10. KAPITEL

Ich gieße etwas Kuriya in eine Schüssel. Niemand sagt ein Wort. Makri fühlt sich sichtlich unwohl in ihrer Haut. Zitzerius ist aufgebracht, Tilupasis bleibt ruhig. Wir haben uns in Zitzerius’ Privatgemach in der Königlichen Halle versammelt, und ich bereite mich darauf vor, ihnen zu zeigen, was in der Rächenden Axt passiert ist.

»Was Ihr sehen werdet, ist vor allen anderen Augen durch einen Verschleierungszauber verborgen, den Lisutaris, die Herrin des Himmels, gesponnen hat. Ich habe nur Zugang dazu, weil Lisutaris mir den Schlüssel gegeben hat.«

Ich nehme ein Stück Papyrus aus der Tasche und intoniere eine kurze Anrufung. Lisutaris’ Schlüssel. Zitzerius und Tilupasis rücken näher an die Schüssel heran. Die Luft wird kälter, und eine Vision formt sich in der Flüssigkeit. Mein unordentliches Büro. Ich sollte wirklich mal sauber machen. Makri, Direeva und Darius liegen bewusstlos auf dem Boden. Auftritt Lisutaris. Sie ersticht Darius und verschwindet dann wieder. Die Vision verblasst. Sie gefällt mir auch beim erneuten Sehen nicht besser.

Zitzerius reißt sich zusammen. Obwohl er gern aufbraust, gerät er in einer Krise genauso wenig in Panik wie ich.

»Wie viele Leute haben das gesehen?«

»Nur wir. Und vor den anderen ist es versteckt. Die Zauberer werden irgendwann den Verschleierungszauber durchdringen, aber es wird eine Weile dauern.«

»Auf mich hat das sehr echt gewirkt«, fährt Zitzerius fort.

»Seid Ihr von Lisutaris’ Unschuldsbeteuerungen überzeugt?«

Ich zucke mit den Schultern.

»Sie ist nun mal meine Klientin.«

»Das klingt nicht sehr überzeugt.«

Makri mischt sich ein.

»Sie ist unschuldig! Ich war da, und ich weiß, dass sie Darius nicht erstochen hat!«

»Ihr wart bewusstlos.«

»Ich bin aber als Letzte bewusstlos geworden. Lisutaris hat es nicht getan.«

Tilupasis denkt laut über eine Magie nach, die es ermöglicht, die Vergangenheit zu fälschen.

»Meine Kenntnisse über Zauberei sind sehr begrenzt. Ist es möglich, dass diese Vision, wie Lisutaris behauptet, gefälscht ist?«

»Vielleicht.«

»Etwas genauer, wenn ich bitten darf!«, zischt Zitzerius.

»Na gut. wir stehen hier vor drei verschiedenen Aufgaben. Verstecken, auslöschen und erschaffen. Verstecken heißt, die Vergangenheit zu verbergen. Das können viele Zauberer bewerkstelligen, jedenfalls für eine Weile. Die beiden anderen Dinge sind nicht ganz so einfach. Lisutaris und Direeva haben gründlich nach den tatsächlichen Ereignissen geforscht, bevor Lisutaris den Verschleierungszauber gewirkt hat, aber sie konnten nichts finden. Die einzige Vision, auf die sie gestoßen sind, war eben die, in der Lisutaris Darius ersticht. Wenn es also andere Ereignisse gegeben hat, dann hat jemand sie ausgelöscht. Aber das gilt als unmöglich. Bisher hat noch niemand einen solchen Auslöschungszauber wirken können. Ich garantiere Euch, dass Ihr jeden beliebigen Zauberer auf dem Konvent fragen könntet: Sie würden Euch alle dasselbe antworten. Die offensichtliche Schlussfolgerung lautet demnach, dass es keine solche Auslöschung der Wirklichkeit gegeben hat, was bedeuten würde, dass die dargestellten Ereignisse wahr sind. Dann ist Lisutaris die Mörderin.

Dasselbe gilt für einen Schaffenszauber, der die Illusion erzeugen könnte, dass sich etwas ereignet hätte. Es müsste eine Illusion sein, die gut genug ist, einen Zauberer zu narren, wenn er in die Vergangenheit blickt. Auch ein solcher Zauber wurde bisher nicht bewerkstelligt. Es ist schon schwierig genug, sich ein überzeugendes Bild realer Ereignisse vorzustellen und sie zu bilden, auch ohne sie anschließend in die Vergangenheit versetzen zu müssen. Wir haben mein Büro gesehen, mit dem ganzen Müll. Könnte jemand so etwas bis ins letzte Detail fälschen? Das bezweifele ich. Erneut ist die einzig logische Schlussfolgerung, dass wir in dieser Vision die realen Ereignisse gesehen haben.«

»Ganz gleich, ob Lisutaris Darius nun ermordet hat oder nicht, es darf jedenfalls nicht bekannt werden«, erklärt Tilupasis.

Ich weise sie daraufhin, dass sich aber vielleicht nicht jeder dabei wohl fühlt, wenn er eine Mörderin decken soll. Tilupasis tut das mit einem Schulterzucken ab. Sie hat damit keine Probleme. Wir schauen Zitzerius an.

