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Um 13.45 Uhr öffnete Zan die Tür. Kevin sah sie lange nur an, dann, als wäre es das Natürlichste auf der Welt, umarmte er sie. Beide rührten sich nicht. Zan, die Arme steif an die Seite gepresst, suchte seinen Blick.

»Zan«, sagte Kevin mit fester Stimme, »ich weiß nicht, wie gut dein Anwalt ist, aber was du brauchst, ist eine Privatdetektei, die das Ruder noch einmal herumreißt.«

»Dann hältst du mich also nicht für eine durchgeknallte Irre?« Zan klang unsicher.

»Zan, ich vertraue dir. Vertrau du mir auch.«

»Es tut mir leid, Kevin. Mein Gott, du bist der Erste, der sagt, dass er mir vertraut. Aber es hört ja nicht auf. Dieser Irrsinn geht ja immer weiter. Schau dich doch bloß um.«

Kevin betrachtete das geschmackvoll eingerichtete Wohnzimmer, die eierschalenfarbenen Wände, das gemütliche blassgrüne Sofa, die Stühle mit ihren gestreiften Überzügen, den Teppich mit seinem dunkelgrün-cremefarbenen geometrischen Muster. Sowohl auf dem Sofa als auch auf den Stühlen standen offene Kartons von Bergdorfs.

»Die sind heute Morgen angekommen«, sagte Zan. »Sie wurden auf meine Kreditkarte gekauft. Aber ich habe sie nicht gekauft, Kevin. Ich habe mit einer Verkäuferin bei Bergdorfs telefoniert, die ich sehr gut kenne. Sie sagt, sie hat mich am Montag im Geschäft gesehen, aber sie war ein wenig gekränkt, weil ich nicht nach ihr verlangt habe. Sie sagt, ich hätte das gleiche Kostüm vor ein paar Wochen schon mal gekauft. Warum sollte ich das tun? Meines hängt im Schrank. Alvirah glaubt, mich auf den Videos der Überwachungskamera in der Kirche gesehen zu haben, dort soll ich am Montagnachmittag angeblich ein schwarzes Kostüm mit Pelzkragen getragen haben. Das hatte ich am Montag aber nicht an, erst am darauffolgenden Tag, als ich zu dir gekommen bin.« Verzweifelt reckte sie die Hände. »Wo soll das alles bloß enden? Was kann ich denn tun, damit es aufhört? Warum das alles?«

Kevin nahm ihre Hände in seine. »Zan, komm, setz dich.« Er führte sie zum Sofa. »Jetzt versuche dich ein wenig zu beruhigen.«

»Wie soll das gehen? Gegen mich ist Anklage erhoben worden. Jemand gibt sich für mich aus. Die Presse verfolgt mich. Ständig habe ich das Gefühl, als würde mich jemand beschatten. Und dieser Jemand hat mein Kind in seiner Gewalt!«

»Zan, gehen wir alles von Anfang an durch. Ich habe in den Zeitungen die Fotos der Frau im Park gesehen, von der du schwörst, dass es sich dabei nicht um dich handelt.«

»Sie hat das Gleiche an wie ich, exakt die gleiche Kleidung.«

»Genau darauf will ich hinaus, Zan. Wann hast du dich mit diesem Kleid auf der Straße blicken lassen, sodass man dich hat sehen können?«

»Ich bin mit Tiffany runter zur Straße. Matthew hat in seinem Buggy geschlafen. Und dann habe ich ein Taxi angehalten, um zum Haus der Aldrichs in der Sixty-ninth Street zu fahren.«

»Das heißt, wenn jemand dich gesehen hat, blieb ihm kaum eine Stunde Zeit, um das gleiche Kleid zu besorgen, das du an diesem Tag getragen hast.«

»Verstehst du nicht? Genau das hat auch ein Journalist in einem Zeitungsartikel angesprochen. Es wäre schlichtweg unmöglich, in diesem Zeitraum so etwas zu bewerkstelligen.«

»Es sei denn, jemand hat gesehen, wie du dich angezogen hast, und das gleiche Kleid bereits vor sich liegen gehabt.«

»Außer Matthew war niemand mit mir in der Wohnung.«

»Und so geht das bis zum heutigen Tag – immer wieder mal lässt sich jemand mit der gleichen Kleidung in der Öffentlichkeit blicken.« Kevin stand auf. »Zan, hast du etwas dagegen, wenn ich mich mal umsehe?«

»Nein. Aber wozu?«

»Lass mich mal machen.«

Kevin Wilson ging ins Schlafzimmer. Auf dem gemachten Bett lagen Kissen, auf dem Nachttisch stand das Bild eines lächelnden Jungen. Daneben gab es eine Ankleide, einen kleinen Sekretär, einen niedrigen armlosen Polstersessel. Die Blende des großen Panoramafensters passte zum blau-weißen Muster des Bettes.

Das alles nahm Kevin kaum wahr, während er den Blick durch den Raum schweifen ließ. In Gedanken war er bei einem Kunden, der drei Jahre zuvor ein Apartment erworben hatte, das nach der recht unschönen Scheidung der Vorbesitzer zum Verkauf angeboten worden war. Als die Arbeiter die Stromleitungen neu verlegten, entdeckten sie im Schlafzimmer eine Spionagekamera.

War es möglich, dass Zan beobachtet wurde, als sie an dem Tag, an dem Matthew verschwand, die Kleidung auswählte? War es möglich, dass sie immer noch observiert wurde?

Er kehrte ins Wohnzimmer zurück. »Zan, hast du eine Trittleiter?«, fragte er.

»Ja.«

Kevin folgte ihr zum Schrank im Flur und nahm ihr die Leiter ab, die sie herauszog. Sie ging mit ihm ins Schlafzimmer, er stieg auf die Leiter und tastete langsam und gründlich die Stukkaturen an der Decke ab.

Direkt oberhalb der Ankleide gegenüber ihrem Bett fand er schließlich, wonach er gesucht hatte: die winzige Linse einer Kamera.