3. KAPITEL

Trotz des Eises, des Schnees und des allgemeinen Elends schuften viele Turanianer immer noch hart. Die Transportgilde lässt Lastkarren über beinah unpassierbare Straßen kutschieren und verteilt so Lebensmittel und Nachschub in der Stadt. Die Schmiede hämmern an ihren Essen Eisenringe für die Räder, damit die Karren weiterkommen. Huren flanieren eher unlustig und wenig werbewirksam angezogen über die Straßen. Die Zivilgarde geht ebenfalls auf Patrouille, jedenfalls die unteren Ränge. Die Offiziere allerdings hocken in ihren gemütlichen Wachstuben. Und die Nachrichtengilde betrachtet es als Ehrensache, es immer bis zu ihrem Ziel zu schaffen.

Der junge Bote, der die Außentreppe zu meiner Bürotür hinaufsteigt, sieht aus, als hätte er eine recht schwierige Reise hinter sich gebracht. Der Schnee auf seinem Mantel ist bereits festgefroren, und sein Gesicht ist blau vor Kälte. Ich reiße die Schriftrolle auf und lese die Botschaft. Sie kommt von Zitzerius, Turais Vizekonsul. Das ist schon mal nicht gut. Und Vizekonsul Zitzerius will, dass ich ihn augenblicklich aufsuche. Das ist noch viel schlechter.

Es begeistert mich nicht gerade, Zitzerius besuchen zu müssen. In letzter Zeit hatte ich ziemlich viel mit dem Vizekonsul zu tun. Zwar ist das Ergebnis unter dem Strich ganz ansehnlich, aber für ihn zu arbeiten ist nie ganz einfach. Er ist Turais integerster Politiker, wahrscheinlich sogar der einzige integre Politiker, den man in ganz Turai aufstöbern kann. Außerdem ist er der brillanteste Anwalt der Stadt.

Darüber hinaus jedoch ist er kalt, streng und hat keinerlei Mitgefühl für einen Magischen Detektiv, der seine Arbeit gelegentlich für ein kleines Bierchen unterbrechen muss. Mehr als einmal hat mich Zitzerius während meiner Ermittlungen betrunken angetroffen und mich mit diesen beißenden Bemerkungen gestraft, die ihn zu einem solch gefürchteten Gegner vor Gericht oder im Plenum des Senats machen. Ich persönlich kann seine Art nur schwer verdauen. Man kann zwar nicht bestreiten, dass er gerecht ist, aber er hat es trotzdem niemals für nötig gehalten, mein Honorar ein wenig anzuheben, nicht einmal, wenn ich ihm großartige Dienste geleistet habe. Er entstammt einem höchst konservativen Aristokratengeschlecht, das der Ansicht anhängt, die niederen Klassen sollten sich gefälligst bescheiden und mit einer angemessenen Bezahlung für ihre Arbeit zufrieden geben. Angesichts einiger der Gefahren, denen ich bei seinen Aufträgen furchtlos ins Auge blicken musste, bin ich allerdings geneigt, den Begriff »angemessen« weit großzügiger auszulegen als Zitzerius.

Andererseits kann ich es mir auch nicht leisten, seinen Ruf jetzt einfach zu ignorieren. Ich will unbedingt aus ZwölfSeen herauskommen und wieder in den wohlhabenderen Vierteln der Stadt leben. Das dürfte ich aber kaum schaffen, wenn ich keine guten Beziehungen zu Turais Aristokraten aufbauen kann. Seit ich meine Stellung im Palast verloren habe, hatte ich kaum einen Klienten, der kein Nichtsnutz gewesen wäre. Die wiederum bringen mir niemals genug Geld ein, dass ich die Miete in Thamlin bezahlen könnte, dem Spielplatz der Oberklasse. Und auch der Tummelplatz weniger auserlesener und sehr kostspieliger Detektive. Das alles geht mir durch den Kopf, während ich mich anziehe. Ein Mitglied der Luxius-Detektiv-Agentur wird man wohl kaum mitten im Winter frierend am Hafen antreffen.

Plötzlich fällt mir ein, dass sich Makri ja meinen warmen Mantel geborgt hat.

