10
Zu Hause.
Alleine.
Jetzt bedaure ich, dass ich die Kinder zu meiner Mutter habe fahren lassen. Richard ist wahrscheinlich bereits unterwegs zu seiner Geliebten, um ihr das kleine schwarze Schmuckkästchen samt Inhalt zu bringen. Ich fasse nicht, wie sehr ich in Selbstmitleid versinke. Die andere wird gleich ihren Ring anziehen, ich meine Küchenschürze. Bin ich nicht ein trauriger Fall? Um es in Teeniesprache zu sagen: Ich komme mir vor wie der totale Loser. Aber ich meine »traurig« auch im ursprünglichen Sinn. Schließlich muss ich mich wohl damit abfinden, dass meine Ehe gescheitert ist. Ich muss mich nun den Tatsachen stellen. Ich bin wahrscheinlich bald allein erziehende Mutter. Hey, Mum, endlich schließt sich der Kreis.
Und jetzt sitze ich hier, ein einsames Leben vor mir. Und, ganz aktuell, einen einsamen Samstagabend vor mir, den ich überstehen muss. Was soll ich tun? Durch die Diskos ziehen? Einen Typen aufreißen? Wohl kaum.
Es ist kurz vor sechs – ja, ich schaue jetzt schon auf die Uhr –, als plötzlich das Telefon klingelt. Es ist Richard, der mich vom Wagen aus anruft.
»Wie geht es Thomas?« Meine erste Frage.
»Er war ziemlich still. Aber er wird darüber hinwegkommen. Er ist zäher, als man glaubt. Ich habe mit ihm geredet. Ich habe ihm gesagt, dass Absagen auch immer etwas Positives haben. Ich glaube, er hat mich einigermaßen verstanden.«
Oh ja, ich kann Thomas praktisch hören. Boa, so habe ich das noch gar nicht gesehen. Du hast absolut recht, Dad. Nachdem mein großer Lebenstraum zerstört ist, sehe ich jetzt erst die Vorteile.
Als ich keine Antwort gebe, beginnt Richard sich zu rechtfertigen. »Es ist doch so. Eine Absage kann durchaus positiv sein. Wenn es einem zu leicht gemacht wird, weiß man seinen Erfolg nicht annähernd so zu schätzen, als wenn man sich dafür richtig ins Zeug legen muss.«
Bestimmt lässt sich das auch auf unsere Ehe beziehen, aber ich habe keine Lust, mir weiter darüber Gedanken zu machen.
»War Mum überrascht, als sie dich gesehen hat?«, frage ich.
»Nein, eigentlich nicht. Aber dafür Al. Er meinte zu mir ›Wer sind Sie denn? Ach ja, Frans Mann.‹ Scheißzyniker.«
»Ach, du kennst ihn doch. Das darfst du nicht persönlich nehmen«, sage ich. Besser, ich verschweige, dass Al ihn nicht besonders gut leiden kann und es daher durchaus persönlich gemeint war.
»Thomas wird das wegstecken, weißt du«, sagt Richard. Der Umstand, dass er unaufgefordert zum eigentlichen Thema zurückkehrt, lässt vermuten, dass er sich genauso viele Sorgen um Thomas macht wie ich. »Ich werde mir in Zukunft mehr Zeit für ihn nehmen. Damit ich ihm näher bin.«
Ah, immer noch der perfekte Daddy. Dann ist jetzt der richtige Moment, um zuzuschlagen.
»Du weißt ja sicher, womit du Thomas die größte Freude machen kannst, nicht?«, sage ich.
»Nämlich?«
»Mit einer Dauerkarte für Arsenal.«
»Ja? Okay, gut, wenn du glaubst, das hilft.«
»Du wirst sehen«, erwidere ich und staune insgeheim darüber, wie einfach das war.
Ist das alles, was man tun muss, um zu bekommen, was man will? Selbstbewusst auftreten? Richard, ich will, dass du sofort nach Hause kommst. Ich will, dass du mir sagst, wie sehr du mich liebst, und mir versprichst, mich niemals wieder zu verlassen. Und ich will den neuen Mixer von Kenwood, so einen, wie Mum von Al geschenkt bekommen hat.«
»Was machst du gerade?«, fragt er.
»Es ist Samstagabend. Ich ziehe gleich durch die Klubs.«
»Im Ernst?«
»Nein, das war ein Witz.«
»Gut. Ich wollte dich nämlich fragen, ob ich noch vorbeikommen kann.«
»Du willst vorbeikommen?«, frage ich begriffsstutzig.
