Jeder weiß, wie unterschiedlich schnell die Entwicklung in der Pubertät verläuft. Kaum jemals vorher und nachher scheinen gleich alte Menschen so weit voneinander entfernt zu sein, wenn man sie nach ihrer Entwicklung beurteilt. Das gilt für alle Bereiche: für die körperliche Entwicklung genauso wie für die geistige, für die soziale Reife genauso wie für die emotionale.
Dennoch spreche ich von den »Dreizehnjährigen«. Denn fast jeder Mensch erlebt eine Entwicklungsphase, die sich von der des »Zwölfjährigen« unterscheidet und die auch deutlich anders ist als die Entwicklungsphasen, die später folgen. Meistens sind die Menschen in der Zeit, in der sie diese Phase durchlaufen, etwa 13 Jahre alt.
Das besondere Kennzeichen dieser Entwicklungszeit ist, dass die Menschen zum einen deutlich nicht mehr »Kinder«, sondern unübersehbar zu »Jugendlichen« herangewachsen sind – auch wenn sie noch relativ junge Jugendliche sind.
Das andere Merkmal ist, dass Dreizehnjährige – im Unterschied zu Zwölfjährigen – vor allem den Eltern oder den »Ersatzeltern« gegenüber anders auftreten: Auch wenn sie es nicht wirklich aussprechen, haben sie doch eine Ausstrahlung, als wollten sie zu den nahe stehenden Erziehern, Lehrern und Eltern sagen: »Ihr steht mir fürchterlich im Weg«, und: »Jetzt habe ich gefälligst ein Wörtchen mitzureden – bei allem!«, und: »Ich brauche Platz, für alles, jede Menge Platz, sonst platze ich!«, und: »Lasst mich allein!«
Dreizehnjährige treten Platz greifend, kritisch und bestimmend auf und halten sich gleichzeitig gern aus den gewohnten Familienabläufen raus. Sie selbst erleben die Erwachsenen auf einmal, als wären sie höchstens »gleich groß« – und oft haben sie die Erwachsenen in diesem Alter tatsächlich in der Körpergröße eingeholt oder sind ihnen sogar schon über den Kopf gewachsen. Sie stehen den Erwachsenen jetzt herausfordernder als noch vor ein paar Wochen »Auge in Auge« gegenüber. Auch innerlich. Das ist schon was! Und das muss man den Erwachsenen auch mitteilen!
Wieder ist die Beschreibung von Janina David, diesmal drei Monate vor ihrem 13. Geburtstag, sehr bezeichnend. Wenn man vergleicht, wie sie ihren Vater mit knapp 12 Jahren gesehen hat (vgl. Zitat auf S. 251), wird der Entwicklungsschritt vom »Zwölf-« zum »Dreizehnjährigen« besonders deutlich:
Ich hatte für Vater ein Gedicht geschrieben und es bis zu seinem Geburtstag in einem Koffer versteckt. Wie üblich bei solchen Anlässen, schrieb ich über meine Liebe zu ihm und von meinen Wünschen für seine glückliche Zukunft. Aber zum ersten Mal behandelte ich meinen Gegenstand mit etwas leichterer Hand und warf ihm, wenn auch durch die Blume, sein diktatorisches Benehmen vor, nannte ihn abwechselnd den vollkommenen Vater und dann wieder Iwan den Schrecklichen ...
Aber am Tag vor seinem Geburtstag fand Vater das Gedicht, als er irgend etwas in dem Koffer suchte. Er las es und explodierte.
Also war es schon so weit gekommen, daß sein eigenes Kind ihn zu kritisieren wagte!
Mir blieb der Mund offen. Daß Vater, der doch immer so schnell bereit war, sich über andere lustig zu machen, meine Absicht so völlig mißverstehen konnte, daß er etwas so ernst nahm, was doch nur als Witz gemeint war, das war mir ganz neu und völlig unglaublich. (David, S. 350)
In dieser Erinnerung wird auch das häufige und tragische Missverständnis zwischen Dreizehnjährigen und ihren Eltern sichtbar: Dreizehnjährige sind der festen Überzeugung, dass sie nichts anderes tun, als sich »wie Erwachsene« zu benehmen. Aber die Erwachsenen erwarten nach wie vor »kindliches« Verhalten und fallen bei den ersten, meistens tollpatschigen oder unangemessenen Kritikversuchen ihrer »Kleinen« aus allen Wolken. (Bitte übrigens nie mehr das Wort »Kleine« für Dreizehnjährige verwenden!)
