Und wie seid ihr?

Die Beziehung zu den Erwachsenen

Marion Gräfin Dönhoff, Herausgeberin der Zeit, ist in großer Freiheit und relativ unbehelligt durch »Erwachsenpädagogik« auf einem Gut in Ostpreußen aufgewachsen. Sie drückt ganz unverblümt aus, was sie als Kind von Erwachsenen hielt:

 

Wir waren im Grunde froh, daß man sich um uns verhältnismäßig wenig kümmerte, denn wir waren uns selbst vollauf genug. Auch hatten wir immer etwas vor. Unternehmungen, von Erwachsenen geplant, wären nur störend gewesen. (Dönhoff, S. 116)

 

Obwohl Altersgenossen für große Kinder die wichtigsten Kontaktpersonen sind, spielen die Erwachsenen im Leben der Kinder selbstverständlich eine ebenfalls sehr wichtige Rolle. Aus Sicht der Kinder gibt es gewissermaßen vier Kategorien von Erwachsenen:

Zunächst sind da die Eltern und die anderen zur Familie gehörenden, nahe stehenden Erwachsenen. Sie stehen bildlich gesprochen »hinter« den Kindern. Dann gibt es die Lehrer, die ihnen tagaus, tagein »gegenüberstehen«. Weiterhin spielen Erwachsene eine Rolle, denen die Kinder gelegentlich, aber immer wieder begegnen: Eltern der Freunde, Freunde der Eltern, Verkäuferinnen, Arzt, Krankengymnastin, Hausmeister. Und schließlich haben die fernen und unerreichbaren Idole, die weit draußen in der Welt stehen, für große Kinder große Bedeutung.

Jede dieser vier Gruppen spielt für die Entwicklung der Kinder eine besondere Rolle.

 

Die Eltern sind wichtig, um den Kindern Rückhalt zu geben. Sie müssen dafür sorgen, dass das Elternhaus der Ort ist, wo sich das Kind in eine schützende Geborgenheit zurückziehen und Kräfte tanken kann. Eltern sind für regelmäßige und verlässliche Strukturen im Leben der Kinder zuständig und dafür, dass das Kind in seinen Grundbedürfnissen versorgt ist.

Leider ist das in unserer Gesellschaft nicht mehr selbstverständlich: Viele Kinder bekommen keine regelmäßige Mahlzeiten mehr, kennen keine festgelegte Zu-Bett-geh-Zeit, sehen fern, wann immer und so viel sie wollen – und sehnen sich im Grunde danach, dass es eine Regel gibt, die ihnen sagt, wann der Fernseher auszuschalten ist und was danach drankommt.

Auch wenn Kinder in ihrer Freizeit am liebsten weit weg von kontrollierenden Erwachsenen gemeinsam mit Freunden die Welt auskundschaften, ist es für sie außerordentlich wichtig, dass jemand zu Hause ist, der einfach »da« ist, wenn man ihn braucht. Untersuchungen haben gezeigt, dass Kinder, die zu Hause allein gelassen sind, weil ihre Eltern arbeiten, auch tatsächlich allein zu Hause sitzen bleiben. Kinder, bei denen wenigstens nachmittags jemand zu Hause ist, haben mehr Kontakte zu Freunden und haben auch mehr Zeit und Freiraum zum Spielen. Kinder sind eben doch noch überfordert, ihr Leben allein auf die Reihe zu bringen.

 

Die zweite Kategorie von Erwachsenen, die für Kinder eine zentrale Rolle spielen, sind die Lehrer, in und außerhalb der Schule. Sie sollen den Kindern das beibringen, was man »fürs Leben braucht«: Lesen, Schreiben, Rechnen, mit Computern umgehen, Musikinstrument, Sport, Hobby.

Durch die Begegnung mit Lehrerpersönlichkeiten lernen die Kinder allerdings noch viel mehr: Sie bekommen Einblick in die sehr interessante, vielfältige Welt der menschlichen Charaktere. Kinder ab etwa 8 Jahren beobachten und bewerten ihre Lehrer sehr genau. Allerdings zunächst eher mit Intuition als mit Verstand. Lehrer sind einfach »blöd« oder »super«, »geil«, »ätzend« oder »scheiße«. Warum, können die Kinder noch nicht so genau sagen – die dazu notwendige Distanz und Kritikfähigkeit entwickelt sich erst ab etwa 13 Jahren.

