Kapitel 2
Mab hatte sich von Glenda zum Dream Cream führen und auf einen der pinkfarbenen Barhocker an der Theke setzen lassen. Eigentlich wäre sie am liebsten durch die Tür nach hinten verschwunden, die kleine Treppe hinauf zu Cindys Wohnung und in ihr Bett – Alleinsein und Ruhe –, aber ihr war schwindelig, und ihr Kopf schmerzte, und sie hatte irgendwo gelesen, dass man bei einer Gehirnerschütterung nicht einschlafen sollte. Außerdem musste sie herausfinden, was sie da getroffen hatte. Sollten sich die verdammten Kinder von der nahe gelegenen Schule einen Spaß mit der Statue am Eingangstor erlaubt haben, auf deren Wiederherstellung sie so viel Zeit und Mühe verwendet hatte, dann würden Köpfe rollen.
Vorsichtig betastete sie ihren Hinterkopf. Es tat weh.
»Ich bringe Ihnen ein kaltes Tuch«, meinte Glenda. »Sie sehen etwas … elend aus.«
»Vielen Dank.« Mab ließ ihren Kopf sinken. Die Thekenoberfläche hatte ein Muster mit pinkfarbenen Wirbeln, deswegen wandte sie den Blick ab und versuchte, sich auf die Spiegelwand dahinter zu konzentrieren, auf die Glasregale mit den Eisschalen und Milchshake-Gläsern und auf die schwarze Schiefertafel, auf die Cindy ihre jeweiligen speziellen Eiscreme-Geschmacksrichtungen des Tages schrieb.
Glenda klappte eine in die Theke integrierte Klappe hoch und ging zur anderen Seite. Sie nahm ein sauberes Handtuch aus der Schublade, hielt es unter fließendes, kaltes Wasser, wrang es aus und ging damit zu Mab zurück.
»Halten Sie still«, befahl sie und drückte es gegen Mabs Hinterkopf, wo es einen Augenblick lang einen stechenden Schmerz verursachte und dann einfach guttat.
»Das tut gut«, sagte Mab zu Glenda. Im nächsten Augenblick wurde die Tür geöffnet, und sie hörte die Stimme ihres Onkels Ray: »Was, zum Teufel, ist denn hier passiert?«
»Sie hat sich den Kopf angeschlagen«, antwortete Glenda knapp. Sie wechselte wieder zur anderen Seite der Theke, besah sich das blutige Handtuch und warf es in den Abfalleimer.
Ray setzte sich auf den Barhocker neben Mab, und sein in die Jahre gekommener, muskulöser Körper war ihr unangenehm nahe. »Bist du in Ordnung?«
»Wird schon wieder.« Erneut betastete Mab ihren Hinterkopf und sah dann ihre Hand an. Kein Blut. Das war schon besser.
»Was tun Sie hier?«, fragte Glenda Ray. »Es ist nach Mitternacht.«
»Hab lange gearbeitet, wie alle hier«, erwiderte Ray in einem Versuch zu scherzen, aber das lag ihm nicht. Er machte eine Kopfbewegung zur Rückseite des Ladens, wo er einen kleinen Camper stehen hatte, den er als Büro benutzte. »Ein paar Aktenordner auf den neuesten Stand gebracht.« Er wandte sich samt seinem bemühten Lächeln Mab zu. »Wie fleißig du bist, Mary Alice. Ich hab’s ja gesagt, dass sie großartig ist, oder, Glenda?«
Glenda nickte Mab zu. »Ich mache Ihnen eine Tasse Tee«, meinte sie und begann, den Wasserkessel zu füllen.
»Lass mich deine Augen ansehen«, forderte Ray Mab auf, und sie wandte sich ihm zu und sah ihn an, während er sich zu ihr vorneigte, groß und selbstsicher und teuer gekleidet in dem Burberry-Mantel mit dem kleinen schwarz-goldenen Ranger-Abzeichen, das er sich wie ein Designer-Etikett an den Aufschlag geheftet hatte.
Er legte ihr die Hand unters Kinn, was ihr verhasst war, und betrachtete sie prüfend, und sie bemerkte, dass sein breites, gut aussehendes Gesicht vom Alter langsam aufgedunsen wurde. Er sollte den Leuten lieber nicht zu nahe kommen, befand sie. Aus der Entfernung sah er besser aus.
