12. KAPITEL
Das Wettbüro des Ehrlichen Mox ist zum ersten Mal seit Menschengedenken geschlossen. Die Spielergemeinde von ZwölfSeen ist wie vom Donner gerührt. Ich stehe mit zwanzig anderen Gesinnungsgenossen herum und starre ratlos auf die geschlossene Tür.
»Was ist denn passiert?«
»Sein Sohn ist gerade gestorben. An einer Überdosis Boah.«
Die frustrierten Spieler schütteln die Köpfe. Es ist beinah zu schlimm, um darüber nachzudenken. Wir hätten nie gedacht, dass wir einmal den Tag erleben müssten, an dem Mox seine Bude zusperrt. Es herrscht allgemeine Übereinstimmung, dass Mox ja wohl trotzdem seinen Laden hätte geöffnet lassen können, wenn wir uns bei dem Wetter bis hierher durchgeschlagen haben.
Die Leute brechen auf und gehen nach Norden, zum nächsten Buchmacher. Dieser Vorfall ist wirklich höchst frustrierend. Ich hatte eigentlich vorgehabt, noch etwas Geld auf Ramius zu setzen. Da Lisutaris vermutlich aus dem Wettkampf fliegen dürfte, möchte ich meine Verluste eigentlich mit einer weiteren Wette in Grenzen halten. Aber ich habe keine Zeit, einen anderen Buchmacher aufzusuchen. Ich muss Hehlox in die Mangel nehmen, und zwar schnellstens. Ich fluche. Dieser Auftrag entwickelt sich immer schlimmer.
Der Wind heult aus dem Norden herunter. Als ich Hehlox’ Haus in der Goldenen Sichel erreiche, dem Viertel, in dem die meisten reichen Händler wohnen, bin ich so gereizt wie ein Troll mit Zahnweh. Der Diener, der mir die Tür aufmacht, versucht, mich draußen stehen zu lassen, aber ich walze ihn einfach platt. Sie züchten einfach keine Butler mehr, die es mit mir aufnehmen könnten. Ein anderer Bediensteter versucht, mich aufzuhalten, und ich wische ihn kurzerhand zur Seite. Hehlox erscheint auf dem obersten Treppenabsatz. Er ist mir schon früher bei meiner Arbeit über den Weg gelaufen, aber bisher habe ich ihn noch nie in seiner Höhle gestellt. Ich marschiere die Treppe hinauf und packe ihn an der Gurgel.
»Hehlox, ich habe es eilig. Du hast vor kurzem einige Drachenschuppen von einem Dieb namens Abzox erworben. Ich will wissen, wem du sie weiterverscherbelt hast.«
»Werft diesen Kerl hinaus!«, schreit Hehlox gellend.
Ein Kammerdiener hastet heran. Er macht etwas mehr her als die Dienstboten, denn er ist groß und hat ein Schwert in der Hand. Ich schleudere Hehlox gegen ihn, packe den Schläger am Kragen und werfe ihn die Treppe hinunter.
Dann widme ich mich wieder dem Hehler.
»Was sagte ich noch gleich? Ach ja, die Drachenschuppen. Was ist damit passiert? Hör auf zu stammeln, ich hab keine Zeit für so was. Ich bin im Auftrag des Vizekonsuls Zitzerius hier, und selbst wenn ich dich die Treppe hinunterwerfen und dir das Genick brechen müsste, wird Zitzerius Himmel, Hölle und die drei Monde in Bewegung setzen, damit ich dafür nicht angeklagt und vor Gericht gestellt werde. Er ist schon jetzt ziemlich empört über das, was ich ihm von dir gesteckt habe.«
Der Kaufmann zögert. Ich ziehe meinen Dolch.
»Raus damit!«
Hehlox spuckt es aus. In seinem Alter kann er die Drohung, eine Treppe hinuntergeworfen zu werden, nicht mehr auf die leichte Schulter nehmen. Vor allem, weil ein so vermögender Mann wie er eine sehr lange und beeindruckende Treppe besitzt.
