KAPITEL NEUN
Mack brauchte im Auto einige Minuten, bis er sich wieder in Jeffery Simpson verwandelt hatte. Dann fuhr er in die Stadt zurück und parkte wieder hinter dem Hotel.
An der Theke saß eine andere Rezeptionistin. Mack, mit der Ledertasche in der Hand, lächelte sie an. »Zimmer zwölf, bitte.«
Sie reichte ihm den Schlüssel, sah auf ihr Verzeichnis und sagte: »Hier, Mr. O’Grady.«
Mack ging die Treppe hinauf in sein Zimmer und legte sich schlafen. Bevor er einschlief, dachte er noch: Wenn ich freie Schussbahn habe, kann ich Foche nicht verfehlen, nicht mit diesem Gewehr.
Er schlief bis sechs Uhr tief und fest durch, duschte dann, rasierte sich und zog sich an. Erneut verkleidete er sich als Gunther Roche und legte Vollbart und die schwarze Lockenperücke an.
Er hatte vor, sich unbemerkt aus dem Hotel zu schleichen. Nichts war zu hören, als er die Zimmertür öffnete. Mit dem Werkzeugkasten in der einen und der Ledertasche in der anderen Hand huschte er durch den Gang und die Treppe hinunter. Niemand war an der Rezeption, auch aus der Küche drangen keine Geräusche. Er musste sogar den Eingang aufschließen, um hinauszukommen.
Er ging zum Parkplatz, verstaute seine Sachen im Kofferraum und fuhr zum Hafen hinunter. Patrick O’Grady war jetzt ein für alle Mal vergessen, Jeffery Simpson war in der Hafenstadt zwar gesehen worden, im Hotel aber nicht registriert, Gunther jedoch trieb sich in der Öffentlichkeit herum und fiel auf – genau wie Mack es wollte.
Neben den Piers, durch eine eineinhalb Meter hohe Mauer davon abgetrennt, lag ein kleiner öffentlicher Parkplatz. Die Zufahrt war frei; für die zweistündige Höchstparkdauer wäre normalerweise eine Gebühr fällig geworden, wenn ein Parkplatzwächter seinen Dienst versehen hätte. Der jedoch kam nicht vor acht Uhr.
Mack parkte in der Ecke, sperrte den Wagen ab und ging zum Hafen. Es war einiges los, Trawler entluden Kisten mit ihrem auf Eis gepackten Fang. Er sah einige Männer mit Klemmbrettern, die sich mit den Fischern unterhielten, sich Notizen machten und den Fahrern der Laster zuwinkten, damit sie mit dem Einladen begannen. Es waren die Aufkäufer der großen Supermärkte, die bereits seit Mitternacht ihrem Geschäft nachgingen, wenn die ersten Boote von ihren nächtlichen Fahrten in den Ärmelkanal zurückkehrten.
Mack sah den alten Skipper, mit dem er sich am Vorabend unterhalten hatte. Auch er sprach mit den Aufkäufern und deutete auf sein Boot. Mack wünschte ihm, dass seine Pechsträhne vorbei war. Dann ging er am Büro des Hafenmeisters vorüber, nickte ihm grüßend zu und schlenderte ans Ende der Hafenmauer.
Er prägte sich die Boote ein, die allem Anschein nach in den frühen Morgenstunden eingelaufen waren. Es waren insgesamt sieben. Er konnte davon ausgehen, dass sie wahrscheinlich jede Nacht hinausfuhren. Vier von ihnen waren für seinen Zweck zu groß; auf zweien waren die Männer noch an der Arbeit. Eines aber hatte bereits entladen, und die Besatzung, die wahrscheinlich nur aus zwei Männern bestand, hatte schon den Heimweg angetreten.
Ihr Boot war ein 20 Meter langer Trawler mit dunkelrotem Rumpf, der einen neuen Anstrich nötig gehabt hätte. In ausgebleichten schwarzen Lettern war der Name Eagle auf den Bug gemalt. Das Boot war bereits wieder aufgetankt, was Mack als Indiz dafür nahm, dass es auch diese Nacht auslaufen würde. Bei den gegenwärtigen Dieselpreisen füllte keiner die Tanks, wenn es nicht unbedingt nötig war.
Er ging zum Hafenmeister zurück, der mittlerweile vor seinem Büro stand. »Guten Morgen«, sagte Mack, bemüht, wie ein Schweizer zu klingen, was aber trotzdem erneut auf eine Imitation von Papa Doc hinauslief.
»Hallo, Sir«, erwiderte der Hafenmeister, der immerhin damit rechnen musste, dass er es eventuell mit dem exzentrischen Besitzer einer hochseetüchtigen 30-Meter-Jacht zu tun hatte. »Schöner Morgen heute.«
»Wie war denn der Fang letzte Nacht?«
»Ganz gut bei den meisten. Der große Trawler dort drüben ist an die 20 Meilen vor der Küste auf einen Kabeljauschwarm gestoßen. Kabeljau bringt momentan gutes Geld. Da werden wir heute Nacht einiges zu tun haben.«
»Wie steht’s mit dem Boot dort, der Eagle? Ich hab vorgestern den Eigner kennengelernt. Hatten die auch Glück?«
»Ja, ja, denen ist der Kabeljau auch nicht entgangen. Im Sommer sind die immer als Erste draußen. Dem alten Fred Carter entgeht nicht viel. In seiner Familie sind sie schon seit vier Generationen Fischer in Brixham.«
»Ich hab gesehen, sie haben schon wieder aufgetankt.«
»Na, so gegen zehn Uhr heute Abend werden sie wieder auslaufen. Die anderen Boote fahren erst gegen elf.«
Mack verabschiedete sich und schlenderte die Straße am Hafen entlang. Es war kurz vor acht. Er fand ein kleines Café, das in fünf Minuten aufmachen würde, und ging weiter zu einem bereits geöffneten Zeitschriftenladen. Dort kaufte er einen London Daily Telegraph und die Montagsausgabe der Le Monde.
Mit der Lektüre bewaffnet, kehrte er zum Café zurück und bestellte sich das Frühstück – pochierte Eier, Räucherschinken aus Devonshire und gebutterten Toast. Mack gefiel es hier; er mochte die Leute und vor allem das Frühstück.
Nach kaum 20 Minuten war das Café voll. Das war gut. Er bestellte Kaffee nach, las bis halb zehn, zahlte, ging hinauf zur Hauptstraße und bummelte an den Schaufenstern vorüber.
Wieder war er mehr als verblüfft über sein bärtiges Erscheinungsbild. In seiner Tweedjacke sah er aus wie ein Uni-Professor im Urlaub. Kurz war er sogar versucht gewesen, sich umzudrehen und nachzusehen, wer ihm hier über die Schulter schaute. Die Verkleidung war schlichtweg umwerfend.
Um elf Uhr stand die Sonne hoch im Südosten. Der Himmel war blau, genau wie die See. Und Mack wurde bewusst, warum dieser Landstrich als Devon-Riviera bezeichnet wurde. Auf einer leeren Bank, von der er Sicht auf das Meer hatte, zog er die Jacke aus und machte sich über Le Monde her, um sein Französisch aufzubessern.
Auf Seite fünf fand sich erneut ein langer Artikel über Henri Foche, dazu ein Foto des Politikers. Die Überschrift lautete:
FÜHRER DER GAULLISTEN ENTSETZT ÜBER DIE NEUEN GRÄUELTATEN DURCH DIAMONDHEAD-RAKETEN
Er bezeichnet die letzten Angriffe auf amerikanische Truppen als »Verbrechen«.
»Du kleiner Drecksack«, murmelte Mack leise vor sich hin. Auch wenn er nicht jedes Wort des Artikels verstand, so bekam er doch mit, worum es ging – Foche hatte angeblich keine Ahnung, wie die Raketen ihren Weg in den Irak fanden. Und er hoffte inständig, dass die illegale Produktion der »menschenverachtenden« Diamondheads so schnell wie möglich gestoppt werde.
Seinem Partner im UN-Sicherheitsrat, den USA, sprach er sein größtes Mitgefühl aus. Sie könnten sich darauf verlassen, dass er als französischer Präsident schnellstmöglich den Verdacht ausräumen werde, wonach ein Rüstungskonzern in seinem Land für dieses kriminelle und schändliche Treiben verantwortlich sei.
»Herrgott«, sagte Mack zu einem vorbeifahrenden Fischlaster. »Der Typ schreckt vor gar nichts zurück.«
Er warf Le Monde in den Mülleimer und suchte sich einen kleinen Supermarkt, wo er eine Flasche Fensterreinigungsmittel kaufte, das zu den stärksten in Großbritannien gehörte. Man hatte ihm einmal erzählt, wenn er wirklich etwas porentief rein haben wollte, müsste er zu diesem Zeug greifen. Da es in den USA unter dem gleichen Markennamen vertrieben wurde, wusste er, wonach er zu suchen hatte. Dazu nahm er einige Staubtücher mit.
Kurz vor Mittag kehrte er zum Parkplatz zurück, wo der Wächter gerade dabei war, ihm einen Strafzettel auszustellen. Darauf war Mack nun gar nicht scharf. Eilig sprach er ihn an, mit einem Akzent, den keiner auf der Welt irgendeiner Sprache hätte zuordnen können, er entschuldigte sich und erklärte, dass seine Frau krank im Hotel liege.
