5. KAPITEL
Der Konvent soll in drei Tagen beginnen. Es treffen bereits die ersten Zauberer in der Stadt ein, obwohl man in ZwölfSeen nicht viel von ihnen merkt. Sie sind entweder Gäste der turanianischen Zauberer, die hauptsächlich in der Wahre-Schönheit-Chaussee residieren oder in Villen in Thamlin leben, welche von der Innung extra angemietet wurden. Einige der abenteuerlicher Gesonnenen unter ihnen besuchen das Kushni-Viertel mitten in der Stadt. Dort wartet eine Menge Unterhaltung auf sie, Huren, Glücksspiel, Alkohol und Boah. Aber keiner von ihnen traut sich bis nach ZwölfSeen. Was aber umgekehrt nicht heißt, dass wir uns nicht für sie interessierten. Die Bewohner unseres Ghettos verfolgen eifrig die Nachrichten über jeden Neuankömmling im Der Berühmte Und Wahrheitsgetreue Chronist, diesem billigen und schlecht gemachten Nachrichtenpapyrus, das die Bevölkerung von Turai mit ihrer regelmäßigen Dosis von Klatsch-und Skandalgeschichten versorgt. Da wir von so vielen Feinden umgeben sind, beruhigt es die Turanianer, so mächtige Zauberer in ihren Stadtmauern zu beherbergen. Als dann noch herauskommt, dass ich an dem Konvent teilnehme, sind die meisten Leute beeindruckt. Allerdings amüsieren sie sich auch ausgiebig darüber, dass ich in den Rang eines Regierungsbonzen erhoben worden bin.
»Natürlich sind nicht alle unsere Bonzen nüchterne, verantwortungsbewusste Bürger«, meint Chiruixa, unsere örtliche Heilerin, nachdrücklich. »Nach dem, was ich von den degenerierten Dekadenten im Senat gesehen habe, passt Thraxas da nahtlos hinein.«
»Aber nur, wenn man ihm eine Toga in Übergröße anfertigen lässt«, antwortet Tranox, der besser daran täte, seinen Fisch unter die Leute zu bringen.
Aufgemuntert von so viel Zuspruch bringe ich meine anderen Geschäfte zu einem Abschluss. Die Transportgilde hat mich für die Festnahme von Abzox bezahlt, und ich habe auch dem misstrauischen Kaufmann einen Besuch abgestattet, dessen Frau ich ausspionieren sollte. Er ist Holzhändler und heißt Rizzrads. Ich kann zwar nicht behaupten, dass er der freundlichste Klient wäre, den ich je hatte, aber er nimmt meinen Bericht ernst und feilscht auch nicht lange wegen der Bezahlung. Rizzrads ist um die fünfzig, übergewichtig und nicht unbedingt der bestaussehende Mann in der Stadt. Ich kann verstehen, warum er seiner traumhaft schönen jungen Frau misstraut, aber wenn er seinen Reichtum dafür ausgibt, eine Schönheit aufzugabeln, die dringend Geld braucht, dann ist das eine unausweichliche Folge. Seine Frau hatte auf der Bühne angefangen, war dann aber zu dem Schluss gelangt, es wäre besser, das unsichere Schauspielerdasein zugunsten eines Luxuslebens als Gattin eines vermögenden Kaufmanns aufzugeben. Mittlerweile dürfte sie tödlich gelangweilt sein.
Ich berichte ihm, dass sie nach meinem Gutdünken nur ihre Schönheit im Sinne hat.
»Ich habe ihre Besucher überprüft, habe aber nichts Verdächtiges gefunden. Alles ganz normale Leute, welche die reichsten Frauen der Stadt versorgen. Ich vermute, dass Euch deren Dienste einen Batzen Geld kosten, aber abgesehen davon gibt es wohl nichts, worüber Ihr Euch Sorgen machen müsstet.«
Rizzrads nickt.
»Die letzte Rechnung von Copro war höher als die für eine Schiffsladung Holz. Aber das macht nichts, wenn es sie nur glücklich macht.«
Copro ist ein sehr bekannter Mann in Turai. Einer unserer besten Kosmetiker. Seit er sich in Turai niedergelassen hat, hat er einen derartig guten Ruf erworben, dass sich die weibliche Aristokratie gegenseitig die Augen auskratzt, um sich seiner Dienste zu versichern. Prinzessin Du Lackai schwört ebenfalls auf ihn, glaube ich. Er hat die Frau von Rizzrads zwar sehr häufig besucht, aber da Copro angeblich eine sehr enge Beziehung zu seinem blutjungen Assistenten unterhält, ist er wohl kaum der Mann, bei dem man Angst um die Tugend von Rizzrads’ Frau haben muss.
