18. KAPITEL

Ich marschiere durch das Labyrinth von Acro und überlasse es Makri, Lisutaris zu bewachen. Vermutlich wird Makri sich trotz ihrer festen Vorsätze, nüchtern zu bleiben, schon bald an der Wasserpfeife wieder finden. Sie leidet einfach unter einem Charakterfehler, den sie ihren spitzen Ohren verdankt. Es geschähe ihnen nur recht, wenn Incognixus Direeva tötet und ihnen dann auch noch die Köpfe abhackt. Sie ist vielleicht eine Leibwächterin. Seit Makri angefangen hat, von diesem verdammten Elf Gal-an zu palavern, ist sie so nützlich wie ein einbeiniger Gladiator.

War der Schatten wirklich Incognixus? Direeva schien sich ihrer Sache ziemlich sicher zu sein, aber was heißt das schon? Ich traue ihr nicht. Genauso wenig wie irgendjemand anderem. Lisutaris ist eine Katastrophe. Makri ist unzuverlässig. Zitzerius ist hoffnungslos. Tilupasis ist ein Witz. Prätor Samilius könnte nicht mal den Diebstahl einer Babyrassel aufklären. Ganz Turai ist nutzlos. Wäre ich nicht zur Stelle, wäre die Stadt schon vor langer Zeit untergegangen. Ich ziehe mein Schwert und marschiere durch das Labyrinth. Ich mag keine Labyrinthe, magische oder andere. Sie gehen einem auf die Nerven und sind sinnlos. Sieht Charius dem Weisen ähnlich, uns hierher zu schicken!

Ich biege um eine Ecke und hätte beinahe eine kleine Gestalt über den Haufen gerannt. Ich erkenne sie. Es ist Marihana. Sie trägt wie immer Schwarz und hält ein Messer in der Hand.

»Du hast hier nichts zu suchen!«, erkläre ich ihr.

»Ihr auch nicht«, antwortet sie.

»Ich habe mehr Recht, hier zu sein, als du.«

»Habt Ihr nicht.«

»Ich bin ein Tribun des Volkes. Du bist nur eine Meuchelmörderin.«

»Seit wann darf ein Volkstribun, ein bloßer Ehrentitel, wenn er überhaupt etwas zu bedeuten hat, sich in die geheiligte Endausscheidung der Zaubererinnung einmischen?«

»Seit ich entschieden habe, dass es zu meinen Pflichten gehört.«

»Eure Pflicht? Sehr amüsant. Geht mir aus dem Weg, Detektiv.«

»Wie bist du hier hereingekommen? Und was willst du überhaupt hier?«

»Ich beschütze Lisutaris. Deshalb kann ich auch nicht weiterplaudern.« Mit diesen Worten schlängelt sich Marihana an mir vorbei. Ich starre ihr hinterher.

»Und ich habe wohl mehr Recht, hier zu sein, als du!«, rufe ich ihr nach. »Ich bin ein Tribun!«

Marihana ist verschwunden. Diese verdammten Meuchelmörder! Sie tauchen immer dann auf, wenn man sie nicht gebrauchen kann.

Ich gehe weiter. Nach Marihanas Maßstäben war sie ausgesprochen redselig. Vielleicht erwärmt sie sich ja allmählich für mich. Ein zweites Einhorn taucht auf. Vielleicht ist es auch dasselbe wie vorhin. Diese Viecher sehen mit ihrem Horn ja alle gleich aus. Es trottet in meine Richtung. Vielleicht kann es mir behilflich sein. Im Magischen Raum ist alles möglich. Die Sonne hat sich soeben grün verfärbt, und die Gänseblümchen reichen mir bis an die Hüfte.

»Sei gegrüßt. Einhorn. Hast du zufällig einen simnianischen Zauberer namens Ramius Sonnensturm gesehen?«

Das Einhorn beäugt mich schweigend.

»Er ist etwa so groß«, sage ich und halte meine Hand ein gutes Stück über meinen Kopf. »Und denkt wahrscheinlich angestrengt nach.«

Hinter mir lacht plötzlich jemand schallend.

»Er versucht doch tatsächlich, ein Einhorn zu befragen.«

Ich wirble herum. Ein ziemlich groß gewachsenes Eichhörnchen lacht mich aus.