Der Parkplatzwächter war kein Unmensch. Mack meinte weiter, er müsse den ganzen Tag noch zwischen dem Parkplatz und dem Hotel hin und her pendeln; ob die beiden 50-Pfund-Scheine als Parkgebühr für den ganzen Tag reichen würden? Es war fraglos die größte Barsumme, das größte Quasi-Trinkgeld, das der Parkplatzwächter in Brixham jemals zu Gesicht bekommen hatte. Kurz starrte er auf die Scheine, während sein Gehirn fieberhaft arbeitete, dann sagte er: »Na gut, Sir, ich denke, das sollte reichen.« Dann stellte er die Frage, die den ehrlichen Stadtangestellten vom unehrlichen unterschied: »Soll ich Ihnen noch rausgeben, Sir?«
»Ganz sicher nicht. Es würde mich freuen, wenn Sie ein besonderes Auge auf den Wagen haben könnten. Wahrscheinlich bin ich die nächsten Tage auch noch hier. Den gleichen Betrag morgen wieder, wäre das in Ordnung?«
»Oh, natürlich, Sir. Das wäre sehr in Ordnung.«
Erneut machte sich Mack auf den Weg, hielt aber den Parkplatz im Auge, bis er um 12.45 Uhr sah, dass der Wächter vermutlich auf ein Bier und ein Sandwich über die Straße in ein Pub ging.
Sofort war Mack wieder auf dem Parkplatz, schloss seinen Wagen auf und machte sich mit dem hochprozentigen Flüssigreiniger an die Arbeit. Er sprühte alles damit voll, vor allem das Lenkrad, den Schaltknüppel, die Handbremse, die Türgriffe, die Fensterknöpfe und den Fahrersitz aus Lederimitat. Er sprühte es auf die Mittelkonsole und die Windschutzscheibe, die Scheiben an der Fahrerseite und die Armlehnen. Dann über den Rücksitz und über das Armaturenbrett, das Radio und die Lüftungsschlitze. Die Reinigungskräfte, die in New York Hochhausfassaden putzten, hatten schon weniger Reinigungsmittel benutzt.
Dann rieb und wienerte er und wischte alles fort, was in irgendeiner Weise darauf hinweisen könnte, dass er sich jemals in diesem Wagen aufgehalten hatte. Als er damit fertig war, wäre noch der letzte Hauch eines verschmierten Fingerabdrucks aus schierer Einsamkeit eingegangen. Aber Mack wusste, dass es nichts mehr gab, keine einzige Spur mehr, die bewiesen hätte, dass er den Ford Fiesta mit der McArdle-Garantie jemals gefahren hatte.
Die Arbeit außen an der Karosserie sparte er sich für später auf. Mit dem Ellbogen drückte er die Beifahrertür auf, stieg aus, schob die Tür mit dem Knie zu und schloss mit der Fernbedienung ab. Der Parkplatzwächter war noch nicht zu sehen. Mack ging zur Hauptstraße, fand dort einen »Herrenmoden«-Laden, wo er dünne Autohandschuhe aus Leder erwarb sowie ein Paar allerneueste Reebok-Turnschuhe. Dann überquerte er die Straße und erstand in einem Haushaltswarenladen einen Schraubenzieher.
Es war mittlerweile sehr warm geworden. Er kehrte zur noch immer unbesetzten Bank mit Blick auf den Hafen zurück und beschloss, das Mittagessen ausfallen zu lassen, aber früh zu Abend zu essen, weil er nicht wusste, wann er wieder etwas bekommen würde.
Die folgende Stunde sah er nur aufs Meer und dachte an Tommy und Anne. Ihm war klar, dass er es nicht riskieren konnte, sie anzurufen. Nichts durfte darauf hinweisen, dass Lieutenant Commander Mackenzie Bedford Maine jemals verlassen hatte und nach England gereist war.
Um vier Uhr stattete er dem Zeitschriftenladen einen weiteren Besuch ab, um sich einen besseren Frankreich-Reiseführer zu besorgen. Der, den er in der Nähe des Hotels bei Heathrow gekauft hatte, war nicht schlecht, für seine Zwecke aber nicht ausführlich genug. Ganz hinten im Laden entdeckte er ein Regal mit mehreren Werken über die europäischen Staaten, und in der Mitte davon den 1000-Seiten-Wälzer The Lonely Planet Guide to France, die Bibel der Rucksackreisenden, die so viele Informationen enthielt, dass man damit gleich ganz Frankreich hätte erobern können.
Es gab kaum eine Stadt, kaum ein Dorf im ganzen Land, die nicht erfasst worden wären. Es gab große Übersichtskarten, Karten zu den einzelnen Regionen, Stadtpläne, auf denen Hotels, Restaurants, Bahnhöfe, Busbahnhöfe, Flughäfen, Kirchen, Kathedralen, Postämter, Regierungsgebäude und weiß Gott noch alles verzeichnet waren. Mack schmökerte bereits darin, als er wieder auf die Straße trat: Rennes, die Hauptstadt der Bretagne, ist eine äußerst lebendige Stadt … seit römischer Zeit ein Verkehrszentrum … sie liegt an mehreren Autobahnen, die die größten Städte des Nordwestens des Landes miteinander verbinden …
Er spazierte wieder zu »seiner« Bank und überflog den Abschnitt über die Bretagne, die große Landspitze, die in den Atlantik hinausragt und über deren Felsküste die Brecher hereinschlagen. In gewisser Weise war sie Maine in vielem ähnlich.
Mack las über die großen Werften im Marinehafen Brest, in denen Foche vielleicht eine Wahlkampfveranstaltung abhalten würde. Daraufhin las er über die südliche Atlantikküste und über Saint-Nazaire, ein weiteres Zentrum der französischen Schiffbauindustrie. Irgendwo hatte er gelesen, dass Foche an einer der Werften dort beteiligt war.
Der Lonely Planet teilte ihm mit, dass die Queen Mary II, das riesige britische Kreuzfahrtschiff, hier gebaut worden war und auch Airbus eine Fabrik unterhielt. Klingt doch ganz danach, als wäre das was für Foche, murmelte er.
Die oberflächliche Beschäftigung mit den industriellen und militärischen Zentren an der französischen Küste war der leichteste Teil seiner Erkundigungen. Was ihn am meisten interessierte, war die Südküste des Golfs von Saint-Malo, das Paradies der Jachtensegler, das sich von Saint-Malo mit seiner Hafenmauer aus dem 12. Jahrhundert über das von Picasso geliebte Dinard und Cap Fréhel bis nach Saint-Brieuc erstreckte.
Das alles lag auf der gegenüberliegenden Seite des Ärmelkanals, gut 200 Kilometer südlich der Stelle in Devonshire, wo Mack im Augenblick saß. Im Lauf des Nachmittags spürte er, der mit dem Meer aufgewachsen war, dass sich das Wetter ändern würde. Die sanfte Brise aus dem Südwesten fühlte sich ein klein wenig kälter an als noch vor wenigen Stunden.
Er sah zum Horizont. Die glasklare Linie, die den gesamten Tag das Meer vom Himmel getrennt hatte, war nun leicht verschwommen, als hätte sie jemand mit einem dicken grauen Pinsel verwischt.
Er sah auf seine Uhr: halb sechs. Er ging zum Parkplatz, wo sein Ford Fiesta stand. Der Parkplatzwächter war wieder da und klemmte soeben einem Jaguar, der das Parklimit überschritten hatte, einen Strafzettel hinter die Scheibenwischer.
Mit seinem Buch kehrte er zu den Piers zurück und sah sich um. Zwei Trawler wurden aufgetankt, ansonsten war nicht viel los. Die Eagle lag noch immer an ihrem Platz vertäut. An Deck war niemand zu sehen.
Um sechs verließ der Parkplatzwächter mit seiner roten Windjacke das Häuschen und schloss hinter sich die Tür ab. Er ging zur Stadt hinauf. Sofort machte sich Mack wieder an seinem Fiesta zu schaffen, streifte die neu erworbenen Handschuhe über und rieb die Reinigungsflüssigkeit vom Fahrersitz. Anschließend nahm er sich die Fahrertür vor, verrieb alles kräftig und entfernte alle Spuren. Das Gleiche machte er an der hinteren Tür und am Rückspiegel der Fahrerseite. Die Türen an der Beifahrerseite und den dort angebrachten Außenspiegel hatte er nie angefasst.
Schließlich öffnete er – immer noch mit den Lederhandschuhen – mithilfe seines Schlüssels den Kofferraum und legte den französischen Reiseführer in die Tasche, nahm die neuen Turnschuhe und den marineblauen Sweater heraus und packte dafür seine schwarzen Halbschuhe und die Tweedjacke hinein und zog den Reißverschluss wieder zu. Er schlüpfte in die Turnschuhe, schloss mit dem Ellbogen den Kofferraumdeckel, spritzte Reinigungsflüssigkeit auf das Schloss und polierte sie weiträumig ein. Der Wagen war sauber.
Die Reinigungsflüssigkeit und die noch übrigen Staubtücher warf er in einen Mülleimer. Jetzt war er bereit für das Abendessen. Er ging in ein neues Pub in der Straße hinter der Hafenpromenade und bestellte Fish and Chips und ein großes Glas Mineralwasser.
Er hätte gern im französischen Reiseführer geblättert, wollte aber nicht, dass die Einheimischen mitbekamen, dass er eine Reise nach Frankreich plante. Wenn er hier verschwand, sollte sein Reiseziel möglichst unbekannt bleiben. Obwohl es natürlich nur eine Frage der Zeit war, bis alles aufgedeckt werden würde.
Der Fisch war ein perfekt frittierter Kabeljau, den er auf Anraten des Wirts mit Salz und Essig versetzte, so wie es die Engländer gern tun. Professor Henry Higgins wäre über Macks fremdartigen Akzent mehr als erstaunt gewesen, und der Wirt, ein pensionierter Fischer, fragte sich zweifellos, ob der komische Kerl jemals in seinem Leben frittierten Fisch gegessen hatte.
