11. KAPITEL
Der Kutscher des Miet-Landauers will uns nicht nach ZwölfSeen bringen. Diese Fahrer aus der Oberstadt haben eine beinah angeborene Abneigung dagegen, den Fluss nach Süden zu überqueren.
»Ich bin ein Volkstribun.«
»Hab noch nie von Euch gehört.«
Ich muss nachdrücklichere Argumente einsetzen, um ihn zu überzeugen. Als wir schließlich den Mond-und-Sterne-Boulevard entlangrumpeln, bin ich in tiefstes Nachdenken versunken. Ich möchte die Spur mit den Drachenschuppen weiterverfolgen, was bedeutet, dass ich mit Abzox reden muss. Da ich ihn gerade ins Gefängnis gebracht habe, dürfte er nicht allzu erpicht darauf sein, mit mir zu reden. Jedenfalls nicht freundschaftlich. Vermutlich muss ich etwas nachhelfen. Ich bitte den Kutscher anzuhalten, steige aus und haste in eine kleine Station, die als Außenposten der Botenzunft dient. Dort kritzle ich eine kurze Nachricht an den Vizekonsul auf einen Express-Papyrus.
Wir fahren weiter. Der Kutscher beschwert sich über die Kälte. Makri beschwert sich auch über die Kälte. Sie sollte sich eine Speckschicht anfressen.
»Wenn du nicht so dürr wärst, würdest du die Kälte nicht so stark empfinden.«
»Prinzessin Direeva findet, dass ich eine perfekte Figur habe.«
»Das kann ich mir denken. Wenn du deinen Charme weiter spielen lässt, kriegst du bestimmt ihre Stimmen.«
»Ich will niemanden durch Schmeicheleien dazu bringen, für Lisutaris zu stimmen«, erwidert Makri. »Die ganze Wahl ist korrupt, und das gefällt mir nicht.« Sie fröstelt. »Willst du wirklich behaupten, dass dir diese Kälte nicht zusetzt?«
Ich reagiere verächtlich auf diese Unterstellung. »Das hier nennst du Kälte? Das ist nichts im Vergleich zu den Minustemperaturen, die ich in Nioj erlebt habe. Ich habe da bei einem noch viel schlechteren Wetter über einen Monat lang im Freien kampiert.«
»Du bist ein Lügner«, behauptet Makri. Der Kampf hat ihrer Laune sichtlich gut getan.
An der Ecke zum Quintessenzweg, wo das Aquädukt zusammengebrochen ist, laufen die Leute zusammen. Die Arbeiter versuchen zwar immer noch, die Gegend zu räumen, aber diesmal scheint es noch um etwas anderes zu gehen. Eine Gruppe Bürger diskutiert hitzig miteinander, und Zivilgardisten versuchen, die Lage unter Kontrolle zu behalten. Ich dränge den Fahrer, an der Gruppe vorbeizufahren, aber Makri befiehlt ihm anzuhalten.
»Was ist da los? Diese Leute stehen vor Sermonatius’ Akademie.«
Sermonatius’ so genannte Akademie ist ein heruntergekommener Saal in einem trostlosen Elendsquartier. Makri besteht darauf, sich die Sache anzusehen.
»Fein, dann kannst du den Rest des Wegs zu Fuß gehen.«
Makri steigt trotzdem aus, und der Kutscher manövriert den Landauer in den Quintessenzweg hinein und hält schließlich vor der Rächenden Axt. In der Kaschemme fülle ich meinen Vorrat an Essen und Bier wieder auf und frage Ghurd, ob in der Zwischenzeit jemand hier war und Fragen gestellt hat. Hat aber keiner, was bedeutet, dass Lisutaris’ Verschleierungszauber noch funktioniert. Ich würde gern einige Stunden vor dem Kamin verbringen, aber so viel Zeit habe ich nicht. Allerdings werde ich die Kaschemme nicht verlassen, bevor ich nicht den Wärmezauber an meinem Mantel aufgefrischt habe. Noch mehr Arbeit im Freien ohne einen hinlänglichen Schutz ertrage ich nicht. Ganz gleich, wie ich Makri gegenüber damit geprahlt habe, wie wenig mir das Wetter zusetzt.
