KAPITEL FÜNF

Noch nie hatte Mack Bedford so nahe davor gestanden, die Nerven zu verlieren. Exakt um 10.15 Uhr klappte er das Handy zu; er lehnte an einem Felsen an der Kennebec-Mündung und teilte einem halben Dutzend unermüdlicher Flussuferläufer mit, dass er es einfach nicht konnte. Harry Remson musste sich einen anderen suchen. Er, Lieutenant Commander Mackenzie Bedford, konnte sich nicht sehenden Auges unter die Verbrecher begeben, schon gar nicht unter solche zwielichtigen Ganoven und gedungenen Mörder, die in einer Seitengasse in Marseille hausten. Das konnte niemand von ihm verlangen.

Schon schlimm genug, dass er ein Telefonat geführt hatte, um die Ermordung des nächsten französischen Präsidenten in die Wege zu leiten. Allein das konnte ihm an die zehn Jahre Knast einbringen. Mack stand auf, schob das Handy in die Tasche und ging den Uferpfad zurück. Dann dachte er an seinen alten Freund Harry und daran, was auf dem Spiel stand. Für den Remson-Boss gab es keinen Grund, sich auf das alles einzulassen. Er hatte genügend Geld, er könnte sich einfach in sein Schicksal fügen und die Werft dichtmachen. Es würde sein Leben kaum berühren.

Wahrscheinlich wäre er ohne die Werft sogar besser dran. Ihm gehörte eine wunderbare 23-Meter-Ketsch, die er in Saint Bart in der Karibik liegen hatte, dort könnte er den Winter verbringen, er müsste nicht in Frost und Schnee ausharren und sich mit den Problemen der Schiffbauindustrie in Maine herumschlagen.

Nein, Harry setzte nicht für sich und seine Familie sein Leben aufs Spiel. Seine Frau Jane konnte ganz wunderbar ohne die Werft auskommen. Harry machte es für die Bewohner von Dartford. Er gab zwei Millionen Dollar aus und riskierte eine Gefängnisstrafe, nur damit alle Arbeit, Essen und ein Auskommen hatten. Nicht einen Dollar für sich selbst. Alles für die Stadt. Mit dem Risiko, dass er alles verlieren konnte.

Und da war nun er, Mack Bedford, und schreckte vor einem Telefonat zurück, mit dem er seinen Mitbürgern in Dartford helfen könnte. Zum Teufel, murmelte er und wählte die Marseiller Nummer.

Hier ist Raul. Mr. Morrison?

Richtig, Raul. Mack fühlte sich etwas sicherer. Sein Name war falsch, das Handy konnte nicht zurückverfolgt werden. Ihm konnte nichts geschehen. Im Moment jedenfalls nicht.

Raul kam sofort zur Sache. Er verzichtete auf seinen leichten französischen Akzent und kehrte zu dem Offiziers-Englisch zurück, das man von einem Mann namens Reggie Fortescue erwartete.

»Gut, Mr. Morrison, alter Kumpel, lassen Sie uns diesen Anruf nicht unnötig hinauszögern, das dient ja auch Ihrer Sicherheit, auf die Sie wohl großen Wert legen. Was wollen Sie?«

Mack war erstaunt über die Geradlinigkeit des Engländers, fing sich aber schnell und sagte leise: »Wir wollen jemanden liquidieren.«

»Aha«, erwiderte Raul, als wäre er soeben gebeten worden, jemandem zehn Dollar zu leihen. »Wo hält sich diese Person auf?«

»In Frankreich, wahrscheinlich in der Bretagne.«

»Aha. Sind Sie bereit, uns einen Namen zu nennen?«

»Noch nicht«, antwortete Mack. »Haben Sie für solche Projekte feste Tarife?«

»Einfache Aufträge beginnen bei 300 000 US-Dollar. Abhängig von den persönlichen Sicherheitsmaßnahmen der Zielperson steigt unser Honorar dann an. Kann bis zu einer Million kosten, möglicherweise noch mehr. Ist die Person sehr bekannt?«

»Ja.«

»Dann fangen wir bei einer Million an. Je höher das Risiko, umso höher der Preis.«

»Verstehe. Heißt das, Sie übernehmen das Projekt auf alle Fälle, falls der Preis stimmt?«

»Nicht unbedingt. Wir haben auch schon zwei große Jobs abgelehnt. Die jeweiligen Zielpersonen waren Staatsoberhäupter. Das war uns eine Nummer zu groß.«

»Verständlich. Sind Sie das größte Unternehmen dieser Art?«

»Ja, ich denke schon. Sie fragen wahrscheinlich, weil Sie sich nach Alternativen umsehen wollen. Die Antwort darauf ist ganz einfach: Es gibt keine. Wenn wir die Sache nicht machen, macht es niemand.«

»Raul, Sie sind mir eine große Hilfe, aber Sie werden verstehen, wenn ich in dieser Phase nicht mehr erzählen kann. Es wäre nachlässig von mir, wenn ich Sie und Ihre Kollegen mit unserem Plan vertraut mache. Sie würden damit über Kenntnisse verfügen, die mir und meinen Kollegen sehr gefährlich werden könnten.«

»Mr. Morrison, wir wären nicht mehr sehr lange in diesem Gewerbe, wenn wir uns in dieser Hinsicht etwas zuschulden kommen lassen. Wahrscheinlich wären wir dann nicht mal mehr am Leben.«

Mack Bedford wollte sein Ziel nicht offenlegen, sein Instinkt verbot es ihm. Aber er wusste auch, wenn er bei dieser beschwerlichen Sache vorankommen wollte, musste er irgendwann mit dem Namen herausrücken. Harry Remson hatte ausdrücklich gesagt, dass er, Mack, allein diese Entscheidung zu treffen habe. Wäre Harry hier gewesen, hätte er das Dilemma verstanden. Entweder er erzählte der mysteriösen Stimme in Marseille, was er vorhatte und wer liquidiert werden sollte, oder er musste auflegen und zu einem späteren Zeitpunkt erneut anrufen.

Er beschloss, das heikle Thema vorerst zu umgehen. »Sollten Sie sich darauf einlassen«, sagte er, »und wir einigen uns auf einen Preis, wie würden dann die Zahlungsmodalitäten aussehen?«

»Bankwechsel oder Überweisung, auf ein Nummernkonto einer Schweizer Bank.«

»So etwas haben wir uns ebenfalls vorgestellt. Wir würden es vorziehen, das Geld auf unserem Schweizer Konto in Genf zu hinterlegen und es von dort in bar unserem Genfer Anwalt zuzustellen, wo Ihr Mann es persönlich abholen kann, vorausgesetzt, er kann sich zufriedenstellend ausweisen.«

»Keine Einwände.« Raul war klar, dass er hier vor einem richtigen Deal stand, dass er es mit jemandem zu tun hatte, der über das nötige Kleingeld verfügte, um eine solche Sache ins Laufen zu bringen. »Bleibt natürlich die Frage nach einer Vorauszahlung und der Abschlusszahlung, wenn der Vertrag erfüllt ist. Sie haben sich dazu sicherlich Gedanken gemacht.«

»Ja. Meine Kollegen schrecken natürlich davor zurück, eine große Vorauszahlung zu leisten, damit Sie nicht auf die Idee kommen, das Geld einfach einzubehalten, ohne Ihre Arbeit zu erledigen. In einem solchen Fall wäre die Chance, wieder ans Geld zu kommen, für uns gleich null.«

»Mr. Morrison, das Gleiche gilt für uns. Sie können vernünftigerweise nicht annehmen, dass wir uns auf so ein gefährliches Unternehmen einlassen, ohne von Anfang an auf einer gewissen Kompensation zu bestehen. Schließlich ist es durchaus möglich, dass wir im Gefängnis landen oder getötet werden – oder, und das wäre am schlimmsten, dabei pleitegehen.«

Mack Bedford lachte. »Raul, Sie stehen bestimmt nicht zum ersten Mal vor diesem Problem. Was verlangen Sie üblicherweise in solchen Fällen?«

»Mr. Morrison, für unsere Auslagen fordern wir als Minimum 50 000 Dollar. Wenn wir erst nach Beendigung des Projekts bezahlt werden, müssen wir wissen, für wen wir arbeiten. Das gibt uns eine gewisse Sicherheit, dass unsere Kunden auch zahlen.«

»Was, wenn wir nicht das Risiko eingehen wollen, dass Sie oder irgendjemand anderes weiß, wer wir sind? Was dann?«

»Fünfzig Prozent im Voraus, die andere Hälfte nach Vertragserfüllung.«

»Und dann wollen Sie nicht wissen, wer wir sind?«

»Richtig. Auch wenn dabei wir das immense Risiko eingehen, dass Sie uns kennen.«

»Man hält sich gegenseitig in Schach«, sagte Mack. »So funktioniert die moderne Welt.«

»Dass wir Ihre Identität kennen, dient lediglich unserer Sicherheit«, sagte Raul. »Die meisten Kunden leisten die erste Anzahlung, um ihre Anonymität zu wahren. Wir haben unseren Teil der Abmachung immer erfüllt. Wir sind weltweit anerkannte Profis.«

»Ich denke, ich werde erst Rücksprache halten müssen, bevor wir unsere Zukunft in Ihre Hände legen«, antwortete Mack. »Sie verlangen eine Menge Vertrauen.«

»Entweder das, oder Sie zahlen die erhöhte erste Rate«, sagte Raul. »Übrigens, darf ich annehmen, dass Sie aus den USA anrufen?«

Macks Gedanken rasten. Sein Handy war nicht rückverfolgbar. Er könnte also überall sein. Mit gepresster Stimme antwortete er: »Nein. Ich bin Amerikaner, befinde mich aber im Augenblick in London.«

»Dort ist Ihr Hauptquartier?«

»Ja«, sagte er. »Hier in London.«

»Nun müssen Sie mir nur noch die Identität der Zielperson verraten, wenn wir hier weiterkommen wollen. Ich muss die Risiken und den Preis einschätzen können. Und Sie müssen Ihre Prioritäten setzen – wollen Sie geheim bleiben oder bis zum letzten Moment Ihr Geld schützen?«

»Ohne Rücksprache mit meinen Leuten kann ich das nicht entscheiden«, erwiderte Mack. »Ich brauche Zeit. Zwei, vielleicht drei Tage. Aber ich werde Sie wieder anrufen. Zur gleichen Zeit.«

Er klappte das Handy zu und sah hinaus auf den Kennebec, der träge in den Atlantik hinausströmte. Er wählte Harry Remsons Nummer und bat ihn, sich mit ihm so schnell wie möglich bei sich zu Hause zu treffen.