Kinder haben einen sechsten Sinn für die Authentizität und Aufrichtigkeit von Erwachsenen. Sie spüren mit schlafwandlerischer Sicherheit die menschliche Kompetenz und Souveränität jedes Lehrers und jeder Lehrerin. Das ist auch meistens der tiefere Grund, ob ein Lehrer geliebt und geachtet oder abgelehnt oder sogar gehasst wird. Kinder möchten wissen, ob sie sich am Lehrer orientieren können, ob sie bei ihm Halt finden. Kinder lieben Lehrer, die ihnen klar und deutlich, aber ohne zu verurteilen zeigen, was sie für »fair« und was für »unfair« halten, was »echt gemein« ist und was man noch hinnehmen kann. Kinder spüren genau, ob sie eine Persönlichkeit vor sich haben, die man als Autorität akzeptieren kann, oder ob sie es mit einem innerlich unsicheren, in sich widersprüchlichen, letztlich schwachen Menschen zu tun haben, über den man sich nur allzu leicht selbst erheben und lachen kann (mehr darüber bei den »Acht-, Neunjährigen«).

Lehrer haben bleibenden Einfluss auf die Entwicklung von Menschen. Das kennt jeder aus eigener Erfahrung und das ist in zahlreichen Untersuchungen nachgewiesen.

Der folgende Lehrer hat zum Beispiel kraft seiner Persönlichkeit dazu beigetragen, dass aus einem schwierigen kleinen Jungen, der heute vermutlich als »hyperaktiv« eingestuft würde, ein bedeutender Schriftsteller geworden ist. Albert Camus schrieb über seinen Grundschullehrer:

 

In den anderen Klassen lehrte man sie wahrscheinlich vieles, aber ein wenig so, wie man Gänse mästet. Man setzte ihnen fix und fertige Nahrung vor und bat sie, sie gefälligst zu schlucken. In Monsieurs Germains Klasse fühlten sie zum erstenmal, dass sie existierten und Gegenstand höchster Achtung waren: Man hielt sie für würdig, die Welt zu entdecken. Und ihr Lehrer ließ es sich sogar nicht nur angelegen sein, ihnen das beizubringen, wofür er bezahlt wurde, er eröffnete ihnen sogar sein Privatleben, er lebte es mit ihnen, erzählte ihnen seine Kindheit und die Geschichten von Kindern, die er gekannt hatte, legte ihnen seine Ansichten dar und nicht seine Ideen, denn er war zum Beispiel antiklerikal wie viele seiner Kollegen und sagte im Unterricht doch nie ein einziges Wort gegen die Religion oder etwas, was eine Wahl oder Überzeugung betraf, aber er verurteilte um so vehementer, was indiskutabel war, nämlich Diebstahl, Denunziation, Taktlosigkeit, Unanständigkeit. (Camus, S. 168)

 

Und dass Strafen von einer so geachteten Person keineswegs als demütigend und verletzend erlebt, sondern als Orientierungshilfe angenommen werden, solange sie nachvollziehbar, konsequent und gerecht sind, wird in der folgenden Passage spürbar. Strafen wurden akzeptiert,

 

... weil die Unparteilichkeit des Lehrers absolut war, weil man vorher wußte, welche Übertretungen – immer die gleichen – die Sühnezeremonie nach sich zogen, und all jene, die die Grenze ... überschritten, ... wußten, was sie riskierten und daß der Urteilsspruch mit herzhafter Gleichheit die Besten wie die Schlechtesten traf. (Camus, S. 173)

 

Viele Lehrer haben heute nicht mehr den Mut, Regeln aufzustellen und Konsequenzen zu ziehen, weil sie fürchten, damit gegen das Schulgesetz oder die Schulordnung zu verstoßen oder die Eltern gegen sich aufzubringen. Sie wälzen die unentbehrlichen Grenzziehungen entweder auf die Eltern oder gar den Staat ab. Da die Kinder aber auf der Suche nach Regeln sind, die in der Welt außerhalb des Elternhauses gelten, müssen die Menschen Antworten geben (und geben dürfen!), die dort unmittelbar dafür zuständig sind. Das sind nun mal in erster Linie die Lehrer. Dass die Hausaufgaben gemacht werden, sollte zum Beispiel spätestens ab der dritten Klasse möglichst eine Angelegenheit zwischen Lehrern und Schülern sein.