»Ja. Falls das in Ordnung ist.«
Ich gebe Richard mein Okay, allerdings mit einem unguten Gefühl im Bauch. Mir dämmert, dass der Moment der Wahrheit gekommen ist. Richard wird das einzig Anständige tun. Er wird mir nahe legen, einen Scheidungsanwalt zu nehmen, und danach vor Bel niederknien.
Nach unserem Telefonat mache ich mich ganz verrückt vor lauter Angst. Dabei hatte ich Summer gerade darin bestätigt, dass keine Frau auf einen Mann angewiesen sei. Doch im Moment bin ich mir nicht sicher, ob ich das auch vor Gericht unter Eid aussagen würde.
Wir sitzen am Küchentisch, der Ort in diesem Haus, wo hauptsächlich Geschäftliches geregelt wird, wie es scheint. Richard schenkt sich einen Scotch ein. Er bietet mir ebenfalls einen an, aber ich trinke keine harten Sachen. Stattdessen schenke ich mir ein Glas Rotwein ein. Mein erstes seit langem.
Kein Wort von Scheidung. Noch nicht.
»Es war schön, den Tag mit den Kindern zu verbringen«, sagt Richard. »Auch wenn Thomas so niedergeschlagen war ... Aber es war trotzdem schön.«
»Das solltest du öfter tun.«
»Das werde ich. Hör zu, es tut mir wirklich leid, aber ich verspreche, dass ich mich in Zukunft mehr bemühen werde.«
Richard macht ein betroffenes Gesicht, und das sollte er auch. Wo war er, als eine Horde übler Klatschweiber mein Leben durch den Dreck gezogen hat? Wo war er, als seine geliebte Tochter als Spielplatzrassistin beschuldigt wurde? Richard kann mich mal. Es ist Zeit, ihn über die Kinder aufzuklären, an denen er so plötzlich Interesse zeigt.
»Ich weiß, dass du dich bemühst, Richard, und ich finde das auch toll«, sage ich, »aber als Eltern hat man nicht nur Spaß. Es gibt auch weniger angenehme Dinge, mit denen man sich auseinandersetzen muss.«
»Was denn?«
»Molly wird beschuldigt, ausländerfeindlich zu sein. Die Konrektorin hat mir neulich sogar mit dem Jugendamt gedroht und –«
»Augenblick, Augenblick, wovon zum Teufel redest du?«
Ich erzähle Richard von meinem Gespräch mit Mrs Gottfried. Als ich fertig bin, sieht er mich fassungslos an. Ha, dann verrate mir doch mal, wie du das lösen würdest, du perfekter Daddy.
»Das ist doch völlig lächerlich«, stößt Richard aus. »Was für ein Blödsinn. Molly ist nicht ausländerfeindlich.«
»Natürlich nicht.«
»Ich hoffe, du weißt, was du zu tun hast, Fran.«
»Allerdings«, erwidere ich in entschlossenem Ton.
»Gut. Das ist nämlich ein ungeheuerlicher Vorwurf, den wir nicht auf uns sitzen lassen dürfen.«
»Oh ja«, sage ich, angenehm überrascht, dass Richard meine Meinung teilt. Mrs Gottfrieds Anschuldigungen haben mich nämlich stark verunsichert, und es ist gut, endlich einen Verbündeten zu haben.
Richard nickt bekräftigend. »Du musst denen einfach nur sagen, was sie hören wollen.«
Kaum habe ich diese Worte vernommen, explodiere ich. »Hast du einen Knall? Ich soll denen sagen, was sie hören wollen? Damit würde ich ihnen ja recht geben. Molly hat nichts Falsches getan, und ich habe mir ebenfalls nichts vorzuwerfen.«
»Du hast mich falsch verstanden. Ich behaupte ja gar nicht, dass die im Recht sind. Ich will lediglich sagen, dass du mit der Schule keinen Krieg anfangen kannst. Die haben klare Regeln für solche Sachen. Ich meine, Rassismus ist doch das Thema heutzutage.«
»Diese Leute wissen nicht einmal, was Rassismus ist. Meine Güte, die zerren einen ja schon vor den Kadi, wenn man Spaten statt Gartenwerkzeug sagt.«
Richard lacht. »Sehr witzig.«
»Ich wollte gar nicht witzig sein, Richard. Diese Leute setzen sich aktiv gegen Rassendiskriminierung ein, woran nichts auszusetzen ist. Das Problem ist nur, dass sie Rassismus auch dort vermuten, wo es keinen gibt.«
»Aber du musst auch ihre Sichtweise verstehen. Sie müssen nun einmal jedem noch so geringen Verdacht nachgehen, selbst wenn es sich hinterher als falscher Alarm herausstellt, um jedes Risiko von vornherein auszuschließen.«
»Aber der Vorwurf ist völlig absurd!«, schreie ich Richard frustriert an.
