Kapitel 24
Bevor dieses Flugzeug abstürzt, bevor das Band des Flugschreibers ausläuft, möchte ich mich vor allem für das Buch der Alltagsgebete entschuldigen.
Die Menschen sollen wissen, dass das Buch der Alltagsgebete nicht meine Idee war. Ja, es hat sich weltweit zweihundert Millionen Mal verkauft. Ja, ich habe zugelassen, dass es unter meinem Namen erschien, aber der geistige Vater dieses Buchs war der Agent. Ganz zu Anfang war es die Idee eines Namenlosen aus dem Autorenteam. Irgendeines Werbetexters, der ganz groß rauskommen wollte. Seinen Namen habe ich vergessen.
Ich betone: Das Buch war nicht meine Idee.
Eines Tages sucht mich der Agent auf, und in seinen braunen Augen funkelt jenes tänzelnde Licht, das ein gutes Geschäft verheißt. Meiner Presseagentin zufolge bin ich total ausgebucht. Wir hatten bereits einen Riesenposten von mir signierter Bibeln verkauft. Wir hatte kilometerweise Stellflächen in Buchhandlungen reserviert, und ich war auf Tournee.
»Glauben Sie bloß nicht, so eine Promotionstour wäre ein Spaß«, sagt der Agent.
Bücher signieren, sagt der Agent, ist genau dasselbe, wie wenn am letzten Tag in der Highschool jeder von einem verlangt, man soll ihm etwas in sein Jahrgangsbuch schreiben, nur dass eine Büchertournee ein ganzes Leben lang weitergehen kann.
Entsprechend meinem Reiseplan bin ich gerade in einem Lagerhaus in Denver und signiere schon mal auf Vorrat, als der Agent mir seine Idee für ein kleines Andachtsbuch auftischt, das die Leute im Alltag würden benutzen können. Ein Taschenbuch mit kurzen Prosagedichten, sagt er. Fünfzig Seiten, maximal. Kleine Betrachtungen zu Themen wie Umwelt oder Kinder. Unverfängliches Zeug. Mütter. Pandas. Themen, die keinem auf die Füße treten. Allgemeine Probleme. Wir setzen meinen Namen drauf, behaupten, ich hätte das geschrieben, und machen erst mal einen Probelauf.
Des weiteren sollen die Leute wissen, dass ich das fertige Buch erst zu Gesicht bekommen habe, nachdem schon die zweite Auflage erschienen war, nachdem bereits über fünfzigtausend Exemplare verkauft waren. Die Öffentlichkeit war schon mehr als nur ein bisschen sauer, aber das ganze Theater trieb die Verkaufszahlen erst recht in die Höhe.
Jedenfalls warte ich eines Tages in der Garderobe auf meinen Auftritt als Komoderator irgendeiner Fernsehtalkshow. Das war jetzt viel später, lange nach der Tournee, auf der ich Bibeln signiert hatte. Mit der Sache hier verfolgen wir den Plan, dass ich, wenn die Einschaltquote mit mir als Komoderator bedeutend ansteigt, die Chance auf eine eigene Sendung bekommen kann. Ich bin also in der Garderobe und tausche mit irgendeiner Schauspielerin, Wendi Daniels oder wie die hieß, Geheimrezepte zur Zehennagelpflege aus, als sie mich plötzlich bittet, mein Buch zu signieren. Sie hält es mir hin. Das Buch der Alltagsgebete. Es ist das erste Mal, dass ich es zu sehen bekomme, das schwöre ich. Ich schwöre es auf einen ganzen Stapel der von mir signierten Bibeln.
Wendi Daniels zufolge kann ich die Schwellung unter meinen Augen glätten, indem ich etwas Hämorrhoidensalbe in die Haut einreibe.
Und dann gibt sie es mir, das Buch der Alltagsgebete, und tatsächlich steht da mein Name auf dem Umschlag. Ich, ich, ich. Da wär ich also.
Und drinnen stehen die Gebete, von denen die Leute glaube, dass ich sie geschrieben habe:
Das Gebet, den Orgasmus hinauszuzögern.