Harry kam kurz nach Mack und hörte sich aufmerksam an, was dieser von seinem Telefonat mit Marseille zu berichten hatte.

»Wir stecken in einer Zwickmühle«, sagte Harry. »Offen gesagt gefällt es mir nicht, einer Verbrecherbande eine halbe Million Dollar zukommen zu lassen, damit sie sich dann mitsamt der Kohle auf Nimmerwiedersehen aus dem Staub machen kann. Die Alternative, meine Identität offenzulegen, kommt noch weniger in Frage. Wenn ich das tue, könnte ich den Dreckskerl gleich eigenhändig abknallen.«

»Ich glaube nicht, dass du deine Identität preisgeben musst«, sagte Harry.

»Irgendjemand muss ihnen aber zu verstehen geben, dass wir es ernst meinen.«

»Ich habe gehofft, das wärst du«, sagte Harry. »Ich habe das alles bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht richtig durchdacht.«

»Also, welche der beiden Optionen ist dir lieber?«

»Ich bin auf beide nicht scharf«, sagte der Werftbesitzer. »Aber ich setze lieber mein Geld aufs Spiel als meinen Namen. Und ich setze sehr viel lieber mein Geld aufs Spiel, als zu riskieren, dass die verdammte Werft den Bach runtergeht.«

»Was uns zu der sehr viel schwierigeren Frage führt, dass wir ihnen mitteilen müssen, wen wir umbringen wollen.«

»Was meinst du dazu?«

»Wenn wir es ihnen nicht sagen, kommen wir noch nicht mal zur ersten Base.«

»Und dann besteht immer noch die Möglichkeit, dass sie den Auftrag als zu riskant ablehnen.«

»Ja. Vielleicht. Aber ich habe das Gefühl, es geht ihnen vor allem ums Geld. Wenn es irgendwie zu schaffen ist und sie für sich eine Chance sehen, nach dem Attentat unbehelligt zu verschwinden, werden sie es versuchen.«

»Mack, ich habe mein Leben lang knifflige Entscheidungen treffen müssen. Dies ist wieder eine. Ich habe mich entschieden. Wir müssen ihnen sagen, auf wen wir es abgesehen haben. Du hast dieses Astronauten-Handy noch nicht weggeworfen?«

»Um Gottes willen, nein. Ich habe es noch.«

»Dann werden wir den Ball umgehend in ihre Hälfte zurückspielen. Teil es ihnen mit. Wir wollen Henri Foche umbringen. Sie können uns nicht aufspüren, das hat die NASA mir versichert. Sagen wir ihnen, was wir wollen.«

»Gut. Aber nicht hier – falls Anne zurückkommt. Ich gehe runter zum Fluss. Ich rufe dich dann gleich zurück. Wenn wir das Okay bekommen, brauchen wir wahrscheinlich diese E-Mail-Adresse, damit sie uns ihre Pläne schicken können.«

»Bis dann also, Kumpel«, rief Harry, stieg in seinen Bentley und ließ den Kies aufschleudern, als er aus der Einfahrt jagte.

Erneut machte sich Mack Bedford auf zu der Stelle, an der er und Tommy den Blaufisch gefangen hatten. Erneut wählte er die Marseiller Nummer. Es war 10.45 Uhr, nicht die Zeit, zu der sein Anruf erwartet wurde, weshalb er nur eine Bandansage zu hören bekam.

»Hier ist Morrison aus London, ich würde gern Raul sprechen«, sagte er.

Sofort vernahm er die vertraute Stimme in der Leitung. »Das ging aber schnell«, sagte Raul. »Wir betrachten das gewöhnlich als gutes Zeichen.«

»Raul, hören Sie mir gut zu. Als Erstes werde ich Ihnen eine Zahlungsmethode vorschlagen. Dann werde ich Ihnen den Namen unserer Zielperson nennen. Sind Sie damit einverstanden?«

»Ganz und gar.«

»Gut. Das alles erfordert gewisse Vorbereitungen und einen Handlungsplan, der uns beiden genehm ist. Ich werde noch in der Vorbereitungsphase einem Genfer Anwalt 50 000 US-Dollar anweisen. Sie können sich Gedanken zu dem Projekt machen und teilen mir schon mal den Namen desjenigen mit, der das Geld dort abholt. Und der Mann, um den es geht, heißt Henri Foche. Er hält sich vermutlich …«

»Henri Foche! Sie machen Witze! Genauso gut könnten Sie uns sagen, wir sollen den russischen Milliardär umbringen, dem der FC Chelsea gehört. Er hat mehr Sicherheitspersonal als der US-Präsident. Da bräuchte man eine ganze Armee.«

»Quatsch«, blaffte Mack. »Er ist kein Staatsoberhaupt, sondern nur ein Politiker, der sich in einem europäischen Land zur Wahl stellt, das einem gehörig auf den Sack geht und das bald pleite gehen dürfte.«

Raul alias Reggie Fortescue musste lachen. »Nicht ganz, Mr. Morrison. Henri Foche ist der kommende französische Präsident. Glauben Sie mir. Ich habe nicht die geringste Ahnung, welche Bananenrepublik Sie vertreten oder warum, aber ich sage Ihnen eins: Es gibt in ganz Frankreich niemanden, bei dem es schwieriger sein dürfte, ihn umzubringen und anschließend unerkannt zu entkommen.«

»Gut, nehmen Sie an?«

»Vielleicht. Aber wir reden hier von viel Geld.«

»Wir haben viel Geld, sind aber nicht gewillt, es zu verschleudern. Nennen Sie mir einen Preis.«

»Zwei Millionen Dollar, sonst rede ich gar nicht weiter – alles inklusive, egal, wie die Sache ausgeht. Ich weiß nicht, ob Ihnen das klar ist. Monsieur Foche ist in Frankreich sehr beliebt, aber er verfügt über zwielichtige Beziehungen. Angeblich soll er auf ziemlicher hoher Ebene in internationale Waffengeschäfte verstrickt sein. Sie wissen schon – Flugzeuge, Kriegsschiffe, Raketen. Er hat ständig seine Leibgarde um sich, Männer, mit denen man lieber nicht Bekanntschaft schließt. Keine Offiziere und schon gar keine Gentlemen. Bevor ich mit Ihnen weiterrede, muss ich mich mit unseren erfahrensten Mitarbeitern besprechen.«

»Verstehe. Übrigens, wo wohnt Foche eigentlich?«

»Er hat ein Haus in Rennes. Das liegt in der Bretagne, wo er auch ein Wahlkampfbüro unterhält. Wenn er für die Gaullisten kandidiert, wird das von Rennes aus geschehen. Aber wie viele Männer seines Schlags hat er auch eine Wohnung irgendwo in Paris.«

»Wie lange brauchen Sie, bis Sie wissen, ob Sie den Einsatz durchführen?«

»Geben Sie uns 24 Stunden. Rufen Sie zum üblichen Zeitpunkt an.«

»Der Preis ist fix? Zwei Millionen?«

»Ja. Wenn meine Kollegen den Vertrag annehmen, dann für zwei Millionen US-Dollar.«

»Damit könnten wir leben.«

»Ach, noch eine Frage, Mr. Morrison. Waren Sie mal beim Militär?«

»Warum fragen Sie?«, erwiderte Mack.

»Zivilisten sprechen normalerweise nicht von ›Einsatz‹.«

»Hoffen wir nur, es kommt auch wirklich zu einem Einsatz. Bis morgen.« Damit wich Mack der Frage aus und legte auf.

In Marseille berief Raul seine Top-Leute ein, die beiden ehemaligen Fremdenlegionäre sowie den Anwalt Carroll. Ganz ruhig erzählte er ihnen, jemand biete für einen Auftrag zwei Millionen US-Dollar. Alle Anwesenden lächelten, vor allem die beiden Fremdenlegionäre, die bei der erfolgreichen Ausführung des Auftrags jeweils 400 000 Dollar einstreichen würden. Als er allerdings enthüllte, um welche Zielperson es sich handelte, verging ihnen die gute Laune. Carroll schoss vor Überraschung der Kaffee aus der Nase. Jean-Pierre, der wegen Mordes gesuchte Fremdenlegionär, warf seinen Stuhl um, als er aufsprang und rief: »Foche? Henri Foche? Der hat sogar einen kugelsicheren Wagen!«

Raul fragte, woher er das wisse.

Jean-Pierre erwiderte, noch immer ziemlich aufgebracht: »Ich hab so Sachen gelesen. Die Zeitungen sind ja voll davon. Er soll in der Rüstungsindustrie sein. Seine Typen legen uns wahrscheinlich mit Atomraketen um. Scheiße!«

»Heißt das, du willst den Auftrag nicht annehmen, Jean-Pierre?«

»Doch, doch, ich mach es der Kohle wegen. Was zum Teufel hab ich schon zu verlieren? Am Ende schnappen mich die Bullen wegen dem Typen, den ich in der Bar umgebracht habe. Aber so hab ich wenigstens das Geld, um mich besser verstecken zu können … Und ich werde mir einen Anwalt leisten können.« Er sah zu Monsieur Carroll, den er ganz offen hasste. »Einen besseren als dieses Arschloch.«

Carroll, der längst ausgerechnet hatte, dass er 200 000 Dollar einsacken würde, wenn Jean-Pierre das Gewehr gerade halten konnte, ging darauf nicht ein.