Nachdem meine Geschäfte abgeschlossen sind, mache ich mich auf den Heimweg. Ich bin zufrieden. Obwohl ich immer noch schlechte Laune habe, was meine Teilnahme an dem Konvent angeht. Wenigstens ist es dort warm. Die Temperatur ist noch weiter gesunken, und auf den Straßen ist es so ruhig, wie ich es noch nie erlebt habe. Nur die wichtigsten Dienstleistungen funktionieren noch. Viele Bewohner sind gezwungen, Eisblöcke aus dem gefrorenen Aquädukt zu schneiden und sie aufzutauen, damit sie Trinkwasser haben.
Ich erreiche die Rächende Axt im gleichen Moment, als Makri die Außentreppe zu meinem Büro hinaufgeht.
»Ich hatte gerade eine heftige Auseinandersetzung mit dem Händler, der Marzipixa das Boah verkauft hat«, sagt sie. »Glaubst du, dass es deswegen Schwierigkeiten gibt?«
»Wie heftig war die Auseinandersetzung?«
»Für ihn war sie tödlich.«
Ich murmele den Minderzauber, der meine Tür öffnet, und trete rasch ein.
»Natürlich gibt es Schwierigkeiten«, sage ich. »Hat dich jemand gesehen?«
Diese Frage verneint Makri.
»In der Gasse war es dunkel, und es hat geschneit.«
»Musstest du ihn umbringen?«
Makri zuckt mit den Schultern.
»Ich hatte es nicht unbedingt vor. Ich wollte ihn einfach nur verprügeln. Aber er hat ein Messer gezogen. Also habe ich ihn umgelegt.«
Ich könnte schwören, dass Makri mir erst letzte Woche in glühenden Worten von einer Vorlesung berichtet hat, in der es um die Bedeutung von moralischem Verhalten in jeder Lebenslage ging.
»Glaubst du, dass dies moralisch war?«
»Er hat den Tod verdient.«
»Das wird Sermonatius sicher mächtig beeindrucken. Und die Bruderschaft auch. Wenn sie das herausfindet, kommt sie über uns wie ein böser Bann. Die Vorstellung, aus der Stadt flüchten zu müssen, solange die Stadttore zugefroren sind, begeistert mich nicht gerade. Musst du denn immer Dinge anstellen, die uns Ärger einhandeln?«
Makri will etwas erwidern, doch stattdessen fängt sie an zu heulen. Ich starre sie fassungslos an. So hat sie noch nie reagiert. Normalerweise schreit sie umso lauter zurück, je lauter ich sie anfahre. Manchmal greift sie auch nach ihrer Axt.
Als ich jetzt jedoch einer tränenüberströmten Makri gegenüberstehe, weiß ich nicht, was ich tun soll. Mich beschleicht die Furcht, dass es sich etwa wieder um ein Menstruationsproblem handeln könnte, ein Thema, das ich dreiundvierzig Jahre lang erfolgreich umschiffen konnte. Bis Makri darauf bestand, eines von Turais größten Tabus zu brechen, indem sie es neulich in aller Öffentlichkeit ausbreitete. Damit hat sie das ganze Viertel in blanke Panik versetzt. Der örtliche Pontifex schwor sogar, dass er die Rächende Axt niemals mehr heimsuchen würde. Makri lässt sich auf mein Sofa plumpsen und heult weiter. Ob ich nach unten flüchten soll und ein Bier …?
»Ehm … Naja, vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm … Boahhändler sterben alle naselang … Vielleicht interessiert es die Bruderschaft nicht allzu sehr …«
Die Tränen rinnen Makri über die Wangen. Ich sitze in der Falle.
»Was ist denn los, hm? Ist es etwas, ehm … vielleicht Persönliches …?«
Makri scheint nicht darüber reden zu wollen.
»Gut, gut, du kannst es mir ja später erzählen. Ich muss jetzt dringend …«
»Versuchst du etwa, mich loszuwerden?«, schluchzt sie.
