KAPITEL EINS
Die amerikanische Militärbasis, intern nur als Camp Hitmen bezeichnet, schimmerte unter der gleißenden Wüstensonne. Keiner brauchte ein Thermometer, um die Temperatur zu messen, die lange vor Mittag bereits an die 40 Grad Celsius erreichte. Wenn es nicht nötig war, verließ niemand den Schatten der Holzhütten oder Zelte.
Camp Hitmen hatte seinen Namen von der nahe gelegenen alten irakischen Stadt Hit am Westufer des Euphrat, 200 Kilometer von Bagdad entfernt. Die Basis war von der US-Armee für ihre Spezialkräfte eingerichtet worden, für die Navy SEALs, die Rangers und Green Berets, die harten Jungs des US-Militärs.
Auch wenn die gnadenlose Sonne alles in ihrer sengenden Macht tat, um die Bewohner jeglicher Energie zu berauben, herrschte im Camp Hitmen permanent höchste Alarmbereitschaft. Man war immer aufs Äußerste angespannt; das Lager war eine Staubschüssel, bevölkert von wachsamen US-Soldaten, deren antrainierte Aggression und kaum verwunderliche Rachsucht sich jederzeit entladen konnten.
Ihr Handwerkszeug stand, wenn möglich, unter Leinwandplanen aufgereiht, um das Metall nicht der unmittelbaren Hitze auszusetzen. Die Humvees, die gepanzerten Fahrzeuge, Kampfpanzer und Wüstenjeeps wurden ständig von Mechanikern gewartet. Benzintanks waren aufgefüllt, Ölstände kontrolliert, Geschosse und Raketen aufmunitioniert. Alles, was dem militärischen Transport diente, war einsatzbereit. Nur für den Fall.
Der gesamte Komplex war von schweren Betonwällen umgeben, auf deren hoch gelegenem Laufgang die Wachen patrouillierten. Dahinter schloss sich ein 100 Meter breites »Niemandsland« an, das in der Nacht von Scheinwerfern grell beleuchtet wurde. Tagsüber war es nur eine sonnenverbrannte Sand- und Stauböde, ein offenes Areal, auf dem jeder Eindringling umstandslos erschossen werden würde.
Nichts ist uneinnehmbar. Camp Hitmen allerdings war so gesichert, wie man es von einem Außenposten in einem tief gespaltenen Land erwartete, in dem sich die Bevölkerung nicht entscheiden konnte, ob es die Anhänger der jeweils konkurrierenden islamischen Glaubensrichtung hassen oder in die Arme schließen sollte – ganz zu schweigen von einer ausländischen Armee, die an diesem gesetzlosen nahöstlichen Kriegsschauplatz den Anschein von Ordnung aufrechtzuerhalten versuchte.
Daneben gab es islamische Extremisten, deren Hass auf die Amerikaner so groß war, dass sie bereitwillig ihr eigenes Leben opferten, falls sie nur die Gelegenheit bekamen, Angehörige des US- oder des britischen Militärs zu töten oder zu verstümmeln, Soldaten, die dem Land eigentlich nur helfen wollten, wieder in die internationale Staatengemeinschaft zurückzukehren. Jede Nacht rückten sie an und beschossen das Lager mit Panzerfäusten, versuchten Sprengsätze an Autos und Lkws zu befestigen und schickten ihre Selbstmordattentäter, damit sie von den amerikanischen Wachen niedergemäht werden konnten.
Es war eine tödliche Umgebung, in der alles zu einem Kampf geriet. Die Klimaanlagen ächzten, die Generatoren liefen ständig auf Hochtouren, die Stromversorgung musste unentwegt überwacht werden. Die Männer waren Nervenbündel. Keiner ging zwischen den Zelten einfach so herum. Alle trugen ihren Gefechtshelm und spurteten tief gebückt über den harten Sanduntergrund, bereit, sich auf den Boden zu werfen, falls das Kreischen einer Panzerfaust zu hören sein sollte oder eine verräterische weiße Rauchfahne aufstieg und mit dem Beschuss seitens der Heiligen Krieger von jenseits des Niemandslandes zu rechnen war.
Jeder hatte seine Waffe immer bei sich; jeden Tag gab es Einsätze, jeden Tag röhrten bewaffnete Konvois über die heißen, staubigen Straßen zu den Unruheherden in den nahen Städten Falludscha, der berüchtigten Aufständischen-Enklave, oder Ramadi, dem angeblich gefährlichsten Ort der Welt. Ausflüge nach Habbanijja, das zwischen diesen beiden Städten lag, kamen weniger oft vor, waren aber ebenso gefährlich.
Innerhalb des Komplexes lag ein großer armierter Betonbunker, in dem die Hauptkommandozentrale und das militärische Nachrichtenzentrum untergebracht waren. Die Hauptaufgabe aller militärischen Außenposten war das Aufspüren von Terroristen und Aufständischen, die gesamte Operation des Camps hing also von den Informationen ab, die elektronisch oder durch Berichte aus erster Hand beschafft werden konnten. Im letzteren Fall geschah die Herausgabe der Informationen entweder freiwillig oder wurde durch Gewalt erzwungen.
Wie auch immer, für die sonnengebräunten Soldaten des Camp Hitmen spielte es keine Rolle. Ihr Alltag bestand darin, die teuflischen Kräfte der El-Kaida oder der Taliban zu bekämpfen, sie gefangen zu nehmen oder zu töten, ihre Befehlshaber zu liquidieren oder einzusperren. Alles, was verdammt noch mal nötig war, damit das verrückte Pack nicht noch einen amerikanischen Wolkenkratzer in Schutt und Asche legen konnte.
Wir müssen sie ausschalten oder an Ort und Stelle binden, hier oder in Afghanistan. Dann können die Scheißer nirgendwo anders hin. Das ist der Plan. Und ein Plan, der aufgeht.
So einfach gestrickt war das Credo der US-Spezialkräfte. Jeder verstand es. Sie kannten die Risiken, sie waren dafür ausgebildet, diese Risiken auf sich zu nehmen. Was die Sache natürlich nicht weniger gefährlich oder Furcht einflößend machte. Es sorgte nur dafür, dass jeder besser vorbereitet war und umso wütender wurde, falls gelegentlich etwas schiefging.
Im Lauf der letzten sechs Monate aber hatte sich unter den Aufständischen, die mit Autobomben Anschläge verübten, US-Truppen in Hinterhalte lockten oder Selbstmordattentäter losschickten, eine neue Entwicklung abgezeichnet. Die irakischen Aufständischen schienen mittlerweile im Besitz einer tragbaren Rakete zu sein, die tatsächlich einen Panzer oder ein schweres gepanzertes Fahrzeug durchschlagen konnte. Damit war nicht zu rechnen gewesen. Minen und manche Panzerfäuste konnten Humvees oder Jeeps außer Gefecht setzen und auch gepanzerten Fahrzeugen einigen Schaden zufügen. Die gewaltigen US-Kampfpanzer konnten solche Treffer jedoch locker wegstecken.
Im vergangenen halben Jahr allerdings waren die Karten neu verteilt worden. Plötzlich kam es vor, dass Terroristen Panzerabwehrraketen abfeuerten, die durch den Rumpf der Kampfpanzer drangen und jedes andere Fahrzeug, das davon getroffen wurde, vollkommen zerstörten. Es gab Todesopfer zu beklagen. Sie verbrannten bei lebendigem Leib: nicht viele, aber doch ausreichend, um die westlichen Staaten zu harschen Protesten gegen diese Waffe zu bewegen, die den modernen Krieg in ein mittelalterliches Schreckensszenarium verwandelte.
Einen Monat zuvor hatte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Waffe mit einstimmigem Beschluss geächtet und ihren Einsatz zu einem »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« erklärt. Unterstützt von Russland, China, Indien und der Europäischen Gemeinschaft, schien die UN-Resolution auf einer soliden Grundlage zu stehen. Die Bilder von US-Panzerkommandanten, die aufgrund der nicht zu löschenden chemischen Zusätze bei lebendigem Leib verbrannten, hatten Historiker, Politiker und sogar Journalisten weltweit erschüttert. Zum Glück war die Waffe nun verboten.
Wie immer aber sah es auf den Sandpisten des Irak etwas anders aus. Denn irgendjemand verfügte über einen anscheinend endlosen Vorrat dieser geächteten Waffe. Der arabische Fernsehsender Al-Dschasira bezeichnete sie als »Diamondhead«. Und die verdammte Diamondhead schlug weiterhin in den Panzerfahrzeugen der Amerikaner ein und kostete US-Soldaten das Leben.
Nicht immer trafen sie ihr Ziel, natürlich nicht. Doch erst zwei Tage zuvor hatte eine vom Ostufer des Euphrat abgefeuerte Rakete einen US-Panzer getroffen, der ein Navy-SEAL-Team zu einem geheimen Einsatz transportieren sollte. Keiner der vier SEALs überlebte, Gleiches galt für die Panzerbesatzung. Niemand hatte das Feuer, das in Sekundenschnelle ausgebrochen war, löschen können.
Die SEALs waren stinksauer, nicht nur auf die Aufständischen, die die Rakete abgeschossen hatten. Sie waren wütend auf die Iraner, die die mittlerweile illegale Rakete geliefert hatten. Das war bekannt und auch nie dementiert worden. Vor allem aber richtete sich die Wut gegen den Rüstungskonzern, der die Diamondhead produzierte. Das US-Oberkommando mutmaßte, dass ein französisches Unternehmen dahinterstand, war aber nicht in der Lage, die Firma zu benennen. Was nicht überraschte.
Das Pentagon nahm an, dass die Entwicklung der Rakete ursprünglich von dem europäischen Rüstungsunternehmen MBDA angestoßen worden war, in dem die führenden europäischen Lenkflugkörper-Hersteller aus Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Spanien und Italien zusammengeschlossen waren. MBDA S.A.S. beschäftigte an die 10 000 Mitarbeiter, besaß zahlreiche Tochtergesellschaften und war zweifellos der weltweit führende Hersteller von Lenkwaffensystemen. Zu den wichtigsten Anteilseignern gehörte unter anderem die European Aeronautic Defence and Space Company (EADS), der wiederum die französische Aérospatiale-Matra Missiles gehörte.