In meinem Büro wartet bereits Donax auf mich. Ihm zur Seite steht Orius Feuerzähmer. Donax ist der Unterhäuptling der örtlichen Filiale der Bruderschaft. Ein sehr bedeutender Mann in ZwölfSeen. Die hiesige Verbrechensindustrie wird von der Bruderschaft kontrolliert. Und seit Donax das Kommando übernommen hat, laufen die kriminellen Geschäfte prächtig. Orius Feuerzähmer ist ein junger Zauberer, der gerade erst sein Examen abgelegt hat und anscheinend sofort bei der Bruderschaft eingestiegen ist.
»Wisst ihr denn nicht, dass man anklopft und höflich wartet, bis man hereingebeten wird?«, knurre ich sie an.
»Das habe ich nie gelernt«, antwortet Donax.
Er trägt einen dicken Pelz. Und er sieht nicht aus, als wäre ihm kalt. Ich bemerke, dass er sein Haar ein bisschen länger trägt und am Hinterkopf zu einem Zopf zusammengebunden hat. Donax ist eigentlich ein hellhäutiger Typ, aber sein Gesicht ist wettergegerbt. Ein Mann, der ganz unten im Hafen angefangen und sich langsam nach oben gearbeitet hat. Donax ist ein ruhiger, starker, intelligenter Kerl. Und sehr gefährlich.
»Amüsierst du dich gut auf dem Konvent?«
»Es ist die schönste Zeit meines Lebens.«
»Orius hat mir gesagt, dass du es dir ganz gut gehen lässt«, meint Donax.
Mir ist ein klein wenig mulmig. Ein Unterhäuptling der Bruderschaft stattet niemandem ohne einen triftigen Grund einen Höflichkeitsbesuch ab.
»Du amüsierst dich in letzter Zeit recht ausgiebig. Tollst mit Lisutaris und Prinzessin Direeva herum, wie ich höre.«
»Du hörst Dinge, die dich nichts angehen.«
Donax hebt seine Augenbrauen einen Millimeter. Letztes Jahr stand ich mehr oder weniger mit Donax auf einer Seite, in einem Fall, bei dem es um die Wagenrennen ging. Es war ein purer Zufall, aber seitdem hat die Bruderschaft mich in Ruhe gelassen. Das hat jedoch nicht viel zu bedeuten. Die Bruderschaft hat im Allgemeinen nicht viel für Detektive übrig, magisch oder nicht.
Er beugt sich vor.
»Weißt du etwas über den Tod eines Boahhändlers?«
»Welchen meinst du? Die sterben doch wie die Fliegen.«
»Orius hier glaubt, dass er den Hauch einer orgkischen Aura am Tatort aufgespürt hat.«
Ich werfe dem Zauberer einen kurzen Blick zu und schaue dann wieder Donax an.
»Ach ja?«
»Deine junge Gefährtin ist doch zu einem Viertel Orgk. Und sie ist außerdem sehr schnell mit dem Schwert bei der Hand.«
»Viele Leute in ZwölfSeen greifen schnell zum Schwert. Und Makri ist nicht das einzige Mädchen mit Orgk-Blut in der Stadt.«
Donax schaut sich um. »Ist das alles?«
»Was meinst du damit?«
»Ich meine, ist das alles, was du besitzt? Winzige Räume voller Dreck? Möbel, die in ein Elendsquartier passen würden?«
»Mir gefällt es.«
»Hast du nichts beiseite geschafft? Ein bisschen Gold auf der Bank?«
Ich sehe ihn ausdruckslos an.
»Warum machst du das?«, will er schließlich wissen.
»Was?«
»Ermitteln.«
»Ich bin aus meiner letzten gemütlichen Position gefeuert worden, weil ich ein nutzloser Säufer bin.«
»Du hättest dich längst verbessern können. Abzox hätte dich gut bezahlt, wenn du ihn hättest gehen lassen. Viele andere ebenfalls. Du könntest viel besser leben.«
Der Unterhäuptling steht auf.