Ich verlasse das Haus mit einem ganzen Batzen an Informationen und verfolgt von den Flüchen, mit denen Hehlox, seine Frau und seine sehr hübsche Tochter mich bedenken. Letztere wusste offenbar nicht einmal, dass ihr Papa mit gestohlenen Sachen handelt. Draußen peitscht mir der Schnee ins Gesicht. Ich schüttele ihn ab. Nachdem ich jetzt endlich jemandem auf die Zehen getreten bin, habe ich das Gefühl, dass ich gut vorankomme. Bei mir trage ich eine Liste mit den Leuten, die in letzter Zeit Drachenschuppen erworben haben. Die Chancen, dass sich der Name unseres geheimnisvollen Zauberspruchverfassers darunter befindet, stehen gut.
In ZwölfSeen kaufe ich einen Sack Holz von einem Straßenverkäufer, fache mein Feuer an, öffne eine Flasche Bier und mache mich daran, die Liste zu betrachten. Ein Klopfen an der Außentür meines Büros unterbricht mich. Ich reiße sie ungnädig auf und stehe überraschend Senator Lohdius gegenüber, dem Führer der oppositionellen Partei von Turai und dem eingefleischten Feind von Zitzerius. Ich habe noch nie direkt mit Lohdius gesprochen. Er hat mich einmal beim Senat angeschwärzt, als ich bei einem Auftrag für Zitzerius in Schwierigkeiten geraten bin. Der Chronist hat ausführlich darüber berichtet und es dabei nicht versäumt, gleich eine Liste mit einer repräsentativen Auswahl meiner alten Verfehlungen nachzureichen.
»Seid Ihr beschäftigt?«, erkundigt sich Lohdius höflich.
Der Senator ist mittelgroß, um die fünfzig und hat sich ausgezeichnet gehalten. Er hat eine aristokratische Ausstrahlung, obwohl er sich als Führer der demokratischen Volkspartei eher bürgerlich kleidet. Auch wenn er nicht gerade mit einem beeindruckenden staatsmännischen Aussehen dienen kann, ist er für einen politischen Führer durchaus gut aussehend. Er hat blaue Augen, kurz geschnittenes graues Haar und trägt eine sehr gut geschnittene Toga, die unter einem dicken Wollmantel herauslugt. Wenn es nötig ist, entpuppt er sich als ausgezeichneter Redner und verfügt über eine große Gefolgschaft in dieser Stadt.
»Ich habe allerdings zu tun, aber kommt trotzdem herein.«
Mir ist überhaupt nicht klar, was er hier will. Lohdius ist viel zu bedeutend, als dass er sich die Mühe machen musste, mir einen persönlichen Besuch abzustatten. Gemocht habe ich den Mann noch nie. Er vermittelt mir immer den Eindruck, dass er alles und jeden vor seinen Wagen spannt, was oder wer ihn an die Macht bringen könnte. Aber falls er hier ist, um mir einen lukrativen Auftrag anzubieten, könnte ich meine Aversion sicher unter Kontrolle bringen.
Er wird von zwei Assistenten begleitet, oder vielleicht sollte ich eher Leibwächter sagen. Politik wird in Turai oft mit recht gewalttätigen Argumenten ausgetragen. Ich schiebe mit dem Fuß Müll unter den Tisch, ziehe einen Stuhl heran und bedeute dem Senator, sich zu setzen. Überraschenderweise nimmt er auch das Bier an, das ich ihm anbiete, und es stört ihn nicht einmal, dass kein Krug zur Hand ist. Dann kommt er sofort zur Sache.
»Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihr mit dem Zaubererkonvent beschäftigt seid?«
Als er den Konvent erwähnt, schlagen bei mir sofort die Alarmglocken.
»Ich wünsche Euch viel Erfolg«, sagt er. »Es wäre gut für die Stadt, wenn unsere Kandidatin in das Amt gewählt würde.«
Ich erwarte, dass Lohdius anfängt, Zitzerius und die Traditionalisten zu kritisieren, aber das scheint nicht der Grund für seinen Besuch zu sein.