Laut Pentagon führte die Spur zur MBDA-Tochter Euromissile mit Sitz im französischen Fontenay-aux-Roses. Sie hatte die Mittelstrecken-Panzerabwehrwaffe MILAN entwickelt, den Urahn der Diamondhead.
Die neueste MILAN verfügte über eine unglaubliche Durchschlagskraft. Bis zu einer Reichweite von drei Kilometern konnte sie Reaktivpanzerung mit einer Dicke von einem Meter oder mehr als drei Meter dicken armierten Beton durchdringen. Sie war hervorragend gegen elektronische Störmaßnahmen geschützt, wog lediglich 45 Kilo und konnte von zwei Männern bedient werden, wobei einer die Startplattform, ein Dreibein, trug und der andere zwei Raketen.
Wer für die Entwicklung der stark verbesserten Diamondhead verantwortlich zeichnete, musste ein Genie gewesen sein. Hier kam der zwielichtige, nur als Yves bekannte Wissenschaftler ins Spiel. Die Diamondhead, sein ganzer Stolz, war allem, was Euromissile für die MILAN auf dem Reißbrett hatte, mindestens acht Jahre voraus. Allerdings enthielt sie eine Treibsatzkomponente, die das große europäische Konglomerat niemals verwendet hätte.
Durch die UN-Resolution war die Rakete allerdings selbst im schändlichsten, unmoralischsten Gewerbe der Welt zu einem heißen Eisen geworden. Sollte jemals herausgefunden werden, wo die Diamondhead produziert wurde, würde es das sofortige Aus für die Fabrik bedeuten.
Nur hatte niemand auch nur die leiseste Ahnung, woher die neue »SuperMILAN« stammte, noch nicht einmal die peniblen Mitarbeiter des umfangreichen Sicherheitsdienstes von MBDA. Die Diamondhead war ein internationaler Paria und stand unter dem Schutz eines der mächtigsten Männer Frankreichs, eines Mannes, der in kurzer Zeit unangreifbar sein dürfte.
Für die US-Soldaten im Irak waren das nicht die besten Neuigkeiten. Wie alle Armeen auf Terroristenjagd hatten die Amerikaner mit einem gewaltigen Nachteil zu kämpfen: Sie konnten weder ihren Feind noch dessen Stellungen ausmachen. Ohne wirksame Aufklärung waren die Einheimischen, die ihren Tod wünschten, nicht zu lokalisieren. Es gab keine Kasernen, auf die das Feuer gerichtet werden konnte, der Feind trug keine Uniform, selbst das eigene Leben bedeutete ihm häufig wenig. Oft schlug er aus dem Nichts zu und zog sich wieder zurück. Manchmal ergab er sich überraschend und verlangte unter den Schutz der Genfer Konvention gestellt zu werden, deren Unterzeichner 60 Jahre zuvor von modernen Dschihadisten noch nichts gewusst hatten.
Im Allgemeinen waren die Aufständischen und Terroristen mit ihren alten Kalaschnikows und unzuverlässigen, selbst gebauten Granaten waffentechnologisch enorm im Nachteil. Hatten sie jedoch Zugriff auf hochmoderne, frisch aus dem Iran angelieferte Lenkraketen wie die Diamondhead, verschob sich das Spiel in dramatischer Weise zu ihren Gunsten.
Genau darüber machte sich der Navy SEAL Lieutenant Commander Mackenzie Bedford Gedanken, als er seiner Frau Anne in Dartford, Maine, schrieb. Ausgestreckt auf einem der großen olivfarbenen Kissen, die in der Ecke seines Zeltes gleich neben der Klimaanlage lagen, hatte er bislang Folgendes verfasst:
Wahrscheinlich hast du von der neuen Panzerabwehrrakete gehört, die diese Wahnsinnigen gegen uns einsetzen. Es gibt keinen Grund zur Sorge, die Ächtung durch die UN ist mittlerweile in Kraft, und in den vergangenen zwei Wochen ist es nur zu einem einzigen Zwischenfall gekommen. Wir haben letzte Woche den CBS-Bericht im Fernsehen gesehen. Unglaublich übertrieben. Wie immer …
Mack Bedford war 33 Jahre alt, eins neunzig groß, trug einen Vollbart, wog 100 Kilo und war ein SEAL-Teamführer, wie er im Buche stand. Wenn er sich seinen Bart abnahm, sah er wie der junge Clint Eastwood aus, hatte den gleichen offenen, harten Blick, ein kantiges Gesicht und schwarzes, wenngleich kurz geschnittenes Haar. Seitdem er zehn Jahre zuvor als Bester seinen Navy-SEAL-Ausbildungskurs absolviert hatte, galt er als einer der ersten Anwärter für die Führungsriege im SPECWARCOM.
Mack, Sohn eines Schiffbauingenieurs, stammte aus Maine und war ein hervorragender Schwimmer, er hatte sogar an den Landesmeisterschaften teilgenommen. Unter Wasser ließ er einen Delfin täppisch aussehen, an Land war er ein ausdauernder Läufer, er hatte Oberschenkel vom Umfang einer Eiche und Lungen von der Größe schottischer Dudelsäcke. An seinem Körper war kein Gramm Fett, und im unbewaffneten Zweikampf war er unschlagbar. Wie nahezu jeder SEAL war er eine intelligente Killermaschine.
In einer einsamen Bar in den Appalachen, wo er mit Anne – sie waren damals noch nicht verheiratet – auf einen Drink eingekehrt war, hatten einmal fünf einheimische Schlägertypen den wahrhaft erstaunlichen Entschluss gefasst, sich mit ihm anlegen zu wollen … Hey, der Typ ist ein Navy SEAL. Dann wollen wir doch mal sehen, wie hart der wirklich ist …
Drei von ihnen landeten im Krankenhaus, zwei mit einem gebrochenen Arm, einer mit einer Schädelfraktur. Die anderen beiden rannten um ihr Leben, in den Ohren dröhnten ihnen Macks Abschiedsworte: »Ihr könnt von Glück reden, ihr Mistsäcke, dass ich euch nicht versehentlich abgemurkst habe.«
Das war angeblich die einzige Privatschlägerei, in die Mack Bedford jemals verwickelt gewesen war. Aber er kannte alle militärischen Brennpunkte der Welt, vor allem Afghanistan und Irak. Er war ein brillanter Scharfschütze und war selbst zweimal angeschossen worden, beide Male am Oberarm, als er in den afghanischen Bergen um die Vorherrschaft über ein Paschtunen-/Taliban-Dorf gekämpft hatte. Ob im Dschungel oder in der Wüste, auf den Bergen oder in der Tiefsee, Lieutenant Commander Bedford war ein Vorzeige-SEAL – erfahren, verlässlich und darüber hinaus ein amerikanischer Patriot.
Am Ende seines Briefes kam er auf das Thema zu sprechen, das er und Anne kaum zu erwähnen wagten – auf ihren siebenjährigen Sohn Tommy und dessen schreckliche Krankheit, die laut Aussage seiner Ärzte das Nervensystem zerstörte:
Ich habe mir noch einmal die Krankenversicherung angesehen, Anne, die Navy ist einfach fantastisch. Wir sind abgedeckt, und Tommy ebenfalls. Wir müssen nur ein Krankenhaus in den USA finden, das sich bereit erklärt, die Operation an einem so kleinen Kind vorzunehmen. Hoffen wir also, dass sich die Diagnose nicht bestätigt oder die Ärzte in den nächsten Monaten einen Durchbruch erzielen. Ich muss jetzt Schluss machen, aber ich denke immer an dich. Und mach dir keine Sorgen um mich, es geht uns gut im Camp Hitmen. Die Sonne scheint! Und Charlie brät auf der Motorhaube des Jeeps Spiegeleier!
Alles Liebe, Mack
Der SEAL faltete das Blatt zusammen und schob es in einen Umschlag. Ihm ging einiges durch den Kopf, unter anderem die Raketen und Tommy. Eine Weile lang saß er nur auf dem übergroßen Kissen, sinnierte über das harte Los, das das Leben ihm zugeteilt hatte, und hoffte bei Gott, dass wenigstens den verdammten Iranern der Diamondhead-Vorrat ausgegangen war.
In diesem Moment wurde die Zeltklappe aufgeschlagen, und vier seiner Kumpel kamen herein: Chief Petty Officer Frank Brooks, Petty Officer Billy-Ray Jackson, Gunner’s Mate Charlie O’Brien und Chief Gunner Saul Meiers. Sie trugen alle Wüstentarnanzüge, dazu braun-olivgrüne Bandanas, die »Marsch-Lumpen«, wie sie im SEAL-Jargon genannt wurden. Alle vier schwitzten wie die Schweine, waren bewaffnet und trugen einen Vollbart – wie die meisten Spezialkräfte, die in muslimischen Ländern möglicherweise Undercover-Operationen durchzuführen hatten.
Die Vollbart-Verkleidung war jedoch eine zweischneidige Sache. Jeder El-Kaida-Führer wusste, dass ein vollbärtiger amerikanischer Soldat Mitglied der SEALs, der Rangers oder der Green Berets war; ein Soldat, um den man entweder einen weiten Bogen machte oder den man bevorzugt gefangen nahm, verhörte, folterte und dann enthauptete. Wobei es den kaum oder schlecht ausgebildeten Stammesangehörigen nur selten gelang, auch nur eines dieser vier Ziele zu erfüllen.
