Kapitel 44

Es gehört zu meinem Job, mir das geplante Menü für die Dinnerparty heute Abend vorher anzusehen. Das heißt, ich muss mit dem Bus von dem Haus, in dem ich arbeite, zu einem anderen großen Haus fahren und dort irgendeinen fremden Koch fragen, was man für das Essen eingeplant hat. Meine Arbeitgeber haben für Überraschungen nichts übrig, also gehört es zu meinem Job, ihnen rechtzeitig mitzuteilen, ob man heute Abend von ihnen erwartet, irgendetwas Kompliziertes wie einen Hummer oder eine Artischocke zu essen. Steht etwas Bedrohliches dieser Art auf dem Speiseplan, muss ich ihnen erklären, wie man das richtig zu sich nimmt.

So verdiene ich mein Geld.

Der Mann und die Frau, die das Haus bewohnen, in dem ich putze, sind nie da. Das liegt an der Arbeit, die sie machen. Das wenige, was ich von ihnen weiß, habe ich aus den Dingen geschlossen, die ich für sie sauber mache. Aus den Gegenständen, die ich ihnen hinterher räume. Aus der Unordnung, die ich Tag für Tag für sie beseitige. Zum Beispiel muss ich ihre Videos zurückspulen:

Begleitagentur Anal Total.

Die Riesentitten von Letha Weapons. Die Abenteuer von Sinderella.

Wenn mein Bus mich hier absetzt, sind die Leute, für die ich arbeite, bereits in der Stadt und arbeiten. Wenn sie nach Hause kommen, bin ich schon wieder in der Stadt in meiner Einzimmer-Sozialwohnung; früher war das bloß ein winziges Hotelzimmer, bis jemand einen Herd und einen Kühlschrank da reingestopft hat, um die Miete raufsetzen zu können. Das Bad ist immer noch auf dem Flur.

Die Gespräche mit meinen Arbeitgebern finden ausschließlich über ein Freisprechtelefon statt. Das ist so ein Plastikkasten, der bei ihnen in der Küche steht und mich anschreit, dass ich schneller machen soll.

Zweites Buch der Chronik. Kapitel sechsunddreißig, Vers neunzehn:

»… und alle ihre Paläste brannten sie mit Feuer aus, dass alle ihre köstlichen Geräte verderbt wurden …« irgendwie so weiter. Man kann nicht die ganze Bibel im Kopf haben. Dann hätte man keinen Platz mehr, sich seinen Namen zu merken.

Das Haus, in dem ich seit sechs Jahren putze, entspricht den üblichen Erwartungen, es ist groß und liegt in einem echten Nobelviertel. Jedenfalls verglichen mit dem, wo ich wohne. Die Wohnungen in meiner Gegend haben was von einer warmen Klobrille. Eben hat noch jemand drauf gesessen, und kaum ist man aufgestanden, kommt der Nächste.

In dem Stadtteil, in den ich jeden Morgen zur Arbeit fahre, hängen überall Bilder in den Wohnungen. Hinter der Eingangstür sind jede Menge Zimmer, die nie betreten werden. Küchen, in denen niemand kocht. Bäder, die niemals schmutzig werden. Meine Arbeitgeber lassen Geld herumliegen, um mich auf die Probe zu stellen: Werde ich es nehmen? Immer mindestens einen 50-Dollar-Schein, der wie zufällig hinter der Frisierkommode liegt. Ihre Kleider sehen aus wie von einem Architekten entworfen.

Neben dem Freisprechtelefon liegt ein fetter Terminkalender, in den sie alles eintragen, was ich zu tun habe. Ich bin praktisch für die nächsten zehn Jahre ausgebucht. Für diese Leute reduziert sich mein Leben auf einen Punkt in einer Liste. Auf bestimmte Aufgaben. Mein Leben streckt sich zu einer Geraden.

Die kürzeste Strecke zwischen zwei Punkten ist ein Zeitplan, ein Stundenplan, der Fahrplan für den Rest deines Lebens.

