14

 

Sureya und ich sitzen in meiner Küche. Vor mir steht ein Glas Weißwein. Sureya zieht wie immer einen Kräutertee vor. Und wie immer lächelt sie. Niemand würde ahnen, dass wir gerade über Untreue sprechen.

»Ich glaube es einfach nicht«, sagt Sureya mit unerschütterlicher Hoffnung. »Er ist der letzte Mann, dem ich zutrauen würde, fremdzugehen.«

»Wirklich? Und warum?«, frage ich, wobei ich mir sehnlichst wünsche, dass etwas von ihrem Optimismus auf mich abfärbt.

»Er würde doch nicht leichtfertig alles aufs Spiel setzen, was ihr euch aufgebaut habt?«

»Aber das ist doch nichts Ungewöhnliches für einen Mann, Sureya«, widerspreche ich. »Ich dachte zwar auch immer, Richard sei anders, aber ...«

»Aber Richard betet dich an«, sagt Sureya mit fester Überzeugung.

Mehr hat sie nicht zu bieten? In letzter Zeit habe ich mich nämlich nicht besonders angebetet gefühlt.

»Er ist ja nie da, um mich anzubeten«, erwidere ich, nehme einen Schluck Wein und genieße, wie er kühl durch meine Kehle rinnt.

»Ja, ja, die Arbeit, der große Karrieresprung und das alles«, sagt Sureya mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Männer definieren sich nun einmal über ihre Arbeit. Sie können nicht anders. Das steckt in ihren Genen. Aber bloß weil Richard selten zu Hause ist, heißt das nicht, dass er nichts mehr für dich übrig hat.«

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Du hast leicht reden. Du bekommst deinen Ehemann immerhin von Zeit zu Zeit zu sehen.« Ich höre die Verbitterung in meiner Stimme und bereue sie sofort.

»Unsinn. Neulich hat Mina zu dem Fernsehtechniker Daddy gesagt«, scherzt sie. »Hör mal, weißt du eigentlich, wie oft Richard mich - während seiner geheiligten Arbeitszeit - angerufen hat, um sich zu vergewissern, dass Michael und ich am Samstag zu deiner Party kommen? Als würden wir die verpassen! Und ich bin nicht die Einzige, die er angerufen hat. Er hat die Gästeliste schon mehrmals durch. Er kümmert sich um jedes Detail, weißt du. Er ist äußerst bemüht, dir den besten Abend deines Lebens zu bescheren, glaub mir.«

Der Gedanke, dass mein Mann seine kostbare Zeit für meine Party opfert, gibt mir ein gutes Gefühl, wie ich zugeben muss, aber es ändert nichts an den harten Fakten in Form einer Hotelrechnung.

»Vergiss nicht, Sureya, ich habe ein schriftliches Beweisstück, dass Richard eine Affäre hat«, erinnere ich sie.

»Das beweist gar nichts. Dafür kann es alle möglichen Erklärungen geben, wahrscheinlich sind die meisten davon belanglos. Du musst mit ihm darüber reden, du musst ihm die Chance geben, sich zu erklären. Zieh keine voreiligen Schlüsse, Fran.«

Sureya hat recht. Ich muss mit Richard reden. »Ich werde mit ihm reden«, entgegne ich.

»Und wann?«, fragt sie zweifelnd. »Wann hast du denn diese blöde Rechnung gefunden?«

»Am Montag.«

»Und heute ist?«

»Ja, ja, Donnerstag. Weißt du, ich habe Richard diese Woche kaum zu Gesicht bekommen. Er hat furchtbar viel zu tun, und du weißt ja, wie das ist.« Du meine Güte. Ich benutze Richards Worte. Nun ja, bei mir haben sie zumindest funktioniert. Sie haben mich zum Schweigen gebracht. Wieder nehme ich einen großen Schluck Wein. Ich möchte, dass der Alkohol mir möglichst schnell ins Gehirn steigt, um es auszuschalten. Ich würde nämlich gerne verdrängen, dass ich mit meinem Mann seit drei Tagen nicht mehr gesprochen habe. Und ich würde auch gerne verdrängen, dass meine Geburtstagsparty bereits übermorgen ist und ich immer noch nichts zum Anziehen habe. Aber der Alkohol nimmt wie immer die falsche Richtung und steuert direkt auf meine Taille zu, bis hinunter zu meinen Oberschenkeln. Meine Beine sind betrunken, während mein Kopf so klar ist wie ein Sommerhimmel.

»Fran, worauf wartest du noch?«, sagt Sureya, und es klingt richtiggehend flehend. »Das ist viel zu wichtig.«

»Warum? Hast du nicht eben noch gesagt, die Hotelrechnung habe nichts zu bedeuten?« Ich stelle mich absichtlich dumm.