»Verdammtes Miststück!«, brülle ich. Nicht zu fassen, dass ich jetzt ohne meinen magischen warmen Mantel in diesen Eiskeller hinausmuss! Wie konnte ich nur so dumm sein? Jetzt hockt Makri warm und gemütlich irgendwo herum und lauscht verzückt diesem betrügerischen Philosophen Sermonatius. Und der brave Thraxas muss sich derweil zu Tode frieren, während er einen ehrbaren Auftrag erledigt. Mist!

Ich wühle in der Kiste herum, die in einer Ecke meines Schlafzimmers steht, und zerre ein paar alte Mäntel und Wämser heraus. Doch mein Versuch, noch eine Extraschicht Kleidung überzuziehen, entpuppt sich als schwierig. Mein Bauchumfang hat in den letzten Jahren drastisch zugenommen, und es passt nichts mehr. Schließlich bleibt mir nur übrig, einen uralten Mantel über meine übliche Kleidung zu ziehen und mir eine Pelzmütze aufzusetzen, die ich einmal einem erlegten Orgk abgenommen habe. Den eisigen Wind hält das wohl kaum ab. Ich habe nicht einmal die Hälfte des Quintessenzweges hinter mir, als mir so kalt ist wie im Grab der Eiskönigin. Und es wird ständig kälter.

Die Stadtpräfekten haben ihr Bestes getan, die Straßen passierbar zu halten. Wenn ich den Mond-und-Sterne-Boulevard erreiche, erwische ich vielleicht einen Miet-Landauer, der mich in die Stadt bringt. Aber schon die Seitenstraßen erweisen sich als beinah unüberwindbar. Der Untergrund ist eisglatt und tückisch, und es schneit ohne Unterlass. Bei einem solchen Wetter war ich nicht mehr unterwegs, seit mein Regiment oben im Hohen Norden gekämpft hat. Das ist schon lange her, und damals war ich erheblich leichter und behänder zu Fuß. Als ich den Boulevard endlich erreicht habe, bin ich nass, zittere und verfluche Makri, weil sie mir meinen warmen Mantel abgeschwatzt hat.

Doch dann lächelt mir das Glück, als ein Miet-Landauer einen Händler direkt vor meiner Nase absetzt. Ich klettere hinein und trage dem Fahrer auf, mich nach Thamlin zu bringen. Der Landauer schleicht den Boulevard hoch, durchquert Pashish und kreuzt den Fluss. Hier sind die Straßen etwas besser geräumt, aber die großen Gärten sind alle verschneit und die Springbrunnen zugefroren. Zitzerius hat mich in seine Villa bestellt, nicht in den Kaiserlichen Palast. Als der Fahrer die Adresse gehört hat, gibt er ungefragt seine Meinung über Zitzerius zum Besten, die nicht sonderlich hoch ist.

»Na gut, der Kerl ist berühmt für seine Ehrlichkeit«, schwadroniert der Fahrer. »Und wenn schon! Dafür gibt er jedes Jahr eine neue Statue von sich in Auftrag. Das ist Eitelkeit im Denkmalformat. Außerdem ist er ein Traditionalist, und die sind so korrupt wie nur irgendwer. Ich sag Euch was: So wie die Reichen die Stadt aussaugen, würde es mich freuen, wenn sie nächstes Jahr von Lohdius und der Volkspartei rausgeworfen werden! Wie soll ein Landauerfahrer denn seinen Lebensunterhalt verdienen, wenn die da oben ständig die Steuerschraube anziehen? Wisst Ihr, wie enorm sich allein im letzten Jahr die Kosten für das Pferdefutter verteuert haben?«

Der König und seine Regierungsbonzen sind offenbar nicht überall beliebt. Viele Untertanen würden eine Veränderung begrüßen. Ich stimme ihnen zwar im Großen und Ganzen zu, halte mich aber lieber aus der Politik heraus.

Der Landauer setzt mich direkt vor Zitzerius’ großem Stadthaus ab. Ein Mitglied der Sicherheitsgilde hockt an einem kleinen Feuer in einer Hütte am Tor. Er überprüft meine Papiere, bevor er mich hereinlässt. Ich gehe an einigen erfrorenen Büschen vorbei und klopfe an die Tür. Hoffentlich, so denke ich, ist dieser Auftrag die ganze Mühe wert.