»Hey, Mack, alles klar?«, fragte Billy-Ray auf die lässige Art, mit der SEALs ungeachtet ihres Dienstrangs miteinander umgingen. Es wurde beim Militär durchaus kritisch zur Kenntnis genommen, dass unter SEALs der Status eines Offiziers mehr oder weniger ignoriert wurde. Aber dort hatte man auch nicht die mörderische Ausbildung der SEALs durchlaufen, man hatte nicht die erbarmungslosen Qualen durchgemacht, unter denen Offiziere und Männer zu einer unverbrüchlichen Bruderschaft wurden, die sie für den Rest ihres Lebens zusammenschweißte.
Mack sah auf. »Großer Gott, ihr seht ja schrecklich aus. Was war denn?«
»Ausbildungslauf, und vielen ist aufgefallen, dass du nicht dabei warst«, erwiderte Billy-Ray, dessen vor Schweiß glänzendes, schwarzes Gesicht vor guter Laune nur so strahlte.
»Sag ihnen, sie können mich mal.«
»Jawoll, Sir.«
Lachend ließen sich alle vier auf den großen Kissen nieder.
»Wir gehen am Nachmittag raus?«, fragte Charlie O’Brien.
»Um 1500, runter nach Abu Hallah, wenn die Jungs bis dahin nicht zurück sind.«
»Die werden da sein«, warf Billy-Ray mit seiner tiefen Alabama-Stimme ein. »Zum Abendessen gibt’s Schinkenbraten mit schwarzen Bohnen, den lassen sich Bobby und seine Jungs nie und nimmer entgehen.«
»Für Bobby und seine Jungs ist es heute Morgen vielleicht ein bisschen eng geworden«, unterbrach Frank Brooks. »Der Laster mit den Marines, den die Scheißkerle letzten Freitag in Nord-Bagdad haben hochgehen lassen, ist von einer Rakete getroffen worden, und die hat einen ziemlich großen Brand ausgelöst. Die Aufklärung meint, der Hauptteil der Aufständischen hat sich flussaufwärts nach Abu Hallah zurückgezogen. Bobby soll sie dort aufspüren.«
»Hoffen wir nur, dass die keine gottverdammten Diamondheads mehr haben«, murmelte Mack. »Aber wenn wir die finden wollen, dann müssen wir nur Frank reinschicken – dessen Bart ist länger als der von Bin Laden.«
»Hey«, sagte Charlie, »hab ich eigentlich schon mal erzählt, was Frank in einer Kneipe in den östlichen Rockys passiert ist?«
»Heilige Scheiße«, entfuhr es Chief Brooks, der bereits ahnte, was gleich auf seine Kosten kommen würde.
»Also«, fuhr Charlie fort, »damals war sein Bart fast genauso lang wie jetzt, ihr wisst schon, vom Gesicht war kaum noch was zu sehen, nur die Augen schauen noch raus. Und in dieser Kneipe hockt so ein alter Indianer, der Frank die ganze Zeit anstarrt.
Schließlich also sagt Chief Brooks mit seiner tiefen, tiefen Bassstimme zum Indianer: ›Was zum Teufel glotzt du so?‹«
Die SEALs, sogar Frank, mussten jetzt schon lachen.
»Also«, erzählte Charlie, »der alte Indianer nimmt seine Pfeife aus dem Mund und sagt: ›Sir, ich glotz gar nicht. Bestimmt nicht, Sir. Aber vor 29 Jahren, da war ich schon mal in dieser Stadt, und damals haben sie mich ins Gefängnis gesteckt, weil ich einen Bison gevögelt hab … Und jetzt, na ja, da geht mir durch den Kopf, dass Sie vielleicht mein Sohn sein könnten!‹«
Charlie hätte sich als Komiker seinen Lebensunterhalt verdienen können. Die SEALs schlugen sich auf die Schenkel und wieherten drauflos, wie meistens, wenn er einen seiner zahllosen Witze zum Besten gab. Sogar Frank Brooks kriegte sich kaum mehr ein.
Mack Bedford war mit Charlies Witzen vertrauter, da er im Foxtrot Platoon des SEAL-Teams 10 eine Menge Einsätze mit ihm bestritten hatte. Diesen aber hatte er noch nicht gehört, und so lachte er hemmungslos mit den anderen und versuchte dabei den Schmerz und die Trauer über die Krankheit seines Sohnes zu vergessen.
Charlie O’Brien war ein erstklassiger MG-Schütze, ein Bär von Mann im unbewaffneten Kampf, der oft den Bodyguard für seinen befehlshabenden Offizier gab. Aber er war jünger als die anderen, und es gab nach wie vor welche, die meinten, seine größte Stärke sei es, dass er den Boss zum Lachen brachte. Lieutenant Commander Bedford hielt große Stücke auf ihn. Wie viele Befehlshaber der Spezialkräfte wusste er sehr genau, wie wertvoll es war, wenn jemand selbst der schlimmsten Situation noch etwas Witziges abgewinnen konnte.
Viele im Foxtrot Platoon erinnerten sich noch gut daran, als Charlie O’Brien im südlichen Afghanistan eine Taliban-Stellung auseinandernahm. Er sprang hoch, streckte beide Arme diagonal in die Luft und brüllte »Touchdown!« In diesem Moment rappelte sich ein letzter, bereits im Sterben liegender Stammeskrieger aus den Trümmern auf und schoss ein Loch in Charlies Helm. »Foul, Foul!«, brüllte Charlie. »Das ist doch die letzte Arschgeige!« Und damit packte er sein Gewehr und erledigte den Krieger. »Verdammter Rüpel«, murmelte er.
Das Gelächter im Zelt legte sich allmählich, und Billy-Ray Jackson schlug vor, sie sollten sich doch mal auf die Suche nach diesem Schinkenbraten und den schwarzen Bohnen machen. Sie hatten sich kaum von ihren Kissen erhoben, als ein SEAL-Lieutenant ins Zelt gestürmt kam. »Mack, Mack! Die Jungs in Abu Hallah hat es schwer erwischt. Die Panzer und weiß Gott noch alles stehen in Flammen. Bobby ist tot. Die Jungs sind unter schwerem Beschuss. Wir müssen los. Gefechtsalarm!«
Die fünf SEALs sprangen auf und machten sich an den Munitionsschränken zu schaffen, griffen sich Magazine, Handgranaten und ein schweres Maschinengewehr. Sie zogen ihre Gurte straff, setzten die Helme auf und stürmten hinaus in die Hitze der irakischen Wüste. Charlie und Mack trugen zwischen sich das Maschinengewehr, und so rannten sie über den heißen Sand hin zu den aufgereihten Fahrzeugen. Die Alarmsirene des Camps übertönte noch das Röhren der gewaltigen Motoren, die bereits angelassen wurden. Dazwischen das Gebrüll der Bodenmannschaften. Panzerfahrer und Kommandeure überprüften die Anzeigen, Richtschützen luden Granaten, die gepanzerten Transporter stießen zurück, um Platz zu schaffen für die vier Panzer, die sich dröhnend in Bewegung setzten.
Billy-Ray und Charlie kletterten an Bord des ersten; Frank Brooks und Saul Meiers hievten sich durch die Luke des zweiten. Mack Bedford lud das Maschinengewehr und schwang sich auf den Beifahrersitz des gepanzerten Führungsfahrzeugs, das von seinem üblichen Fahrer, Jack Thomas aus Nashville, Tennessee, gesteuert wurde.
Bedfords Fahrzeug setzte sich an die Spitze des Konvois und wartete, bis die Panzer eine Art mobile Schlachtordnung eingenommen hatten, bevor sie sich dem Ausgang zuwandten, einem massiven, stahlverstärkten Holztor. Es hatte dem Einschlag von Granaten und Kugeln standgehalten und einmal sogar dem Anschlag eines wahnsinnigen Selbstmordattentäters, der es fertiggebracht hatte, sich selbst und seinen Wagen in die Luft zu jagen, sonst aber nichts.
Nach vier weiteren Minuten war der Konvoi startklar. Im letzten Moment schwangen die Wachen die Tore zurück, und hoch oben über dem Ausgang belegten Ranger mit Maschinengewehren den 100 Meter entfernten Grenzzaun jenseits des Niemandslandes mit ihrem Feuer, nur für den Fall, dass Aufständische auf dumme Ideen kommen sollten.
Mack Bedford streckte den rechten Arm aus dem Fenster und gab dem Führungspanzer das Startzeichen; in ihm befanden sich Billy-Ray Jackson, Charlie O’Brien, die Panzerbesatzung und genügend Munition, um eine zweite Operation Desert Storm zu beginnen. Sie ratterten durch den äußeren Bereich bis zu einer Stahlschranke, die automatisch nach oben glitt. Als alle fünf Fahrzeuge durch waren, senkte sie sich wieder und aktivierte ebenso automatisch vier Bodenminen, die, strategisch platziert, jeden Angreifer auslöschen konnten.
Sie bogen nach rechts und folgten der Sandpiste in südöstlicher Richtung, immer am Euphrat entlang, durch die sengend heiße Schwemmebene, in der die Temperaturen 50 Grad Celsius erreichten. Dieses flache, ausgedörrte Gebiet, in dem im Jahr nur 200 Millimeter Niederschläge fielen, war einst die Wiege der mesopotamischen Kultur gewesen. Heute war es eine Region, in der fanatischer Hass und rachsüchtige Gewalt herrschten.
Der mächtige, über 2700 Kilometer lange Fluss hatte an diesem Punkt bereits das Taurusgebirge im Osten der Türkei und ganz Syrien durchquert, hatte sich durch die Kalksteinfelsen des westlichen Irak gewunden und war nun hier, südlich der Wüstenstadt Hit, zu einem breiten, gemächlich strömenden braunen Wasserlauf geworden. Gelegentlich säumten Dattelpalmen den Weg der SEALs. Sie vermittelten ein beinahe biblisches Bild – nichts Biblisches allerdings war an den veralteten russischen Maschinengewehren zu finden, mit denen vorüberfahrende amerikanische Fahrzeuge immer wieder beschossen wurden. Manchmal waren sie mitten zwischen den Palmen postiert, meistens jedoch befanden sie sich am entfernten Ufer des Flusses.