So gut der Kabeljau war – die Pommes waren Macks Sache nicht; sie waren zu groß, zu dick, zu fettig, damit wollte er seinen Organismus nicht belasten. Nicht heute Nacht, wenn er höchst konzentriert sein musste. Daher bestellte er sich noch einmal den köstlichen Kabeljau und musste daraufhin zwei große Pommes-Portionen zurückgehen lassen.
Er blieb noch eine Weile, trank das Wasser und bestellte ein zweites Glas sowie eine große Tasse schwarzen Kaffee. Draußen zogen Wolken auf. Mit dem klaren Sommertag war es vorbei, wahrscheinlich würde es noch vor Mitternacht regnen. Viertel vor neun war es dunkel geworden, aufgrund der dichten Wolkendecke brach die Nacht heute früher herein. Er zahlte, streifte seine Handschuhe über und kehrte zum verlassenen Parkplatz zurück. Auf den Piers brannte Licht, aber noch war niemand zu sehen, der sich zum Auslaufen vorbereitet hätte.
Mack öffnete den Kofferraum, holte den Werkzeugkoffer und die Ledertasche heraus und stellte sie in den Schatten an der Mauer. Mit dem Schraubenzieher entfernte er das vordere Kennzeichen.
Als er auf der Beifahrerseite nach hinten ging, fiel ihm plötzlich auf, dass hinter der Windschutzscheibe unten links in einer transparenten Plastikhülle noch die scheibenförmige Steuermarke steckte. »Scheiße«, murmelte er. Auf der Steuermarke war das Kennzeichen eingetragen. Er griff nach dem Autoschlüssel, öffnete die Tür, riss die gesamte Plastikhülle von der Scheibe und steckte sie sich in die Hosentasche.
Dann ging er zum Heck und schraubte auch das hintere Kennzeichen ab, worauf er beide Nummernschilder wie Frisbeescheiben mitten in die zwölf Meter tiefen Hafengewässer schnellen ließ. Er nahm die Steuermarke aus der Plastikhülle, riss das rote Papier in tausend Fetzen und warf jeweils die Hälfte davon in zwei Mülleimer.
Es war neun Uhr, als er den Werkzeugkasten und die Ledertasche aufnahm und auf die verlassene Pier ging. Der Hafenmeister hielt sich, wie er sehen konnte, nicht in seinem Büro auf. Er kam an niemandem vorbei, als er zur vertäuten Eagle schlenderte.
Der Trawler lag nah an der Pier, keine eineinhalb Meter entfernt. Er warf die Tasche aufs Deck, sprang mit dem Werkzeugkasten in der Hand hinüber und eilte sofort zum Rettungsboot, einem Zodiac-Schlauchboot mit Außenborder, das an der Steuerbordseite an einem Davit befestigt war. Er schob den Werkzeugkasten und die Tasche unter die Plane und zwängte sich selbst hinein, wobei er darauf achten musste, dass seine schwarze Perücke nicht verrutschte.
Und hier in der Finsternis des Sonntagabends wartete er. Es war fast halb zehn, als Leben auf den Piers einkehrte. Mack hörte die Fischer, die sich über das Wetter unterhielten und mit dem Hafenmeister sprachen.
Die See wird rauer – da zieht was Ungemütliches auf.
Die Vorhersage ist nicht so schlecht – das Barometer fällt, soll aber nicht so schlimm werden.
Im Süden wird’s vielleicht heftiger – aber es soll zu den Kanalinseln abziehen.
Ist vielleicht gar nicht so schlecht – dann stehlen uns die verdammten Spanier wenigstens nicht den Kabeljau.
’n Abend, Fred. Du lässt dich nicht abschrecken?
Ich doch nicht! Ich war schon bei schlimmerem Wetter draußen. Und ich brauch das Geld! Bereit, Tom?
Mack hörte zwei Männer an Bord kommen. Fred Carter und seinen Ersten Maat Tom, der nach der Stimme zu urteilen sehr viel jünger sein musste. Sie überprüften die Ausrüstung, dann erzitterte das Boot unter dem Rumpeln der beiden Dieselmaschinen.
Das Ruderhaus lag vorn erhöht über den Aufbauen, die Maschinen befanden sich unter Deck am Heck. Mack hörte eine Tür zuschlagen und nahm an, dass Fred sich ans Steuer begeben hatte, während Tom die Leinen löste. Gleich darauf hörte er den Hafenmeister von der Pier her rufen: »Heckleine kommt«, dann knallte sie schon aufs Deck.
»Okay, Teddy, ich hab sie«, rief Tom, und erneut hörte Mack eine Leine, die diesmal allerdings auf dem Vordeck aufschlug. Das Boot erzitterte leicht, als Fred Carter Gas gab und das Ruder hart nach Backbord drehte. Die Eagle neigte sich nach links, bevor sie sich wieder aufrichtete und geradeaus forttuckerte.
Trotz des aufkommenden Windes waren die Hafengewässer spiegelglatt. Langsam schob sich der Trawler zwischen den anderen Booten hindurch, bevor er einige Grad nach Steuerbord abdrehte und direkt auf die Inlandsgewässer der südlichen Devonküste zuhielt.
Draußen herrschte Finsternis. Das Leuchtfeuer auf Berry Head musste direkt vor ihnen liegen. Mack spürte die Dünung des Meers, als sie in den Ärmelkanal hinausfuhren, hin zu der Schlechtwetterfront und, wie Fred hoffte, den großen Kabeljau- oder Makrelenschwärmen.
Er hatte nicht mehr die Tür des Ruderhauses schlagen hören und wusste daher nicht, ob Tom bei Fred war. Auf einem Schleppnetzfischer dieser Größe gab es immer unzählige Dinge zu erledigen, bis die Netze zu Wasser gebracht werden konnten. Es war fast 20 Minuten nach zehn, als die Dünung merklich zunahm. Die Eagle hob sich und begann zu schlingern, bevor sie ins nächste Wellental tauchte.
Er riskierte einen Blick ins Freie und war sich nur allzu bewusst, dass er dabei Gefahr lief, Tom, dem Maat, direkt in die Augen zu schauen. Dann hätte er ihn umbringen müssen, worauf er keine große Lust hatte. Er drückte die Plane nach oben und sah zum Ruderhaus hinauf. Zwei Männer hielten sich dort auf, und einer von ihnen musste Tom sein, der das Boot steuerte.
Mack kletterte aus dem Rettungsboot und eilte zum kurzen Niedergang, an dessen Schott zwei weiße Rettungswesten angebracht waren. Er löste sie und legte sie aufs Deck. Dann stieg er die drei Stufen hinauf, riss die Tür zum Ruderhaus auf und schrie: »Fred! Verdammt noch mal, komm raus!«
»Was zum Teufel ist das?«, hörte er Tom rufen.
In diesem Augenblick erschien Fred Carter in der Tür und beugte sich nach draußen. Das war ein großer Fehler. Mack Bedford packte ihn kurzerhand an den Eiern und zog an. Mit einem lauten Aufschrei fiel Fred nach vorn, worauf Mack den Skipper am Hals griff und ihn über die Bordkante hinaus in den Ärmelkanal katapultierte.
Noch bevor Captain Carter im Wasser aufschlug, hatte Mack die Rettungsweste in der Hand und warf sie ihm zu. Augenblicklich drehte er sich wieder um. Tom, mit einer Hand am Steuer, starrte noch immer verdutzt in Richtung der offenen Tür.
Mack kam wie ein Panther den Niedergang hoch, packte Tom am Gürtel, zog ihn nach vorn und ließ sich dabei aufs Deck fallen, sodass Toms Hand vom Steuerrad gerissen wurde und er gleichzeitig nach vorn fiel. Mack packte ihn und schleuderte ihn genau wie seinen Boss mit einem vollen Salto über Bord. Mit dem Hintern platschte Tom auf die Wasseroberfläche, verschwand kurz unter den Wellen, und als er wieder an die Oberfläche kam, landete die Rettungsweste beinahe auf seinem Kopf.
Mack sprang ins Ruderhaus und riss den Gashebel nach hinten, das Boot wurde langsamer, und er legte den Rückwärtsgang ein. Etwa 40 Meter fuhr er achteraus, hin zu der Stelle, an der die beiden Fischer in ihren Rettungswesten im Meer trieben. »Sorry, Jungs«, schrie er in seinem besten Inseln-über-dem-Wind-Akzent. »Ich brauchen Boot. Nix Panik. Ihr schon gerettet werden. Wasser warm, eh? Särr gutt.«
Tom wollte einfach nicht glauben, was er soeben miterlebt hatte, und zum zweiten Mal in wenigen Minuten fragte er: »Was zum Teufel ist das?«
»Woher soll ich das wissen?«, bellte Fred. »Ein beschissener Pirat, das ist er. Aber damit kommt er nicht durch. Nie und nimmer.«
»Sind wir überfallen worden?«, fragte Tom. »Ich meine, so, wie man es im Fernsehen sieht?«
»Überfallen?«, rief Fred. »Wir sind gekapert worden, das ist passiert! Der Schweinepriester mit seinem Scheiß-Vollbart hat uns verdammt noch mal das Boot geklaut, das hat er!«
»Er ist stark wie ein Bär«, sagte Tom. »Er hat mich einfach so in die Luft geworfen. Und er hat komisch geredet, was?«
»Das kann uns jetzt egal sein«, sagte Fred. »Wir müssen nach Hause. Wenn die Wolkendecke aufreißt, können wir dem Polarstern folgen – er muss dort liegen, in der entgegengesetzten Richtung der Eagle. Die nimmt Kurs auf Frankreich. Wir müssen nach South Devon schwimmen.«
Mack sah auf den Kompass und hielt Kurs 135 Grad. Er schaltete die GPS-Karte an, die ihm die englische Südküste und die bretonische Nordküste anzeigte. Das schwarze Dreieck lag kurz vor der englischen Küste. Die Geschwindigkeit wurde mit 17,2 Knoten angegeben.