»Weiß Er denn nicht, dass Einhörner nicht reden können?«

»Ich dachte, es wäre einen Versuch wert. Du hast nicht zufällig Ramius gesehen?«

»Den simnianischen Zauberer? Kriegsveteran? Aber natürlich haben Wir ihn gesehen.«

Das Eichhörnchen schaut mich verschlagen an.

»Hat Er zufällig Thazis dabei?«

»Ja, zufällig.«

Ich krame eine Thazisrolle heraus und reiche sie dem Eichhörnchen.

»Er nehme die Nächste rechts und halte sich dann links«, sagt das Eichhörnchen und hoppelt davon, die Thazisrolle fest in einer Klaue.

Ich gehe weiter und denke darüber nach, dass ich gerade ein mannsgroßes Eichhörnchen mit einer Thazisrolle bestochen habe. Das ist schon ganz in Ordnung, wenn man nicht zu gründlich darüber nachdenkt. Der Wind frischt auf, und die Gänseblümchen wachsen immer weiter. Es wird kälter. Ich glaube, Stimmen zu hören, und schleiche mich vorsichtig weiter. Als die Stimmen lauter werden, bleibe ich stehen. Ramius Sonnensturm muss sich hinter der nächsten Ecke befinden.

»Habt Ihr die Frage?«

»Ja.«

Es raschelt, als ein Blatt Papyrus von einer Hand in die andere wandert. Ich riskiere einen Blick. Ramius berät sich mit einem großen Mann in einer Toga, der mit einem deutlichen simnianischen Akzent spricht. Ich erkenne in ihm den Mathematiker, den Makri auf dem Konvent kennen gelernt hat. Das ist wirklich ungeheuerlich! Die Endausscheidung sollte geheiligt sein! Wie ich schon immer gesagt habe: Man kann einem Simnianer einfach nicht trauen.

Der Gelehrte mustert den Papyrus, den Ramius ihm gegeben hat. Mit einer Feder in der Hand stellt er einige Berechnungen an.

»Beeilt Euch«, zischt Ramius. »Lisutaris arbeitet zurzeit ebenfalls an der Lösung dieses Problems.«

Der Gelehrte wirft dem Zauberer einen eisigen Blick zu. »Ich bin der beste Mathematiker des ganzen Weiten Westens. Niemand findet die Lösung schneller als ich.«

Er kritzelt weiter. Ich bin versucht, die beiden zur Rede zu stellen. Zweifellos haben die Simnianer Charius den Weisen dahin gehend bestochen, irgendeine mathematische Prüfung aufzustellen, und dann ihren Mann in Stellung gebracht. Wenn Ramius gewinnen wird, werde ich ihn als den Betrüger denunzieren, für den ich ihn schon immer gehalten habe.

Schließlich scheint der Mathematiker zufrieden zu sein.

»Die Lösung lautet …«

»Shh!« Ramius bringt ihn zum Schweigen.

»Sprecht es nicht aus! Lisutaris könnte uns belauschen. Man darf diesen turanianischen Hunden nicht trauen. Schreibt es auf und zeigt es mir. Schnell.«

Der Gelehrte tut wie geheißen. Ramius wirft einen kurzen Blick auf die Lösung und befiehlt dem Mathematiker dann, den Papyrus mitzunehmen. Anschließend nimmt der Zauberer eine kleine Kugel aus der Tasche, macht eine Handbewegung, und das vertraute grüne Licht flammt auf. Die Kugel wächst, bis sie groß genug ist, damit der Gelehrte hineinsteigen und in die reale Welt zurückgehen kann. Als Ramius sich umdreht, ziehe ich mich rasch zurück. Er biegt um die Ecke und stößt gegen mich. Ich schlage ihm mit dem Griff meines Schwerts auf den Kopf, und er bricht zusammen.

