KAPITEL SIEBEN
Harry Remson wusste nicht, ob er aufspringen und jubeln oder nach seinen Bluthochdrucktabletten greifen sollte. Männer hatten den olympischen 200-Meter-Lauf schon mit einer niedrigeren Herzfrequenz gewonnen, als Harry sie in diesem Augenblick hatte. Er versuchte ruhig und gefasst zu bleiben und nahm einen langen Schluck von seinem Whisky-Soda. »Mack«, sagte er schließlich, »habe ich dich recht verstanden?«
»Ich glaube schon, Harry. Ich habe Raul, dem ich nicht fünf Zentimeter über den Weg traue, gefeuert und melde mich jetzt freiwillig, um den Auftrag zu den gleichen Bedingungen zu übernehmen.«
Harry stand auf und schritt durch den Raum, um sein Glas nachzufüllen. Er hob den Dekanter. Bevor er sich einschenkte, sagte er leise: »Es geht um Tommy, oder? Du machst es für Tommy.«
»Größtenteils«, erwiderte der ehemalige SEAL-Commander.
»Das ist gut«, sagte Harry. »Es gehört nicht viel dazu, sich als Auftragskiller zu verdingen. Aber man muss ein ganzer Mann sein, wenn man für seinen Sohn sein Leben aufs Spiel setzt.«
»Ich nehme an, du weißt um meine Situation und von der Schweiz?«
»Ja. Ich habe gestern mit deinem Dad gesprochen. Es kostet eine Million, stimmt’s? Damit sie die Operation durchführen – das Knochenmark?«
»Das ist der Preis. Fix. Keine Extras, inklusive Unterbringung für Anne, bis zu einem halben Jahr, wenn nötig. Eine Million US-Dollar.«
»Mack, das Geld ist schon bezahlt. Wenn du die Sache übernimmst, schieße ich die erste Million sofort vor. Ich lasse sie vom Konto in Frankreich direkt auf das der Schweizer Klinik überweisen. Du kannst schon die Tickets buchen.«
»Und was, wenn ich scheitere?«
»Betrachte das Geld als eine nicht rückzahlbare Einlage. Aber ich weiß, du wirst nicht scheitern.«
Mack lächelte. »Ach j a?«
»Klar. Meiner Meinung nach bleibt Henri Foche nicht mehr viel Zeit.« Harry Remson sah aus, als wäre ihm soeben das Gewicht der Welt von den Schultern genommen, als wären mit der unverhofften Anwerbung des ehemaligen SEAL-Commanders alle seine Probleme gelöst. »Mack«, sagte er, »vergiss eines nicht. Bis jetzt hatte ich niemandem, dem ich die Ausführung dieses Projekts wirklich anvertraut hätte. Ich weiß, du hast Kontakte hergestellt, aber das war mit Gefahren und Misstrauen verbunden. Du hattest recht, dir Sorgen zu machen – die Typen in Marseille hätten einfach mit dem Geld durchbrennen können, ohne auch nur einen Finger zu rühren.«
»Ich habe ihnen nicht getraut, Harry.«
»Aber ich traue dir. Ich weiß, du wirst diese Sache angehen, als wärest du immer noch bei den SEALs. Ich weiß, du wirst alles sorgfältig planen und es ebenso durchziehen. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass ich für mein Geld einen echten Gegenwert bekomme. Garantiert.«
»Harry, ich kann dir nicht garantieren, dass ich Erfolg habe.«
»Das sollst du auch gar nicht. Aber dein Handschlag ist mir lieber als tausend ausformulierte Verträge. Du bist ein US-Marineoffizier, ein Gentleman, ein lebenslanger Freund. Ich weiß, du wirst alles geben, du musst es gar nicht sagen … du machst es für dich, für Anne, für mich, für die Stadt und vor allem für Tommy.«
»Das kann ich dir versichern«, erwiderte Mack.
»Und so wie ich dich kenne, wirst du dir bereits Gedanken zur Ausführung gemacht haben – über den Zeitrahmen, die Kosten und so weiter.«
»Darüber mache ich mir schon seit einer Woche Gedanken. Nicht für mich, sondern für Raul. Aber die wesentlichen Punkte sollten in beiden Fällen gleich sein.«
»Erzähle.«
»Raul sollte zwei Millionen für das Projekt bekommen. Von Kosten war nicht die Rede. Daher nehme ich an, dass er sie aus seinem Anteil des Geldes beglichen hätte. In meinem Fall danke ich dir für das Geld für Tommy aus ganzem Herzen. Meine Kosten werde ich mit der zweiten Million decken, genau wie Raul. Aber ich bin ärmer, daher brauche ich einen beträchtlichen Vorschuss.«
»Gut«, sagte Harry. »An welche Größenordnung denkst du so?«
»200 000 Dollar, etwa 10 000 in US-Dollar, den Rest in Euro und britischen Pfund. Ich habe vor, über den Süden von Irland und England nach Frankreich zu kommen. Und es stehen einige wichtige Einkäufe an.«
»Die wären?«
»Ein Scharfschützengewehr, speziell auf mich zugeschnitten. Daneben ziemlich teure Unterwasserausrüstung.«
»Wofür das denn?«
»Foche ist in großem Maße an der Schiffbauindustrie beteiligt. Laut dem Zeitschriftenartikel hält er die meisten seiner wichtigen Reden vor Werftarbeitern. Dort werde ich ihn erledigen, auf einer Werft, und mein Fluchtweg wird übers Wasser sein.«
Zum ersten Mal hatte Harry Remson das Gefühl, dass das Projekt in eine neue Phase trat – so wie ein verschwommenes Foto, das plötzlich scharf wurde und die harte, bloße Realität zeigte. Der Attentäter, die Kugel, das Opfer, das Blut, die Schlagzeilen.
»Heilige Scheiße!«, entfuhr es dem Werftbesitzer. Er nahm einen weiteren ausgiebigen Schluck von seinem Scotch, betrachtete Mack und glaubte, eine Veränderung wahrnehmen zu können. Vor ihm stand nicht mehr der fröhliche junge Mann, der es im Militär weit gebracht hatte, aber immer bereit gewesen war, anderen die Hand der Freundschaft zu reichen. Hier stand ein Profi, dem es todernst war. Ein Profikiller, so wie alle SEALs der US Navy im Grunde nichts anderes waren als Profikiller, eigens dafür ausgebildet, das in die Tat umzusetzen, was sich andere noch nicht einmal im Traum vorstellen konnten.
Hier stand er also nun vor ihm und umriss die Eckpunkte der Operation, entwarf die Anatomie eines Attentats, das er, Harry, finanzierte und ermöglichte. Den Bruchteil einer Sekunde überlegte er, ob er einen Rückzieher machen und alles abblasen sollte, aber dann dachte er an die Werft und an die Männer, die er mitten im Winter in die kalten Straßen Dartfords entlassen musste. Nein, er würde sie nicht im Stich lassen. Er durfte sie nicht im Stich lassen.
Er wandte sich wieder dem Attentäter zu, Lieutenant Commander Mackenzie Bedford. »Wann willst du fliegen?«
»In zwei Wochen. Ich brauche drei gefälschte Pässe, die kommen teuer, dazu drei passende Führerscheine, einen amerikanischen, einen irischen und einen Schweizer. Darum musst du dich kümmern, aber ich kann dir die Kontaktadressen geben, CIA-Freiberufler. Kostspielige, aber perfekte Dokumente.«
»Werden die denn Zeit haben?«
»Klar. Wenn es sein muss, machen die so was über Nacht. Sie haben Blankovordrucke für fast jedes Land der Welt.«
»Du teilst mir die Einzelheiten zu deinen Identitäten mit?«
»Morgen. Ich bringe sie persönlich vorbei. Die Dokumente kommen dann per Kurier, 5000 Dollar pro Stück.«
»Flugtickets?«
»Businessclass, Boston – Dublin, hin und zurück. Aer Lingus. Auf den Namen im neuen amerikanischen Pass. In Europa zahle ich dann alles selbst. In bar.«
»Sonst noch etwas?«
»Nein. Um alles andere kümmere ich mich.«
»Muss ich wissen, wie, wo und wann es stattfindet?«
»Auf keinen Fall. Du wirst es nie erfahren, und hoffentlich sonst auch niemand.«
Harry Remson schwankte zwischen blinder Bewunderung und aufrichtigem Entsetzen und konnte alles noch gar nicht glauben. Es würde wirklich geschehen. Vor ihm stand der Mann, der Henri Foche töten würde.
Er versuchte ihn so zu sehen, als hätte er einen Fremden vor sich. Er sah einen großen, durchtrainierten Mann. Jungs vom Militär hatten etwas Besonderes an sich. Hartes Training, bewusste Ernährung, wenig Alkohol. Sie strahlten Stärke aus, Härte, als könnten sie jederzeit zu Godzilla mutieren, was bei Mack Bedford ganz sicher vorstellbar war. Sein Gesicht war kantig, Lachfalten zogen sich um die tiefen, graublauen Augen, in seinem Blick lag nichts Boshaftes. Ein Mann, der sich nicht so leicht vom einmal eingeschlagenen Weg abbringen, der sich nicht einschüchtern ließ. Harry Remsons Meinung nach war es nicht das Gesicht eines Attentäters. Es war das Gesicht eines geborenen Führers, eines Mannes, dem andere folgten. Harry fragte sich, wie Mack mit seiner neuen Rolle zurechtkommen würde, wenn er außerhalb des Gesetzes operierte und sich mit Präzision und Skrupellosigkeit seinem Ziel näherte.