»Ich glaube nicht, dass Richard eine Affäre hat, aber du bist offensichtlich überzeugt davon, und das macht dich verrückt. Also rede mit ihm

»Das ist nicht so leicht, Sureya.«

»Doch, es ist ganz leicht. Du musst ihm nur sagen, was dich die ganze Zeit beschäftigt. Ich weiß, eine Konfrontation ist ... nie einfach. Aber je länger du es vor dir herschiebst, desto schwieriger wird es. Ich kenne dich, Fran. Davor kannst du nicht davonlaufen.« Sie stößt ein Lachen aus. »Übrigens, hast du nicht immer gesagt, dass du nicht so werden möchtest wie deine Mutter?«

Meine Mutter. Auch so eine, die alles in sich hineinfrisst. Sie redet zwar viel, aber nie über das Wesentliche. Das Unter-den-Teppich-kehren-Gen habe ich mit Sicherheit von ihr geerbt.

Sureya nippt an ihrem Tee und fährt sich müde durch die dicken, glänzenden Haare. Wer von uns beiden verzweifelter ist, lässt sich schwer sagen. »Was sagt Summer dazu?«, will sie wissen.

»Ich habe ihr noch nichts erzählt.«

»Das kann ich verstehen. Sie konnte Richard noch nie besonders gut leiden, oder?«

Sureya liebt Summer. Daran besteht kein Zweifel. Quirlige Schauspielerin und temperamentvolle Dramaturgin passt schließlich wie die Faust aufs Auge. Bei unseren Treffen zu dritt könnte man jedes Mal meinen, die beiden hätten sich seit mindestens zwanzig Jahren nicht mehr gesehen.

»Sieh mal, du hast mit mir darüber gesprochen. Das ist doch schon mal ein guter Anfang«, sagt Sureya. »Aber du weißt selbst, dass du vor allem mit Richard reden solltest.«

Das war von ihr zu erwarten. Sureya stammt aus einer Familie, in der es häufig auch mal laut wurde. Streitigkeiten wurden immer schnell aus der Welt geschafft. Es herrschte eine gesunde, offene Atmosphäre, wie sie selbst sagt. Für temperamentvolle, heißblütige Südländer mag das ja typisch sein, halte ich dagegen. Aber Engländer sind da anders, oder? Doch Sureya will das nicht gelten lassen.

Und auch Summer – die so englisch ist wie eine rote Telefonzelle – will meine starke, stumme Haltung (wie ich das gerne nenne) nicht gelten lassen. Summer und Sureya sind beide therapiegeschädigt. Alles rauslassen – ob gegenüber dem Ehemann, dem Liebhaber, den Eltern oder dem Therapeuten, der fünfzig Pfund die Stunde verlangt – ist die Antwort auf alle Probleme.

Scheint so, als wäre ich die einzige Zynikerin hier, ob englisch oder nicht.

Aber es ist wirklich nicht einfach. Seit Montag hat Richard noch mehr als sonst zu tun, nicht gerade die beste Voraussetzung für ein ernstes Beziehungsgespräch. Gestern Abend war er um Mitternacht immer noch im Büro. Er rief mich an, um mir zu sagen, dass er im Hotel übernachtet, weil er gleich am nächsten Morgen um sieben wieder eine Besprechung habe. Das ist nicht weiter ungewöhnlich. Das kommt häufiger vor. Aber warum machte ich mir dieses Mal Gedanken? Wegen einer lächerlichen Hotelrechnung?

Ich muss an all die Abende denken, die ich alleine vor dem Fernseher verbracht habe, seit Richard zum MD befördert wurde. Wie gut kenne ich ihn eigentlich wirklich? Woher will ich wissen, dass er kein notorischer Fremdgänger ist, der zahlreiche Affären nebenbei hat und zwischendurch immer mal wieder seine andere Frau und seine anderen drei Kinder in Frankreich besucht? Aber wenn das wirklich so ist, wenn tatsächlich der schlimmste Fall eingetreten ist, will ich das dann wirklich wissen?

Ich stürze einen Schluck Wein herunter – von genüsslich trinken kann keine Rede sein –, und Sureya blickt mich ernst an. »Das wievielte Glas ist das? Das dritte?«

»Sureya! Zählst du jetzt schon mit?«

»Sorry, natürlich nicht. Du machst nur ... einen ziemlich durstigen Eindruck«, sagt sie verlegen lachend.

So kann man es auch ausdrücken, schätze ich. Aber hey, gönnen sich abends nicht viele Frauen ein oder zwei Gläschen Wein, um besser entspannen zu können?