»Wenn die Zaubererinnung irgendwann die Wahrheit aufdecken wird, wäre es vielleicht tatsächlich besser für Turai, wenn wir jetzt mit der Wahrheit ans Licht treten würden«, meint er. »Lisutaris würde gehenkt oder zumindest verbannt, und Turai würde noch weiter an Einfluss verlieren. Aber wir wären wenigstens nicht der Komplizenschaft an dem Mord des Oberhexers eines anderen Staates schuldig. Wenn wir diese Sache zu vertuschen suchen, und es schlägt fehl, werden sich die Konföderation von Abelasi und die anderen Staaten der Ödlande und aus dem Süden gegen Turai wenden. Wir haben auch so schon genug Feinde.«

Wir verfallen in dumpfes Schweigen, während Zitzerius seine Optionen abwägt. Der Vizekonsul trägt hier immerhin die Verantwortung. Es ist seine Entscheidung, und dieses eine Mal ist mir nicht danach, ihm meine eigene Sicht der Dinge aufzudrängen.

»Wie hoch sind Eure Chancen, den wahren Mörder zu finden, wenn Lisutaris wirklich unschuldig ist, wie sie behauptet?«, erkundigt er sich schließlich.

»Einigermaßen. Vielleicht auch ein bisschen schlechter. Ich habe keine Spuren, und ich habe es mit einer Art von Magie zu tun, der bisher noch keiner begegnet ist. Was nicht heißen soll, dass ich nichts finden könnte. Kriminelle hinterlassen immer irgendwelche Spuren, selbst kriminelle Magier. Unser Problem ist die Zeit. Wir wissen nicht, wie lange die Zaubererinnung braucht, bis sie den Verschleierungszauber durchbrechen kann.«

Zitzerius trommelt mit den Fingern auf den Tisch. Schließlich trifft er eine Entscheidung: »Ihr führt Eure Ermittlungen weiter. Wir werden in der Zwischenzeit unsere Bemühungen weitertreiben, Lisutaris zur Oberhexerin der Zaubererinnung wählen zu lassen.«

Harrius taucht an der Tür auf. Zitzerius wird zu einer Besprechung mit Lasath der Goldsichel gerufen. Er verschwindet rasch.

»Ich muss mich auch wieder an die Arbeit machen«, meint Tilupasis. »Da Darius jetzt aus dem Rennen ist, dürfte ich einige dieser Stimmen der Zauberer aus dem Süden gewinnen können. Passt weiter auf Lisutaris auf, Thraxas. Und Makri, seid nett zu Prinzessin Direeva. Das ist jetzt noch wichtiger als vorher. Da Darius jetzt nicht mehr kandidieren kann, haben wir eine exzellente Chance, sie auf unsere Seite ziehen zu können.«

»Nicht, wenn sie glaubt, dass Lisutaris ihn umgebracht hat.«

»Dann müsst Ihr sie eben von Lisutaris’ Unschuld überzeugen«, instruiert uns Tilupasis.

Und rauscht davon.

»Was genau soll ich denn tun, um Prinzessin Direevas Stimmen zu gewinnen?«, will Makri wissen.

»Ich weiß es nicht. In Politik war ich nie besonders gut.«

Ich starre auf das schwarze Kuriyabecken. Nach dem Zauber ist die Temperatur in dem Raum wieder angestiegen. Die Bonzen haben es für die Zauberer schön warm gemacht. Wir tun alles, um sie bei Laune zu halten.

»Es ist sehr bedauerlich, dass die Leiche so schnell entdeckt wurde.«

»Du hättest sie eben in eine tiefere Schneewehe werfen sollen«, meint Makri. »Hast du schon irgendjemanden in Verdacht?«

»Lisutaris. Vielleicht noch Ramius Sonnensturm. Er würde von Darius’ Tod profitieren. Schließlich hätte er sich damit eines Rivalen entledigt.«

Aber es gelingt mir nicht, mich selbst zum Narren zu halten. Darius war keine ernsthafte Bedrohung für Ramius. Er hat ja nicht einmal versucht, Anhänger um sich zu scharen, um den Simnianer zu überflügeln. Trotzdem ist mir Ramius verdächtig. Er ist sehr selbstsicher, sehr mächtig und sehr erfolgreich, und diese drei Eigenschaften kann ich an einem Zauberer schon gar nicht leiden.

»Es wird Zeit, an die Arbeit zu gehen. Hast du die Wirkung des Thazis mittlerweile abgeschüttelt?«

»Ja.«

»Hat die Kaiserliche Bibliothek einen großen Bestand an Schriften über Zauberei?«

»Sie hat die größte Sammlung im ganzen Westen«, erwidert Makri. »Wieso ist dir das bisher entgangen?«

»Ich kultiviere meine Ignoranz schon lange. Bring Lisutaris nach Hause, und komm dann so schnell wie möglich dorthin. Ich muss einige Zaubersprüche recherchieren, und ich bin einfach schrecklich, was die Benutzung von Katalogen angeht.«