Nichts macht einem die gerade Linie von hier bis zum Tod so anschaulich wie eine Liste.

»Ich will Ihren Terminkalender sehen«, schreit es mich aus dem Lautsprecher an. »Ich will wissen, wo genau ich Sie heute in fünf Jahren um sechzehn Uhr finden kann. Ich verlange von Ihnen genaue Angaben.«

Wenn man das, was einen im Leben erwartet, schwarz auf weiß vor sich sieht, empfindet man jedes Mal eine gewisse Enttäuschung. Wie wenig man verwirklichen kann. Das Resümee der eigenen Zukunft.

Es ist Samstag, vierzehn Uhr, und laut Terminkalender soll ich fünf Hummer kochen, damit sie üben können, wie man diese Tiere isst. So viel Geld verdienen diese Leute.

Wenn ich Kalbsfleisch essen will, muss ich es im Bus auf dem Schoß nach Hause schmuggeln.

Wie man einen Hummer kocht, ist kein Geheimnis. Als Erstes füllt man einen Kessel mit kaltem Wasser und tut eine Prise Salz rein. Man kann auch Wasser und Wermut oder Wodka zu gleichen Teilen nehmen. Wer es gern kräftiger hat, kann dem Wasser auch etwas Seetang beifügen. Das lernt man schon in der Schule, in Hauswirtschaftslehre.

Fast alles andere, was ich sonst noch weiß, habe ich aus dem Chaos gelernt, das diese Leute verbreiten.

Fragt mich doch mal, wie man Blutflecken aus einem Pelzmantel entfernt.

Nein, wirklich, fragt nur.

Fragt mich.

Das Geheimnis ist Maismehl, und dann muss man den Pelz gegen den Strich ausbürsten. Das Komplizierte daran ist nur, dass man den Mund fest zuhalten muss.

Um Blut von Klaviertasten zu entfernen, muss man sie mit Talkumpuder oder Milchpulver abreiben.

Solche Kenntnisse braucht man bei der Arbeit zwar nur selten, aber um Blutflecken von einer Tapete zu entfernen, muss man einen Brei aus Maisstärke und Wasser auftragen. Das wirkt auch, wenn es Blut von Matratzen oder Sofas zu entfernen gilt. Man darf nur nicht lange darüber nachgrübeln, wie schnell so etwas geschehen kann. Selbstmorde. Unfälle. Verbrechen aus Leidenschaft.

Ihr müsst euch nur auf den Fleck konzentrieren, bis eure Erinnerung vollständig ausgelöscht ist. Übung macht wirklich den Meister. Falls man das so nennen kann.

Schiebt den Gedanken beiseite, dass euer einziges richtiges Talent darin besteht, die Wahrheit zu verbergen. Gott hat euch die Gabe verliehen, schreckliche Sünden zu begehen. Das ist eure Berufung. Ihr habt ein natürliches Talent zum Leugnen. Was ein wahrer Segen ist.

Falls man das so nennen kann.

Seit sechzehn Jahren arbeite ich jetzt als Putzmann; trotzdem möchte ich immer noch daran glauben, dass die Welt besser wird, obwohl ich natürlich weiß, dass das nicht stimmt. Man möchte, dass die Menschen sich bessern, aber das tun sie nicht. Aber man möchte sich einbilden, dass man etwas dazu beitragen kann.

Tag für Tag säubere ich dieses Haus, aber besser wird dadurch nur eines, nämlich mein Geschick, alles, was nicht in Ordnung ist, unter den Teppich zu kehren.

Gott behüte, dass ich die Leute, für die ich arbeite, jemals von Angesicht zu Angesicht kennen lerne.

Kommt bitte nicht auf die Idee, dass ich meine Arbeitgeber nicht mag. Die Sozialarbeiterin hat mir schon viel schlimmere Stellen besorgt. Ich hasse diese Leute nicht. Ich liebe sie zwar nicht, aber ich hasse sie auch nicht. Ich habe schon für viel schlimmere gearbeitet.