Polizei und andere staatliche Ordnungshüter sind andererseits für Kinder im Schulalter viel zu anonym und von der Zuordnung her viel zu weit weg, um die richtige Balance zwischen Recht und Unrecht, Angemessenem und Unmäßigem aufzuzeigen. Erst in der nächsten Entwicklungsstufe, im Jugendalter, werden staatliche Organe als Grenzwächter die angemessene und geforderte Institution sein.

Lehrer sind für die Entwicklung der Persönlichkeit der Kinder auch deshalb so wichtig, weil sie der ideale Gegenpart sind, an dem die Kinder ihre langsam wachsenden Persönlichkeitskräfte immer wieder messen können. In vielen Provokationen von Schulkindern steckt die unbewusste Frage an den Erwachsenen: Wie stark bist du? Kriege ich dich schon unter oder bist du noch stärker als ich? Behandelst du mich wie ein Baby, dessen »Kräfte« man nicht ernst nehmen muss, oder fühlst du dich durch mich ernsthaft herausgefordert, so dass du wirklich innerlich kämpfen musst, um mir nicht zu unterliegen? Kann ich mich noch an dir festhalten, oder bist du so schwach und nachgiebig, dass ich dich lieber links liegen lassen sollte und verachten muss? Wie wichtig dieses Kräftemessen für die Entwicklung der Kinder ist, wird oft übersehen, wenn Lehrer und Schüler im Clinch liegen.

Nicht jedes Kind braucht dabei die Auseinandersetzung mit jedem Lehrer. Kinder verteilen sich sozusagen die Arbeit. In jeder Kindergruppe gibt es die herausfordernden »Vorkämpfer«, die hinterhältigen »Antreiber« und die nur scheinbar unbeteiligten »Zuschauer«. Die sichtbare individuelle Auseinandersetzung zwischen dem einzelnen Schüler und dem Lehrer oder Erzieher ist nur das äußere Symptom für die Frage aller Kinder einer Gemeinschaft nach der persönlichen Souveränität und Kraft des Erwachsenen. Und die Antwort gilt in der Regel für alle.

Glücklich können sich die Kinder schätzen, die auf Erwachsene treffen, die sich erlauben, erwachsener, älter, ohne Zweifel »stärker« zu sein als das »schwierigste«, herausforderndste Kind und es trotzdem nicht ablehnen, demütigen oder erniedrigen.

 

Die dritte Kategorie sind Erwachsene, denen das Kind hie und da begegnet. In unserer Zeit sind Kontakte zu dieser Personengruppe normalerweise auf kurze Begegnungen begrenzt. Zur Kassiererin im Laden, zum Friseur, zur Kieferorthopädin kann ein Kind nur eine flüchtige, oberflächliche Beziehung aufnehmen.

Früher war das anders und in vielen Lebenserinnerungen spielen gerade die Menschen eine wichtige Rolle, die weder zur Familie gehörten noch beruflich mit Kindern befasst waren. Die »normalen« Erwachsenen eben, die im Dorf oder Stadtteil arbeiteten, die immer anwesend waren und zu denen man auf eigene Faust irgendwie Kontakt aufnehmen konnte: Der Schuster, der Schmied, der Bäcker, die Waschfrau, der Gärtner, der Kaufmann um die Ecke. Und im Umgang mit diesen Persönlichkeiten, Charakteren und Typen haben Kinder viel über menschliche Eigenschaften erfahren: über Humor und Nachsicht, über Wut und Strenge, über Verständnis und Hilfsbereitschaft, über Hilflosigkeit und Inkonsequenz. Die Kinder konnten selbst entscheiden, ob sie zu diesen Erwachsenen lieber auf Distanz bleiben oder näheren Kontakt suchen wollten. Dabei haben sie ihre Menschenkenntnis testen und schulen können.