»Ich hoffe dennoch, dass Euch noch genug Zeit bleibt, auch eine andere Funktion auszuüben. Habt Ihr von dem bevorstehenden Abriss der Gebäude rund um das zusammengebrochene Aquädukt gehört?«
»Ja.«
»Ist Euch klar, dass dieses Vorhaben, das Gelände abzureißen, etwa vierhundert turanianische Bürger obdachlos machen wird?«
Das wusste ich zwar nicht, aber so, wie die Vermieter ihre Mieter in die Elendsquartiere pferchen, ist es auch nicht verwunderlich.
»Prätor Raffius möchte die Grundstücke profitabler bebauen«, fährt Lohdius fort. »Als reichster Mann von Turai und als ein wichtiger Förderer der Traditionalistischen Partei hat der Prätor natürlich wenig mit den Rechten der gewöhnlichen Bürger im Sinn.«
Mittlerweile ist meine Vorsicht zu blankem Misstrauen geworden. Mir gefällt die Richtung, die dieses Gespräch nimmt, gar nicht.
»Sind Euch Eure Machtbefugnisse als Tribun des Volkes bewusst?«
»Ich habe eine grobe Vorstellung.«
Der Senator nickt. Dann fragt er mich, was ich diesbezüglich unternehmen will.
»Ich hatte nicht vor, diesbezüglich etwas zu unternehmen.«
»Ihr wollt doch sicher nicht tatenlos zusehen, wie diese armen Menschen obdachlos gemacht werden, schon gar nicht mitten in einem derart grimmigen Winter?«
»Mir wäre es lieber, wenn sie es warm und gemütlich hätten. Aber ich bin nicht wirklich ein Tribun. Man hat mir den Titel nur verliehen, damit ich an dem Konvent teilnehmen kann.«
»Trotzdem verfügt Ihr jetzt über die mit diesem Amt verbundene Macht. Fürchtet Ihr Euch davor, dass es Zitzerius möglicherweise missbilligen könnte, wenn Ihr Euch seinem Freund Raffius in den Weg stellt?«
»Nicht sonderlich. Ich bin nur kein Politiker. Und ich habe viel zu tun.«
»Zu viel, um Euren Mitbürgern zu helfen?«
Wenn eines sicher ist, dann dies, dass Lohdius sich keinen Pfifferling um seine Mitbürger schert. Aber irgendwie komme ich nicht dazu, ihm das unter die Nase reiben zu können. Er hat mich in eine echte Klemme manövriert.
»Ja, ich bin zu beschäftigt. Ich helfe Turai bereits, indem ich Lisutaris unter die Arme greife, und ich kann nicht die ganze Stadt retten. Ihr seid der Führer einer politischen Partei, warum verhindert Ihr denn diese Räumungen nicht selbst?«
»Das liegt leider außerhalb meiner Machtbefugnisse. Durch eine Laune der Verfassung können das nur Tribune. Ein Volkstribun kann darauf bestehen, dass jeder Schritt bei der Stadtentwicklung genauestens den Buchstaben des Gesetzes folgt. Natürlich hatte Zitzerius das nicht im Sinn, als er Euch nominiert hat. Aber es ist eine Tatsache, dass Ihr die Räumung verhindern könnt, wenn Ihr Euch in dieser Angelegenheit an den Senat wendet. Sobald Ihr das getan habt, übernehme ich den Fall.«
»Hat das vielleicht etwas damit zu tun, dass Ihr dringend vierhundert Stimmen in einem wichtigen Bezirk braucht, in dem nächstes Jahr eine Wahl ansteht?«
»Mich kümmert ausschließlich die Notlage der Armen.«
Wir starren uns eine Weile an. Dabei überlege ich, wie sehr mich Lohdius unter Druck setzen kann. Ich will es zwar nicht unbedingt darauf anlegen, ihn mir zum Feind zu machen, aber Zitzerius und die Traditionalisten haben bislang noch mehr Einfluss. Der Konsul, Turais ranghöchster Bonze, ist immer ein Traditionalist, und außerdem sind sie die Partei des Königs. Das Letzte, was ich gebrauchen kann, ist, mir den König zum Feind zu machen. Diese ganze Angelegenheit ist sehr ärgerlich für einen Mann, der versucht, sich aus der Politik herauszuhalten. Ich sage dem Senator, dass ich zwar voller Gram die Nöte meiner Mitbürger sehe, aber dennoch nicht ausgerechnet mit einem Veto gegen Prätor Raffius die politische Bühne betreten möchte. Senator Lohdius nimmt einen Schluck aus der Bierflasche und wendet sich dann an einen seiner Helfer.