Fragt mich doch mal, wie man Urinflecken aus Vorhängen und Tischdecken bekommt.

Fragt mich, wie man Einschusslöcher in einer Wand am schnellsten zum Verschwinden bringt. Die Antwort ist Zahnpasta. Bei größeren Kalibern nimmt man eine Mischung aus Stärke und Salz zu gleichen Teilen.

Nennt mich die Stimme der Erfahrung.

Fünf Hummer sollten eigentlich reichen, um die knifflige Technik zu erlernen, wie man den Rücken aufbekommt. Den Rückenschild, so heißt das wohl. Im Innern befindet sich das Hirn oder das Herz, das es zu finden gilt. Der Trick besteht darin, die Hummer ins Wasser zu legen und dann erst den Herd anzustellen. Alles ganz langsam, das ist das Geheimnis. Das Wasser sollte erst nach einer halben Stunde zum Kochen kommen. Auf die Weise sterben die Hummer einen schmerzlosen Tod. Sagt man.

Der Terminkalender hält mich auf Trab. Ich muss noch den Kupferkessel auf Hochglanz bringen, wozu ich dann eine in Salz getauchte Zitronenhälfte nehme.

Die Hummer, mit denen wir üben müssen, heißen Jumbos und wiegen etwa drei Pfund das Stück. Hummer, die weniger als ein Pfund wiegen, heißen Chicken. Hummer, denen eine Schere fehlt, nennt man einscherig. Die in feuchten Seetang gewickelten Hummer, die ich aus dem Kühlschrank nehme, müssen etwa eine halbe Stunde lang kochen. Auch so was lernt man schon in Hauswirtschaftslehre.

Die größere der beiden Vorderscheren, die mit etwas Ähnlichem wie Backenzähnen besetzt ist, heißt Knackschere. Die kleinere, mit Schneidezähnen besetzte, heißt Schneidschere. Hinter den Scheren befinden sich die Beine. An der Unterseite des Schwanzes sind fünf Reihen kleiner Flossen, die man Schwimmfüße nennt. Auch das lernt man in Hauswirtschaftslehre. Wenn die Vorderreihe der Schwimmfüße weich und fedrig ist, handelt es sich bei dem Hummer um ein Weibchen. Bei einem Männchen ist die Vorderreihe hart und rau.

Bei einem Weibchen suche man nach dem Corail, einer knöchernen herzförmigen Höhlung zwischen den Hinterbeinen. Dort findet man, falls das Weibchen in den letzten zwei Jahren Sex gehabt hat, noch lebenden Rogen.

Das Telefon klingelt, während ich die Hummer, drei Männchen und zwei Weibchen, beide ohne lebenden Rogen, in den Kessel lege.

Das Telefon klingelt, während ich die Herdplatte eine Stufe höher stelle.

Das Telefon klingelt, während ich mir die Hände wasche.

Das Telefon klingelt, während ich mir eine Tasse Kaffee einschenke, um dann noch Sahne und Zucker einzurühren.

Das Telefon klingelt, während ich eine Hand voll Tang aus der Hummertüte nehme und auf den Hummern im Topf verteile. Ein Hummer hebt die Knackschere und bittet um Aufschub seiner Hinrichtung. Knackscheren und Schneidscheren, alle sind sie mit Gummibändern gefesselt.

Das Telefon klingelt, während ich mir ein weiteres Mal die Hände wasche und abtrockne.

Das Telefon klingelt, und ich gehe ran.

Haus Gaston, sage ich.

»Residenz Gaston!«, schreit es mich aus dem Lautsprecher an. »Sagen Sie es! Residenz Gaston! Melden Sie sich so, wie wir es Ihnen beigebracht haben!«

In Hauswirtschaftslehre wird einem beigebracht, dass man ein Haus nur in schriftlicher Form als Residenz bezeichnen darf. Das haben wir zigtausend Mal geübt.

