Kapitel 20
Der Generalkapitän

In wirklich großer Sorge brach Don Cándido, begleitet von zwei Plantagenbesitzern, den Sklavenhändlern Madrazo und Meriño, auf zum Sitz des Generalkapitäns, um mit dem höchsten Vertreter der spanischen Krone auf Kuba, Don Francisco Dionisio Vives, persönlich zu reden. Doch als sie im Palast anlangten, erfuhren sie, dass der Generalkapitän sich im Castillo de la Fuerza aufhielt, wo er einem Hahnenkampf beiwohnte.

Der Generalkapitän war ein solch begeisterter Anhänger des Hahnenkampfs, dass er ihn zum Nationalspiel erhoben und sogar die Heeresfestung in einen formidablen Hahnenkampfplatz verwandelt hatte. So mussten die drei Männer den weiten Weg auf sich nehmen, und nachdem sie sich vor den verschiedenen Wachposten und Eskorten ausgewiesen hatten, betraten sie den großen Innenhof des Kastells.

Umringt vom Kapitän der Hafenmarine und dem schon bekannten Bischof von Havanna, Señor Echerre, sowie von zwei Konsuln, mehreren Damen des spanischen Adels und zahlreichen Höflingen, verfolgte der Generalkapitän mit gespannter Aufmerksamkeit den Kampf zwischen den beiden Spitzenhähnen, die sich mit wahrem Furor attackierten.

Lauter als das Krähen und Gackern von mehr als hundert Kampfvögeln, die noch auf ihren Auftritt warteten, hallten die begeisterten und nicht immer zitierfähigen Worte des Generalkapitäns wider, wenn der von ihm favorisierte edle Malaie auf seinen Gegner, einen schweren englischen Hahn, einhackte.

Die Person, der Pflege und Training der Hähne oblag, war, neben Meister in diesem Sport oder Spiel, einer der furchtbarsten Mörder des Landes. Offiziell hieß er Botschafter Flórez, sein Spitzname indes war »Blutlache«. Außer zahllosen Verbrechen gegen die einfachen Leute und Folterungen auf Befehl des Generalkapitäns hing ihm auch der heimtückische, gräuliche Mord an einer großen Persönlichkeit der Stadt an. Die Verwandten des Toten, allesamt Adlige und einige von ihnen Geistliche, hatten dem Meuchelmörder ewige Rache geschworen.

Eine Schwester Flórez’ jedoch, von großer Schönheit, hatte sich privatim mit dem Generalkapitän getroffen. Diese drei Tage und drei Nächte dauernde Begegnung, Flórez’ Treue zum Generalkapitän und vor allem seine Kenntnisse in puncto Kampfhähne sorgten dafür, dass der Generalkapitän den Mörder persönlich unter seine Fittiche nahm und ihn, zu seinem Schutz und damit er selbst nicht auf seine Dienste als Hahnenkämpfer verzichten musste, im Innenhof des Castillo de la Fuerza diese gigantische Arena hatte bauen lassen. Auf diese Weise war Flórez dort sicher aufgehoben und gut alimentiert. Geschützt von einer doppelten Macht, dem Kastell und dem leibhaftigen Generalkapitän.

Was indes nicht verhinderte, dass die Verwandten des Toten sich jeden Morgen jenseits des Burggrabens trafen und die Festung systematisch mit Steinen bombardierten, um klarzumachen, dass die finstere Tat noch nicht gesühnt und der Durst nach Gerechtigkeit noch nicht gestillt sei. Aus diesem Grunde waren fast alle der auf dem Festungshof anwesenden Personen schon auf derartige Unannehmlichkeiten vorbereitet: Der Bischof trug statt seiner Bischofsmütze einen Eisenhelm, die Militärs mächtige Metallschilde, die Damen Sonnenschirme, die wahre Kettenpanzer waren. Tondá, der elegante Lieblingsneger des Generalkapitäns, trug außer seinem glänzenden, prächtigen Säbel ein großes Blech mit sich herum, jederzeit bereit, das Haupt seines Beschützers damit zu decken.

Der Generalkapitän stieß Jubelschreie aus. Der Malaienhahn hatte dem Engländer soeben den Todesstoß versetzt. Das Publikum klatschte begeistert Beifall. Und augenblicklich, schneller, als ein Hahn kräht, so als hätten die Angreifer auf dieses Signal gewartet, fing es an, Steine zu regnen.