Was Raul dazu veranlasste, den zweiten Fremdenlegionär anzusprechen, Ramon, den Killer und die Nummer zwei hinter dem steckbrieflich gesuchten Jean-Pierre. Was auf den ersten Blick kaum einleuchten wollte, weil Ramon mit seinen 1,95 Metern von riesiger Gestalt war, ein durchtrainierter, schwarzhaariger, bedrohlich wirkender Hüne, der meisterhaft mit dem Messer umzugehen wusste. Er nickte nur und murmelte: »Ich bin dabei. Ich bring ihn um. Ich brauch nur seine Adresse.«

»Ramon, nimm es nicht auf die leichte Schulter«, unterbrach Raul. »Henri Foche ist Tag und Nacht von bewaffneten Bodyguards umgeben.«

»Ja, aber ich hab irgendwo einen Scheiß über ihn gelesen. Und Bilder gesehen, von ihm mit Mädels in Paris. Wird doch kaum seine Bodyguards dabeihaben, wenn er fickt, oder? Dann kann er von Glück reden, wenn ich ihm nicht den Schwanz abschneide.«

»Ja, äh, vermutlich«, sagte Raul, der sich mit der rohen Gewalttätigkeit der ehemaligen Wüstenkämpfer aus der Fremdenlegion nie so recht hatte anfreunden können. »Verstehe vollkommen. Ich will nur klarstellen, wie wichtig es ist, im Verborgenen zu operieren und nach dem Anschlag spurlos zu verschwinden. Offen gesagt, es jagt mir einige Angst ein, wenn ich mir nur vorstelle, wie ihr beide den nackten Henri Foche durch Montmartre jagt, weil ihr ihm den Schwanz abschneiden wollt. Die Sache muss von Anfang bis Ende professionell durchgezogen werden – gut geplant, still und leise. Dieser Foche – das wird nicht einfach werden.«

»Vielleicht brauch ich ein Scharfschützengewehr. Um ihn aus der Ferne zu erledigen«, sagte Jean-Pierre. »Dann kann uns niemand erkennen.«

Raul nickte. Ihm war nur allzu bewusst, welche Gefahr die beiden hirnlosen Killer darstellten, wenn man sie von der Leine ließ und sie geschnappt und wegen Mordversuchs vor Gericht gestellt würden. Ein falscher Satz, und die gesamte französische Abteilung von Forces of Justice wäre erledigt. Aber das glaubte Raul nicht. Wenn Jean-Pierre und Ramon erwischt wurden, dann würden sie mit ziemlicher Sicherheit von Foches Männern erschossen werden – und Tote konnten nicht mehr reden. Es gab für Raul also viel zu gewinnen – in seinem Fall eine Million Dollar – und fast nichts zu verlieren. Er wollte, dass die Sache vorangetrieben wurde. Und er wollte Morrisons 50 000 Dollar Vorschuss, damit sie einen professionell aussehenden Operationsplan erstellen konnten, der die Zahlmeister in London beeindruckte.

So konnte er jetzt nur darauf warten, dass Morrison am darauffolgenden Tag erneut den Kontakt aufnahm. Dreimal hatte Raul erfolglos versucht, die Anrufe zurückzuverfolgen. Die FOJ hatten ein hochmodernes (gestohlenes) militärisches Abhörsystem auf dem Dachboden des Gebäudes stehen. Der Satellitensender konnte alle ankommenden Gespräche zurückverfolgen. Vielleicht nicht die exakte Telefonnummer, aber mit einer Genauigkeit von einigen Hundert Metern zumindest den Ort bestimmen, von dem der Anruf getätigt wurde. Erreicht wurde dies, indem man vom Hauptquartier in Afrika aus auf derselben Wellenlänge einen zweiten Satellitenstrahl losschickte und dann den Schnittpunkt der beiden Wellen ermittelte. Es funktionierte immer. Außer bei Morrisons Anrufen, bei denen nur ein in den Ohren gellender hoher Pfeifton dem Bediener fast das Trommelfell zerrissen hätte.

Mehr als alles andere war es dieser Umstand, der Raul davon überzeugte, dass es dieser Morrison ernst meinte und er vielleicht sogar für irgendeine Regierung arbeitete und auf Staatsgelder zurückgreifen konnte. Wenn man sich auf den Zahlungseingang verlassen konnte, konnte Raul mit der Anonymität seines Kunden leben.


650 Kilometer westlich von Marseille, im Herzen von Rennes, las Henri Foche die Zeitung. Wollte man sagen, dass er die Stirn »runzelte«, würde man damit seinem Gesichtsausdruck nicht gerecht werden. Mit finsterster Miene starrte er auf die Titelgeschichte, die davon berichtete, dass man in einem tiefen Sumpf mitten in der abgelegensten Gegend der Ebene von Sologne, südlich der Loire, das ausgebrannte Wrack eines Mercedes S500 gefunden habe.

Die französische Polizei hatte eigens Mercedes-Ingenieure aus Deutschland kontaktiert, die feststellten, dass der Wagen keine acht Monate alt sein könne. Forensikexperten in Vierzon hatten ihn mehrere Tage lang untersucht und waren zu dem Schluss gekommen, er könnte möglicherweise dem Raketenwissenschaftler Olivier Marchant gehört haben. Vom Wissenschaftler selbst fehlte jede Spur, was nicht überraschen sollte, da sein Wagen höchstwahrscheinlich durch einen Sprengsatz völlig zerstört worden war und daraufhin mehrere Wochen im Sumpf gelegen hatte.

Laut der französischen Polizei war der Wagen von Förstern gefunden worden, die ein Reh aus den sumpfigen Gewässern retten wollten, bis sie bemerkten, dass das Tier auf einer Art Plattform stand. Diese stellte sich als der Kofferraum des Mercedes heraus, worauf die Förster beschlossen, dass der Ort doch ein recht ungewöhnlicher Parkplatz für einen Wagen wie diesen wäre.

Die landesweite Suche nach Monsieur Marchant hatte bislang nichts ergeben; auch die Entdeckung des Wagens hatte nach Auskunft der Polizei nicht den geringsten Hinweis auf seinen Aufenthaltsort geliefert. Ein Sprecher von Montpellier Munitions bei Orléans, wo M. Marchant gearbeitet hatte, meinte: »Keiner von uns hat die Hoffnung aufgegeben, dass Olivier wieder auftaucht. Er war bei seinen Mitarbeitern sehr beliebt und wird hier jeden Tag vermisst.«

Seine 34-jährige Witwe Janine wurde nicht gebeten, den Mercedes zu identifizieren. Am vergangenen Abend sagte sie: »Ich glaube nicht, dass wir jemals erfahren werden, was Olivier zugestoßen ist. Er hat mich an jenem Tag angerufen und gesagt, er wolle zum Mittagessen zu Hause sein. Dann hat keiner mehr etwas von ihm gehört. Die Entdeckung des Wagens bestärkt mich in der Ansicht, dass etwas Schreckliches geschehen sein muss.«

Henri Foches Miene wurde noch finsterer. »Ich habe gesagt, ›spurlos‹«, grummelte er. »Ich habe nicht gesagt, dass Oliviers Wagen auf der Titelseite jeder französischen Zeitung erscheinen soll.«

In seinen Gesichtszügen loderte eine Wut, wie sie nur selten vorkam. Kaum einer konnte so hassen wie Henri Foche. Im Moment hätte er seine beiden treuen Leibwächter Marcel und Raymond ohne mit der Wimper zu zucken exekutieren lassen können.

Er strich mit einem Messer Erdbeermarmelade auf sein warmes Croissant und stellte sich vor, das zarte Blätterteigteilchen sei Marcels Kehle. Seine höchst attraktive Frau Claudette, eine ehemalige Nachtklubtänzerin, kam ins Zimmer, sah ihn an und fragte ihn, ob gleich die Welt untergehe, so wie er aussehe.

»Halt den Mund, dämliche Schnalle«, knurrte er.

»Welcher Charme, welche Galanterie. Der große Henri Foche, ein rüdes Schwein.«

Er legte die Zeitung zur Seite und sah sie an. »Meinst du nicht, dass ich schon genug um die Ohren habe? Ich kann gut und gern darauf verzichten, dass die Polizei wegen Olivier Marchant Probleme macht. Ehe man sich versieht, tauchen sie in der Fabrik auf und stellen blöde Fragen. Woher zum Teufel sollen wir wissen, was mit ihm geschehen ist? Er hat an jenem Tag allein in seinem Wagen den Parkplatz verlassen, das können mehrere Mitarbeiter bezeugen, und dann ist er verschwunden.«

»Na, und warum hat die Polizei dann seinen Wagen im Sumpf gefunden?«, fragte Claudette. »Von ihm persönlich gibt es angeblich keine Spur. Also muss ihn jemand rausgeschafft und den Wagen in die Luft gesprengt haben.«

»Woher, verdammt noch mal, weißt du das alles?«

»Weil ich gerade die Nachrichten gesehen habe. Der Wagen ist fast in zwei Teile zerbrochen, von Olivier aber keine Spur, obwohl man schon seit Wochen nach ihm sucht.«

»Vielleicht hat ihn irgend so ein verrückter Gauner angehalten und ihn ausgeraubt.«

»Für einen angeblich intelligenten kleinen Mann sonderst du manchmal bemerkenswert dumme Kommentare ab«, erwiderte sie. »Verrückte Gauner fahren nicht mit Schwerlasttransportern durch die Gegend und sprengen einen Mercedes in die Luft, um das verdammte Ding viele Kilometer weiter im Sumpf von Sologne zu versenken. Nein, hinter diesem Verbrechen steht eine professionelle Organisation.«

»Gut, Madame Claudette Maigret. Woher weißt du das alles?«

»Weil das der Polizeiinspektor gerade im Fernsehen gesagt hat. Und das Verschwinden von Olivier wird jetzt auch als Mordfall gehandelt.«

Foche sah abrupt auf. »Das hat er gesagt? Das steht noch nicht in der Zeitung.«

»Weil die dämliche Zeitung letzten Abend um zehn Uhr gedruckt worden ist. Die Aussage der Polizei wurde vor einer Viertelstunde in Vierzon aufgenommen.«