Er nickte. »Sieht ganz in Ordnung aus. Pupillen nicht vergrößert. Was ist passiert?«
»Ein Clown hat mich umgerannt.« Mab wich vor seiner Hand zurück. In ihrem Kopf pochte der Schmerz. »Könnte ich ein Aspirin kriegen, Glenda?«
»Sicher doch.«
Glenda verschwand im hinteren Teil des Ladens, und Ray lehnte sich zurück.
»Bald geht’s dir wieder besser. Bist du so weit, mit dem Wahrsager-Automaten anzufangen?«
»Ja«, antwortete Mab, und da öffnete sich die Tür, und Delpha kam mit ihrem Vogel herein.
»Hier, bitte sehr.« Glenda reichte Mab die Aspirintablette, und Delpha setzte sich neben sie, Frankie auf ihrer Schulter.
»Genau, wie wir vermutet haben«, sagte sie zu Glenda. »Er ist weg.«
Mab betrachtete die Menschen um sich herum: Glenda, deren platinblondes Haar sich sträubte, ihre blauen Augen voller Anspannung; Ray, dessen Haifischaugen sie aus seinem langsam aus den Fugen gehenden Gesicht heraus anstarrten; und Delpha, die Frankie auf der Schulter trug und mit ihren tief liegenden Augen fast ebenso totenkopfähnlich wirkte wie die in Mullgewebe gehüllten Geister im Park. Sie alle erschienen Mab merkwürdig, als täten sie nur so, als wäre alles in Ordnung. Frankie wirkte von ihnen allen noch am normalsten.
»Also, wer war nun dieser Clown, der dich zu Boden geschlagen hat?«, erkundigte sich Ray und versuchte, jovial zu lächeln, doch seine Anspannung war offensichtlich.
»Ich glaube, es war der FunFun vom Eingangstor«, erklärte Mab, und Rays Lächeln erlosch.
»Der FunFun vom Eingangstor? Ich dachte, du meinst mit Clown einen Kerl …«
»Das hat sie nur halluziniert«, mischte Glenda sich ein und starrte ihn an. »Sie hat sich den Kopf angeschlagen und diesen FunFun halluziniert …«
»Ach ja, zum Teufel, sie hat ihn halluziniert«, stimmte Ray zu. »Clowns aus Eisen rennen ja auch nicht herum, das wäre verrückt.«
Es klang merkwürdig, so als versuchte er verzweifelt, es nicht merkwürdig klingen zu lassen.
»Merkwürdig«, sagte Mab laut.
»Was?«, fragte Ray, und seine Augenbrauen zogen sich zusammen.
»Ich bin mit dem Karussell fertig«, erklärte Mab, um ihn auf andere Gedanken zu bringen.
»Ah, gratuliere«, erwiderte Ray. »Dann kannst du ja jetzt mit dem Wahrsager-Automaten anfangen.«
»Das habe ich vor«, sagte Mab. »Könntest du jetzt verschwinden?«
»So spricht man nicht mit seinem Chef«, meinte Ray, und seine Jovialität schwand.
Mab schüttelte den Kopf und bedauerte es sofort, denn ihr Kopf pochte umso stärker. »Du bist nicht mein Chef. Ich bin mein Chef. Ich habe in diesem Park hervorragende Arbeit geleistet, und morgen, wenn meine Kopfschmerzen vorbei sind, werde ich mit dem Wahrsager-Automaten anfangen, und der wird genauso fantastisch wie alles andere, und dann wirst du sagen: ›Vielen Dank, Mary Alice‹, und dann werde ich mich meinem nächsten Auftrag widmen, wo ich auch wieder mein eigener Chef bin und wo ich auch wieder hervorragende Arbeit leisten werde.« Sie dachte an den eisenummantelten FunFun vom Eingangstor, an die schönen glatten Streifen auf seiner Jacke, das Glitzern, das sie in seine türkisen Augen gemalt hatte, den Glanz der mehrfachen Lasuren auf seiner Weste. Sollte ihn jemand beschädigt haben …
»Du hast ja eine interessante Einstellung zum Angestelltendasein«, meinte Ray mit Schärfe in der Stimme.
»Ich habe eine interessante Einstellung zu allem.« Mab wandte sich von ihm ab und nickte Glenda zu, die nervös mit einer Zigarette auf die Zigarettenpackung klopfte. »Jetzt geht’s mir wieder besser, ich werde rauf und ins Bett gehen. Gehen Sie nur, und kümmern Sie sich um Ihren Sohn.«
»Ich gehe gleich zu Ethan. Aber Sie setzen sich erst mal und trinken etwas Tee«, meinte Glenda, aber dabei blickte sie zur Tür.