Eine Dienstmagd öffnet die Tür. Ich zeige ihr meine Einladung, und sie bedenkt mich mit einem Blick, der deutlich verrät, dass ich bis aufs i-Tüpfelchen ihre Vorstellungen von einem Mann erfülle, der solche Einladungen fälscht. Dann zieht sie sich ins Innere des Hauses zurück, um sich mit jemandem zu beraten. Mich lässt sie draußen auf der Schwelle frieren. Nur mit Mühe gelingt es mir, meinen Zorn im Zaum zu halten. Es dauert ziemlich lange, bis sie die Tür wieder aufmacht. Diesmal winkt sie mich hinein.

»Was hat Euch so lange aufgehalten? Ich hätte ohne weiteres da draußen erfrieren können. Habt Ihr vor, Euren Garten mit toten Detektiven zu schmücken?«

Sie führt mich in einen Gästesalon. Ich entledige mich meines Mantels und versuche, mich vor dem Kaminfeuer aufzutauen. Ich bin gerade mittendrin, als ein junges Mädchen von etwa neun oder zehn Jahren hereinkommt und mich anstarrt. Aufgrund ihres zerzausten Aussehens halte ich sie für die Tochter eines Bediensteten.

»Du bist fett«, behauptet sie.

»Du bist hässlich«, kontere ich. Warum sollte ich mich von der Göre eines Hausdieners beleidigen lassen?

Sofort bricht das Kind in Tränen aus und verlässt fluchtartig den Raum. Meine Laune bessert sich. Sie hätte es sich eben überlegen sollen, bevor sie die Klingen mit Thraxas kreuzt. Dreißig Sekunden später taucht Zitzerius auf. Am Saum seiner Toga hängt das junge Mädchen, schluchzt hysterisch und denunziert mich als den Mann, der es beleidigt habe.

»Was habt Ihr zu meiner Tochter gesagt?« Zitzerius fixiert mich mit seinem durchdringenden Blick.

»Das ist Eure Tochter? Ich wusste gar nicht, dass Ihr eine so niedliche Tochter habt.«

»Ist es bei Euch an der Tagesordnung, dass Ihr die Kinder Eurer Auftraggeber beschimpft?«

»He, sie hat damit angefangen«, protestiere ich.

Zitzerius bemüht sich redlich, seine Tochter zu beruhigen, bevor er sie wegschickt, ihre Mutter suchen. Das Gör ist immer noch in Tränen aufgelöst, was Zitzerius sichtlich schmerzt. Natürlich ist das alles andere als ein guter Anfang für unsere Unterhaltung, aber zwischen Zitzerius und mir scheint das die Regel zu sein.

»Habt Ihr getrunken?«

»Ich habe immer getrunken. Aber lasst Euch davon nicht abhalten, mir einen Schluck Wein anzubieten. Wusstet Ihr schon, dass die Miet-Landauerkutscher in Turai gegen die Traditionalisten eingenommen sind?«

»Aus welchen Gründen?«

»Wegen der zu hohen Steuern.«

Zitzerius wischt das mit einem unmerklichen Neigen seines Kopfes beiseite. Mit einem wie mir will er wohl keine Regierungsangelegenheiten diskutieren. An der Wand des Salons hängt ein großes Gemälde, das Zitzerius zeigt, wie er dem Senat die Leviten liest. Und in einer Nische in der Ecke steht eine Büste von ihm. Der Droschkenkutscher hatte Recht, zumindest was Zitzerius’ Eitelkeit angeht.