»Vidius. erzählt mir doch noch einmal, was Ihr gesehen habt, als Ihr Euren Cousin im Quintessenzweg besucht habt.«
»Ich habe Thraxas, den Detektiv, dabei beobachtet, wie er eine Leiche über eine Wand gewuchtet hat«, erwidert Vidius beflissen.
»In welcher Nacht war das?«
»In der Nacht, in der Darius Wolkenstürmer ermordet worden ist.«
Lohdius dreht sich wieder zu mir herum.
»Was eine sehr besorgniserregende Affäre ist, wie Ihr sehr wohl wisst. Wenn ich die Vorgänge richtig verfolgt habe, ist die Zaubererinnung gerade dabei, ihre ganzen Kräfte zu bündeln, um herauszufinden, was mit Darius Wolkenstürmer passiert ist. Allerdings hat, wie ich höre, jemand einen magischen Schleier über die in Frage kommende Nacht geworfen. Die Zauberer tappen im Nebel, jedenfalls für den Augenblick. Natürlich fehlen ihnen auch spezifische Informationen. Sie wissen bisher nur, dass der Leichnam in einer Schneewehe in ZwölfSeen gefunden worden ist. Würden sie über mehr Fakten verfügen, zum Beispiel den exakten Ort des Mordes und die Identität derjenigen, die sich während der fraglichen Zeit in der Nähe des Opfers aufgehalten haben, würden sie zweifellos rasch die Wahrheit über seinen Tod in Erfahrung bringen.«
Dazu fällt mir nichts ein. Ich bin sprachlos.
»Meine Kutsche wartet draußen«, erklärt der Senator. »Ich nehme Euch mit zum Ort der Räumung. Ihr braucht nur mit dem Verantwortlichen zu sprechen, einem gewissen Grobiax, einem Angestellten von Raffius. Sagt ihm, dass Ihr Euch in dieser Angelegenheit an den Senat wendet. Dann werden die Arbeiten augenblicklich für die Dauer der Untersuchung eingestellt.«
Mir fehlen noch immer die Worte. Also hole ich meinen Mantel. Wir fahren schweigend den Quintessenzweg entlang. Zwar ist die Straße mit Eis und Schnee bedeckt, aber Lohdius hat eine sehr schwere Kutsche, die von zwei stämmigen Kutschpferden gezogen wird. Daher gelangen wir erheblich schneller, als mir lieb ist, an den Ort der Räumung. In dem Schneetreiben bietet sich mir ein trostloser Anblick. Arbeiter, Stadtbonzen, Rechtsanwälte, Zivilgardisten und arme Bewohner stehen vor den Gebäuden und streiten sich bitterlich. Unterstützt werden sie von Anwohnern, die aus höher gelegenen Fenstern herunterschreien. Ihre Wut richtet sich gegen Grobiax, der die Räumung beaufsichtigt.
Ich kenne ihn noch aus meiner Dienstzeit in der Armee.
Er ist beinah zwei Meter groß und hat die Statur eines Ochsen. Bei einer Belagerung hat er einmal eine lobende Erwähnung bekommen, weil er der erste Mann war, der die Mauer überwunden hat. Prätor Raffius bedient sich seiner bei heiklen Aufträgen. Ein paar arme Mieter aus ihren heruntergekommenen Wohnungen zu räumen ist für ihn eine Kleinigkeit, die er an einem Tag erledigt.
Mir gefällt das alles wirklich nicht. Ich sehe Hauptmann Rallig unter den Zivilgardisten und gehe zu ihm. Bevor ich ihn erreiche, drängt sich eine Gestalt durch die Menge und schwingt eine Axt. Makri. Sie trägt einen dicken Mantel, ihre alberne Filzmütze und schleppt eine komplette Waffenkammer mit sich herum.
»Ihr werdet Sermonatius nicht räumen!«, ruft sie.