»Das fehlt mir gerade noch. Mordermittlungen zu einem Mitglied in meinem Vorstand, wenn ich meine Präsidentschaftskampagne starte.«

»Das ist nicht dein einziges Problem«, fuhr Claudette mit leicht gehässigem Tonfall fort. »Vergangene Nacht, als du fort warst, hat hier die kleine Schauspielerin angerufen, die du in Paris immer besuchst. Ich hab so getan, als würde ich hier arbeiten, und mir ihre Nummer geben lassen. Du sollst sie anrufen, wenn du am Freitag in der Stadt bist. Was du bestimmt tun wirst.«

Foche tat so, als hörte er sie gar nicht, aber Claudette war noch nicht fertig mit ihm. »Ich bin bereit, dein Verhalten zu tolerieren, weil du mir diesen Lebensstil hier ermöglichst. Aber ich lasse mich nicht demütigen. Und du wirst mich demütigen, wenn du erst einmal Präsident bist und deinen zahllosen Affären nachgehst.«

»Was hast du vor? Willst du in die Gosse zurück, in der ich dich aufgegabelt habe? ›Madame Foche, die Frau des französischen Präsidenten.‹ Reicht dir das nicht? Das sollte jeder Hure aus Saint-Germain reichen.«

Claudette Foche war solche Gespräche gewohnt. Diesmal aber lächelte sie nur und sagte leise: »Henri, ich glaube, dir sollte klar sein, dass die Dinge mittlerweile etwas anders liegen. Wenn ich dich jetzt verlasse, wäre das ein schwerer Schlag für deine Kandidatur. Dann kann ich nämlich meine Geschichte über dein sexbesessenes, treuloses Leben für eine gewaltige Summe an all die netten kleinen Zeitschriften verkaufen.«

»Du kannst dein Leben hier nicht aufgeben – den Glamour, den Ruhm, die Bewunderung.«

»Ich kann es aufgeben. Ich bin erst 38 und bereit, wieder von vorn anzufangen. Vielleicht hast du es vergessen …« Aufreizend löste sie die obersten beiden Knöpfe ihrer Bluse, sah ihn an und fügte hinzu: »Ich kann fast jeden Mann, den ich will, rumkriegen. Ich bin immer noch schlank und sehr sexy. Und du hast mich in die französische Gesellschaft eingeführt.«

»Einmal Hure, immer Hure«, knurrte er.

»Mag schon sein«, sagte sie und warf ihre lange blonde Mähne zurück. »Aber ich war dir niemals untreu. Während deine Moralvorstellungen die eines streunenden Katers sind.«

In diesem Augenblick klingelte das Telefon an der gegenüberliegenden Zimmerseite. »Geh ran«, befahl er. »Mach schon.«

Claudette schritt mit der unaufgeregten Eleganz eines Laufsteg-Models durch den Raum, als übte sie bereits jetzt für ihr neues Leben in den teuren Bars und Hotels der französischen Hauptstadt. Foche musste sie unwillkürlich bewundern. Und ihr zustimmen – ja, sie konnte jeden Mann haben, wenn sie nur wollte.

»Hallo«, sagte sie. »Ja, Marcel. Er ist hier. Einen Moment.«

Sie blieb am Telefon stehen. »Es ist Marcel«, sagte sie.

»Na, dann bring das verdammte Ding schon rüber«, keifte er. »Und dann verschwinde!«

In aller Gemächlichkeit brachte sie ihrem Mann das Telefon. Er riss es ihr aus der Hand und wiederholte: »Verschwinde!«

Nachdem seine Frau das Zimmer verlassen hatte, brüllte Foche ins Telefon: »Ich hab gesagt, ihr sollt den Wagen verschwinden lassen – nicht in die landesweiten Schlagzeilen bringen!«

Marcel allerdings ließ sich so schnell nicht beeindrucken. »Ich kann doch verdammt noch mal nicht damit rechnen, dass dieses dämliche Reh die Scheißkarre findet? Ich hab sie selber in den Sumpf kutschiert, Raymond und ich wären dabei fast abgesoffen, irgendwie haben wir das beschissene Ding in die Luft gehen lassen, und jetzt soll ich in meiner Freizeit auch noch auf irgendwelche dummen Rehe aufpassen. Großer Gott, Monsieur, nehmen Sie Vernunft an.«

Henri Foche wusste, dass er bei Marcel vorsichtig sein musste. Marcel kannte seine Untaten noch besser als seine Frau. »Und wo ist die verdammte Leiche?«, fragte er. »Wo steckt die?«

»Im Fundament des neuen Einkaufszentrums 70 Kilometer östlich von Orléans. Unter 1000 Tonnen steinhartem Beton begraben.«

»Wie zum Teufel hast du das geschafft?«, fragte Foche.

»Ich hab Freunde«, erwiderte Marcel. »Gute Freunde.«

»Weiß sonst noch jemand davon?«

»Natürlich nicht. Ich hab ihn in den nassen Beton plumpsen lassen und den Bagger selbst gesteuert. Mein Kumpel hat drei Lasterladungen nassen Beton draufgeschüttet. Er kann sich wahrscheinlich denken, dass da eine Leiche liegt. Aber ich hab nichts davon erwähnt, und dann hab ich gewartet, bis er fertig war, und ihm seine 2000 Euro zugesteckt. Wie Sie gesagt haben.«

»Okay, okay, klingt gut. Mir wäre es nur lieber, wenn sie den Mercedes nicht gefunden hätten.«

»Die Chancen dafür standen bei einer Million zu eins, Boss. Da kann man nichts machen. Wir dürfen nur nicht die Nerven verlieren.«

»Wir sehen uns am Mittag, Marcel.«

»Kein Problem.«

»Claudette! Wo zum Teufel steckst du?«

Seine Frau erschien. »Bin schon da. Was willst du?«

»Nimm als Erstes dieses verdammte Telefon von meinem Frühstückstisch. Dann bring mir frischen Kaffee. Und einen Notizblock und einen Stift. Und ruf Mirabel an. Sag ihr, sie soll gleich nach dem Mittagessen in mein Büro kommen.«

Mirabel war Foches 56-jährige Sekretärin, eine schlanke, unscheinbare Frau und wahrscheinlich die Einzige in Foches Leben, die er bislang nicht versucht hatte auszuziehen – auch wenn Claudette darauf nicht ihre gesamten Ersparnisse hätte wetten wollen.

»Wirst du zum Mittagessen hier sein?«, fragte sie.

»Nein, ich gehe aus.«

Das junge Mädchen, das er besuchte, Anne-Marie, hatte ein kleines Appartement am Kanal, nicht weit entfernt von seinem eigenen, von hohen Ziegelmauern umgebenen Anwesen in der Gegend von Les Lices. Sie trafen sich stets im Restaurant L’Ouvrée und gingen dann in ihre Wohnung, wo Marcel ihn gegen drei Uhr abholte.

Dieses wöchentliche Prozedere war nicht gänzlich gefahrlos. Einmal, als sie die Rue de la Monnaie entlanggingen, wären sie beinahe von Claudette ertappt worden, die ihnen auf der anderen Straßenseite entgegenkam. Noch nie in seinem Leben war Henri Foche mit solcher Entschlossenheit in eine Kirche gestürmt. Selbst die steinernen Engelsfiguren an der Außenwand der Kathedrale Saint-Pierre machten beim urplötzlichen Auftauchen des gewohnheitsmäßigen Ehebrechers, Mörders, Lügners und internationalen Waffenschiebers einen erschreckten Eindruck.

Claudette setzte ihm bereits wieder zu. »Mit wem triffst du dich? Und wo? Vielleicht muss ich dich anrufen, kann ja gut sein, falls die Polizei weitere Fragen zu Olivier hat.« Sie hätte es besser wissen sollen. Wenn Henri Foche etwas unter keinen Umständen ausstehen konnte, dann, wenn man ihm in seine Pläne hineinredete. Besonders dann, wenn es Frauen waren, die das taten, und ganz besonders seine eigene Frau.

Er sah auf. »Halt deinen verdammten Mund«, erwiderte er mit Eiseskälte.

»Ich denke, du solltest nicht so mit mir reden«, sagte sie. »Es steht mir zu, Fragen zu stellen. Und politisch befindest du dich in einer sehr schwachen Position.«

Er kochte vor Wut. Keiner machte ihm einen Strich durch die Rechnung, schon gar nicht, wenn es um außerehelichen Sex ging, auf den er sich schon seit Tagen gefreut hatte. Er erhob sich, ging auf sie zu, holte aus und verpasste ihr mit dem Handrücken einen Schlag auf Mund und Nase. Sie wurde nach hinten geschleudert, krachte gegen das Sideboard und rutschte an der Wand zu Boden. Blut strömte ihr aus der Nase und tropfte in den Ausschnitt der noch immer halb offenen Bluse.

Mit geballten Fäusten starrte er auf sie hinunter, während sie, von ihm weggedreht, schluchzend am Boden kauerte. Und dann holte er mit dem rechten Fuß aus und trat ihr mit seinem auf Hochglanz polierten Gucci kräftig in den wohlgeformten Hintern. »Vergiss nicht«, sagte er, »ich bin Henri Foche, der kommende Präsident von Frankreich. Und du bist nichts anderes als eine Hure aus Saint-Germain, der man notdürftig ein paar Manieren beigebracht hat. Ich an deiner Stelle würde das nicht vergessen.« Damit kehrte er in sein Arbeitszimmer zurück.

Es war nicht das erste Mal, dass er sie geschlagen hatte, aber noch nie so brutal wie diesmal. Claudette, die Tochter einer Bäckereigehilfin und eines gewalttätigen Hafenarbeiters, der seine Frau regelmäßig verprügelt hatte, war im falschen Milieu aufgewachsen. Dass sie nun vor den Türen des Élysée-Palastes stand, war kein Zufall. Sie war eine berechnende Prostituierte gewesen, äußerst schön, äußerst wählerisch, und hatte sich nur erstklassige Kunden gesucht. Wie die meisten in ihrem Gewerbe verfügte sie über den impulsiven Drang, zurückzuschlagen, wenn sie sich bedroht fühlte. Sie stand auf, ging in die Küche und griff sich ein gezacktes Brotmesser von Sabatier. Sie zitterte vor Wut, vor Schmerzen und dem Kummer der erlittenen Demütigung.