»Was soll das denn heißen? Ich wollte nur mitfühlend sein. Was erwartest du von mir, wenn du den ganzen Tag hier herumsitzen willst und heulst wie eine traurige niojanische Hure? Ich bin ein viel beschäftigter Mann.«
»Na gut, schön, dann will ich dich nicht länger belästigen«, schluchzt Makri wütend. »Und ich werde dich auch nicht raushauen, wenn du das nächste Mal in der Gülle sitzt!«
»Makri, das Letzte, was ich will, ist, mich in deine Privatangelegenheiten zu mischen. Aber Tanrose meint, ich muss es tun, also spuck’s endlich aus!«
»Du erwartest, dass ich meine Privatangelegenheiten vor dir ausbreite? Nie im Leben.«
»Einverstanden, ich will sowieso nichts davon hören.«
»Na gut, wenn du darauf bestehst, sag ich es dir.« Makri schnieft und nimmt einen aufmunternden Schluck Kleeh. Aus meiner Flasche natürlich.
»Ich habe auf Avula mit einem Elf geschlafen. Und seitdem geht es mir schlecht.«
Ich verwünsche Tanrose. Dieser Gefühlsquatsch ist eigentlich ihre Domäne.
»Klar … tja … hm … Ich bin sicher, dass alles gut wird.«
Makri wischt sich die Augen und starrt mich an. »Ist das alles? Was Besseres hast du nicht auf Lager?«
Ich breite die Arme aus und versuche, möglichst hilflos zu wirken. »Makri, ich bin vielleicht das beste Pferd im Stall, wenn es um Ermittlungen geht, und so spitz wie ein Elfenohr beim Wagenrennen, aber ich habe nie behauptet, dass ich gut bin, was Gefühlsgeschichten angeht. Und ich nehme doch an, es handelt sich hier um ein Gefühlsproblem?«
»Worum sollte es sich wohl sonst handeln?«
»Das weiß man bei dir nie so genau. Ich wäre nicht überrascht, wenn du mir gestehen würdest, dass du den Elf erstochen hast.«
Makri heult wieder los. Ich wünschte, die Bruderschaft würde zum Angriff blasen. Ein ordentliches Gemetzel würde sie auf andere Gedanken bringen. Makri hat noch nie einen Liebhaber gehabt, und jetzt scheint sie unter einer Art Gefühlskrise zu leiden.
»Wolltest du es denn nicht? Ich meine, den Elf, die schattige Lichtung und so. Auf jeden Fall ist das doch viel besser, als sich von einem Nichtsnutz in ZwölfSeen entju… Also, na ja. Mein erstes Erlebnis mit einer Frau hatte ich mit vierzehn. Ich war betrunken, und ihr Zuhälter kam zur Halbzeit vorbei, um nachzusehen, ob ich auch genug Geld für die zweite Hälfte hätte.«
»Warum hat sich Gal-an nicht gemeldet?«, jammert Makri. »Er ignoriert mich. War ihm das nicht so wichtig?«
»Er hockt Tausende von Meilen entfernt auf seinem Elfen-Eiland auf einem Baum. Wie soll er sich melden?«
»Er hätte eine Nachricht schicken können.«
Ich erkläre ihr, dass selbst die Elfen nicht mitten im Winter nach Turai segeln können. Aber Makri lässt sich nicht so leicht überzeugen und erwidert, dass er sich ruhig ein bisschen hätte anstrengen können.
»Ich bin sicher, dass er eine Nachricht hätte schicken können, wenn er gewollt hätte.«
»Und wie?«
»Er hätte einen Zauberer beauftragen können.«
»Makri, Zauberer können manchmal auch über weite Entfernungen kommunizieren, das stimmt, aber das ist nicht einfach. Nur ein sehr mächtiger Zauberer könnte Turai von Avula aus erreichen, und selbst der braucht dazu die Unterstützung der richtigen Mondkonjunktion. Ganz zu schweigen von ruhigem Wetter und einer gewaltigen Portion Glück. Es bleibt trotzdem ein sehr schwieriges Unterfangen. Ich glaube wirklich nicht, dass dein junger Geliebter den zuständigen Fernmeldezauberer dazu bringen konnte, eine Nachricht an seine Freundin zu schicken, ganz gleich, wie gern er es gewollt hätte.«
»Klasse«, sagt Makri und schnaubt verächtlich. »Verteidige ihn noch.« Sie steht auf und verlässt stinksauer den Raum.
