Kapitel 9
Eine Stunde, nachdem sie Delpha in ihrem Wohnwagen zurückgelassen hatten, saß Ethan noch immer bei Glenda auf der Sitzbank und lauschte der Geschichte der Guardia und ihrer berühmten Jäger. Ihm fielen schon fast die Augen zu vor Müdigkeit, und er hatte einen Drink nötig, aber sie ließ einfach nicht locker. Schließlich zog er einfach seinen Flachmann hervor.
»Nein«, wehrte Glenda ab.
»Nur einen«, meinte Ethan, »das macht mir den Kopf wieder klar.« Wenn er je einen Drink nötig gehabt hatte, dann jetzt.
»Ich habe etwas viel Besseres.« Glenda nahm ihm den Flachmann weg, bevor er reagieren konnte. »Bleib sitzen.«
Sie ging zum Schrank, nahm einen Kaffeebecher heraus, und Ethan stützte seinen Kopf in die Hände. »Tut mir leid, dass wir Tura nicht gekriegt haben, Mom.«
»Du hast dich gut geschlagen. Wir sind einfach aus der Übung.« Sie tat irgendetwas in den Becher, füllte mit Wasser auf, rührte um, stellte den Becher in die Mikrowelle und drückte einen Knopf. Dann lehnte sie sich gegen die Arbeitsplatte. »Wir müssen wieder in Form kommen, wir alle. Und du musst das ernst nehmen …«
»Das tue ich«, versicherte Ethan. »Nach der Geschichte heute Abend kannst du jede Wette eingehen, dass ich das ernst nehme. Wir brauchen einen Plan. Wir können nicht einfach so im Park herumlaufen …«
Die Mikrowelle gab ein Klingelsignal von sich. Glenda nahm den Becher heraus.
»… in der Hoffnung, über einen Dämon zu stolpern, damit wir ihn mit lateinischen Brocken bewerfen können.«
»Trink das.« Glenda rührte noch einmal schnell im Uhrzeigersinn um, dann entgegengesetzt, klopfte den Löffel fünfmal am Rand ab und reichte ihm den dampfenden Becher.
Er nahm ihn in die Hände und fühlte die Wärme in seine Haut eindringen.
»Trink«, befahl Glenda.
Ethan hob den Becher an die Lippen. Was immer es war, es duftete verlockend. Er nahm einen großen Schluck und fühlte, wie die Wärme durch seine Kehle und hinab in seinen Magen rann. Im nächsten Augenblick schoss er zur Tür, als die Flüssigkeit sich in ihm aufzubäumen schien und brodelnd wieder hochkam. Er schaffte es bis ins Freie, wo er sich vornüberbeugte und sich so heftig erbrach, dass er glaubte, seine sämtlichen Organe kämen mit herausgeflogen.
Er bemerkte Glenda neben sich, den Becher in der Hand, während er sich langsam wieder aufrichtete. Sie hielt ihn ihm erneut hin. »Trink noch mal.«
»Was ist das für ein Teufelszeug?«, verlangte Ethan zu wissen und starrte seine Mutter vorwurfsvoll an.
»Wir brauchen dich, Ethan. Wir brauchen dich bei vollen Kräften und nüchtern. Und wir haben nicht die Zeit abzuwarten, bis dein Körper das ganze Gift auf normalem Wege ausscheidet. Das hier treibt den Alkohol aus deinem System.« Sie hielt ihm den Becher hin. »Trink.«
Ethan schlug ihr den Becher aus der Hand, sodass er sich auf den Boden ergoss. »Sag mir nicht, was ich tun soll. Nicht wenn bei dir die Cocktailstunde von mittags bis Mitternacht dauert.« Er sah, wie sie zusammenzuckte, und fühlte sich elend. Langsam richtete er sich wieder ganz auf. »Tut mir leid. Tut mir wirklich leid. Sieh mal, ich bin ja jetzt auf deiner Seite, das mit den Dämonen, das habe ich begriffen. Ich werde einen Plan machen, wir werden die zwei, die jetzt frei sind, wieder einfangen, und dann werde ich alles überprüfen, das Sicherheitssystem, die Bahnen, die Statuen, ich werde jeden Zentimeter überprüfen. Aber wirf mir jetzt nicht vor, betrunken zu sein, nachdem ich fast von etwas umgebracht worden wäre, woran ich nicht mal glaube.«
Glenda kehrte stumm in ihren Wohnwagen zurück, und er folgte ihr und warf sich erschöpft auf die Sitzbank.