In seinem Arbeitszimmer sagte sie sehr leise zu ihm: »Henri, wenn du mich noch einmal schlagen solltest, dann, ich schwöre es bei Gott, bringe ich dich um. Mit dem hier. Ich weiß, was du bist, und ich weiß, dass ich in Gefahr schwebe. Aber du bist ein mieser Dreckskerl und hast es verdient, zu sterben. Und mich wirst du nicht so schnell loswerden wie Olivier Marchant.«

Foche blickte auf. Seine Augen wurden schmal. »Solange du deinen Platz in der Welt kennst, wird es keine Probleme geben. Aber nur ein Schritt darüber hinaus, und du wirst es bereuen. Ich habe Wichtigeres zu tun, als mich mit dir zu beschäftigen, also verschwinde und lass dich hier nicht mehr blicken.«

Claudette verließ das Zimmer und knallte so heftig die Tür zu, dass das Haus aus dem 18. Jahrhundert erbebte. Sie zog sich ins Badezimmer zurück und kümmerte sich um die aufgeplatzte Lippe und die noch immer blutende Nase. Sie fühlte sich erschöpft nach ihrem mutigen Auftritt, und sie hatte – wie immer – Angst vor ihrem Mann.

Sie kannte seine Freunde. Sie wusste, wie sehr er auf die beiden Gauner Marcel und Raymond baute. Sie traute ihm nicht nur zu, dass er jemanden umbrachte, sie war überzeugt, dass er bereits jemanden umgebracht hatte und nicht zögern würde, auch sie aus dem Weg zu räumen, falls es ihm notwendig erscheinen sollte.

Sie befand sich in einem Dilemma. Floh sie, würde er sie aufspüren und eliminieren lassen, weil sie für ihn eine Gefahr darstellte. Niemand würde wissen, was aus ihr geworden war. Einer dritten Ehefrau brachte man gemeinhin nicht viel Mitgefühl entgegen. Blieb sie, befand sie sich in einer anderen Art von Hölle: in einer Welt ständiger Demütigungen und sexueller Forderungen, einer Welt der Angst und des immer gegenwärtigen Wissens, dass ihr Mann gerade mit einer anderen im Bett lag. Sie liebte ihn schon lange nicht mehr, er war ihr gleichgültig. Aber sie hatte ihren Stolz, sie betrachtete sich nicht als wertlos, als Sexobjekt für ihren grausamen und höhnischen Ehemann. Sie hatte ihre Würde, sie hatte ihren Verstand. Sie setzte sich auf den Badezimmerhocker und weinte aus purer Hilflosigkeit.

Sie war eine Gefangene in diesem wunderbaren Haus in der französischen Provinz, Gefangene eines wahrhaft bösen Menschen, und es gab nichts, was sie dagegen hätte tun können. Sicher, ihr Leben war alles andere als tadellos verlaufen, aber sie war ihm eine gute Frau gewesen; doch jetzt wünschte sie sich nur noch, dass ihr Mann sterben möge.

Selbst die Aussicht, eine Marie Antoinette des 21. Jahrhunderts zu werden, die sich im Élysée-Palast mithilfe des französischen Steuerzahlers jeden erdenklichen Luxus leisten konnte, tröstete sie nicht. Eher fühlte sie sich wie die Marie Antoinette, die sich, gefangen in ihrer winzigen Zelle in der Conciergerie, am 16. Oktober 1793 auf die Guillotine vorbereitete.

Sie hörte, wie ihr Mann das Haus verließ, und überlegte, ob sie ihm folgen sollte, um Beweise für eine mögliche Scheidung aufgrund seiner fortgesetzten Untreue zu sammeln. Aber wozu? Damit sie ebenso endete wie Olivier Marchant, wo immer er jetzt sein mochte?


Mack Bedford beschloss, zur Werft zu gehen, um noch einmal mit Harry zu reden, bevor sie eine Entscheidung trafen. Er ging durch die Kleinstadt und plauderte hier und dort mit den Einheimischen, die er sein Leben lang gekannt hatte. Als er jedoch das große Eisentor der Werft erreichte, stieß er auf eine Menschenmenge, in deren Mitte der Werftbesitzer stand.

Mack schob sich durch die etwa 100 Werftarbeiter und stellte sich neben Harry, der ihm so laut, dass es alle hören konnten, sagte: »Hallo, Mack, du triffst mich hier am vielleicht schlimmsten Tag in meinem Leben. Ich habe gerade meine wichtigsten Stahlarbeiter entlassen. Es gibt keine Arbeit mehr für sie, und ich bezweifle, ob sich das jemals wieder ändern wird.«

Judd Powell, der ebenfalls neben Harry stand, ergriff das Wort: »Jungs, ihr wisst, der Boss hätte euch nie entlassen, wenn es irgendeine Aussicht auf Arbeit gäbe. Aber überall in der westlichen Welt werden die Militärausgaben reduziert. Überall mit Ausnahme von Russland und dem Nahen Osten werden weniger Schiffe gebaut. Das kann sich wieder ändern, aber bis dahin können gut und gern fünf Jahre vergehen. Und Mr. Remson kann bis dahin kaum Lohnausgaben von jährlich 50 Millionen Dollar finanzieren.«

»Was sollen wir denn machen, Judd?« – »Wir haben Frauen, Familien, Hypotheken … was jetzt?« – »Das ist alles, was wir haben … und auch in Bath ist seit zwei Jahren keiner mehr eingestellt worden.« – »Hier ist sonst nichts … Willst du uns sagen, dass wir von hier wegziehen sollen?« – »Was ist mit unseren Kindern, der Schule?«

Die Fragen prasselten auf Harry Remson und seinen Vorarbeiter ein. Es herrschte Trauer unter den Versammelten, fast so, als wäre jemand gestorben. Es waren hart arbeitende Männer, Männer, die hierherkamen, um am kältesten Morgen um sieben Uhr früh den Stahl zu schneiden; die hoch oben auf dem Rumpf der Kriegsschiffe die kalten Stahlteile einpassten; Männer, auf denen das weltweite Ansehen der Remson-Werft beruhte. Männer mit breiten Schultern, enormer Kraft und einer Arbeitsethik, die New Yorker Hafenarbeiter hätte erbleichen lassen.

Insgeheim verstanden sie, dass Harry Remson und seine Familie sie nicht unbegrenzt unterstützen konnten, wenn es keine Arbeit gab. Dennoch wurden sie das Gefühl nicht los, dass man sie – ungerechterweise, unverdientermaßen und unnötig – an die Luft gesetzt hatte. Und jetzt mussten sie ihre Frauen zu Hause darüber in Kenntnis setzen, dass sie freigestellt waren und von nun an offiziell arbeitslos sein würden. Ein Teil der amtlichen Statistik. Sie würden sich jede Woche bei der Arbeitslosenstelle in Bath melden, um ihre Familien mehr recht als schlecht über Wasser halten zu können.

Wenn bislang alljährlich bei der Fertigstellung einer französischen Fregatte Remsons großzügige Bonuszahlungen überwiesen wurden, hatten die meisten Stahlarbeiter sich davon neue Möbel, neue Autos und neue Kleidung für die gesamte Familie angeschafft. Ihnen allen war klar, dass sie jetzt den Gürtel enger schnallen mussten, jetzt, nachdem hier in einem der unwirtlichsten Landstriche Nordamerikas die Heizkosten explodierten. Einige von ihnen hatten sich tatsächlich bereits mit dem Gedanken getragen, wegzuziehen, vielleicht in eine wärmere Gegend, wo das Leben weniger kostspielig wäre.

Für die Stahlarbeiter bedeutete der Arbeitsplatzverlust aber auch einen Gesichtsverlust. In der Schiffbauindustrie hat das Wort »Stahl« eine ganz besondere Bedeutung. Niemand sagt, »die Arbeit an einem neuen Kriegsschiff hat begonnen« oder »Remson wird sich nächsten Monat an den neuen Auftrag machen«. Nein, der Tradition gemäß ist in allen Marineverzeichnissen zu neuen Kriegsschiffen aufgeführt: »Erster Stahlschnitt x Monate vor Kiellegung.«

Hier standen sie also, hundert Männer, jeder von ihnen mit einem Kloß im Hals, konfrontiert mit dem Tag, von dem sie glaubten, er würde nie kommen, konfrontiert mit der Tatsache, dass ihre jahrelange harte Arbeit letztlich nicht mehr zählte.

Harry Remson wusste, wie sie sich fühlten. Er hatte an diesem Morgen zwei Stunden lang mit seinem Vater telefoniert, und der halsstarrige 86-Jährige hatte das lange Gespräch mit dem gleichen Satz begonnen und beendet: »Sohn, mach, was richtig ist für die Jungs. Gib nicht auf. Bitte gib nicht auf. Es ist deine Pflicht, sie und die Werft zu retten. Streng dich noch mehr an. Schau, ob sich nicht irgendwas auftut.«

Harry war den Tränen nahe gewesen, als er aufgelegt hatte. Jetzt hatte Judd die Stahlarbeiter wie angewiesen freigestellt. Und er, Harry, musste ihnen irgendwie einen Funken Hoffnung lassen. Dieser Funken Hoffnung, wusste er, ruhte im Verschluss eines Scharfschützengewehrs, mit dem einer von Rauls Dreckskerlen auf einen Menschen anlegte.