Ich nehme einen kräftigen Schluck Kleeh. Ich bin aufgewühlt und beschließe, ein ernstes Wörtchen mit Tanrose zu reden. Sie sollte sich um diesen Fall kümmern. Ich habe zu viel mit meinen Ermittlungen zu tun. Nach einem weiteren Schluck wird mir plötzlich klar, dass die ganze Sache mich aufbringt, obwohl ich gar nicht genau weiß, warum eigentlich.
Jemand klopft an meine Außentür. Ich öffne sie vorsichtig, weil ich fürchte, dass die Bruderschaft vielleicht davor steht und mir einige Fragen wegen ihres kürzlich so plötzlich verschiedenen Boahhändlers stellen möchte. Aber es ist kein Bruder, sondern eine Schwester. Und was für eine! Lisutaris, Herrin des Himmels. Ich bin mäßig entzückt, sie zu sehen, und bitte sie herein. Vermutlich ist es nicht verkehrt, vor dem Konvent ein wenig mit ihr zu plaudern, aber trotzdem überrascht es mich, dass sie sich nach ZwölfSeen begeben hat. Wenn ich ein mächtiger Zauberer wäre, der in der wirklich angenehmen Wahre-Schönheit-Chaussee residiert, würden mich keine zehn Orgks dazu bringen, den Fluss nach Süden zu überqueren.
Lisutaris ist eine Aristokratin, wie sie im Buch steht. Hohe Wangenknochen, blonde Mähne und elegantes Auftreten. Wir sind etwa gleich alt, aber das würde auf den ersten, zweiten und dritten Blick keiner vermuten. Sie ist attraktiv, eigentlich sogar traumhaft schön, wenn sie sich die Mühe macht, sich aufzumöbeln. Aber jetzt hat sie sich in einen Haufen sündhaft teurer Pelze gewickelt, und ihr Regenbogenumhang ist das praktische Wintermodell, nicht das schicke körperbetonte Ding, das sich sonst immer an ihre Formen schmiegt.
Meine Gemächer sind extrem unordentlich. Lisutaris scheint das allerdings wenig zu kümmern. Sie wischt kurzerhand Müll von einem Stuhl, setzt sich und will wissen, ob ich ihr eine Karaffe Wein bringen kann, damit ihr Kreislauf etwas in Schwung kommt. Gleichzeitig bereitet sie einen Berg von Thazis zum sofortigen Verbrennen vor.
»Wein hab ich nicht. Tut’s auch ein Bier?«
Lisutaris nickt und konzentriert sich auf ihr Thazis. Die meisten Genießer rauchen Thazis in kleinen Rollen, nicht aber Lisutaris. Wenn sie sich von ihrer Wasserpfeife losreißen muss, konstruiert sie eine weit größere Version, und sie hat gerade eine beeindruckende Tüte fertig gewickelt, als ich mit dem Bier ankomme. Im Nu riecht der ganze Raum nach Thazis, und Lisutaris wirkt etwas entspannter.
»Da draußen ist es so kalt wie im Grab der Eiskönigin«, knurrt sie. »Ich habe meinen Mantel, meinen Hut, meine Stiefel und meine Kutsche mit Wärmezaubern aufgeheizt, und trotzdem fröstelt mich noch.«
Sie fröstelt. Ich erkundige mich hastig, was sie nach ZwölfSeen bringt.
»Wie ich höre, nehmt Ihr als Vertreter von Zitzerius an dem Konvent teil.«
»Yep.«
»Hat er Euch befohlen, die Wahlen zu meinen Gunsten zu beeinflussen?«
»Nicht direkt. Ich soll nur dafür sorgen, dass sie nicht zu Euren Ungunsten ausgehen. Ist das wichtig?«
Lisutaris zuckt mit den Schultern. »Nicht sonderlich. Es wird zwar von Nachteil für Turai sein, wenn sich der Simnianer das Amt an den Umhang heftet, aber was soll’s? Die Orgks werden die Stadt schon noch früh genug dem Erdboden gleichmachen, falls ihnen die Niojaner nicht zuvorkommen.«
»Der König glaubt, dass es uns mehr Schutz bieten würde, wenn Ihr Oberhexenmeisterin der Zaubererinnung würdet.«
»Vielleicht. Wer weiß?«
Lisutaris inhaliert eine weitere gewaltige Wolke von Thazisrauch.