»Ethan?« Ray wandte sich zu Glenda um. »Ist er hier?«
»Ist heute Abend angekommen.« Glenda zündete ihre Zigarette an. »Hat seinen Abschied von der Army genommen.«
»Das hätten Sie mir sagen sollen«, sagte Ray. »Warum ist er denn hierhergekommen?«
Glenda inhalierte und blies den Rauch von Mab weg. »Er – ist – gerade – erst – angekommen.«
Mab rutschte vom Barhocker, machte einen Bogen um Ray und setzte sich ans Ende der Theke, um durch die beschlagenen Fenster auf den leeren, dunklen Weg hinauszublicken. Es war zu dunkel, um bis zum Eingangstor sehen zu können, wo der FunFun hätte stehen müssen, aber sie sah ihn noch vor sich, wie er ausgesehen hatte, als er sie niedergestoßen hatte, überlebensgroß, und er hatte ihren Namen gesagt. »Wisst ihr, als der Clown zu mir sprach, brach die Metallschicht an seinen Wangen. Das ist ein schlimmer Schaden, nicht einfach zu beheben. Gut, dass es nur eine Halluzination war.« In der spiegelnden Fensterscheibe sah sie Glendas Gesichtsausdruck, eindeutig schockiert.
»Er hat Ihren Namen gesagt?«, fragte Glenda.
»Der Clown hat zu dir gesprochen?«, fragte Ray.
Sie drehte sich auf ihrem Hocker zu ihnen herum. »Das habe ich halluziniert. Er sagte: ›Mab‹, und das Metall auf seinem Gesicht splitterte, ich sah das Holz darunter« – der Gedanke daran machte sie krank –, »und dann streckte er mir die Hand entgegen, um mir aufzuhelfen, und ich hörte noch mehr Metall bersten, und dann schrie ich, und er rannte weg.«
»Pure Halluzination«, stellte Ray sofort fest. »Das ist nie passiert. Schlag dir das aus dem Kopf.«
Glenda starrte ihn an. »Wenn sie darüber reden will, dann soll sie das tun. Sie machen sie wütend.«
»Ich bin nicht wütend. Ich werde nicht wütend. Nur wenn da jemand herumrennt und meine Arbeit kaputtmacht, dann könnte ich wütend werden.« Mab blickte sie der Reihe nach an, aber niemand schenkte ihr Aufmerksamkeit. Ray schaute Glenda finster an, Glenda nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette und starrte Ray an, Delpha schüttelte den Kopf, und auf ihrer Schulter trat Frankie von einem Fuß auf den anderen. »Irgendwas habe ich da nicht mitgekriegt, oder?«, erkundigte sich Mab.
»Nichts«, erwiderte Glenda, und es klang endgültig. Der Wasserkessel begann zu pfeifen, sie legte ihre Zigarette auf den Rand des Spülbeckens und nahm den Kessel hoch, sodass das unangenehme Kreischen abbrach.
Ray erhob sich. »Dieser Mangel an Sicherheit im Park gefällt mir nicht«, sagte er zu Glenda. »Da dringt jemand ein, schleicht durch den Park, schlägt Leute zu Boden. Wir hatten eine Abmachung. Ich zahle für die Restaurierungsarbeiten, und Sie leiten den Betrieb. Wenn Sie dazu nicht in der Lage sind, dann muss ich das übernehmen.«
»Nur über meine Leiche«, entgegnete Glenda.
Ray erstarrte, und Mab erkannte, wie groß er wirklich war, so drohend vor Glenda aufgebaut, die selbst kein Zwerg war. »Wenn Sie es so haben wollen«, erwiderte er mit ungutem Lächeln, und Glenda tat einen Schritt vor und fixierte ihn mit gefährlicher Entschlossenheit.
Was soll das, zum Teufel?, fragte sich Mab. »Hey«, rief sie, und die beiden fuhren zu ihr herum. »Ich weiß nicht, was hier vorgeht, aber lasst das gefälligst sein.«
Ray blickte Glenda wieder an und sagte mit sanfter Stimme: »Kommen Sie mir nicht in die Quere, Glenda. Sie haben keine Ahnung, wie mächtig ich wirklich bin.«
Dann wandte er sich ab, ging an Delpha vorbei und durch die Hintertür hinaus, und einen Augenblick später krachte die Außentür ins Schloss.