In der Haupthalle herrscht blanke Aufregung, als die Zauberer sich zusammenrotten, um den Mord zu diskutieren. Sie strömen aus allen Ecken des großen Saals herbei und lassen sogar ihre Arbeitsgruppen im Stich. Selbst die Juvalianer verlassen ihre Heilige Halle, frisch gefüllte Krüge in den Händen. Überall werden Leuchtstäbe aktiviert, als wollten sie damit Licht in die Angelegenheit bringen. Ramius Sonnensturm ist bereits in ein ernstes Gespräch mit anderen hochkarätigen Zauberern vertieft. Es dürfte nicht mehr lange dauern, bis sie anfangen, nach dem Mörder zu suchen. Erneut muss ich das dringende Bedürfnis unterdrücken, der Stadt einfach den Rücken zu kehren. Wenn sie eine Vision heraufbeschwören, die zeigt, wie ich die Leiche entsorge, dann habe ich die gesamte Zaubererinnung am Hals wie einen bösen Bann. Sollten mich die vereinigten Hexen, Magier und Zauberer nicht auf der Stelle in Fettzellen zerlegen, wird die Zivilgarde meine Reste strafrechtlich verfolgen. Auf jeden Fall sind meine Chancen so oder so ziemlich mies.

Astral Trippelmond drückt sich etwas abseits von der Menge herum.

»Irgendwelche magischen Spuren auf dem Messer?«

»Nein. Es ist sauber abgewischt. Ist es das Messer, mit dem man …?«

Seine Stimme bricht. Ich sage ihm, dass ich ihm eigentlich lieber keine weiteren Einzelheiten verraten möchte. Astral akzeptiert das nur zu gern. Er möchte es auch gar nicht wissen. Er verspricht mir weiterzuarbeiten, aber es macht ihm sichtlich große Sorgen, dass er sich plötzlich in eine Angelegenheit solcher Tragweite verwickelt sieht.

»Ich schulde dir viel, Thraxas. Aber wenn die Innung mir plötzlich auf die Pelle rückt, dürfte es mir schwer fallen, sie zu belügen.«

Ich benutze die Gelegenheit, Astral zu fragen, ob er einen Zauberspruch kennt oder einen Zauberer, der einen Bann erzeugen könnte, mit welchem man Ereignisse von beinah einer Minute fälschen und sie dann in die Vergangenheit schicken könnte.

»Ich glaube nicht, dass jemand das hinbekommen könnte. Weder einer von uns noch von den Elfen-oder den Orgk-Zauberern. Jede kleine Einzelheit einer langen Szene? Es gibt einfach zu viel, was man dabei kontrollieren müsste. Und was ist mit den echten Geschehnissen? Es ist eine Sache, sie eine Weile zu verbergen, aber wenn man sie nicht komplett ausradiert, dringen sie irgendwann durch jede noch so kunstvolle Illusion hindurch.«

Mittlerweile hat sich die Neuigkeit herumgesprochen, dass Darius in einer Schneewehe erstochen aufgefunden worden ist. Die Zauberer, die Turai kennen, erklären denen, die hier fremd sind, dass ZwölfSeen das übelste Viertel der Stadt ist, das Hafenviertel, in dem die Gewalt regiert. Viele nicken bestätigend. Der erste Eindruck suggeriert, dass der Abelasianer anscheinend dorthin gegangen ist, um sich Boah oder eine Prostituierte zu besorgen. Beides wäre für einen Zauberer auf Urlaub keineswegs ungewöhnlich.

Prinzessin Direeva und ihr Zauberlehrling halten sich von den Massen fern. Niemand kann vorhersagen, wie die Prinzessin reagieren wird, wenn sie von der Zivilgarde verhört werden sollte. Wird sie ihr Schweigen bewahren, um Makri und Lisutaris zu schützen? Oder wird sie sagen, was sie weiß, sich auf diplomatische Immunität berufen und rasch abreisen? Mit Direeva und Astral gibt es schon zwei Leute zu viel, die eine Indiskretion begehen könnten. Selbst wenn Lisutaris’ Zauberspruch die Ereignisse des Mordes noch Wochen verschleiern könnte, glaube ich trotzdem nicht, dass sich die Zivilgarde so lange in die Irre führen lässt. Die wissen, wie man eine Spur verfolgt. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass unsere thazissüchtige Herrin des Himmels einem Verhör standhält. Ich verfluche den Tag, an dem ich mit dieser Frau zu tun bekommen habe. Es wäre besser gewesen, wenn die Drachen, die sie damals vom Himmel geputzt hat, ihr auf den Kopf gefallen wären.

Es wird Zeit, Marihana zu besuchen. In der Eingangshalle befindet sich ein Botenposten, der zur freien Verfügung der Zauberer dort eingerichtet wurde. Der junge Bote, der meine Schriftrolle entgegennimmt, wirkt ein bisschen überrascht, als er die Adresse sieht. Das Hauptquartier der Meuchelmördergenossenschaft? Aber er eilt davon, um seine Pflicht zu tun.

