Das Goldene Dreieck

Die Zahlen sprechen für sich. Nach Auskunft der DEA stammen 80 Prozent des in Asien gehandelten Heroins aus Birma. Nach Afghanistan ist Birma das zweitwichtigste Anbaugebiet für Schlafmohn, aus dem illegale Drogen hergestellt werden. In letzter Zeit hat die Produktion von Metamphetaminen und der Mohnanbau zur Gewinnung von Opium und Heroin deutlich zugenommen: Allein mit dem Export von Drogen kommen zwischen einer und zwei Milliarden US-Dollar ins Land. Nach Auskunft von UNODC baute Birma im Jahr 2007 Opium im Wert von 220 Millionen Dollar an; das daraus gewonnene Heroin hatte einen Marktwert von mehr als 1,8 Milliarden Dollar.

Unbehelligt nutzen die Drogenhändler aus Birma die alten Handelswege im Goldenen Dreieck, einer Bergregion zwischen Birma, Laos und Thailand, die mit ihren rund 350 000 Quadratkilometern etwa so groß ist wie Deutschland. Während sich andere Länder in Ostasien verpflichtet haben, gegen den Opiumanbau vorzugehen, stieg Birma zum führenden Exporteur von Heroin und Metamphetaminen auf. Nicht ohne Grund wird das »Goldene Dreieck« auch »Metamphetamin-Dreieck« genannt.

Im November 2003 informierte der Arbeitskreis Maßnahmen zur Geldwäschebekämpfung, die birmanischen Banken Birmania Mayflower und Asia Wealth Bank seien auf die Geldwäsche der Drogenkartelle spezialisiert. Auf internationalen Druck entzog die Junta diesen beiden Banken die Lizenz und autorisierte gleichzeitig die Gründung von hundis oder hawalas, Banken für kleine Transaktionen nach thailändischem und kambodschanischem Vorbild. Diese Einrichtungen werden zum Beispiel von der überwiegenden Mehrheit von Migranten genutzt, die kleine Geldbeträge an ihre Familien zu Hause schicken. Aber auch Schmuggler und Menschenhändler nutzen diese Banken, um täglich unauffällig kleine Summen zu bewegen. Wie in dem Kapitel über Kambodscha beschrieben, machte ich die Probe und verschickte einen Betrag über ein hundi. Ohne Ausweis und mit falschem Namen war es möglich, Herkunft und Ziel von 600 Dollar zu verschleiern.

Ein Agent der Interpol, der zurzeit untersucht, wie Geld aus Spanien in Bangkok und Singapur gewaschen wird, erklärt den Fluss von Schwarzgeld so:

Wenn irgendwo eine Tür für die Geldwäsche zugeht, geht anderswo ein Fenster auf. In Entwicklungsländern werden immer mehr Kleinbanken wie die hundis oder hawalas eröffnet. Auch über Western Union lässt sich problemlos Schwarzgeld verschicken. Über die Mikrobanken, die oft auch kleine Geschäfte oder Pfandleiher sind, werden erstaunliche Summen bewegt. Die wiederum versorgen die einzelnen Knotenpunkte in den Verbrechernetzwerken mit ihrem Lebenselixier.

Nehmen wir den Fall eines Menschenhändlers im Goldenen Dreieck. Ein Bauer bewegt pro Woche zwischen 1700 und 2000 Dollar, die in drei Geldsendungen aufgeteilt werden. Man sollte meinen, dass ein solcher Bauer für die Verbrechernetzwerke keinerlei Bedeutung hat, aber in 50 Wochen – wenn wir ihm zwei Wochen Ferien gönnen – bewegt er 85 000 Dollar, ohne dass irgendjemand Verdacht schöpft, dass er hier Geld aus dem Handel mit Kindersklaven wäscht. Wenn wir bescheiden kalkulieren und davon ausgehen, dass es in Birma nur 1000 Menschenhändler gibt, die im Jahr 85 000 Dollar bewegen, dann kommen wir auf 85 Millionen Dollar, und das ist auch für die Mafia und ihre Freunde keine kleine Summe.