»Ich brauche Eure Hilfe«, sagt er. »Obwohl ich mich wie immer, wenn wir uns begegnen, frage, wieso ich mich ausgerechnet an Euch wende.«

»Vermutlich habt Ihr einen Auftrag, der für einen vornehmeren Detektiv unzumutbar ist.«

»Nicht ganz. Ich habe einen vornehmeren Detektiv engagiert, aber er ist krank geworden. Der zweite auch.«

»Gut. Immerhin bin ich noch dritte Wahl.«

»Vierte.«

»He, Ihr gebt Euch wirklich alle Mühe, mir den Auftrag schmackhaft zu machen, Zitzerius. Vielleicht sagt Ihr einfach, worum es sich handelt.«

»Ich möchte, dass Ihr als Beobachter an dem Konvent der Zauberer teilnehmt.«

»Tut mir Leid«, erwidere ich. »Diesen Auftrag kann ich nicht übernehmen. Danke für das Angebot, bemüht Euch nicht, ich finde selbst hinaus.«

»Was?« Meine unverblümte Ablehnung verblüfft Zitzerius. »Warum könnt Ihr das nicht übernehmen?«

»Aus persönlichen Gründen«, erwidere ich und gehe zur Tür. Ich werde dem Vizekonsul nicht auf seine aristokratische Nase binden, wie klein, ohnmächtig und unbedeutend ich mich fühlen würde, wenn ich an dem Konvent der Zauberer teilnehmen müsste. Und mich die ganze Zeit das Gefühl verfolgen würde, mein Leben vollkommen verpfuscht zu haben.

Zitzerius tritt mir in den Weg.

»Persönliche Gründe? Das ist kein genügender Grund, um mein Ersuchen abzulehnen. Ich biete Euch den Auftrag schließlich nicht zum Vergnügen an. Sondern weil es ein Dienst ist, den Turai von Euch erwartet. Wenn Euch Eure Stadt ruft, sind persönliche Gründe ohne jeden Belang. Also setzt Euch gefälligst hin und hört zu.«

Der Vizekonsul könnte mir das Leben in Turai mit Leichtigkeit sehr ungemütlich machen. Er müsste nicht einmal allzu viele Strippen ziehen, um dafür zu sorgen, dass meine Lizenz einkassiert wird. Also setze ich mich hin, höre zu und trinke seinen Wein. Allerdings gebe ich mir keine Mühe, so zu wirken, als würde ich es genießen.

»Ihr wisst, dass die Zauberer einen neuen Oberhexenmeister ihrer Innung wählen?«

Das weiß ich. Der Vizekonsul braucht mir auch nicht zu erzählen, dass dies für Turai von großer Bedeutung ist, genauso wie für alle anderen Menschenstaaten. Die Zauberer jedes Landes haben zwar ihre jeweils eigene Innung und auch ihre eigenen Bonzen, aber im Gegensatz zu den meisten anderen Gilden und Innungen ist die der Zauberer eine internationale Organisation. Während sich ein Mitglied der turanianischen Bäckergenossenschaft vermutlich nicht allzu sehr für einen simnianischen Teigkneter interessiert, sind die Augen aller Zauberer im Weiten Westen auf den Oberhexenmeister der Zaubererinnung gerichtet. Diese Position ist sehr bedeutend und bringt der Heimatstadt und dem Staat des jeweiligen Zauberers eine Menge Ansehen.

»Unser König und unser Konsul legen sehr viel Wert darauf, dass diesmal ein Turanianer als neuer Oberhexenmeister der Zaubererinnung gewählt wird.«

Das überrascht mich nicht. Turai verliert schon seit langer Zeit zunehmend an politischer Bedeutung. Wir waren einmal eine gewichtige Stimme in der Liga der Unabhängigen Stadtstaaten, aber diese Organisation ist beinahe vollkommen auseinander gefallen und hat sich durch interne Rivalitäten zusätzlich zerrieben. Dadurch ist Turais Lage jetzt gefährlich exponiert. Wir sind die direkten Nachbarn der Orgks im Osten. Und als wäre das nicht genug, trommeln auch die Niojaner, unsere nördlichen Nachbarn und Erbfeinde, seit zehn Jahren höchst lautstark auf ihre Schilde. König Lamachus würde uns nur zu gern schlucken. Und wenn er irgendwann mal den Mund weit genug aufreißt, stehen die Chancen ziemlich schlecht, dass uns irgendjemand zu Hilfe kommen würde. Turai ist zwar ein großer und enger Freund der Elfen, aber dieses Völkchen wohnt ziemlich weit weg. Ich würde es schon für sehr sinnvoll halten, die Zaubererinnung an unseren Stadtstaat zu binden.

Und gleichzeitig wittere ich einen Haufen Probleme.