»Ich bin entsetzt«, erkläre ich seiner reglosen Gestalt. »Ihr Simnianer seid Betrüger, alle miteinander. Und im Krieg wart ihr auch nicht zu gebrauchen.«

Dann mache ich mich so schnell wie möglich auf den Weg. Es wird plötzlich kalt, und es fängt an zu schneien. Der Winter ist im Magischen Raum angekommen. Das hat mir gerade noch gefehlt! Ein eisiger Wind bläst mir stechende Schneeflocken ins Gesicht. Ich fluche. Ramius wird nicht lange ohnmächtig sein. Wenn der Mathematiker doch den Zettel mit der Antwort bei Ramius gelassen hätte, dann hätte ich ihn stehlen können. Aber vielleicht gibt es in Turai jemanden, der die Lösung ausarbeiten kann. Was bedeutet. ich muss so schnell wie möglich hier raus. Also muss ich Direeva finden.

Der eisige Wind hält mich auf. Ich hatte nicht erwartet. dass es auch hier Winter werden kann, und habe meinen magischen Mantel nicht mitgenommen. Nach kurzer Zeit ist es mir so kalt wie im Grab der Eiskönigin, und ich verfluche alle Magischen Räume, in denen man sich nicht darauf verlassen kann, dass das Wetter länger als zwei Minuten konstant bleibt.

Die Hecken haben angefangen zu flackern. Sie drohen zu verschwinden, sind aber nie ganz weg. Ich konzentriere mich auf meinen Rückweg zu Lisutaris und bemerke nicht sofort, dass die Hecke zu meiner Linken nur noch einen halben Meter hoch ist. Als ich aufblicke, sehe ich eine Gestalt, die auf dem Weg neben meinem geht. Der Schnee fliegt mir in die Augen, die Sicht ist minimal, und ich bin nicht hundertprozentig sicher, aber ich würde trotzdem beschwören, dass die Person, die ich gesehen habe, Copro ist. Der Coiffeur des Hoch-und Geldadels. Er hat eine Armbrust bei sich. Ich versuche augenblicklich, über die Hecke zu springen. Bedauerlicherweise hat sie genau diesen Moment ausgesucht, um wieder zu ihrer vorherigen Größe anzuwachsen, und ich falle rücklings zu Boden. Mein Gesicht ist voller stachliger Blätter.

»Copro?«, murmele ich. »Mit einer Armbrust?«

Dank meines ausgezeichneten Orientierungssinns finde ich bald zu Lisutaris zurück. Die Herrin des Himmels hockt mit Makri an ihrer Wasserpfeife. Ich erzähle den beiden, was gerade passiert ist.

»Sie haben den Mathematiker eingeschmuggelt?«, fragt Makri. »Das ist wirklich unfair.«

»Sagte ich nicht, dass man einem Simnianer nicht trauen kann?«

»Doch. Bereits einige hundert Mal.«

»Was ist mit diesem Copro?«, erkundigt sich Lisutaris.

»Er spaziert mit einer Armbrust im Anschlag durch das Labyrinth.«

»Ihr habt das halluziniert.«

»Warum sollte ich das tun?«

»Weil wir im Magischen Raum sind, wo nichts sicher ist, und außerdem ein Schneesturm Eure Sicht beeinträchtigt hat.«

Lisutaris ist im Augenblick wirklich ziemlich lästig. Ich kann nicht fassen, dass ich sie einmal mochte.

»Ich sage Euch doch, dass es Copro war. Wo ist Direeva? Ich muss hier raus und jemanden in Turai aufsuchen, der die Frage beantworten kann.«

»Wer denn?«

»Weiß ich nicht. Ich gehe zur Universität und greife mir einen Professor.«

»Das dauert zu lange«, meint Makri. »Wie wäre es mit Sermonatius?«

»Könnte er das denn schaffen?«

»Er ist der beste Philosoph im ganzen Weiten Westen.«

»Kann er auch rechnen?«

Makri glaubt schon.

»Ich habe versucht, selbst die Lösung zu finden«, fügt sie hinzu. »Aber ich bin noch nicht weitergekommen.«

»Wo ist Direeva? Ich muss hier raus.«

»Nimm doch Salz«, schlägt Makri mir vor. Sie erinnert sich daran, dass wir schon einmal aus einem Magischen Raum entkommen sind, indem wir Salz auf den Boden gestreut haben. Aber ich bezweifle, dass dieser Trick noch einmal funktioniert.