Ich verlasse schleunigst den Konvent und halte draußen einen Miet-Landauer an. Kurz danach sitze ich in einer Kaschemme in den Randbezirken des berüchtigten Kushni-Viertels. Kushni ist das Zentrum der Trinkhäuser, Spielhäuser, Boahhäuser, Hurenhäuser und aller anderen schlecht beleumundeten Hütten, die man sich nur denken kann. Im Sommer wälzt sich hier eine schwitzende, kochende Masse dekadenter Menschlichkeit entlang. Selbst im Winter laufen die Geschäfte höchst ungesund rund. Die Meuchelmörder haben hier in der Nähe ihr Hauptquartier eingerichtet. Ich habe Marihana in dem Schreiben darüber informiert, dass ich mitten in ihren Laden hineinmarschieren und lauthals nach ihr rufen würde, wenn sie diese letzte Bitte um ein Treffen ebenfalls ignoriert. Ich vermute, dass sie das aus ihrem Loch treiben wird. Kein Meuchelmörder mag es, wenn sein Name in aller Öffentlichkeit laut gerufen wird. Es sind schon berufsbedingt sehr zurückhaltende Leute.

Eine junge Hure mit einem roten Band im Haar schlendert an meinen Tisch. Ich ignoriere sie. Dann ist ihr junger männlicher Gefährte an der Reihe. Er hat ebenfalls ein rotes Band im Haar. Ich wusste gar nicht, dass die Hurenvereinigung Männer zulässt. Aber vielleicht irre ich mich ja. Jedenfalls ignoriere ich auch ihn. Ein Boahhändler bietet mir billiges Lalula an, eine noch stärkere Droge als Boah. Ich sage ihm, er soll gefälligst verduften. Der Freund des Händlers ist jedoch außerordentlich hartnäckig. Ich ziehe einen Dolch aus meiner Tasche und lege ihn auf den Tisch. Sie verspotten mich, stoßen ein paar Beleidigungen aus, trollen sich aber schließlich. Es gibt genug willige Kunden, die sie versorgen können. Also ist es nicht nötig, sich mit einem großen bösen Mann mit einem Messer anzulegen.

Marihana taucht in der Verkleidung einer Marktarbeiterin auf. Jedes Mal, wenn ich ihr begegne, wundere ich mich darüber, wie jung die Meuchelmörderin aussieht. Aus den vielen erfolgreichen Aufträgen, die ihr zugeschrieben werden, schließe ich, dass sie keinesfalls unter dreißig sein kann. Sie ist eine kleine, zierliche Frau mit dunklem Haar und sehr blasser Haut. Mithilfe einer passenden Verkleidung könnte sie ohne weiteres als Kind durchgehen. Der Gedanke, dass Marihana sich als Kind verkleidet, bevor sie irgendein Opfer zur Strecke bringt, jagt mir einen Schauer über den Rücken. Ich verachte die Meuchelmörder. Marihana ist so kalt wie das Herz eines Orgks. Selbst nachdem ich mich letztes Jahr an ihrer Seite kämpfend wieder fand, habe ich sie kein bisschen lieber gewonnen.

Marihana lehnt das Bier ab, das ich ihr anbiete.

»Musst du nüchtern bleiben? Hast du einen neuen Meuchelmord vor?«

Das ist vielleicht nicht unbedingt die diplomatischste Einführung, aber es ist schwer, den richtigen Ton zu treffen, wenn man mit einer Frau redet, die den zweifelhaften Ruhm genießt, vermutlich schon alle möglichen wichtigen Leute umgelegt zu haben. Angeblich hat sie sogar einmal an einem Tag einen Elfenlord, einen Orgk-Lord und einen Senator umgebracht. Marihana starrt mich blass und ausdruckslos an. Sie ist offenbar von meiner Methode, sie zu diesem Treffen zu bewegen, nicht sonderlich begeistert. Ich frage mich, ob ich sie mit einem Bann ausschalten könnte, bevor sie mir ihr Messer in die Kehle rammt. Allerdings habe ich mir gerade keinen solchen Bann eingeprägt. Also sollte ich sie nicht zu sehr reizen.

»Warum wolltet Ihr mich sehen?«

»Ich suche nach Informationen über Incognixus.«

»Er ist ein Meuchelmörder aus Simnia, was, wenn ich recht informiert bin, allgemein bekannt ist.«

»Aber das Wissen der Allgemeinheit reicht nicht sonderlich weit. Handelt es sich um einen Mann oder eine Frau? Wie sieht Incognixus aus? Und kommt er wirklich aus Simnia?«

»Ich weiß nicht mehr über ihn.«

»Auch nicht, was ihn nach Turai führt?«

»Ich wusste nicht, dass er in Turai ist.«

»Warum hast du Lisutaris dann eine Warnung gesandt?«

Das sollte Marihana eigentlich überraschen, aber ihrer Miene ist nichts anzumerken. Sie streitet es kühl ab. Ich sage ihr, sie soll sich die Mühe sparen.

»Ich weiß, dass du die Warnung geschickt hast. Du bist vielleicht die Nummer eins hier in der Gegend, wenn ein hinterhältiger Mord erledigt werden soll, aber wenn es darum geht, deine Spuren zu verwischen, bist du eine Niete. Ich habe innerhalb von ein paar Minuten herausgefunden, dass du es warst, und mir dann auch noch eine magische Expertise als Sicherheit geholt.«

Ein oder zwei Sekunden lang zeigt sich so etwas wie ein Hauch von Rouge auf Marihanas Wangen. Sollte es mir etwa tatsächlich gelungen sein, sie in tiefste Verlegenheit zu stürzen?