Er gab Gas, bis der Trawler mit etwa 20 Knoten vor sich hin stampfte und mit der Dünung auf und ab ging; gelegentlich schlug silbriges Wasser über den Bug. Das Boot war, wie er von Anfang an vermutet hatte, hervorragend seegängig. Es hatte zuverlässige Maschinen und war voll aufgetankt. Vor ihm lag eine Fahrt über 110 Seemeilen, wofür er bei 20 Knoten fast sechs Stunden brauchen würde. Falls auf der gegenüberliegenden Seite des Ärmelkanals die See flacher wurde, konnte er das unbeladene Boot auf vielleicht 25 Knoten hochtreiben.
Es ging ihm ums Tempo. Die Chancen standen gut, dass Fred und Tom in den viel befahrenen Gewässern vor Devon innerhalb von zwei oder drei Stunden gerettet würden. Dann dürften nach wenigen Minuten die britische und französische Küstenwache darüber informiert sein, dass ein Trawler aus Brixham entführt worden war. Alle Stationen würden alarmiert, und die Satelliten in der Stratosphäre würden nach der Eagle Ausschau halten.
Aber es würde nicht einfach sein für die Suchmannschaften, nicht in der Nacht, wenn das mögliche Suchgebiet jeweils 110 Seemeilen in Länge und Breite maß und keiner die leiseste Ahnung hatte, worauf der vollbärtige Pirat es abgesehen hatte. Vor allem, nachdem Mack entschlossen war, nicht das geringste Lebenszeichen von sich zu geben. Er würde ohne Positionslichter, ohne Radar, ohne Sonar nach Frankreich fahren. Er hatte eine Karte der englischen Südküste, des Ärmelkanals und der bretonischen Nordküste und musste nur nach dem Kompass seinen Weg durch den pechschwarzen und vermutlich regengepeitschten Ärmelkanal finden. Denn er wollte unbedingt vor Beginn der Morgendämmerung, gegen halb sechs, in französischen Küstengewässern sein. Damit hatte er sieben Stunden für die Überfahrt.
Mit 20 Knoten würde er es locker schaffen. Sollte die See das Boot aber entscheidend verlangsamen, würde es knapp werden. Mack betete, dass das Wetter nicht noch schlimmer wurde. Seine Gebete allerdings wurden nicht erhört. Wahrscheinlich deshalb, weil der Allmächtige es ihm ziemlich übel nahm, dass er zwei ehrliche, hart schuftende Fischer in den Ärmelkanal geworfen hatte.
Kaum stand er am Steuer, wurde die See noch höher. Der Regen aus Südwesten prasselte nieder, und nach einigem Suchen fand er den Schalter für die Scheibenwischer, zwei riesige Blätter, die in großen Bögen das Wasser wegschaufelten.
Mit 20 Knoten schlug sich die Eagle in den langen, achtern auflaufenden Seen bravourös. Würden die Wellen allerdings noch höher, würde sie zu tief eintauchen und noch mehr schlingern. Boote sind ganz eigene Wesen, und nach einer Viertelstunde am Steuer wusste Mack Bedford, von Kindesbeinen an mit der Seefahrt vertraut, genau, wo der Gashebel zu stehen hatte. Trotzdem war die Fahrt alles andere als angenehm; er musste sich höllisch konzentrieren, um Kurs 135 zu halten.
Der Wind heulte, nahezu unablässig schlugen die Brecher über den Bug, trafen das Boot in aller Härte und strömten sturzbachartig über das Vordeck. Der Trawler aber hielt alles mühelos aus, stoisch kämpfte er sich durch die schweren Seen, und das überkommende Wasser floss schnell wieder ab. Mack sah den mächtigen Strahl, der sich vorn teilte, die gesamte Bootslänge entlangschwappte und sich hinten über das Heckwerk steuer- und backbords ins Meer ergoss. Das verdammte Dinge war fast so wasserdicht wie ein U-Boot.
Auch die Dieselmaschinen beschwerten sich nicht. Gleichmäßig pochten sie vor sich hin, und Mack erleichterte ihnen ihre Aufgabe, indem er möglichst versuchte, mit dem Bug direkt in die Wellen zu tauchen. Nach einer Stunde schaltete er das Sonar an und versuchte herauszufinden, wie er die Geschwindigkeit über Grund bestimmten konnte. Was sich allerdings als zu kompliziert herausstellte, wenn er unter den vorherrschenden Bedingungen auch noch Kurs halten musste. So ließ er es bleiben und konzentrierte sich ganz auf die Fahrt.
Sein Südostkurs würde ihn an die Nordspitze der Kanalinseln bringen, nah an Alderney heran, wo er 60 Grad nach Steuerbord abdrehen und östlich an Guernsey vorbeifahren wollte. Nichts warf Verfolger mehr aus der Bahn als plötzliche Kursänderungen, noch dazu mitten in der Nacht. Außerdem konnten Landhindernisse wie die großen Inseln im Kanal das Radar zuweilen stören.
Laut GPS lag Alderney 50 Seemeilen vor ihm, zweieinhalb Stunden. Es war halb zwölf. Mit dem Finger fuhr er über die Karte nach Süden zur französischen Küste, bis er auf einen kleinen Ort namens Val André zeigte. »Das sollte reichen«, murmelte er.
Um Mitternacht war Fred Carter ausgekühlt, verdammt ausgekühlt. Sein Erster Maat Tom fror noch mehr, und noch immer waren sie eineinhalb Seemeilen von der Küste entfernt. Das waren die schlechten Nachrichten. Die guten lauteten: Sie waren von einem 3000-Tonnen-Frachter auf Ostkurs gesichtet worden, der mittlerweile direkt auf sie zuhielt. 20 Minuten später waren sie an Bord, in Decken gehüllt, zitterten noch immer, tranken aber heißen Kakao mit einem Schuss Brandy. Einige Besatzungsmitglieder saßen bei ihnen und waren über ihre Geschichte mehr als erstaunt.
»Piraterie hier vor der englischen Küste? Unglaublich.«
»Ich meine, wir sind hier doch nicht auf dem Amazonas oder so«, sagte Fred. »Er war ein ziemlich großer Typ, ein Ausländer, mit Vollbart.«
»Stark wie ein Bär«, fügte Tom hinzu.
»Halt die Klappe«, herrschte Fred ihn an. »Ich erzähle.«
»Ich geb dem Skipper Bescheid«, sagte einer aus der Besatzung. »Wir müssen das melden. So ein Typ muss doch aus dem Verkehr gezogen werden.«
»Und was ist mit meinem Boot?«, regte Fred sich auf. »Ich meine, verdammt noch mal, was passiert mit dem?«
»Es ist doch gut versichert, oder, Fred?«, sagte Tom.
»Ja, aber darum geht es nicht. Es kann doch nicht sein, dass einem der Trawler kreuz und quer durch den Ärmelkanal geschippert wird mit einem Verrückten am Steuer.«
»Ich geh zum Boss«, sagte das Besatzungsmitglied. »Sie sind aus Brixham, oder? Und machen Sie sich mal keine Sorgen – die Küstenwache wird das Boot schon finden. So ein 20 Meter langes Fischerboot kann man nicht einfach so verstecken.«
»Aber versenken«, warf Tom wenig hilfreich ein.
»Halt die Klappe«, sagte Fred.
Hier Frachter Solent Queen aus Southampton, an Hafenmeister, Brixham.
Hier Hafenmeister, Brixham. Kommen.
Unsere Position 50.20 Nord, 3.60 West. Haben soeben Trawler-Skipper Fred Carter aus Brixham und seinen Ersten Maat Thomas Jelbert an Bord genommen. Ihr Boot Eagle wurde gekapert, die beiden wurden über Bord geworfen.
Teddy Rickard hatte sein ganzes Leben in Brixham verbracht. Er war früher ebenfalls als Fischer hinausgefahren, mittlerweile war er 52 Jahre alt und seit 15 Jahren Hafenmeister. Aber eine solche Geschichte war ihm noch nicht untergekommen.
Bitte wiederholen Sie. Sie sagten gekapert? Von einem Piraten? Fred und Tom sind über Bord geworfen worden?
Hier Solent Queen, ich wiederhole: Fred Carter und Tom Jelbert wurden aus Seenot gerettet. Der Trawler aus Brixham, die Eagle, wurde gekapert und gilt als vermisst. Wir ändern Kurs auf Brixham und bringen die beiden nach Hause.
Haben Sie die letzte bekannte Position des Trawlers?
Fred Carter meint, eine Meile südlich von hier.
Das wären also 50.18 Nord, 3.60 West, richtig?
Richtig. Voraussichtliche Ankunft der Solent Queen in Brixham in einer Stunde.
Verstanden, und danke, Solent Queen. Ich erstatte bei der Küstenwache sofort Meldung. Ende.
Die Station der Küstenwache in Dartmouth war nicht minder überrascht, als sie von dem Piratenüberfall auf hoher See erfuhr. Im ersten Moment hielten sie es für einen Witz. Aber der Spaß hörte auf, wenn zwei Schleppnetzfischer aus Brixham über Bord geworfen wurden und ein britisches Fischerboot sich in den Händen von Verbrechern befand. Es wurden sofort sämtliche Stationen alarmiert, dazu eine dringende E-Mail an die französische Küstenwache in Cherbourg geschickt, um sie darüber in Kenntnis zu setzen, dass ein Pirat mit schwarzem Vollbart den Trawler Eagle aus Brixham entführt habe und in ihre Richtung unterwegs sei. Lediglich das schnelle Eingreifen der Solent Queen habe Fred Carter und Tom Jelbert, der über Bord geworfenen Besatzung der Eagle, das Leben gerettet.