Ein älterer Mann in einem einfachen Mantel tritt aus dem Schneetreiben vor und legt ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. Es ist der Philosoph selber. Er macht ihr wohl deutlich, dass er keine Gewaltanwendung wünscht. Grobiax stellt sich ihr in den Weg. Seine Helfer flankieren ihn. Makri hebt ihre Axt. Ich trete vor.
»Haltet ein!«
Wenn es nötig ist, habe ich eine sehr sonore Stimme, die ausgezeichnet mit meiner stattlichen Gestalt harmoniert. Mich kann man selbst in einem ausgewachsenen Schneesturm nicht übersehen.
»Ich gebiete dieser Arbeit Einhalt! Als Tribun des Volkes werde ich in dieser Angelegenheit den Senat anrufen!«
Es herrscht allgemeines Staunen. Hauptmann Rallig lacht sogar. Grobiax findet meinen Auftritt dagegen offenbar nicht amüsant.
»Was soll das alberne Geschwätz, Thraxas? Geh mir aus dem Weg!«
Aber jetzt treten wie aufs Stichwort einige andere Personen vor, um mich zu unterstützen. Ein paar Anwälte, die in jeder Hinsicht kalt wirken und eine beachtliche Zahl von Bewaffneten hinter sich haben. Offenbar mit besten Empfehlungen von Lohdius. Sie verkünden, dass diese Räumung jetzt nicht weiter durchgeführt werden kann.
»Der Tribun hat gesprochen.«
Alle sehen mich an. Ich komme mir ausgesprochen blöd vor. Und diesen Moment wählt Senator Lohdius für seinen Auftritt. Als die Leute ihn erkennen, wird ihnen schnell klar, dass es sich hier keineswegs um einen Scherz handelt. Hauptmann Rallig wendet sich an Grobiax.
»Es ist vollkommen legal«, erklärt er. »Die Angelegenheit muss vor den Senat gebracht werden. Ihr dürft die Räumung nicht weiter durchführen.«
Grobiax will protestieren, aber Hauptmann Rallig schneidet ihm einfach das Wort ab.
»Ich sagte schon, dass es den Gesetzen entspricht. Und wenn Ihr mich jetzt noch länger hier im Schneesturm herumstehen lasst, dann lasse ich Euch gleich in den Alten Knast bringen, weil Ihr einen Offizier der Zivilgardisten bei der Amtsausübung behindert. Die Räumung ist abgeblasen. Geht nach Hause.«
Grobiax wirft mir einen verächtlichen Blick zu. »Der Prätor wird dafür wie ein böser Bann über dich kommen«, verspricht er mir.
Makri tritt vor. »Halt dich von ihm fern, sonst vierteile ich dich«, zischt sie ihn an.
Grobiax war schon immer jähzornig. Würden nicht so viele Zivilgardisten als Zeugen herumstehen, hätte er Makri bestimmt angegriffen. Es hätte mir gefallen, zuzusehen, wie Makri Grobiax über beide Seiten der Straße verteilt.
Der Blick, den der Hüne ihr zum Abschied zuwirft, verheißt ihr aber eine zweite Chance. Dann zieht er mit seinen Gefährten ab.
»Thraxas, du bist großartig!«, ruft Makri begeistert. »Ich wusste, dass du uns am Ende doch helfen würdest! Komm mit, ich möchte dich Sermonatius vorstellen!«
Ich schüttele dem ältlichen Philosophen die Hand. Er bedankt sich herzlich, aber als er mir in die Augen sieht, kann er ihrem mürrischen Blick entnehmen, dass ich nicht gerade aus freiem Willen hier bin. Die Bewohner der Elendsquartiere drängen sich um mich, um sich bei mir zu bedanken, dass ich sie vor Grobiax gerettet habe.
»Gute Arbeit, Tribun«, verkündet Senator Lohdius und wendet sich dann an die Runde, um rasch klarzustellen, dass er, und nur er, für ihre Rettung verantwortlich ist. Die Gratulationen können mich sowieso nicht sonderlich erwärmen. Makri ist zwar so wohlgemut wie ein Elf in einem Baum, weil ihr geliebter Sermonatius einen Aufschub bekommen hat, aber ich habe andere Sorgen.