Marion Gräfin Dönhoff beschreibt die Bedeutung dieser fern stehenden und zugleich nahen Menschen:

 

Auf solche Weise habe ich vieles gelernt. Beim Chauffeur Vergaser auseinandernehmen, in der Tischlerei hobeln und fugen ...

Im Osten konnte übrigens jedermann sich mit jedem Handwerk zurechtfinden; ein bißchen mauern, tischlern, klempnern konnte jeder auf dem Lande. Ein bei uns besonders beliebter Handwerker war der Tischler, Meister Klein. Bei ihm lernten die Brüder sachgemäß mit Holz umzugehen, am Schluß konnten sie sogar Fenster anfertigen. (Dönhoff, S. 85)

 

Diese selbst gewählten »Lehrmeister« waren häufig für die Kinder ganz persönliche Vertrauenspersonen, von denen sie sich beraten ließen, bei denen sie ihre Sorgen abladen konnten und denen sie ihre Schandtaten beichten durften, ohne Gefahr zu laufen, bei den Eltern oder Lehrern »verpetzt« zu werden. Sich persönliche Vertrauenspersonen zu schaffen, ist ein wichtiger Entwicklungsschritt, der vielen Kindern heute fehlt. Kinder bleiben heutzutage auf ihren seelischen Nöten so lange sitzen, bis ihre Verhaltensauffälligkeiten so unerträglich sind, dass Therapeuten eingeschaltet werden müssen.

Wirkliche Beziehungen können Kinder unserer Kultur fast nur noch zu Erwachsenen aufnehmen, die sich beruflich mit Kindern beschäftigen. Das verwöhnt und verdirbt zugleich. Und vor allem macht es unsicher: In unserer Welt müssen Erwachsene, die keinen pädagogischen Auftrag haben, Kindern als Menschen erscheinen, die nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen angesprochen werden dürfen: Die Verkäuferin kann man nach T-Shirts fragen, den Arzt nach dem richtigen Medikament, der Handwerker kommt zwar ins Haus, aber nach getaner Arbeit verschwindet er als ebenso unbekannter Mensch wieder, wie er gekommen war.

Ich verstehe sehr gut, dass solche Kinder später Angst vor Fremden haben. Und ich verstehe, dass sich solche Kinder später in einer Ausbildungswerkstatt als Fremdlinge fühlen, »ohne Bock« herumstehen, sich anstellen, als hätten sie zwei linke Hände, und nur an ihren Feierabend denken.

 

Über Fernsehschirm und Zeitschriften pflegen moderne Kinder einen innigen, aber abstrakten »Kontakt« zu den für sie so wichtigen Menschen der »vierten Kategorie«, zu ihren Idolen. Anders als bei Jugendlichen, die ihre großen Vorbilder brauchen, um sich an ihnen zu orientieren, sind Idole für Kinder ab etwa 9, 10 Jahren hauptsächlich fürs Gefühl da. Obwohl sie unerreichbar fern stehen, fühlen sich die Kinder ihren Idolen seelisch eng verbunden.

Oft behaupten Erwachsene, dass Kinder heute viel eher anfangen, für Stars zu schwärmen, als früher. Das täuscht. Zwei Beispiele:

Janina David war 1940 10 Jahre alt:

 

Zu meiner großen Freude stellte sich heraus, daß Simon ein Film-Fan war, in Besitz von einer eindrucksvollen Sammlung von Filmmagazinen, die bis zu den Tagen des Stummfilms zurückgingen. Ich hatte ihn bald soweit, daß er mir erlaubte, seine Schätze anzusehen, und ich stürzte mich auf die Stars – Gloria Swanson, Pola Negri, Norma Schaerer, Garbo, Valentino, Navarro, Gable ..., die herrlichen Toiletten, märchenhaften Parties, der ganze Flitterglanz dieser Halbgötter, von deren realer Existenz ich eigentlich nie vollkommen überzeugt war, und deren Namen ich nie richtig aussprechen konnte. (David, S. 146)

 

Bertha von Suttner erlebte 1854 im Prinzip dasselbe, vielleicht nur etwas »altmodischer«:

 

Ich war an meinem elften Geburtstag zum erstenmal ins Theater geführt worden ... Nein, dieser George Brown ... Denn etwas Hinreißenderes als diesen Sänger – ich weiß sogar noch seinen Namen – Theodor Formes, der Eindruck muß also tief gewesen sein –, etwas Ritterlicheres hatte ich mir nie träumen lassen. So mußte der mir bestimmte Prinz aussehen ... (Suttner, S. 15 f.)