Nach einigem Nachdenken kam er zu dem Schluss, dass es keinen Besseren gab, um die Werft zu retten. Es war Harrys Glücksnacht, und im Moment war es ihm scheißegal, ob es Mitternacht war; es wäre ihm sogar egal gewesen, wenn es vier Uhr morgens an Weihnachten gewesen wäre, das heißt, acht Glasen, Ende der Hundswache.
Er wandte sich an Mack und streckte ihm die Hand hin. »Wir brauchen keinen Vertrag. Dein Handschlag genügt.«
»Eine Frage noch«, sagte Mack. »Was passiert, wenn ich auf der Flucht von französischen Sicherheitskräften erschossen werde? Was geschieht dann mit Anne und Tommy?«
»Ich werde mich um alles kümmern. Die zweite Million gehört Anne. Soll ich dir einen Schuldschein ausstellen?«
»Nein.«
»Treffen wir uns morgen früh in meinem Büro, um die Sache mit den Pässen zu klären?«
»Beginn der Vormittagswache – acht Uhr.«
Harry Remson verspürte ein Hochgefühl. Irgendwie befand er sich mitten in einer militärischen Operation, die so geheim war, dass er das Gefühl hatte, sie wäre fast schon wieder legal – nun ja, fast legal. Aber in seiner Selbstgerechtigkeit war er davon überzeugt, das Richtige zu tun.
Sie gingen zur Tür, wo er Mack verabschiedete. Er sah dem Buick nach, der sich nahezu lautlos in Bewegung setzte und in Richtung Stadt abbog. Eine Weile lang stand er nur da, schüttelte den Kopf und sagte leise: »Großer Gott, was tun wir hier bloß?«
Es war sechs Uhr in der französischen Hafenstadt Marseille. Fast jeder, der im Umkreis des alten Hafens lebte, hatte in irgendeiner Weise mit dem Meer zu tun. Fischkutter entluden ihren Fang; andere tankten auf, um sich aufs Auslaufen vorzubereiten. Die Küchenchefs der großen Jachten, die sich an den Anlegestellen reihten, waren damit beschäftigt, für Crew und Gäste das Frühstück zu bereiten.
Einer jedoch hatte nichts mit dem Meer zu tun. Er ging mit zielgerichteten Schritten den Quai des Belges in nördliche Richtung hinauf, an einem Fischmarkt vorbei, und hatte dabei eine Miene wie ein liebeskranker Bluthund. Raul Declerc war alles andere als glücklich. Der Grund dafür war sehr einfach: Er hatte von Mr. Morrison, dem Mann, der anscheinend zwei Millionen Dollar hatte, nichts mehr gehört. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was mit seinem so verlässlich wirkenden neuen Kunden geschehen war. Die Auszahlung des Vorschusses war in Genf ohne Probleme über die Bühne gegangen. Mittlerweile aber hatte Morrison zwei Anruftermine verstreichen lassen. Monsieur Declerc hatte ein flaues Gefühl im Magen, ein Gefühl der Leere, das – so sein beunruhigendes Gespür – sich bald auf seine Brieftasche ausweiten könnte.
Vor allem war er wütend auf sich selbst. Er hätte niemals versuchen sollen, jemandem wie Morrison eine zusätzliche Million aus den Rippen zu leiern. Selbst dessen Stimme hatte etwas Gefährliches an sich gehabt. In diesem Bruchteil einer Sekunde, als er die zusätzliche Summe vorgeschlagen hatte und von der ursprünglichen Vereinbarung abgewichen war, hatte er gewusst, dass er zu weit gegangen war. Morrison war wie eine angreifende Kobra auf ihn losgegangen – Völlig zwecklos, Kumpel. Die Worte hatte er nicht vergessen. Jetzt war Morrison verschwunden und hatte seine verfluchten zwei Millionen mitgenommen. Und er, Raul Declerc, hatte vermutlich seine Leute, die Hubschrauber und alles andere umsonst durch halb Frankreich geschickt. »Scheiße«, stieß er hervor.
Am Schlimmsten war aber, dass er keinerlei Anhaltspunkte hatte, wer dieser Morrison war, wen er repräsentierte, woher er angerufen hatte, außer, dass er sich höchstwahrscheinlich irgendwo auf diesem Planeten aufhielt. »Scheiße«, wiederholte er.
In seinem Gewerbe gab es bei Deals, die schiefgelaufen waren, allerdings häufig ein Abfallprodukt: kostbare Informationen, Einzelheiten über gewisse Pläne. In diesem Fall lag jedoch so wenig vor, was man als gesicherte Tatsachen bezeichnen konnte, dass er fürchtete, am Ende mit leeren Händen dazustehen. Mit nichts, was er verkaufen oder eintauschen konnte.
Mit unvermindert schnellen Schritten verließ er den Alten Hafen und ging in Richtung Place des Moulins. Er wollte früh am Schreibtisch sein, falls sich Morrison doch noch melden sollte. Vielleicht gab es sogar eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Aber er machte sich nicht allzu große Hoffnungen. Sein Gefühl sagte ihm, dass er es sich mit Morrison verscherzt hatte. Es würde keine zweite Chance geben. Nicht bei einem wie Morrison.
Mack Bedford traf kurz vor acht in der Werft ein. Harry Remson saß bereits am Schreibtisch. Er gab ihm folgende Daten:
Jeffery Alan Simpson. 13 Duchess Way, Worcester, Massachusetts. Geboren: 14. August 1978, Providence, Rhode Island, US-Pass, Nr.: 633452874. Ausstellungsdatum: Februar 2004. US-Führerschein. Ausstellungsdatum: März 2009. Fotos folgen.
Gunther Marc Roche. Rue de Bâle 18, Genf, Schweiz. Geboren: 12. November 1977, Davos, Schweiz. Schweizer Pass, Nr.: 947274902. Ausstellungsdatum: Juni 2005. Schweizer Führerschein. Ausstellungsdatum: Juli 2008. Fotos folgen.
Patrick Sean O’Grady. 27 Herbert Park Road, Dublin 4, Irland. Geboren: 14. Dezember 1977, Naas, County Kildare, Irland. Irischer Pass, Nr.: 4850370. Ausstellungsdatum: Januar 2008. Irischer Führerschein. Ausstellungsdatum: Mai 2009. Fotos folgen.
»Okay, Harry«, sagte Mack. »Das muss per Mail an die Typen in Bethesda, Maryland. Die E-Mail-Adresse ist auf dieser Karte. Sag ihnen, du schickst es im Auftrag von Lieutenant Commander Thomas Killiney. Er habe bereits angerufen. Die Fotos kommen heute Abend per Kurier. Und weise bitte deine Bank in Frankreich an, 30 000 Dollar direkt auf deren Konto zu überweisen – die Kontonummer findest du auch auf dieser Karte.«
Harry erwies sich als Top-Sekretärin und schickte die Mails umgehend an die verschiedenen Adressen. »Noch was, Captain?«
»Ja, lass deinen Bentley an, und fahr mich nach Portland. Sofort.«
Harry Remson war seit Jahren nicht mehr so gesprungen. Er eilte die Treppe hinunter, warf sich in seinen Wagen, und bald darauf rasten sie über die Route 127 nach Bath und dann weiter nach Brunswick, bevor sie auf dem Küstenhighway nach Portland fuhren. Knapp 45 Kilometer mit hoher Geschwindigkeit.
In der Stadt spielte Harry den Chauffeur und kutschierte Mack vom Optiker zum Friseur und dann zu einem der Fotostudios. Er half Mack sogar bei einer der Verkleidungen, die er schlichtweg für lächerlich hielt, einer blonden Perücke mit einem Schnauzer und einer randlosen Brille. Mack ließ sechs Fotos von sich machen, die für Jeffery Simpsons Pass und Führerschein bestimmt waren.
In einem anderen Laden der gleichen Fotokette tauchte er mit langem Lockenhaar und einem buschigen Vollbart auf – eine Reminiszenz an seine SEAL-Zeit, als er manchmal unter arabischen Einheimischen gearbeitet hatte. Erneut wurden sechs Fotos gemacht, die Bilder eines gewissen Gunther Marc Roche.
Dann kehrten sie zum ersten Laden zurück, wo Mack ein halbes Dutzend Fotos ohne jede Verkleidung erstellen ließ, das perfekte Ebenbild von Patrick Sean O’Grady.
Zurück in der Werft, beschriftete Mack sorgfältig jedes Bild, Harry wies seine Sekretärin an, einen FedEx-Kurier zu bestellen, und überprüfte selbst, ob seine E-Mail bei der französischen Bank eingetroffen war. Danach schlenderten sie in die Stadt zu Hank’s Fish Shack am Hafen und belohnten sich mit einigen Hummer-Sandwiches und Eiskaffee.
Sie hatten wenig gesprochen, seitdem sie die Werft verlassen hatten. Es war Mack, der schließlich das Schweigen brach. »Wenn man vom Feind erschossen wird, gilt das in meinem Gewerbe als akzeptables Risiko«, sagte er. »Aber wenn man den Papierkram versaut, ist das schon ziemlich dämlich.«
Harry lachte. »Mack, du kannst dir nicht vorstellen, wie zuversichtlich ich bin, dass du die ganze Sache durchziehst und unser aller Probleme löst.«
Mack nahm einen großen Bissen von seinem Sandwich und sagte: »Genau das ist der Grund, warum ich den Papierkram auf keinen Fall versauen will, weißt du?«
Gegen 14 Uhr fuhr Harry zur Werft zurück. Mack ging zu Fuß nach Hause, die Requisiten hatte er in die Taschen gestopft. Er war müde und hatte kaum geschlafen. Das Sofa war eben nicht mit seinem Bett zu vergleichen. Anne hatte einmal zu ihm hinuntergerufen und sich vergewissert, dass er da war. Er hatte es als Anzeichen für eine Art Waffenstillstand aufgefasst. Ein Waffenstillstand war in Ordnung, für eine Versöhnung aber fühlte er sich zu sehr verletzt. Es hatte wehgetan, was sie ihm in ihrer Wut an den Kopf geworfen hatte. Er hoffte, es war nicht ernst gemeint gewesen, dennoch, der Stachel ihrer Worte saß tief. Als er sich am Morgen um halb acht zu Remson auf den Weg gemacht hatte, hatte er kaum an etwas anderes denken können. Und jetzt, als er in die lange Straße einbog, in der sie wohnten, zweifelte er wieder und fürchtete, sie hätte es wirklich ernst meinen können.