»Also«, begann er, darum bemüht, sich zu konzentrieren. »Ich will jetzt keine Vergangenheitsgeschichten mehr hören. Wo ist Ashley?«
»Ich habe Gus und Young Fred schon vor Stunden auf die Suche nach ihr geschickt.« Glenda stellte den Wasserkessel auf den Herd und zündete die Gasflamme darunter an, wobei sie Ethan den Rücken zuwandte. »Es ist schon spät. Alle Besucher sind fort. Keiner mehr da, den Tura besetzen könnte. Sie lässt Ashley wahrscheinlich einfach gehen.«
»Ashley ist verletzt«, stellte Ethan fest. »Sie wird sich wundern, wie das passiert ist.«
»Sie wird denken, dass sie einen Blackout hatte«, erwiderte Glenda und ging zum Abspülbecken. »Ashley ist nicht unser Problem.«
»Na gut«, gab Ethan nach, denn er wollte nicht wieder streiten. »Also dann Tura und Fufluns. Wir haben Turas Urne. Und Gus wollte, dass Mab Fufluns’ Urnendeckel repariert.«
Glenda nickte, ihm noch immer den Rücken zukehrend. »Du kannst ihn ihr morgen bringen. Im Keller des Wachturms ist eine Schablonenform, die ihr dabei von Nutzen sein kann. Geh mit Gus zusammen die Form holen, damit er sich auf den steilen Stufen nicht den Hals bricht.«
»Gut«, willigte Ethan ein. »Schaust du mich irgendwann auch mal wieder an?«
Sie wandte sich zu ihm um, mit grimmigem Gesicht, Tränen in den Augen. »Ich bin jetzt seit vierzig Jahren eine Guardia. Ich habe immer in diesem Park gelebt, bin hier Patrouille gegangen, habe die Statuen überprüft, habe vierzig Jahre lang dafür gesorgt, dass alles sicher ist. Mir steht es bis oben, aber es ist kein Job, den man kündigen kann. Ich werde bis zu meinem Tod eine Guardia sein.«
»Mom …«
»Ich habe alles zusammengehalten, als Delpha und Gus älter wurden, und habe Aufgaben von ihnen übernommen. Ich habe alles zusammengehalten, als Old Fred starb und Young Fred durchdrehte, weil er seinen Dienst übernehmen musste. Ich habe vierzig Jahre lang alles zusammengehalten, als dein Vater starb und dieser betrunkene Sack von Hank berufen wurde, an seine Stelle zu treten. Und dann fuhr er gegen den Baum, und wir hatten gar keinen Jäger mehr, und trotzdem habe ich alles zusammengehalten.«
Ethan schwieg, denn er wusste, dass sie das endlich einmal loswerden musste.
»Und jetzt bist du berufen worden, und wie gehst du damit um? Du beschimpfst mich. Glaubst du, ich wüsste nicht, dass dieser Trank deine Probleme nicht löst? Was auch immer der Grund dafür ist, dass du dich jeden verdammten Abend ins Koma säufst, ein bisschen magischer Tee kann das nicht in Ordnung bringen. Aber es hätte deinen Körper und deinen Geist gereinigt, und dann könnte dir vielleicht der Dienst bei der Guardia ein wenig bei dem helfen, was du versuchst, mit dem Trinken wegzuschieben. Ich musste es tun, Ethan, denn als ein Trunkenbold bist du nur eine Last mehr, die ich mitzuschleppen habe, neben Delpha und Gus und Young Fred. Also komm mir nicht damit, dass du glaubst, hier übernehmen zu können. Solange ich nicht sicher bin, dass du nüchtern bist, wenn deine Zeit dazu gekommen ist, kann ich es dir nicht überlassen. Solange du nicht trocken bist oder ich sterbe, solange bin ich als Führerin in der Pflicht.«
»Ich bin nicht betrunken«, wandte Ethan ein und empfand das dringende Bedürfnis nach einem Drink.
Glenda sah ihn müde an. »Was ist mit dir passiert, Ethan? So warst du noch nie.«
Ethan schüttelte abwehrend den Kopf. »Nicht wichtig …«
»Doch, das ist es.« Glenda verschränkte die Arme vor ihrer Brust. »Es ist wichtig, weil du jetzt zur Guardia gehörst, und es ist wichtig, weil ich deine Mutter bin. Hör auf, eine Mauer gegen mich aufzubauen. Was, zum Teufel, ist mit dir passiert?«
Ethan zögerte. Dann ließ er zum ersten Mal die Deckung fallen. »Wir waren auf Erkundungsmarsch. Ein halbes Team. Sechs Mann. Oben in den Bergen. Wir sollten keine Feindberührung herbeiführen. Aber das hat den Taliban niemand gesagt. Sie attackierten uns aus dem Hinterhalt. Drei von uns waren sofort tot, von einer Maschinengewehrgarbe in Stücke gerissen … dann, eine Rakete …« Er holte tief Luft. »Mein Mannschaftsführer …« Wieder hielt er inne, als sich die Szene vor seinem geistigen Auge abspielte, das Grauen sich wieder auf ihn senkte … »Mein Mannschaftsführer hatte keine Deckung, wurde angeschossen. Und sie schossen immer weiter auf ihn, in seine Beine, spielten mit ihm. Ich zog meine kugelsichere Weste aus und warf sie über seine Beine.«
»O Ethan«, stieß Glenda hervor. »Ich …«
»Dann wurde ich getroffen. Hier.« Ethan berührte seine Brust über dem Herzen. »Im Feldlazarett bin ich wieder aufgewacht. Ich war der einzige Überlebende, und sie staunten, dass ich überhaupt noch lebte, denn die Kugel steckte nahe am Herzen fest. Die Ärzte sagten, es wäre unmöglich, sie da herauszuholen, ohne mich dabei umzubringen, und dass sie wahrscheinlich weiterwandern würde und ich sterben würde, noch vor Ende des Jahres. Also …«
Glenda war bei seinem Bericht bleich geworden, hatte sich schwer auf die Bank fallen lassen und sah ihn mit Tränen in den Augen an. »Die Kugel steckt noch immer in dir?«
»In meiner Brust. Wo mir jeder einen Schlag darauf versetzt, warum auch immer.« Er griff nach ihrer Hand und streichelte sie. »Es tut nicht weh. Ich weiß einfach nur, dass ich nicht mehr viel Zeit habe. Also sollten wir Tura und ihren Kumpel schnell wieder einfangen.«
Glenda schluckte Tränen hinunter und tätschelte seine Hand. »Schon gut. Dein Herz ist stärker als das eines normalen Menschen. Du wirst an dieser Kugel nicht sterben, Ethan. Du bist ein Mitglied der Guardia.«
Ethan nickte. Er wusste nicht, ob sie es sagte, um ihn oder sich selbst zu trösten, aber wie auch immer, es war typisch Glenda, und er war dankbar dafür.