»Jungs«, sagte er, »es ist wohl ziemlich überflüssig, wenn ich erkläre, wie ich mich fühle und wie leid mir das alles tut. Genau wie ihr habe ich nicht geglaubt, dass es jemals so weit kommen würde. Ich kann nur sagen: Ich tue noch immer alles, um den nächsten französischen Auftrag zu bekommen. Ich kann nichts versprechen, weil uns momentan die Hände gebunden sind. Aber es gibt noch eine Chance, es steht ein sehr unangenehmes Treffen in Frankreich bevor. Vielleicht führt es zu etwas. Vielleicht auch nicht. Ich habe euch jedenfalls den Lohn für drei Monate ausbezahlt, und die Bonuszahlungen für Rumpf Nummer 718 sind sicher. Die bekommt ihr Anfang nächsten Jahres. Und wie ihr alle wisst, sind eure Pensionsansprüche hier bei uns in trockenen Tüchern. Keiner wird auch nur einen Dollar zu wenig bekommen. Bevor ihr geht, habe ich noch eine Bitte. Keiner soll im nächsten Monat endgültig abspringen. Vielleicht klappt es ja in Frankreich, und dann werde ich euch alle wieder brauchen. Wenn das passiert, wird es hier ein Fest geben, das man noch in Bath hört.«

Einige wenige Männer klatschten, ein paar lächelten verlegen. Die meisten der Älteren allerdings ließen alles nur stoisch über sich ergehen – sie hatten sich bereits mit ihrem Schicksal abgefunden.

»Ich werde euch vermissen«, sagte Harry. »Jeden Einzelnen von euch. Für mich ist es, als würde eine Familie zerbrechen.« Er wandte sich ab und ging.

Mack begleitete ihn, während Judd noch mit den Männern redete. Die beiden durch ihr geheimes Vorhaben verbundenen Verschwörer gingen hinauf zu seinem Büro.

Mack trat bereits ein, während Harry noch vor der Tür mit seiner Sekretärin sprach. Der Lieutenant Commander sah hinab auf das französische Kriegsschiff, dann drehte er sich um zur Wand, an der ein gerahmtes Gedicht hing. Verse von Henry Wadsworth Longfellow. Der Titel, geschrieben in altmodischer, eleganter Handschrift, lautete: »The Building of the Ship.« Darunter waren die Zeilen zu lesen:

Build me straight, O worthy master!
Staunch and strong, a goodly vessel,
That shall laugh at all disaster,
And with wave and whirlwind wrestle.

Es war das Glaubensbekenntnis der Remsons, Worte, die die Schiffbauer zu Zeiten der großen Klipper inspirierte, der großartigsten Segelschiffe aller Zeiten, die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts am Kennebec gebaut wurden.

Als Harry ins Büro kam, war von seiner Niedergeschlagenheit nichts mehr zu spüren. »Was hat er gesagt, Mack? Hat er den Auftrag abgelehnt?«

»Nein«, sagte Mack. »Er hat nicht abgelehnt. Er meint nur, er braucht ein oder zwei Tage, um mit seinen Kollegen zu reden. Damit meint er wohl seine Killer, die diesen hochriskanten Auftrag ausführen sollen.«

»Was ist dein Eindruck?«

»Ach, ich zweifle nicht, dass er annehmen wird. Es wird dich zwei Millionen kosten. Darunter werden sie es nicht machen. In gewisser Weise wollen wir das auch so. Wenn man Typen anheuert, die das Undenkbare in die Tat umsetzen, muss es sich für sie lohnen. Warum sollten sie es sonst tun?«

»Gut, sagen wir, sie nehmen an – was dann?«

»Nun, für ihre Auslagen wollen sie vorab 50 000. Wenn wir anonym bleiben wollen, verlangen sie 50 Prozent Vorschuss. Ich hoffe nur, das mit der Schweiz ist wasserdicht.«

»Darum musst du dir keine Gedanken machen. Was mich eher beunruhigt, sind die 50 Prozent Vorschuss. Leichter kann man sich eine Million nicht verdienen. Sie sacken die Kohle ein, und um den Rest kümmern sie sich nicht mehr; es besteht keinerlei Risiko für sie. Das wäre immerhin vorstellbar. Sie machen sich mit dem Geld aus dem Staub, und wir hören kein Wort mehr von ihnen.«

»Glaube nicht, ich hätte mir darüber nicht auch schon Gedanken gemacht, Harry. Du hast recht. Es ist ein Problem. Letztlich bleibt uns aber nichts anderes übrig, als das Risiko einzugehen. Ihr Risiko besteht darin, von Foches Sicherheitsleuten erschossen zu werden. Laut Raul sitzen wir im gleichen Boot, wir müssen einander vertrauen.«

»Okay, ich sage dir was, Mack. Lass uns sehen, was sie uns vorschlagen. In der Zwischenzeit schaff ich schon mal die 50 Riesen in die Schweiz, damit sie bei unserem Anwalt abgeholt werden können. Wenn das geschehen ist, entscheiden wir, wie es weitergeht.«

»Ohne das Geld geht es überhaupt nicht weiter«, erwiderte Mack. »Jede Seite hat ein ganz bestimmtes Ziel. Wir wollen, dass jemand stirbt, sie wollen das große Geld.«

»Wann sollst du wieder anrufen, morgen früh?«

»Ja.«

»Halt mich auf dem Laufenden.«


Macks nächste Station war das Stadtzentrum, 342 Main Street, die New England Savings and Loan Bank. Der Filialleiter hatte zugestimmt, sich mit ihm zu treffen, beide Seiten hegten aber nur wenig Hoffnung, dass eine einvernehmliche Lösung gefunden werden konnte.

Der Leiter, Donald Hill, war noch relativ neu in der Stadt und erst vor kurzem von einer Filiale westlich von Boston, Massachusetts, hierherversetzt worden. Er hasste Maine, er mochte die Kälte nicht, das Meer gefiel ihm nicht, er hatte eine Frau, die auf Meeresfrüchte allergisch reagierte, und er betrachtete alle Einheimischen als hinterwäldlerische Schwachköpfe. Außerdem vermisste er die Red Sox und konnte es kaum erwarten, in eine Großstadt versetzt zu werden. Auf einer Charme-Skala von 1 bis 10 würde er noch nicht einmal auf der Liste auftauchen.

»Mr. Bedford«, sagte er, »es geht um eine sehr große Kreditsumme. Ihre Vermögenswerte dagegen sind, wie soll ich sagen, nicht substanziell genug. Ein Haus, das Ihnen gemeinsam mit Ihrer Frau gehört, auf dem eine Hypothek im Wert von 200 000 Dollar lastet, mit einer Laufzeit von 20 Jahren. Wenn Ihnen meine Bank einen Kredit über eine Million Dollar gibt und Sie es schaffen, im Jahr davon 10 000 zurückzuzahlen, das wären 200 Dollar pro Woche; ohne Zinsen würde es 100 Jahre dauern, bis Sie alles abgezahlt haben. Das kann man von unserem Standpunkt aus kaum als vernünftige Kreditvergabe bezeichnen.«

Mr. Hill tippte auf seinem Taschenrechner herum. »Wenn wir Ihnen den Kredit zu einem Zinssatz von sechs Prozent gewähren, müssen Sie schon in der Lotterie gewinnen, wenn Sie ihn zurückzahlen wollen. Das ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel.«

Mack Bedford sah ihn unverwandt an. »Sir, ich habe einen kleinen Jungen, der im Sterben liegt. Er wird sterben, wenn ich ihn nicht in die Schweiz zu einer extrem schwierigen Operation schaffen kann. Die Kosten dafür belaufen sich auf eine Million Dollar. Ich bitte die New England Savings and Loan um das Geld, damit mein Junge gerettet werden kann. Meine Krankenversicherung übernimmt nicht die Kosten für eine medizinische Behandlung im Ausland.«

»Ich verstehe Ihr Problem, Mr. Bedford, aber meine Bank kann sich nicht jedes Unglücksfalls annehmen. Ich fürchte, Sie verlangen Unmögliches.«

»Für Sie ist es so wenig«, sagte Mack. »Aber für mich geht es um Leben und Tod. Könnten Sie sich bereit erklären, in Ihrer Direktion nachzufragen, ob man mit mir sprechen würde? Mein Name lautet Lieutenant Commander Mackenzie Bedford, United States Navy SEAL, Träger des Navy Cross.«

Mr. Hill sah auf und nickte. »Sehr gern, Sir. Ich werde mit der Zentrale reden, mal sehen, ob sie mir jemanden empfehlen können. Mit dem Sie dann reden können, meine ich. Könnte sein, dass Sie dafür nach Boston müssen.«

»Sir, ich würde mich mit den betreffenden Personen auch im Hindukusch treffen, wenn es helfen würde.«

»Im wo?«

»In der Nähe des Himalaja. Kein schlechter Ort, um erschossen zu werden, wenn Sie es schon erwähnen.«

Donald Hill spürte, dass er gegen diesen großen SEAL-Commander mit seinem hiesigen Akzent nicht ankam. Er beschloss, dass es besser wäre, das Gespräch zu beenden. Er erhob sich und sagte: »Lieutenant Commander, ich hoffe, es ergibt sich etwas. Selbst in einer so großen Bank wie dieser wird manchmal anderen Überlegungen der Vorzug vor dem rein Finanziellen gegeben. Verlieren Sie nicht den Mut.«

»Nein«, erwiderte Mack. »Den habe ich nicht verloren.«

Er verließ die Bank und schlug den Heimweg ein. Es war Mittagszeit, aber er wusste nicht, ob Anne und Tommy schon zu Hause waren, vielleicht hatte das Krankenhaus den Jungen ja dabehalten.

Die Sonne war hinter der dichten Wolkendecke verschwunden. Mit dem Angeln würde es heute Abend nichts werden, selbst wenn Tommy nach Hause durfte. Eine Front zog aus Südwesten über den Golf von Maine heran; er spürte bereits, wie das Wetter sich änderte, der Wind hatte leicht gedreht, die Luft war kühler, es würde nicht mehr lange dauern, bis der Regen kam.