Bedfords Männer waren auf der gesamten, acht Kilometer langen Strecke nach Abu Hallah in höchster Alarmbereitschaft. Die schweren Kanonen der Panzer schwenkten über unwegsame Geländeabschnitte oder umgestürzte Palmen, zwischen denen sich muslimische Fanatiker verstecken und auf sie warten konnten.
Die Männer des Foxtrot Platoon waren seit fünf Monaten im Irak, man musste ihnen nicht mehr einbläuen, wie wichtig höchste Wachsamkeit war, wenn sie die starken Wälle ihres Lagers verließen. Zur Zeit war es besonders gefährlich, da die Diamondheads, UN hin oder her, nach wie vor eingesetzt wurden und die Iraner sich anscheinend weigerten, die Lieferungen einzustellen.
Lieutenant Commander Bedford entdeckte am Westufer des Euphrat, in etwa drei Kilometer Entfernung, schwarze Rauchwolken. Er befahl, den Konvoi anzuhalten, erhob sich und richtete sein starkes Fernglas auf das vor ihm liegende Chaos. Nach allem, was er erkennen konnte, standen noch immer zwei Panzer in Flammen. Daneben glaubte er US-Sanitäter zu sehen, Rauch, Staub und die Flammen beeinträchtigten allerdings die Sicht.
Er gab das Zeichen für den weiteren Vormarsch, Höchstgeschwindigkeit. »Gib Gas, Jack, volle Kanne«, rief er. »Das sieht mir ziemlich beschissen aus.«
Alle fünf Fahrzeuge beschleunigten, die sowieso schon heißen Motoren heulten in der Stille der Wüste und wirbelten Staubwolken auf. In den Fahrzeugen schoben Mack Bedfords Männer Magazine in die Gewehre, die Richtschützen starrten durch die Visiere der Geschütze, die bald auf den fernen Feind über dem Fluss gerichtet werden würden.
Als sie sich Abu Hallah näherten, erkannten sie auf dem gegenüberliegenden Ufer, hinter der Brücke, die grauen Umrisse der Gebäude. Direkt gegenüber diesen Gebäuden lagen die Überreste der morgendlichen Taskforce. Zwei Panzer waren getroffen und zerstört worden. Hinter ihnen war das letzte verbliebene Fahrzeug postiert, das Geschütz auf die Gebäude gerichtet. Die Rauchschwaden allerdings waren noch immer so dicht, dass kaum etwas ins Visier genommen werden konnte.
Je näher sie kamen, umso deutlicher zeichnete sich die Katastrophe ab, die sich ereignet hatte. Macks Männer sahen die Sanitäter und die Löschfahrzeuge, sie sahen aber auch, wie hoffnungslos es war, die Toten aus den Flammen und dem geschmolzenen Metall zu ziehen.
Die Rettungskräfte stammten vom 80 Kilometer südlich gelegenen US-Stützpunkt Ramadi. Sie waren ursprünglich wegen einer Straßenmine weiter nördlich ausgerückt, aber sofort umgekehrt, als die Nachricht vom Angriff auf die SEALs in Abu Hallah sie erreichte.
Die Erfahrung hatte Mack Bedford gelehrt, Vorsicht walten zu lassen bei der Annäherung an brennende Fahrzeuge, deren Tank noch voller Treibstoff sein konnte. Er signalisierte seinem Konvoi, etwa 20 Meter hinter der Brücke, in sicherer Entfernung zu den Bränden, anzuhalten. Er sprang als Einziger auf die Straße und marschierte zum Schauplatz der Katastrophe. Ein junger SEAL-Lieutenant in Tarnanzug kam ihm entgegen. Die beiden kannten sich gut, Barry Mason sagte nur: »Danke fürs Kommen, Mack. Fürchte nur, wir können im Moment nicht viel tun außer zu warten. Sie sind in dem Gebäude dort unten. Leider sitzen wir hier fest, aber solange wir sie nicht hochgenommen haben, will ich die Deckung nicht aufgeben. Du hättest die Raketen sehen sollen, mit denen sie uns beschossen haben, Herrgott, die gingen glatt durch die Panzerung, heilige Scheiße! Als hätte ein gottverdammtes heißes Messer durch Butter geschnitten.«
Nicht nur wegen der Hitze lief es Mack Bedford heiß über den Rücken. »Die Brände sind ausgebrochen, weil die Treibstofftanks getroffen wurden?«
»Zum Teufel, nein! Das waren die Raketen, sonst nichts. Alles stand sofort in Flammen. Die Jungs hatten nicht die geringste Chance, die verbrannten bei lebendigem Leib. Ich hab’s gesehen, zwei wollten noch raus, aber überall diese blauen Flammen, es brannte, als hätten sich Chemikalien entzündet. Wir konnten noch nicht mal in die Nähe, so heiß war es. Keine Überlebenden.«
»Diamondheads, ganz offensichtlich«, sagte Mack.
»Kein Zweifel«, bestätigte Lieutenant Mason. »Was anderes kommt nicht in Frage. Die verdammten Dinger, so was Schlimmes ist mir noch nie begegnet. Und das ist mein dritter Einsatz im Irak.«
Mack nickte. Jetzt erst sah er, dass dem jungen SEAL Tränen übers Gesicht liefen.
Eine Weile lang sagte keiner der beiden Männer etwas. Sie betrachteten nur die verkohlten Panzer, bei denen sich das Metall unter der Hitze verbogen hatte, und versuchten nicht daran zu denken, was ihren Kameraden im Inneren widerfahren war. Barry Mason empfand Trauer und Reue bei dem Gedanken an seine Freunde. Bei Mack war es etwas anders. Tief in der Seele des SEAL-Commander loderte beständig die Flamme der Rache. Meist flackerte sie nur so vor sich hin. Mackenzie Bedford wusste sehr genau, dass er sich als militärischer Vorgesetzter keine Emotionen leisten konnte; Wut und Hass waren die ersten Vorboten der Unvorsichtigkeit. Aber sie waren immer da, und er hatte ständig damit zu kämpfen, sich durch sie nicht zu vorschnellen Entscheidungen hinreißen zu lassen.
Aber ihm fiel es schwerer als den meisten anderen, diese Dämonen, die ihn dazu drängten, mit unkontrollierter Gewalt auf den Feind einzuschlagen, im Zaum zu halten. Er hatte sogar einen Namen für diese Wutausbrüche, mit denen er insgeheim immer rechnete. Er nannte sie nach einem Film von Ingmar Bergman »Die Stunde des Wolfs«, ein Ausdruck, der exakt diese Gefühle beschrieb, die sich meist in den Stunden vor der Morgendämmerung einstellten, wenn er nicht schlafen konnte und sich danach sehnte, den Feind auszulöschen.
Und jetzt, als er auf der Wüstenstraße stand und die geschmolzenen Stahlsärge vor sich sah, in denen seine SEAL-Kameraden und drei Ranger den Tod gefunden hatten, spürte er, dass er in die »Stunde des Wolfs« eintrat. Tief in sich spürte er dieses vertraute Gefühl, spürte den brennenden Hass, der sich auf alles richtete in diesem gottverdammten Schreckensort.
Er drehte den Kopf in den heißen Wind und sah über den Fluss, auf die alten, meist zweigeschossigen und von Einschusslöchern übersäten Steinbauten. Mack erkannte sie deutlich in seinem Fernglas. Abu Hallah war eine Hochburg der Aufständischen, kein Zweifel – ein Ort, wo islamistische Fanatiker ihre Angriffe auf US-Truppen unternahmen, bevor sie wieder in der Wüste verschwanden.
»Hast du gesehen, woher die Raketen gekommen sind?«, fragte er Lieutenant Mason.
»Nein, Sir. Aber sie sind direkt über den Fluss gekommen, aus einem der Häuser dort. Und keinerlei Kurskorrekturen, wie von der Schnur gezogen.«
»Nur zwei?«
»Ja, Sir. Eine hat den Führungspanzer getroffen. Die zweite ist direkt danach in den nächsten Panzer geknallt, so, als wären sie von zwei einzelnen Schützen abgefeuert worden.«
»Hattet ihr zu dem Zeitpunkt angehalten?«
»Nein, Sir. Wir hatten an die 50 Stundenkilometer drauf. Als mein Fahrzeug anhielt und ich in Deckung ging, standen die beiden Panzer schon in Flammen. Nur dass sie, wie gesagt, blau brannten. Ich hab noch nie erlebt, dass etwas so schnell Feuer fängt.«
»Scheiße«, sagte Mack. »Und wir trauen uns nicht, die beschissenen Häuser dort drüben flachzulegen, weil sich darin vielleicht unbewaffnete Zivilisten aufhalten und wir dann in den Knast marschieren.«
»Außerdem lässt sich nur schwer feststellen, ob die Raketenschützen überhaupt noch dort sind«, sagte Lieutenant Mason.
»Barry, Folgendes. Hinter den Häusern stehen ein paar Fahrzeuge. Ich werde runterfahren und mir das mal ansehen. Ich nehme meine Jungs mit und komm dann zurück. Wenn auf der anderen Flussseite nur irgendwas auf feindliche Kräfte hindeutet, nehmen wir sie hoch.«
»Dann geht es uns beiden ein bisschen besser, was?«
»Vermutlich«, sagte Mack, der sich jetzt bewusst wurde, wie sich in seinem Magen alles zusammenzog; das alte, vertraute Gefühl, mit dem sich die Stunde des Wolfs ankündigte.
Er gab seinem Fahrer ein Zeichen, stieg in das gepanzerte Fahrzeug und fuhr voraus, während die Panzer folgten. Nach etwa 400 Metern stoppten sie. Er gab den Panzern die Anweisung, zu wenden und die Kanonen auf die Gebäude der anderen Flussseite zu richten.
»Noch nicht feuern. Nur Feuerbereitschaft.«
Mack, nun am Ende des Konvois, richtete das Fernglas auf die kleine Ansammlung von Fahrzeugen am anderen Flussufer. Durch eine Steinmauer wurde seine Sicht eingeschränkt, worauf er weitere 20 Meter zurücksetzen ließ. Jetzt hatte er freie Sicht auf die Aufständischen.