Sie wurde wieder geschäftlich. »Aber du hast recht, wir müssen Tura möglichst bald einfangen, bevor sie noch jemanden umbringt, und das heißt: vor dem nächsten Wochenende, bevor wir den Liebestunnel wieder öffnen müssen.«
»Okay«, meinte Ethan und kehrte erleichtert wieder zum Organisieren zurück. »Ich kümmere mich darum, dass die Liebestunnelbahn während der Woche nicht laufen kann.«
Der Wasserkessel begann zu pfeifen, und Glenda nahm zwei Tassen heraus, holte zwei Teebeutel aus einer Schachtel, hängte sie in die Tassen und goss heißes Wasser darauf.
»Glaubst du, dass Tura wieder in Ashley hineinfährt?«, fragte Ethan, der lieber über die Dämonen im Park sprach als über seinen eigenen.
Glenda zuckte die Achseln. »Es ist ein Risiko für Dämonen, immer den gleichen Wirt zu besetzen, weil der dann irgendwann auf sie abfärbt. Aber wenn Ashleys Körper ihr gefällt, dann ist ihr das eventuell egal.«
Sie trug die Teetassen zum Tisch und stellte eine vor ihn hin. »Kamillentee. Kein Zaubertrank.«
Sie sah aus, als wollte sie wieder über ihn sprechen, deshalb fragte er rasch: »Warum war sie hinter mir her? Ich habe doch niemanden betrogen.« Er dachte nach. »Nein, warte. Sie sagte etwas von wegen, sie hätte mich mit Mab gesehen. Vielleicht dachte sie …«
»Dämonen denken nicht, Ethan. Sie reagieren triebgesteuert.« Sie blickte ihn bedeutungsvoll an. »Wie viele Menschen auch. Nein, wir müssen die beiden, die frei sind, nur einfangen und einsperren, und alles ist wieder in Ordnung. Ich weiß, wie das läuft.«
»Na gut. Aber dieser schwarze Kampfschütze, der auf mich geschossen hat, der weiß etwas über Dämonen. Der hätte mich in der ersten Nacht töten können, hat’s aber nicht getan. Und er hat mich vor Tura gerettet. Wenn ich ihn aufstöbern könnte, ihn zur Zusammenarbeit mit uns überreden …«
»Nur die Guardia können die Unberührbaren besiegen«, widersprach Glenda.
»Na, vorhin haben sich die Guardia aber nicht mit Ruhm bekleckert«, meinte Ethan.
»Mit deiner Hilfe werden wir wieder stark«, beharrte Glenda.
»Und noch stärker wären wir mit dem Mann-in-Schwarz. Der hat Waffen und Kenntnisse, die wir nicht haben. Wenn er uns helfen kann …«
»Wir dürfen niemandem trauen als den Guardia«, entgegnete Glenda. »Deswegen musst du stark und nüchtern sein …«
»Also gut.« Ethan fühlte, wie ihm vor Erschöpfung die Augenlider bleischwer wurden. »Besprechen wir das morgen früh.« Er streckte sich auf der Bank aus und schloss die Augen, um nicht weiter behelligt zu werden. Er hörte, wie sie sich erhob, und einen Augenblick später fühlte er, wie sie die Tagesdecke von ihrem Bett über ihn breitete und sanft rings um ihn herum feststopfte.
Nachdem es den Aufständischen in Afghanistan nicht gelungen war, ihn umzubringen, würde es seine Mutter sicher noch schaffen.
Muss die Dämonen wieder einfangen, muss eine Kampfeinheit organisieren … Er schlief langsam ein, aber seine letzten Gedanken galten dem Mann-in-Schwarz und wie er in Kontakt mit ihm kommen konnte.
Und wie dringend er einen Drink nötig hatte.