»Wo ist Lisutaris? Du solltest sie doch beschützen!«
Makri erzählt mir, dass sie in ihrem Zimmer in der Rächenden Axt eingeschlafen ist. Direeva ist bei ihr.
Ich runzle die Stirn. »Allmählich kommt mir Direeva verdächtig vor. Es gefällt mir nicht, dass sie nicht von Lisutaris’ Seite weicht.«
»Tilupasis gefällt es aber. Tilupasis hat eine Menge Einfluss, selbst beim Konsul.«
»Das sollte sie auch. Schließlich benutzen sie dasselbe Kopfkissen. Jedenfalls dem landläufigen Klatsch zufolge, und dem traue ich gewöhnlich. Wenn du Tilupasis zufrieden stellst, kann sie dir vielleicht helfen, an der Universität zugelassen zu werden.«
»Daran habe ich auch schon gedacht.«
Ich frage Makri, ob Tilupasis vielleicht auch eine Förderin der Vereinigung der Frauenzimmer ist, aber sie glaubt das eher nicht. Was ihr aber merkwürdig vorkommt, jetzt, wo ich es erwähne.
»Vielleicht ist Tilupasis ja der Meinung, dass sie auch ohne Solidarität ganz gut klarkommt«, spekuliere ich.
Ihr Auftrag als Leibwächterin behagt Makri jedenfalls ganz und gar nicht. »Ich habe erwartet, dass ich ab und zu einen Angreifer erledigen soll und vielleicht ein paar Meuchelmörder aufhalten muss. Dass dieser Auftrag auch bedeutet, Kindermädchen für eine Frau zu spielen, die nach dem Mittagessen nicht mehr aufrecht stehen kann, habe ich nicht vermutet. Was hast du dir bloß dabei gedacht, sie als Oberhexenmeisterin der Zaubererinnung vorzuschlagen?«
»Ich habe sie nicht vorgeschlagen. Das war Zitzerius’ Idee. Hängt sie immer noch an ihrer Wasserpfeife?«
»Wie ein hungriger Drache, der an einem Kadaver herumkaut. Wie schafft sie es nur, sich an ihre Zaubersprüche zu erinnern? Dir gelingt das ja nicht einmal in nüchternem Zustand.«
»Sie hat eben länger studiert als ich.«
»Der Konvent war die reinste Hölle. Ich musste sie ständig von Besuchern wegzerren, damit die fremden Zauberer nicht gemerkt haben, wie berauscht sie war. Sollte sie nicht eigentlich die Leute beeindrucken?«
Trotz ihrer jüngsten Fehltritte hat Makri eine puritanische Ader, und die scheint allmählich wieder zum Vorschein zu kommen. Sie ist der Meinung, dass die Leute ihre Arbeit ordentlich tun sollten, und Lisutaris ist ganz offenbar dazu nicht in der Lage. Ich stimme ihr zu. Mit einem solchen Auftreten wird Lisutaris die anderen Zauberer sicherlich nicht sonderlich beeindrucken.
»Die Delegation von Turai tut ihr Bestes. Die beiden anderen Tribune haben ihre Aufgaben, Gastfreundschaft zu verbreiten, so gut erfüllt, dass einige unserer Gäste mittlerweile derartig mit Sex, Alkohol und Boah abgefüllt sind, dass sie ihr Kreuz überall machen würden. Das wird zwar nicht genügen, Ramius bei der Abstimmung zu schlagen, aber vergiss nicht, dass unsere Kandidatin es nur auf einen der ersten beiden Plätze schaffen muss.«
»Aber die beiden unterziehen sich doch einem entscheidenden Wettkampf«, meint Makri. »Wie soll Lisutaris den denn überstehen?«
»Wer weiß? Es würde mich nicht überraschen, wenn Tilupasis bereits eine Möglichkeit ausbrütet, auch dabei zu betrügen.«
Als wir wieder in der Rächenden Axt sind, schaut Makri nach Lisutaris. Ich habe kaum genug Zeit, mich mit Eintopf, Rehbraten und Wurzelgemüse voll zu stopfen, bevor ich mich wieder an die Arbeit mache und die Liste der Empfänger der Drachenschuppen durchsehe. Es ist eine höchst interessante Liste. Auf ihr befinden sich die Namen einiger sehr vornehmer Turanierinnen. Diese reichen Ladys genießen es anscheinend, ihr Haar mit funkelnden Drachenschuppen zu schmücken, aber anscheinend haben sie keine Skrupel, sie günstiger zu erwerben, selbst wenn das ungesetzlich ist. Die Geschäfte von Hehlox und Abzox florierten ganz offensichtlich blendend. Zu ihrem illustren Kundenstamm gehören Prätor Raffius, Präfekt Calvinius, einige andere Senatoren sowie einige hohe Stadtbonzen. Und auch reiche Kaufleute sind unter ihnen, wie ich sehe, auch Rizzrads, der Holzhändler. Das überrascht mich nicht. Er wollte seine Frau glücklich machen, und nichts sagt besser: »Ich liebe dich, Schatzi!«, als ein funkelndes Haargeschmeide aus perfekt zurechtgeschliffenen Drachenschuppen.