Dann sah er es. Vor ihm auf der Straße, gut 400 Meter entfernt, direkt vor ihrem Haus, stand ein Krankenwagen mit Blaulicht. Die Hecktüren waren geöffnet, zwei Sanitäter schoben eine Trage hinein.
Mack spurtete los, entsetzt, voller Angst, sie könnte Selbstmord begangen haben. Doch dann sah er sie aus dem Haus kommen, im gleichen Augenblick wurden die Hecktüren des Krankenwagens zugeworfen, in dem sich die beiden Sanitäter und vermutlich Tommy befanden. Er hob den Arm und schrie: »Wartet!«
Der Krankenwagen setzte sich in Bewegung. Bis Mack die Einfahrt erreichte, stand nur noch Anne dort, allein und untröstlich. Sie warf sich ihm nicht in die Arme, sondern stand nur da und sagte: »Er ist so krank, so krank. Und ich kann nur zusehen, wie er stirbt.«
Mack ging zu ihr und umarmte sie. Leise sagte er: »Erzähl mir, was passiert ist.«
»Ihm war übel, es wollte gar nicht mehr aufhören, und er hatte so große Angst. Ich wusste doch nicht, wo du steckst, also hab ich Dr. Ryan angerufen. Der hat gesagt, es sei nicht so schlimm, trotzdem ließ er Tommy sofort einliefern. Er sagt, ich soll in einer Stunde ins Krankenhaus kommen.«
Mack führte sie zum Haus und beschloss, ihr alles zu erzählen. »Anne, Tommy fliegt in die Schweiz. Ich habe das Geld aufgetrieben. Besorg dir die Unterlagen, und kümmere dich um alles. Er kann sofort los, wenn sie ihn nehmen.«
Anne sah ihn ungläubig an, und zum ersten Mal seit Tagen breitete sich ein Lächeln auf ihrem tränenverschmierten Gesicht aus. »Wirklich?«, fragte sie. »Er fliegt wirklich in die Schweiz?«
»Ihr beide«, sagte Mack. »Alles ist arrangiert und im Voraus bezahlt. Ruf an und mach einen Termin aus, ich besorg die Tickets. Und lass dir ihre Bankverbindung geben, das Geld wird von Frankreich aus überwiesen.«
Anne Bedford starrte entgeistert vor sich hin und musste sich einreden, dass das alles nicht nur ein Traum war. Schließlich sagte sie: »Das Geld kommt von Harry, oder? Ich weiß, es ist Harry.«
»Es gibt nur eine Bedingung«, erwiderte Mack. »Du darfst mich niemals fragen, wie ich das Geld aufgetrieben habe. Du darfst es auch gegenüber keinem anderen erwähnen. Sag nichts. Es geht keinen außer uns etwas an.«
Langsam kam sie zu ihm und schlang ihm die Arme um den Hals. »Hab ich dir schon mal gesagt, dass du, Mack Bedford, der wunderbarste Mensch bist, dem ich jemals begegnet bin?«
»Schon oft, glaube ich. Aber du hast auch gesagt, dass du mich hasst.«
»Das tue ich nicht. Die ganze Nacht habe ich mir gewünscht, ich hätte es nicht gesagt.«
»Schon faszinierend, was eine Million Dollar so alles bewirkt«, zog er sie auf.
Trotz allem musste Anne lachen, patschte ihm auf den Arm und ging die Krankenhausunterlagen holen.
»In der Schweiz ist es schon nach acht Uhr abends«, rief Mack. »Vielleicht geht keiner mehr ran.«
»Doch. In den Unterlagen steht, sie sind rund um die Uhr telefonisch zu erreichen – man kann jederzeit anrufen, es ist immer jemand da.«
»Na, bei einer Million pro Patient können sie sich wohl ein paar Angestellte zusätzlich leisten«, murmelte Mack, während er in der Küche Kaffee machte.
»Was hast du gesagt?«
»Ich? Nichts. Ich versuche nur mit der Kaffeemaschine zurechtzukommen.«
Mack hörte Anne am Telefon. Er trug Kaffee und Tassen hinaus auf die Veranda und wartete. In Gedanken war er ganz bei der anstehenden Mission. Die erste Sorge galt seiner körperlichen Fitness. Seit einer Woche – für einen Navy SEAL eine lange Zeit – hatte er kaum etwas getan. Er nahm sich vor, noch am Nachmittag ein Trainingsprogramm zu erstellen.
Dann erschien eine strahlende Anne. »Er kann in die Schweiz«, sagte sie. »Sie nehmen ihn. Sie hatten sogar schon Dr. Ryans Diagnose auf dem Computer. Wir fliegen am Dienstag. Die Klinik schickt einen Wagen zum Genfer Flughafen. Die Frau, mit der ich gesprochen habe, meinte, wenn sie selbst mal an Leukämie oder Ähnlichem erkranken würde und sich ihren Arzt aussuchen könnte, würde sie Carl Spitzbergen nehmen. Der wird auch Tommy behandeln. Ich bin ja so froh, Mack. Gott sei Dank.«
Mack selbst hatte insgeheim so seine Zweifel, ob Gott es gutheißen würde, wie das Geld aufgebracht wurde. Aber er sagte nur leise: »Ja, danke Gott. Ist es in Ordnung, wenn du ohne mich ins Krankenhaus fährst, oder soll ich mitkommen?«
»Nein, bleib du hier. Ich kenne das Krankenhaus mittlerweile in- und auswendig. Hier sind die Kontodaten, die du haben wolltest. Ich trinke noch aus, dann mach ich mich auf den Weg. Es sollte aber nicht so schlimm werden. Dr. Ryan sagt, Tommy müsste es wieder sehr viel besser gehen. Sie können im Krankenhaus zwar nicht alles, aber eine Übelkeit lindern, das schaffen sie gerade noch.«
So machten sich beide auf den Weg, Anne ins Krankenhaus und Mack wieder zur Werft, um Harry die Angaben zum Schweizer Bankkonto zu geben. Er versprach, den Betrag sofort zu überweisen.
Der nächste Teil erforderte einiges an Willenskraft. Mack ging nach Hause und zog Kampfstiefel und Shorts an. Maine besaß keine langen Sandstrände wie Coronado, weshalb er sich für die Küstenstraße entschied, wo er im gemächlichen Joggingtempo anfing und sich dann langsam steigerte. Die ersten eineinhalb Kilometer waren einfach, dann aber machte sich das bequeme Leben der vergangenen Woche bemerkbar. Er spürte einen dumpfen Schmerz in den Oberschenkeln, er fühlte sich kurzatmig. Er kannte die Zeichen. Er hatte nachgelassen – er war nicht mehr auf dem Fitnesslevel, das von einem SEAL-Commander, der einige Male auch aus Ausbilder fungiert hatte, erwartet wurde. Seine Schritte wurden schwerer, und er löste es, wie er alles löste: indem er sich noch mehr anstrengte, sich durch die Schmerzen kämpfte und sich auf jeden Schritt konzentrierte, als wäre es der härteste Schritt, den er jemals getan hatte.
Vor einer kleinen Bucht stieg der Weg etwas an, und hier gab Mack dann richtig Gas, beschleunigte die Schritte, trieb sich an und mobilisierte alle Kräfte. Mit aller Kraft und Entschlossenheit, die in ihm steckte – und das war eine Menge –, kämpfte er sich den Hügel hinauf. Selbst in seiner gegenwärtigen Verfassung wäre er mit großem Abstand vor der Ausbildungsgruppe in Coronado ins Ziel gekommen. Aber das war nicht das Level, auf das er abzielte. Was er wollte, war das Fitnessniveau eines Superman, eines Berglöwen mit Muskeln dick wie Stahlseile. Er wollte in einer Form sein, wie sie sonst keiner hatte, er wollte der Beste sein. Der Beste. So wie immer, seitdem er in der Kampfschwimmerausbildung, seinem ersten Jahr als SEAL, der Beste in seiner Einheit gewesen war.
Oben auf dem Hügelkamm sah er nach rechts hinaus zur Kennebec-Bucht, die an dem windstillen Julitag glitzernd vor ihm lag. Kurz überlegte er, ob er anhalten und das Meer betrachten sollte, das Meer seiner Jugend, wo er Segeln, Angeln und Schwimmen gelernt hatte. Aber er verwarf den Gedanken, biss die Zähne zusammen und machte sich auf den Weg den Berg hinunter. Wieder beschleunigte er, erreichte fast Höchstgeschwindigkeit, versuchte nicht allzu sehr zu keuchen, versuchte das Gleichgewicht zu halten und wusste, je schneller er wurde, umso leichter war es. Dann war er unten in der Bucht und verlangsamte etwas das Tempo.