Damit Menschen überhaupt Kritik üben können, müssen sie eine bestimmte innere Kraft und Reife haben, mit der sie dem anderen auf gleicher Ebene entgegentreten können. Diese Kraft haben Zwölfjährige in der Regel noch nicht. Wenn sie »kritisieren«, dann »motzen« sie, genauso wie die Jüngeren. Dreizehnjährige dagegen begründen ihre Kritik und tragen sie mit Nachdruck vor.
Ein schönes Beispiel für die Wandlung von der noch kleinen, schutzbedürftigen Zwölfjährigen zur kraftvollen, sich widersetzenden Dreizehnjährigen – beides ist gleichzeitig da – ist das folgende Zitat einer 1924 geborenen italienischen Frau, die in außerordentlich armen Verhältnissen herangewachsen ist und schon als Kind sehr hart arbeiten musste, um etwas zum Unterhalt der Familie beizutragen. Die Mutter war der geachtete Mittelpunkt der Familie, der Vater stand abseits und war als prügelnde »Autorität« gefürchtet.
In Dossello lebte ich bis dreizehn, dann suchte ich mir auswärts eine Arbeit. Drei oder vier Jahre war ich zur Schule gegangen, bis ich zehnjährig war. Gewiß, schon vorher hatte ich gearbeitet; aber als ich dreizehn war, sagte mein Vater, nun müsse ich mein Brot verdienen. Zwar war ich noch ein richtiges Kind; es war nicht wie heute, wo Burschen und Töchter früher reif sind. Mit dreizehn war ich noch ein Matz, dem nur auf Mutters Schoß wohl war. Doch ich ging weg. Vater sagte, ich müsse arbeiten, wir hätten nicht genug zum Leben; wenn ich Kleider wolle, so müsse ich sie selbst verdienen, sonst kleide er mich in Sacktuch. Ich begann zu weinen: »Ja, ich gehe. Doch wenn ich wiederkomme, dann wegen der Mutter, nicht deinetwegen. Du hältst mir stets die paar Bissen vor, die du mir zu essen gibst. Obschon ich das selber verdiene; ich gehe mit dir Holz sammeln und verkaufen; Mario und ich helfen dir, und du gibst uns nie ein paar Lire, um ein Eis zu kaufen. Mir scheint, das wenige, was ich esse ... Ich suche Kastanien, bringe sie dir nach Hause; von morgens bis abends mit einer Scheibe Polenta im Rucksack, den lieben Tag lang im Wald für ein paar Kastanien. Ich habe nicht das Gefühl, auf deine Kosten zu essen. Doch ich gehe.« (Belotti, S. 33 ff.)
Die Autorin würde sich sicher nicht so lebhaft an diese Auseinandersetzung mit dem Vater erinnert haben, wenn damals nicht etwas ganz Besonderes, etwas vollkommen Neues für sie passiert wäre: Sie hatte ihrem Vater zum ersten Mal die Stirn geboten und ihm darüber hinaus zu verstehen gegeben, dass sie aus eigener Entscheidung und nicht auf Befehl des Vaters aus dem Haus gehen würde – weil sie sich, trotz aller Kindlichkeit, dafür stark genug fühlte.
Dieses Gefühl der Dreizehnjährigen, jetzt Verantwortung tragen zu können und mit den Erwachsenen gemeinsam zuständig zu sein für alle möglichen Dinge, beobachten auch heutzutage viele Eltern: Ihre Söhne und Töchter wissen »viel besser«, wo man günstig einkaufen kann, welcher der kürzeste oder der schnellste Weg mit dem Auto ist, wie man Spaghetti richtig zubereitet, und sagen den Eltern, was sie anziehen sollen ...
Ob es um die Planung der Urlaubsreise geht oder um den Kauf eines Autos, um die Anschaffung eines Computers oder um die Menge der Hausaufgaben: Dreizehnjährige wollen nicht nur gefragt werden, wie jüngere Kinder, sondern sie möchten mitbestimmen, sich mit ihrer Meinung durchsetzen. Und dazu führen sie die »letzten« Argumente ins Feld. Das häufigste Argument dabei dürfte weltweit sein: Alle dürfen (in die Spätvorstellung des Kinos gehen) alle haben (die eine bestimmte, teure Jeans), keiner muss (beim Schulfest helfen) usw.