»Wollen wir uns ernsthaft darum bemühen? Welchen Kandidaten hätten wir denn für diese Position? Es gibt viele mächtige Zauberer auf der Welt, und bei der hohen Sterblichkeitsrate unter den turanianischen Zauberern in den letzten Jahren wüsste ich nicht, wen wir nominieren könnten.«

Zitzerius nickt und trinkt einen Schluck Wein aus einem Silberpokal.

»Wir hatten unsere Hoffnungen auf Budhaius von der Östlichen Erleuchtung gesetzt. Er war sehr mächtig.«

»Aber nicht sehr loyal. Es ist vermutlich ganz gut, dass er gestorben ist, sonst hätte er uns am Ende noch verkauft. Vermutlich hat Blumius Adlerschwinge den zweiten Listenplatz innegehabt, bis er seine Toga abgegeben hat? Wen haben wir denn noch im Angebot? Der Alte Hasius Brillantinius ist zu alt. Und Harmonius AlpElf kann nicht Chef der Menschlichen Zaubererinnung werden.«

»Wir haben an Melis die Reine gedacht«, erklärt Zitzerius. »Sie ist sehr stark. Aber sie ist bereits als Stadionzauberin beschäftigt, und die Massen lieben sie. Es würde böses Blut geben, wenn wir sie von diesem Posten entbänden. Aber wir beherbergen noch eine andere exzellente Zauberin in unseren Mauern. Lisutaris, Herrin des Himmels.«

Ich hebe die Brauen.

»Das ist nicht Euer Ernst!«

»Warum nicht? Lisutaris ist sehr, sehr mächtig. Sie hat immerhin letztes Jahr den Acht-Stadien-Terror unschädlich gemacht, der beinahe die Stadt in Schutt und Asche gelegt hätte. Sie hat einen guten Ruf, sowohl hier als auch in der Fremde, weil sie im letzten Orgk-Krieg sehr tapfer gekämpft hat. Selbst jetzt reden die Leute noch davon, wie sie einen ganzen Zug Kriegsdrachen vom Himmel geputzt hat.«

»Ich war dabei und kann mich noch an den Vorfall erinnern. Es war wirklich sehr beeindruckend. Aber das ist schon mehr als fünfzehn Jahre her. Seitdem hat sich Lisutaris zur exzessivsten Thazisraucherin der Stadt entwickelt.«

Zitzerius tut, als wisse er nicht, wovon ich rede.

»Sie raucht Thazis?«

»Ob sie Thazis raucht? Kommt schon, Zitzerius. Lisutaris, Herrin des Himmels, mag vielleicht ein Schwergewicht unter den Zauberern sein, aber sie lebt nur für ihr Laster.«

Zitzerius scheint das nicht zu beirren.

»In diesen dekadenten Zeiten können wir unseren moralischen Maßstab nicht so hoch ansetzen wie früher, Thraxas. Ihr wisst so gut wie ich, dass sich die Dekadenz in der Zaubererinnung genauso breit macht wie überall sonst. Boahmissbrauch ist an der Tagesordnung, und die Trinkgewohnheiten so mancher Zauberer lassen viel zu wünschen übrig. Aus irgendeinem Grund scheinen Zauberer für Drogen besonders anfällig zu sein. Im Vergleich zu Boah und Alkohol ist Thazis jedoch eine recht milde Substanz. Ich kann das zwar nicht gutheißen, aber ich kann es auch nicht als ernsthaften Hinderungsgrund ansehen. Ihr raucht Thazis doch zum Beispiel in aller Öffentlichkeit, obwohl es illegal ist.«

Ich bezweifle, dass Zitzerius über das volle Ausmaß von Lisutaris’ Sucht informiert ist. Viele Leute rauchen die eine oder andere Rolle, um sich zu entspannen. In einer geschäftigen Nacht wabern die Thazisschwaden nur so durch die Rächende Axt. Aber Lisutaris’ Hingabe an diese Droge spielt sich in einer anderen Größenordnung ab. Sie hat sogar eine neue Art komplizierter Wasserpfeife entwickelt, mit der sie mehr Thazis inhalieren kann. Sie verbringt ihr halbes Leben in einer Traumwelt. Als ich das letzte Mal in ihrer Villa war, lag sie wie im Koma auf dem Boden, nachdem sie erfolgreich einen Bann gewirkt hatte, mit dem sie das Wachstum ihrer Pflanzen beschleunigen konnte. Aber trotzdem geht mich das eigentlich nichts an. Lisutaris ist nicht schlecht für eine Zauberin, und ich würde sie nur zu gern als Oberhexenmeisterin der Zaubererinnung sehen.