Mittlerweile hatte er drei Kilometer hinter sich, und noch war er nicht so weit, dass er die zweite Luft nötig hatte. Sein Atem ging schwer, er fühlte sich müde und alles andere als entspannt, wie er es sonst war, wenn er sich anstrengte. Aber er lief weiter, bis am Ende der Bucht das Gelände wieder anstieg und sich ein steiler Hügel vor ihm auftat, den er und alle anderen seiner Schulkameraden gehasst hatten, wenn sie ihn mit dem Fahrrad hochfahren mussten. Dead Man’s Hill wurde er genannt, da vor 200 Jahren ein Schiff an seinem Granitfelsen auf Grund gelaufen und gestrandet war. Während die Besatzung das Schiff verlassen wollte, war ein Pulverfass explodiert und hatte die gesamte Mannschaft in den Tod gerissen. Die Leichen waren an Land gebracht worden, und die ortsansässigen Schreiner hatten am Berg Särge gezimmert, damit die Toten zum Friedhof gebracht werden konnten.
Etwas unwohl betrachtete Mack den Dead Man’s Hill. Er war schnell gelaufen, er war außer Atem. Als er sich allerdings an den Aufstieg machte, grummelte er nur: »Los, Mack, mach schon!« Er gab alles, seine Arme pumpten, die Kampfstiefel knallten auf den Teer. Plötzlich sah er vor sich einen Radfahrer in professioneller Radfahrerhose, der dennoch schwer mit dem Aufstieg zu kämpfen hatte. Und Mack stellte sich vor, der Radfahrer sei Obama bin Laden, der vor ihm abhauen wollte. Die Wut, die er damit weckte, trieb ihn an, er tat jeden Schritt, als wäre es sein letzter, um den Radfahrer einzuholen, ihn zu überholen, jeder Meter wurde zum schwersten Meter, den er jemals zurückgelegt hatte.
Der Radfahrer, ein junger Lehrer an der örtlichen Schule, starrte nur erstaunt Mack Bedford an, als er an ihm vorbeigekeucht kam. Kurz ging ihm durch den Kopf, dass dieser bescheuerte Typ irgendwie ein Verbrechen begangen haben musste – gewöhnliche Jogger waren normalerweise nicht von solch rasender Verzweiflung getrieben. Frustriert trat er in die Pedale, während Mack den Berg hinaufstürmte und anschließend hinter dem Bergkamm verschwand, um auf der anderen Seite wieder hinunterzujagen und nach einem Blick auf die Uhr die Fünf-Kilometer-Marke in Angriff zu nehmen.
Irgendwann auf der anderen Seite bekam er die zweite Luft, die Schmerzen ließen ein wenig nach. Er entspannte sich und schaffte die sieben Kilometer in 28 Minuten. Nicht schlecht. Sofort, ohne Pause, drehte er um, er schwitzte ausgiebig und war sehr zufrieden mit sich.
Nach gut 500 Metern begegnete er wieder dem Radfahrer, er hob die rechte Hand und grüßte ihn. Der Radfahrer allerdings war erschöpfter als Mack und konnte den Gruß kaum erwidern. Ihm schoss nur der Gedanke durch den Kopf, dass der Verrückte jetzt also zum Ort seines Verbrechens zurückkehrte.
Mack hielt sein Tempo aufrecht, lief gleichmäßig weiter, achtete bewusst auf jeden Schritt, trieb seinen Körper an die Grenze, wie er es so vielen Rekruten am Sandstrand von Coronado beigebracht hatte. Es gab keinen anderen Weg, man musste sich quälen, sich weiterzwingen, die Schmerzen auf sich nehmen, weil man wusste, dass irgendwann der Tag kam, an dem man das alles brauchte, an dem man sich auf seinen Körper verlassen musste – immer weiter, immer weiter, bis es wehtat.
Er wusste bereits, wie er die letzten 400 Meter zurücklegen wollte, so eisern war seine Entschlossenheit, dass er sich bereits jetzt davor fürchtete. Jeder normale Sterbliche hätte es gut sein lassen und wäre zufrieden nach Hause gejoggt. Aber nicht Mack Bedford. Er bog auf die leicht aufwärts führende Schlussgerade ein und gab noch einmal alles. Ein letzter Sprint, bei dem er glaubte, die Lunge würde ihm platzen, bei dem er so schnell lief wie auf der gesamten Strecke nicht. Er jagte die Straße entlang, bis er kurz vor einer Ohnmacht stand, bog in den Garten und brach nach Luft ringend auf dem Boden zusammen. Anne glaubte, er liege im Sterben – oder hätte es zumindest geglaubt, wenn sie es nicht bereits unzählige Male miterlebt hätte.
Tommy jedoch war dieser Anblick fremd, er kam aus dem Haus gesprungen und brüllte: »Mom! Mom! Dad ist tot! Ich glaube, die Deadheads haben ihn erwischt!«
Worauf Mack aufsprang und sich Tommy packte, ihn hochhob und rief: »Die erwischen mich nie! Ich hab die gottverdammten Deadheads niedergemacht!«
Mack ließ ihn nicht herunter, und Tommy lachte und wollte wissen, wo die niedergemachten Deadheads jetzt waren. Die liegen alle unter dem Bett, behauptete Mack. Und so ging es weiter, ein kleiner Junge und sein Dad, der scheinbar nichts, aber auch gar nichts mit einem heimtückischen Mordkomplott zu tun hatte.
Danach spielten sie eine Weile lang Baseball, bis Anne Tommy zu seinem Nachmittagsschläfchen rief. Mack ging in die Garage und holte eine 1,5 Meter lange Eisenstange heraus, ging damit zu einem Apfelbaum im Garten hinter dem Haus und verkeilte sie zwischen zwei Astgabeln, etwa 60 Zentimeter über seinem Kopf.
Klimmzüge, die Killer-Übung der SEALs, bei der man sich an die Stange hängt, sich langsam nach oben zieht, bis das Kinn über der Stange ist, diese Stellung hält und sich dann langsam wieder nach unten lässt. Eine untrainierte Person schafft vielleicht zwei davon, ein junger Sportler möglicherweise neun, und ein durchtrainierter SEAL an die 15. Mack Bedford schaffte 32, heute jedoch musste er bei 29 aufgeben. Es ist eine Disziplin, an der man sich jeden Tag, vorzugsweise zweimal, versuchen sollte.
Er begann langsam, absolvierte die ersten zehn mit langen, gleichmäßigen Zügen. Die nächsten zwölf waren schon härter. Der 26. Klimmzug war absolut mörderisch, die Schmerzen schossen ihm durch den Bizeps beider Arme, sein Kreuz pochte. Verbissen zog er sich erneut hoch, die Schmerzen fuhren durch die Schultern. Aber er schaffte es. Dann noch einmal, wobei er vor Schmerzen fast laut aufgeschrien hätte. Und noch immer hing er mit den Füßen über dem Boden und nahm den 29. Klimmzug in Angriff. Aber der war zu viel. Es fehlte ihm an Kraft in den Armen und Fingern, er schaffte es nicht mehr, das Kinn über die Stange zu bringen. Er glitt ins Gras. »Scheiße!«, brüllte er.
»Wie bitte?«, rief Anne aus der Hintertür. »Ich hab nicht ganz verstanden.«
Mack sah auf. »So ein Scheiß«, stöhnte er.
»Ja, dachte doch, so was gehört zu haben. Ich war mir nur nicht ganz sicher.«
Sie brachte ihm ein großes Glas Wasser. »Ich verstehe nur nicht, warum du dich auf einen Kampfeinsatz vorbereitest«, sagte sie. »Du bist jetzt zu Hause, du musst nicht mehr zurück.«
»Fitness – das ist einfach eine schlechte Angewohnheit«, grinste er. »Das kann man nicht einfach so aufgeben.«
»Ich weiß. Aber es gibt Fitness und Fitness. Die eine hat damit zu tun, dass man sich wohl fühlt und gesund ist. Die andere ist das, was Leute machen, bevor sie einen Eisbären mit bloßen Händen erwürgen wollen.«
»Das ist meine Art von Fitness«, sagte Mack. »Du hast nicht zufällig ein paar Eisbären in der Gegend gesehen?«
Anne lachte, wie sie es, nun ja, fast immer tat. Bewundernd sah sie ihn an. Er war wirklich ein ganz unglaubliches Exemplar von Mann. 33 Jahre alt, groß, ohne ein Gramm Fett zu viel, breite Schultern, und mit einem Charme, der sogar das steinerne Herz eines Verkehrspolizisten erweichen konnte. Allerdings vermutete sogar Anne, dass gewisse Terroristen aus dem Nahen Osten dieser Einschätzung nicht ganz zustimmen dürften.
»Zum Abendessen gibt’s Fischauflauf mit der zweiten Hälfte von dem Barsch und ein paar Muscheln, die ich bei Hank gekauft habe.«
»Und viel Käse in die Soße«, sagte Mack. »Dazu warmes Weißbrot und Folienkartoffeln. Genau wie ich es mag.«
»Noch was?«
»Ein hübsches kaltes Bier. Dann geh ich glücklich ins Bett. Wenn du mich lässt.«
»Ja, bitte«, kam es von ihr, und damit eilte sie so beschwingt ins Haus zurück, wie er sie seit seiner Rückkehr nicht mehr erlebt hatte.
Er kippte das Glas Wasser und starrte auf die Stange, die ihn besiegt hatte. Vorläufig. »Scheißding«, sagte er. »Morgen schaff ich dich.«
Er zog sein Superhandy heraus und rief Harry an, um sich zu vergewissern, dass das Geld überwiesen wurde.