»Mach dir nichts draus. Ermittlungen sind mein tägliches Brot. Niemand sonst weiß, dass du kleine Zettelchen mit Warnungen verschickst.«

Wenn Marihanas Genossenschaft das herausfände, würde sie ziemlich in der Gülle stecken. Die Meuchelmörder vermeiden es peinlichst, sich offen in die Welt der Politik einzumischen. Außerdem wären Marihanas Meuchelmördergenossen sicher auch wenig begeistert, wenn sie erführen, dass ihre hauseigene Nummer drei auch eine große Nummer in der Vereinigung der Frauenzimmer ist.

»Ich vermute, du hast Lisutaris wegen eurer gemeinsamen Mitgliedschaft bei den Frauenzimmern gewarnt?«

Marihana schweigt. Ich erkläre ihr nachdrücklich, dass es wesentlich sinnvoller wäre, mir zu verraten, was sie weiß, weil ich schließlich zusammen mit Makri für das Wohl von Lisutaris verantwortlich bin. Marihana denkt eine Weile darüber nach, während ich meine Chancen abwäge, die mir bleiben, lebend aus dieser Kaschemme herauszukommen, falls ich gezwungen bin, sie wirklich zu erpressen.

»Du weißt, dass deine Busenfreundin Lisutaris sehr wahrscheinlich von Incognixus umgebracht werden soll?«

Das scheint sie endlich umzustimmen.

»Ein Informant, der für meine Organisation gearbeitet hat, wurde letzte Woche tödlich verwundet. Bevor er starb, konnte er uns noch mitteilen, dass Incognixus nach Turai unterwegs ist. Er war ihm bei seiner Arbeit begegnet. Die Natur des Auftrags unseres Informanten war geheim und hatte weder etwas mit Lisutaris noch mit dem Konvent der Zauberer zu tun, also kann ich Euch nicht mehr sagen. Aber mir ist aufgefallen, dass Lisutaris das wahrscheinlichste Ziel für einen Meuchelmörder aus Simnia darstellt. Denn sie ist Ramius’ Hauptrivalin.«

Das stellt mich nicht so richtig zufrieden. Denn Marihana hat eigentlich nur bestätigt, dass Incognixus tatsächlich in der Stadt sein Unwesen treibt.

»Mehr kann ich Euch wirklich nicht sagen. Ich rede nicht mit Fremden über unsere geschäftlichen Angelegenheiten. Diese Nachricht zu schicken war alles, was ich tun konnte.«

Marihana steht auf und huscht rasch hinaus. Ich werfe ein paar Münzen auf den Tisch und verschwinde ebenfalls. Ich bin ärgerlich. Es geht mir immer gegen den Strich, wenn ich mit der Meuchelmörderin reden muss.

Wenigstens ist es nicht weit bis zur Kaiserlichen Bibliothek. Sie ist ein großartiges Bauwerk, aber ich statte ihr nur sehr selten einen Besuch ab. Zwischen all diesen Schriftrollen komme ich mir so unzulänglich vor. Und ich mag es auch nicht, wie die Angestellten so lautlos in ihren Togen herumschleichen. Ich habe dann immer das Gefühl, dort nicht hinzugehören.

Ein ganzer Raum ist der Lehre der Zauberei gewidmet, aber weiter komme ich nicht. Als ich mich daranmache, aus dem Katalog schlau zu werden, scheint mein Gehirn wie gelähmt, und ich muss warten, bis Makri auftaucht. Das dauert eine Weile. Und als sie schließlich hereinstolziert, ärgert es mich, dass alle sie so freundlich begrüßen. Sie ist in einer orgkischen Sklavengrube aufgewachsen. Ich bin ein geborener Bürger von Turai. Diese Beamtenseelen sollten mir gefälligst etwas mehr Respekt entgegenbringen.

»Was erwartest du?«, zischt Makri. »Du hast Bier über ein Manuskript verschüttet.«

»Es war nicht viel Bier. Man sollte meinen, dass sie es mittlerweile vergessen hätten. Wie geht es Lisutaris?«

»Sie klebt an ihrer Wasserpfeife. Sie nimmt sich das Ganze ziemlich zu Herzen. Weißt du, ich glaube allmählich, sie ist doch nicht eine so geeignete Kandidatin für das Amt der Oberhexenmeisterin der Zaubererinnung. Ich mag sie zwar sehr gern, aber ich glaube nicht, dass sie in der Lage ist, den Belangen der Innung viel Zeit zu widmen.«

»Ist dir das jetzt erst klar geworden?«

»Immerhin bist du derjenige, der auf sie gewettet hat«, erinnert mich Makri.

»Da war mir aber noch nicht klar, dass dies bedeutet, eine Mörderin zu decken und ihr auch noch zur Wahl zu verhelfen. Ich werde hart arbeiten müssen, wenn ich meinen Gewinn einstreichen will.«

»Hast du sie deshalb als Klientin akzeptiert?«

»Zumindest hat das den Ausschlag gegeben. Ist sie jetzt in Sicherheit?«

Makri geht davon aus. Das Haus steckt voller Dienstboten und Diener, und Makri hat ihnen eingeschärft, jedem Fremden höchst misstrauisch zu begegnen.