Die vornehmen Hofdamen spannten, weiter unablässig lächelnd, ihre Kettenpanzer auf, die Militärs verschanzten sich hinter ihren Schilden, Tondá bot im Augenblick dem Generalkapitän unter seinem Riesenblech Deckung, die Konsule entfalteten eine Art tragbares Dach, und der Bischof, stets danach strebend, noch mehr Aufmerksamkeit zu erregen, setzte auf seinen Eisenhelm noch eine hohe verchromte Mitra mit goldenen Infuln auf. Lediglich Gamboa und seine beiden Freunde liefen erschreckt von einer Festungsmauer zur anderen und wurden vom unerbittlichen Steinhagel mal auf den Schultern, mal an den Ohren, mal mitten auf den Kopf getroffen.

Dieser Umstand war es, der die Neugier und sogar Heiterkeit des Generalkapitäns erweckte. Er unterbrach seine geruhsame Unterhaltung mit einer der edlen Damen und gab Tondá ein Zeichen, jene drei Herren zu ihm zu führen.

Sich, so gut es eben ging, vor den Steinen schützend, die vom Himmel zu regnen schienen, legte Gamboa vor Ihrer Exzellenz den Anlass seines Besuchs dar. Die Engländer hätten die Brigantine La Veloz gekapert, voll mit Negern, die nicht etwa aus Afrika waren, nein, Herr, die uns schon gehört haben, die schon gut Spanisch sprechen können und Christen sind und die wir aus Puerto Rico geholt haben. Weshalb ich vor Eurer Exzellenz um Milde und Gerechtigkeit bitte … Und inmitten des Steinhagels winkte er der obersten Autorität der Insel unauffällig mit einem Beutel voll mit fünfzig Goldstücken.

Der Generalkapitän nahm, ohne die Haltung zu verlieren, den Beutel gleichgültig entgegen und beschied:

»Meine Herren, ich anerkenne, welch Unrecht und Schaden uns der Vertrag zufügt, der England das Recht zur Inspektion unserer Handelsschiffe einräumt. Aber die weisen Minister Ihrer Majestät wussten, weshalb sie ihn gebilligt haben, und wir als treue Untertanen müssen uns an ihn halten. Es nutzt nichts, dass ich beide Augen zudrücke: Sie schaffen weiter schwarze Säcke heran – wie Sie sagen, von wenig geeigneten Orten –, und Sie denken dabei nicht an den armen Generalkapitän, der dafür seinen Kopf herhalten muss. Denn kaum kommt hier ein Kohlensack an, wie Sie sagen, schon ist auch der Herr Konsul hier und lässt an mir seine schlechte Laune aus … Was die Schiffsladung Neger angeht, die Sie aus Afrika geholt haben, und nicht aus Puerto Rico«, an dieser Stelle musste der Generalkapitän trotz der immer stärker auf sein Blech trommelnden Steine lächeln, »so waren der englische Konsul und der Kapitän des Kaperschiffes, Lord Clarence Paget, bereits bei mir, und natürlich werde ich im Gemischten Ausschuss, der sich mit der Angelegenheit befassen wird, nur meine allerbeste Meinung über Sie kundtun. Aber das, meine Herren, wird das Problem nicht lösen. Die Sache wird sich nur bereinigen lassen, wenn Sie sich dem Konsul und dem Lord gegenüber äußerst liebenswürdig zeigen, und zwar so liebenswürdig, dass es Ihnen gelingt, sie zu überzeugen, an dem Ball teilzunehmen, den die Philharmonische Gesellschaft zum Jahresende gibt … Nun denn, meine Herren!«, erhob sich die Stimme des Generalkapitäns über das Geprassel der Steine, und wieder lächelte er, jetzt mit verschwörerischer Miene, »wenn es uns gelingt, dass der Konsul und der Lord an diesem Ball teilnehmen, werden wir uns die beiden auf eine wahrhaft originelle Art und mit einer Gerechtigkeit, die wir absolut reell nennen könnten, vom Halse schaffen. Laden Sie also diese distinguierten Herren zum Ball der Philharmonie ein, ach ja, und vergessen Sie nicht, dass sie keine Gesichtsmaske tragen sollen … Bis dahin, Diplomatie und Geduld, meine Freunde. Und kompromittieren Sie nicht noch mehr die Ehre Ihres Generalkapitäns. Vergessen Sie nicht, Vorsicht ist auf der Welt die vorzüglichste der Tugenden.«