Dreizehnjährige fühlen sich im Recht. Entsprechend schwierig ist es, mit ihnen Kompromisse zu finden. Und entsprechend wichtig ist es, dass in strittigen Fällen am Ende doch der Erwachsene die Entscheidung trifft und klar sagt, wo’s langgeht.
Manchmal gehen Dreizehnjährige so weit, dass sie die Angelegenheiten der Erwachsenen in ihre Hand nehmen und sogar über die Erwachsenen bestimmen wollen – nicht nur, was das Outfit betrifft. Das kann natürlich zu heftigen Konflikten führen.
Aber auch das war offenkundig schon früher so, wie zum Beispiel aus den Erinnerungen von Wladimir Lindenberg hervorgeht. Allerdings haben nicht alle Dreizehnjährigen Mütter oder Väter, die ihren Kindern so ernsthaft zuhören wie die Mutter des herangewachsenen, etwa dreizehnjährigen Bobik:
Bobiks Gesicht war ernst und wichtig.
»Verzeih, Mami, aber ich muß dich jetzt sprechen. Es ist sehr wichtig. Ehrenwort. Und du mußt mich anhören bis zu Ende, bitte!«
»Was hast du denn so schrecklich Wichtiges, Bobik. Na, dann setz dich hin.«
»Ich muß mit dir über ›ihn‹ sprechen«, er wollte Karluscha nicht beim Namen nennen. »Du weißt genau, wie er sich benimmt und daß alle Leute darüber sprechen. Das geht so nicht weiter.«
»Aber, Bobik, ich glaube, das ist nicht deine Sache!«
»Das ist genau so gut meine Sache wie deine. Wir sind alle beteiligt. Oder glaubst du wirklich, daß wir danebenher leben und nichts merken? Dann tätest du mir leid!«
»Was soll ich denn aber machen?«, sagte Jadwiga verzweifelt. »Ich kann es doch nicht ändern. Soll ich mich auf seine Stufe stellen und Skandale provozieren?«
»Du sollst dich scheiden lassen.«
...
»Ich muß es mir überlegen, Bobik. Laß mir Zeit.«
»Da ist nichts zu überlegen. Du hast nur Angst und gehst den Entscheidungen aus dem Wege. Du wirst es heute tun!« – Er war sehr streng, und er fühlte plötzlich, daß er ein Erwachsener war und daß die Mutter ihn als Erwachsenen behandelte. Das gab ihm eine große Genugtuung, aber es machte ihn gleichzeitig auch traurig. (Lindenberg, S. 159 ff.)
Das ist die Kehrseite der Medaille, wenn man in eine neue Lebenswelt vordringt: Das ist nicht nur Vergnügen, das ist auch eine gehörige Belastung, das kann sogar Angst machen, zumindest große Sorgen bereiten. Dreizehnjährigen wird plötzlich sehr bewusst, was es bedeuten muss, »erwachsen« zu sein. Angesichts des Lebens der Erwachsenen ist das für viele keine fröhliche Aussicht. Das hat zum Beispiel auch Simone de Beauvoir so empfunden:
Die Einförmigkeit der Existenz der Erwachsenen war mir immer schon bemitleidenswert erschienen, wenn ich mir klarmachte, daß sie in Kürze auch mein Los sein würde, wurde ich von Angst gepackt ... (Beauvoir, S. 99)
Der Übergang in die neue Lebenswelt äußert sich bei manchen Dreizehnjährigen, indem sie sich zurückziehen, verkriechen, stumm werden – zumindest, wenn es um ihren Umgang mit Erwachsenen geht. Unter Gleichaltrigen tauen die in sich verschlossenen Jugendlichen oft erstaunlich auf. Und so ist es kein Wunder, dass sich viele Dreizehnjährige dort wohler fühlen, wo sie nicht mit Erwachsenen zusammenkommen, dass sie, so oft sie können, von zu Hause weg- und ihre eigenen Wege gehen.