Plötzlich fällt mir was ein. Es gibt ja auch noch eine gute Neuigkeit. Ich platze damit heraus: »Oh, ich habe dir ja noch gar nicht von Ron erzählt.«

»Ron?«

Ron ist hier in der Gegend kein üblicher Name.

»Ja, er hat mir heute auf Band gesprochen. Er ist Scout bei Crystal Palace.«

Sureya blickt mich verständnislos an.

»Das ist ein Fußballverein. Vor ein paar Wochen hat Ron sich Thomas angesehen und war so beeindruckt, dass er ihn zum Probetraining eingeladen hat. Kannst du dir das vorstellen?«

»Du solltest dich lieber um deine Ehe kümmern als um diesen Ron.«

»Stell dir vor, David Beckhams Mutter hätte damals dasselbe gesagt.«

»Na schön, aber trotzdem musst du dringend mit Richard reden«, wiederholt Sureya, ohne auf meine Neuigkeit einzugehen. »Je früher du die Bestätigung hast, dass er dich liebt, dich anbetet, nicht ohne dich leben kann und dass im Hause Clark alles in bester Ordnung ist, desto besser.«

Man merkt, dass Sureya Theaterunterricht gibt. Ihre erbaulichen Worte sind zwar ganz wundervoll, aber statt mich von ihrem Optimismus anstecken zu lassen, fühle ich mich nur noch mieser.

»Ich habe es dir noch nicht erzählt, aber ich habe vergangene Woche Bockmist gebaut«, sage ich. »Und zwar richtig schlimmen Bockmist.«

Sureya wirft mir einen besorgten Blick zu. »Was hast du getan?«

»Ich habe einen Auftrag vermasselt«, antworte ich ausdruckslos.

»Was?«, stößt Sureya aufgeregt hervor. »Wie oft habe ich dir schon gepredigt, dass du wieder in deinen alten Beruf einsteigen sollst?«

Ja, nicht nur du, auch Summer und Richard und alle anderen, denke ich. »Ach, das war nur eine winzige Sprechrolle«, erwidere ich. »Aber ich habe Richard im Stich gelassen. Und jetzt ist er ... von mir enttäuscht. Ich glaube, momentan geht er mir lieber aus dem Weg.«

»Und da mietet er sich schon mal in einem Luxushotel ein, oder wie?«

»Nun ja, auf den Zimmerservice ist wenigstens Verlass, nicht?«

»Ich sage es dir nun zum letzten Mal, Fran. Rede mit ihm. Und zwar heute Abend noch.«

»Okay«, gebe ich nach.

»Gut.« Sie trinkt ihren Tee aus. »Hast du schon alles fertig für die Party?«

Habe ich schon alles fertig für die Party? Nun, weder habe ich mir ein neues Kleid besorgt noch sonst einen Finger für die Feier gekrümmt. »Ja, ich glaube schon«, antworte ich lustlos.

»Fran, komm schon, du hast dich doch die ganze Zeit darauf gefreut. Hör mal, was hältst du davon, wenn du Samstagvormittag Molly und Thomas zu mir bringst und zum Friseur gehst? Wie findest du die Idee? Dann kannst du dich schon mal langsam auf die Party einstimmen.«

Auf gute Freundinnen ist eben Verlass. »Das ist sehr nett von dir, Sureya, aber Richard wird da sein. Er kann sich um die Kinder kümmern. Trotzdem, du hast recht, ich werde einen Termin beim Friseur machen.« Ich habe zwar nichts zum Anziehen, aber dafür werde ich vom Hals an aufwärts gut aussehen.

»Tu das. So, ich muss jetzt gehen. Helen ist nur bis zehn da.«

Helen passt auf die Kinder auf? Ich bin verwirrt. »Ich dachte, Michael wäre zu Hause.«

»Ist er auch. Aber er ist nicht fähig, auf zwei Kleinkinder aufzupassen. Außerdem will ich nächste Woche an drei Abenden freihaben. Deshalb habe ich heute einen Babysitter bestellt.«

Ich kann nicht anders, aber ich muss lachen. Sureya war gerade einmal eine Stunde bei mir. »Du bist unglaublich. Du hast den Babysitter wegen einer Stunde kommen lassen?«

Sie erwidert mein Lachen nicht. »Richtig, Fran. Das hat damit zu tun, dass man weiß, wie viel man erwarten darf, ohne zu gierig zu sein. Dein Problem ist, dass du nichts erwartest. Und wenn du nichts erwartest, weißt du ja auch, was du bekommen wirst, oder?«

Ja, ungefähr genauso viel.