8 Soldaten und Prostitution

Natürlich kommt es im Krieg immer zu ein paar Vergewaltigungen.

General George Patton während des Zweiten Weltkriegs

A. ist eine gutaussehende, 26-jährige Frau und gehörte einer Eliteeinheit der amerikanischen Streitkräfte im Irak an. Im Alter von 18 Jahren hatte sie sich freiwillig gemeldet und war vor allem wegen ihrer Kenntnisse auf dem Gebiet der Cyberkommunikation genommen worden. Heute, im Oktober 2009, ist sie wieder in Texas und befindet sich wegen schwerer posttraumatischer Belastungsstörungen in psychologischer Behandlung. Während sie gegen ihre Albträume kämpft, fragt sie sich unter anderem, wie ihre männlichen Kollegen so grausam sein konnten, irakische Mädchen und Frauen zu vergewaltigen, wenn sie doch angeblich in den Irak entsandt worden waren, um den Frieden wiederherzustellen.

Jim aus New Jersey weiß nur zu gut, was A. durchleidet. Er sitzt mir in einem New Yorker Café gegenüber. Während er zusieht, wie sich der Zucker und die Milch allmählich mit dem Kaffee in der Tasse vor ihm vermischen, betrachte ich seine runzelige Stirn und seine ausgedörrten Wangen; mit weißer Haut kennt die Tropensonne kein Erbarmen.

Jim ist 60 Jahre alt, verheiratet, hat vier Enkelkinder und arbeitet heute für eine Nichtregierungsorganisation in seinem Heimatland. Als er Ende der 1960er Jahre als Soldat nach Vietnam kam, hielt er sich für einen echten Patrioten. Inzwischen ist er weiser geworden und fragt sich, warum er seine Handlungen damals nicht einmal im Ansatz hinterfragte:

Als Soldat hat man zu gehorchen. Als Patriot hat man den Befehlen der Vorgesetzten Folge zu leisten und dafür zu sorgen, dass die eigenen Untergebenen gehorchen. In der Ausbildung lernt man etwas völlig Unnatürliches: Man lernt, ein Volk zu hassen, von dem man nicht das Geringste weiß, und zwar derart, dass man seine Angehörigen nicht einmal mehr als Menschen wahrnimmt. Die Kinder sind potentielle Feinde, die Frauen sind Objekte oder Geiseln. Das ist die einzige Möglichkeit, den Krieg zu überleben, ohne verrückt zu werden: Die anderen zu verachten und zu hassen. In der Ausbildung geht es darum, die ganze Wut freizusetzen, die du in dir trägst, und deine dunkelste Seite auszuleben.

Die Armee nimmt dir deine Menschlichkeit, und zwar in allen Lebensbereichen. Nach all den Jahren, in denen ich an mir selbst gearbeitet habe, in denen ich Yoga gemacht und ein Aktivist der Friedensbewegung geworden bin, erkenne ich mich in diesem jungen Mann, der ich damals war, nicht mehr wieder. Aber er ist immer noch da. Als wir damals in Thailand angekommen sind, hat uns der General erklärt, welche Bordelle wir als US-Soldaten besuchen durften. Sie hatten eine grüne Plakette an der Tür, die bedeutet, dass die Prostituierten von der thailändischen Regierung ausgesucht worden waren und dass die amerikanische Regierung dafür bezahlt hatte, dass sie unberührt und gesund waren. In den Bordellen habe ich extrem junge Mädchen gesehen. Niemand hat irgendwelche Fragen gestellt, wir haben sie benutzt und fertig. Aber wir waren nicht die Einzigen. Alle Armeen der Welt benutzen die Prostitution als eine Art Entspannungstherapie für die Soldaten. Uns war es damals völlig egal, ob es den Mädchen Spaß gemacht hat oder nicht oder ob sie vielleicht verschleppt worden waren. Es ging uns nur darum, unsere dienstfreien Stunden zu genießen. Wir hatten die Phantasie, dass sie sich in uns verlieben und dass wir sie zu unseren Sklavinnen machen, nicht nur Sexsklavinnen, sondern dass sie uns massieren und bedienen und uns das Gefühl geben, dass wir männlicher sind als die anderen.