»Und warum braucht Ihr mich dafür?«

»Weil wir Grund zu der Befürchtung haben, dass die Wahlen nicht so gerecht und objektiv durchgeführt werden, wie wir das gerne sähen«, erwidert Zitzerius. »Eure Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass sie absolut fair verlaufen.«

Zitzerius’ Tochter taucht hinter ihm auf. Sie schneidet mir eine Grimasse. Ich lasse es ihr durchgehen. Zitzerius redet weiter.

»Es gibt noch andere Kandidaten für dieses Amt, und ihre Nationen sind ebenfalls sehr stark daran interessiert, Erfolg zu haben. Wir haben Befürchtungen, dass einige Länder nicht davor zurückschrecken werden, hinterhältige Taktiken anzuwenden.«

»Wie Turai zum Beispiel?«

»Im Gegensatz zu Turai. Natürlich.«

»Also verlangt Ihr von mir nicht, etwas Ungesetzliches zu tun?«

»Wenn Ihr dabei erwischt werdet, wie Ihr etwas Ungesetzliches tut, wird die Regierung Euch verleugnen.«

»Das ist nicht dasselbe.«

Zitzerius zuckt mit den Schultern.

»Werde ich engagiert, um dafür zu sorgen, dass die Wahlen fair verlaufen, oder soll ich dafür sorgen, dass Lisutaris gewählt wird?«

»Wir sind sehr zuversichtlich, dass Lisutaris gewählt wird, wenn es bei den Wahlen gerecht zugeht«, erwidert der Vizekonsul ausweichend.

»Mit anderen Worten, ich soll vor nichts zurückschrecken, um Lisutaris in das Amt zu hieven?«

Zitzerius’ Lippen zucken. Das ist so ziemlich das breiteste Lächeln, zu dem er fähig ist.

»Es ist sehr wichtig für Turai, dass Lisutaris dieses Amt erringt. Aber ich wiederhole, wenn Ihr bei etwas Ungesetzlichem erwischt werdet, wird die Regierung Euch verleugnen.«

»Ich verstehe nicht, warum ich der geeignete Mann für diese Aufgabe sein soll, Zitzerius. Wäre nicht jemand von der Palastwache besser dafür geeignet?«

»Ich habe aber Euch ausgesucht.«

Es ist durchaus möglich, dass der Vizekonsul Probleme mit der Palastwache hat. An ihrer Spitze steht Rhizinius, sein erbitterter Rivale. Zitzerius führt das Thema nicht weiter aus, wiederholt aber nachdrücklich, dass ich für diese Aufgabe sehr gut qualifiziert wäre.

»Ihr seid ein ausgezeichneter Ermittler. Ihr versteht auch etwas von Magie, wie schwach Euer Vermögen diesbezüglich auch sein mag. Und Eure ungehobelten Manieren werden die Zauberer nicht so stark beleidigen, wie sie vielleicht andere Menschen beleidigen würden.«

»Vermutlich nicht. Zauberer können selbst ziemlich derb werden, wenn sie genug Wein intus haben.«

In diesem Punkt gibt mir der Vizekonsul Recht.

»Natürlich wird sich Turai nicht vollkommen auf Euch verlassen. Wir haben viele Repräsentanten abgestellt, die sich um die Bedürfnisse der Zauberer kümmern. Wir werden alle Mühen auf uns nehmen, damit sie Turai wohlwollend betrachten. Dennoch hoffen viele andere Nationen darauf, dieses Amt mit ihrem eigenen Zauberer zu besetzen. Ich bin sicher, dass Ihr in der Lage sein werdet, uns über alle hinterhältigen Schliche ins Benehmen zu setzen, die vielleicht ausgeheckt und durchgeführt werden.«

Ich trinke meinen Wein aus.