Weil es Dreizehnjährige zuweilen wirklich schwer haben mit sich und der Welt, sind sie häufig außerordentlich empfindlich und verletzbar. Simone de Beauvoir erinnert sich:
Ich wurde häßlicher, meine Nase rötete sich; auf Gesicht und Nacken bekam ich Pickel, an denen ich nervös herumkratzte. Da Mama die Arbeit über den Kopf wuchs, ging ich schlecht gekleidet; die formlosen Sachen, die ich trug, betonten mein linkisches Benehmen. Da mein Körper mich behinderte, entwickelten sich bei mir verschiedene krankhafte Aversionen; so ertrug ich zum Beispiel nicht, aus einem Glas zu trinken, aus dem schon jemand getrunken hatte. Ich bekam auch Ticks: unaufhörlich zuckte ich mit den Schultern oder drehte an meiner Nase. »Kratz nicht an deinen Pickeln, dreh nicht an deiner Nase«, sagte mein Vater immer wieder zu mir. Ohne böse Absicht, aber auch ohne Schonung, machte er über meinen Teint, meine Akne, meine Tolpatschigkeit Bemerkungen, durch die mein Unbehagen und meine Manien auf die Spitze getrieben wurden ... (Beauvoir, S. 97)
Das sind leidvolle Erfahrungen, die auch heute noch so viele junge Mädchen und Jungen ausstehen müssen, weil ihre Eltern keine Vorstellung (mehr?) haben, wie man sich als dreizehnjähriger Mensch fühlt und wie dünn die Haut ist, in der man steckt.
Die Situation des Dreizehnjährigen ist vielleicht vergleichbar damit, was die Seefahrer an Bord der Schiffe von Kolumbus erlebt haben: Die vertraute Alte Welt liegt weit zurück, der »Point of no Return« ist überschritten, es gibt nur die »Wahl« weiterzufahren. Aber neues Land ist nicht in Sicht – und es scheint sogar für manche fraglich, dass es jemals wieder festen Boden unter den Füßen geben wird: Womöglich wird man von jetzt an auf sich ganz allein gestellt und ohne recht zu wissen wohin, bis ans Lebensende ziellos dahindümpeln.
In solchen Situationen haben Pessimisten die Wahl zwischen Resignation und Rebellion, und Optimisten werden entweder mit einer trotzigen Dickköpfigkeit reagieren oder eine Zuversicht zur Schau stellen, die auf andere wie eine maßlose Selbstüberschätzung wirken muss.
In dieser Verfassung tut die Führung eines sicheren Kommandanten gut, der die Nöte und Zweifel ernst nimmt, der aber bei aller Auflehnung das Ruder nicht aus der Hand gibt. Stellen Sie sich vor, Kolumbus hätte den Meuterern nachgegeben – alle wären zugrunde gegangen. Und stellen Sie sich vor, Kolumbus hätte die ganze Mannschaft in Fesseln gelegt – auch dann wäre er nicht ans Ziel gekommen. Wenn zu Beginn der Pubertät etwas schief läuft in der Entwicklung von Jugendlichen, dann liegt das meistens daran, dass sie entweder zu viel Freiheit und Macht haben oder dass zu autoritär über sie verfügt wird. Dreizehnjährige brauchen einerseits die verantwortliche Begleitung von Erwachsenen (ich vermeide hier bewusst das Wort »Erziehung!«). Sie brauchen ganz sicher mehr Freiräume und viel mehr Zugeständnisse als früher. Aber in dieser Lebensphase allein gelassen zu werden und niemanden zu haben, der einem Halt und Orientierung gibt, das wäre genauso furchtbar wie zu große Strenge.
Das größte »Problem« für Dreizehnjährige sind tatsächlich die Erwachsenen: Die nerven total! Die kapieren nämlich echt gar nichts! So was Beknacktes wie die, das gibt’s überhaupt nicht! Die Lehrer: echt ätzend. Immer meinen die, sie wüssten alles besser und wenn man mal versucht, denen zu erklären, was Sache ist, blicken sie’s keinen Meter! Ne, echt, das macht überhaupt keinen Bock, sich mit denen abzugeben, die sind total schwachsinnig! Bei manchen kannste voll Scheiß bauen, und die peilen das nicht mal. Echt cool so was! Ne, ey, andere sind voll gemein! Die meinen, sie wären die Größten und müssen immer gleich voll die Strafe austeilen. Und sonst? Na ja, paar sind ganz o.k., die verstehen, wenn man nicht gut drauf ist oder Scheiß gemacht hat, die haben auch Humor und meckern nicht gleich, aber die meisten kann man echt vergessen.