Zu Beginn des Vietnamkriegs im Jahr 1957 gab es schätzungsweise 18 000 bis 20 000 Prostituierte in Thailand. Nachdem die Vereinigten Staaten sieben Militärbasen im Land eingerichtet hatten, investierten sie jährlich rund 16 Millionen Dollar in die thailändische Wirtschaft. Im Jahr 1964 gab es bereits 400 000 Prostituierte, die von den US-Soldaten ausgebeutet wurden. Das Pentagon war also verantwortlich für die Einrichtung der »amerikanischen Bordelle in Asien«, wie der Senator James William Fuller es nannte.

Über die sogenannten Trostfrauen wurde erstmals in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert, nachdem Frauengruppen in Korea und Japan die Existenz von Prostitutionslagern und Armeebordellen aufgedeckt hatten, die das japanische Militär während des Zweiten Weltkriegs eingerichtet hatte. Dort lebten geschätzte 150 000 bis 200 000 Frauen und Mädchen vor allem von den Philippinen, aus China und Korea, aber auch aus Thailand, Vietnam, Malaysia, Taiwan und Indonesien, und wurden als Sexsklavinnen missbraucht. Der Historiker Yoshiaki Yoshimi schreibt, die Führung der kaiserlichen japanischen Armee habe befürchtet, die Soldaten könnten gegen einen langen Krieg rebellieren, und habe deshalb die Lager eingerichtet, »um die Soldaten bei Laune zu halten«.

Anfangs rekrutierte die Armee Prostituierte aus der Region und kasernierte sie an einem abgeschirmten Ort. Doch schon bald nahm der Bedarf zu, da viele der Frauen krank wurden oder angesichts der fortgesetzten Vergewaltigungen unter Erschöpfungszuständen litten. Also ließ die kaiserliche Armee Annoncen in die Zeitung setzen, in denen sie nach Krankenschwestern und Reinigungskräften suchte. Die Frauen, die sich auf diese Stellenanzeigen hin meldeten, wurden in Lager verschleppt und dort zur Sexsklaverei gezwungen. Historikerinnen und Menschenrechtsorganisationen haben die Aussagen von Tausenden von Opfern dokumentiert. Die Mehrheit der Frauen sprach interessanterweise nicht von Vergewaltigungen, sondern von einer sehr viel weitergehenden Gewalt, »einer Art Hass, der in der Penetration mit dem Penis oder anderen Gegenständen zum Ausdruck gebracht wird, aber auch in Worten und Misshandlungen«, wie eine 17-jährige Frau dies ausdrückte, die im heutigen Mosambik von Soldaten in die Sexsklaverei gezwungen wurde. Die Ärzte, die Frauen in Mosambik und in Ruanda behandelten, sprechen von unbeschreiblichen Misshandlungen, die diese Frauen erdulden mussten. Human Rights Watch ist eine der Organisationen, die an der Dokumentation dieser Fälle beteiligt waren.

Am 17. April 2007 stießen Yoshimi und Hirofumi Hayashi bei ihren Recherchen auf Dokumente der Tokioter Kriegsverbrecherprozesse, in denen sieben Offiziere der japanischen Militärpolizei Toketai gestanden, Frauen in Bordelle in China, Indochina und Indonesien verschleppt zu haben, in denen sie den japanischen Soldaten zu dienen hatten. Im Mai desselben Jahres wurden weitere Dokumente aus dem Jahr 1944 entdeckt, in denen Angehörige des Militärs die Einrichtung von Lagern zur massiven sexuellen Ausbeutung von Frauen beschreiben.

Im Kino wird das Bild der Geishas und Trostfrauen jedoch extrem verzerrt dargestellt. Auf der Leinwand wird gern das Klischee von hübschen jungen Frauen verbreitet, die sich unsterblich in amerikanische oder europäische Soldaten verlieben und zu deren Geliebten werden. In Wirklichkeit lebten diese Frauen in Angst und Schrecken, sie hatten oft die Ermordung ihrer Eltern und Geschwister miterlebt und waren von Soldaten vergewaltigt worden. Hollywood und das Kino aus Fernost haben eine wichtige Rolle bei der Idealisierung der Zwangsprostitution in Kriegszeiten gespielt. In Wirklichkeit war Schanghai nichts anderes als das größte Prostitutionslager der japanischen Armee, und Thailand und die Philippinen übernahmen eine ähnliche Rolle für die nordamerikanischen und europäischen Streitkräfte. In Kinofilmen und Romanen werden meist edle Soldaten dargestellt, die mit hübschen asiatischen Mädchen tanzen und romantische Spaziergänge am Strand unternehmen. Die Überlebenden der Zwangsprostitution berichten dagegen von Massenvergewaltigungen durch bis zu 20 Männer. Dazu kamen unerwünschte Schwangerschaften und Geschlechtskrankheiten, für die die Frauen isoliert und bestraft wurden, als seien sie daran schuld, dass die Soldaten keine Kondome verwendeten oder es keine gab. In den Lagern starben Tausende von Sklavinnen, ohne dass ihre Angehörigen von ihrem Tod erfuhren. Viele Romanautoren idealisieren die Zwangsprostitution dagegen und reduzieren ihre Geschichten auf persönliche Konflikte um Liebe und sexuelle Freiheit.