»Das wird trotzdem nicht viel nützen, wenn der große Meuchelmörder Incognixus auf die Idee kommen sollte, ihr einen Besuch abzustatten. Ich habe mich mit Marihana getroffen. Viel hat sie mir nicht erzählt, aber zumindest hat sie bestätigt, dass Incognixus tatsächlich in der Stadt ist.«

»Hat er Darius Wolkenstürmer umgebracht?«

»Wer weiß? Ich muss versuchen, Licht in die Angelegenheit zu bringen, und das wird nicht gerade einfach werden.«

Eine Bibliothekarin schleicht vorbei und wirft mir einen bösen Blick zu. Ich senke meine Stimme. »Ich muss herausfinden, mit welchem Bann man es möglicherweise hat so aussehen lassen können, als hätte Lisutaris Darius ermordet. Ich habe mir mein Hirn zermartert und mein ganzes Handbuch der Magie von vorn bis hinten durchgeackert, aber ich finde einfach nichts. Astral genauso wenig.«

Makri ist irgendwie abgelenkt. Ich mustere meine Gefährtin misstrauisch. »Hast du dich auch an der Wasserpfeife gütlich getan?«

»Natürlich nicht. Hör auf, mich wie Turais größte Drogenkonsumentin zu behandeln. Es waren besondere Umstände. Ich war deprimiert. Wusstest du, dass der avulanische Zauberer Abra-al-Kabra hier ist?«

»Und?«

»Du hast mir gesagt, dass im Winter niemand von den Elfeninseln nach Turai segeln kann.«

»Abra-al-Kabra ist kurz nach uns in See gestochen.«

»Und warum hat mir Gal-an dann keine Nachricht von ihm überbringen lassen?«

»Wahrscheinlich hat der Oberhexer von Lord Khurd-al-Dah Wichtigeres zu tun, als den Postillion d’Amour zu spielen. Hast du eigentlich nur Gal-an im Kopf?«

»Es ist wichtig«, erwidert Makri.

Ich schüttele hilflos den Kopf. »Versuch dich lieber auf unsere Arbeit zu konzentrieren.«

Ich beschreibe Makri, was ich suche, und wir vertiefen uns in den Katalog und suchen nach einem entsprechenden Zauberspruch. Vermutlich handelt es sich sogar um zwei Zauber. Der eine verbirgt die wahren Ereignisse, und der andere erzeugt die gefälschten. Aber es kommt mir immer unwahrscheinlicher vor. Die Bilder, wie Lisutaris Darius ermordet hat, waren einfach zu klar. Und nur weil ich einfach nicht auf ein plausibles Motiv komme, heißt das noch lange nicht, dass es sich nicht genau so zugetragen haben könnte. Mir sind schon merkwürdigere Dinge passiert. Vielleicht hat das Thazis sie ja verrückt gemacht. Keiner kann genau sagen, was ein derartig exzessiver Konsum alles auslösen kann.

»Hat Lisutaris auch von deinem Boah genommen?«

»Hör mit diesem Gerede über das Boah auf!«, zischt Makri. »Ich habe mich schon mehr als genug dafür entschuldigt.«

Wir arbeiten einen Band nach dem anderen durch, rollen eine Schriftrolle nach der anderen auf und wieder zu. Diese Aufgabe ermüdet mich schnell. Ich hasse diesen Katalog. Lieber würde ich mich in einer eisigen Gasse auf die Lauer legen.

»Können sie das nicht auf eine Art und Weise ordnen, die ein Mann verstehen kann?«

»Es ist vollkommen logisch geordnet.«

»Was bedeuten diese Zahlen? Ich verstehe sie einfach nicht.«

»Das ist das Klassifikationssystem«, erklärt Makri. »Es verrät dir, wo du die einzelnen Bände finden kannst.«

»Warum ist es nicht klarer aufgebaut?«

»Es ist sehr klar aufgebaut. Du kapierst es nur einfach nicht.«

Ich mühe mich weiter ab und grabe mich durch Bücher, die Zaubersprüche für jede nur denkbare Gelegenheit auflisten. Wenn ich lernen wollte, wie man einen Troll flachlegt, hätte ich Glück gehabt. Wenn ich herausfinden wollte, wie das Wetter in zweihundert Meilen Entfernung ist, könnte ich jetzt die richtige Anrufung ausfindig machen. Ich bin sogar auf einen Zauber gestoßen, mit dem ich die Stärke von Bier feststellen kann, und daran bin ich nun wirklich interessiert. Aber von dem, wonach ich suche, fehlt jede Spur.

»Die Sache ist hoffnungslos. Ich habe schon die ganze Zeit behauptet, dass man es nicht machen kann. Sicher, ich mag der schlechteste Anwender von Magie in ganz Turai sein, und ich bringe kaum mehr fertig, als meinen Mantel aufzuwärmen und meine Gegner schlafen zu legen. Aber ich kenne die Grundregeln der Zauberei – und auch ihre Grenzen. Ich glaube, wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen. Lisutaris ist schuldig.«

»Das kannst du doch nicht wirklich glauben«, protestiert Makri. »Du hältst es nur nicht mehr länger in der Bibliothek aus. Du kannst doch nicht einfach eine Frau auf das Schafott schicken, weil du ein Klassifikationssystem nicht erträgst.«

»Da würde ich nicht drauf wetten. Außerdem kann ich mich nicht mehr konzentrieren. Wenn ich nicht bald etwas zu essen bekomme, breche ich zusammen. Ich schlage vor, wir gehen in das Gasthaus gegenüber und versuchen es später weiter.«

Aber Makri hat keinen Hunger.