Und die Erwachsenen denken: Mit den Dreizehnjährigen ist es schwierig: Sie sind furchtbar anstrengend und nervend! Sie denken immer, sie wüssten alles besser! Wenn man mit ihnen redet, hat man das Gefühl, es geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Als rede man gegen eine Wand. Oder sie drehen einem das Wort im Mund herum: unglaublich! Dabei müssten sie doch selbst sehen, was sie mit ihrem Unfug, ihrer Unordnung und Rücksichtslosigkeit anrichten und dass sie nun mal lernen müssen für die Schule. Aber was man sagt, ist verkehrt. So was Freches und Unverschämtes, das gibt’s überhaupt nicht. Argumentieren, ja, das können sie, und das letzte Wort müssen sie haben. Aber dass sie mal das tun, was man von ihnen will, das kann man vergessen.
So denkt jeder vom anderen im Grunde dasselbe und jeder erwartet vom anderen den ersten Schritt. Die Jugendlichen werden diesen Schritt nicht gehen (können). Das wäre auch zu viel verlangt – selbst wenn sie sich noch so »erwachsen« fühlen und verhalten.
Was können die Ewachsenen tun?
Erwachsene können etwas sehr Einfaches, aber sehr Wichtiges tun: zuhören. Allerdings muss man wissen, dass Dreizehnjährige, wenn sie schon mal anfangen zu erzählen, meistens über Belanglosigkeiten reden. Und dann ohne Punkt und Komma. Man hört zu und denkt immer: Na und? Warum erzählst du mir das jetzt, das ist doch alles überhaupt nicht wichtig und interessieren tut es mich schon gar nicht (die ganze Handlung irgendeines Films zum Beispiel). Die Versuchung, solche »Gespräche« abzubrechen – man hat schließlich Wichtigeres zu tun – oder nicht mehr richtig hinzuhören, ist vertrackt groß.
Und genau da liegt die Falle. Mehr oder weniger bewusst stellen die Dreizehnjährigen mit ihren »unwichtigen« Geschichten nämlich nur ihre allerwichtigste Kernfrage an uns: Interessiere ich dich überhaupt? Nimmst du mich ernst? Oder bin ich dir im Grunde nur lästig und nur dann für dich interessant, wenn ich etwas erzähle, was du für »wichtig« hältst?
Wenn Jugendliche die Erfahrung machen, dass man ihnen zuhört und dass sie nicht bewertet werden, dann fühlen sie sich nicht nur »wie Erwachsene« behandelt und angenommen, sondern erst dann trauen sie sich erfahrungsgemäß auch mit Dingen heraus, die vielleicht nicht so ganz in Ordnung waren oder die für sie Fragen aufwerfen. Dann erzählen sie schon mal von ihren Schandtaten, von dem Unsinn, den sie in der Schule gemacht haben, von ihren Streifzügen und Abenteuern zusammen mit den Freunden oder von anderen Vorkommnissen, die aus Sicht der Erwachsenen zu tadeln wären.
Kaum jemals wird ein dreizehnjähriger Junge oder ein dreizehnjähriges Mädchen einem Erwachsenen, der »Erziehungsverantwortung« trägt, etwas über sich erzählen. Welche Fragen und Probleme eine(n) dreizehnjährige(n) Jugendliche(n) beschäftigen, wird man als Vater oder Mutter bestenfalls »zwischen den Zeilen herauslesen« können. Wenn Dreizehnjährige (und Ältere) – egal bei wem – mal heikle Dinge herauslassen, dann steht immer unausgesprochen die Frage dahinter: Kann ich mich auf dich verlassen oder wirst du mich verraten? Wirst du mich abkanzeln, gar bestrafen, oder kannst du es aushalten, dass ich anders bin, als ich es in deinen Augen sein sollte? Willst du mich noch erziehen oder kannst du mir das auch schon selbst überlassen?
Wenn Jugendliche von kritischen Begebenheiten berichten, dann steckt dahinter meistens aber auch die Hoffnung, dass der Erwachsene zwar nicht tadelt oder bestraft, aber doch klar sagt, was er davon hält. Auch Jugendliche brauchen die Erwachsenen, um sich an ihnen zu orientieren, wollen von den Erwachsenen hören, was richtig und was falsch ist – und sie sind in der Regel auch bereit, die Konsequenzen zu tragen, die sich unmittelbar aus ihren Schandtaten ergeben.
Aber sie wollen eines nicht: von den Erwachsenen »erzogen« zu werden. »Erziehung« nervt! Erziehung ist etwas für kleine Kinder! – Und ist auch gar nicht so wichtig, denn mit der Zeit werden selbst Dreizehnjährige erwachsen, vorausgesetzt, sie hatten eine Kindheit, in der ihre individuelle Persönlichkeit gestützt, aber »ungestutzt« heranwachsen konnte.