 

Wir Erwachsenen erinnern uns offenbar eher an unsere Schwärmereien im Jugendalter und vergessen, dass es davor schon eine Zeit gab, in der wir für einen Star des Sports, der Bühne, der Leinwand, der Musik oder der Highsociety Feuer und Flamme waren: Zwischen Franz Beckenbauer und Lars Ricken, Marlene Dietrich und Madonna, Jean-Paul Belmondo und Leonardo DiCaprio, den Beatles und den Spice Girls, Grace Kelly und Lady Di liegen Generationen von immer wieder neuen Stars, die schon Kinder zwischen 9 und 12 Jahren in ihren Bann ziehen. (Erinnern Sie sich, für wen Sie und Ihre Klassenkameraden in diesem Alter geschwärmt haben?)

Die Begeisterung für die Stars hängt wohl damit zusammen, dass sich ab etwa 8 Jahren nach und nach eine vollkommen neue Dimension von Gefühlen öffnet: Begeisterung, Verliebtsein, Verehrung, Sehnsucht, Kummer, Trauer, Empörung, Hass können jüngere Kinder noch nicht annähernd in der Tiefe und Intensität empfinden wie große Kinder. Die Phantasiebeziehung zu den Idolen gibt den Kindern Raum, ihre Gefühle sozusagen »ohne Gewähr« und »auf Probe« ausleben zu können. Weil die Kinder keine reale Beziehung zu ihren Idolen (und deren Gegenspielern) haben, können sie sich bis an die Grenze des Erträglichen in ihre Gefühle hineinsteigern, ohne jemandem zu nahe zu treten. Hysterische Begeisterung und Liebessehnsucht bis hin zur Ohnmacht bei den Konzertbesuchen der Mädchen und Empörung bis zum Ausrasten über den falschen Elfmeter bei den Jungen sind hier nur zwei Beispiele. Allmählich lernen die Kinder mit diesen Gefühlen umzugehen und sie zu zügeln.

Wer als Kind gelernt hat, Gefühle zuzulassen, sie aber auch zu beherrschen, der hat eine wichtige Grundlage, um als Erwachsener zu einer ausgeglichenen, offenen und begeisterungsfähigen Persönlichkeit zu werden.

 

Anmerkung

Seit Mitte der 90er-Jahre beschäftigen sich Fachleute aus Stadtplanung, Pädagogik, Sozialarbeit und Sozialwissenschaft, Medizin, Psychologie und Verwaltung mit der Frage, wie Kindern und Jugendlichen wieder mehr Kontakt zu Erwachsenen vermittelt werden kann, die nicht durch familiäre oder pädagogische Bindungen verpflichtet sind. Aus einem interdisziplinären Werkstattgespräch ging 1995 die »Tübinger Erklärung« hervor, in der es unter anderem heißt:

 

Kinder und Jugendliche brauchen neben Schule und Familie den leichten Zugang zur Wirklichkeit eines lebendigen Stadtquartiers, in dem sie Formen des Zusammenlebens unter Menschen, die sich nicht gegenseitig verpflichtet sind, erfahren und auch selbst erproben ...

Spielstraßen, Kinderhäuser, Schulen und Jugendtreffs sind ohne Anschluß an die Welt des Arbeitens und Wirtschaftens nicht in der Lage, die Neugier, die Lust der Selbstdarstellung und die Freude am eigenen Tätigsein zu befriedigen ... Notwendig ist eine Verbindung zwischen Wohnen, autofreien Plätzen, kleinen wirtschaftlichen Betrieben und Straßen mit nicht bedrohlichem Verkehr. (Tübinger Erklärung »Kinder brauchen Stadt«; vgl. auch die im Literaturverzeichnis genannte Veröffentlichung von Gabriele Steffen.)