Da nun die Möglichkeit bestand, dass ein gefährlicher Verbrecher in Frankreich landete, leitete die Küstenwache in Cherbourg – reiner Routinevorgang – die E-Mail an das Hauptquartier der Polizei in Rennes weiter. Der Polizeichef dort, Pierre Savary, ein kleiner, untersetzter Mittvierziger mit angehender Glatze, saß noch an seinem Schreibtisch und nippte an einem Espresso, der so stark war, dass der Löffel darin stand.
Savary rief die Meldung auf seinem blinkenden Computermonitor auf und las sie mit großem Interesse. Zum Mittagessen war er an diesem Tag bei Henri Foche eingeladen gewesen – nicht bei dem großen Mann persönlich, sondern bei dessen Sicherheitsleuten Marcel und Raymond. Anlass des Treffens war die Besprechung der Sicherheitsmaßnahmen für den zukünftigen Präsidenten. Henri Foche war das wichtigste Thema im Leben von Pierre Savary. Falls Rennes’ höchst geschätztem Bürger etwas zustieß, würde man Pierre Savary zweifellos die Schuld dafür geben.
Er hatte Marcel und Raymond aufmerksam zugehört, vor allem, als sie erzählten, es könnte ein Mordanschlag auf Foche verübt werden und der oder die Täter könnten aus England kommen. Und jetzt meldete man ihm einen Verbrecher, der anscheinend vor nichts zurückschreckte und in einem gekaperten Fischerboot mitten in der stürmischen Nacht den Ärmelkanal überquerte. Sollte ihm das entgehen, und dem berühmten Gaullisten-Führer würde etwas zustoßen, würde sich Rennes nach einem neuen Polizeichef umsehen und er, Pierre, würde für den Rest seiner Tage mit dieser Schmach leben müssen. Er sah auf seine Uhr und wählte Marcels Handynummer.
Foches Sicherheitschef meldete sich nach dem ersten Klingeln. Savary zögerte keinen Augenblick. »Kommen Sie sofort, mon ami. Es ist wichtig.«
Marcel, der im Erdgeschoss von Foches Haus schlief, war mit einem Satz aus dem Bett, zog sich an, eilte durch den Salon in den großen Flur und rief dem bewaffneten Posten an der Tür zu, der mittlerweile dort immer stand: »Ich bin beim Polizeichef, bei Savary. Ruf mich an, wenn du mich brauchst.«
Er jagte den Mercedes durch die dunklen Straßen und traf fünf Minuten später beim Polizeichef ein. Der zeigte ihm die E-Mail aus Cherbourg. Marcel las sie nachdenklich. »Es war richtig, dass Sie angerufen haben, Pierre«, sagte er. »Weiß Gott, wo sich dieser Typ jetzt aufhält oder wer er ist. Aber es passt. Wir erwarten einen Anschlag, die Täter sollen aus England kommen, und dieser Typ könnte, so wie es aussieht, an der bretonischen Küste anlanden. Wir müssen dranbleiben, bis wir ihn haben.«
»Genau das ging mir auch durch den Kopf«, erwiderte Savary. »Ich werde mal die Küstenwache anrufen und nachfragen, ob es was Neues gibt. Sie sollen uns über jeden Schritt auf dem Laufenden halten, bis sie den Trawler haben.«
»Wie lautet die letzte bekannte Position?«
»Vor der Küste von Devon, aber das ist schon ein paar Stunden her. Keiner weiß, welchen Kurs er genommen hat.«
»Wir bleiben hier, bis sie ihn haben?«
»Ich denke doch. Wer weiß, was da noch alles auf uns zukommt. Man wird mich hängen, wenn Monsieur Foche etwas zustößt.«
»Was meinen Sie, was in dem Fall mit mir angestellt wird? Dass man mir ein Orden verleiht?«
0200. Ärmelkanal
49.66 Nord, 2.33 West
Laut GPS der Eagle befand sich Mack Bedford vier Seemeilen westlich von Alderney. Das Funkgerät, das die gesamte Nacht über keinen Ton von sich gegeben hatte, begann plötzlich zu krächzen.
Hier Küstenwache Alderney, Küstenwache Alderney. Fahrzeug vier Seemeilen westlich von uns auf Kurs eins-drei-fünf – ich wiederhole eins-drei-fünf – bitte geben Sie sich zu erkennen.
Sofort drückte Mack auf den Senden-Knopf und antwortete:
Hier Fischtrawler Tantrum aus Plymouth, England, Kurs auf Saint-Malo. Wir hatten im Unwetter Schwierigkeiten mit der Satelliten- und Funkübertragung. Werden uns bei Ankunft beim Hafenmeister in Saint-Malo melden. Band neun-drei tot … kommen.
Mack schaltete das Funkgerät aus und änderte augenblicklich den Kurs um 60 Grad nach Steuerbord. Auf seinem GPS-Schirm sah er, dass er irgendwo zwischen Guernsey und der winzigen Insel Sark durchlaufen würde, einsame Gewässer um diese Nachtzeit.
Der Wind hatte nachgelassen, die See war ruhiger. Im Schutz der großen Insel würde er auf dem letzten Abschnitt zur bretonischen Küste locker 20 Knoten machen können. Kurs: einsneun-fünf, Südsüdwest.
Die Küstenwache auf Alderney hatte von Cherbourg die Meldung erhalten, dass man mit der Suche nach dem vermissten britischen Trawler beginnen würde. Es wurde zur Kenntnis genommen, dass die Tantrum aus Plymouth Probleme mit dem Funkgerät hatte und innerhalb von drei Stunden in Saint-Malo einlaufen würde. Dennoch hatte man allen Stationen der Küstenwache mitgeteilt, dass der britische Trawler per Radar erfasst worden war, und beim Hafenmeister in Saint-Malo um Bestätigung nachgesucht, sollte das Boot gegen fünf Uhr dort anlegen.
Cherbourg war an diesen Vorgängen sehr interessiert, nachdem bei ihnen eine Warnung der Polizei eingegangen war, wenn ein unbekanntes Boot Kurs auf die bretonische Küste nehme, sei es mit äußerster Dringlichkeit zu behandeln, man wiederhole, mit äußerster Dringlichkeit.
Die Küstenwache Cherbourg wies die kleine Station auf Alderney an, dranzubleiben. Doch auch zwei Stunden später konnte kein Kontakt hergestellt werden. Der junge Diensthabende, der über Funk Mack Bedford zu erreichen versuchte, hatte auch eine passende Erklärung dazu: »Natürlich antwortet das Boot nicht – das Funkgerät ist hinüber, das haben sie uns doch schon gemeldet.«
Die Eagle war mittlerweile außerhalb des Radars, da Mack Bedford auf seinem unbeirrbaren Südkurs hinter der kleinen Insel Hern abgeschirmt war. Er musste dazu nur weiter in der neun Seemeilen breiten Wasserstraße zwischen St. Peter Port auf Guernsey und der Insel Sark bleiben. Dahinter standen ihm 60 Meilen Fahrt durch den Golf von Saint-Malo hinunter zur Bucht von Saint-Brieuc bevor. Dass ihn dort noch jemand aufhalten könnte, war äußerst unwahrscheinlich. Noch immer war es stockfinster, Mack Bedford hatte nach wie vor alle Positionslichter gelöscht, er strahlte keinerlei elektronische Emissionen ab. Die Küstenwache kannte seinen Kurs nicht, und keiner wusste, ob der mysteriöse »Radarfleck« auf dem Alderney-Schirm von der Eagle stammte oder nicht.
Die Bedingungen verschlechterten sich, als das Boot den Schutz der Inseln verließ; erneut schlingerte und rollte die Eagle, kämpfte sich aber nach wie vor mit annähernd 20 Knoten durch die See.
Zu diesem Zeitpunkt hatte der Hafenmeister von Brixham, Teddy Rickard, eine weitaus detailliertere Meldung verfasst und sie an die Küstenwache in Dartmouth geschickt. Von dort fand sie gegen 0300 ihren Weg zu den anderen Küstenwachen, worauf die Station in Cherbourg umgehend eine dringliche Meldung losschickte:
Alarm für alle Stationen … Nordküste Dieppe, Golf von Saint-Malo bis Saint-Pol-de-Léon. Suche nach britischem Fischtrawler Eagle, dunkelroter 20-Meter-Rumpf, schwarze Kennzeichnung. Gibt sich möglicherweise als Tantrum aus Plymouth aus.
Hier Cherbourg. Ich wiederhole, Küstenwache Cherbourg. Englischer Fischtrawler Eagle unter illegalem Kommando. Großer männlicher Weißer mit schwarzem Vollbart. Vermutlich gefährlich. Hat die Eagle gekapert.
Alarm gilt für alle Stationen der Küstenwache und alle Boote im jeweiligen Gebiet. Letzte bekannte Position der Tantrum: 49.66 Nord, 2.33 West – vier Seemeilen westlich von Alderney. Kurs und Geschwindigkeit unbekannt.
Eine Meldung wie diese von den ansonsten zurückhaltenden und vorsichtig agierenden Küstenwachen zu beiden Seiten des Ärmelkanals war für die Diensthabenden ein ziemlicher Schock. Schlafende Mitarbeiter wurden geweckt und angewiesen, sich umgehend auf den Piers einzufinden.
Für Savary und Marcel, die noch immer auf den Polizeicomputer in Rennes starrten, waren die Schockwellen allerdings ungleich größer. Denn keiner hatte so viel zu verlieren wie diese beiden. Henri Foche einmal ausgenommen.