Auf halber Länge der Mauer konnte er eindeutig zwei Dreibeine ausmachen. Was darauf montiert war, ließ sich nicht mit Bestimmtheit erkennen, doch da er nicht davon ausging, dass er es mit Landvermessern zu tun hatte, die die Trasse einer neuen Autobahn festlegten, rechnete er mit dem Schlimmsten. Wahrscheinlich handelte es sich um Start- und Steuerplattformen, die fast identisch waren mit denen der neuen und verbesserten MILAN 3.
Mack kannte sich so weit mit der MILAN aus, um zu wissen, dass der Abschuss in zwei Phasen erfolgte. In der ersten Brennphase, die eineinhalb Sekunden dauerte, verließ die Rakete das Startgerät, in der zweiten, elf Sekunden langen Brennphase wurde die Rakete auf 200 Meter pro Sekunde beschleunigt. Die Jungs in den US-Panzern hatten nicht den Hauch einer Chance.
Es gab guten Grund zur Annahme, dass die geheime Diamondhead eine Spur schneller war und über einen härteren Gefechtskopf verfügte. Während er die kleine Gruppe auf der anderen Flussseite beobachtete, registrierte er plötzlich die Ankunft eines weiteren Fahrzeugs. Es handelte sich nicht um einen verbeulten Allrad-Wüsten-Pick-up, sondern um eine elegante Mercedes-Limousine.
Der Chauffeur hielt dem Mann im Fond die Tür auf. Und heraus stieg ein makellos gekleideter, zweifellos aus dem Westen stammender Mann mit dunklem Nadelstreifenanzug, blauer Krawatte und scharlachrotem Einstecktuch. Er hatte eine Glatze mit schwarzem Haarkranz. Selbst auf diese Entfernung fiel Mack Bedford die markante Hakennase auf.
Die Araber drängten sich um den Neuankömmling und schüttelten ihm lächelnd die Hand. Er ging zum ersten Dreibein, sagte etwas und begutachtete danach eine lange Röhre auf der Ladefläche eines der Pick-ups. Schließlich kehrte er zum Dreibein zurück und starrte durch die Visiereinrichtung. Weitere fünf Minuten redete er mit den Männern in arabischer Kleidung. Dann legte er einem von ihnen den Arm um die Schulter und lotste ihn zur Limousine. Beide stiegen ein, und der Wagen fuhr mit hoher Geschwindigkeit davon.
Mack ging zu den Panzern zurück und wies sie an, bei den brennenden Fahrzeugen Position zu beziehen und die Geschütze auf die Mauer zu richten, hinter der sich die Raketenabschussgeräte verbargen. Alle vier setzten sich dröhnend in Bewegung, der Commander sprang für die kurze Fahrt in sein eigenes Fahrzeug.
Nachdem sie zum Halt gekommen waren, stieg er aus, und nahezu im gleichen Augenblick hörte er den Schrei des Fahrers im Führungspanzer, der aus seiner Luke heraussah.
»Feindbeschuss … Achtung …« Aber es war zu spät. Die Rakete vom gegenüberliegenden Euphratufer glitt Flammen speiend über das Wasser und fraß sich in die rechte Seite des Führungspanzers, in dem Billy-Ray Jackson und Charlie O’Brien saßen.
Entgeistert musste Mack Bedford miterleben, wie das ganze Ding in einer leuchtend blauen Flamme explodierte. Im Inneren musste ein Inferno wüten, als würde ein Schweißbrenner – ein Schweißbrenner aus der Hölle – Amok laufen. Jemand versuchte durch die Luke zu entkommen, doch sein Kopf stand in Flammen. Er hatte noch nicht einmal mehr Zeit zu schreien, bevor er starb. Er sah aus wie Billy-Ray.
Das ohrenbetäubende Prasseln des Feuers übertönte die nächste Rakete, die über den Fluss angeflogen kam und Macks zweiten Panzer traf, jenen mit Chief Frank Brooks und dem Richtschützen Saul Meiers. Keiner hatte mehr Zeit für ein Gebet. Erneut schnitt die Rakete durch den Panzerstahl und detonierte in einem gewaltigen Feuerball, der alles in seiner Umgebung versengte.
Genau wie Lieutenant Mason stand Lieutenant Commander Bedford einfach nur da, entsetzt über den plötzlichen, schrecklichen Angriff. Erneut sahen sie mit an, wie jemand – diesmal war es der Panzerkommandant – verzweifelt versuchte, den Panzer zu verlassen. Jeder im Panzer verbrannte im röhrenden chemischen Inferno, das alles Leben auslöschte.
Soldaten sprangen von den beiden übrigen Panzern und flüchteten, bevor die nächste Diamondhead im Anflug war. Mack Bedford stierte mit leerem Blick auf das Inferno und war wie in Trance. War das die Hölle? War er mit seinen Männern gestorben?
Der Lärm des Feuers übertönte alles. Rauchschwaden stiegen auf. Die andere Uferseite war nicht mehr zu erkennen. SEAL-Gruppenführer scheuchten die noch Verbliebenen hinter den zerstörten Konvoi, um dort Position zu beziehen. Jemand kam auf Mack zu und schrie: »Hier entlang, Sir … wir müssen uns neu formieren … wir müssen vom Feuer weg!«
Mack eilte zu den anderen, gemeinsam liefen sie im Schutz des brennenden Konvois über das unwegsame Gelände. Wie alle anderen hatte er Angst, in einen der Panzer zu steigen und das Feuer auf den Feind zu eröffnen. Nichts schien die Diamondheads aufhalten oder von ihrem tödlichen Kurs abbringen zu können.
Er wies die anderen an, sich erst in Bewegung zu setzen, wenn er sich vergewissert hatte, dass die Aufständischen abgezogen waren. Sie hatten bereits Hilfe angefordert. Rettungshubschrauber würden in einer Viertelstunde eintreffen, aber es gab niemanden mehr, den sie hätten retten können. Schweigend warteten sie, bis das prasselnde Feuer sich etwas gelegt hatte. Dann erhoben sie sich langsam und gingen auf die ausgebrannten Wracks zu, in denen die verkohlten Überreste ihrer Freunde und Kameraden lagen.
Es war noch immer zu heiß, um sich ihnen zu nähern, doch als sie um die Wracks herumgingen, präsentierte sich ihnen auf der anderen Flussseite ein seltsamer Anblick. Dort marschierte etwa ein Dutzend Araber in wallenden Gewändern und mit erhobenen Händen auf die Brücke zu. Erstaunt sahen die Amerikaner hinüber, bis einer von ihnen rief: »Stillhalten, Jungs! Das ist der älteste Trick der Welt. Sie haben die Waffen weggeworfen und ergeben sich als unbewaffnete Zivilisten. Sie wissen, dass wir sie nicht anrühren dürfen!«
Die Einschätzung erwies sich als richtig. Die Dschihadisten kannten die Regeln gut. Statt sich in die Wüste zurückzuziehen und darauf zu warten, von US-Kampfflugzeugen bombardiert zu werden, gaben sie sich häufig lieber als einheimische Beduinen aus, die ihren friedlichen Geschäften nachgingen und nichts mit dem Angriff auf die US-Streitkräfte zu tun hatten.
Mack Bedford starrte auf die allmählich erlöschenden Flammen und konnte nur mit Mühe die Tränen für Charlie O’Brien und die anderen Toten zurückhalten. Erneut sah er zur Brücke, und in ihm kam die Wut hoch – Diese verdammten Bettlakenträger… mein Gott! … die haben meine Jungs auf dem Gewissen!
Die Stille legte einen Schleier des Unwirklichen über diese abgelegene Ecke des Irak. Reglos, mit versteinerter Miene beobachteten die SEALs die Araber, die nach wie vor mit erhobenen Händen auf die Mitte der Brücke zugingen.
Kein schlurfendes Geräusch der Sandalen, nichts drang von den sandigen Steinplatten der Brücke ans Ohr der Amerikaner. Es war, als sähen sie in Zeitlupe das Herankommen der mörderischen kleinen Gruppe, die soeben unzählige US-Soldaten ausgelöscht hatte.
Unbeirrt schritten sie weiter. Nur der Commander des Foxtrot Platoon erkannte in ihnen die Männer, die die Raketen abgefeuert hatten und die er mit seinem Fernglas auf der anderen Flussseite gesehen hatte. Er setzte das Fernglas an und betrachtete sie. Sie waren jetzt unbewaffnet, die Abscheu aber, die sie ihren Feinden entgegenbrachten, war unzweideutig in ihren Mienen zu lesen.
Keiner zweifelte daran, dass sie es waren, die sich dieses kaltblütigen Verbrechens schuldig gemacht und vier der international geächteten Diamondheads zum Einsatz gebracht hatten. Unruhiges Gemurmel breitete sich unter den Männern der Spezialkräfte aus, als sie die groteske Szene auf der Euphratbrücke beobachteten.
Die Gruppenführer, denen klar war, was ihnen nach dem Buchstaben des Gesetzes blühte, wenn sie Unbewaffnete angriffen, versuchten die Männer zu beschwichtigen. Ruhig, Jungs … immer ruhig bleiben … lasst sie kommen …
Erst als die zwölf Araber die Mitte der Brücke erreichten, waren in der gleißenden Luft, dumpf und leise, ihre Schritte zu hören. Noch immer hatten sie die Hände erhoben. Auf dem gegenüberliegenden Ufer versammelten sich Frauen und Kinder, die zusahen, wie die zwölf Männer auf die Ungläubigen der Spezialkräfte, ihre eingeschworenen Feinde, zugingen.