»Schon möglich. Aber da bleibt immer noch die Tatsache, dass ich nicht zu diesem Zaubererkonvent gehen will. Und außerdem brauche ich diesen Auftrag auch nicht. Ich habe viel Geld bei unserer Reise nach Avula gewonnen.«

»Und alles verloren, noch bevor Ihr nach Turai zurückgekehrt seid. Jetzt seid Ihr so gut wie pleite.«

»Woher wisst Ihr das?«

»Ich habe meine eigenen Informanten. Ihr werdet zu diesem Konvent gehen.«

Jedes Mal, wenn ich für den Vizekonsul arbeite, wäre es mir lieber, ich müsste es nicht tun. Aber das scheint ihn nicht im Geringsten zu bekümmern.

»Ihr wisst doch, dass die Zauberer keine Zivilisten zu ihren Konvents zulassen? Es werden nur Mitglieder der Zaubererinnung und ihr Personal zugelassen. In dem Punkt sind sie absolut streng. Wenn Ihr mir nicht eine Stellung als Lisutaris’ Sekretär verschaffen könnt, dann werden sie mich nicht reinlassen.«

»Ich bezweifle ernsthaft, dass Ihr ein akzeptabler Sekretär wärt, für wen auch immer«, erwidert Zitzerius. »Aber ich habe mich dieses Problems bereits angenommen. Die Zaubererinnung genehmigt die Teilnahme verschiedener Beobachter der Regierung der gastgebenden Stadt. Aus reiner Höflichkeit. Ich selbst werde ebenfalls viel Zeit dort verbringen.«

»Ihr seid der Vizekonsul. Wenn ich mich auf dem Konvent blicken lasse und behaupte, ein Repräsentant der Regierung zu sein, werden sie sich auf mich stürzen wie ein böser Bann.«

Zitzerius wischt den Einwand mit einer ungeduldigen Handbewegung beiseite.

»Wie gesagt, ich habe dieses Problem bereits im Vorhinein gelöst. Ihr werdet als Vertreter des Volkes von Turai daran teilnehmen. Ich ernenne Euch hiermit zum Volkstribun.«

»Zum was?«

»Ein Tribun des Volkes. Kennt Ihr dieses Amt nicht?«

Ich schüttle den Kopf.

»Die Tribune waren einmal sehr berühmt in Turai. Es gab sechs Volkstribune, und sie spielten bei der Verwaltung der Stadt eine äußerst wichtige Rolle. Wie ihr Name bereits nahe legt, repräsentierten sie die Interessen des gemeinen Volkes in Stadtangelegenheiten. Drei Vertreter wurden vom Volk direkt gewählt, drei vom König und seiner Regierung ernannt.«

»Wann war das?«

»Diese Ämter sind seit hundertfünfzig Jahren nicht mehr besetzt worden. Aber es gehört dennoch weiterhin zu meinen Befugnissen, Tribune zu ernennen. Ich habe bereits Dandius und Bohemius beauftragt, als Tribune dem Konvent beizuwohnen. Das sind beides Senatorensöhne. Ihr werdet der dritte Tribun sein.«

Ich genehmige mir noch einen Schluck Wein. Es ist ein ausgezeichneter Jahrgang. Auch wenn Zitzerius nicht viel trinkt, sorgt er doch dafür, dass sein Weinkeller hervorragend ausgestattet ist. Das muss ein Aristokrat auch, sonst verliert er schnell an Ansehen.

»Wie kommt es, dass dieses Amt aufgegeben wurde?«

»Sie sind beim König in Ungnade gefallen, als sie sich zu sehr der radikalen Politik angeschlossen haben. Nach häufigen Unruhen unter der Zivilbevölkerung hatte man bei Hofe das Gefühl, dass Tribune nicht mehr benötigt würden. Eine sehr weise Entscheidung. Es ist viel besser, die Verwaltung der Stadt dem König und seiner Regierung zu überlassen. Aber darüber müsst Ihr Euch keine Sorgen machen. Ihr sollt nicht als Tribun arbeiten. Es ist nur ein sehr bequemer Weg, Euch Zugang zu dem Konvent zu verschaffen.«

Ich habe da so meine Zweifel.

