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Moritz hatte seinen Bademantel an, kam vom Briefkasten, schlurfte ins Haus und knallte hinter sich die Tür zu. Er zog aus seiner Post einen Brief heraus, die anderen Kuverts und Zeitschriften warf er im unaufgeräumten Salon achtlos auf einen Papierhaufen, der den Steinway bereits überwucherte. Er ging in die Küche, die ebenfalls einen erbarmungswürdigen Eindruck machte. Schmutziges Geschirr stand in der Spüle, überall lag etwas herum. Moritz setze sich an den Tisch, schob Geschirr, Gläser und Besteck zur Seite und öffnete einen Briefumschlag, der eine exotische Briefmarke trug. Er entfaltete einen Brief und ein Foto fiel ihm entgegen. Er nahm es hoch und sah es an. Es waren eine Menge gut und zum Teil bunt angezogener Menschen zu sehen und in ihrer Mitte stand ein Brautpaar, das sich anlächelte: Zamira und Hamed!

Moritz schaute sich das Foto noch einen Moment gedankenverloren an, erhob sich und befestigte es an dem überladenen Pinboard, das in der Ecke hing.

Er sah auf die Küchenuhr, es war halb zwölf. Er ging zum Herd, nahm einen Topf, füllte ihn mit Wasser und zündete das Gas an. Er nahm etwas Salz und warf es ins Wasser. Dann suchte er nach Nudeln und fand schließlich ein Päckchen Spaghetti. Er wollte es gerade öffnen, als es an der Tür läutete. Er machte den Herd aus, verließ die Küche und ging zur Haustür. Als er sie öffnete, stand Frau Stöcklein vor ihm!

Frau Stöcklein!

Herr Professor!

Und nach einer Schrecksekunde sagte sie:

Wie sehen Sie denn aus?

Moritz trug einen ansehnlichen Bart, denn er hatte sich seit Alfreds Tod nicht mehr rasiert. So war es Brauch bei gläubigen Juden während des Trauerjahrs.

Ich war gerade in der Gegend, sagte sie.

Schön. Kommen Sie rein.

Sie betrat den Flur und sah sich um.

Ich putze nicht jeden Tag.

Das sehe ich, sagte sie.

Während sie in Richtung Küche gingen, fragte er:

Nun, wie gefällt es Ihnen im Vogelsberg?

Ach, wissen Sie, Alt und Jung, das geht nicht gut zusammen.

Frau Stöcklein erschrak, als sie die Küche sah. Sie zog wortlos ihre Strickjacke aus und begab sich zur Spüle.

Was machen Sie da?, wollte Moritz zuerst sagen, aber dann hielt er sich zurück.