»Tja, und du hast keine Ahnung, wie mächtig ich bin, du Armleuchter«, murmelte Glenda zur Hintertür, dann wandte sie sich wieder zu Mab um und fragte: »Und wie wäre es jetzt mit einer Tasse Tee?«
Irgendetwas lag hier im Argen, da war sich Mab sicher, aber ihr brummte der Kopf, und sie war sehr müde, und sie hatte für einen Abend genug an Unwirklichem erlebt.
»Wunderbar«, antwortete sie und setzte sich an ihren alten Platz an der Theke.
Ethan stürzte rückwärts zu Boden, wobei die alte Kugel in seiner Brust brannte. Mühsam hob er den Kopf und schnappte nach Luft.
Der Schütze, ganz in Schwarz gekleidet, mit Maske und Nachtsichtgerät auf dem Kopf, beobachtete ihn einen Augenblick lang, dann sprintete er in Richtung Vorderseite des Parks davon. Ethan wollte die Pistole heben und feuern, aber der Schmerz in seiner Brust war zu stark. Er ließ den Kopf zurückfallen und schloss die Augen, vom Schmerz überwältigt, und wartete darauf, zu sterben.
Als der Schmerz nach einer Weile nachließ und er noch immer atmete, öffnete er die Augen und sah Gus, der sich besorgt über ihn beugte. »Bist du okay?«
»Wer war das?«, stieß Ethan mühsam hervor.
»Keine Ahnung.«
»Passiert das hier öfter?«
»Noch nie«, erwiderte Gus und half Ethan dabei, sich aufzusetzen.
»Großartig.« Ethan atmete vorsichtig ein. Der Schmerz war noch immer stark, aber auszuhalten.
»Wir haben andere Probleme«, erklärte Gus. »Nur viermal Rattern. Das heißt, ein Dämon ist weg.« Und kopfschüttelnd: »Wenn wir Glück haben, ist ’s nur Fufluns, nicht Selvans oder gar dieser Teufel Kharos.«
Ethan rieb sich über die Brust, noch immer nach Atem ringend. »Gus, vergiss die Dämonengeschichten. Wir haben hier im Park jemanden mit einem Gewehr …«
»Geschichten?«, fragte Gus beleidigt. »Wir haben hier ’n Dämon, der frei rumrennt.« Er schüttelte den Kopf. »Hätte ich mir eigentlich denken sollen, als Mab niedergerannt wurde.«
Gus glaubte an die Dämonen. Ethan schloss die Augen. Er war zu lange fort gewesen. Gus schien mehr verloren zu haben als nur sein Gehör, und Glenda hatte sich wahrscheinlich ganz allein darum bemüht, den Laden zusammenzuhalten. Dieser plötzliche Impuls, nach Hause zurückzukehren, war vielleicht gar nicht so dumm gewesen.
Auch wenn es dazu geführt hatte, dass er wieder niedergeschossen wurde.
»Wir müssen die Bullen rufen«, meinte Ethan und versuchte, aus eigener Kraft aufzustehen.
»Keine Bullen«, entgegnete Gus. »Bullen kommen nicht gegen Dämonen an.«
»Vergiss die Dämonen.« Ethan hielt sich an Gus’ Schulter fest und kam auf die Füße. »Wir haben einen wild gewordenen … autsch.« Er zuckte zusammen und legte sich eine Hand auf die Brust. »Verflucht noch mal.«
»Wir sollten lieber zur Erste-Hilfe-Station fahren«, meinte Gus und versuchte, Ethan zu stützen.
»Die Kugel ist nicht durch meine kugelsichere Weste durch«, beruhigte Ethan ihn.
»Trotzdem.« Gus schlang den Arm um Ethan. »Du weißt doch, wie Glenda ist.«
Ethan hatte zu starke Schmerzen, um zu streiten. Er nickte nur und begann, auf den alten Mann gestützt, den Hauptweg hinunterzuhumpeln.
»Bin froh, dass du wieder zu Hause bist«, murmelte Gus. »Gerade rechtzeitig.«
»Klar«, erwiderte Ethan und humpelte weiter.