»Wenn du hierhergekommen bist, damit dein Schoßzauberer eine Chance bekommt, etwas herauszufinden, dann wirst du enttäuscht sein«, erkläre ich ihm.
Orius Feuerzähmer faucht mich an: »Glaubst du, du hättest genug Macht, um mich zu beeinflussen?«
»Ich glaube, dass ich dir die Gurgel durchschneiden kann, bevor du auch nur einen Fluch über die Lippen bringst, Kleiner, geschweige denn einen ganzen Zauberspruch.«
Donax muss beinah grinsen. »Das könnte er vielleicht wirklich, Orius. Unser Thraxas hier ist ein harter Bursche. Zwar nicht so hart, dass er mir ernsthaft Sorgen macht, aber hart. Das heißt, wenn er zufällig nüchtern ist.« Er sieht mich an. »Wenn deine Orgk-Freundin meinen Händler umgelegt hat, dann komme ich über sie wie ein böser Bann. Es geht mir dabei nicht um den Händler, die sind ersetzbar. Aber ich habe einen Ruf zu verlieren. Du verstehst mich.«
Sie verschwinden. Ich öffne meine Kleehflasche. Sie ist fast leer. Ich nehme mir vor, Nachschub zu kaufen. Da kommt Makri herein.
»Waren sie wegen des Händlers hier?«
»Haben sie gesagt. Aber ich glaube, dass Donax stärker interessiert war, zu erfahren, was Lisutaris und Direeva hier gewollt haben. Orius wird ihm aber nichts erzählen können. Dieses Bürschchen kann einen Verschleierungszauber, den Lisutaris gewebt hat, bestimmt nicht durchdringen. Was fällt diesem Jungen eigentlich ein, sich mit der Bruderschaft einzulassen? Als ich in seinem Alter war …«
»Thraxas!«, unterbricht Makri mich laut. »Halt den Mund. Ich muss dir etwas Wichtiges sagen.«
»Wenn es um Gal-an geht, dann will ich es nicht …«
»Es geht nicht um Gal-an. Es geht um Sermonatius. Sie wollen ihn rauswerfen.«
»Was?«
»Der Hausbesitzer will den ganzen Wohnblock niederreißen. Er benutzt den Zusammenbruch des Aquädukts als Vorwand. Schon seit Monaten versucht er, Sermonatius und die anderen Bewohner zu räumen, weil er mit dem Grundstück mehr Geld verdienen will.«
Ich sehe Makri verwundert an. Warum erzählt sie mir das? Es klingt beinah so, als erwarte sie, dass ich etwas dagegen unternehmen sollte.
»Du musst etwas dagegen unternehmen.«
Ich trinke den letzten Schluck Kleeh. »Ich? Wie? Was? Warum?«
»Der Besitzer hat zwar die Einwilligung des Präfekten Drinius eingeholt, aber es verstößt gegen das Gesetz, einen Wohnblock ohne eine Genehmigung aus dem Büro des Konsuls niederzureißen.«
Ich zucke mit den Schultern. »Das passiert doch alle naselang. Wenn der Präfekt des Bezirks seine Zustimmung gibt, wird der Besitzer nicht darauf warten, bis der Konsul die Dinge kompliziert. Das würde letztlich nur bedeuten, dass er noch mehr Bestechungsgelder zahlen muss.«
»Sie dürfen Sermonatius nicht hinauswerfen! Er ist ein großer Mann!«
Sermonatius interessiert mich nicht die Bohne.
