Vorwort

von Carolin Emcke

1.

Man hat sie bedroht und verklagt, entführt und misshandelt. Lydia Cacho hätte gute Gründe gehabt, ihre lebensgefährlichen Recherchen über Kindesmisshandlung, sexuelle Gewalt und Menschenhandel anderen zu überlassen. Sie hätte zufrieden sein können mit dem Heim für sexuell ausgebeutete Frauen und Kinder, das sie im Jahr 2000 gegründet hat. Sie hätte aufgeben können, als sie wenige Jahre später selbst zum Opfer der Gewalt wurde, weil ihre Arbeit die illegalen Geschäfte der Sex-Händler und ihrer politischen Schattenmänner zu stören begann. Jeder hätte es verstanden, wenn ihr nach all dem, was sie schon erlebt hat, die Kraft ausgegangen wäre oder der Mut.

Seit der Veröffentlichung ihres Buches »Los Demonios del Edén (»Die Dämonen im Garten Eden«) im Jahr 2005, über die Verwicklung des bekannten Unternehmers Jean Succar Kuri in ein Netzwerk von Kinderpornographie und -prostitution, musste Lydia Cacho nicht nur ihre Arbeit, sondern ihr Leben verteidigen. Jahrelang hatte sie als investigative Journalistin die Aussagen mitunter minderjähriger Opfer sexueller Ausbeutung gesammelt und zudem Hinweise auf die Verstrickung korrupter Politiker und erfolgreicher Unternehmer in die mafiosen Geschäfte der Sex-Industrie gefunden. Doch anstatt Unterstützung für ihre Recherchen von den mexikanischen Ermittlungsbehörden oder der Polizei zu bekommen, wurde Cacho mit Verleumdungsklagen überzogen und im Dezember 2005 von einer Gruppe von Polizeibeamten entführt und gefoltert.

Zwar konnte Cacho nach Zahlung einer Kaution wieder freikommen, aber zwei Monate später wurde durch die Veröffentlichung von Telefonmitschnitten deutlich, dass Mario Marín Torres, der Gouverneur des Bundesstaates Puebla, selbst die Verhaftung und Vergewaltigung von Lydia Cacho als »Gefallen« für einige zwielichtige Freunde erörtert hatte. Nach anfänglichen Dementis hat Marín inzwischen zugegeben, die Stimme auf den Tonbändern »könnte seine sein«. Lydia Cacho reagierte auf diese Einschüchterungsversuche nicht mit Rückzug, sondern sie zeigte ihrerseits den Gouverneur, einen Staatsanwalt und einen Richter wegen Korruption und versuchter Vergewaltigung in Haft an. Der »Caso Cacho« hat das Abgeordnetenhaus, das Verfassungsgericht und schließlich den damaligen Staatspräsidenten Vicente Fox beschäftigt.

Sie hat sich damit nicht begnügt. Lydia Cacho hätte aufhören können, sie hätte sich anderen Themen zuwenden können, anderen sozialen oder politischen Konflikten in Mexiko. Stattdessen hat Cacho ihre Recherchen über die sexuelle Ausbeutung und Misshandlung von Frauen und Kindern nur mehr intensiviert und systematisiert. Was sie im Lokalen als kriminelles Netz in ihrem Wohnort Cancún aufgezeigt hatte: die widerliche Allianz aus kleinen Zuhältern, windigen Unternehmern und korrupten Politikern, die Verbindungslinien von Schleusern, Schmugglern und Behörden, die den Handel mit der menschlichen Ware erst möglich machten, das hat sie nun in einem nahezu wahnwitzigen Unterfangen weltweit nachgezeichnet und analysiert. Was in der politischen Landschaft ihrer mexikanischen Heimat schon bedenklich war, nimmt sich im globalen Maßstab der internationalen Mafia aus Menschenhändlern und Pornographie-Ringen nicht minder lebensgefährlich aus.