Die Triaden

Ich weiß nicht, was die ganze Aufregung soll. Die Leute sagen, »Die bringen die Mädchen um.« Die Chinesen bringen die Mädchen um, weil sie nur ein Kind haben dürfen. Wir bringen sie nicht um, wir besorgen ihnen eine Arbeit. Ach, und sie sagen: »Sie verkaufen die Mädchen, was sind die Chinesen doch für schlechte Menschen.« Aber ich sage, sie haben Männer und Arbeit. Wir besorgen ihnen das im Ausland. Die Leute sagen: »Die Chinesen sind schlechte Menschen.« Die Leute sind dumm.

In der Provinz Chongqing verhafteter Menschenhändler

»Vor wem haben Sie Angst?«, frage ich den Beamten aus dem kambodschanischen Sozialministerium, der mich verständnislos anblickt. »Vor den chinesischen Triaden? Oder vor der korrupten Polizei?« Seine Augen weiten sich, er beugt sich zu mir vor und sagt: »Madame, bitte, sprechen Sie nicht so laut.« Er faltet bittend die Hände, atmet mit buddhistischer Diskretion tief ein und sieht mir im weiteren Verlauf unseres Gesprächs nicht mehr in die Augen.

»Die Regierung des Königreichs Kambodscha arbeitet mit den Vereinigten Staaten im Kampf gegen das weltweite Problem des Menschenhandels und der Zwangsprostitution zusammen.« Der Beamte spricht, als würde er ein Rundschreiben des Tourismusministeriums vorlesen. Nach unserer kurzen Unterredung reicht er mir wortlos eine Karte. Auf ihr stehen die Daten eines Informanten bei der kambodschanischen Polizei. »Ich kenne Sie nicht, Madame«, sagt er mir zum Abschied und verbeugt sich. »Ich Sie auch nicht«, erwidere ich, hebe die zusammengelegten Hände vor mein Gesicht und lächle, dankbar für sein Vertrauen. Ein Freund in der Internationalen Organisation für Migration (IOM) hatte den Kontakt hergestellt. Die beiden vertrauen einander, und ich bin die Nutznießerin dieser beruflichen Freundschaft. In Kambodscha, wie in allen Ländern, gibt es innerhalb des Systems Beamte, die bereit sind, gegen die Korruption zu kämpfen. Sie wissen, wie sie mit dem Monster umzugehen haben, denn sie leben in seinen Eingeweiden. Deshalb sprechen sie in ihren Büros so wenig wie möglich, denn die Wände haben Ohren, und ihre Sekretärinnen, Bürohilfen, Assistenten oder Vorgesetzten könnten mit der Mafia unter einer Decke stecken.

 

Viele Menschen haben Angst, das Wort »Triade« laut auszusprechen. Der Name stammt vom dreieckigen Symbol der Sanhehui-Mafia, der Gesellschaft der dreifachen Harmonie zwischen Himmel, Erde und Menschen. Die Ursprünge der Triaden gehen bis ins 17. Jahrhundert zurück. Als die Invasoren aus der Mandschurei die Ming-Dynastie auslöschten, übernahmen sie als »Ching-Dynastie«, die im Rest der Welt meist als »Mandschu-Dynastie« bezeichnet wird, die Macht. Eine Widerstandsgruppe mit dem Namen Tian Di Hui (die Gesellschaft von Himmel und Erde), die der Ming-Dynastie treu war, schuf eine große Bewegung aus Arbeitern und Bürgern, die bereit waren, ihre Stammesideen zu verteidigen. Um sich Waffen zu beschaffen und zu überleben, verstrickten sie sich immer weiter in kriminelle Machenschaften. Die englische Königin Victoria, das vermutlich erste weibliche Staatsoberhaupt, das einem Drogenkartell vorstand, förderte den Opiummarkt. Großbritannien machte Hongkong zur Kolonie, während Millionen von Chinesen von dem Opium abhängig wurden, das mit königlichem Siegel verkauft wurde.