»Der Magische Raum könnte zusammenbrechen, und was passiert dann mit der Prüfung?«

»Es würde sowieso nicht funktionieren«, meint Lisutaris, die sich einen Atemzug lang von ihrer Wasserpfeife trennt. »Charius’ Magischer Raum ist anders beschaffen. Stärker.«

»Könnt Ihr mich nach ZwölfSeen zurückschicken?«

»Ja. Aber das würde eine große Störung im Magischen Feld bewirken. Charius der Weise wüsste sofort, dass etwas passiert ist. Wenn wir diskret vorgehen wollen, brauchen wir Direeva.«

Es schneit noch stärker. Lisutaris wedelt mit der Hand, und ein großes Lagerfeuer lodert neben ihr auf. Direeva kommt auf die Lichtung und bricht sofort zusammen. Blut strömt aus einer tiefen Wunde an ihrer Schulter. Ein Armbrustbolzen steckt ihr tief im Fleisch.

»Wer war das?«

Direeva hat das Gesicht ihres Angreifers nicht gesehen.

»Das war Copro!«, rufe ich.

»Wer hat nur diesen albernen Detektiv engagiert?«, erkundigt sich Direeva gereizt. »Der Mensch wird ja mit jedem Tag verrückter!«

»Du mochtest Copro noch nie«, fällt auch Makri in ihre Vorwürfe ein. »Aber das ist kein Grund, ihn eines Attentats zu beschuldigen.«

Ich ignoriere sie. »Könnt Ihr mich nach ZwölfSeen zurückbringen?«, frage ich Direeva, während Lisutaris sich um ihre Wunde kümmert. Die Prinzessin betrachtet mich sichtlich angewidert, konzentriert sich jedoch kurz, ohne auf ihre Verletzung zu achten, und öffnet eine Bresche im Magischen Raum.

»Ihr habt fünf Minuten«, sagt sie, als ich hinaustrete und mich an der Ecke des Quintessenzwegs wieder finde.

Ich suche mir den Weg über den Schutt zu Sermonatius’ Akademie. In einem feuchten, muffigen Saal unterrichtet Sermonatius gerade eine Gruppe von Studenten. Ich marschiere mitten hindurch und ziehe den Philosophen entschlossen zur Seite.

»Sermonatius, es geht um den Gefallen, den Ihr mir schuldet. Ich muss die nächste Zahl aus dieser Reihe finden, und zwar sofort. Lisutaris braucht Eure Hilfe.«

Sermonatius begreift augenblicklich, wovon ich rede. Er entschuldigt sich kurz bei seinen Studenten und mustert den Fetzen Papyrus, den ich ihm unter die Nase halte. Nach etwa dreißig Sekunden nickt er.

»Es ist eine Folge von Produkten aus Primzahlen, denke ich.«

Ich warte darauf, dass er etwas niederschreibt, aber offenbar ist Sermonatius wirklich ziemlich gut im Kopfrechnen.

»Eins null sieben drei.«

»Seid Ihr sicher?«

»Ziemlich sicher. Die Folge besteht aus …«

»Dafür habe ich keine Zeit. Danke für Eure Hilfe.«

Ich verlasse eiligst die Akademie. Sermonatius’ geistige Fähigkeiten beeindrucken mich. Vielleicht hat er ja doch seinen Ruf als Nummer eins unter den Philosophen verdient. Ich bin fast froh, dass ich ihn vor der Räumung bewahrt habe. Ob er wohl auch genauso gut Wahrscheinlichkeiten von Rennergebnissen ausrechnen kann?

Auf der Straße ist das grüne Portal immer noch zu sehen, aber es wabert bereits leicht. Ich springe hindurch und lande ein Stück weit von der Lichtung entfernt. Copro, der Coiffeur, kommt mit schussbereiter Armbrust auf mich zu. »Ihr seid es also!«, brülle ich. »Ihr seid Incognixus. Ich habe Euch schon die ganze Zeit verdächtigt. Eine gute Verkleidung, Meuchelmörder, aber nicht gut genug, um Thraxas den Detektiv zu täuschen!«

Das Labyrinth verändert sich erneut, und ich bin plötzlich allein und von allen Seiten von Vegetation umgeben. Ich bahne mir verzweifelt mit dem Schwert einen Weg, weil ich Lisutaris erreichen muss, bevor Incognixus sie findet. Plötzlich teilt sich die Hecke vor mir, und Makri taucht auf, ihre Axt in der Hand.