Das Gebet, Pfunde zu verlieren.
So wie sich Versuchstiere im Labor fühlen müssen, wenn sie zu Hotdogs verarbeitet werden, so verletzt habe ich mich da gefühlt.
Das Gebet, mit dem Rauchen aufzuhören:
Heiligster Vater unser,
Befreie mich von der Entscheidung,
Vor die du mich gestellt hast.
Lenke du selbst mein Wollen und Tun.
Entwinde mir die Macht über mein Handeln.
Möge es dein Wille sein, wie ich mich verhalte.
Möge ich durch deine Hände straucheln.
Und wenn ich dann immer noch rauche,
Möge ich hinnehmen, dass es
Nach deinem Willen geschieht.
Amen
Das Gebet, Schimmelflecken zu entfernen.
Das Gebet, Haarausfall zu verhindern:
Gott, du oberster Lenker,
Hirte deiner Herde,
Wie du dem geringsten deiner Mündel beistehst,
Wie du das verlorenste deiner Lämmer rettest,
So verhilf mir wieder zum vollen Maß meiner Pracht.
Bewahre mir den Rest meiner Jugend.
Die ganze Schöpfung kannst du geben.
Die ganze Schöpfung kannst du nehmen.
Gott grenzenlosen Überflusses,
Gedenke meiner Leiden.
Amen.
Das Gebet, eine Erektion herbeizuführen.
Das Gebet, eine Erektion zu behalten.
Das Gebet, bellende Hunde zum Schweigen zu bringen.
Das Gebet, Autoalarmanlagen zum Schweigen zu bringen.
Nach diesem Schock sah ich im Fernsehen natürlich furchtbar aus. Eine eigene Talkshow, na ja, die konnte ich gleich vergessen. Eine Minute nach dem Ende der Sendung telefonierte ich mit meinem Agenten in New York, wobei von meiner Seite nur wütende Attacken kamen.
Er aber dachte nur an das Geld.
»Was ist ein Gebet?«, sagt er. »Eine Beschwörung«, sagt er, und schreit mich aus dem Hörer an: »Damit kann der Mensch seine Energie auf ein spezielles Bedürfnis richten. Der Mensch muss sich über ein bestimmtes Ziel klar werden, wenn er es erreichen will.«
Das Gebet, Strafzettel zu vermeiden.
Das Gebet, undichte Wasserleitungen zu stopfen.
»Die Leute beten, um Probleme zu lösen, und in diesem Buch geht es um echte Probleme, die den Menschen Sorgen machen«, schreit der Agent.
Das Gebet für mehr Sensibilität im Vaginalbereich.
»Ein Gebet schmiert das quietschende Rad«, sagt er. Da kann man sehen, dass er nur Stroh im Kopf hat. »Mit einem Gebet gibt man seine Bedürfnisse bekannt.«
Das Gebet gegen Getriebegeräusche.
Das Gebet für einen Parkplatz:
O gnädiger Gott im Himmel,
Beispiellos will ich dich verehren,
Wenn du mir heute einen Parkplatz gibst.
Denn du bist der Geber.
Und du bist die Quelle.
Von dir kommt alles Gute.
In dir ist alles zu finden.
In deiner Obhut werde ich Ruhe finden.
Unter deiner Führung werde ich Frieden finden.
Lass mich halten, ruhen, einen Parkplatz finden.
Du kannst ihn mir geben. Ich bitte dich darum.
Amen.
Bald werde ich sterben, und daher sollen die Leute wissen, dass ich selbst bei all dem nur die eine Absicht hatte: der Ehre des Herrn zu dienen. So ziemlich jedenfalls. Nicht dass ihr das in unserem Missionsplan finden könntet, aber das war im großen Ganzen mein Plan. Ich wollte mir wenigstens Mühe geben. Aber dieses neue Buch machte so gar keinen frommen Eindruck. Von Andacht keine Spur.
Das Gebet gegen übermäßigen Achselschweiß.
Das Gebet für ein zweites Bewerbungsgespräch.