Während die westlichen Regierungen die korrupte Mandschu-Dynastie unterstützten, bezeichneten die Briten die Widerstandsgruppen als Triaden. Nach 1911, als die Triaden unter der Führung von Sun Yat-sen in einer Revolution die Macht ergriffen, spalteten sich die Gruppen. Die Triaden standen auf dem Höhepunkt ihrer Macht.

Damit endete ihr politischer Kampf, nicht aber ihr Einfluss im Staat. Im Laufe der Zeit baute sich die Sanhehui-Mafia im Glücksspiel, der Kinderprostitution und dem Opiumhandel eine Monopolstellung auf. Die Triade gewann großen politischen Einfluss und kriminelle Reichweite und erwarb sich eine mystische Aura. Bis heute müssen die führenden Mitglieder einiger Triaden 36 Schwüre ablegen, darunter die Treue bis in den Tod. Wie die japanischen Yakuza haben die chinesischen Mafiosi mystische Ränge – »489 Lehrer des Berges«, »438 stellvertretende Lehrer des Berges«, »415 Fächer aus Reispapier« oder »432 Strohsandalen« – und foltern Verräter zu Tode, die der Polizei Informationen zuspielen. Ihre bevorzugten Waffen sind bis heute Metzgermesser und kurze Macheten, wie sie traditionell zur Reisernte verwendet werden. Auch die neue Generation bevorzugt diese Waffen gegenüber den großkalibrigen Feuerwaffen. Trotzdem benutzen sie Letztere natürlich auch, vorzugsweise die leicht zu beschaffende AK-47, um ihre kommerziellen Operationen zu schützen, sei es den Sklavenhandel, den Drogenhandel oder die Schutzgelderpressung im Wettgeschäft. Sie haben heute nicht mehr die monolithische Struktur, die sie noch im 20. Jahrhundert hatten, sondern sie haben sich neu aufgestellt und erinnern in ihrer heutigen Form an die mächtigen mexikanischen Drogenkartelle. Aufgrund seiner ambivalenten Natur in der Grauzone zwischen Legalität und Illegalität spielt das Sexgewerbe eine immer wichtigere Rolle für die Mafia. Noch lässt sich hier nicht so viel Geld verdienen wie mit Waffen oder Drogen, doch die Sexbranche hat sich in beispielloser Weise in den globalen Wirtschaftsnetzen etabliert. Ihr Geheimnis ist vielleicht, dass es zahlreichen Mafiosi gelungen ist, aus den Provinzen kommend in den Zentralregierungen aufzusteigen und etwas zu schaffen, das Misha Glenny in seinem Buch McMafia als »Schnittstelle von Politik und Verbrechen« bezeichnet. Damit meint er eine zutiefst korrupte Beziehung zwischen Magnaten und den Führern von politischen Parteien – beispielsweise Chen Kai in der chinesischen Provinz Fuijan, Kamel Nacif im mexikanischen Bundesstaat Quintana Roo oder Michael Galardi im amerikanischen Bundesstaat Nevada. Die Magnaten, die sich mit undurchsichtigen Geschäften ein Vermögen aufgebaut haben, waschen ihr Geld über politische Spenden und kaufen Kandidaten, genauso wie sie Luxusgegenstände oder Frauen kaufen, um die Gesetze in ihrem Sinne zu gestalten und unbehelligt agieren zu können. In Schwellenländern ist sehr viel besser zu erkennen, welchen Einfluss die Mafia in ihren Gemeinden hat. Die Kartelle bauen Schulen, teeren Straßen und errichten Kirchen und Krankenhäuser. Es gibt wohl kaum einen hochrangigen Mafioso, der nicht auf dem globalen Markt tätig wird, um sein Angebot und seine Beziehungen zu anderen Kriminellen und zu Politikern zu verbessern. Sein bevorzugtes Biotop sind Spielkasinos und Bordelle, seine Ziele sind Lust, Macht und Geld.