Alle am Westufer würden sich an die Stille erinnern. Und jeder der Amerikaner würde sich an das plötzliche scharfe metallische Klicken erinnern, als Lieutenant Commander Mackenzie Bedford ein neues Magazin in seine M4-Automatik rammte und unvermittelt auf die Brücke zuspurtete. Es war nicht die »Stunde des Wolfs«, Mack Bedford selbst war der Wolf, der knurrend und blutrünstig aus den tiefen Wäldern von Maine hier eingefallen war.
Lieutenant Barry Mason reagierte als Erster. Er fuhr herum und setzte dem SEAL-Commander nach. Nein … nein … um Gottes willen, bleib stehen … nicht schießen!
Mack erreichte die Brücke mit gut 20 Metern Vorsprung auf den Lieutenant. Verzweifelt brüllte ihm Barry hinterher: »Nein … um Gottes willen, nicht schießen!«
Barry gab alles, aber er war nicht schnell genug. Mack Bedford feuerte bereits und mähte die vier Ersten der Gruppe in seinem gezielten Kugelhagel nieder. Der große SEAL hatte das Gewehr direkt auf den Feind gerichtet. Lieutenant Mason hatte ihn fast erreicht, als Mack erneut den Abzug durchzog und seine Salven auf die Männer niedergehen ließ. Keinem blieb Zeit zur Flucht, keinem blieb Zeit, ihn noch anzuflehen. Der SEAL-Commander feuerte einfach weiter. Und einer nach dem anderen der Araber brach tot im Staub zusammen, bis sie einen geisterhaften weißen Hügel bildeten und ihre langen Gewänder im heißen, staubigen Südwestwind flatterten.
Lieutenant Mason rammte seinen Boss mit einem knallharten Bodycheck um, aber er war etwa eine hundertstel Sekunde zu spät dran. Beide knallten auf den Boden, im gleichen Augenblick stürmten die Amerikaner schreiend und jubelnd zu ihnen. Von der gegenüberliegenden Flussseite setzte das Wehklagen der Frauen ein, die zu ihren gefallenen Männern eilten.
Lieutenant Mason half seinem Boss auf die Beine. Die beiden Offiziere wurden von ihren Soldaten umringt. Ein junger SEAL, dem die Tränen über das rußverschmierte Gesicht liefen, wiederholte unaufhörlich: »Danke, Sir, danke. Mein Bruder war in dem Panzer.«
Es gab keinen einzigen unter den 30 Amerikanern, die an diesem Morgen dem Tod von der Schippe gesprungen waren, der dem Lieutenant Commander nicht zugestimmt hätte. Mehrere von ihnen drängten sich vor und gaben dem SEAL-Commander die Hand. Andere sagten nur: »Was anderes haben diese Dreckskerle nicht verdient!« oder »Ist langsam mal Zeit geworden« oder »Das sollten wir viel öfter machen.«
Einige Minuten lang schien Mack Bedford wie weggetreten. Er stand an der Brücke und sagte nur: »Sie haben meine Jungs umgebracht. Sie haben verdammt noch mal meine Jungs ermordet. Ich war es ihnen schuldig.«
Die Dorfbewohner von der anderen Flussseite betraten die Brücke und trugen die Leichen zurück ans Ostufer. Drei SEALs hatten sich nebeneinander aufgebaut, hatten ihre Gewehre auf sie gerichtet und behielten sie im Auge. Es kam zu keinen Anschuldigungen seitens der Iraker, zu keinen wütenden Schreien. Nicht an diesem Tag, an dem die Verluste auf beiden Seiten vergleichbar hoch waren – zwölf Aufständische gegen zwölf SEALs und acht Ranger.
Im Hintergrund stieg von den Panzerwracks noch immer schwarzer Qualm in den Himmel. Auf beiden Flussseiten verstanden alle, die ihre Toten betrauerten, was vorgefallen war und warum es diesen Ausgang genommen hatte. In diesem alten biblischen Land, in Mesopotamien, war lediglich das geschehen, was schon in einem der ehrwürdigsten Bücher des Alten Testaments, in Exodus, geschrieben stand – Seele um Seele, Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Zwei US-Army-Chinooks befanden sich im Landeanflug und setzten schließlich hinter den ausgebrannten Panzerwracks auf. Jeder von ihnen brachte Medikamente, Sanitäter, militärische Ermittler und kampfbereite Spezialkräfte. Nichts davon war zu diesem Zeitpunkt noch notwendig. Es gab keine Verwundeten. Jeder, der sich im näheren Umfeld der Raketeneinschläge aufgehalten hatte, war tot. Es gab kaum sterbliche Überreste. Irgendwann würden in einigen Gemeinden in den USA weiße Kreuze aufgestellt werden, auf denen zum Gedächtnis lediglich Name und Dienstrang verzeichnet waren. Ein gefallener Soldat, der Gott anvertraut wurde.
Der von den mächtigen Rotoren der Chinooks erzeugte Sandsturm verhüllte die Schreckensszene. Aus dem aufgewirbelten Staub traten die beiden SEAL-Offiziere, die sich zu vergewissern hatten, was vorgefallen war. Nur einer von ihnen, der Befehlshaber des Camp Hitmen, Commander Butch Ghutzman, stand im Rang höher als Mack Bedford.
Sie trafen sich am Fuß der Brücke und unterhielten sich kurz. Die Panzer waren für eingehende Untersuchungen noch zu heiß und würden es auch die nächsten Stunden über noch sein. Commander Ghutzman sah hinüber zu den Irakern, die ihre Toten wegbrachten, und fragte Mack: »Was zum Teufel ist da drüben los?«
»Sie kümmern sich wohl um ihre Gefallenen, Sir.«
»Sind sie in Gewehr- oder Artilleriefeuer geraten?«
»Sie sind erschossen worden, Sir.«
»Mitten auf der Brücke? Wollten die irgendwie unsere Jungs angreifen?«
»Nein, Sir. Sie haben so getan, als wollten sie sich ergeben. Ich habe sie erschossen.«
»Großer Gott! Waren sie bewaffnet?«
»Woher zum Teufel soll ich das wissen?«
»Sie verstehen, warum ich das frage?«
»Jawohl, Sir.«
Drei Straßen hinter dem Fluss, direkt gegenüber der Stelle, von der die Amerikaner nun abzogen, lag ein gedrungenes graues Steinhaus. In dessen kargem Dachstuhl kauerte ein älterer Iraker und sprach in sein Handy. Er war ein Veteran der unglückseligen Operation Desert Storm und mittlerweile bewährter Vorort-Korrespondent des TV-Senders Al-Dschasira, der in einem glitzernden modernen Bürogebäude in Doha, der Hauptstadt von Katar, residierte. Er fungierte als eine der vielen Verbindungen des Senders zu den Schlachtfeldern im Irak und verkörperte dessen Entschlossenheit, die Vereinigten Staaten bei jeder sich bietenden Gelegenheit schlecht, ganz schlecht aussehen zu lassen.
Al-Dschasira gehörte zu den umstrittensten arabischen Nachrichtensendern des Nahen Ostens. 1996 gegründet, wuchs er von einem kleinen arabischen Lokalsender zu einem weitverzweigten internationalen Netzwerk heran, das 24 Stunden am Tag auf Englisch sendete. Er unterhielt mittlerweile weltweit 40 Büros mit Dutzenden Korrespondenten. Mitarbeiter wurden von allen großen westlichen Sendern abgeworben – von der BBC, dem CBS, CNN und CNBC. Bei Al-Dschasira konnte man sich darauf verlassen, dass von jeder Fahrlässigkeit oder Disziplinlosigkeit seitens der US-Streitkräfte im Nahen Osten berichtet wurde.
In der Nachrichtenredaktion ging es an diesem Tag hoch her. Bill Simons, ehemaliger BBC-Reporter, der, seiner linken Jugendträume überdrüssig, seine Sachen gepackt hatte und von Südlondon nach Doha an der Ostküste der Halbinsel Katar umgezogen war, wusste sofort, wenn er es mit einer guten Story zu tun hatte. Der dringliche Tonfall Abduls, der vom weit entfernten Abu Hallah am Euphrat anrief, brachte seine Reporterantennen zum Schwingen.
Wie viele sind tot? Zwölf, kaltblütig von einem amerikanischen Offizier erschossen? Mitten auf einer Euphratbrücke? Mein Gott!
Hat es irgendwie ein Gefecht gegeben? Was? Einige leicht beschädigte US-Panzer, nachdem sie das Feuer auf das Dorf eröffnet haben? Nichts Ernstes also, oder? Und dann dreht dieser Amerikaner durch? Wow! Und wo befinden sich jetzt die Leichen dieser zwölf Dorfbewohner? Ah, die haben Sie. Unbewaffnete Bauern, die auf ihre Felder wollten … Geben Sie mir Ihre Nummer, Abdul, und halten Sie sich bereit.
40 Minuten später war Al-Dschasira ganz in seinem Element. Zu den vertrauten Tönen, die klangen, als kämen sie direkt aus einer Moschee, wurden die 16-Uhr-Nachrichten angekündigt. Eine dunkeläugige Schönheit aus Riad begann mit der Moderation:
Berichten zufolge verübten US-Spezialkräfte auf einer Euphratbrücke in der Nähe der irakischen Wüstenstadt Hit eine schreckliche Gräueltat. Zwölf unbewaffnete Bauern wurden von einem amerikanischen Offizier anscheinend kaltblütig erschossen.
Die Namen der zwölf Toten konnten von unserem Korrespondenten bislang nicht in Erfahrung gebracht werden, allerdings wird erwartet, dass die irakische Polizei noch an diesem Abend weitere Einzelheiten dazu bekanntgeben wird. US-Militärsprecher wollten sich zu dem Vorfall bislang nicht äußern. Das Pentagon streitet jegliche Kenntnisse darüber ab und verwies unsere Reporter an die US-Militärbehörden in Bagdad. Mehr dazu im Laufe dieses Abends.
Al-Dschasira, das als Sprachrohr von Osama Bin Laden und El-Kaida galt, konnte von den westlichen Nachrichtensendern seit geraumer Zeit nicht mehr ignoriert werden. Bei jedem ungewöhnlichen Vorfall im Nahen Osten war die Wahrscheinlichkeit groß, dass zuerst Al-Dschasira davon berichtete. Und diese Story war, Junge, Junge, mehr als ungewöhnlich.