Polizeichef Savary rief bei der Küstenwache in Cherbourg an und verlangte schnelle Antworten, die er nicht bekam. Der Wachhabende sagte ihm, alle verfügbaren Männer seien am Fall dran, daneben habe man mehrere in Frage kommende Objekte in dem genannten Gebiet: (1) ein Fischerboot, das anscheinend Saint-Malo anlief, (2) ein weiteres Boot, das die gleiche Küste ansteuerte, sich aber weiter westlich befand, und (3) einen kleinen Frachter, der möglicherweise den Kurs auf Le Havre geändert habe. Selbst mit Hubschraubern sei das Gebiet, das man noch dazu nachts abzusuchen hatte, sehr groß. Der Polizeichef müsse sich gedulden.
Alles andere als erfreut legte der Polizeichef auf. »Mir scheint«, sagte er, »dass uns nur die beiden Fischerboote was angehen. Wenn sich auf dem Frachter, der Le Havre anläuft, irgendein Mörder aufhält, dann sollen sich die in der Normandie damit herumschlagen. Aber wenn es einer der Trawler ist und der Typ darauf es wirklich auf Henri Foche abgesehen hat, dann sollten wir in die Gänge kommen.«
»Von Rennes aus können wir nicht viel tun.« Die 70 Kilometer lange Strecke aber erschien Henri Foches oberstem Leibwächter in der Nacht, noch dazu bei strömendem Regen und starkem Wind, als verdammt lang und anstrengend.
»Marcel«, sagte Savary, »scheuchen Sie Raymond auf, klemmen Sie sich hinters Steuer, und fahren Sie an die Küste, die dieser Dreckskerl aller Wahrscheinlichkeit nach ansteuert. Wenn Sie dort ankommen, ist es halb fünf, und die Küstenwache wird beide Boote erfasst haben. Am besten warten Sie irgendwo in der Nähe von Ploubalay. Von dort können Sie jederzeit zurück nach Saint-Malo oder, falls nötig, weiter nach Westen.«
»Und was machen wir, wenn sie den Typen schnappen – oder wenn wir ihn in die Finger kriegen?«
»Im Interesse der französischen Justiz bin ich geneigt, schnell und unauffällig zu handeln. So wie wir es immer tun, wenn Personen von hohem Ansehen betroffen sind. Vergessen Sie nicht, er ist Ausländer, wenn wir uns an die Gesetze halten, verheddern wir uns nur in Verfahrensfragen, die uns jeden Spielraum nehmen.«
»Pierre, Sie können das getrost uns überlassen. Wenn er mit dem Boot anlandet, kommt er keine fünf Meter weit. Wir bleiben in Kontakt.«
Marcel eilte aus der Polizeidienststelle, fuhr zu dem Appartementgebäude, in dem Raymond wohnte, und rief ihn per Handy an. Zehn Minuten später machten sie sich auf den Weg, jeweils ausgerüstet mit einer Sig Sauer 9 mm, der Handfeuerwaffe der französischen Spezialkräfte.
0500
48.80 Nord, 2.24 West
Das Unwetter war ins Landesinnere abgezogen, während die Eagle durch die Dunkelheit nach Süden stampfte. Noch immer war die See rau und aufgewühlt. Mack schaltete das Radar immer nur für Sekunden an, um sich zu vergewissern, dass er von der Küstenwache nicht verfolgt wurde. Im Moment befand er sich acht Seemeilen vor der Küste, nördlich der Landspitze von Sables-d’Or-les-Pins.
Er aktivierte das Echolot und registrierte 100 Meter unter dem Kiel. Er wollte näher an die Küste heran und damit in den Radar-Störbereich der Landmasse. Außerdem hatte er sich darauf festgelegt, in Val André zu landen, einer Kleinstadt etwa zehn Kilometer südwestlich von Sables-d’Or. Demnach hatte er noch eine Stunde Zeit, um die 14 Seemeilen bis zur Landestelle zurückzulegen, wenn er vor Sonnenaufgang gegen sechs Uhr ankommen wollte. Er würde aber bereits in der Morgendämmerung an Land gehen, und nicht mehr in der Dunkelheit getarnt sein. Natürlich wusste er nicht, dass um halb fünf drei Boote der Küstenwache, eines in Cherbourg und zwei in Saint-Malo, abgelegt und sich auf die Suche nach der Eagle gemacht hatten. Deren Meldungen wurden zu Pierre Savary in Rennes und von dort zu Marcel und Raymond weitergeleitet.
Bislang war lediglich das verdächtige Fischerboot lokalisiert worden, das auf Saint-Malo zuhielt. Deren ganz und gar unverdächtige spanische Besatzung hatte das Funkgerät ausgestellt und hörte Flamenco. Das Boot war nicht die Tantrum, sondern die La Mancha. Der Kapitän war ein schlanker 1,67 Meter großer glatzköpfiger Fischer, der an die 68 Lenze zählte. Nein, die La Mancha war nicht gekapert worden, sondern brauchte nur Sprit.
Das alles war nicht besonders erfreulich für Lieutenant Commander Bedford, der nun der einzige Verdächtige war. Tief in seiner kampferprobten Seele rechnete er allerdings bereits damit, dass sich die Schlinge um ihn immer enger ziehen würde. Trotzdem, eine andere Möglichkeit hatte es nicht gegeben. Er hätte es nie und nimmer riskieren können, mit einem österreichischen Scharfschützengewehr im Werkzeugkoffer durch die Sicherheitskontrollen eines Flug- oder Fährhafens zu marschieren. Es wäre regelrechter Selbstmord gewesen. Daher war ihm nichts anderes übriggeblieben, als heimlich an der französischen Küste anzulanden. Er hätte sich auch kein Boot mieten können, sonst hätte es jeder in Brixham erfahren, und auch Stehlen kam nicht in Frage, da das betroffene Boot in diesem Fall keine drei Minuten später als vermisst gemeldet worden wäre. Selbst ein Kauf wäre angesichts der strengen britischen Registrierbestimmungen aussichtslos gewesen. Ein Wagen war eine Sache, ein Boot eine ganz andere.
War also nur das Kapern übriggeblieben. Damit hatte er sich etwas Zeit verschafft, einen Vorsprung von mehreren Stunden, und seine Gegner waren gezwungen, ein riesiges Gebiet nach ihm abzusuchen. Jetzt trat die Jagd allmählich in die letzte Phase. Er musste jederzeit damit rechnen, dass Suchboote auftauchten. Aber noch immer hatte er nichts gesichtet, und noch war es, Gott sei Dank, dunkel.
Er umrundete die Landspitze von Sables-d’Or, schaltete das Radar an und erfasste etwa fünf Seemeilen weiter nördlich einen Punkt. Was immer es sein mochte, es hielt direkt auf ihn zu – und das mit hoher Geschwindigkeit. Was nicht überraschen konnte, war es doch ein nagelneues, hochmodernes Küstenwachboot, ausgestattet mit elektronischen Sichtgeräten, die noch eine Hummel auf dem Mond erfasst hätten.
Mack gab Gas und nahm mit Höchstgeschwindigkeit Kurs auf den sechs Seemeilen südwestlich gelegenen Strand von Val André. Die Eagle erbebte unter den 21 Knoten. Wenn sein Verfolger wirklich ein Küstenwachboot war, dann konnte es an die 35 Knoten fahren. Sie hätten ihn dann eingeholt, wenn er an Land ging. Und das war nicht gut.
Zehn Minuten hielt er das hohe Tempo bei. Die Morgendämmerung zog auf. Durch Fred Carters Fernglas konnte er deutlich die roten und grünen Positionslichter seines Verfolgers erkennen, der es eindeutig auf ihn abgesehen hatte.
0530. Hier Küstenwachboot P 720, zwei Seemeilen nördlich von Sables-d’Or. Positive Identifizierung des Trawlers Eagle, hält mit 20 Knoten, Kurs Südwest, auf Val André zu. Haben Verfolgung aufgenommen, ich wiederhole, haben Verfolgung aufgenommen. Alle Mann bewaffnet.
Küstenwache Saint-Malo an Polizeichef Pierre Savary: Küstenwachboot P720 hat britischen Trawler Eagle lokalisiert, ist mit 20 Knoten nach Val André unterwegs. Positive Identifizierung 0530. Voraussichtliche Ankunft Val André 0600. Haben Verfolgung aufgenommen.
»Marcel, sofort nach Val André. Die Eagle wird von der Küstenwache verfolgt. Um sechs Uhr soll sie dort eintreffen.«
Als die Sonne im Osten aufging, konnte Mack Bedford den Strand erkennen. Er nahm Fahrt weg, stellte das Ruder auf Autopilot, rannte nach unten in den Maschinenraum und hoffte, dass die Eagle wie die meisten Fischerboote über ein Ablassventil verfügte, über das im Trockendock die Bilge und der Laderaum relativ schnell durchgespült werden konnten.
Er brauchte eine halbe Minute, bis er es gefunden hatte, eine Drehschraube aus Messing mit etwa 20 Zentimeter Durchmesser, an der zwei Hebel angebracht waren. Er packte zu und versuchte das Ventil zu öffnen. Aber es war zu fest zugeschraubt. Er rannte zum Schrank mit der Feuerschutzausrüstung und fand neben dem Hydranten einen groben Vorschlaghammer, mit dem er so heftig auf einen der Hebel eindrosch, dass das Ventil eine ganze Umdrehung machte.
Mack drehte es voll auf. Das Wasser schoss ins Boot. Er konnte dem Strahl etwas ausweichen, wurde dennoch klatschnass und rannte die Leiter hoch, während hinter ihm die Wassermassen in den Maschinenraum strömten. Oben im Ruderhaus nahm er das Gas weg.