»Was ist hier los? Die Hecke hat gerade angefangen, uns über den Kopf zu wachsen.«

»Hast du Copro gesehen?«

»Fängst du schon wieder damit an?«

»Ich sage dir doch, er ist der Meuchelmörder.«

»Warum sollte er so etwas tun? Er ist so ein großartiger Friseur.«

»Ich hatte ihn schon lange in Verdacht. Er hat mich mit seiner schicken Schminke und seinem weibischen Getue nicht hinters Licht führen können. Der Mann ist ein eiskalter Killer. Wo ist Lisutaris?«

»Keine Ahnung.«

»Dann hack weiter!«

»Das entspricht schon eher dem Magischen Raum, den ich kenne«, meint Makri, als Pinguine durch den Schnee watscheln. »Hast du die Lösung?«

»Ja.«

»Ich auch.«

Ich bleibe wie angewurzelt stehen. »Was?«

»Ich habe die Lösung. Ich habe sie ganz allein herausgefunden.«

Makri ist höchst zufrieden. Ich bin höchst gereizt.

»Du hast ganz schön lange dafür gebraucht. Hättest du nicht darüber stolpern können, bevor ich Ramius auf den Kopf schlagen musste?«

»Du hast Ramius auf den Kopf geschlagen?«

»Ja. Bevor ich Sermonatius besucht habe. Die ganze Sache ist verdammt ärgerlich. Und wir hätten es vermeiden können, wenn du rechtzeitig die Lösung gefunden hättest, bevor ich die Sache in die Hand nehmen musste.«

»Hab ich aber nicht«, antwortet Makri.

Wir hacken uns weiter durch das Labyrinth und rufen nach Lisutaris.

»Du könntest mich ruhig mal loben«, meint Makri.

»Wofür?«

»Dafür, dass ich die Aufgabe gelöst habe.«

»Ich habe sie zuerst gelöst.«

»Du hast sie gar nicht gelöst«, behauptet Makri. »Du hast einfach nur Sermonatius gefragt.«

»Und? Ich habe die Lösung, oder nicht?«

Makri lässt ihre Axt sinken. »Weißt du, dass du mir im Moment wirklich auf die Nerven gehst, Thraxas? Immer dreht es sich nur um dich: ›Ich hab dies gemacht, und ich hab das gemachte Hast du eine Ahnung, wie ermüdend es ist. die ganze Zeit deinen albernen Geschichten zuhören zu müssen? Und wenn es nicht das ist. dann irgendwelche albernen Kritiken darüber, wie ich mein Leben führe. Ich sage dir, es wird Zeit …«

»Hörst du langsam auf, dich wie ein spitzohriges Orgk-Weibchen aufzuführen, und hackst weiter?«

Die Hecke neben uns teilt sich in einem gelben Lichtball, und wir stehen einem wütenden Ramius Sonnensturm gegenüber.

»Thraxas hat Euch auf den Kopf geschlagen«, meint Makri und deutet auf mich. »Ich hatte nichts damit zu tun.«

Ramius schleudert einen Bann auf mich. Mein Schutzamulett rettet mir zwar das Leben, aber ich werde zu Boden geschleudert und bleibe liegen. Als Ramius sieht, dass ich noch atme, zieht er ein Schwert und stürzt sich auf mich. Er hat mich fast erreicht, als Makri vorspringt und ihn mit der flachen Seite ihrer Axt auf den Kopf schlägt.

»Entschuldige dich dafür, dass du mich ein spitzohriges Orgk-Weibchen geschimpft hast!«, verlangt Makri.

Ich rappele mich benommen auf.

»Bist du von Sinnen?«, frage ich sie. »Für so was haben wir im Moment keine Zeit.«

Plötzlich taucht Marihana auf.