»Alles erledigt, Mack«, antwortete er. »Das Geld ist unterwegs. Eine Million an die Klinik.«
»Du bist ein gottverdammter Held, Harry«, erwiderte er. »Sie fliegen am Dienstagabend.«
»Ja. Ich habe es eben überprüft. Boston – Genf. American Airlines, 21.30 Uhr. Morgen früh hab ich die Tickets, Hin- und Rückflug, Business Class. Willst du sie holen? Dann können wir kurz plaudern.«
»Ich werde um elf Uhr da sein, sechs Glasen. Dann können wir auf der Vormittagswache Kaffee trinken.« Er hörte Harry Remson noch kichern, bevor er auflegte.
Mack streckte die Arme und beschloss, dass er sich genug erholt hatte. Er trat durch die Seitentür in die Garage und ging zu dem kleinen Lagerplatz links vom Buick. Dort stand die Kiste, die er von Coronado nach Maine hatte schicken lassen. Ursprünglich hatte er sie schon letzte Woche auspacken wollen, schließlich befanden sich darin Sachen, die er ins Haus schaffen wollte – Bücher, Erinnerungsstücke und natürlich seine Uniformen, die nun im Schlafzimmerschrank hängen würden, bis er starb. Daneben gab es noch ein paar Dinge, von denen Anne nichts wissen sollte – zumindest nicht jetzt.
Er holte die Bücher und Uniformen heraus und legte sie auf die Motorhaube des Buick. Dann beugte er sich tief hinein und brachte seine SEAL-Taucherbrille zum Vorschein, die ursprünglich leuchtend rot, nun aber stumpf metallgrau lackiert war und nicht einen Lichtschimmer reflektierte. Jeder SEAL hatte eine solche Maske.
Dann seinen Taucheranzug, hochmoderne Unterwasser-Kleidung, leicht, aber unglaublich warm und mit Isolierschichten aus Kunststoff und Neoprenlaminat versehen. Die Farbe war schwarz, dazu eine Kopfhaube, die an Nacken, Stirn und Kinn eng anlag. An den Oberschenkeln des Anzugs waren vier Druckknöpfe für Macks spezielle SEAL-Flossen angebracht, die für gewöhnliche Sterbliche viel zu groß gewesen wären. Im Fußteil war jeweils die Nummer seines Kampftaucherausbildungskurses aufgemalt, kostbare Ziffern, die für ihn alles auf der Welt bedeuteten.
BUD/S 242. Acht unscheinbare Zeichen, die ihn an ein Asphaltrechteck in Coronado erinnerten, auf dem ein legendärer SEAL-Admiral ihm seinen goldenen Dreizack an die Brust geheftet hatte; einen Dreizack, der für immer bestätigen würde, dass er, Mack Bedford, von den 168 Absolventen zu den elf Auserwählten gehörte, die Amerikas elitärster Kampfeinheit beitreten durften. Erst dann wurde ihm seine Klassennummer in die Flossen gemalt. BUD/S, Basic Underwater Demolition/SEALs, der Ausbildungskurs, in dem alle zukünftigen SEALs auf die Probe gestellt wurden. Das war nun zehn Jahre her, aber er erinnerte sich daran, als wäre es gestern gewesen. So stand er in der Garage und hielt den Taucheranzug auf dem Arm, den er getragen hatte, als er seine Männer durch die Tiefen des Persischen Golfs geführt hatte, um Saddams Bohrinsel zu erobern.
Erneut sah er auf die Nummer, und über seine Erinnerungen legte sich ein Hauch von Trauer. Es waren Erinnerungen an die beste aller Zeiten, als er jedes Hindernis, das man ihm in den Weg stellte, genommen hatte. Er war über diesen Strand gehetzt, bis er verdammt noch mal fast ohnmächtig geworden war, er war seine Runden geschwommen, über und unter Wasser. Man hatte ihn an Händen und Füßen gefesselt und in den vier Meter tiefen Pool geworfen. Er war in den Schlauchbooten gerudert, bis er glaubte, er müsste sterben. Er hatte diese Boote hinter sich hergeschleift, er war mit den verdammten Dingern auf dem Kopf gelaufen. Er hatte die Boote über Felsen geschleppt, er hatte Baumstämme in die Höhe gehievt, er hatte sich verdammt noch mal den Arsch aufgerissen. Man hatte ihn angebrüllt, ihn beleidigt, ihn einen Schlappschwanz genannt, ihn an die Grenze seiner Belastbarkeit getrieben. Einmal hatte man ihn einige Minuten zu lang im eiskalten Pazifik gelassen, worauf man ihn ins Krankenhaus bringen musste, wo er vor Unterkühlung bewusstlos wurde. Und hatte er aufgegeben? Nein, Sir. Er hatte dem Fahrer des Krankenwagens befohlen, ihn sofort wieder zum Strand zu fahren, wo er auf der Stelle erneut ins Wasser getaucht war.
BUD/S 242. Diese Ziffern sagten ihm alles, was er über sich selbst wissen musste. Und als er zu einem der jüngsten Lieutenant Commander in der Geschichte der SEALs ernannt wurde, hatte er zum ersten Mal in seinem Leben das Gefühl gehabt, etwas erreicht zu haben, was es wert gewesen war. Denn diese Beförderung war noch beispielloser als die Kampfschwimmerausbildung. Dort hatten noch zehn andere neben ihm gestanden, als die Dreizacke ausgegeben wurden.
Lieutenant Commander Mack Bedford. Das war eine unschätzbare, einzigartige Ehre, die nur ihm zugefallen war … und dann hatte man ihm alles wieder genommen. Zumindest so viel, wie sie konnten. Was sie ihm nicht wegnehmen konnten, waren die Worte, die ihm ins Herz graviert waren:
Mein Land erwartet von mir, stärker zu sein als der Feind, körperlich wie geistig … Wenn ich niedergeschlagen werde, stehe ich wieder auf, immer wieder. Ich höre nie auf zu kämpfen. Ich bin hier, um für jene zu kämpfen, die nicht für sich selbst kämpfen können. Ich bin ein US Navy SEAL.
Vorsichtig griff er in die Kiste und holte einen weiteren kostbaren Gegenstand heraus, sein »Angriffsboard«, das an SEAL-Commander ausgegeben wird, die Unterwasserangriffe auf den Feind anführen. Das Board war leicht, es bestand aus widerstandsfähigem Styropor, maß etwa 45 Zentimeter in Länge und Breite und war im Wasser nahezu gewichtslos. In die flache Oberfläche waren drei Instrumente eingelassen: eine Uhr, ein Kompass und eine GPS-Anzeige. Das Board wird mit ausgestreckten Händen gehalten, sodass der SEAL-Commander, während er sich mit seinen riesigen Flossen durchs Wasser bewegt, nicht anhalten muss, um Zeit, Richtung oder die Position des Teams zu bestimmen. All das hat er gut lesbar vor Augen, schwach beleuchtet, ohne dass feindliche Suchmannschaften oder Wachen ein verräterisches Glimmen wahrnehmen würden. Mit diesem Angriffsboard hatte er die irakische Bohrinsel lokalisiert.
Er beugte sich hinunter und nahm seine von zahllosen Schlachten zerschrammte Ledertasche heraus. Ganz unten verstaute er darin das Angriffsboard, bedeckte es mit dem sorgfältig zusammengelegten Taucheranzug und den Flossen und stopfte daneben die große Unterwassermaske. Die Tasche besaß einen doppelten Boden, darin würde er die Pässe, Führerscheine und die Devisen im Wert von 200 000 Dollar verstauen, Euro für Irland und Frankreich, Pfund für England sowie Dollar für einen Notfall in den USA. Alles unter dem falschen Boden würde aus Pappe oder Papier bestehen und auf den Röntgengeräten an den Flughäfen nicht als gefährlich registriert werden. Die Ledertasche würde sein einziges Gepäckstück sein, von dem er sich nie weiter als einen Meter entfernen wollte.
Er stellte die Tasche hinter die Kiste, dann trug er die Bücher und Uniformen ins Haus. Sie aßen zu Abend, danach sah er mit Tommy noch die Red Sox. Anne war oben und packte ihre Koffer für die Schweiz.
Gegen neun Uhr fuhr Mack zu Harry und entschuldigte sich für den späten, unerwarteten Besuch. Harry, der mit seiner Frau Jane gerade zu Abend gegessen hatte, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Komm rein«, sagte er ihm. »Dann genehmigen wir uns einen Schlummertrunk, und du kannst mir die Neuigkeiten erzählen.«
Mack folgte ihm ins Arbeitszimmer und reichte ihm einen Zettel. Darauf hatte er sein Abflugdatum notiert: In sechs Tagen, einem Samstag, sollte es losgehen, Ankunft dann am Sonntagmorgen in Irland, wenn der Zoll und die Immigrationsbehörden weniger gewissenhaft wären. Hoffte er zumindest.