»Und außerdem will ich jetzt nicht einfach die Recherche aufgeben. Ich will erst den ganzen Katalog durchforsten.«

Ich bewundere ihre Zähigkeit, aber ich selbst kann nicht mehr. »Wir treffen uns in der Taverne, wenn dir die Energie ausgegangen ist. Vielleicht fällt mir ja etwas Schlaues ein, wenn ich wieder einen vollen Bauch habe.«

Die Kaiserliche Bibliothek liegt an einem großartigen Platz, der von einer riesigen Kirche und dem Gebäude des Ehrenwerten Vereins der Kaufmannschaft flankiert wird. So viele arbeitende Menschen brauchen natürlich eine kleine Erfrischung, und folglich gibt es hier in der Gegend eine Menge Tavernen. Ich entscheide mich für Der Gelehrte, die trotz ihres Namens einen recht einladenden Eindruck macht. Der kurze Weg von der Bibliothek zur Taverne jedoch ist die reinste Qual. Der eiskalte Wind bläst durch meinen Mantel, und der Schnee peitscht mir ins Gesicht. Als ich in der Taverne ankomme, ist mein Umhang von kleinen Eispartikeln verkrustet, und ich hänge ihn dicht an den Kamin, damit er trocknen kann. Am frühen Nachmittag ist die Taverne noch leer. Nur zwei junge Leute, vermutlich Studenten, sitzen an einem Tisch. Sie haben zwei kleine Bierkrüge vor sich und sind über eine Schriftrolle gebeugt. Ich bestelle die Spezialkeule aus Pökelfleisch, nehme mir mein Bier und setze mich dann an einen besonders guten Platz direkt ans Feuer, um mich aufzutauen.

Noch ein paar Winter wie dieser, und ich bin erledigt. Vielleicht ist es ja doch keine so schlechte Idee, in den sonnigen Süden zu flüchten. Ich stecke nämlich wirklich in der Klemme. Mittlerweile hat Darius’ Tod schon das Interesse der mächtigsten Zauberer geweckt. Sie werden feststellen, dass Lisutaris’ Verschleierungszauber ihnen den Weg versperrt, aber wie lange wird er halten? Was ist, wenn Lisutaris zu sehr unter Thazis stand, um den Schleier ordentlich zu spinnen? Die Zivilgarde sucht vielleicht in diesem Moment schon nach mir. Zum ersten Mal in meiner Laufbahn beschleicht mich das Gefühl, dass mir ein Fall über den Kopf gewachsen sein könnte. Gegen die Macht der Zaubererinnung komme ich nicht an. Es war verrückt, es überhaupt zu versuchen. Ich stochere wenig begeistert in dem Pökelfleisch herum und würge es nur mithilfe einer Extraportion Soße und eines weiteren Krugs Bier herunter.

Die Tür fliegt auf, und ein eisiger Windhauch fegt durch die Taverne. Makri stolpert herein.

»Mach Platz am Feuer, Thraxas. Mir ist so kalt wie im Grab der Eiskönigin.«

Doch noch bevor sie sich hinsetzen kann, kommt der Wirt und fährt sie barsch an, dass Frauen in seiner Taverne keinen Zutritt haben.

Makri starrt ihn ungläubig an. »Ist das Euer Ernst?«

Es ist ihm todernst. Und er macht auch keine Ausnahmen. In Wahrheit ist diese Apartheid sogar in noch ehrbareren Vierteln der Stadt die Regel.

Makri ist seit einiger Zeit kaum wieder zu erkennen. Der emotionale Aufruhr, in den sie ihre Affäre mit Gal-an gestürzt hat, und ihr fortgesetzter Missbrauch gewisser Substanzen, für den ich in Lisutaris die Schuldige vermute, verhindert, dass sie so hart reagiert, wie ich eigentlich erwartet hatte. In gewisser Weise ist das gar nicht so schlecht. Makris Neigung, sich in alle möglichen Kämpfe zu verzetteln, kann einen ganz schön ermüden. Auf der anderen Seite ist eine sentimentale Makri auch eine verdammt zermürbende Angelegenheit. Als der Wirt sie jedoch auffordert, die Taverne zu verlassen, findet sie mit einem Ruck ihr altes Gladiatorensklavengruben-Selbst wieder. Sie schiebt ihr Gesicht so dicht an seines heran, wie es geht, und das ist ziemlich dicht, obwohl er ein massiger Kerl ist und viel größer als Makri.

»Ich habe mich durch diesen verdammten Schnee bis hierher gekämpft. Und ich habe nicht vor, jetzt sofort zu verschwinden.«

Der Wirt macht den unverzeihlichen Fehler, seine Pranke auf ihre Schulter heruntersausen zu lassen, um sie einfach hinauszubugsieren. Makri reagiert sofort und versetzt ihm einen derart brutalen und zielsicheren Tritt ins Gemächt, dass selbst die Studenten am anderen Ende der Taverne vor Entsetzen ihre sensiblen Finger zwischen ihre Beine pressen. Der Wirt dagegen bricht wie vom Blitz getroffen auf dem Boden zusammen. Dann schnappt sich Makri einen Tisch und zertrümmert ihn auf der reglosen Gestalt. Abschließend bedenkt sie den am Boden liegenden reglosen Fleischberg mit einem bösen Blick.