»Und Ihr seid sicher, dass ich nichts tun muss? Wenn dieses Amt irgendwelche offiziellen Pflichten mit sich bringt, bin ich nicht daran interessiert.«

»Betrachtet es als ein zeitlich begrenztes Ehrenamt.«

»Wird es bezahlt?«

»Nein. Aber wir entschädigen Euch für Eure Zeit. Und jetzt hört genau zu. Wir haben es mit einigen höchst Ehrfurcht einflößenden Gegnern zu tun. Die Simnianer haben einen ihrer Zauberer nominiert, und die Simnianer sind Feinde von Turai. Es ist von allerhöchster Bedeutung, dass der simnianische Delegierte nicht gewählt wird. Bedauerlicherweise scheint Lasath die Goldsichel, der das Amt des Oberhexenmeisters der Zaubererinnung im Moment kommissarisch führt, die Simnianer zu favorisieren, was unsere Aufgabe noch schwieriger macht. Unsere Stadt muss eine Menge in die Waagschale werfen, um sicherzustellen, dass Lisutaris genug Stimmen hinter sich bringt, um wenigstens die letzte Runde des Wahlprozesses zu erreichen. Kennt Ihr Tilupasis, die Witwe von Senator Gerinius?«

»Ich habe von ihr gehört. Sie führt so eine Art Salon.«

»Allerdings. Sie steht in dem Ruf, die einflussreichste Frau von Turai zu sein.«

»Hat sie Euch nicht vor einer Weile öffentlich kritisiert? Es ging, glaube ich, darum, dass Ihr Steuergelder für Statuen von Euch verschwenden würdet.«

Zitzerius’ Handbewegung, mit der er meinen Einwand ausradiert, ist etwas brüsker als vorhin.

»Wir hatten durchaus unsere Meinungsverschiedenheiten. Tilupasis hat die unselige Angewohnheit, sich zu Wort zu melden, wenn sie gar nicht dran ist. Dennoch ist sie eine höchst einflussreiche Frau. Und sie hat sich auch als eine ausgezeichnete Organisatorin entpuppt. Der König war über den Empfang, den sie letztes Jahr für die Elfen gegeben hat, entzückt. Konsul Kahlius glaubt, dass sie eine wichtige Rolle dabei spielen könnte, Stimmen zu gewinnen.«

Zitzerius ist ein gewiefter Redner und lässt sich normalerweise seine Gefühle nicht anmerken, aber ich habe so den Eindruck, dass er selbst nicht unbedingt davon überzeugt ist. In Turai ist es Frauen verboten, in die Politik zu gehen, und ein aristokratischer Konservativer wie unser Vizekonsul fühlt sich schon beim leisesten Anzeichen von weiblichem Einfluss auf die Politik der Stadt unwohl. Andererseits kann Zitzerius die Ansicht seines Vorgesetzten, des Konsuls, nicht gut ignorieren.

»Kahlius vertraut Tilupasis …«, fährt Zitzerius fort.

Kann ich mir denken. Es kursieren hartnäckige Gerüchte, dass die beiden eine heiße Affäre haben.

»… und es gibt genug Grund zu der Annahme, dass sie ihre Pflichten als Gastgeberin sehr gut erfüllt. Ich habe Bohemius und Dandius bereits eingeschärft, ihren Ansichten respektvolles Gehör zu schenken, und sage das jetzt auch Euch. Während Tilupasis unsere Rolle als Gastgeber organisiert, kümmern sich Bohemius und Dandius um die Bedürfnisse der Zauberer. Wenn Ihr jetzt noch dafür sorgt, dass nichts Unvorhergesehenes passiert, glaube ich zuversichtlich daran, dass Turai obsiegen kann.«

Zitzerius redet noch eine Weile in diesem Stil weiter. Meine Laune sinkt auf den Nullpunkt. Arrogante Zauberer, wohlhabende Senatorensöhnchen und Turais einflussreichste Matrone. Was für ein Team! Ich bin der einzige Gemeine in dem ganzen Verein und vermutlich so willkommen wie ein Orgk bei einer Elfenhochzeit. Thraxas, Tribun des Volkes. Das wird eine Menge Gelächter geben, wenn es sich bis ZwölfSeen herumgesprochen hat.