Ich nehme einen Schluck Kaffee und korrigiere die Hitze unter den Hummern. Aus dem Lautsprecher kreischt es weiter: »Sind Sie noch dran? Hallo? Ist die Verbindung unterbrochen?«

Das Ehepaar, für das ich arbeite – die beiden waren einmal auf einer Party die einzigen Gäste, die nicht wussten, wie man das Deckchen zusammen mit der Fingerschale nimmt. Seitdem sind sie versessen darauf, Etikette zu lernen. Sie behaupten zwar immer noch, das sei sinnlos, das sei überflüssig, aber sie haben panische Angst, irgendein kleines rituelles Detail nicht zu kennen.

Noch immer schreit es aus dem Lautsprecher: »Antworten Sie! Verdammt! Was ist mit der Party heute Abend? Mit was für einem Essen haben wir da zu rechnen? Wir machen uns schon den ganzen Tag schreckliche Sorgen!«

Ich sehe im Schrank über dem Herd nach dem Hummerbesteck, nach den Nussknackern und Nussmessern und Lätzchen.

Dank meines Unterrichts kennen diese Leute die drei akzeptablen Möglichkeiten, das Essbesteck auf den Tisch zu legen. Ich habe sie gelehrt, Eistee richtig zu trinken, nämlich ohne die langen Löffel aus dem Glas zu nehmen. Das ist schwierig, aber es geht, wenn man den Löffelstiel an der dem Mund gegenüber liegenden Seite des Glases mit Zeige- und Mittelfinger festhält. Aber Achtung, dass man sich nicht das Auge aussticht! Man sieht Leute, die den benetzten Löffel herausnehmen und dann nicht wissen, wo sie ihn ablegen sollen, ohne das Tischtuch zu ruinieren. Oder noch schlimmer: Sie legen ihn einfach irgendwo hin und hinterlassen einen feuchten Teefleck.

Erst als der Lautsprecher verstummt, fange ich an zu sprechen.

Ich frage den Lautsprecher: Passen Sie gut auf?

Ich sage dem Lautsprecher: Stellen Sie sich einen Essteller vor.

Heute Abend, sage ich, liegt das Spinatsoufflé auf Höhe der Ein-Uhr-Position. Die Rote Bete auf vier Uhr. Fleisch mit Mandelsplittern kommt auf die andere Hälfte des Tellers, an die Neun-Uhr-Position. Zum Essen werden die Gäste ein Messer benutzen müssen. Und das Fleisch wird Knochen enthalten.

Das hier ist die beste Arbeitsstelle, die ich jemals hatte, keine Kinder, keine Katzen, politurfreie Fußböden, und daher will ich mir das nicht kaputtmachen. Wenn es mir egal wäre, würde ich meinen Arbeitgebern jeden Scheiß erzählen. Zum Beispiel: Sorbet isst man, indem man es auf Hundeart aus der Schüssel schlabbert.

Oder: Ein Lammkotelett hebt man mit den Zähnen vom Teller, und dann schüttelt man heftig den Kopf.

Das Schreckliche dabei ist: Die würden das wahrscheinlich sogar machen. Sie vertrauen mir, weil ich ihnen noch nie etwas Falsches beigebracht habe.

Außer ihnen Etikette beizubringen, besteht meine schwierigste Aufgabe darin, ihren Erwartungen zu entsprechen.

Fragt mich, wie man Messerstiche in Nachthemden, Smokings und Hüten ausbessert. Mein Geheimnis ist ein Tropfen klarer Nagellack auf die Innenseite des Einstichlochs.

In Hauswirtschaftslehre bringt einem niemand bei, was man für so einen Job alles können muss, aber im Lauf der Zeit sammelt sich auch so einiges an. In der Kirchenkolonie, in der ich aufgewachsen bin, lernt man, wie man Kerzen herstellt, die nicht tropfen: Dazu muss man sie in starkes Salzwasser legen und dann im Gefrierschrank lagern. Das sind so die Haushaltstricks, die man dort lernt. Kerzen mit ungekochten Spaghetti anzünden. Seit sechzehn Jahren putze ich jetzt schon in Privathäusern, aber noch kein Mensch hat je von mir verlangt, dass ich mit brennenden Spaghetti in der Hand herumlaufen soll.