Mab wich vor Joe zurück. »Was bist du?«
»Ein Dämonenjäger«, wiederholte Joe. »Mein Hobby.« Er breitete die Arme aus. »Komm zu mir.«
»Warte mal ’ne Sekunde.« Mab zog ihren Kittel enger um sich. »Du hast gewusst, dass da Dämonen im Park waren? Und hast mir nichts davon gesagt?«
»Jeder weiß, dass Dämonen im Park sind. Die Legenden darüber werden seit vielen Jahren erzählt.«
»Na klar, Legenden. Aber kein wirklicher blaugrüner Nebel, der versucht, dich zu killen.« Mab schlang die Arme enger um sich. »Meine Mutter hat mir immer gesagt, dass Dämonen im Park wären … herrje, sie hat jedem gesagt, dass Dämonen im Park wären. Deswegen galten die Brannigans in Parkersburg immer als Ausgestoßene, deswegen bin ich von zu Hause weg und bis jetzt nie mehr zurückgekommen. Weil meine Mutter verrückt war. Nur dass ich jetzt herausfinde, dass sie doch nicht verrückt war.« Mab überlegte. »Na ja, sie war verrückt, aber nicht was die Dämonen betrifft. Die Dämonen sind echt. Da hatte meine Mutter recht. Und das bedeutet, dass alles, was ich über mein Leben hier dachte, über meine Jugend, über … die Wirklichkeit, alles falsch war. Es gibt wirklich Dämonen.« Ihre Brust schmerzte noch immer von der Anstrengung, um Luft zu ringen, ihren Herzschlag zu verteidigen. »Es gibt wirklich Dämonen. O Gott, o Gott.«
Joe seufzte und kam näher. »Mit dir ist doch alles in Ordnung, Mab. Herrje, du solltest stolz auf dich sein. Du hast dich gerade erfolgreich gegen einen Dämon gewehrt, der in dich fahren wollte. Wer kann das schon von sich behaupten?«
»Okay«, murmelte Mab. »Okay. Nur um das richtig zu verstehen: Dämonen gibt es wirklich, und du wusstest davon und hast mir nichts gesagt, und, ach ja, ich wäre beinahe draufgegangen. So ein verdammter Mist.« Sie schloss die Augen. »Bist du sicher, dass mit Ashley alles in Ordnung ist?«
»Ja, da bin ich sicher.«
»Weil mit mir nämlich nicht alles in Ordnung ist.«
»Doch, du bist in Ordnung.« Joe zog sie wieder an sich, und sie ließ es geschehen, denn sie brauchte jemanden, um sich anzulehnen. »Du bist sogar bei Bewusstsein geblieben. Den meisten Leuten gelingt das nicht. Sie wachen später wieder auf und glauben, sie hätten einen Blackout gehabt.«
Mab erstarrte. »Dieses Miststück hat versucht, mich abzumurksen.«
Joe zuckte die Achseln. »Oder sie wachen nicht mehr auf.«
»Ist Karl etwa auf diese Weise gestorben?« Mab kam ein Gedanke, und sie schob ihren Kittel auseinander, um ihre Brust zu betrachten. Eine schwache Wellenlinie zeichnete sich über ihrer linken Brust ab. »Verdammt. Lässt sich das abwaschen?«
»Na ja, wir könnten es ja versuchen«, meinte Joe und starrte darauf.
Mab schloss ihren Kittel wieder. »Schon gut, schon gut. Also, du jagst Dämonen? Hier? Kommen sie hierher? Nach Dreamland?«
»Sicher kommen sie her«, erwiderte Joe. »Sie essen Pfannkuchen, fahren mit dem Drachen, besetzen Leute. Warum reden wir nicht später darüber?« Er blickte sich im Dream Cream um. »Gibt’s hier irgendwas zu essen? Ich bin am Verhungern.« Er erhob sich und ging hinter die Theke. »Willst du auch was?«
Ich will, dass das nicht passiert wäre. Ich will die Zeit um eine Stunde zurückdrehen, als ich noch warm und glücklich im Bett lag. Hätte mir gleich denken können, dass das nicht anhält.
Er öffnete den Gefrierschrank. »Es gibt Schoko und ein rosafarbenes und ein gelbes Eis. Was möchtest du?«
»Das rosa Zeug ist ein Aphrodisiakum, und das gelbe ist ein Antidepressivum.« Sie legte eine Hand auf ihre linke Brust und rieb zornig an dem Zeichen herum.
»Wie wär’s, wenn ich von allem etwas nehme?«
»Egal.« Hör auf mit dem Selbstmitleid, rief Mab sich zur Ordnung. Mach lieber einen Plan. Bring das in Ordnung. »Also gut, das Wichtigste zuerst. Ist im Park jetzt gerade sonst noch jemand in Gefahr?«
»Der Park ist schon geschlossen, deswegen glaube ich: nein.« Joe holte eine Schüssel hervor und stellte sie auf die Arbeitsplatte. »Ich vermute, dass der Dämon inzwischen aufgegeben hat und dass Ashley jetzt schon auf dem Heimweg ist, allerdings sehr müde. Sie wird viele Stunden schlafen und dann munter wieder aufwachen.« Er wühlte in einer Schublade, fand einen Eiscremelöffel und begann, Eiscreme aus den Behältern zu schöpfen.