Seine Tasche und der Werkzeugkasten befanden sich noch im Rettungsboot. Mack riss die Persenning weg und ließ es auf der Steuerbordseite zu Wasser. Ein letztes Mal blickte er sich um. Dann fiel ihm das Fernglas ein, er sprang hinauf ins Ruderhaus, packte es und nahm auch noch eine Angelrute mit. Mit einem Sprung war er wieder unten auf dem Deck und schwang sich über die Reling, landete unten im Rettungsboot und wäre dabei um ein Haar über Bord gegangen. Er befand sich zwei Meilen vor der Küste; die Eagle war im Sinken begriffen. Er löste die Leinen und ließ mit nur einem Zug am Seil den Außenborder an. Das musste man Fred Carter lassen – er hatte sein Boot gut in Schuss gehalten.
Er fuhr zur Backbordseite herum und richtete das Fernglas auf die näher kommende P720, die noch etwa drei Seemeilen oder sechs Minuten entfernt war. Die Eagle lag bis zum Deck im Wasser, wurde bereits von den Wellen überspült, bevor sie sich nach links neigte. Das Heck sackte langsam ab, das Wasser rauschte über das Heckwerk, der Bug stellte sich hochkant, und dann glitt sie hinein in das 60 Faden tiefe Wasser. Eine riesige Luftblase stieg auf. Mack bemerkte es noch nicht einmal, da er viel zu sehr damit beschäftigt war, sich die schwarze Perücke und den Vollbart vom Kopf zu reißen und beides in der Tasche zu verstauen. Anschließend legte er die Jeffery-Simpson-Perücke mitsamt Bärtchen an.
Er nahm die Angelrute, die bereits einen schweren Köder an der Leine hatte, und warf sie aus. Und so, ruhig im morgendlichen Wellengang schaukelnd, lehnte er sich zurück, als wäre er aller Sorgen dieser Welt enthoben, und wartete auf die Ankunft der Küstenwache.
An Bord der P720 herrschte Chaos.
Was soll das heißen, es ist verschwunden? Es kann nicht verschwinden!
Einen Moment. Wir haben hier viel Nebel, das Boot ist zwei Seemeilen vor uns – ich hab es gleich.
Also, wo zum Teufel ist es?
Ich weiß nicht, Monsieur Capitaine. Ich kann es nicht erfassen.
Lassen Sie mal sehen … na, da ist es ja … hier ist doch ein Boot!
Monsieur Capitaine, das ist nur ein Schlauchboot. Kein 20-Meter-Fischtrawler!
Und was hat das verdammte Schlauchboot hierzu suchen?«
Das weiß ich nicht, Monsieur Capitaine.
Rudergänger, Kurs auf das Schlauchboot, volle Kraft voraus.
Die P720 kam durch das Wasser gerauscht. Die weiße Bugwelle des Küstenwachboots hätte wahrscheinlich jedem Fisch einen gehörigen Schrecken eingejagt, der versucht hätte, sich Macks Köder zu schnappen.
»Bonjour, Monsieur!«, rief der Küstenwachoffizier vom Vordeck.
»Bonjour, mes amis!«, erwiderte Mack. Natürlich wusste der Offizier sofort, dass der Fischer kein Franzose war.
»Anglais?«
»Non, Americain.«
»Ah, oui, monsieur. Schon was gefangen?«
»Zwei kleine Barsche. Bin erst seit knapp einer halben Stunde hier. Meine Frau schläft noch.«
»Alle schlafen noch außer uns.«
Mack holte die Leine ein. Das Wort »Eagle« war in aufdringlich roten Lettern an der Innenseite seines Bootes zu lesen, was aber nur für ihn sichtbar war. Er grinste fröhlich.
»Monsieur, haben Sie vor kurzem einen Trawler vorbeifahren sehen? Mit hoher Geschwindigkeit?«
»Ja, er war sogar ziemlich nah, ein dunkelroter Fischtrawler mit dem Namen Eagle.« Mack deutete auf die felsige Landspitze, die eine halbe Seemeile weiter südlich lag. »Er hat direkt auf die Landspitze dort drüben zugehalten.«
»Sie haben nicht zufällig gesehen, wer am Ruder gestanden hat?«
»Doch, doch. War ja keine 40 Meter von mir entfernt. Ein ziemlich großer Typ mit schwarzem Vollbart und langen Haaren. Hat wie ein Bison ausgesehen.«
»Ein Bison, so, so? Ihr Amerikaner. Immer ein Witzchen auf Lager. Bonne chance, monsieur. Merci.«
Das Küstenwachboot P720 raste in Richtung der Landspitze.
Mack beschloss, noch ein wenig zu bleiben, nur für den Fall, dass sie vielleicht zurückkamen. Er holte die Leine ein und warf sie wieder aus.
Der schwarze Mercedes, der Henri Foche gehörte, wurde über die Landstraße der pittoresken Côte d’Émeraude gejagt. Am Steuer saß Leibwächter Nummer zwei, Raymond, der fuhr, als befände er sich im 140 Kilometer südöstlich gelegenen Le Mans.
Marcel telefonierte mit Savary, der ihn darüber informierte, dass die Küstenwache Probleme mit dem Nebel und dem Trawler hätte, dessen voraussichtliche Ankunft in Val André aber nicht vor sechs Uhr sein dürfte. »Fahr verdammt noch mal langsamer!«, brüllte Marcel. »Oder willst du uns beide umbringen?«
»Es ist schon nach halb sechs, wir haben noch zehn Kilometer vor uns«, gab Raymond zurück. »Wir müssen rechtzeitig dort sein. Also halt den Mund.«
»Wir werden dort kaum was ausrichten, wenn du uns um einen Baum wickelst«, sagte Marcel. »Außerdem mach ich mir so meine Gedanken um unsere Befehle. Savary will, dass wir die Sache schnell und sauber erledigen und keine Sauerei veranstalten. Aber was, wenn der Typ von sich aus auftaucht? Sollen wir ihn einfach mitten auf der Straße abknallen wie in Zwölf Uhr mittags?«
Raymond lachte. »Nein, wir bringen ihn an eine Stelle, wo es ruhig ist, dann erschießen wir ihn wie in Der Pate!«
»So oder so, wir müssen ihn eliminieren«, sagte Marcel. »Trotzdem frag ich mich, ob er es wirklich auf Monsieur Foche abgesehen hat! Ich meine, was, wenn nicht? Was, wenn er von Monsieur Foche noch nie was gehört hat?«
»Man mag solche Zufälle eben nicht. Erst die Warnung, aus England würde ein Attentäter kommen. Dann wird ein Trawler gekapert, die Männer werden über Bord geworfen. Dieser Typ ist ein Desperado, genau der Killer, der für zwei Millionen Dollar den Job durchziehen würde.«
»Wahrscheinlich hast du recht. Wir sollen ja auch keine Fragen stellen. Wir sollen nur diesen Vollbart-Typen ausschalten. Und wir haben den bretonischen Polizeichef und den nächsten Präsidenten Frankreichs auf unserer Seite. Bringen wir den Drecksack also um, lassen die Leiche verschwinden und fahren wieder nach Hause.«
»Genau.«
Mit über 130 Stundenkilometern rasten sie durch die Außenbezirke von Val André. Marcel hielt es für durchaus denkbar, dass der durchgeknallte Arsch sie mitten ins Meer setzte, weil er offensichtlich keine Ahnung hatte, wo sich die Bremsen befanden.
Die Polizei in Brixham hatte mittlerweile bei ihrer Fahndung den halben Ort geweckt, um den Mann mit Vollbart zu identifizieren, der Fred Carters Trawler Eagle gekapert hatte.
Pub-Wirte und Café- und Restaurantbesitzer wurden aus dem Bett gescheucht, um dem Schurken auf die Spur zu kommen, der Fred und Tom fast auf dem Gewissen gehabt hätte. Zwei Wirte konnten sich an einen Mann erinnern, auf den die Beschreibung – Größe, Haare, Vollbart, Akzent – zutraf. Einer von ihnen verwies auf die Bedienung an seinem Tisch, die Studentin Diana, die ebenfalls geweckt wurde. »Ja, klar erinnere ich mich an den«, erzählte sie einem jungen Detective Constable. »Er war sehr nett und hat mir ein gutes Trinkgeld gegeben. Er hat gesagt, er heißt Gunther Rock oder so. Aus Genf. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er ein Fischerboot gekapert hat.«
»Hatte er einen ausländischen Akzent?«
»O ja, einen französischen, glaube ich. Könnte aber auch ein deutscher gewesen sein.«
Fünf Minuten später wurden die neuen Informationen über den Piraten an die französische Küstenwache und die bretonische Polizei gemailt: Der Verdächtige nenne sich angeblich Gunther Rock, wohnhaft in Genf, starker fremdländischer Akzent. Der letzte Punkt stimmte mit der von Fred Carter und Tom gelieferten Beschreibung überein und natürlich mit der des Hafenmeisters in Brixham, Teddy Rickard, der sich zweimal mit Gunther unterhalten hatte.
Pierre Savary wählte Marcels Nummer und gab die neuen Informationen weiter. »Es handelt sich um einen Gunther Rock aus Genf, er spricht Englisch mit starkem französischem oder deutschem Akzent, was für Sie keine Rolle spielt. In der Beschreibung ist man sich aber einig. Groß, Vollbart, möglicherweise gefährlich, so wie alle Attentäter.«
»Okay«, erwiderte Marcel. »Wir sind bereit, wenn er an Land kommt. Den Trawler sollten wir ja kaum verfehlen.«
Raymond hatte die Geschwindigkeit des Wagens entgegen jeglicher Erwartung doch noch verringern können und fuhr nun über die Hauptstraße von Val André, um einen unauffälligen Parkplatz zu suchen. Er steuerte eine Nebenstraße an, in der niemand zu sehen war. Die beiden Männer rammten neue Magazine in ihre Pistolen, steckten sie in die Schulterholster unter ihren Jacken und machten sich auf den Weg zum Strand.