»Marihana«, sagt Makri. »Findest du es richtig, dass dieser fette Säufer herumläuft und mich die ganze Zeit heruntermacht?«

»Was fragst du sie?«, schreie ich. »Sie ist eine Meuchelmörderin. So was interessiert sie nicht.«

»Ich muss aufs Schärfste zurückweisen, dass Ihr immer unterstellt, ich hätte keine Gefühle«, verkündet Marihana.

»Meine Güte, was ist denn jetzt los? Wer ist denn dafür verantwortlich? Treibt Euch diese Vereinigung der Frauenzimmer komplett in die Hysterie?«

»Ich kenne diese Frauenzimmer nicht«, behauptet Marihana.

»Und sie war auch nie auf unseren Treffen in ZwölfSeen«, beteuert Makri.

Wir hacken uns weiter den Weg durch die wuchernde Vegetation.

»Ich brauche dringend ein neues Heim«, erklärt Makri Marihana. »In der Rächenden Axt ist es einfach nicht mehr auszuhalten. Thraxas schwankt die ganze Zeit betrunken herum. Mir vergeht wirklich der Appetit.«

Die Hecke vor uns flammt erneut auf und teilt sich. Ich mache mich auf einen Kampf gefasst, aber diesmal taucht nicht Ramius auf, sondern Lisutaris. In der einen Hand hat sie ihre Wasserpfeife, mit der anderen stützt sie Direeva, die sich an ihre Schulter lehnt.

»Ich glaube immer noch nicht, dass Copro Incognixus ist«, erklärt unsere Zauberin.

»Copro?«, ruft Marihana. »Copro, der Coiffeur, soll Incognixus sein?«

»Laut Thraxas«, meint Makri verächtlich. »Aber du weißt ja, wie vertrauenswürdig er ist.«

Makri fragt Direeva, ob es Copro gewesen sein könnte, der auf sie geschossen hat, aber da die Prinzessin das Gesicht des Attentäters nicht gesehen hat. kann sie diese Frage nicht mit Sicherheit beantworten.

»Der Schuss hat mich überrascht«, gibt sie zu. »Glücklicherweise hat mein Schutzamulett den Bolzen abgelenkt, sodass er mich nicht getötet hat.«

»Wenn er der Meuchelmörder ist, warum hat er mich dann nicht umgebracht, als er mich frisiert hat?«, will Lisutaris wissen.

»Vielleicht verbietet ihm das ja seine Nebenberufsehre«, vermute ich. »Aber das sollten wir später besprechen, jetzt müssen wir so schnell wie möglich hier weg. Ramius ist bewusstlos, und ich weiß die Lösung. Wenn wir zu Charius zurückgehen können, habt Ihr die Prüfung für Euch entschieden.«

Das scheint Lisutaris zu überzeugen. Sie brennt die Hecke weg. die uns umgibt, und wir arbeiten uns zu der Lichtung vor. Es hat zwar aufgehört zu schneien, aber der Boden ist eisglatt, und wir rutschen unaufhörlich, während wir gehen. Die Sonne hoch oben am Himmel hat sich mittlerweile blau verfärbt und ist ganz winzig geworden, als wollte sie uns verhöhnen.

Mittlerweile sieht Direeva wirklich nicht mehr aus wie das blühende Leben. Das Blut sickert aus ihrer Schulter. Ich frage sie. ob sie noch über genug Kraft verfügt, uns diskret herauszubringen, ohne dass Charius etwas merkt. Sie glaubt ja.

»Da ist die Lichtung!«, ruft Makri.

»Da ist Ramius!«, ruft Lisutaris.

Er ist tot. Der simnianische Hexenmeister liegt auf der Lichtung. Er hat eine klaffende Wunde am Hals.

Ich drehe mich zu Lisutaris um und will wissen, ob sie ihn umgebracht hat. Sie streitet es ab. Ich schüttele den Kopf. Sie hat ihn wahrscheinlich genauso nicht umgebracht, wie sie Darius nicht umgebracht hat.