»Was ich mir hauptsächlich von dem Konvent erhoffe«, fährt sie dann fort, »ist, dass ich dort nicht umgebracht werde.«
»Haltet Ihr das für wahrscheinlich?«
»Ich habe eine anonyme Nachricht bekommen, in der steht, dass deswegen ein Meuchelmörder nach Turai unterwegs ist.«
Mit mehr Einzelheiten kann Lisutaris allerdings auch nicht dienen. Aber sie hat die Nachricht mitgebracht und reicht sie mir. Es ist ein kleines Stück Papyrus, mit einer ordentlichen Handschrift beschrieben.
Dir droht vielleicht bei dem Konvent Gefahr von einem Meuchelmörder. Incognixus kommt.
Mehr nicht. Das heißt, es ist nicht mehr zu sehen, obwohl auch ein Blatt Papyrus bei einer magischen Untersuchung sehr aufschlussreich sein kann. Ich sage Lisutaris, dass ich mich sofort daransetzen werde.
»Habt Ihr die Zivilgarde informiert?«
»Sicher. Aber die Gardisten haben keinen Zutritt zu dem Konvent. Deshalb möchte ich Euch engagieren.«
Ich sage Lisutaris, dass sie das genau genommen nicht braucht, weil Zitzerius mich bereits beauftragt hat, auf sie aufzupassen. Aber Lisutaris würde sich glücklicher fühlen, wenn sie mich direkt engagiert. Irgendwie macht das Sinn, also lasse ich mir von ihr einen Vorschuss geben.
»Es ist zwar nicht ganz einfach, Informationen über die Meuchelmörder zu bekommen, aber ich tue mein Bestes. Vermutlich ist es ohnehin nur ein schlechter Scherz.«
»Wer ist Incognixus?«, will Lisutaris wissen.
»Ein Mitglied der Meuchelmördergenossenschaft von Simnia. Er hat einen sehr üblen Ruf. Man behauptet, dass er noch nie bei einer Mission versagt hat.«
»Wie beruhigend für mich.« Lisutaris runzelt die Stirn. »Ich will dieses Amt nicht so sehr, dass ich bereit wäre, mich dafür umbringen zu lassen.«
Lisutaris ist mächtig genug, dass sie jederzeit einen wirksamen Schutzzauber mit sich herumschleppen kann. Der würde jede Klinge abwenden. Aber man kann nicht wissen, wie viele Tricks so ein Mordexperte wie Incognixus sich ausdenken kann, um ein Hintertürchen durch diesen Schutz zu finden. Ich versichere Lisutaris erneut, dass vermutlich nichts an der ganzen Angelegenheit dran ist, aber in Wirklichkeit mache ich mir ernste Sorgen.
Ein kalter Luftzug unter der Tür lässt meine Füße zu Eisklumpen gefrieren. Mit dem Fuß schiebe ich ein altes Kissen an die Stelle, um den Spalt zu schließen. Lisutaris lächelt. Es gibt viele Zauberer, die ich nicht in meinen Gemächern willkommen heißen würde. Aber Lisutaris ist nicht der überhebliche Typ. Damals im Krieg hat sie in einem Zelt direkt unter den Mauern geschlafen wie alle anderen auch. Es würde mir Leid tun, wenn sie mit dem Pfeil eines Meuchelmörders in der Brust sterben müsste.
»Ich brauche jemanden, der mir den Rücken freihält«, erklärt Lisutaris.
»Habt Ihr mich nicht gerade genau dafür engagiert?«
»Schon. Aber Ihr werdet auf dem Konvent genug zu tun haben. Ich möchte zusätzlich Makri als Leibwächterin rekrutieren.«
Das ist keine schlechte Idee. Wenn man einen Leibwächter braucht, ist Makri eine sehr gute Wahl. Vorausgesetzt allerdings, es stört einen nicht, wenn sie ab und zu noch ein paar Leute nebenbei abschlachtet. Um in Übung zu bleiben, sozusagen. Und da die Innungshochschule den Winter über geschlossen hat, hätte sie auch genug Zeit.
»Ich glaube, sie wäre sehr erfreut über diese Aufgabe. Vermutlich würde sie das ein wenig aufheitern.«
»Ist Makri denn unglücklich?«
Unter anderen Umständen wäre es höchst ungewöhnlich, dass die vornehme Herrin des Himmels Makri überhaupt zur Kenntnis nimmt. Aber die beiden haben sich in der Vereinigung der Frauenzimmer kennen gelernt. Jedenfalls nehme ich das an, obwohl die Vereinigung ihre Mitgliederliste zur Geheimsache erklärt hat.
