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Natürlich bin ich betrunken. Das war die einzige Möglichkeit, um den Nachmittag zu überstehen. Wen kümmert es schon?

Summer zum Beispiel. »Um Gottes willen, Fran, du solltest dich mal sehen. Du musst dich ein wenig zusammenreißen, Schätzchen. In ein paar Stunden kommt Richard.«

»Ich scheiß auf ihn«, sage ich lallend. »Ich scheiß auf sie alle.«

»Ja, gut so, Scheiß auf sie. Diese Weiber sind das Allerletzte. Aber so kannst du unmöglich Richard gegenübertreten. Du musst dringend mit ihm reden, und dafür brauchst du einen klaren Kopf.«

Summer führt eine Tasse an meine Lippen und versucht mir schwarzen Kaffee einzuflößen, aber ich drehe den Kopf zur Seite.

»Warum hast du mir das nicht schon früher gesagt?«, hält sie mir vor. »Ich fasse es nicht. Dein Mann lässt dich sitzen, und du verlierst kein Wort darüber.«

Nun, Summer, was glaubst du denn, warum ich kein Wort darüber verloren habe? Weil wir immer nur über dich reden, darum!

Aber das ist gemein. Und Blödsinn. Ich habe Summer nichts gesagt, weil das einfacher war. Es ist immer einfacher, nichts zu sagen. Das weiß doch jeder!

»Dieser hinterhältige, miese Bastard«, schimpft Summer wütend. »Dem sollte man den Schwanz abschneiden und den Tieren zum Fraß – Gott, jetzt brauche ich einen Drink.«

Summer ist außer sich. Aber auf wen ist sie wütender, auf Richard oder auf mich? In ihrer momentanen Verfassung würde sie es sogar Mutter Theresa übel nehmen, dass sie ... ich weiß auch nicht, dass sie gestorben ist oder so. Was sollte sie Mutter Theresa auch sonst übel nehmen?

Als ich nichts erwidere, sagt Summer: »Sieh doch nur, in was für einem Zustand du bist. Du könntest nicht mal eine Unterhaltung führen, wenn ... Ach, Scheiß drauf. Reiß dich gefälligst zusammen. Warum hast du es mir nicht gesagt, Fran?«

Bla bla bla, du kannst dir den Mund fusslig reden, ich werde dir keine Antwort geben. Ich werde stattdessen einfach auf diesem Hocker sitzen bleiben und darauf achten, dass ich nicht herunterfalle. Das ist leicht. Ich muss mich bloß festhalten und mich auf den Horizont konzentrieren, wie auf dem Schiff, wenn einem schlecht wird. Vergiss die Wellen, konzentriere dich einfach.

»Das ist Wahnsinn«, stößt Summer hervor.

Sie hat recht. Das ist Wahnsinn. Ich habe sie angerufen, weil ich mit ihr reden wollte. Aber zwischen dem Telefonat und Summers Ankunft hatte ich keinen zum Reden und musste mich mit einem Drink trösten. Und wissen Sie was? Jetzt habe ich keine Lust mehr zu reden.

Summer denkt kurz nach. »Gut. Ich weiß jetzt, was wir tun. Ich nehme die Kinder. Wir brechen sofort auf. Sie können bei mir übernachten. Hast du das verstanden, Fran?«

»Sei nicht albern. Du fliegst doch morgen nach Hollywood, Süße«, entgegne ich. »Zu George und Sam ... zu Sammy!« Wie kann Summer das nur vergessen haben? Sie hat einen Knall!

»Mein Flug geht erst abends. Wir haben also reichlich Zeit. Pass auf, du siehst jetzt zu, dass du in den nächsten Stunden wieder nüchtern wirst, damit du heute Abend in Ruhe mit deinem bescheuerten Ehemann reden kannst. Wir sehen uns dann morgen Vormittag, wenn ich die Kinder zurückbringe. Dann können wir über alles reden.«

Träum weiter, Baby. Ich möchte den Abend gar nicht damit verbringen, mit Richard zu reden. Ich möchte einfach nur schlafen.

»Hörst du mir überhaupt zu?«, fährt Summer mich an. »Das ist mein voller Ernst, verflucht noch mal.«

»Du fluchst zu viel«, sage ich. »Ich weiß nicht, ob das so gut ist, wenn du auf die Kinder aufpasst ... Egal, was willst du überhaupt mit zwei Kindern anfangen? Hast du jemals fünf Minuten am Stück mit jemandem verbracht, der unter sechzehn ist?«

»Natürlich. Letztes Jahr habe ich doch diesen Fruchtsaftspot mit diesem zehnjährigen Gör gemacht. Diese Erfahrung hat mich alles Nötige gelehrt. Außerdem kann ich so schon mal für meinen eigenen Ableger üben. Komm schon, packen wir ein paar Sachen für die Kids zusammen.«

»Lass gut sein«, widerspreche ich in bestimmtem Ton. Nun, zumindest klingt es so in meinem Kopf. »Du brauchst das nicht zu tun.«

»Oh doch. Sieh doch mal in den Spiegel ... Übrigens, hast du nicht gesagt, dass Thomas ein großer Fan von Arsenal ist?«

»J-a«, antworte ich bedächtig.

»Gut, dann gehen wir ins Stadion.«

»Was, hast du etwa Karten?«

Falls Summer den Mund nicht zu voll nimmt, würde mich das für Thomas sehr freuen. Einige seiner Klassenkameraden gehen regelmäßig zu den Heimspielen von Arsenal, aber er selbst war noch bei keinem. Wenn Summer an Karten herankommt, ist Thomas sogar bereit, ihr durch das Höllenfeuer zu folgen.

»Natürlich nicht. Wir fahren einfach so hin, mit der U-Bahn. Das müsste die Piccadilly Line sein, richtig? Vor dem Stadion kriegt man sicher auch einen Hotdog. Wir machen einen auf Arbeiterklasse. Hängen ein bisschen vor dem Stadion herum und saugen die Atmosphäre ein oder so ... Ich weiß noch nicht genau. Mir wird schon was einfallen, wenn wir mal da sind. Ich muss eben improvisieren.«

Nun, das hört sich nach einem richtig guten Plan an. Zwar noch nicht ganz ausgereift, aber er hat mit Fußball zu tun ...

Mit Aaaars-en-al!

»Aber du musst mir versprechen, dass du nichts mehr trinkst«, fügt Summer im Befehlston hinzu. »Versprich es mir!«

»Ich verspreche es«, sage ich, wie mein Vater früher.

 

Unser Keller ist gut gefüllt. Weinregale, Bierkisten, geheimnisvolle Schnaps- und Likörsorten, die wir unseren Gästen als Absacker zu später Stunde anbieten. Für das Auffüllen der Kellervorräte war bis jetzt immer Richard zuständig. Offenbar obliegt mir nun das Plündern der Vorräte.

Ich bin gerade im Keller. Auf der Suche nach einem kräftigen, aber fruchtigen Rotwein, um meinem völlig verkorksten Leben noch eins draufzusetzen ... Château Déstruction ... 1970 ... ein exzellenter Jahrgang für saure Beeren ...

Wo ist Richard, wenn ich ihn brauche? Er kann in jeder Situation einen Wein empfehlen ...

Tut mir leid, Summer, aber ich werde weitertrinken bis zur Bewusstlosigkeit.

Ich habe geschaut, und es gibt keinen anderen Weg für mich.