»Nein«, widersprach Mab. »Sie war verletzt. Da war ein kreisrunder Schnitt an ihrem Bauch. Er ging durch ihr Hemd, und da war Blut.« Sie blickte auf und sah, dass Joe innegehalten hatte und sich zu ihr umdrehte. »Weißt du, was das gewesen sein könnte?«
»Nein«, antwortete er. »Tura verletzt niemanden. Das muss jemand anderer getan haben.«
»Es war ein Kreis, ungefähr so groß …« Sie hob die Hände und formte einen Kreis in der Größe eines Armbandes, und dann fiel ihr wieder etwas ein. »Ethan wurde auch von so etwas getroffen. Das war ein Ring mit Zacken daran, aus Eisen.«
Joe blickte noch beunruhigter drein, während er den Gefrierschrank schloss. Er ließ den Eiscremelöffel ins Spülbecken fallen, steckte zwei Löffel in die Schüssel und ging damit um die Theke herum zu Mab. »Eisen ist etwas, was Dämonen nicht ertragen können. Also, wenn jemand mit etwas aus Eisen auf Ashley geschossen hat …«
»Dann wollten sie den Dämon erwischen.« Mab ergriff einen der Löffel. »Und das bedeutet, dass noch jemand hier auf Dämonenjagd ist, außer dir und der Guardia. Die Guardia, das sind die eigentlichen Dämonenjäger im Park.« Sie tauchte ihren Löffel in das Zitroneneis und ließ die kalte, sahnige Eiscreme auf der Zunge schmelzen. Sie begann, sich ein wenig besser zu fühlen. »Wer auch immer geschossen hat, die sind mit Hightech unterwegs.« Wieder überlegte sie. »Warte mal. Hightech-Ausrüstung. Ethan sagte, dass ein Mann-in-Schwarz im Park gewesen wäre. Ich wette, der war es.«
»Mann-in-Schwarz?«
»Tja, so nannte er ihn. Klingt irgendwie nach Geheimdienst … Dämonenjäger im Dienst der Regierung?« Mab fühlte, wie ihr Sinn für Realität an den Ecken ausfranste. Deprimiert legte sie den Löffel ab. Es war eine Sache, praktisch und gezielt zu recherchieren, aber es war etwas ganz anderes, praktisch und gezielt über Dämonen zu recherchieren.
»Also macht die Guardia Jagd auf Dämonen«, stellte Joe fest, »und die Regierung macht Jagd auf Dämonen, und ich mache Jagd auf Dämonen. Da können einem die Dämonen fast leidtun.«
»Bist du verrückt? Dieses Miststück hat Karl den Toten umgebracht …«
»Na, um Karl den Toten ist es wirklich nicht schade.«
»… und ich glaube, dass der andere Mistkerl in der FunFun-Statue vom Eingang steckte und mich umgerannt hat. Ethan hat ihn erwähnt, und Delpha auch. Fufluns.« Sie runzelte die Stirn. »Fufluns. FunFun. Wer immer den Clown FunFun genannt hat, wusste Bescheid über den Dämon Fufluns.« Sie aß einen Löffel Zitroneneis, denn nun hatte sie es wirklich nötig. »Und das bedeutet, dass diese Dämonen schon hier waren, als der Park 1926 gebaut wurde. Sie waren schon immer hier.«
Joe schob sich Löffel um Löffel Eiscreme in den Mund.
»Ist dir das ganz egal?«
»Nein. Aber ich habe es ja schon eine ganze Zeit lang gewusst. Versuche mal von dem rosa Aphrodisiakum-Zeug, das schmeckt wirklich gut.«
»Ich bin nicht in Stimmung für Liebe.«
»Genau deswegen solltest du das rosa Zeug probieren.«
»Also du gehst auf Dämonenjagd«, fuhr Mab fort, nun ganz konzentriert. »Und wie funktioniert das?«
Joe schüttelte den Kopf. »Iss deine Eiscreme. Wir können später über Dämonen reden, wenn du dann noch willst, aber im Augenblick machst du dich nur selbst verrückt damit.«
Mab rieb sich die Stirn. Da ließ er seinen Löffel in die Schüssel fallen und legte einen Arm um sie. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter und sagte: »Ich will nicht an Dämonen glauben.«
»Ich weiß, Baby.«
»Aber jetzt muss ich.«
»Ich weiß.«
»Meine Welt ist ein totaler Trümmerhaufen.«
»Nein, eigentlich nicht. Es ist nur eine neue Welt. Die alte ist futsch. Du hast noch gar keine Zeit gehabt, die neue in einen Trümmerhaufen zu verwandeln.«
»Mir hat die alte aber gut gefallen«, meinte Mab elend.
»Ach ja?«
»Ja. Ich hatte genug Arbeit, und es war interessant, und …«
»Du hattest kein Dreamland.«
»Ich habe auch jetzt kein Dreamland. Nach Halloween gehe ich fort.«
»Du hattest mich nicht.«
»Du gehst auch nach Halloween fort.«
»Mab«, sprach er betont, und als sie aufblickte, sah sie ihn zum ersten Mal ernst dreinblicken. »Hast du etwas dagegen, glücklich zu sein?«
»Ja«, antwortete sie, »weil es nie von Dauer ist.«
»Na ja, natürlich nicht. Wenn es dauerhaft wäre und du die ganze Zeit glücklich wärst, dann wüsstest du gar nicht, dass du glücklich bist.«
Mab runzelte die Stirn in dem Bemühen, ihm zu folgen.
»Lebe den Augenblick, Baby«, fuhr Joe fort und lächelte sie mit großer Zuneigung an. »Lass dich auf andere ein. Das ist alles, was du hast.«
»In meinem Augenblick gibt es Dämonen«, hielt Mab ihm entgegen. »Deswegen würde ich ehrlich gesagt lieber einen Schritt vorwärts tun, meiner Zukunft entgegen.«
»Gute Idee.« Joe legte beide Arme um sie. »Spiele deine Karten richtig aus, dann wirst du wieder besessen. Von mir.« Er küsste sie auf den Hals. »Na komm schon, lächle wieder.«
»Ich muss jemanden anrufen. Delpha. Ich muss ihr sagen, dass hier ein Dämon herumgeistert.« Mab schob seine Arme beiseite, erhob sich und ging hinter die Theke zum Telefon. Sie wählte Delphas Nummer, die auf einer Liste an der Wand stand. Während sie es klingeln ließ, wandte sie sich um, betrachtete Joe und dachte: Ich habe ihm vertraut, und er hat mich belogen. Aber hätte sie ihm wirklich geglaubt, wenn er ihr gesagt hätte: »Ich bin ein Dämonenjäger«?