In Washington hielt man sich mit der moralischen Verurteilung der japanischen Praktiken zurück. Stattdessen wurden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Japan mit amerikanischem Geld neue Lager der Zwangsprostitution eingerichtet, diesmal für die Besatzungsarmee. Im Jahr 1945 wurde die »Vereinigung zur Freizeitgestaltung und Unterhaltung« ins Leben gerufen – hinter dieser harmlosen Bezeichnung verbargen sich die Lager für Sexsklavinnen. Japaner und die amerikanischen Besatzer handelten die Einrichtung von Bordellen aus, die einerseits amerikanischen Ansprüchen genügten und andererseits den Zweck hatten, »die japanischen Frauen vor den sexuellen Bedürfnissen der Soldaten zu schützen, die Reinheit der japanischen Rasse zu wahren und zu verhindern, dass die Vergewaltigungen zu Schwangerschaften führten«, schreibt der Historiker Herbert Bix.[8]

Im Jahr 1946 gelang es Eleanore Roosevelt, der vormaligen First Lady der Vereinigten Staaten, eine Abschaffung der Trostfrauen zu erwirken. Aus historischen Dokumenten geht jedoch hervor, dass General Douglas MacArthur, der Oberkommandierende der Alliierten Streitkräfte, dieser Abschaffung vor allem deshalb zustimmte, weil mehr als die Hälfte der amerikanischen Soldaten mit Geschlechtskrankheiten infiziert war und ihr Gesundheitszustand die Einsatzfähigkeit der Truppe gefährdete. Die Zuhälter oder Menschenhändler verlangten Bezahlung in Vorkasse und kassierten 15 Yen von den amerikanischen GIs (damals umgerechnet 1 Dollar, nach heutiger Kaufkraft etwa 9 Dollar). Übrigens halten auf den Philippinen, in Kambodscha und Thailand die Familien, die damals durch die Prostitution reich wurden, bis heute das Monopol der Zuhälterei und werden von den Behörden nicht behelligt.

Trotz der Aussagen von Tausenden Frauen, die in Birma, China, Japan, den Philippinen, dem Balkan und anderen Staaten in Europa und Lateinamerika in Militärbordellen zur Prostitution gezwungen wurden, beschäftigen sich nur wenige Experten mit der Rolle der sexuellen Gewalt in der militärischen Ausbildung in aller Welt und vor allem den Auswirkungen für Frauen und Mädchen in Kriegsgebieten. Obwohl die Sexsklaverei inzwischen ausreichend dokumentiert ist, beispielsweise in einer Studie, die Linda Chávez im Auftrag der Vereinten Nationen durchführte[9], hört man nach wie vor, die Mädchen und Frauen, die vom Militär zur Prostitution gezwungen werden, prostituierten sich freiwillig, um Geld zu verdienen oder einen Ehemann zu finden.

Im Jahr 2007 übten die Regierungen der Vereinigten Staaten, Kanadas und Großbritanniens sowie die Europäische Union Druck auf die japanische Regierung aus, sich öffentlich bei den Opfern der Militärbordelle zu entschuldigen. Dabei vergaßen sie geflissentlich, die Sexsklaverei und die Vergewaltigungen zu erwähnen, deren sich ihre eigenen Armeen in den Ländern schuldig gemacht hatten, die sie in den vergangenen Jahrhunderten mit Feuer und Schwert erobert hatten. Die Regierungen und Medien haben verständlicherweise kein Interesse daran, öffentlich zu machen, wie die eigenen Armeen die Verschleppung und Versklavung von Frauen betreiben. Zwar haben die Regierungen von 175 Nationen die Konvention der Vereinten Nationen zur Unterbindung des Menschenhandels und der Ausnutzung der Prostitution anderer unterzeichnet, doch das hindert sie nicht daran, dieses Übel nicht nur zu dulden, sondern sogar noch massiv zu fördern.