Dort war allerdings von einem Trawler weit und breit nichts zu sehen – nur ein leeres Meer, sah man von einem winzigen Schlauchboot weit draußen ab, in dem ein Typ saß, der anscheinend angelte. Es lag an dem verständlichen, aber dennoch ärgerlichen Verhalten des Küstenwachbootes P720, das bislang nicht nach Cherbourg gemeldet hatte, dass es soeben im hellen Tageslicht einen 70-Tonnen-Trawler verloren hatte. Es hatte mittlerweile die Landspitze umrundet, auf die Mack Bedford sie so hilfsbereit hingewiesen hatte, und nun nahezu ungehinderte Sicht über fünf Seemeilen in jede Richtung. Kein Trawler. C’est impossible!, rief der Kapitän.
»Monsieur Capitaine, ich kann mir nur vorstellen, dass er nach Nordosten abgedreht ist, an der Küste entlangfährt und Cap Frehel ansteuert und wir ihn im Nebel irgendwie übersehen haben.« Insgeheim fürchtete Lieutenant Cartier, dass man ihn dafür feuern konnte. Er war sogar noch ratloser als der Kapitän, schließlich hatte er fünf Minuten lang die Eagle eindeutig elektronisch erfasst. Dann hatte er sich nur kurz abgewendet, hatte sich mit einem Maat unterhalten und war nach unten gegangen, um den Kapitän zu sprechen, und als er zurückkehrte, war der Trawler verschwunden. Zumindest so gut wie. Denn die Eagle hatte zu diesem Zeitpunkt tiefer im Wasser gelegen, was aufgrund der sechs Seemeilen Entfernung aber unmöglich exakt zu bestimmen gewesen war. Und dann trafen sie an der Stelle ein, wo sie die Eagle zum letzten Mal erfasst hatten, und von dem Boot war nichts mehr zu sehen gewesen.
»Uns bleibt nichts anderes übrig«, stimmte der Kapitän mit ein. »Rudergänger, wenden, Steuerkurs null-vier-null. Die Küste zurück. Volle Kraft voraus.«
»Soll ich Meldung erstatten, Monsieur Capitaine, dem Hauptquartier erklären, was passiert ist?«
»Lieutenant Cartier, sind Sie vollkommen verrückt geworden? Brennen Sie darauf, dem Admiral zu erklären, dass wir uns gerade als das inkompetenteste Boot erwiesen haben, seitdem Villeneuve bei Trafalgar eins über die Rübe bekommen hat? Auf Ihre Station, Lieutenant, und finden Sie diesen Scheiß-Trawler!«
»Jawohl, Monsieur Capitaine.«
Zwei Minuten später sahen Marcel und Raymond das Küstenwachboot hinter der Landspitze auftauchen und durch die Bucht pflügen. Es war etwa eine Seemeile weit draußen, in der klaren Morgenluft aber war das Dröhnen der Maschinen deutlich zu hören.
»Was zum Teufel ist da los?«, fragte Raymond. »Das ist die Küstenwache, nicht der Trawler. Sind wir hier am falschen Ort?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Marcel. »Unsere Anweisungen sind ganz klar. Wir sollen hier auf den Trawler warten, den Attentäter aufspüren und ihn als gefährlichen Kriminellen und als Bedrohung für die innere Sicherheit Frankreichs ausschalten.«
Also lehnten sie sich an die Strandmauer, starrten auf die Bucht von Saint-Brieuc hinaus und warteten, dass sich Pierre mit neuen Instruktionen bei ihnen meldete. Aber nichts geschah. Denn weder die Küstenwache noch das Polizeihauptquartier in Rennes wussten, was vorgefallen war.
Und der arme Lieutenant Cartier suchte das Meer nach einem Schiff ab, das nicht mehr existierte. Mack Bedford angelte weiter, bis das Küstenwachboot an ihm vorbei war. Kurz winkte er ihnen hinterher, als sie ihn passierten, band dann das schwere Fernglas an die Angelleine und warf die Rute über Bord. Daraufhin veränderte er sein Aussehen, machte sich wieder zu Gunther Marc Roche aus der Rue de Bâle 18, Genf. Er wendete das Schlauchboot und ließ es mit sechs Knoten langsam durch die ruhigen Gewässer gleiten, sodass er in 20 Minuten am zwei Seemeilen entfernten Strand von Val André sein sollte.
Vom Küstenwachboot P720 lag in Saint-Malo noch immer keine Meldung vor. Pierre Savary hörte nichts. Die beiden Killer an der Strandmauer waren mehr oder minder ahnungslos. Beide bemerkten die Rückkehr des Anglers, nahmen von ihm aber kaum Notiz. Ihre Blicke waren auf den Horizont gerichtet, auf die dunkelrote Silhouette der Eagle, die hier anlanden sollte.
Aber da war nur der Angler, der in seinem kleinen Schlauchboot auf sie zutuckerte, jemand, dem Marcel und Raymond mit solcher Gleichgültigkeit begegneten, dass sie kaum mitbekamen, wie er 150 Meter vor ihnen die flachen Gewässer anlief.
In diesem Moment klingelte Marcels Handy. Die Nachricht verkomplizierte die sowieso schon komplizierte Sache noch mehr. »Es scheinen mittlerweile Zweifel zu bestehen, wo die Eagle anlanden soll«, teilte Savary ihnen mit. »Die Küstenwache hat soeben bekannt gegeben, dass sich jeder bereithalten soll, bis eine genaue Lokalisierung vorliegt.«
»Und was sollen wir jetzt machen?«, fragte Marcel.
»Bleiben Sie am besten da, wo Sie sind, bis weitere Befehle eintreffen«, sagte der Polizeihef.
»Heißt das, die haben den verdammten Trawler aus den Augen verloren?«, fragte Marcel.
»Keine Ahnung. Scheint fast so. Die dämlichen Ärsche.«
»Wie zum Teufel kann man einen 20 Meter langen Trawler verlieren? Der ist größer als die ganze Polizeidienststelle«, blaffte Marcel.
»Wer weiß?«, kam es von Savary. »Bleiben Sie lieber mal da, wo Sie sind, bis wir Genaueres wissen.«
Er beendete das Gespräch. Gedankenverloren starrte Marcel zum Strand, wo der Angler an Land ging, dessen Gestalt sich vor der tief stehenden Sonne nur als Silhouette abzeichnete. Der Angler stellte den Außenborder hoch und ließ das Schlauchboot am Strand auflaufen. Behände sprang er über den Bug und zog unter der nächsten anlaufenden Welle mit der Fangleine das Boot auf den Strand. Ein letzter Ruck, dann ging er herum und drehte an den Seitengriffen das Boot um, bis es mit dem Bug, der sich unter den Ausläufern der Wellen leicht hob und senkte, zum Wasser zeigte.
Er beugte sich hinein, holte die Ledertasche und den Werkzeugkoffer heraus und stellte sie in den Sand. Dann brachte er seinen scharfen Schraubenzieher zum Vorschein und stach an mindestens zehn Stellen in den Bootsrumpf. Marcel und Raymond, die ihn aus der Ferne beobachteten, mussten ihn für einen Verrückten halten.
Aber Mack war noch nicht fertig. Er krempelte die Hosenbeine hoch und zog Turnschuhe und Socken aus. Er watete hinaus, startete den Außenborder, der aufröhrte und Wasser spie, und schob das Boot hinaus. In einer einzigen Bewegung legte er den Gang ein und gab Vollgas. Fast wäre der Außenborder im seichten Wasser abgestorben, stotternd wühlte sich die Schraube im Sand fest. Aber Mack schob noch einmal an, schließlich setzte sich das Schlauchboot in Bewegung und fuhr aufs Meer hinaus. Es war nicht mehr zu stoppen, würde sich aber auch nicht mehr lange über der Wasseroberfläche halten.
Mack zog die Socken über die nassen Füße, schlüpfte in die Schuhe und legte die nassen Lederhandschuhe an. Dann machte er sich auf den Weg über den Strand, in der rechten Hand den Werkzeugkasten, in der linken seine Tasche.
In diesem Augenblick erlitt Marcel beinahe einen Herzinfarkt. »Heilige Scheiße, Raymond!«, entfuhr es ihm. »Schau dir diesen Typen an. Der ist nicht nur bekloppt, er ist auch groß, hat lange schwarze Haare und einen schwarzen Vollbart. Das ist er!«
»Du machst Witze«, rief Raymond aus. »Was machen wir?«
»Wir lassen ihn näher kommen, dann rufen wir seinen Namen – Gunther. Was sonst?«
»Er muss es sein«, sagte Raymond und zog seine Sig Sauer aus dem Holster. »Schalten wir ihn sofort aus, sobald er nah genug ist.«
»Nein, nein, ich will mich erst vergewissern. Wir können nicht einfach den Lebensmittelhändler vom Ort abknallen. Ich will sichergehen, dass er es wirklich ist.«
Mack war auf 30 Meter an sie herangekommen, als Marcel rief: »Gunther! Hierher!«
»Sprichst du mit mir, Kumpel?«, sagte Mack ohne stehen zu bleiben.
»Gunther Rock, wir sind von der französischen Polizei, und auf Sie passt die Beschreibung einer Person, der Piraterie und Mordversuch an der Besatzung zur Last gelegt wird. Stellen Sie die beiden Taschen ab und heben Sie die Hände.«
Raymond, keine zehn Meter von Mack entfernt, zog seine Pistole und richtete sie direkt auf Mack Bedfords Herz.