Egal, was sie einem in Hauswirtschaftslehre einreden wollen – in der Welt da draußen will man davon nichts wissen.

Zum Beispiel erklärt einem niemand, dass man gerötete Haut, die von Schlägen herrührt, mit grüner Feuchtigkeitskreme unversehrt erscheinen lassen kann. Und jeder Gentleman, der schon mal von einer Lady mit dicken Ringen an den Fingern geohrfeigt wurde, sollte wissen, dass in solchen Fällen ein blutstillender Stift gute Wirkung zeigt. Man schließe die Platzwunde mit einem Tropfen Sekundenkleber, und schon kann man sich etwa bei einer Filmpremiere problemlos fotografieren lassen: lächelnd, ohne Nähte, ohne Narbe.

Um Blut wegzuwischen, sollte man immer einen roten Waschlappen dabei haben; da gibt es dann keine Flecken, die man zum Entfernen erst noch einweichen muss.

Unterdessen teile ich meinen Arbeitgebern weiter mit, was sie heute Abend beim Essen zu erwarten haben.

Ganz wichtig ist: Niemals in Panik geraten. Ja, man wird Hummer servieren, und den werden sie bewältigen müssen.

Auf dem Tisch wird nur ein einziges Salzfässchen stehen. Und nach dem Braten gibt es Wildgeflügel, und zwar Jungtauben. Also Vögel. Und wenn irgendetwas noch komplizierter zu essen ist als Hummer, dann kleine Vögel. Die unzähligen winzigen Knochen, die man zerlegen muss, während alle Teilnehmer zum Sezieren entsprechend herausgeputzt sind. Nach dem Aperitif wird ein anderer Wein gereicht, Sherry zur Suppe, Weißwein zum Hummer, Roter zum Braten, ein anderer Roter zum fettigen Kampf mit dem Taubenküken. Bis dahin werden die Gäste das ganze weiße Tischtuch mit Dressing und Sauce und Wein voll gekleckert haben.

So geht es mir alle Tage. Selbst bei einem guten Job will niemand von mir wissen, wo der männliche Ehrengast zu platzieren ist.

Das gepflegte Diner, von dem einem in Hauswirtschaftslehre erzählt wird, die Pause mit frischen Blumen und Mokka nach einem harmonisch und elegant verbrachten Tag – tja, für so was interessiert sich keine Sau.

Heute Abend, irgendwann zwischen der Suppe und dem Braten, werden alle am Tisch einen großen toten Hummer zu zerstückeln haben. Vierunddreißig Industriekapitäne, vierunddreißig erfolgreiche Ungeheuer, vierunddreißig gefeierte Wilde mit schwarzer Krawatte werden so tun, als wüssten sie sich beim Essen zu benehmen.

Und nach dem Hummer reichen die Diener Fingerschalen mit heißem Wasser, in dem Zitronenscheiben schwimmen, und diese vierunddreißig verpfuschten Obduktionen enden mit Knoblauch und Butter bis zum Ellbogen jedes Ärmels, und alle heben, nachdem sie lange genug das Fleisch aus einer Öffnung im Thorax gelutscht haben, die fettbeschmierten Gesichter und blicken dabei lächelnd auf.

Nach sechzehn Jahren täglicher Arbeit in Privathäusern kenne ich mich bestens aus mit geohrfeigten Gesichtern, Maispüree, blauen Augen, ausgerenkten Schultern, Rührei, getretenen Schienbeinen, zerkratzter Hornhaut, gehackten Zwiebeln, Bisswunden aller Art, Nikotinflecken, Gleitkremes, ausgeschlagenen Zähnen, geplatzten Lippen, Schlagsahne, verdrehten Armen, eingerissenen Vaginen, gekochtem Schinken, Brandwunden von Zigaretten, zerstoßener Ananas, Leistenbrüchen, Abtreibungen, Pissflecken von Haustieren, Kokosraspeln, eingedrückten Augen, Verstauchungen und Schwangerschaftsstreifen.