Es klingelte und klingelte, und schließlich hängte Mab ein. »Sie geht nicht ran. Sicher ist sie bei Glenda.« Als sie den Hörer wieder abnahm und wählen wollte, kam Joe um die Theke herum und nahm ihr den Hörer aus der Hand.
»In diesem Park geschieht nichts, was Glenda nicht weiß«, erklärte er. »Sie weiß, dass die Dämonen frei sind. Es ist schon nach Mitternacht. Du kannst morgen früh mit ihr sprechen.«
Aber sie zögerte noch.
»Soll ich gehen?«, fragte er. Sie wollte schon Ja sagen, weil er sie belogen hatte, doch da fügte er hinzu: »Möchtest du heute Nacht allein sein?«, und da antwortete sie: »Nein.«
Er legte wieder seine Arme um sie. »Wir kriegen das schon hin. Morgen kannst du mit allen sprechen und ein Treffen organisieren und Nachforschungen betreiben und einen Plan machen. Aber jetzt brauchst du Schlaf. Und jemanden, der auf dich aufpasst und dir wieder ein Lächeln entlockt.«
»Okay«, gab sie nach, denn das klang gut.
»Dann lass uns jetzt ins Bett gehen«, schlug er vor und küsste sie wieder, und sie ließ es zu, und nach einem Augenblick begann sie, seine Küsse zu erwidern.
Ich hätte es ihm nicht geglaubt, wenn er es mir gesagt hätte, dachte sie, ich hätte es mir wahrscheinlich auch nicht erzählt.
Vielleicht zählt das nicht als Lüge.
»Na komm schon«, murmelte er, und sie folgte ihm hinauf ins Bett.
Als Mab am nächsten Morgen spät aufwachte, stellte sie erleichtert fest, dass Joe bereits fort war. Sie wollte mit Cindy und Delpha sprechen, nicht mit ihm. Gesunden Menschenverstand und übersinnliche Kräfte, das war es, was sie brauchte, nicht jemanden, der nach einem Dämonenüberfall versuchte, sie zum Lachen zu bringen.
Sie schlüpfte in ihre Kleider und ging hinunter, aber das Dream Cream war voller früher Lunch-Gäste, einschließlich Ashley, die jedem erzählte, was für einen unglaublichen Blackout sie am vergangenen Abend gehabt hatte – an zwei Abenden hintereinander, war das zu glauben? – und dass sie nun wirklich mit dem Trinken aufhören müsse. Auch Dick und Doof vom Bier-Pavillon waren da, wobei der Dürre bereits wieder voll in Fahrt war – »Also der beliebteste Eiscremegeschmack is’ ja Vanille, dann kommt Schokolade, aber Vanille schlägt Schokolade um Meilen. An dritter Stelle kommt Erdbeere, aber das wird immer mit Butterschmalz gebunden, und was soll das?« –, sowie der Kerl mit den Coke-Flaschen-dicken Brillengläsern, der wieder an der Theke saß, diesmal mit dem Handy am Ohr. Ganz am Ende, neben ihm, war noch ein Hocker frei, auf den er seinen Filzhut gelegt hatte, aber als er Mab herankommen sah, nahm er ihn fort.
»Danke«, sagte sie und setzte sich, wobei sie ihre Arbeitstasche zu Boden gleiten ließ. Hinter ihnen lief der Dürre zur Höchstform auf.
»Aber der Geschmack, der an vierter Stelle kommt, is’ ein echter Hammer: Neapolitano, fünf verschiedene Schichten. Ich glaube, das is’ für alle, die nich’ wissen, was sie wollen, das is’ meine Meinung. Halte dich an Vanille, sage ich dir, das is’ nie verkehrt. Neunundzwanzig Prozent aller Amerikaner nehmen Vanille, und das is’ mir gut genug.«
»Schokolade«, meinte der Dicke.
»Na gut«, erwiderte der Dürre.
Cindy kam die Theke entlang zu Mab und blickte fast ärgerlich drein.
»Diese Kerle treiben mich zum Wahnsinn. Erzähl mir von gestern Abend, und rede bitte laut, damit du das dünne Gerippe da übertönst.«
»Könnten wir in den Lagerraum gehen?«, bat Mab, die ihre schlimmen Neuigkeiten nicht Dick und Doof oder dem Kerl mit der Brille und dem Hut auf die Nase binden wollte.
»So ’ne tolle Story?« Cindy rief über die Theke hinweg ihrer Aushilfe zu: »Emily, schrei, wenn du mich brauchst.«
Emily blickte mit weit aufgerissenen Augen in die volle Gaststube, und Mab schob sich um den Brillen-Kerl herum und folgte Cindy zum Lagerraum. Als sie sich umwandte, um die Tür hinter sich zu schließen, sah sie, dass der Brillen-Kerl sie durch die dicken Brillengläser hindurch kühl beobachtete.