Bedauerlicherweise jedoch haben nur wenige Leute auf der Liste etwas mit Zauberei zu tun. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sich Raffius oder Calvinius über einen Kessel beugen und die magische Brühe der schwarzen Köchin zusammenbrauen. Da fällt mir der Name Tinitis Schlangenstricker ins Auge. Sie könnte die Drachenschuppen gekauft haben, um Zaubersprüche zu wirken. Sie ist eine Zauberin. Allerdings ist sie auch eine Frau, die sich nur zu gern vorteilhaft in Szene setzt, und ich bin eher geneigt zu glauben, dass sie mit den Schuppen ihr Haar zur Geltung bringen wollte, als dass sie so etwas für einen bösen Bann verschwendet. Tinitis gibt keine gute Mörderin ab. Sie mischt sich meines Wissens nie in Politik ein oder gibt sich mit Verbrechen ab. Sie ist eigentlich eher damit ausgelastet, ihrem Ruf als Partylöwin gerecht zu werden, die gelegentliche Affären hat und sich ansonsten prächtig amüsiert. Sie hat zwar viel Macht, aber das Spektakulärste, was sie bisher gezaubert hat, waren leuchtende Bäume zum Anlass eines rauschenden Empfangs, den sie in ihrem Garten gegeben hat. Zumindest war der Berühmte und Wahrheitsgetreue Chronist beeindruckt. Die mögen es auch gern grell und bunt. Tinitis als Mörderin? Viel zu düster und unvorteilhaft.
Bleibt noch ein anderer bemerkenswerter Name. Prinzessin Direeva. Sie hat kürzlich ebenfalls Drachenschuppen von Hehlox gekauft. Ich denke darüber nach. Ich verdächtige Direeva längst des Mordes an Darius. Ich habe zwar noch kein Motiv ausgegraben, aber sie hatte jede Menge Gelegenheit dazu. Und jetzt stellt sich auch noch heraus, dass sie heimlich die Hauptingredienz erworben hat, die für einen bis dato unbekannten Auslöschungszauber erforderlich ist.
Bedauerlicherweise benutzt Direeva auch Bänder aus Drachenschuppen als Haarschmuck. Wenn ich sie zur Rede stelle, könnte sie einfach behaupten, dass sie neuen Haarschmuck gebraucht hat. Und bei der Menge Haar muss sie einem Drachen die Haut fast komplett abziehen.
Ich brauche etwas zu trinken. Nach einem langen Leben als Privatmann beunruhigt es mich, plötzlich als offizieller Amtsinhaber agieren zu müssen. Ich bin nur froh, dass wir mitten in einem grimmigen Winter stecken. Die Leute haben schon mehr als genug Probleme damit, einfach nur am Leben zu bleiben. Warum also sollten sie ihre Aufmerksamkeit auf den erstaunlichen Anblick von Thraxas als Amateurpolitiker verschwenden? Mit etwas Glück fällt die ganze Affäre ohnehin bald dem Vergessen anheim. Das wäre auch besser so. Ich habe nämlich nicht vor, es zur Gewohnheit werden zu lassen, jemandes Bürgerrechte zu verteidigen.