»Tickets auf den Namen Jeffery Simpson«, sagte er. »Rückflug muss offen bleiben. Also am besten erster Klasse. Dann kann ich ziemlich sicher sein, dass ich jederzeit einen Platz bekomme. Könnte sein, dass ich es dann eilig habe.«
Harry nickte. »Kein Problem, Junge. Ich bin heute Morgen angerufen worden – die Dokumente kommen per FedEx. Am Mittwochmorgen.«
»Perfekt. Übrigens, ich werde das Handy mitnehmen, wenn es dir recht ist, nur für dringende Notfälle. Die Nummer kann nicht zurückverfolgt werden. Wenn ich Foche eliminiere, wird landesweit nach dem Mörder gesucht. Ein Handy kann von der Polizei aufgespürt werden, nicht die Nummer, aber man kann feststellen, von wo die Einwahl erfolgt. Das kann mir gefährlich werden, mehr, als mir lieb ist.«
Harry Remson schenkte zwei Scotch-Soda ein. Dann sagte er: »Das Rauskommen ist der schwierigere Teil, oder?«
»Ja. Bei der Ankunft sucht keiner nach mir. Hoffe ich wenigstens. Aber bei der Flucht ist das ganze verdammte Land hinter mir her. Sobald ich den Abzug gedrückt habe, muss ich auch schon verschwinden – bevor Foche überhaupt auf dem Boden aufschlägt.«
Harry nickte. Und dann sagte er etwas, was ihm bereits seit Tagen durch den Kopf gegangen war. »Mack, ich habe dich nie darauf angesprochen. Aber von Anfang an hast du dich gewehrt, in dieses Projekt mit reingezogen zu werden. Selbst als du Raul gefeuert hast, wolltest du eigentlich nichts mehr damit zu tun haben. Herrgott, ich dachte schon, du wolltest mich ganz im Regen stehen lassen. Aber dann muss an diesem Abend doch was passiert sein. Du tauchst mitten in der Nacht auf und verkündest, dass du nicht nur weiterhin mitmachen, sondern die Sache auch noch selbst durchziehen willst. Das ist ein gewaltiger Meinungsumschwung. Was ist passiert? Hier geht es doch nicht nur um Tommy, oder?«
Mack lächelte reumütig. »Nein, Harry, es geht nicht nur um Tommy. Es lag an der Zeitschrift.«
»Zeitschrift?«
»Die du mir gegeben hast, die mit dem Foche-Artikel.«
»Interessanter Artikel, was?«
»Harry, der ist mehr als interessant. Darin war ein Bild von Henri Foche, aufgenommen vor seiner Rüstungsfabrik. Ich habe ihn sofort wiedererkannt. Ich habe ihn nämlich schon mal gesehen.«
»Was du nicht sagst! Wo?«
»Er stand am gegenüberliegenden Euphratufer, im Irak. Ich habe ihn an die fünf Minuten mit dem Fernglas beobachtet. Er hat den verdammten Bettlakenträgern gezeigt, wie man die Raketen abfeuert, er hat durch die Visiereinrichtung gesehen und ihnen erklärt, wie man damit zielt. Ich würde ihn überall wiedererkennen.«
»Und dann?«
»Dann kamen zwei Raketen angeflogen. Sie kamen über den Fluss und trafen meine Panzer, drei meiner besten Freunde verbrannten bei lebendigem Leib, wurden einfach kremiert im blauen Flammenmeer. Beide Raketen drangen einfach so durch die Panzerung.«
»Was waren das für Raketen?«
»Diamondheads, die, die von den Vereinten Nationen geächtet wurden, weil sie ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen. Meine Jungs haben niemanden angegriffen, und dann wurden sie von einer Rakete getötet, die in keinem Krieg eingesetzt werden dürfte. Sie starben also nicht in der Schlacht, sondern wurden kaltblütig ermordet.«
»Die Diamondhead wurde in dem Artikel erwähnt, oder?«
»Ja. Es gibt Hinweise, dass Foche sie herstellt, aber nichts davon lässt sich beweisen. Nur ich kenne die Wahrheit, denn ich habe ihn gesehen, kurz bevor meine Jungs verbrannt sind. Er ist es, keine Frage. Damals stand er neben seinem verdammten Mercedes, hatte dieses rote Zuhältertuch in der Brusttasche und wies die Iraker an, wie sie amerikanische Soldaten ermorden können.«
»Dieses Tuch trägt er auch auf dem Foto in der Zeitschrift«, erinnerte sich Harry.
»Dieses Tuch ist das eine. Als ich es sah, wusste ich, dass er es ist. Aber ich hätte ihn auch so erkannt.«
»Mack, du hast einen ebenso guten Grund, ihn zu liquidieren, wie ich.«
»Ich habe einen besseren Grund. Diese Jungs waren für mich so was wie eine Familie. Wir haben überall zusammen gekämpft. Und dann mit ansehen zu müssen, wie sie verbrennen – es war, als wäre ich selbst gestorben und in die Hölle gekommen. Anders kann ich es nicht erklären.«
»Für dich ist es also eine Art Rachefeldzug?«
»Da hast du verdammt noch mal recht. Dieser Foche hat meine Jungs auf dem Gewissen. Und in Frankreich scheint er mittlerweile unanfechtbar, weil man in ihm schon den nächsten Präsidenten sieht. Aber ich werde dafür sorgen, dass er das nicht wird. Darauf kannst du dich verlassen. Ich werde ihn finden.«
Harry wirkte nachdenklich. »Mack, wir sind gleichberechtigte Partner. Mein Geld, dein Verstand, dein Können, deine Planung. Aber lass nicht zu, dass deine Gefühle die Oberhand gewinnen. Bleib ruhig. Und konzentriert.«
»So hat man es mir beigebracht, Harry. Es ist einfach nur ein weiterer Einsatz. Taliban, El-Kaida, Aufständische, Raketenbauer – sie sind für mich alle verdammt noch mal gleich. Aber dieser Kerl wird damit nicht durchkommen.«
Harry Remson streckte ihm die Hand hin. Mack schlug ein. »Partner«, sagte er.
»Partner«, erwiderte Mack, und sie schüttelten sich die Hand.
Harry begleitete Mack zum Eingang. Nachdem er ihn verabschiedet hatte, wurde er allerdings mit einem gänzlich unerwarteten Problem konfrontiert. Seine Frau Jane kam ins Arbeitszimmer und fragte, warum Mackenzie Bedford ihn – und nicht zum ersten Mal – zu so ungewohnter Nachtzeit besuche.
»Ach, wir haben uns nur über ein Geschäft unterhalten, das möglicherweise verwirklicht wird. Falls wir die Werft schließen müssen.«
»Was du nicht sagst! Na, an deiner Stelle würde ich lieber die Karten auf den Tisch legen. Ich habe nämlich gehört, wie ihr beide darüber gesprochen habt, diesen französischen Politiker, diesen Foche zu ermorden.«
»Bist du verrückt geworden? Das haben wir nicht.«
»Nein? Dann darf ich ein paar Sätze zitieren, die ich von Mack aufgeschnappt habe? ›Wenn ich Foche eliminiere, wird landesweit nach dem Mörder gesucht.‹ – ›Bei der Flucht ist das ganze verdammte Land hinter mir her.‹ Und: ›Sobald ich den Abzug gedrückt habe, muss ich auch schon verschwinden – bevor Foche überhaupt auf dem Boden aufschlägt.‹«
Harry sah seine Frau an, mit der er seit 32 Jahren verheiratet war. »Jane, weder Mack Bedford noch mir bleibt in dieser Sache eine andere Wahl. Du musst mir glauben, vertrau mir.«
»Vertrauen? Dir vertrauen? Du meinst, ich soll ruhig mit ansehen, wie ihr beide die Ermordung des kommenden französischen Präsidenten plant und dann für den Rest eures Lebens ins Kittchen wandert? Glaubst du wirklich, du wirst damit durchkommen? Mein Gott, Harry! Das FBI wird in nicht mal einer Woche in unserem Garten stehen. In all den Jahren, in denen ich dich jetzt kenne, habe ich nie etwas derart Unvernünftiges von dir gehört.«
Jane Remson, 58 Jahre alt, war eine gut aussehende Dame, schlank, grazil und elegant, immer wie aus dem Ei gepellt und mit einer natürlich schimmernden blonden Haarpracht gesegnet. Dass sie auch im 21. Jahrhundert noch so gut aussah, hatte Harry seiner persönlichen Einschätzung zufolge an die sieben Millionen Dollar gekostet.
Er schätzte und liebte sie, wie auch sie ihn liebte. Aber noch nie hatte sie so mit ihm gesprochen. Allerdings hatte er auch noch nie vorgehabt, den nächsten französischen Präsidenten umbringen zu lassen.