»Es hätte meine Aufgabe erheblich erleichtert, wenn man mir vorher gesagt hätte, dass Ihr alle Eure Konkurrenten abschlachten wolltet. Dann hätte ich entsprechende Maßnahmen ergreifen können.«

»Ich habe keinen umgebracht!«, behauptet die Herrin des Himmels nachdrücklich. »Obwohl es schwer werden dürfte, das der Zaubererinnung zu erklären. Sie werden leicht misstrauisch, wenn bei der Endausscheidung einer der beiden Gegner von hinten massakriert wird.«

»Keine Sorge«, beruhige ich sie. »Wenn es wirklich schlecht für Euch aussieht, erzähle ich ihnen, dass Ihr zu berauscht wart, um stehen zu können. Geschweige denn, Ramius umzubringen. Das glaubt uns jeder.«

»Soll das eine Kritik sein?«

»Das seht Ihr verdammt richtig. Wenn wir das hier überstehen sollten, will ich Euch und Eure verdammte Wasserpfeife nicht mehr sehen. Dasselbe gilt für Makri, Marihana und Direeva!«

Ich bin immer noch empört, dass mir niemand glauben will, dass Copro Incognixus ist. Sollen diese Frauenzimmer doch zum Teufel fahren!

»Ich verstehe das nicht«, meint Makri. »Ich dachte, Ramius hätte einen Meuchelmörder engagiert?«

»Hat er auch«, versichert ihr Lisutaris.

»Warum hat der denn Ramius selbst umgebracht?«

»Wir wissen nicht sicher, ob ein Meuchelmörder Ramius umgebracht hat oder …« Ich deute mit einem Nicken auf Lisutaris.

Direeva bereitet unseren Abgang vor. Lisutaris schaut mich finster an.

»Ihr müsst mir noch die Lösung für die letzte Prüfung verraten«, erinnert sie mich steif.

»Natürlich. Noch eine Sache, die ich für Euch klargemacht habe.«

»Also, wie lautet sie?«

Ich öffne meinen Mund … und schließe ihn wieder. Ich habe die Zahl vergessen. Bei der ganzen Aufregung ist sie mir irgendwie entschlüpft. Ich schaue Lisutaris hilflos an.

Makri schüttelt sich vor Lachen.

»Er hat sie vergessen. Ha, ha! Der tolle Detektiv hat sie vergessen! Thraxas, du bist so nützlich wie ein einbeiniger Gladiator. Selbst das sprechende Schwein war schlauer als du!«

Makri wendet sich an Lisutaris.

»Glücklicherweise habe ich die Lösung ausgearbeitet. Im Kopf. Ich habe meine mathematischen Fähigkeiten eingesetzt. Ich musste nicht schummeln wie Thraxas, der Sermonatius gefragt hat. Ich bin ganz allein darauf gekommen. Ich bin viel schlauer als der dicke Detektiv. Ich habe die Zahl ausgerechnet, indem ich …«

»Vielleicht würdet Ihr sie mir einfach sagen?«, fordert Lisutaris sie müde auf. »Ich glaube, Prinzessin Direeva wird gleich ohnmächtig.«

»Sie lautet eintausenddreiundsiebzig.«

Mit letzter Kraft öffnet uns Direeva ein Portal, durch das wir den Magischen Raum verlassen können, während Lisutaris sich selbst eine Tür öffnet, durch die sie zum Konvent zurückgehen kann. Wir werfen einen letzten Blick auf den Leichnam von Ramius Sonnensturm und verlassen den Magischen Raum.

»Ich kann immer noch nicht glauben, dass Copro Incognixus ist«, meint Marihana, als wir in Zitzerius’ Privatgemach materialisieren.

Zitzerius ist über unseren Anblick entsetzt. Wir sehen aus, als wären wir unterwegs mit einer Division Orgks aneinander geraten.

»Prinzessin Direeva braucht einen Arzt, und zwar schnellstens. Wir haben die Lösung. Lisutaris wird die Endausscheidung gewinnen.«

»Hervorragend«, erklärt Zitzerius, der Harrius losschickt, medizinische Hilfe holen.

»Ramius ist tot. Jemand hat ihm die Kehle durchgeschnitten.«

»Das ist nicht gut.«

Niemand außer den beiden sollte in dem Magischen Raum sein. Was automatisch Lisutaris zur einzigen Verdächtigen macht.

»Erzählt mir die Einzelheiten«, fordert uns Tilupasis unverzagt auf. Sie arbeitet anscheinend bereits daran, wie sie mit der neuen Situation fertig werden kann.