Mack ging hinunter zur Küste, nicht zu ihrem Angelplatz, sondern zu einer kleinen Bucht mit einem Kiesstrand und Granitfelsen, die die dunklen, hoch aufragenden Kiefern auf Abstand hielten. Er griff sich einige Kiesel und ließ sie über das Wasser schnellen. Ein Fischerboot beeilte sich, den flussaufwärts gelegenen Hafen anzulaufen, und ein rostbrauner Meeresvogel flüchtete in sein Nest. Der Mann am Ruder des Fischerboots hatte sich wohl zur Umkehr entschieden. Eine weise Entscheidung, denn hinter dem Trawler, weit achtern, türmten sich bereits hohe Wolken, die nicht mehr weiß waren, sondern bleiern grau. In ihrem Gefolge zogen Nebelschwaden herein. Regen und aufkommender auflandiger Wind. Nicht gut, wenn noch dazu die See gegen die granitenen Felswächter an der Flussmündung anstürmte.

Noch immer drang stellenweise helles Sonnenlicht durch die Wolken, die Sonne gab dem Julitag eine letzte Chance. An Tagen wie diesem, an dem das Wetter sich von seiner schlimmsten Seite zu zeigen drohte, musste er immer an die Schiffe auf See denken, an jene, die zu weit draußen waren, um noch vor Anbruch des Abends die Küste zu erreichen. Und er dachte an den großen weißen Leuchtturm auf Sequin, an dem sich die letzten Sonnenstrahlen brachen, während die Fischer gegen den steifen Südwester anzukämpfen hatten.

Außerhalb der Kirchenbank hatte er es nicht so mit dem Beten; aber heute, als er hinaufsah zur breiten Lücke in der Wolkendecke, durch die die vielleicht letzten Sonnenstrahlen des Tages fielen, bevor sich über alles die graue Decke legte, betete er für Tommy, betete er für die Werft und die Arbeiter, betete er für die Seelen seiner getöteten Freunde, die Jungs, die an jenem Tag am Euphrat gefallen waren. Und als Letztes betete er für Rauls Männer, damit ihr Attentat auf den Franzosen Henri Foche gelang.

Es war ein trauriger Tag, und er sollte noch trauriger werden. Als er nach Hause kam, machte Anne gerade Kaffee, aber es war ihr anzusehen, dass sie geweint hatte. Wortlos nahm er sie in den Arm, drückte sie an sich und spürte, wie ihr ganzer Körper von dem Schluchzen geschüttelt wurde. »Tommy geht es schlechter«, sagte sie. »Was hat die Bank gesagt?«

»Na, ich wurde nicht direkt hinausgeworfen. Aber sie haben mir klar zu verstehen gegeben, dass wir 60 000 Dollar im Jahr allein an Zinsen zahlen müssten, wenn wir den Kredit zu sechs Prozent bekommen. Und damit ist noch nichts vom eigentlichen Kredit getilgt.«

Anne wand sich los und trocknete sich mit einem Geschirrtuch die Tränen. Als sie ihn wieder ansah, funkelten ihre Augen. »Die Zinsen!«, schrie sie. »Die Zinsen! Unser Junge stirbt, und denen fällt nichts anderes ein als die Zinsen, die sie auf ihr Geld bekommen? Was sind das bloß für Leute?«

Mack trug es gefasster. »Wir müssen uns damit abfinden, Tommy ist eben nicht ihr Junge. Sie hören am Tag hundert Geschichten wie unsere. Aber noch ist nicht alles verloren. Donald Hill, der Filialleiter, sagte mir, unter gewissen Umständen würden andere Überlegungen in Betracht gezogen, nicht nur das Geld. Er hat versprochen, mit der Zentrale zu reden. Wir sollen den Mut nicht verlieren.«

Anne umarmte ihn. »Jeder braucht Hoffnung, Mack. Auch wenn es kaum noch welche gibt. Dr. Ryan war heute sehr besorgt. Er sagt, Tommys ALD-Variante kommt nur bei Jungen in seinem Alter vor, und wenn sie ausbricht, dann kann es sehr schnell gehen.«

»Er ist doch nicht noch im Krankenhaus, oder?«

»Nein, ich hab ihn heimgebracht und ins Bett gelegt. Aber im Krankenhaus ist was ganz Schlimmes passiert. Tommy hatte einen Wutanfall, den schlimmsten, den ich bislang erlebt habe. Er hat einen Teddybären durchs Zimmer geworfen und dann versucht, ihm den Kopf abzureißen. Da war er mit Joyce zusammen – du weißt schon, die Schwester, die er so mag. Dr. Ryan ist sofort rübergegangen und hat versucht, Tommy zu beruhigen. Ich habe gehört, was er zu Joyce gesagt hat.«

»Was?«

»›Verdammt, ich habe gehofft, dass es noch nicht so weit ist. Der arme Junge, er hat kein halbes Jahr mehr.‹«

»Hast du nicht gesagt, dass das schon häufiger passiert ist?«

»Ja, einige Male, als du nicht da warst. Aber es war nie so schlimm wie heute. Jedenfalls habe ich den Doktor gefragt, ob es wirklich so schlimm ist, und er meinte, die Krankheit würde viel zu schnell sein Nervensystem schädigen. Das Problem ist, Tommy war so stark und so gesund und aktiv. Anscheinend wirkt sich die Krankheit bei solchen Kindern umso schlimmer aus. Wenn wir ihn nicht schnell in diese Schweizer Klinik bringen, dann, sagt er, müssen wir damit rechnen, dass Tommy bald stirbt.«


Raul in Marseille war überzeugt, einen zwei Millionen Dollar schweren Kunden am Haken zu haben, den er nur noch an Land ziehen musste. Er hatte bereits einen Hubschrauber gemietet und Jean-Pierre und Ramon losgeschickt, damit sie sich in Rennes ein wenig umsahen. Sie sollten sich schon mal mit der Gegend vertraut machen, Foches Haus, sein Büro in Augenschein nehmen, das Umfeld erkunden. Wenn Morrison zurückrief, würde es wichtig sein, einen professionellen Eindruck zu hinterlassen, so, als wüssten FOJ genau, was sie taten.

Raul hatte soeben mit Jean-Pierre telefoniert. Der hatte sich gegenüber dem Parteibüro der Gaullisten befunden, als Foche vorgefahren kam, er hatte sich das Kennzeichen des Mercedes notiert und Foche und seine beiden Leibwächter fotografiert, von denen einer, der in einer braunen Wildlederjacke, der Fahrer war.

Während Jean-Pierre das Parteibüro observierte, hatte Ramon Foches Anwesen inspiziert. Es hatte nur ein paar Minuten gedauert, die Adresse herauszubekommen, nachdem er sich in einem örtlichen Lebensmittelladen als Kurier ausgegeben hatte. Daraufhin packte Ramon seine Kamera aus und fotografierte das Haus aus mehreren Blickwinkeln, von vorn und von hinten. Versteckt hinter Bäumen in den Nachbargärten, machte er Aufnahmen sämtlicher Eingänge. Dann wartete er, bis Foche gegen 19 Uhr nach Hause kam. Foche hatte zuvor Jean-Pierres kleinen Mietwagen nicht bemerkt, der ihm zu Anne-Maries Wohnung gefolgt war, wo er etwa eine Stunde geblieben war. Ramon fotografierte ihn, als er aus dem Wagen stieg, und dabei bemerkte er, dass Marcel ihm nicht zum Eingang folgte. Das gefiel ihm, es gefiel ihm sogar sehr, und erneut überlegte er, ob nicht ein Scharfschützengewehr die beste Waffe bei diesem Job sei.

Es dämmerte langsam. Rauls Männer hatten in den wenigen Stunden einige wichtige Informationen zusammengetragen. Es würden noch viel mehr werden, bevor jemand wirklich auf den Abzug drückte. Aber an diesem Abend war nicht mehr viel zu tun.

Sie quartierten sich im komfortablen Hotel des Lices ein, aßen dort zu Abend und wollten am nächsten Morgen wieder früh raus, damit sie in ihrem Mietwagen zur Morgendämmerung vor Foches Anwesen standen. Ihre Anweisungen waren klar: Bis vier Uhr nachmittags die Zentrale mit so vielen Informationen wie möglich zu versorgen. Und dann per Zug zurück nach Marseille.


Henri Foche traf kurz nach neun in seinem Wahlkampf-Hauptquartier ein. Sein Team feilte bereits an den Slogans für den erwarteten großen gaullistischen Sieg, der ihn an die Macht bringen würde. Die gesamte gegenüberliegende Wand wurde von einem sechs Meter großen Plakat eingenommen: Henri Foche – pour la Bretagne, pour la France! Für die Bretagne, für Frankreich. Auf den Tischen lagen weitere Plakate mit seinem Porträt, darunter die jeweiligen Slogans – der Mann, der den Unterschied ausmacht; der Politiker für die Industrie; der Politiker für Arbeitsplätze; Foche: der neue de Gaulle; der Staatsmann, der an Frankreich glaubt.

Zufrieden betrachtete Foche das Ergebnis ihrer kreativen Arbeit. Hier fand sich kein Wort, das er nicht persönlich abgesegnet hatte, aber er reichte die Lorbeeren gern an seine Mitarbeiter weiter, besonders an jene, die alles aus freien Stücken und unentgeltlich taten und sich bemühten, für den Start der Wahlkampfkampagne in zwei Wochen optimal vorbereitet zu sein.

Auf der anderen Straßenseite überlegte Jean-Pierre, ob ein Sprengsatz, mitten in diesem Raum platziert, nicht die sauberste Lösung wäre. Damit würde zwar auch ein halbes Dutzend andere Menschen ausgelöscht – ein Sprengsatz bot jedoch mehrere Vorteile. Erst einmal würde er die Polizei auf eine falsche Fährte locken. Ein Sprengsatz war eine sehr viel unpersönlichere Waffe als die Kugel eines Attentäters. Sie konnte von den politischen Gegnern der Gaullisten, von irgendwelchen linken Gruppierungen, die den drohenden Machtverlust fürchteten, durchs Fenster in den Raum geworfen worden sein. Ein Sprengsatz könnte natürlich auch ferngezündet werden. Ein Zeitzünder würde nicht funktionieren, weil keiner wusste, wann Foche auftauchte. Der Attentäter würde den Sprengsatz also einfach durchs Fenster schleudern oder ihn in den frühen Morgenstunden im Büro ablegen, um ihn dann von der Straße aus hochgehen zu lassen, sobald Foche angekommen war.

