er sich dem Paar.

»Daff ich Se um diesm Tanz bittn?«, sagte er zu der jungen Frau und tippte ihr dabei auf die Schulter.

Leonardo und Cecilia waren von dieser merkwürdigen Gestalt überrascht. Es war die junge Frau, die reagierte.

»Tut mir leid. Aber sehen Sie nicht, dass ich diesem Herrn versprochen bin?«

»Lüge!«, schrie Dionisios. »Se wolln nich mit mir tanzn, weil ich Neger bin. Aber damit Se wissn: Se sind genauso ne Schwarze!«

»Was habe ich Ihnen getan, dass Sie mich so beleidigen?«, empörte sich Cecilia.

»Mehr als Se glaubn. Ihrtwegn musst ich meine Frau untreu sein und bin seit achtzn Jahrn ohne se.«

Bei diesen Worten sah Leonardo Cecilia erschrocken an. »Ich kenne ihn nicht einmal. Der Mann ist verrückt«, sagte Cecilia an Leonardo gewandt.

»Verrückt is Ihre Mutter! Und zwa durch Ihre Schuld!«, schrie der schwarze Koch.

»Nein, Sie sind verrückt!«, schrie da Cecilia so laut, dass José Dolores Pimienta schließlich aufhörte, Klarinette zu spielen. Was genügte, um das gesamte Orchester und damit auch die Tanzenden innehalten zu lassen.

»Hören Sie, mehr Respekt vor der Señorita gefälligst«, fand nun auch Leonardo Gamboa die Sprache wieder, der verwirrt und verängstigt den Koch nicht erkannte.

In diesem Moment stieß das Schwein, das in dem Rucksack höchst unbequem reiste, ein solches Grunzen aus, dass Gamboa vor Schreck und im Glauben, der Neger sei der leibhaftige Teufel, zurückwich, etliche Leute beiseitestieß und die Flucht ergriff. Von Weitem rief er Cecilia Valdés noch zu: »Vergiss nicht, dass ich dich morgen sehen will!«

»Nun müssn Se wähln«, sagte Dionisios, »zwischen nen Feigling und nen armen Schlucker.«

»Sie irren sich!«, rief Cecilia. »Er ist kein Feigling!«

»Ich irr mich nich. Alle sind se hier Feiglinge! Wanzngeschmeiß, einer wie der andre!«

Und bei diesen letzten Worten sah sich Dionisios herausfordernd in der Menge um.

»Der Feigling sind Sie, dass Sie eine Señorita beleidigen!«, stieß José Dolores Pimienta hervor, der bereit war, Cecilia zu beweisen, dass er mutiger war als Leonardo.

»Wanzngeschmeiß!«, war Dionisios’ Antwort. »Komm mit raus und lern mein Messer kenn!«

José Dolores hätte das Blut besagten Getiers haben müssen, um Dionisios’ Herausforderung die Antwort schuldig zu bleiben. Gefolgt von der gut gelaunten Menge, die in sicherer Entfernung blieb, gingen Vater und Sohn auf die Straße.

»Wams, lass den Mann raus!«, schrie José Dolores, Dionisios wegen seiner engen Kleidung verspottend.

»Wir werden ja sehen, wer hier wen rauslässt«, gab Dionisios zurück. Und als er den Rucksack öffnete, um das Messer hervorzuholen, flatterte das Huhn heraus, direkt gegen die Brust Cecilia Valdés’, die einen Schrei ausstieß und ohnmächtig niedersank.

Cecilia musste aber selber sehen, wie sie wieder zu sich kam, denn die beiden Männer kämpften bereits in einem Duell auf Leben und Tod. Mit dem Hut als Schild in der Linken sprangen sie beide mal aufeinander zu, mal zurück und stießen dabei mit dem Dolch in die Luft.

»Hurra!«, schrie die Menge, verschanzt hinter den Tilburys und sogar auf dem Dach, bei jeder Attacke der Kontrahenten (egal, welcher der beiden gerade vorsprang). Zudem ließ das Fehlen von Straßenlaternen völlig im Dunkeln, wer in diesem Schlagabtausch wen verwundete. Doch Dionisios fehlte es an der Gewandtheit und Jugend des Mulatten, und obendrein schränkte der gewaltige Rucksack, den er nicht ablegen wollte, seine Bewegungsfreiheit ein. Schon bald war das Geräusch zerreißenden Stoffs zu hören, gefolgt von einem Schmerzensschrei.

»Hurra!«, schrien alle noch einmal, ohne zu wissen, wen es erwischt hatte.

Es war Dionisios, der zu Boden ging, auf den Rücken fiel und endlich den roten Rucksack abwarf, aus dem im vollen Galopp das Schwein entwischte.

»Bist du verletzt?«, fragte Cecilia Valdés das zwischen ihren Beinen hindurchschlüpfende Schwein im Glauben, es sei José Dolores.

»Nicht eine Schramme«, antwortete der aus dem Dunkel auftauchende Mulatte. »Nicht der geringste Kratzer«, fügte er noch stolzer hinzu, als er den Kopf der Frau, die er so heiß liebte, an seinem Herzen lehnen spürte.

So standen sie nur einen Augenblick. Denn schon war in der Menschenmenge ein neuer Schrei zu hören.

»Nichts wie weg, da kommt Tondá!«

Und alle, sogar der tödlich Verwundete, ergriffen die Flucht, als der schmucke schwarze Hauptmann, zu Pferde und mit Säbel und Epauletten, am Ort des Geschehens auftauchte.