»Sie ist ziemlich unglücklich. Einige persönliche Probleme. Die meisten habe ich allerdings schon gelöst.«
Lisutaris schweift bereits ab, und als ich sie nach dem Konvent frage, braucht sie einige Sekunden, bis sie antwortet.
»Wie genau wird der neue Oberhexenmeister der Innung gewählt? Ist es eine direkte Wahl, oder gibt es eine Art Prüfung?«
»Beides. Die Zauberer stimmen für die Kandidaten, und die zwei mit den meisten Stimmen müssen eine Endausscheidung überstehen.«
»Und was ist das für eine Ausscheidung?«
»Eine Prüfung im Magischen Raum.«
»Was für eine Prüfung?«
Das weiß die Herrin des Himmels auch nicht. Charius der Weise wird die Aufgabe festlegen, und er hütet die Details wie seinen Zauberstab.
»Wenn ich Glück habe, müssen wir nach Thazispflanzen suchen«, meint Lisutaris, die zurzeit ein wenig sehr auf ihre Vergnügungen konzentriert ist. Ich führe sie zu Makris Zimmer, trenne mich vor der Tür von ihr und gehe nach unten, um mir ein Bier zu holen. Ich genehmige mir einen Jumbokrug der Sorte »Zünftiger Zunftmann« und informiere Ghurd, dass er ein paar Tage auf seine Kellnerin verzichten muss, weil ihre Pflichten als Leibwächterin von Turais führender Zauberin sie vom Tresen wegrufen. Ghurd ist erleichtert. Er leidet ebenfalls unter Makris Launen, und seit Tanrose ihm erklärt hat, dass diese von einigen emotionalen Schwierigkeiten ausgelöst worden sind, fürchtet er, dass sie ihn etwa mit dem Thema belästigen könnte. Ghurd hat selbst mehr als genug emotionale Schwierigkeiten. Er fühlt sich zu Tanrose hingezogen und weiß einfach nicht, wie er damit umgehen soll.
»Das wird sie ablenken«, vermutet Ghurd. »Warum hat sie sich überhaupt mit einem Elf eingelassen?«
»Weiß ich nicht. Wahrscheinlich findet sie Elfen attraktiv.«
»Welche Rolle spielt denn das Aussehen bei einem Mann? Er muss ein guter Kämpfer und ein guter Versorger sein. Das macht einen richtigen Kerl aus.«
Mir schwant, dass Gurdh jetzt anfangen könnte, sich Sorgen zu machen, ob Tanrose ihn auch attraktiv genug findet. Also wechsle ich rasch das Thema.
»Ich soll eine Wahl beobachten. Hätte nie gedacht, dass ich einmal einen solchen Auftrag annehmen würde.«
»Meinst du, die Wahl wird fair verlaufen?«
»Dafür werde ich sorgen. Turai verlässt sich auf mich, und ich bin auf das großzügige Honorar angewiesen, mit dem Zitzerius mich geködert hat.«
»Aber was ist mit der ganzen Magie, die sie einsetzen werden?«, hakt Ghurd nach. Als Barbar aus dem hohen Norden, der er nun mal ist, ist ihm alles Magische ein wenig unheimlich.
»Das spielt keine Rolle. Sollte da irgendetwas Auffälliges passieren, werde ich es sofort spüren. Für einen Mann mit meiner Erfahrung ist das so einfach, wie einen Senator zu schmieren.«
Im Laufe des Abends füllt sich die Kaschemme allmählich. Auch der bittere Winter kann Ghurds Geschäfte nicht schmälern. Die Leute trinken lieber in der Wärme der Rächenden Axt, als sich zu Hause frierend aneinander zu schmiegen. Ich verleibe mir einige Schüsseln Eintopf ein und trolle mich dann mit einem Krug Bier nach oben. Bevor ich in mein Zimmer gehe, statte ich Makri noch einen Besuch ab, um mich zu erkundigen, ob sie den Auftrag als Leibwächterin angenommen hat. Lisutaris ist auch noch da. Sie liegt bewusstlos am Boden, umringt von den Resten zahlreicher Thazistüten. Makri liegt neben ihr im Koma. Der Thazisqualm in dem winzigen Zimmer ist so dick, dass ich kaum die gegenüberliegende Wand sehen kann. Ich schüttele den Kopf.
»Du wirst eine feine neue Oberhexenmeisterin der Zaubererinnung«, murmle ich und lasse die beiden allein. Wenn Zitzerius Lisutaris jetzt sehen könnte, würde er ihre Nominierung vermutlich bedauern.