Ein Bauer verkauft fünf Mädchen unter elf Jahren für je fünf Dollar. Ein Zwischenhändler verkauft sie für 30 Dollar an einen Soldaten weiter. Der wiederum verkauft sie an Opiumhändler weiter, die schon 50 Mädchen aus regionalen Waisenhäusern zusammengekauft haben. Der Soldat hat die Möglichkeit, sie in einer Buchbinderei in Thailand unterzubringen, die billige Bücher für den lateinamerikanischen Markt herstellt. Jedes Mädchen hat eine Tasche mit persönlichen Gegenständen, in der es Opiumpaste zur Herstellung von Heroin transportiert. In Thailand liefern sie erst die Drogen und dann die Mädchen ab. Das Geschäft könnte nicht besser sein.

Nach zwei Tagen in Birma kehre ich mit Tomys Cousin nach Thailand zurück. Meine Notizbücher, mein Diktiergerät und meine Kamera reichen nicht aus, um den menschlichen Schmerz aufzuzeichnen, den ich in den leidenschaftlichen Blicken der Menschen gesehen habe, die an die eigene Freiheit und die Freiheit anderer glauben und bereit sind, für sie ihr Leben zu riskieren.

Ich gehe durch die Straßen von Mae Sot. Als ich meinen Rucksack absetze und meine Wasserflasche heraushole, laufen einige Mädchen auf mich zu. Sie glauben vermutlich, dass ich meinen Geldbeutel suche, um ihnen eine Kleinigkeit abzukaufen. Die Kleinen sind kaum älter als sechs Jahre, und an ihrer Haut und ihrem spärlichen Haar ist ihnen die Unterernährung anzusehen. Ich beuge mich zu ihnen hinunter und kaufe kleine Elefanten aus Holz und Plastik. Ein Mädchen blickt mir in die Augen, und schlagartig habe ich das Gefühl, dass wir beide allein sind. Ich, eine Mexikanerin, die auf einer staubigen Straße an der Grenze zwischen Thailand und Birma kniet, während in meiner Heimat Hunderte Mädchen in die Sklaverei verkauft werden. Und sie, die mich anlächelt, als wäre sie im Besitz eines Geheimnisses, und die auf der Straße Krimskrams verkauft, während andere Mädchen ihres Alters in Bordellen eingesperrt sind und Männer aus aller Welt befriedigen müssen. Mit dem Handrücken streichele ich ihr über die Wange, und sie streichelt mich. Wir staunen über die Verbindung.

In diesem Moment kommt ein vielleicht 20-jähriger, schlaksiger Junge in zerrissenem Hemd auf mich zu und lächelt mich an. »Wadaposchen«, sagt er. Ich sehe ihn an und gebe ihm zu verstehen, dass ich ihn nicht verstanden habe. Also wiederholt er seine Frage langsam, in breitem Englisch und mit der Attitüde eines mächtigen Mannes: »Want adoption?« Wortlos stehe ich auf.

Ich atme tief durch, und ohne nachzudenken, gehe ich auf die Brücke zu. Ein thailändischer Grenzbeamter sieht mich freundlich an und bietet mir ein Tagesvisum an. Ich schüttele den Kopf und frage ihn, ob er von den Grausamkeiten gehört hat, die die birmanischen Militärs an den Frauen und Mädchen verüben, von der Zwangsprostitution und den Massakern.

»Ja, schlimm, schlimm. Bei uns ist das verboten«, erwidert er. Ich lächle ihn leise an und atme tief und ruhig, um die Beklemmung aus meiner Brust zu bekommen. Der Mann spricht weiter.

»Aber Sie wissen ja, Madame, vielen gefällt das. Die Mädchen sind einfach geborene Nutten, denen gefällt das.« Er klingt unfreiwillig zynisch, wie Milliarden von Männern in aller Welt, die gebetsmühlenartig behaupten, die Sklavinnen wollten ja versklavt werden und ihnen, den Klienten, bliebe gar nichts anderes übrig, als die Wünsche der Sklavinnen zu erfüllen.

Schweigend gehe ich weiter und gehe auf die Straßenecke zu, an der ich mich mit meinem Fahrer verabredet habe. In diesem Moment, unter der asiatischen Sonne, bin ich keine Journalistin und keine Menschenrechtsaktivistin, sondern einfach eine Frau, die den Spuren des Bösen folgt und sich fragt, ob irgendjemand weiß, wie man die Menschheit vor ihrer eigenen Grausamkeit retten kann.