Miss Jane, wie die Hausangestellten sie nannten, war noch nicht fertig. »Harry«, sagte sie, »ich bitte dich, diese unsinnige Sache abzublasen.«
»Das kann ich nicht«, antwortete er. »Und vielleicht solltest du dir vergegenwärtigen, dass ich niemanden umbringen werde. Ich bleibe hier und werde nie auch nur ein Sterbenswörtchen davon erwähnen. Ich wäre dir dankbar, wenn du es auch so halten könntest. Es hat nichts mit dir und, in gewisser Weise, auch nichts mit mir zu tun.«
»Harry! Wie kannst du nur so naiv sein? Ich habe vor der Tür gestanden und dich und Mack Bedford gehört, wie ihr euch über ein Attentat auf Henri Foche unterhalten habt! Meiner Meinung nach werdet ihr beide von der Polizei geschnappt und wegen Mordes angeklagt werden.«
»Andere zu belauschen kann sehr gefährlich sein«, sagte ihr Mann. »Man sollte es tunlichst bleiben lassen. Weil du nur einen Bruchteil der Wahrheit gehört hast. Seit einiger Zeit ist klar, dass diese Werft schließen muss, falls Henri Foche Präsident wird. Es gibt viele Möglichkeiten. Und Foche hat viele Feinde. Du hast zufällig nur einen kleinen Ausschnitt unseres Gesprächs gehört, einen winzigen Teil.«
»Na, für mich hat sich das anders angehört. Für mich klang es wie ein hinterhältiger Mordplan. Ich kann auch Mack nicht verstehen, warum er sich überhaupt mit dir darüber unterhält. Es ist nicht seine Werft, und du kannst doch nicht so dämlich sein und ihn für den Mord an Foche bezahlen. Wir sind hier nicht in Hollywood. Und was, wenn er geschnappt oder von Foches Sicherheitsleuten erschossen wird? Wie lange, glaubst du, wird die Polizei brauchen, bis sie in Dartford auftaucht? Es wird nur ein paar Tage dauern, bis du ebenfalls mit dem Verbrechen in Verbindung gebracht wirst.«
Harry hatte seine Frau selten so angsterfüllt gesehen. Natürlich wusste er, dass sie nur das Beste für ihn wollte. Aber ihre Entschlossenheit und klarsichtige Einschätzung begannen ihm auf die Nerven zu gehen. Also beschloss er, andere Saiten aufzuziehen. »Jane«, sagte er, »du hast jahrzehntelang sehr gut von meinem Familienunternehmen gelebt. Sämtlicher Luxus, den ich dir geben konnte, stammt von Sam Remsons Werft. Ich habe mich nie als Eigentümer gesehen, immer nur als Sachwalter zukünftiger Generationen. Ich weiß, wir haben nur zwei Töchter, das hat an meiner Einstellung aber nie etwas geändert. Ich bin es dieser Familie, den Arbeitern und der Stadt schuldig, alles in meiner Macht Stehende zu tun, damit Henri Foche nicht Präsident wird und wir hier dichtmachen müssen. Wenn wir nur noch einen Auftrag von der französischen Marine bekommen, könnte ich einige internationale Top-Vertriebsleute einstellen, die für uns neue Geschäftsfelder erschließen. Das mussten wir in 100 Jahren nicht tun. Aber was wir nicht können, ist, drei oder vier Jahre ohne Arbeit zu überleben …«
»Aber Harry«, warf Jane ein, »wir werden nicht jünger. Wir brauchen die Werft nicht. Das Land ist ein Vermögen wert – wir könnten es verkaufen und bis an unser Lebensende sorglos leben und den Winter auf dem Boot verbringen. Was denkst du dir bloß, dich auf einen Mord einzulassen?«
»Jane Remson, wenn ich diese Werft verkaufe und die Stadt ihrem Schicksal überlasse, kann ich nicht mehr in den Spiegel blicken. Ich würde es nie verwinden. Ich würde dann wahrscheinlich in Saint Bart oder irgendwo sonst sitzen, zu viel trinken und darauf warten, dass ich sterbe. Aber das werde ich nicht tun. Ich habe mich auf diesen Kampf eingelassen. Und ich werde mich nicht zurückziehen.«
»Aber es kann doch nicht dein Ernst sein, dass du Mack Bedford zu diesem Mord losschickst …«
»Keiner hat gesagt, dass Mack Bedford jemanden umbringt. Aber er hat Freunde, ehemalige Spezialkräfte, Typen, die für internationale Sicherheitsunternehmen arbeiten und Söldner anheuern und dergleichen. Er versucht für mich einige Informationen einzuholen. Und jetzt will ich, dass du mir versprichst, nie wieder, nie wieder in deinem ganzen Leben zu erwähnen, was du gehört zu haben glaubst – mir gegenüber nicht und schon gar nicht Anne Bedford oder irgendjemand anderem gegenüber. Niemals. Soweit es dich betrifft, hast du nie etwas gehört.«
»Ich verstehe trotzdem nicht, warum sich Mack Bedford auf so etwas überhaupt einlässt.«
Harry Remson sah so wütend aus, wie es seine Frau noch nie an ihm erlebt hatte. Er stand auf und trat vor sie, nicht unbedingt bedrohlich, aber so unfreundlich, dass ihr kurz der Atem wegblieb.
Er stand vor ihr und sagte ganz langsam: »Kein Wort mehr, Jane. Es tut mir leid. Aber es steht zu viel auf dem Spiel. Kein einziges Wort mehr.«
Mack Bedford fuhr Anne und Tommy am Dienstagabend zum Bostoner Logan Airport. Harry hatte Erste-Klasse-Tickets nach Genf bestellt und dafür gesorgt, dass sich eine Fluglinienangestellte sofort um sie kümmerte, nachdem sie Check-in und Sicherheitskontrollen hinter sich hatten.
Es war nicht nötig, dass er einen Parkplatz suchte und wartete. Sie verabschiedeten sich außerhalb des Terminals. Tommy weinte, weil er einen ganzen Monat lang seinen Dad nicht sehen würde, und wollte unbedingt mit seinem Baseball-Handschuh durch den Check-in. Anne wollte, dass sich Mack so schnell wie möglich wieder auf den Weg machte, denn die Rückfahrt betrug an die 240 Kilometer, wovon das letzte Drittel über gewundene, einsame Küstenstraßen führte.
Und so verließ Mack in der aufziehenden sommerlichen Abenddämmerung den Flughafen und fuhr nach Norden zur Interstate 95, die zur kurzen Küste von New Hampshire führte und dann immer parallel zur felsigen Küste von Maine. Die Fahrt dauerte mehr als drei Stunden, das Haus wirkte sehr dunkel und abgelegen. Anne hatte monatelang mit Tommy allein hier gelebt, ganz im Gegensatz zu Mack, der jetzt nicht so recht wusste, ob er sich auf die nächsten vier Tage freuen sollte.
Er schaltete einige Lampen an und machte sich Kaffee. Er fühlte sich nicht müde, hatte aber einen Bärenhunger, also machte er sich ein Schinken-Sandwich, stibitzte sich ein paar von Tommys Kartoffelchips und durchsuchte den Kühlschrank nach Eis. Nichts.
Er schenkte sich Kaffee ein, öffnete den großen Umschlag, den er am Vormittag bei Harry abgeholt hatte, und zog die Dokumente heraus. Eingehend begutachtete er die drei Pässe. Es waren auf ihre Art absolute Kunstwerke. Er überprüfte die Daten, die Fotos und die Qualität des Drucks. Dann sah er sich die Führerscheine genauer an, ebenfalls wunderbare Fälschungen, und verglich sie mit den jeweiligen Pässen. Alle Daten stimmten überein.
Er ging mit dem Sandwich und dem Kaffee ins Wohnzimmer und sah im Fernsehen noch die Nachberichterstattung aus Baltimore, wo die Red Sox unerklärlicherweise vier zu zwei verloren hatten. Morgen würde er von Harry das Geld holen, bevor er sich auf seinen Abflug am Samstagabend vorbereitete. Plötzlich merkte er, wie müde er wirklich war, so müde, dass er auf die Wiederholung des Orioles-Red-Sox-Spiels verzichtete und sich ins Bett schleppte.
Er vermisste Anne hier mehr, als wenn er fort war, vielleicht, weil er ohne sie nie in diesem Haus gelebt hatte. Das Doppelbett schien riesig und leer, er rollte sich auf einer Seite zusammen und schlief sofort ein.
Fünf Stunden später schrillte der Radiowecker. Nach alter Gewohnheit war Mack sofort wach; er stand auf, schlüpfte in seine Shorts, sein marineblaues Ausbilder-T-Shirt und zog Socken und Kampfstiefel an. Er hatte einen Plan und musste noch vor Tagesanbruch auf sein, wenn er ihn ausführen wollte.
Er ging nach unten, ließ den Buick an, und sechs Minuten nach dem Aufwachen war er unterwegs. Er brauchte einen Strand, den es in dieser Gegend nicht gab; er brauchte einen Strand, denn da wurden SEALs ausgebildet. Die beiden einzigen SPECWARCOM-Kasernen in den USA lagen an Sandstränden, einmal in Virginia Beach, die andere am Strand von Coronado, San Diego.
Es hatte etwas, wenn man auf Sandstränden trainierte. Das Laufen fiel schwerer, war anstrengender, es kostete mehr Energie und schulte die Aufmerksamkeit, da die Rekruten ihr Augenmerk immer auf die feuchten Abschnitte richten mussten, auf denen man nicht so tief einsank.
In Coronado waren die Rekruten oft noch vor dem Morgengrauen härtesten Torturen ausgesetzt. Ganz schlimm wurde es, wenn der Ausbilder jemandem zubrüllte: »Ins Wasser und in den Sand.« Womit nichts anderes gemeint war als: »Stürz dich mitsamt Stiefeln und allem in den gottverdammten eiskalten Pazifik, komm wieder raus, und wälz dich im Sand.« Es war im Grunde die reinste Folter. Keiner durfte stehen bleiben, die Stiefel füllten sich mit Wasser, die Männer quälten sich meilenweit durch den Sand, mit Füßen so schwer wie Blei. Aber so wurden sie zu Kämpfern geschliffen, es machte sie hart. Verglichen mit der Härte der Kampfschwimmerausbildung war alles andere reines Kinderspiel.
Der gesamten Küste von Maine bis hinauf nach Kanada fehlt es an langen Stränden, dafür finden sich Hunderte von felsigen Buchten, Häfen und Inseln. Luftlinie ist die Küste nur 400 Kilometer lang, rechnet man allerdings nach dem gewundenen Küstenverlauf, kommt man auf 4800 Kilometer. Nur ganz im Süden, von den Isles of Shoals über Kennebunkport bis hinauf nach Richmond Island, gibt es gerade Abschnitte. Hier liegen einige wunderbare unberührte, zum Teil kilometerlange Strände wie Old Orchard Beach, Wells und Scarborough.
Zu diesem, etwa 65 Kilometer von Dartford entfernten Sommerparadies war Mack unterwegs. Er wollte dort sein, bevor die Touristen und Urlauber auftauchten. Es war noch dunkel, als er die Brücke bei Bath überquerte und auf der Interstate 95, die er erst vor ein paar Stunden verlassen hatte, nach Süden fuhr.