Ein Dämon?
Jetzt lächelte er sie an, ein kurzes Lächeln, das genauso schnell wieder verschwand, aber trotzdem ein gutes Lächeln, geradeaus und undämonisch …
»Mab?« Cindy weckte sie aus ihren Gedanken.
Sie schloss die Tür und fragte: »Was weißt du über diesen Kerl mit der dicken Brille?«
»Der kommt jeden Tag. Seine Frau Ursula ruft ihn oft an. Er mag sie nicht.« Cindy stemmte die Hände in die Hüften. »Also, mein Mädchen. Ich habe gesehen, dass meine Kondome weniger geworden sind. Du hast keine Wasserballons gebastelt, oder?«
Mab holte tief Luft. »Ich war von einem Dämon besessen.«
Cindy fuhr zurück. »Wow, so gut war er?«
»Nein«, entgegnete Mab. »Na ja, irgendwie schon, aber …«
Cindy hob die Hände. »Du hast so was wie den Lotteriehauptgewinn im Leben gezogen. Roboterclowns und Legenden, die wahr werden, und jetzt auch noch einen Dämon im Bett. Ich dagegen mache schon fünfzehn Jahre lang Eiscreme, und mir ist noch nie so was passiert.«
Mab stutzte. »Fünfzehn Jahre?«
Cindy nickte. »Ich arbeite schon länger als fünfzehn Jahre in Dreamland, aber mit achtzehn habe ich angefangen, Eiscreme zu machen. Und in diesen fünfzehn Jahren habe ich nie solche Dinge erlebt wie du in den letzten drei Tagen.«
»Du bist schon fünfzehn Jahre lang hier? Und hast nie etwas von den Dämonen bemerkt?«
»Na ja, einmal habe ich geheiratet und bin nach Columbus gegangen. Aber ich habe nur bei McDonalds einen Job gekriegt, und das war nicht das Gleiche. Also bin ich wieder hierher zurückgekehrt. Und vor etwa fünf Jahren hat mir ein schickes Restaurant in Cincinnati angeboten, nur für sie Eiscreme zu machen, also ging ich hin, aber nach zwei Monaten war ich wieder hier. Die mochten meine Eiscreme, aber ich wusste, dass da etwas nicht stimmte. Nur hier gelingt mir wirklich meine beste Eiscreme. Das ist für mich wie das Restaurieren von Vergnügungsparks für dich. Wenn du mal rausgefunden hast, wozu du bestimmt bist, dann musst du das machen.«
»Aha«, machte Mab. »Und hast du das mit dem Dämon überhört?«
»Joe, der dämonische Supermann?«, fragte Cindy.
»Nein, echte Dämonen. Es gibt wirkliche Dämonen im Park.«
Cindy sah sie verwirrt blinzelnd an.
»Sie sind echt. Dämonen. Wirkliche Dämonen. Von einem war ich gestern Abend besessen. Erst war er in Ashley. Sie klopfte hier an die Tür, und ich ließ sie rein, und dann fuhr der Dämon aus ihr heraus und in mich hinein und versuchte, mein Herz und meine Atmung zu lähmen. Die sind echt. Und Joe weiß darüber Bescheid. Er ist hier, um Jagd auf sie zu machen. Und Delpha und Glenda und Gus, die sind Guardia, die …«
Cindy zog sich einen Tritthocker heran und sank darauf nieder. »Dämonen.«
»Die sind echt. Ich schwöre, es sind echte Dämonen. Sie fahren in die Leute hinein. Die können in jedem stecken. Vielleicht auch in dem Brillen-Kerl an der Theke. In jedem.«
Ihre Stimme wurde ein wenig schrill, und Cindy erhob sich und schob ihr den Tritthocker hin.
»Ich bin immer noch ziemlich aufgeregt«, meinte Mab und hockte sich darauf.
»Das kann ich … tja«, stammelte Cindy. »Dämonen. Okay.«
»Glaubst du mir?«
»Ich glaube, du bist der einzige Mensch, dem ich glauben würde. Mit dir geht die Fantasie nicht durch … du alberst nicht herum. Wenn du sagst, dass es hier Dämonen gibt, dann gibt’s hier Dämonen. Wow. Tja, und was jetzt?«
»Ich muss mit Delpha reden.« Mab nickte entschlossen. »Sie hat versucht, mir von ihnen zu erzählen, aber ich wollte nicht zuhören. Jetzt werde ich zuhören.«
»Gut.« Cindy nickte ebenfalls. »Delpha ist gut. Sprich mit ihr. Und merke dir alles gut, und komm dann wieder hierher, um es mir zu erzählen, denn das ist wirklich …«
»Unglaublich?«
»Aufregend«, meinte Cindy. »Na ja, weißt du, so lange niemand sterben muss, natürlich, oder so was.«
»Karl der Tote«, sagte Mab.
»Sonst niemand«, verbesserte sich Cindy. »Und sieh’s mal positiv: Du schläfst mit einem Dämonenjäger.«
»Tja«, meinte Mab.