»Ich werde diese Angelegenheit bei der Vereinigung der Frauenzimmer zur Sprache bringen«, verspricht sie ihm.

Draußen schneit es noch stärker.

»Ist so was denn zu glauben?« Makri muss schreien, um gegen das Heulen des Sturms anzukommen.

Wir kämpfen uns über die Straße, bis wir eine andere Taverne finden: Der Fleißige Schüler. Makri marschiert hinein, und ich folge ihr mit der Hand am Schwertgriff, falls es Ärger gibt. Eine freundliche Wirtin begrüßt uns. Makri ist beinah enttäuscht.

»Willst du dich etwa darüber beschweren, dass ich den Wirt niedergeschlagen habe?«, erkundigt sie sich; als wir uns mit zwei Bier und zwei Kleeh an einen Tisch setzen.

»Nein. Mir gefiel der Laden sowieso nicht besonders.«

Noch vor einem Jahr hätte ich ihr die Leviten gelesen. Mittlerweile bin ich mitfühlender geworden. Vielleicht habe ich mich auch einfach an ihre aufbrausende Art gewöhnt.

»Bedienen sie da wirklich keine Frauen? Oder nur keine Frauen mit Orgk-Blut in den Adern?«

»Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich beides. Es war ohnehin kein Feinschmeckertempel. Die Pökelkeule war allerhöchstem durchschnittlich. Ich sollte mir wohl eine vernünftige Mahlzeit einverleiben, wenn ich schon mal hier bin.«

Makri grinst. »Ich bin immer deprimiert, wenn mein Leben zu friedlich verläuft. Vermutlich liegt es daran, dass ich so lange Gladiatorin gewesen bin. Ich brauche ab und zu einen ordentlichen Kampf, und der letzte ist schon zu lange her.«

Ich erinnere sie daran, dass sie erst vor ein paar Tagen einen Boahhändler erledigt hat.

»Stimmt. Hab ich vergessen. Na ja, das zählte eigentlich nicht als richtiger Kampf.«

»Und kurz danach hast du dich mit den drei Hafenarbeitern herumgeprügelt.«

»Was ist los? Führst du etwa Buch?«

»Wie willst du es nur jemals an der Kaiserlichen Universität aushalten? Sie verabscheuen Gewalttätigkeiten.«

»Vermutlich kann ich mich der Gewalt entwöhnen.«

Makri nimmt wohlgemut einen großen Schluck Bier.

»Kein Grund zur Fröhlichkeit, Makri, wir stecken immer noch mächtig in der Klemme. Die Zaubererinnung schaut sich vielleicht gerade im Moment Visionen von unserer Beteiligung an dem Mord an.«

Makri schlägt mit der Hand auf den Tisch. »Das hätte ich fast vergessen. Ich habe einen Zauberspruch gefunden!«

»Was? Wirklich?«

Makri zieht ein Blatt Papier heraus und liest davon ab.

»›Ein Bann, mit dem man Ereignisse aus der Vergangenheit auslöschen kann. Mit dieser Anrufung kann ein erfahrener Anwender alle Spuren der Ereignisse vernichten, sodass sie niemals, nicht einmal unter magischer Erforschung, wieder zutage treten.‹«

Makri sieht von ihren Notizen hoch.

»Du wirst nicht glauben, an was für einem merkwürdigen Ort ich das hier gefunden habe. Ich schwöre dir, dass dies kein anderer entdecken konnte. Es befand sich nicht in der Hauptsammlung, sondern versteckt in …«

»Ja, Makri, ich weiß bereits, dass du die Nummer eins in der Bibliothek bist. Zeig mir lieber den Zauber.«

Ich prüfe Makris Abschrift. Es ist ein sehr interessanter Zauberspruch, von einer Machart, wie ich noch nie einen gesehen habe. Und da steht noch, dass er angeblich sogar fast eine ganze Stunde auslöschen kann.

»Laut Quellenverzeichnis des Katalogs stammt er aus den Ödlanden. Aus den Blauen Bergen.«

Ich hebe meine Brauen. Prinzessin Direeva lebt in den Blauen Bergen.

»Möglicherweise sind wir da auf eine Spur gestoßen. Aber das erklärt dennoch nicht alles. Der Zauber genügt vielleicht, tatsächlich Passiertes auszuradieren, aber man kann damit kein neues Geschehen erzeugen.«

»Ich bin sicher, dass diese Spur von Bedeutung ist«, behauptet Makri. »Du weißt doch, dass du immer misstrauisch wirst, wenn während einer Ermittlung Dinge passieren und es wie ein Zufall aussieht? Nun, dann wirf mal einen Blick auf die benötigten Ingredienzen für diesen Zauberspruch!«

Sie reicht mir ein anderes Blatt Papier. Der Zauber erfordert eine beträchtliche Menge an … Drachenschuppen.

»Und du hast doch erst kürzlich einen Dieb überführt, der Drachenschuppen gestohlen hat.«

Das ist purer Zufall. Und Makri hat ganz Recht. Bei meiner Arbeit machen mich Zufälle immer höchst misstrauisch.