Die Sonne ging gerade auf, als er am langen Strand auf den Parkplatz einbog. Er leerte seine Taschen, schloss den Wagen ab und ging über den Sand hinunter zum Wasser. Es war ein stiller Tag, flache Wellen schwappten an den Strand. Er sah nach links und rechts. In jede Richtung Sand, so weit das Auge reichte. Er machte sich auf den Weg, hinein in die aufgehende Sonne. Es war ein kühler Morgen, sehr viel kühler als in Kalifornien, die Wassertemperatur des Meers allerdings war vergleichbar. Kalt, verdammt kalt. Maine besaß viele Reize. Die Meerestemperatur gehörte nicht dazu. Es sei denn, man war ein Walross.
Mack hatte nun mehrere Tage hintereinander auf der Straße trainiert, aber schon nach wenigen Hundert Metern wurde der Unterschied deutlich, der größere Kraftaufwand, der am Rand des feuchten Strandabschnitts nötig war – wie in den alten Zeiten mit den Jungs, als wir am alten Hotel del Coronado vorbeihetzten.
Er beschloss, sich nach vier Kilometern einem ersten Härtetest zu unterziehen. So lief er weiter, achtete auf die Signale seines Körpers und war zufrieden damit. Das Atmen fiel leicht, die Beine schmerzten nicht, und an der Vier-Kilometer-Marke schloss er die Augen und versuchte sich Ausbilder Mills vorzustellen, der neben ihm herlief, scheinbar mühelos – »Bedford, du stellst dich einfach beschissen an … du läufst wie eine gottverdammte Memme!« Das war ihm häufig zugebrüllt worden, wenn er um sein Leben lief und zu den Führenden aufschloss. Er hörte das unterdrückte Lachen der anderen über die himmelschreiende Ungerechtigkeit, da ihnen schließlich an die 90 Männer hinterherhechelten.
Und dann, sehr viel leiser, der Befehl: »Bedford, ins Wasser und in den Sand.« Mack hatte es damals zu hören bekommen, er hörte es jetzt wieder, nach den vielen Jahren hallten sie in seinen Gedanken wider, diese gefürchteten Worte, die so viel dazu beigetragen hatten, ihn zu dem zu machen, der er jetzt war. Er bog scharf nach rechts und stürzte sich im gleißenden Licht der aufgehenden Sonne in den eiskalten Atlantik. Mitsamt Stiefeln und Klamotten. Wie damals bei seiner Kampfschwimmerausbildung.
Der Schock beim Eintauchen ins Wasser weckte unzählige Erinnerungen, und er schwamm los, den Kopf unter Wasser, während in der Eiseskälte sein Gesicht taub wurde. Er pflügte durchs Wasser mit einem der mächtigsten Armzüge, die die Ausbilder in Coronado jemals zu sehen bekommen hatten. An seinem ersten Tag im SEAL-Pool hatte er einen der Ausbilder sagen hören: »Was zum Teufel ist dieser Scheiß-Typ, ein Fisch oder was?«
Mack schwamm 500 Meter weit hinaus, bevor er mit unvermindertem Tempo zum Strand zurückkehrte. Er stapfte das Ufer hinauf, warf sich zu Boden und wälzte sich im tiefen trockenen Sand. Schließlich stand er auf, nahm steife Habachtstellung an, und irgendwo, tief in seinem Hinterkopf, hörte er den Ruf der Getreuen – Hoo-ja, Mack Bedford! So etwas vergaß man nicht. Sein ganzes Leben nicht.
Er setzte sich nach Osten hin in Bewegung, stapfte voran, sah auf seine Uhr, zählte die Kilometer. Oben am Ende des Strands hatte ein staatlicher Parkplatzaufseher, der gerade seinen Dienst angetreten hatte, beobachten dürfen, wie Mack aus dem Wasser kam. Er schüttelte nur den Kopf und war überzeugt, es mit einem völlig Durchgeknallten zu tun zu haben.
Noch zweimal stürzte er sich ins Meer, einmal nach sechs Kilometern und dann am Ende seines Pensums, diesmal nur noch, um sich den Sand vom Leib zu waschen, der das Laufen so anstrengend gemacht hatte. Mit einem fröhlichen Lächeln im Gesicht schlenderte er zum Parkplatz zurück. Er hatte es noch drauf. Noch immer. Kein Problem. Hoo-ja, Mack.
Er zog seine nassen Sachen aus, benutzte eines der beiden Handtücher, die er mitgebracht hatte, als Sarong und legte das zweite über den Sitz. Noch immer war niemand zu sehen. Es war erst sieben Uhr.
Gegen halb neun war Mack wieder zu Hause, duschte und zog sich trockene Sachen an. Nach den vergangenen Tagen fühlte er sich großartig, er hatte einen Grad an Fitness erreicht, den nur die kennen, die ihr Leben lang darauf hintrainiert haben. Seine Muskeln waren geschmeidig, die Reaktionen pfeilschnell, er verfügte über eine innere Stärke, die ihm gnadenloses Selbstvertrauen verlieh.
In kürzester Zeit hatte er seine alte SEAL-Form wiedererlangt, das Gefühl körperlicher und mentaler Überlegenheit, das ihn unverwundbar machte: so wie sich alle SEALs fühlen mussten, wenn sie in den Kampf zogen.
Er hatte sich auf diesen Einsatz vorbereitet, weil er um die Gefahren wusste. Er musste unbemerkt nach Frankreich kommen, er musste, falls nötig, dazu bereit sein, es mit bewaffneten Sicherheitskräften aufzunehmen. Für gewöhnliche Zeitgenossen wäre es eine nervenaufreibende, spannungsgeladene Operation geworden. Für Lieutenant Commander Bedford war es nur das, was er schon immer getan hatte. Er war nicht nervös, er hatte keine Angst. Allerdings war er dankbar dafür, dass seine Gegner zumindest keine Diamondheads auf ihn abfeuern würden, auch wenn deren Boss die verdammten Dinger baute.
Kurz nach elf machte er sich an die Eisenstange und kam auf Anhieb, ohne dass ihm der Schweiß ausbrach, 32 Mal mit dem Kinn über die Stange. Eine geradezu übermenschliche Leistung, wie er wusste. In all den Jahren bei der Navy hatte er nie erlebt, dass jemand sie übertroffen hatte.
Gegen Mittag ging er zu Harry ins Büro, um das Geld abzuholen. Sein Partner hatte alles vorbereitet. Die Scheine waren zu Bündeln im Wert von jeweils 4000 Dollar gepackt; 54 dieser Bündel, drei Lagen mit jeweils drei Reihen zu sechs, befanden sich, eng geschlichtet, in einem Lederkoffer. In dem Geheimfach in seiner Ledertasche würde mehr Platz sein.
Sie tranken zusammen Kaffee, und Harry reichte ihm das Aer-Lingus-Ticket für Dublin, Hin- und Rückflug erster Klasse. Sie einigten sich darauf, sich nun nicht mehr zu treffen oder miteinander zu sprechen. In diesem Stadium der Planung sollten sie nicht mehr zusammen gesehen werden.
Mack hatte nur noch eine letzte Bitte. Harry sollte dafür sorgen, dass er den 50-Meter-Pool des privaten Golf and Country Club außerhalb von Portland benutzen dürfe. Er wollte an den verbleibenden Tagen nicht mehr auf den Straßen laufen; Schwimmen war die sicherste Art, die Fitness aufrechtzuerhalten, ohne Gefahr zu laufen, sich Muskeln, Sehnen oder Gelenke zu zerren oder zu verletzen.
Unfälle oder Fehler konnten sie sich nun nicht mehr leisten. Mack wollte jeden Tag mehr als 50 Bahnen schwimmen. Und so fuhr er jeden Tag zum Country Club, trug sich als Mr. Patrick O’Grady ein, als irischer Freund von Harry Remson, und nahm sein Training auf.
Am Samstagnachmittag hatte er alles gepackt, das Bargeld war unter der Taucherausrüstung verstaut. Er nahm kaum Kleidung mit, nur einige T-Shirts, Unterwäsche, Rasierzeug, Zahnpasta und Socken. Er war unbewaffnet. Er trug seine blonde Perücke, den dünnen Schnauzer und eine randlose Brille. Es war erstaunlich, wie verändert er aussah. Gekleidet war er mit einer dunkelgrauen Hose, schwarzen Halbschuhen und einem dunklen Tweed-Sportmantel. Ein blaues Hemd mit kastanienbrauner Krawatte vervollständigte sein unauffälliges Erscheinungsbild.
Um vier Uhr fuhr eine schwarze Limousine vor dem Haus vor; sie stammte von einem privaten Chauffeursdienst aus Portland und war von einem Mr. Harry Remson, dem Vorsitzenden von Remson’s Shipbuilding, Dartford, Maine, bestellt worden.
»Guten Tag, Mr. O’Grady«, begrüßte ihn der Fahrer. »Zum Logan Airport, richtig?«
»Genau. Aer Lingus. Terminal E.«
»Darf ich Ihnen die Tasche abnehmen, Sir, und sie im Kofferraum verstauen?«
»Nein, danke. Ich behalte sie lieber bei mir.«
Sie fuhren los, über die lange Landstraße hin zur Hauptstraße, an der Mack erst vor wenigen Wochen aus dem Bus gestiegen war. Dort bogen sie links ab, und keiner der beiden bemerkte den dunkelblauen Bentley, der nach etwa eineinhalb Kilometern an der örtlichen Tankstelle stand.
Der Fahrer des Bentley allerdings sah sie. Er hatte fast eine Stunde auf sie gewartet, konnte es noch immer nicht richtig fassen und musste gegen die unerträgliche Spannung ankämpfen, die sich seiner bemächtigt hatte.
»Gott sei mit dir, Mack«, murmelte Harry Remson.