Glenda stellte einen Becher mit heißem Wasser vor Mab hin und tauchte einen Beutel Pfefferminztee hinein. »Damit geht’s Ihnen gleich wieder besser, Schätzchen.«
Mab zog den Becher zu sich heran. »Tut mir leid wegen Ray. Der ist manchmal ein bisschen gruselig.«
Glenda nickte. »Was gesellschaftliche Tugenden betrifft, könnte Ihre Familie ein wenig Nachhilfe gebrauchen.«
Mab rührte in ihrem Tee und dachte an ihre Großmutter, die besondere Kräfte gegen das Böse besessen und für die Nachbarn Exorzismus betrieben hatte, und an ihre Mutter, die jedes Jahr bei Halloween mit ihrem Protestschild mit der Aufschrift »Da steckt der Teufel drin!« vor Dreamland gestanden und verlangt hatte, den Park zu schließen. Sie hatte zumindest erreicht, dass Mab, um eine Verabredung oder einen Freund zu ergattern, in eine andere Stadt fahren musste. Und nun hatte ihr Onkel versprochen, den Park auf Vordermann zu bringen, und hatte sich damit trotz seines nicht vorhandenen Charmes und seiner Familie voller Verrückter zum Bürgermeister wählen lassen. »Wir haben keine gesellschaftlichen Tugenden. Danke für den Tee.«
Glenda beugte sich über die Theke. »Hat der Clown denn noch irgendwas gesagt?«
»Äh, nein.« Mab blies über ihren heißen Tee und blickte Glenda abwartend an, was als Nächstes kommen würde.
Glenda nickte unverbindlich. »Haben seine Augen … geblitzt oder geleuchtet oder … so was?«
»Natürlich nicht. Die sind türkis gemalt. Ich habe sie türkis gemalt. Ich mag ja vielleicht halluzinieren, aber das habe ich mit Sorgfalt gemacht.«
»Natürlich haben Sie das.« Glenda warf Delpha einen hilfesuchenden Blick zu.
Delpha nickte.
»Also«, fuhr Glenda fort, »war da nichts … Seltsames an ihm?«
»Es war ein Roboterclown. Das war für meinen Geschmack seltsam genug.«
»Natürlich war es das.« Glenda tätschelte ihre Hand. »Machen Sie sich keine Sorgen. Wir werden die Statue morgen schon finden. Wenn sie beschädigt ist, gehen Sie einfach noch mal drüber, dann ist sie so gut wie neu.«
Mab blickte sie ungläubig an. Drübergehen? Diese Weste war lackiert, in zehn Schichten, um ihr diese Tiefe zu verleihen. Sie hatte Schatten in die Falten der Weste gemalt, einzelne Haare in diesen roten Locken betont, winzige silberne Pünktchen in die Augen gemalt, um sie funkeln zu lassen …
Einfach noch mal drübergehen?
Sie nahm ihren Teebecher und glitt von dem Barhocker, bevor Glenda noch irgendetwas Dämliches sagen konnte. »Vielen Dank für den Tee und die Erste Hilfe, aber ich muss jetzt zu Bett gehen …«
Delpha richtete sich plötzlich auf und sagte: »Ethan ist verletzt«, und Glenda drückte ihre Zigarette im Spülbecken aus und eilte zur Vordertür.
»Woher wissen Sie das?«, fragte Mab, aber Delpha war schon hinter Glenda durch die Tür verschwunden.
Mab ging zur Tür und sah, dass Gus Ethan stützte, während sie vom Drachen zurückgeschwankt kamen. Dabei wirkte Ethan eher betrunken als verletzt. Glenda legte ihre Arme um die beiden, und sie bewegten sich zu der bonbonfarbenen Erste-Hilfe-Station hinüber, die sich gegenüber dem Dream Cream befand. So ineinander verschlungen wirkten sie wie eine Familie, zwar eine seltsame Familie, aber immerhin, liebevoll und hilfreich. Sogar Frankie, der über ihnen flog, kurvte wie Lassie um sie herum.
Die einzige Familie, die Mab geblieben war, war wohl Ray, aber wenigstens war der normal.
Mehr oder weniger.
Aber wozu brauchte sie überhaupt eine Familie.