»Und was hast du daran auszusetzen?«
»Er hat mich angelogen. Na ja, er hat mich nicht angelogen, aber er hat mir nicht gesagt, dass er ein Dämonenjäger ist. Das ist doch ein starkes Stück.«
Cindy runzelte die Stirn. »Ich finde nicht, dass das etwas ist, was man einer Frau erzählt, wenn man sie ins Bett kriegen will.«
Mab bedachte das. »Ein Punkt für dich. Aber …«
»Hat er gesagt: ›Ich bin kein Dämonenjäger‹?«
»Nein.«
»Hat er gesagt, dass er was anderes wäre?«
»Nein.«
»Und er ist gut im Bett.«
»Ja«, antwortete Mab.
»Also, vielleicht solltest du in dem Fall deine Ansprüche ein bisschen runterschrauben«, meinte Cindy.
Emily klopfte von draußen an die Tür und rief: »Cindy?« mit einer hohen, zittrigen Stimme, die ausdrückte: »Hilfe«, sodass Cindy die Tür öffnete und sich noch einmal kurz zu Mab umdrehte.
»Ich helfe dir, so gut ich kann. Kann man Dämonen mit Eiscreme bekämpfen?«
»Wenn das jemand schafft, dann du«, meinte Mab und folgte ihr zurück in die Gaststube.
Der Kerl mit den Coke-Flaschen-dicken Brillengläsern hatte eine Zeitung aufgeschlagen vor sich, aber er starrte in seinen leeren Kaffeebecher.
»Ich mach das für dich.« Mab holte die Kaffeekanne, und als sie ihm seinen Becher auffüllte, blickte er auf und sagte: »Danke.«
Sie blickte in seine scharfen grauen Augen, die sogar durch diese dicken Brillengläser noch scharf waren, und sie versuchte zu ergründen, ob darin ein Dämon steckte …
»Stimmt irgendwas nicht?«, erkundigte er sich, und sie merkte, dass sie ihn angestarrt hatte.
»Nein, nein.« Sie stellte die Kaffeekanne zurück. »Tut mir leid. Ich habe nur …«
Seine Augen waren hinter diesen Brillengläsern wirklich sehr scharf. Solch dicke Gläser sollten nicht so klar sein, sie verzerrten doch immer alles, was dahinter war …
»Sind das einfach klare Brillengläser?«, fragte sie.
»Nein.« Er hob seinen Kaffeebecher. »Verordnet.«
»Ach.« Sie zögerte, aber er wandte sich wieder seiner Zeitung zu, und so ging sie um den Tresen herum und mit Winken zu Cindy zur Tür, um sich von Delpha ein paar Antworten zu holen.
Ein scharfer, kurzer Pfiff ließ sie sich umdrehen.
Er hielt ihre Arbeitstasche mit einer Hand in die Höhe, ohne den Blick von der Zeitung zu heben, und trank dabei Kaffee.
Sie ging hin und übernahm die Tasche. »Vielen Dank«, sagte sie, und er nickte, den Blick noch immer auf seiner Zeitung, aber sie sah wieder das Grinsen aufblitzen.
Also ist er wahrscheinlich kein Dämon, dachte sie und ging, um Delpha zu suchen.
Mab ließ ihre Arbeitstasche bei dem Wahrsager-Automaten zurück und eilte den Hauptweg hinunter zum hinteren Teil des Parks, wo Delphas Wohnwagen stand. Unterwegs ignorierte sie jeden, außer Sam vom Wartungspersonal, der ihr Winken mit einem höflichen »Hallo« beantwortete, als wären sie sich noch nie begegnet – so viel zu ihren Schmetterlingen –, und Carl Whack-a-Mole, der mit ärgerlicher Miene vor seiner Bude stand.
»Was ist denn los?«, fragte sie und verlangsamte ihren Schritt.
»Hier hat letzte Nacht jemand eingebrochen«, erwiderte er mit Abscheu in der Stimme. »Nichts geklaut, aber ein paar Teddybären sind schmutzig. Macht doch gar keinen Sinn.«
»So was passiert immer wieder«, meinte Mab. »Ich muss zu Delpha, aber danach kann ich kommen und Ihnen helfen, wenn …«
»Nöö«, meinte Carl. »Kann den Leuten keine dreckigen Bären geben. Muss ein paar neue rausholen. Aber trotzdem, vielen Dank.«
»Bitte, gern geschehen«, erwiderte Mab und setzte sich wieder in Marsch, an der Drachenbahn und der hünenhaften orangefarbenen Ringerstatue vorbei, und dann durch den Wald, zwischen Old Freds und Hanks leer stehendem Wohnwagen zur Linken und Gus’ und Glendas Wohnwagen zur Rechten den Pfad entlang bis zum Ufer der Insel, wo Delphas alter silbriger Airstream-Wohnwagen stand.
Als sie näher kam, sah sie, dass die Tür offen stand, was ihr seltsam vorkam, denn es war kalt.
Zu kalt.
Da stimmt was nicht, dachte Mab, und obwohl die Tür ihr im Weg war, sah sie plötzlich Delpha auf dem Boden liegen, die Augen starr zur Decke gerichtet, die Hände zu Fäusten geballt …
»Nein, nein, oh nein!« Mab rannte zum Wohnwagen und riss die Tür weit auf.
Da lag Delpha auf dem Boden, die Augen starr zur Decke gerichtet, die Hände zu Fäusten geballt …
»Glenda!«, schrie Mab, wandte sich um und rannte zurück zu Glendas Wohnwagen.