»Du musst das verhindern!«
»Makri, wie kommst du auf die bizarre Idee, dass ich da etwas ausrichten könnte? Ich bin ein Detektiv, kein Planungsinspektor.«
»Du bist ein Volkstribun. Du kannst alle Bauarbeiten stoppen, indem du den Senat anrufst, um sein Votum einzuholen.«
Mir schwindelt. »Was?«
»Das gehörte zur Amtsbefugnis der Tribunen. Sie konnten vieles tun, um die Armen zu schützen. Vermieter daran zu hindern, ihre Gebäude abzureißen, war nur eines ihrer vielen Rechte.«
»Du bist verrückt.«
»Keineswegs. Ich habe es in der Bibliothek überprüft.«
»Das war vor hundertfünfzig Jahren.«
»Ihre Machtbefugnisse wurden niemals beschnitten.«
»Aber ich bin kein echter Tribun. Es ist doch nur eine Tarnung, mit der mir Zitzerius Zutritt zu dem Konvent beschaffen wollte.«
»Das spielt keine Rolle«, behauptet Makri. Sie ist fest entschlossen. »Zitzerius hat dich zum Tribun ernannt, und das ist vollkommen legal. Du verfügst jetzt über die vollen Machtbefugnisse des Tribunenamtes, und du musst etwas unternehmen.«
Ich greife nach meiner Kleehflasche. Sie ist leer. Irgendwo hier muss doch noch ein Bier herumstehen.
»Makri, das ist Wahnsinn. Es tut mir Leid, dass dein Kumpel obdachlos wird, aber ich kann nichts dagegen unternehmen. Was wird Zitzerius sagen, wenn ich plötzlich meine angebliche Macht einsetze, um den örtlichen Präfekten herumzuschubsen? Das gäbe einen Aufstand im Senat. Vermutlich auch im Palast. Ich hätte augenblicklich die ganze Regierung am Hals. Wer ist denn überhaupt dieser Hausbesitzer?«
»Prätor Raffius.«
»Raffius? Der reichste Mann Turais? Er kontrolliert etwa vierzig Sitze im Senat. Sicher, Makri, den nehme ich mir liebend gern zur Brust. Die Sache ist so einfach, wie einen Senator zu schmieren. Ich sage ihm einfach, er soll aufhören, unartig zu sein. Nun nimm endlich Vernunft an.«
»Du kannst es tun«, wiederholt Makri hartnäckig. »Es gehört zu deinen Machtbefugnissen.«
»Ich habe keine Machtbefugnisse!«, brülle ich sie an. »Und hast du vielleicht vergessen, was hier sonst noch so alles los ist? Ich stecke mitten in einem Fall, der mich vermutlich hinter das Ruder einer Sklavengaleere bringt, während Lisutaris an einem Galgen baumelt. Ich muss mir den Kopf über Zauberer, den Vizekonsul und eine Wahl zerbrechen, ganz zu schweigen von Incognixus. dem mörderischen Meuchler. Wie stellst du dir das vor? Soll ich einfach in das Büro von Präfekt Drinius marschieren und ihm sagen: ›’tschuldigung, Kollege, du musst diese Räumung leider abblasen, weil ich, ein Volkstribun, dir das befehle‹?«
»Ganz genau.«
»Vergiss es!«
»Sermonatius wird nicht aus seiner Wohnung geworfen.«
»Ich kann das jedenfalls nicht verhindern.«
»Ich werde jeden umbringen, der es versucht«, droht Makri.
»Viel Vergnügen. Und jetzt entschuldige mich bitte, ich muss mit meinen Ermittlungen weitermachen.«
Ich schnappe mir meinen warmen Mantel und verdrücke mich schleunigst. Eine Räumung aufhalten, also wirklich! Meine Machtbefugnisse als Volkstribun einsetzen! Wenigstens hätten die Bewohner unseres Viertels dann etwas zu lachen. Wahrscheinlich würden sie immer noch lachen, wenn Prätor Raffius mich von zwanzig seiner gedungenen Handlanger unter Schimpf und Schande aus ZwölfSeen verjagen lassen würde.
Es dauert eine Weile, bis ich endlich einen freien Landauer finde. Mir ist kalt, und ich bedauere, dass ich nicht mehr Bier getrunken habe. Außerdem wünschte ich, ich müsste nicht ständig den Vizekonsul aufsuchen. Für einen Mann, der noch vor ein paar Tagen viel Geld bezahlt hat, um mich zu engagieren, legt er einen beachtlichen Mangel an Begeisterung an den Tag, als ich endlich vor seiner Villa vorfahre und ihm unter die Augen trete.