Es war inzwischen nach Mitternacht, und ihr Kopf schmerzte, und Ethan hatte seine Familie, die sich um ihn kümmerte, also verschloss sie die Vordertür, schaltete die Lampen aus und nahm ihre Arbeitstasche mit hinauf. Morgen würde sie herausfinden, was mit dem FunFun vom Eingangstor geschehen war, und falls irgendetwas mit ihm nicht stimmte, dann gnade Gott demjenigen, der ihre Arbeit sabotiert hatte.
Das sollte besser wirklich eine Halluzination gewesen sein, dachte sie und ging zu Bett.
Kharos hatte vor sich hingedöst, davon geträumt, wie er den Park und die Welt eroberte, als ihn ein Aufwallen von Macht weckte.
Einer hatte sich befreit.
Er konzentrierte sich auf die Suche nach dem Bösewicht, dem einen von vieren, der ihm nicht gehorchte, aber er wusste bereits, dass es nur einer von zweien sein konnte. Vanth war immer gehorsam, und Selvans würde ohne seinen Befehl keinen Schritt tun, aber …
Wieder ein Aufwallen von Macht, ein weiterer Unberührbarer frei, nun waren es zwei, Fufluns und Tura. Wie sehr sie seinem Plan schaden konnten!
Ray kam heran, setzte sich neben die Teufelsstatue und zündete sich eine Zigarre an. Dann klopfte er auf das Metall und rief: »Hey.«
Wäre Kharos frei gewesen, hätte er ihn zerquetscht wie eine Fliege.
»Die Sache mit der guten und der schlechten Neuigkeit«, begann Ray, lehnte sich zurück und paffte ein paarmal. »Fufluns ist draußen.«
WIE IST ER HERAUSGEKOMMEN?
Ray nahm die Zigarre aus dem Mund. »Mab hat den Schlüssel hineingesteckt, und als ich nach der Urne sehen wollte, war die Statue fort. Die College-Schüler klauen diese verdammte Statue immer wieder, deswegen schätze ich, dass seine Urne zerbrochen war, und so konnte Fufluns raus und ab durch die Mitte.«
FINDE IHN, UND BRING IHN ZU MIR.
»Wie denn?«, fragte Ray.
ER WIRD IN IRGENDJEMANDEN HINEINSCHLÜPFEN. UND SICH DANN BETRINKEN UND HINTER DEN FRAUEN HERJAGEN.
»Das macht hier im Park doch jeder. Wodurch unterscheidet er sich von anderen?«
Kharos schäumte vor Wut. Am liebsten hätte er Rays Kopf wie eine Melone zerschmettert. Aber er konnte nicht. Ray besaß Macht und Wissen. Und er war außerhalb des Gefängnisses, in dem Kharos gefangen war, sodass Kharos nicht an ihn herankonnte.
Obwohl …
Fufluns’ und Turas Flucht hatten Kharos gestärkt. Er spannte sich in dem Gefängnis seiner Urne an, konzentrierte seine geistige Kraft auf Ray und packte ihn in Gedanken am Hinterkopf.
Ein Haarbüschel fiel herab.
Ray kratzte sich abwesend am Kopf und sprach dann weiter. »Nicht dass ich etwa Zeit dazu hätte, auf Dämonenjagd zu gehen. Ich bin der Bürgermeister, wie du weißt. Ich habe anderes zu tun, als mich nur um dich zu kümmern.«
WURM, dachte Kharos. In zwei Wochen würde er Rays Kopf wie eine Melone zerschmettern.
»Zum Beispiel steht die Halloween-Woche vor der Tür, die ist sehr beliebt …«
GEH DORTHIN, WO DIE LEUTE LACHEN. BERÜHRE DEN, DER IM MITTELPUNKT DER AUFMERKSAMKEIT STEHT, MIT EISEN. WENN ER VOR SCHMERZ ZUCKT, SAGE: KHAROS BEFIEHLT DIR ZU KOMMEN.«
»Ach, weißt du«, meinte Ray, »vielleicht überstürzen wir das Ganze ein bisschen. Wir müssen es ja nicht jetzt sofort machen. Ein Jahr länger würde nicht …«
NEIN, widersprach Kharos. DU HAST SCHON ZU VIEL ZEIT VERSCHWENDET. VIERZIG JAHRE.
»Hey, die ersten zwanzig waren für mich, so hatten wir’s abgemacht.« Ray kaute finster auf seiner Zigarre. »Ich hätte mir fünfzig Jahre ausbedingen sollen. Wenn man fünfzehn ist, klingt fünfunddreißig schon uralt.«
DU HAST DIR VIERZIG JAHRE ZEIT GELASSEN.