Das Gebet, eine verlorene Kontaktlinse aufzuspüren.
Trotzdem, sogar Fertility sagt, ich würde mit meiner Einschätzung des Buchs total danebenliegen. Fertility wollte sogar einen zweiten Band sehen.
Manchmal, sagt Fertility, erinnere ich sie, wenn ich Gott vor versammeltem Stadion preise, an Leute, die T-Shirts mit Micky Maus oder Coca-Cola drauf tragen. Das sei so läppisch. So einerlei. Da könne man gar nichts falsch machen. Fertility sagt, Gott zu preisen, das sei eine völlig unriskante Sache. Da brauche man keinen einzigen Gedanken dran zu verschwenden.
»Seid fruchtbar und mehret euch«, sagt Fertility. »Preiset Gott. Mit so was riskiert man nichts. Darauf sind wir doch werkseitig eingestellt.«
Das einzig Gute an dem Buch der Alltagsgebete war, dass die Leute für jedes einzelne Gebet eine Verwendung hatten. Manche zeigten sich empört, hauptsächlich Religionsvertreter, denen die Konkurrenz ein Dorn im Auge war, aber zu dem Zeitpunkt machten wir bereits kaum noch Umsatz. Unsere Einnahmen gingen stark zurück. Der Markt war gesättigt. Die Leute hatten die Gebete auswendig gelernt. Sie standen im Stau und sprachen das Gebet für fließenden Verkehr. Männer sprachen das Gebet, den Orgasmus hinauszuzögern, und es funktionierte mindestens so gut wie das Abspulen von Multiplikationstabellen. Es schien das Beste zu sein, einfach den Mund zu halten und zu lächeln.
Außerdem gingen bei meinen persönlichen Auftritten die Zuschauerzahlen zurück, und das sah dann schon nach dem Anfang vom Ende aus. Mein Bild auf der Titelseite von People war bereits drei Monate alt.
Und so etwas wie eine Promi-Jobberatung gibt es nicht.
Das erlebt man nie, dass verblühte Filmstars oder ähnliche Leute zur Umschulung auf die Abendschule gehen. Das Einzige, was mir noch übrig blieb, waren die Gameshows, und so schlau bin ich nun auch wieder nicht.
Ich hatte meinen Zenit überschritten, und vom Timing her schien mir dies wieder einmal ein guter Zeitpunkt zu sein, mich endlich umzubringen, und fast hätte ich’s auch getan. Die Pillen lagen schon in meiner Hand. So nahe war ich dran. Ich wollte mich mit einer Überdosis Metatestosteron aus der Welt schaffen.
Dann ruft der Agent an, laut, richtig laut schreit er ins Telefon, und das hört sich an wie eine Million kreischende Christen, die in Kansas City deinen Namen schreien, so viel Erregung ist in seiner Stimme.
Über das Telefon in meinem Hotelzimmer erzählt mir der Agent vom besten Engagement meiner bisherigen Karriere. Nächste Woche. Dreißig Sekunden zwischen einer Tennisschuhreklame und einem Werbespot für eine Taco-Restaurantkette, und das zur besten Sendezeit.
Wunderliche Vorstellung, dass ich die Pillen schon fast geschluckt hatte.
Das ist nun ganz und gar nicht mehr langweilig.
Landesweites Fernsehen, zig Milliarden Zuschauer, das wäre das Allergrößte, meine letzte Chance, die Pistole zu ziehen, um mich während einer vernünftigen Sehbeteiligung zu erschießen.
Das wäre ein absolut nicht unzubeachtendes Märtyrertum.
»Einen Haken hat die Sache allerdings«, sagt der Agent. Er schreit aus dem Hörer: »Ich habe denen erzählt, dass Sie ein Wunder tun werden.«
Ein Wunder.
»Nichts zu Großes. Sie brauchen nicht das Tote Meer zu teilen oder so was«, sagt er. »Wasser in Wein verwandeln wäre schon ausreichend, aber denken Sie dran, ohne ein Wunder wird der Spot nicht gesendet.«