»Was wollt Ihr?«
»Bier. Aber da es daran bei Euch ja meist mangelt, nehme ich auch alles andere Hoch-und Niederprozentige, das Ihr anzubieten habt.«
»Habt Ihr mich nur gestört, um Alkohol zu verlangen? Ich muss gleich zu einem wichtigen Treffen mit Tilupasis.«
»Diese Tilupasis ist eine sehr effektive Frau. Spitz wie ein Elfenohr. Ihr solltet sie zur Senatorin machen. Ich muss mit Abzox reden. Ich habe ihn vor etwa einer Woche in den Knast geschickt, und ich muss sofort mit ihm reden. Es geht um Lisutaris.«
Zitzerius mag ja ein verknöcherter Paragraphenreiter und armseliger Soldat gewesen sein, aber er reagiert verdammt schnell, wenn es nötig ist. Im Senat ist er wegen seines schnellen Verstandes berüchtigt. Kaum erwähne ich, dass ich Lisutaris helfen könnte, reagiert er und kritzelt ein offizielles Schreiben auf einen Papyrus, in dem er mir gestattet, Abzox im Gefängnis besuchen zu dürfen. Und als ich beiläufig erwähne, dass Abzox vielleicht nicht freiwillig mit den gewünschten Informationen herausrücken will, antwortet er brüsk, dass er sich nötigenfalls darum ebenfalls kümmern kann.
»Er hat Drachenschuppen aus einem Lagerhaus gestohlen? Berichtet mir unterwegs, warum das wichtig ist. Wenn er abgeneigt scheint zu antworten, bin ich befugt, ihm die Freiheit in Aussicht zu stellen.«
Ich hatte eigentlich nicht vorgehabt, Zitzerius mitzunehmen, aber er lässt sich nicht abwimmeln. Im Inneren ist er kein bisschen ruhiger als ich. Wir warten beide nur darauf, dass uns der Skandal mit lautem Knall um die Ohren fliegt. Der Vizekonsul lebt in ständiger Furcht, dass etwas seinem geliebten Turai schaden könnte. Außerdem würden die Rückwirkungen von Lisutaris’ Verhaftung Senator Lohdius, dem Chef der Volkspartei, eine Menge explosiver Munition in die Hände spielen. Die Opposition dürfte Lisutaris’ Fall nutzen, um Zitzerius mit Schmutz zu bewerfen und dabei auch gleich Konsul Kahlius und selbst den König anzuschmieren.
Wir eilen in Zitzerius’ Dienstkutsche zum Alten Knast.
»Pulverisierte Drachenschuppen bilden übrigens den Hauptbestandteil eines seltenen Zaubers, mit dem man die Vergangenheit auslöschen kann.«
Zitzerius behauptet nach wie vor, dass die Dinge niemals so aus dem Ruder gelaufen wären, wenn ich mich ordentlich um Lisutaris gekümmert hätte.
»Es könnte schlimmer sein. Gewisse Gruppen der Bevölkerung von ZwölfSeen schlagen vor, dass ich meine Befugnisse als Tribun einsetze, um Prätor Raffius daran zu hindern, eine Räumung durchzuführen.«
Zitzerius sieht mich ungläubig an.
»Was? Ihr werdet nichts dergleichen tun!«
»Keine Sorge, hatte ich auch nicht vor. Obwohl sie nicht ganz Unrecht haben. Es ist nicht gerade fair von dem Prätor, dass er sich ausgerechnet die Auswirkungen eines bitteren Winters zunutze macht, die Armen aus ihren Hütten zu werfen. Man sollte eigentlich annehmen, dass dieser Kerl schon genug Geld hat, auch ohne dass er jetzt noch seine eigenen Elendsviertel niederreißt.«
Ich weiß, dass dies Zitzerius verärgern wird. Raffius ist ein einflussreicher Gönner seiner Traditionalistischen Partei und spendet großzügig in ihre Geldtöpfe.