»Ja, aber die letzten zwanzig Jahre habe ich für dich gearbeitet, Geld für deinen großen Plan aufgehäuft.«
DAS HAT ZU LANGE GEDAUERT.
»Hey, die Finanzmärkte sind eben voller Fallstricke, trotz deiner Spürnase. Ich habe mein Bestes getan.« Ray blickte griesgrämig drein. »Und dann musste ich wieder in dieses Hinterwäldlerkaff zurück.«
SCHLUSS DAMIT. DU MUSST JETZT FÜR MICH ARBEITEN.
»Na ja, ich meine ja nur. Wenn du mir noch ein oder zwei Jahre Zeit lässt oder vielleicht fünf, dann besitze ich die ganze Stadt und den Park, dann brauchen wir hier nicht mehr so herumzuschleichen. Nur noch ein bisschen mehr Zeit …«
DU STRAPAZIERST MEINE GEDULD.
»Augenblick. Ich habe auch eine gute Nachricht.« Er legte die Zigarre auf der Bank ab, griff unter den langen Mantel und zog eine hölzerne Urne hervor. »Ich habe Tura. Eine von zwei Entflohenen, das ist doch gar nicht so schlecht.«
DER BEHÄLTER IST LEER.
Ray betrachtete das Holzgefäß in seiner Hand. »Aber der Deckel ist drauf. Ich schwöre, ich habe ihn nicht geöffnet.«
FUFLUNS HAT SIE BEFREIT.
»Aber ich habe den Schlüssel nicht gedreht, um die Statue zu öffnen. Ich habe Mab gesagt, sie soll den Flötenschlüssel hineinstecken, damit ich Fufluns’ Urne aus seiner Statue holen konnte, während sie oben auf dem Dach war. Sie hat nichts gemerkt.« Er wandte den Blick ab und runzelte nachdenklich die Stirn. »Sie muss den Taubenschlüssel gefunden haben und ihn selbstständig im Liebestunnel an seinen Platz gesteckt haben.« Er schüttelte den Kopf. »Das war nicht meine Schuld …«
BRINGE TURAS URNE ZURÜCK. SUCHE FUFLUNS. ER WIRD SICH UM TURA KÜMMERN.
»Na gut, obwohl ich immer noch finde, dass es klüger wäre, noch fünf oder zehn Jahre zu warten.« Ray erhob sich. »Ach ja, noch etwas: Glendas Sohn ist nach Hause gekommen. Ethan. Hat gerade den Dienst bei den Green Berets quittiert.«
DAS IST BEDEUTUNGSLOS FÜR MICH. SUCHE FUFLUNS.
»Also gut. Ich verschiebe meine eigene Arbeit, um dir zu helfen. Aber ich kann nicht jedes Mal alles stehen und liegen lassen, wenn mit deinem Plan etwas schiefgeht. Ich habe lange gebraucht, um den Ruf der Brannigans zu reparieren, und die Leute akzeptieren mich jetzt, aber wenn ich Mist baue, dann habe ich sie sofort wieder am Hals.«
Das konnte Kharos gut verstehen. Er hatte selbst vierzig Jahre lang damit gerechnet, dass Ray Mist baute, aber der war schlauer gewesen als erwartet. Was immer noch nicht besonders schlau war.
»Sobald mir die Stadt und der Park erst mal gehören«, fuhr Ray fort, »habe ich die alle auch in der Tasche. Aber bis dahin muss ich mich hier abrackern.«
DIR WIRD DER PARK BALD GEHÖREN.
»Kann’s gar nicht abwarten.« Ray wandte sich um und marschierte paffend den Hauptweg hinunter.
Kharos blickte ihm nach und dachte dabei: ICH KANN’S AUCH KAUM NOCH ABWARTEN. Er versuchte, wieder in seinen Traum von all den hoffnungslosen Seelen, die direkt zu ihm nach Dreamland kommen würden, zurückzukehren, aber es war jetzt zu viel Macht in ihm geweckt worden. Zweitausendfünfhundert Jahre waren eine lange Zeit, um darauf warten zu müssen, wieder zu herrschen, aber nun würde bald der Zeitpunkt gekommen sein, an dem er sein Gefängnis verlassen, seine Gefängniswächter zerstören und sich all das nehmen würde, was sein war …
Noch zwei Wochen …