Ich kann nicht glauben, was ich da höre. Meine Wut auf Richard ist genauso groß, wie meine Wut auf Mrs Gottfried war, als sie das Thema zur Sprache brachte. »Du weißt doch gar nicht, was da abgeht. Jeder verdächtigt jeden. Die verhalten sich dermaßen politisch korrekt, dass es schon fundamentalistisch ist. Mir reicht’s, Richard. Das lasse ich mir nicht bieten.«
»Aber du kannst diesen Kampf nicht gewinnen. Das ist es nicht wert.«
Ist das wirklich Richard, der da spricht? Hört sich eher wie eine Predigt von Cassie an. Was ist aus dem unabhängigen Mann geworden, den ich geheiratet habe?
»Offen gesagt, Richard, ich erkenne dich nicht wieder. Seit wann bist du so ein ... so ein ... ich weiß auch nicht. Du bist ein Schlappschwanz. Miss Gucci tut dir offenbar nicht gut.«
»Vielen Dank«, entgegnet Richard und wendet sich von mir ab.
Ich weiß, ich weiß, das war gemein. Aber ich kann einfach nicht glauben, dass Richard sich auf die Seite dieser Moralapostel stellt.
»Hör zu, es tut mir leid«, gebe ich mich versöhnlich. »Aber es war wirklich furchtbar. Und es ärgert mich maßlos, dass ich diese Vorwürfe nicht entkräften konnte. Wahrscheinlich bin ich deswegen gerade ein bisschen ausgerastet. Sorry.«
Richard sieht mich lange an, dann sagt er: »Können wir das Thema wechseln?«
»Wahrscheinlich eine gute Idee.«
»Eigentlich hast du das Thema bereits gewechselt ... Miss Gucci.«
Jetzt kommt’s. S-C-H-E-I-D-U-N-G.
Richard wird mir gleich sagen, dass er sie liebt und nicht mehr ohne sie sein kann. Dass sie sich verloben wollen und zusammenziehen. Ich klammere mich am Rand des Küchentischs fest.
Richard tut das Übliche: Er fährt sich nervös durch die Haare und bereitet sich innerlich vor, während er sich die richtigen Worte zurechtlegt – Es ist nicht deine Schuld, sondern meine, bla, bla. Nun, da der Augenblick gekommen ist ... möchte ich ihn einfach nur so rasch wie möglich hinter mich bringen.
»Hör zu, Richard, lass es uns endlich hinter uns bringen«, sage ich ungeduldig. »Ziehen wir einen Schlussstrich unter diese Ehe, damit wir beide unser eigenes Leben leben können.«
»Was redest du da?« Richard sieht mich entsetzt an. »Ich wollte dir gerade sagen, dass Bel und ich ... Ich habe mit ihr Schluss gemacht. Du möchtest die Scheidung!?«
»Nein ...« Jetzt mache ich ein entsetztes Gesicht. »Nein, will ich nicht. Ich dachte nur ... Ich dachte eben, du willst die Scheidung.«
»Um Gottes willen, nein ... Ganz im Gegenteil. Hör zu, ich weiß nicht, wie es mit uns beiden weitergeht, aber ich möchte, dass du weißt, dass Bel dabei keine Rolle spielt. Es ist aus.«
Yesss!
Mein erster Schock hat sich wieder gelegt. Am liebsten würde ich eine Siegerfaust machen. Ich weiß auch nicht, wie es mit uns beiden weitergeht, aber wenigstens bleibt mir von nun an erspart, mir Richard mit einer anderen vorzustellen. Ich muss mir nicht mehr ausmalen, wie sie bei einem Candlelight-Dinner über den Tisch hinweg Händchen halten oder verschwitzt und atemlos ihre Leidenschaft ausleben. Diese Bilder werden mich von nun an nicht mehr verfolgen ...
Moment mal. Richard lügt doch. Ich glaube ihm nämlich nicht. Kein Wort, wenn ich ehrlich bin. Was ist denn mit dem Ring, hm? Blöder Designerschmuck für eine blöde Designertussi. Und wenn das ein Abschiedsgeschenk sein sollte, warum hat Richard dann nicht einfach etwas Symbolisches gewählt? Zum Beispiel eine nette Dankeschön-Karte. Egal, ob die beiden noch zusammen sind oder nicht, ich hasse diese Schlampe. Von mir aus kann ihr ein Arm abfallen wie Myra, der Flickenpuppe. Und ein Bein dazu. Ich will, dass sie leidet. Das klingt zwar grausam, aber was soll ich sagen? Das entspricht nun einmal meiner momentanen Gefühlslage.