Den Damen, für die ich arbeite, empfehle ich – wenn sie mal wieder stundenlang geheult haben – blauen oder malvenfarbenen Eyeliner, der ihre blutunterlaufenen Augen heller erscheinen lässt. Und wenn das nächste Mal jemand ihrem Mann einen Zahn ausschlägt, soll sie den Zahn in einem Glas Milch aufbewahren, bis er einen Zahnarzt aufsuchen kann. In der Zwischenzeit soll sie Zinkoxid und Nelkenöl zu einem weißen Brei verrühren. Dann die leere Zahnhöhle spülen und mit dem Brei zuspachteln: ein schnelle und unkomplizierte Füllung, die im Handumdrehen aushärtet.

Tränenflecken auf Kopfkissen behandle man genau so wie Schweißflecken. Fünf Aspirin in Wasser auflösen und damit den Fleck bestreichen, bis er verschwunden ist. Das Problem etwaiger Mascaraflecken ist damit ebenfalls gelöst.

Falls man von »gelöst« sprechen kann.

Ganz gleich, ob man Flecken oder einen Fisch oder ein Haus putzt, man bildet sich dabei gern ein, die Welt besser zu machen, tatsächlich aber lässt man alles nur noch schlimmer werden. Man denkt vielleicht, man braucht nur härter und schneller zu arbeiten, um das Chaos fern zu halten, aber dann wechselt man eines Tages auf der Veranda eine Glühbirne mit fünfjähriger Lebensdauer aus und erkennt plötzlich, dass man diese Birne höchstens noch zehnmal auswechseln wird, und dann ist man tot.

Die Zeit läuft davon. Der alte Schwung ist dahin. Man wird langsamer.

Man wird nachgiebiger.

Seit neuestem wachsen mir Haare auf dem Rücken, und meine Nase wird immer größer. Mein Gesicht morgens im Spiegel wird immer mehr zu einer Visage.

Die Arbeit in diesen reichen Häusern hat mich gelehrt, dass man das Blut aus dem Kofferraum eines Autos am besten entfernt, indem man keine Fragen stellt.

Der Lautsprecher sagt: »Hallo?«

Seinen Job behält man am besten, indem man einfach tut, was die Leute wollen.

Der Lautsprecher sagt: »Hallo?«

Um Lippenstift von einem Kragen zu entfernen, reibe man ihn mit ein wenig weißem Essig ein.

Hartnäckige Flecken auf Eiweißbasis, Sperma zum Beispiel, sollte man zunächst mit kaltem Salzwasser ausspülen und erst dann wie üblich waschen.

Das sind nützliche Tipps. Ihr könnt euch ruhig Notizen machen.

Auch die winzigsten Splitter eines aufgestemmten Schlafzimmerfensters oder eines zerschmetterten Cocktailglases kann man mit einem Stück Brot aus dem Teppich tupfen.

Unterbrecht mich, wenn ihr das alles schon wisst.

Der Lautsprecher sagt: »Hallo?«

Alles schon erlebt. Alles schon getan.

In Hauswirtschaftslehre bringen sie einem auch bei, wie man korrekt auf die Einladung zu einer Hochzeit reagiert. Wie man den Papst anspricht. Wie man Silberbesteck mit einem Monogramm versieht. In der Credistenschule wird gelehrt, dass die Welt ein perfektes, elegantes kleines Bühnenstück mit vollendeten Manieren sein kann, bei dem man selbst der Regisseur ist. Die Lehrer zeichnen ein Bild von Dinnerpartys, auf denen alle Gäste bereits wissen, wie man einen Hummer isst.

Aber so ist es nicht.

Es bleibt einem nichts übrig, als sich in den kleinen Details des Alltags zu verlieren und immer wieder dieselben Dinge zu tun.

Der Kamin muss gereinigt werden.

Der Rasen muss gemäht werden.

Im Weinkeller müssen die Flaschen gedreht werden.

Der Rasen muss schon wieder gemäht werden.