Alle Zeitungs- und Fernsehredaktionen in London, Washington und New York hatten ständig ein Auge auf den Sender aus Katar, der wie kein zweiter die Stimmung und die Befindlichkeiten der arabischen Welt wiedergab. Und wenn die Meldung über angebliche US-Grausamkeiten am Euphrat über die Bildschirme flimmerte, konnten es die liberalen Medien beider Länder kaum erwarten, über das Militär herzufallen, das ihre Freiheit verteidigte und für die Sicherheit des Staates sorgte.
Ein emsiger Journalist rief beim US-Militär im Irak an, wo ihm gesagt wurde: »Ja, wir haben Berichte über einen bewaffneten Zusammenstoß am Euphrat, und ja, ein SEAL-Commander der Navy unterstützt im Moment die internen Ermittlungen. Wir haben Berichte über Verluste auf US-Seite, über irakische Opfer liegt uns nichts vor.«
Mehrere Redakteure fügten das zu dem »Bericht« von Abdul hinzu, und dann ging es auf Sendung.
Massaker am Euphrat –
SEAL-Commander muss mit Militärgericht rechnen
Natürlich zeichnete sich der Bericht durch einen Mangel an Fakten aus: Was verursachte die Auseinandersetzung? Welche Seite eröffnete zuerst das Feuer? Kamen dabei Amerikaner ums Leben? Waren ihre Kameraden dazu gezwungen, zurückzuschlagen? Wurden sie ohne äußeren Anlass angegriffen? Gab es irgendwelche Beschwerden seitens offizieller irakischer Behörden? Nichts davon wurde erwähnt.
Aber das spielte keine Rolle. Was zählte, war die Möglichkeit, dass man erneut auf die mörderischen US-Streitkräfte einschlagen konnte, die unschuldige irakische Bauern erschossen und Uncle Sams eiserne Faust auf unbewaffnete Beduinen niedersausen ließen.
Man muss ganz offensichtlich von eklatanten Führungsmängeln der US-Kommandeure sprechen, die ihre disziplinlosen Truppen nicht unter Kontrolle haben. Welches Bild geben die USA damit in den Augen der Welt ab? (Siehe Leitartikel auf Seite 21.)
Seit den abscheulichen Vorfällen in Abu Ghraib im Frühjahr 2006 ist die Integrität des US-Militärs nicht mehr derart in Verruf geraten …
Das Bombardement mit Halbwahrheiten, Verdrehungen und Übertreibungen führte dazu, dass im Pentagon die Fetzen flogen, vor allem im Korridor 7 des dritten Stocks, wo das Oberkommando der US Navy residierte. Wenn die SEALs in Aktion traten, stieg gemeinhin der Blutdruck der Marine-Kommandeure, doch das betraf dann meist nur das Hauptquartier des SPECWARCOM in San Diego. Gerieten die Dinge aber anscheinend außer Kontrolle und zogen sie weitere Kreise, griff die Unruhe auch auf die Büros des Marine-Oberkommandos im Pentagon über.
Admiral Mark Bradfield, ehemaliger Kommandant einer Trägergruppe, bekleidete im Pentagon den Posten des CNO – des Chiefs of Naval Operations. Im Moment starrte er auf die Titelseite der Washington Post und gab den banalen Satz all derer zum Besten, die im Oberkommando saßen und nicht selbst auf dem Schlachtfeld standen: »Was in aller Herrgotts Namen ist dort drüben bloß los?«
Sein persönlicher Assistent, Lieutenant Commander Jay Renton, starrte auf die Titelseite der New York Times und suchte fieberhaft nach einer beschwichtigenden Antwort. Jays jüngerer Bruder diente als SEAL in Afghanistan, daher wusste er aus erster Hand von den hinterhältigen Machenschaften der Taliban und El-Kaida und deren guten Verbindungen zu Al-Dschasira, die von Katar aus ihre schauerlichen Schreckensszenarien verbreitete; und er wusste, wie schnell die Presse über die amerikanischen Truppen herfallen würde. »Sieht nach einer ziemlich widerlichen Schlacht am Euphrat aus, Sir«, sagte Jay. »Und wie immer haben die Aufständischen schneller mit Al-Dschasira Kontakt aufgenommen, als wir überhaupt an den Fall rangekommen sind.«
»Von Al-Dschasira steht hier nichts«, erwiderte der CNO.
»Aber hier in der Times«, antwortete Jay. »Als Quelle wird Al-Dschasira angegeben, der maßgebliche arabische Fernsehsender .«
»Hmmmmm«, erwiderte der CNO, nun etwas skeptischer.
»Sir, Camp Hitmen ist an die 1300 Kilometer von Katar entfernt. Wie, glauben Sie also, ist der Fernsehsender an die Geschichte gekommen? Einzig und allein, weil irgendein El-Kaida-Killer in den nächsten Hühnerstall gesprungen ist und von dort angerufen hat – und die Info geliefert hat, dass ein Dutzend seiner Jungs erschossen wurde. Warum, unter welchen Umständen, das interessiert dann niemanden mehr.«
»Und woher hat Al-Dschasira von dem SEAL-Platoon gewusst?«
»Das haben sie nicht gewusst. Die US-Medien haben im Irak angerufen und dort erfahren, dass an jenem Tag an diesem Flussabschnitt SEALs im Einsatz waren. Von daher stammt die Information.«
In diesem Augenblick traf ein Anruf aus Jay Rentons Büro ein. »Sir, wir haben was aus San Diego. Soll ich es runterladen oder es gleich an Sie weiterschicken?«
»Laden Sie es runter … Entschuldigen Sie mich, Sir, ich bin gleich wieder da.«
Der Lieutenant Commander verließ das Büro und ging in den Computerraum, in dem Nachrichten von allen Kriegsschauplätzen mit US-Beteiligung, vor allem aus dem Irak, eintrafen.
Die Meldung des SPECWARCOM stammte von Rear Admiral Andy Carlow, dem Befehlshaber der Navy SEALs. Die Meldung las sich sachlich, war aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt extrem hilfreich:
Zwei SEAL-Platoons kamen gestern südlich von Camp Hitmen unter Beschuss. Vier US-Panzer wurden getroffen und durch Raketen der Aufständischen zerstört. 20 Tote: zwölf SEALs, acht Rangers. Die Angriffe erfolgten ohne jegliche Provokation. SEALs erwiderten das Feuer. Irakische Opfer, Anzahl bislang unbekannt.
»Ich denke, das fasst das Zeitungsgeschreibsel über die kaltblütigen Morde ganz gut zusammen«, grummelte Admiral Bradfield, nachdem Renton zurückgekehrt war.
»Das kann man wohl sagen«, pflichtete Jay Renton bei. »Geben wir eine öffentliche Erklärung ab?«
»Noch nicht. Als Erstes müssen die betroffenen Familien informiert werden, und dann brauchen wir den vollständigen Bericht des ranghöchsten SEAL-Offiziers bei diesem Einsatz.«
»Und was erzählen wir den Medien, die uns mit Fragen über ein mögliches Militärgerichtsverfahren und weiß Gott noch alles löchern werden?«
»Weisen Sie das Pressebüro an, dass die US Navy keine Aussagen macht, solange die Fakten nicht bekannt und ausgewertet sind.«
Im Camp Hitmen herrschte Unruhe. Mitgenommen vom Tod so vieler Offiziere und Freunde, waren die Männer der SEAL-, Ranger-und Green-Beret-Platoons wie vor den Kopf gestoßen, als sie die Version der Ereignisse aufschnappten, die von den Zeitungen und vor allem dem Fernsehen verbreitet wurde.
Die Tatsache, dass ein SEAL-Commander auf einer Brücke zwölf Aufständische erschoss, wurde dargestellt, als wäre er ihnen zufällig auf der Straße begegnet und hätte aus keinem bestimmten Grund seine Waffe auf sie gerichtet. Ein Musterbeispiel für einseitige Berichterstattung.
Anscheinend hatte sich keiner bei Al-Dschasira die Mühe gemacht, die Aussage des arabischen Korrespondenten zu überprüfen, der sich vom Ort des Geschehens weggeschlichen und dem Fernsehsender einen ungeheuerlichen Bericht geliefert hatte, ohne mit einem Wort auf die schrecklichen Verluste der Amerikaner einzugehen.
Die Leitartikel in gewissen US-Medien zielten anklagend direkt auf die Bodentruppen, auf die Jungs, die Tag für Tag im Auftrag der US-Regierung ihr Leben riskierten.
»Warum mach ich das überhaupt?« Diese Frage wurde bei den Spezialkräften, deren Ausbildung sie mit einem bleiernen Mantel der Selbstgerechtigkeit ausgestattet hatte, nicht oft gestellt. Wie sonst wäre es möglich, aus Männern eine professionelle Kampfeinheit zu schmieden, die sich durch nichts aufhalten ließ, die den Gegner verachtete und stets der festen Überzeugung folgte: »Professionalität ist die vollständige Eliminierung von Fehlern. Sie hat nichts mit Geld zu tun«?
Hier aber lag die Sache anders. Die US-Medien unterhöhlten ihre Daseinsberechtigung, sie stellten sie als skrupellose Mörder hin, denen jeder Sinn für Anstand und Gerechtigkeit fehlte. Die Soldaten sahen fern, sie konnten auf ihren Computern die Zeitung lesen, sie wussten, was gesagt wurde.
Diese bittere Ungerechtigkeit wirkte sich auf ihr Handeln aus. Keiner wollte hinaus zu Einsätzen, bei denen sie unter schweren Beschuss geraten, das Feuer aber, wenn überhaupt, nur zögerlich erwidern konnten.