»Wahrscheinlich beabsichtigt Senator Raffius, die Unterbringungsmöglichkeiten der Leute zu verbessern.«
Ich lache, was ihn noch mehr reizt. »Raffius hat vor allem vor, seinen Kontostand bei der Bank zu verbessern. Was eigentlich merkwürdig ist, weil ihm die Bank ja selbst gehört. Stört es die Traditionalisten denn nicht, dass einige ihrer Anhänger ihr ganzes Leben damit verbringen, die Armen auszupressen?«
»Ich habe nicht vor, turanianische Politik mit einem Detektiv zu erörtern.«
Sieh an. Wenn es ihm in den Kram passt, hat er aber nicht das Geringste dagegen, Politik zu erörtern, mit wem auch immer. Wir haben das Gefängnis erreicht und betreten es zügig, um aus der Kälte zu kommen. Ein Hauptmann der Wache salutiert vor dem Vizekonsul und führt uns zu Abzox. Zitzerius’ Assistent Harrius war bereits vor uns da und hat den Gefangenen in ein Verhörzimmer bringen lassen.
Harrius ist wirklich ein sehr umsichtiger junger Mann. Er wird es weit bringen.
Die Haft hat Abzox ziemlich zugesetzt. Er sieht so elend aus wie eine niojanische Hure, und mein Besuch heitert ihn ebenfalls nicht gerade auf. Zitzerius fängt an zu reden. Da ich keine Zeit für ausschweifendes Gerede habe, unterbreche ich ihn.
»Abzox, ich muss wissen, an wen du die Drachenschuppen verhökert hast. Spuck’s aus, und Zitzerius wird dich aus diesem Rattenloch herausholen.«
»Ist das wahr?«
»Sicher ist das wahr. Zitzerius trägt eine grün gesäumte Toga, wie du siehst. Er kann so was veranlassen. Falls du mir jetzt die Wahrheit sagst.«
Abzox wägt kurz die verschiedenen Möglichkeiten ab. Falls eine davon von irgendwelchen moralischen Skrupeln beeinflusst gewesen sein sollte, darüber, dass er seinen Partner verpfeift, wog sie anscheinend nicht sonderlich viel. Er braucht genau fünf Sekunden für seine Entscheidung.
»Hehlox«, antwortet er. »Der Händler im Norden von Pashish.«
»Hehlox?«, fragt Zitzerius. »Den kenne ich. Er ist ein ehrbarer Weinimporteur.«
Hehlox ist der größte Hehler von Diebesgut in ganz Turai. Ich dachte, das wäre stadtbekannt.
»Ihr seid viel zu vertrauensselig, Zitzerius. Gut, ich besuche Hehlox.«
Bevor ich mich verabschiede, informiere ich Zitzerius noch, dass die Bedrohung durch Incognixus jetzt definitiv bestätigt worden ist.
»Ich weiß nicht, ob er etwas mit dem Mord an Darius zu tun hat, aber ich weiß, dass er in Turai ist. Und es besteht durchaus eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Lisutaris sein geplantes Opfer ist.«
»Warum glaubt Ihr das?«
»Er ist ein Meuchelmörder aus Simnia, hab ich Recht? Ramius Sonnensturm hat zwar beste Chancen, diese Wahl zu gewinnen, aber das schließt nicht aus, dass die Simnianer trotzdem versuchen könnten, sich ihrer Konkurrenten zu entledigen.«
»Das halte ich für höchst unwahrscheinlich«, erklärt Zitzerius. »Simnia hat noch niemals versucht, einen Mordanschlag auf einem Zaubererkonvent auszuführen.«
»Für alles gibt es ein erstes Mal.«
»Könnte sein Besuch in Turai vielleicht gar nichts mit dem Konvent zu tun haben?«
»Möglich. Aber wir sollten lieber das Schlimmste annehmen. Könnt Ihr noch mehr Leibwächter für Lisutaris abstellen?«
Der Vizekonsul nickt.
»Ist Hehlox wirklich ein Hehler?«, fragt er schließlich.
»Der größte.«
Zitzerius schüttelt den Kopf. »Mein Haushalt hat Wein von ihm bezogen. Einige Bürger dieser Stadt haben wirklich jedes Gespür für Anstand verloren.«
Ich mache mich rasch auf die Spur der Drachenschuppen. Mein Sinn für Anstand ist schon vor langer Zeit die Abwasserkanäle runtergespült worden. Er ist mir bei meiner Arbeit einfach zu oft in die Quere gekommen.