Das Silber muss poliert werden.

Wiederholen.

Und doch, nur ein einziges Mal möchte ich beweisen, dass mehr in mir steckt. Ich kann mehr als bloß Dinge vertuschen. Die Welt kann viel besser sein als die, mit der wir uns zufrieden geben. Man braucht nur zu fragen.

Nein, wirklich, nur zu. Fragt mich.

Wie isst man eine Artischocke?

Wie isst man Spargel?

Fragt mich.

Wie isst man einen Hummer?

Die Hummer im Topf scheinen ausreichend tot zu sein, also nehme ich einen heraus. Ich wende mich ans Freisprechtelefon: Als Erstes drehen Sie die beiden großen Vorderscheren ab.

Die anderen Hummer lege ich in den Kühlschrank, damit meine Arbeitgeber später daran üben können, sie auseinander zu nehmen. Ins Telefon sage ich: Machen Sie sich Notizen.

Biegen Sie den Hummer nach hinten, bis der Schwanz vom Körper abbricht. Brechen Sie die Schwanzspitze ab, also das letzte Segment, und heben Sie mit der Hummergabel das Schwanzfleisch heraus. Entfernen Sie den Darm, der den gesamten Schwanz durchzieht. Ist der Darm leer, hat der Hummer schon seit einiger Zeit nichts mehr gefressen. Ein dicker dunkler Darm ist noch mit frischem Kot gefüllt.

Ich esse das Schwanzfleisch.

Die Hummergabel, spreche ich mit vollem Mund ins Telefon, die Hummergabel ist die kleine Gabel mit den drei Zinken.

Als Nächstes entfernen Sie den Rückenpanzer und verzehren dann die grüne Verdauungsdrüse, auch Hummerleber genannt. Essen Sie das kupferhaltige, zu einer klebrigen weißen Masse geronnene Blut. Essen Sie den unreifen, korallenroten Rogen.

Ich esse das alles.

Hummer haben ein »offenes« Kreislaufsystem, das Blut schwappt sozusagen nur zwischen den Körperhöhlen hin und her und bespült die verschiedenen Organe.

Die Lunge ist schwammig und zäh, aber Sie können sie essen, sage ich ins Telefon und lecke mir die Finger. Der Magen, ein fester Beutel unmittelbar hinter dem Kopf, ist mit Zähnen bestückt und sollte nicht gegessen werden.

Ich wühle in dem Hummer herum. Ich sauge das Fleisch aus den Beinen. Ich beiße die Kiemen ab. Ich übergehe die Ganglien des Gehirns.

Ich halte ein.

Etwas Unfassbares ist geschehen.

Der Lautsprecher schreit: »Okay, und was jetzt? War das alles? Gibt es sonst noch was zu essen?«

Das darf nicht sein, nach meinem Terminkalender ist es nämlich bereits fast drei Uhr. Ich müsste längst draußen sein, um den Garten umzugraben. Um vier muss ich die Beete neu bepflanzen. Um halb sechs muss ich den Salbei entfernen und durch Schwertlilien, Rosen, Löwenmäulchen, Farn und Bodendecker ersetzen.

Der Lautsprecher schreit: »Was geht da vor? Antworten Sie? Stimmt was nicht?«

Ich überprüfe den Tagesplan, und der sagt mir, dass ich zufrieden sein kann. Dass ich fleißig bin. Dass ich gut arbeite. Das steht da alles schwarz auf weiß. Ich komme mit der Arbeit voran.

Der Lautsprecher schreit: »Was müssen wir als Nächstes tun?«

Heute ist bloß einer dieser Tage, an denen die Sonne nur scheint, um einen zu demütigen.

Der Lautsprecher schreit: »Was gibt es sonst noch?«

Ich ignoriere den Lautsprecher, weil es nichts mehr gibt. Jedenfalls fast nichts.

Vielleicht ist es ja nur eine optische Täuschung, aber nachdem ich fast den ganzen Hummer verzehrt habe, sehe ich, wie sein Herz schlägt.