»Dann ist es also wirklich aus?«, frage ich skeptisch.
»Ja. Es war ein Fehler. Die größte und egoistischste Dummheit, die ich je begangen habe. Ich habe mich nicht mehr bemüht ... um dich, meine ich, und das war falsch. Und ich bereue das zutiefst, weil ... nun ja, ich habe das Gefühl, alles kaputtgemacht zu haben.«
Oh. Richard macht nicht den Eindruck, als würde er das alles gerade erfinden. Vielleicht hat er ja tatsächlich mit ihr Schluss gemacht, und vielleicht hat sein reuevoller Gesichtsausdruck wirklich mit seinem schlechten Gewissen zu tun, wie er behauptet. Ich bin verwirrt. Ich weiß nicht, was das für ihn bedeutet. Für uns.
»Und wie geht es nun weiter?«, frage ich.
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich wird sie einen Vorwand finden, um den Auftrag mit uns zu stornieren. Aber wenn nicht, macht das die Sache unter Umständen sogar einfacher. Der Kundenmanager, der von der Geschäftsleitung beauftragt wurde, ist nämlich, offen gesagt, die reinste Katastrophe, und ... Du hast gar nicht von der Firma gesprochen, nicht wahr?«
»Nein.«
Wir sitzen einen Moment lang schweigend da. Ich habe das Gefühl, etwas sagen zu müssen, aber mir fällt nichts ein. Ich sehe Richard an. Er scheint innerlich mit sich zu ringen, als wäre er noch nicht fertig. Ich trinke einen Schluck Wein. Richard kann sich alle Zeit der Welt lassen – schließlich muss ich jetzt nicht mehr befürchten, dass er von Scheidung anfängt.
»Die letzten Tage waren grauenhaft, nicht wahr?«, sagt Richard schließlich. »Allerdings habe ich viel gelernt.«
»Zum Beispiel?«
»Ich vermisse die Kinder. Ich vermisse dich. Ich vermisse das Haus.«
Ich weiß, dass er die Kinder und die Bequemlichkeiten zu Hause vermisst, aber hat er mich tatsächlich in die Mitte dazwischengequetscht?
»Hör zu, ich weiß, dass einiges nicht optimal gelaufen ist«, bricht Richard das kurze Schweigen. »Und das ist eher meine Schuld als deine. Ich habe mich voll auf meine Arbeit konzentriert und es für selbstverständlich gehalten, dass du den Rest schon schaukelst. Und dann habe ich Bel kennen gelernt –« Er unterbricht sich und schüttelt den Kopf. »Seltsam ... Ich weiß, ich war selten hier, aber in der letzten Zeit hatte ich den Eindruck, dass ich dich ganz neu kennen lerne. Ich habe Seiten an dir ge–«
»Du sprichst von letztem Samstag?«, falle ich ihm ins Wort aus dem Bedürfnis heraus, mich zu rechtfertigen. »Ich habe dir bereits gesagt, das war ein einmaliger Ausrutscher. Ich habe seitdem kaum einen Tropfen ange –«
»Nein, ich spreche von dieser Woche. Du warst für Sureya da, für Thomas, für Summer heute und sogar für mich mit dieser Cherie-Blair-Nummer. Du bist unglaublich, Fran.«
»Ja?«
»Oh ja. Der Punkt ist, dass du schon immer eine unglaubliche Frau warst. Ich hatte das nur vergessen.«
Ich auch, glaube ich. Ich bringe keinen Ton heraus. Richard und ich haben seit Jahren nicht mehr so miteinander geredet. Und es ist noch länger her, dass Richard mir solche Dinge gesagt hat. Ich komme mir so ... besonders vor. Und trotzdem bringe ich kein Wort heraus!
Richards Hand gleitet über den Tisch und bleibt auf meiner liegen.
»Ich habe dich sehr vermisst, weißt du.«
Er hat es wieder gesagt. Und dieses Mal nicht eingequetscht zwischen Kinder und Haus.
Und so wie er mich jetzt ansieht, möchte ich ihm am liebsten um den Hals fallen und ihn küssen und ihm sagen, dass ich ihn liebe. Aber das mache ich nicht. Ich gebe keinen Mucks von mir. Nicht weil ich mich nun endgültig in meine Mutter verwandelt habe, die niemandem vertrauen kann, sondern weil ich sonst heulen muss. Und wie ich bereits zu Summer gesagt habe, für heute habe ich genug Tränen vergossen.