Zwei Tage lang stand Lieutenant Commander Mackenzie Bedford den Befehlshabern des Lagers Rede und Antwort. Bislang hatte es keine offizielle Beschwerde der Iraker gegeben, was darauf hindeutete, dass die Raketen von einer Aufständischengruppe abgefeuert worden waren. Und was seine Tat betraf, so gab er freimütig zu, das Feuer auf die Araber auf der Brücke eröffnet zu haben. Allerdings wisse er nicht, ob einer seiner Männer ebenfalls geschossen habe und wie viele vom Gegner dabei den Tod gefunden hatten, was ihm, offen gesagt, auch ziemlich egal sei.
Die eigentliche Gräueltat bestand nach Meinung der militärischen Führung im Camp Hitmen aber darin, dass Raketen abgefeuert worden waren, die von den UN offiziell geächtet waren und wodurch zwanzig US-Soldaten den Tod gefunden hatten.
Es herrschte große Unruhe im Lager. Und alle empfanden enorme Sympathie für Mack Bedford. Insgeheim ging aber auch die Furcht um, dass der erfahrene SEAL-Führer einfach Amok gelaufen war, nachdem er den entsetzlichen Tod seiner engsten Freunde, Frank Brooks und Charlie O’Brien, hatte miterleben müssen.
Kein einziger im Camp Hitmen, ob Offizier oder Soldat, würde auch nur ein Wort gegen den Lieutenant Commander äußern. Tatsächlich gab es unter den Vorgesetzten die berechtigte Sorge, dass die Männer eher zugunsten des Commander lügen würden.
Lügen waren in der Marine noch nie toleriert worden. Die Ausbilder der US Naval Academy in Annapolis würden alle möglichen Vergehen erdulden, nur keine Lügen. Jeder Seeoffiziersanwärter würde in diesem Fall auf der Stelle rausfliegen. Junge Männer, die man darauf vorbereitete, die Führung über teure Kampfschiffe zu übernehmen, durften nicht von der Wahrheit abweichen. Nie. Jeder an Bord des Schiffes war abhängig von der Ehrlichkeit des Kapitäns und seiner Leute.
Die Navy SEALs, die Elite-Kampfeinheit, die oftmals fern der Meere eingesetzt wurde, unterlag demselben Ehrenkodex. Und hier war ein ganzes Lager anscheinend bereit, sich hinter einen hoch geachteten Offizier zu stellen, der im Grunde nur getan hatte, was die anderen sich zwar gewünscht, aber nicht gewagt hatten.
Unter Umständen wie diesen neigten viele dazu, den Mund zu halten und nichts zu sagen. Was zweifellos oft geschehen war, wenn die Mannschaft unter Druck stand. In diesem Fall kamen aber noch die hysterischen Medien hinzu, die die Bestrafung der Schuldigen forderten und verlangten, die USA dürften keinesfalls unter denselben gesetzlosen Prämissen operieren wie die Terroristen. Was schön und gut war, falls man nicht zufällig Charlie O’Brien, Frank Brooks oder Billy-Ray Jackson war. Oder einer ihrer wertgeschätzten Freunde.
Wie Admiral Bradfield es so treffend ausdrückte: Hmmmmm. Ein heikles Problem.
Letztendlich hing alles von der Meinung des Judge Advocate General ab, des JAG, der oftmals ein vernünftiger und umgänglicher Marineoffizier war, als Vertreter der Militärgerichtsbarkeit jedoch über jede Operation der Spezialkräfte seinen dunklen Schatten warf.
Ein bis an die Zähne bewaffneter Navy SEAL, dessen Körperkraft eher einem Puma als einem normalen menschlichen Wesen glich, war ein äußerst gefährlicher Zeitgenosse. Jeder von ihnen war mental und körperlich darauf konditioniert, seinen Gegner zu vernichten. Was sehr unangenehm sein konnte, wenn er nicht wusste, mit welchem Gegner er es überhaupt zu tun hatte.
Auf Kriegsschauplätzen wie dem Irak oder Afghanistan trugen die Aufständischen keine Uniform, sie waren bewaffnet oder auch nicht, vielleicht waren sie Spione, vielleicht nicht, vielleicht waren sie nur Späher für ein lauerndes El-Kaida-Kommando, das vielleicht irgendwo in den Straßen eine tödliche Sprengladung anbrachte. Vielleicht aber auch nicht. Navy SEALs mussten gedanklich blitzschnell reagieren können.
SEALs operierten jedoch häufig hinter den feindlichen Linien. Weit, weit hinter den Linien eines unsichtbaren Feindes. Hier herrschten andere Spielregeln für die jungen amerikanischen Soldaten, die fern der Heimat, fern jeglicher Hilfe waren und sich nie eingestehen würden, dass sie Angst hatten. Sie operierten unter einem gewaltigen Druck und bliesen den Einheimischen manchmal einfach nur deshalb den Kopf weg, weil sie die doppelte Anspannung aus Angst und leidvoller eigener Erfahrung nicht mehr aushielten. Diesen jungen Männern erschien der Schatten des JAG besonders dunkel und bedrohlich.
Ihm selbst stellte sich dabei eine unmögliche Aufgabe – zum einen sollte er die Wahrheit herausfinden, die Umstände abwägen und sich in die Lage der SEALs versetzen. Zum anderen musste er versuchen, dem Pentagon gegen die Unterstellungen Al-Dschasiras, der US-Medien und militanter Islamisten den Rücken zu stärken. Aus unzähligen Gründen musste er zum Wohl des US-Militärs gegenüber allen Interessenvertretern rücksichtslose Gerechtigkeit walten lassen.
Der JAG, der nun im Camp Hitmen seiner Aufgabe nachging, befand sich in einer misslichen Lage. Die vorliegende Untersuchung betraf einen ganz besonderen Mann, Mackenzie Bedford, Bester in seinem Kampfschwimmer-Ausbildungsjahrgang, hochdekorierter SEAL-Commander, der von nahezu allen, die unter seinem Befehl gedient hatten, verehrt wurde. Und, schlimmer noch, ein Mann, der versuchen musste, mit dieser furchtbaren Krankheit seines einzigen Sohnes Tommy zurechtzukommen.
Dem JAG, Commander Greg Farrell, gefiel das nicht. Ganz und gar nicht. Er kannte Mack Bedford seit vielen Jahren. Sosehr er sich daher auch bemühte, die Atmosphäre bei den von ihm durchgeführten Befragungen aufzulockern, es wollte ihm nicht so recht gelingen.
Noch enervierender waren die Reaktionen der anderen SEALs, die die Morde miterlebt hatten. Er konnte es in ihren Augen lesen: Du Scheißkerl – du willst unseren Commander vors Militärgericht zerren, und damit das gleich klar ist, von mir kannst du keine Hilfe erwarten.
Greg Farrell wusste, was auf dem Spiel stand. Er hatte mehrere Jahre in der Gerichtsbarkeit der Navy gearbeitet. Er hatte Jura studiert, seine Zulassung als Anwalt erhalten und für eine große Kanzlei in Boston gearbeitet. Nach einer sehr unschönen Scheidung in jungen Jahren hatte er allerdings beschlossen, das alles hinter sich zu lassen und zur Navy zu gehen.
Nach Abschluss der Grundausbildung meldete er sich sofort zur Offiziersschule. Er war ein äußerst intelligenter Schüler, der alle Prüfungen im ersten Anlauf schaffte. Doch im Herzen war er nach wie vor Jurist, jemand, der immer beide Seiten einer Gleichung sah. Er stellte sich zunächst vor, worauf er plädieren würde, falls er der Verteidiger wäre, und dann, was er als Staatsanwalt geltend machen konnte. Wie bei vielen Juristen litt darunter manchmal leider der gesunde Menschenverstand.
In diesem besonderen Fall war ihm eines klar: Ginge es um seine Popularität, würde er sich die Dankbarkeit des gesamten Camps sichern, wenn er zu dem Schluss käme, dass der SEAL-Commander sich für sein Tun auf der Euphratbrücke nicht verantworten müsse.
Andererseits – dieses Wort ist jedem Juristen in Fleisch und Blut übergegangen – war das politische Klima äußerst problematisch. Neue Nahost-Friedensgespräche standen an. Pakistan, das verstärkt mit islamischem Fundamentalismus zu kämpfen hatte, versuchte einen Atomsperrvertrag mit Indien und China auszuhandeln.
Und hier hatte er es jetzt also mit einem Dutzend toter irakischer Einheimischer zu tun, deren Anhänger nur allzu bereitwillig bei Allah schwören würden, dass sie niemandem Schaden zufügen wollten und kein Einziger von ihnen jemals in seinem Leben eine Waffe besessen hatte. Selbst der neue irakische Präsident hatte mittlerweile den Vorfall auf der Brücke als Massaker bezeichnet.
Der JAG saß in der Klemme. Die juristische Frage lief Gefahr, zwischen den beiden konkurrierenden Fraktionen, den Streitkräften und den politischen Mächten, zerrieben zu werden. Es war eine Situation, in der nichts zu gewinnen war.
Commander Farrell beschloss, dass der Fall des SEAL-Commanders, egal wie er aussehen mochte, nicht einfach eingestellt werden konnte. Dafür war die Sache zu brisant; zu viel stand auf dem Spiel. Das Pentagon pochte darauf, den Fall so abzuschließen, dass die Vereinigten Staaten im bestmöglichen Licht erschienen. Das war nicht möglich, indem man die Angelegenheit unter den Teppich kehrte.
Jeder, der an der Foxtrot-Platoon-Katastrophe beteiligt gewesen war, sollte also in drei Wochen nach San Diego ausfliegen. Und um acht Uhr, an einem klaren Wüstenmorgen, wurde Lieutenant Commander Mackenzie Bedford eröffnet, dass sein Fall an den Ermittlungsausschuss der US Navy im SPECWARCOM verwiesen würde. Die offizielle Empfehlung würde lauten, ihn aufgrund rücksichtslosen Verhaltens im Angesicht des Feindes und sehr wahrscheinlich wegen Mordes an zwölf irakischen Bürgern vor das Militärgericht zu stellen.