Damit würde man auch das Problem umgehen, dass unbeteiligte Passanten den Scharfschützen sahen, der auf den kommenden Präsidenten Frankreichs anlegte. Jean-Pierres Meinung nach sollte das Attentat auf offener Straße erfolgen. Rennes war eine geschäftige Stadt voller Touristen, die Polizei würde sehr schnell am Tatort sein. Aber keinem würde ein Mann mit einem kleinen Zünder auffallen, der auf einen Knopf drückt und 100 Meter weiter eine Bombe hochgehen lässt.

Und die sechs Unschuldigen, die dabei mit großer Wahrscheinlichkeit getötet oder zumindest schwer verwundet würden? Na, die gingen Jean-Pierre oder Ramon nichts an. Ihre Aufgabe lautete, Henri Foche zu töten, 400 000 Dollar pro Mann einzusacken und spurlos zu verschwinden. Ein ganze Menge Kohle. Da blieb für solche Kleinigkeiten keine Zeit.

Raul war sehr zufrieden mit ihrer Arbeit. Sie riefen ihn von diversen Touristenlokalen in Rennes an. Sie hatten Adressen, Telefonnummern, ja sogar die Adresse von Foches Geliebter, nicht allerdings ihren Namen. Wenn der Vertrag zustande kam, würden sie ähnliche Aufklärungsarbeit in Paris leisten, falls Raul irgendwie an Foches Adresse kommen konnte. In den Medien war meist nur von »seiner Wohnung in der Nähe der Avenue Foch, 16. Arrondissement« die Rede.

Bewaffnet mit Notizblock und Kartenmaterial, wartete Raul auf den Anruf, den Anruf, der großes Geld versprach. Mack Bedford war pünktlich wie immer. Oben auf dem Dachboden versuchten zwei Techniker fieberhaft, das Gespräch zurückzuverfolgen, doch wie immer, wenn Mr. Morrison in der Leitung war, herrschte elektronischer Wirrwarr. Die Geräte gaben ihren hohen Pfeifton von sich, die Techniker fluchten, und keiner wusste, woher Mr. Morrison anrief.

Raul glaubte mittlerweile, dass das von Morrison erwähnte London stimmen könnte. Das multikulturelle London mit seinen bescheuerten Gesetzen, die nur Kriminellen und Terroristen zugutekamen, mit seinen unehrlichen Politikern, einer völlig unzulänglichen Polizei und dem charakteristischen Mangel alter britischer Tugenden war zu Europas Brutstätte internationaler Konspirationen geworden. Der britischen Bevölkerung war mittlerweile so ziemlich alles egal, die meisten konnten sich noch nicht einmal mehr dazu aufraffen, zur Wahl zu gehen. Die Polizei war vollauf mit Verkehrsdelikten beschäftigt, und der linke Flügel der Regierung hatte es sich mehr oder weniger auf die Fahnen geschrieben, denen zu helfen, die unverzeihliche Verbrechen begangen hatten und deren Namen gewöhnlich auf Abdul, Mohammed, Mustafa oder Khaled lauteten. London, es klang plausibel.

»Hallo, Mr. Morrison«, sagte er. »Pünktlich wie immer. Ich habe einige interessante Dinge zu berichten, vorausgesetzt, Sie bedürfen unserer Dienste noch.«

»Davon können Sie ausgehen«, erwiderte Mack.

»Sehr schön. Ich habe mich lange mit meinen Kollegen unterhalten, und wir sind einstimmig zu dem Schluss gekommen, dass das Projekt trotz seiner ungewöhnlichen Gefahren nicht undurchführbar ist. Meine Männer sind zuversichtlich, das richtige Ergebnis erzielen zu können.«

Für Mack klang er wie ein Supermarktleiter, der auf dem Kundenparkplatz eine Umfrage durchführen lassen wollte.

»Wir haben uns in Rennes, wo das Zielobjekt wohnt, bereits ein wenig umgesehen. Sein Haus ist zugänglich, zwei- bis dreimal am Tag dürfte er ungeschützt sein. Außerdem hat er eine Geliebte in der Stadt, die er gestern zweimal besucht hat, beide Male ohne Sicherheitsleute, sie haben ihn lediglich mit dem Wagen dort abgesetzt und etwa eine Stunde später wieder abgeholt.

Das Parteibüro liegt im Stadtzentrum, im Erdgeschoss, es hat große Fenster, etwa sechs Mitarbeiter sind meist zugegen. Im Moment favorisieren meine Männer einen Sprengstoffanschlag. Wenn Sie sich dazu entschließen sollten, uns grünes Licht zu geben, werden wir diese Woche unsere Aufklärungsarbeit nach Paris verlegen. Das Zielobjekt hat dort im sehr belebten Stadtzentrum eine Wohnung. Paris allerdings wäre für uns nicht die erste Wahl.«

»Danke, Raul. Da haben Sie ja einiges zusammengetragen. Sie wissen sicherlich: Die Zeit, die man für die Aufklärung aufwendet, ist selten verlorene Zeit.«

»Ja, ich war mir von Anfang an sicher, dass Sie mal beim Militär waren, Mr. Morrison.«

»Tatsächlich? Aber Sie dürften auch wissen, dass ich große Sorgfalt auf den Schutz meiner Identität verwende.«

»Das ist mir aufgefallen. Was uns zu der Nebensächlichkeit von 50 000 Dollar als Vorschuss für unsere Vorbereitungen führt. Haben Sie sich darüber Gedanken gemacht?«

»Raul, ich habe wesentlich mehr gemacht als das. Das Geld liegt in US-Dollar in Genf und wird morgen früh für Sie abholbereit sein. Ich werde Ihnen innerhalb von zwölf Stunden den Namen des Anwalts und dessen Adresse mitteilen. Die Bank hat sich noch nicht für einen bestimmten Anwalt entschieden. Es ist wichtig, dass der Anwalt weder Sie noch uns kennt und die Bank außerdem keine Ahnung hat, wer Sie sind, richtig?«

»Absolut. Vielleicht ist das der Zeitpunkt, um zu erwähnen, dass der Gefahrengrad dieses Projekts in der Tat sehr hoch ist. Das Zielobjekt wird die meiste Zeit von bewaffneten Bodyguards begleitet, wobei wir noch nichts über den Stand der Sicherheitseinrichtungen im Haus selbst sagen können. Es wäre der Ruin meines Unternehmens, wenn etwas schiefgehen würde. Angesichts dessen würden wir drei Millionen US-Dollar verlangen, sollten wir den Auftrag ausführen.«

»Völlig zwecklos, Kumpel«, erwiderte Mack kurz angebunden. »Ich habe Ihnen von Anfang an gesagt, dass wir bis höchstens zwei Millionen gehen, nicht weiter. Und Sie sagten, es sei fix. Ich rufe Sie morgen an und gebe Ihnen den Namen des Schweizer Anwalts durch … tut mir leid, dass wir nicht zusammenkommen … bis dann, Raul.«

»Warten Sie, warten Sie, Mr. Morrison!« Raul geriet zwar nicht in Panik, verstand es aber sehr gut, genau diesen Eindruck zu vermitteln. »Diese Dinge sind doch verhandelbar. Natürlich bin ich verpflichtet, für die beiden Männer, die das eigentliche Risiko tragen, den besten Preis herauszuschlagen.«

»Kein Problem, Raul. Aber den kriegen Sie von mir nicht. Wir haben bereits mit einem anderen, ähnlichen Unternehmen in Rumänien gesprochen. Sie machen es für eine Million. Ich denke nicht, dass es über Ihre Raffinesse verfügt, aber wenn Sie drei wollen, dann probiere ich es mit denen. Vielleicht versauen sie die Sache, aber dann erwischen sie ihn beim zweiten Mal. Dann fahre ich damit immer noch besser als mit Ihnen, wenn ich Ihnen drei Millionen zahle. Tut mir leid, Raul, Sie haben sich soeben aus dem Markt gehandelt.«

»Dann erlauben Sie vielleicht, dass ich mich wieder in den Markt handle. Zwei Millionen also. Ich dachte nur, wenn schon ein Staat hinter dieser Sache steht, dann sollte uns mehr zustehen.«

»Raul, Sie wissen nicht, ob ein Staat dahintersteht.«

»Es würde mich überraschen, wenn es nicht so wäre. Das Zielobjekt ist ein international bekannter Politiker, in solchen Fällen ist es fast immer eine Regierung, die ihn beseitigen möchte.«

»Gut, nachdem die finanziellen Dinge also aus dem Weg geräumt sind, sagen Sie mir offen und ehrlich: Können Ihre Jungs das Zielobjekt wirklich ausschalten?«

»O ja, Mr. Morrison. Darauf können Sie sich verlassen. Wir haben einen Ruf zu verteidigen, den wir uns hart erarbeitet haben.«

Mack Bedford sah auf das aufgewühlte dunkle Wasser und hinüber zu Remsons Trockendock, wo die noch verbliebenen Arbeiter den Rumpf von F718 strichen. Sein Gefühl mahnte ihn zur Vorsicht.

»Raul«, sagte er, »wenn ich Sie morgen anrufe, um Ihnen den Namen des Anwalts durchzugeben, sollten wir unseren Deal beschließen. Aber ich brauche Zeit, um mich zu beraten. Ich bin enttäuscht von Ihrer Habgier und dass Sie versucht haben, die ausgehandelten Bedingungen zu ändern. Das ist unserer Freundschaft abträglich. Aber vielleicht können wir das wieder hinbiegen.«

»Das hoffe ich doch, Mr. Morrison. Denn letztendlich glaube ich, dass wir gut zusammenarbeiten werden, damit Sie Ihr Problem loswerden.«

Das hoffte Mack auch. Seiner Heimatstadt zuliebe. Trotzdem, ihm gefielen die Leute nicht, die sich nicht an feste Vereinbarungen hielten. In seinem Kopf schrillte keine Warnglocke mehr, sondern ein gellender Feueralarm.