»Ich möchte unsere Ehe retten. Ich werde mich ändern, Fran, das verspreche ich«, sagt Richard eine Spur zu überschwänglich. »Ich werde nicht mehr so viel arbeiten und dafür mehr mit den Kindern unternehmen, und ich werde dir beweisen, dass du ein ganz besonderer Mensch für mich bist.« Er verstummt abrupt. »Das heißt, wenn du mich lässt ... Denkst du, wir können es wenigstens versuchen?«
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Am liebsten würde ich JA! schreien. Andererseits würde ich Richard auch gerne schlagen. Und zwar richtig fest. Was glaubt der eigentlich? Dass ich einfach vergesse, dass er monatelang eine andere hofiert und gevögelt hat?
Richard gleitet von seinem Hocker und geht ein paar Schritte auf mich zu. Dann greift er in seine Jackentasche und legt das Schmuckkästchen vor mich auf den Tisch.
»Was ist das?«, frage ich überrascht – an mir ist wirklich eine Schauspielerin verloren gegangen.
»Das ist für dich. Nur zu, mach es auf.«
Ich klappe das Etui auf, und es verschlägt mir den Atem – und dieses Mal ist meine Überraschung nicht gespielt. Das ist kein Ring. Sondern ein winziges Mikrofon aus Silber. Ein Anhänger für ein Armband. Und er ist wunderschön. »Es ist bezaubernd, Richard. Wofür ist das?«
»Nun, es ist ein Mikrofon. Ich dachte, das passt zu dir, zu deinem Talent, Cherie Blair und so.«
»Äh, ja, das ist mir klar«, sage ich und kann mir gerade noch rechtzeitig »du Idiot« verkneifen. »Aber wofür?«
»Weil ich Mist gebaut habe und weil ich dir etwas schuldig bin. Ich möchte dir etwas schenken, um dir zu zeigen, wie leid es mir tut. Und wie viel du mir bedeutest. Ich habe es heute Morgen gekauft. Deswegen bin ich zu spät gekommen.« Richard nimmt den winzigen Anhänger aus dem Etui und legt ihn in meine Hand. »Das müsste zu dem Armband passen, das ich dir zum Dreißigsten geschenkt habe«, sagt er.
»Das habe ich doch im Skiurlaub verloren, Richard, schon vergessen?« Wie kann er das vergessen? »Du bist die Piste viermal abgefahren, um danach zu suchen. Ich wollte, dass du die Suche aufgibst, und dann bist du gestürzt und hast dir die Schulter ausgekugelt, und wir haben den restlichen Tag im Krankenhaus verbracht.«
»Ja, jetzt fällt’s mir wieder ein«, sagt Richard leicht verlegen. Weil er sich an seinen Sturz erinnert oder weil er das mit dem Armband vergessen hat? Ich bin mir nicht sicher. »Gott, ich bin ein verdammter Idiot. Tut mir leid. Ich kann dir nicht einmal zeigen, wie sehr ich dich liebe, ohne es zu vermasseln.«
Ich spüre Tränen in mir hochsteigen. Wegen seiner Offenheit? Weil er mir endlich sagt – beziehungsweise zeigt –, wie sehr er mich noch liebt? Ich weiß es nicht.
»Ich werde den Anhänger an einer Kette tragen. Du hast mir damit eine große Freude gemacht, Richard, auch wenn ich kein Armband mehr besitze«, sage ich.
Die Atmosphäre ist so geladen, dass es mir vorkommt, als wären wir beide von Kopf bis Fuß in Nylon gehüllt. Während Richard sich vorbeugt und seine Lippen sich den meinen nähern, spüre ich, wie ich eine Gänsehaut bekomme. Seine Arme umschlingen mich, und ich bin absolut bereit, mich von ihm küssen zu lassen ...
Aber ich kann nicht. Ich weiß, dass Richard mich noch liebt, aber es gibt noch zu viele ungeklärte Gefühle. Was auch immer er sagt, ändert nichts an der Tatsache, dass er monatelang eine andere geküsst hat. Ich weiche vor ihm zurück.
»Was ist?«, fragt er.
»Tut mir leid, Richard. Der Anhänger ist wunderschön. Vielen Dank. Aber ich kann das jetzt nicht.«
»Nein, mir tut es leid. Ich hätte nicht ...« Er verstummt und blickt verlegen auf seine Schuhe. »Es ist Samstagabend«, sagt er leise. »Sollen wir durch die Klubs ziehen?«
Jetzt lächelt er, und ich erwidere sein Lächeln. »Ich glaube nicht. Aber ich habe Hunger, ich könnte glatt einen Bären verschlingen.«