11

Wir hatten uns in meinem Zimmer im Shelburne geliebt. Und dann, als ich im Dunkeln auf dem Bett lag und die letzten Spuren ihres Parfüms roch, hatte die Tür sich ein paar Zentimeter geöffnet. Ein Umschlag fiel auf den Boden, und die Tür schloss sich wieder.

Der Umschlag hatte dreihundertundsiebzig Dollar enthalten.

Wir hatten uns in meinem Zimmer im Collingwood geliebt, und kurz bevor sie ging, gab sie mir einen Umschlag mit mehr als siebenhundert Dollar. Vielleicht war meine Leistung damals besser gewesen, oder vielleicht wurden Liebesdienste mit jedem Mal besser bezahlt, solange man sich dafür hergab.

Diesmal betrug die Bezahlung drei Riesen, und ich hatte noch nicht einmal Sex mit ihr gehabt.

Jetzt erinnerte ich mich an das schlechte Gefühl im Collingwood, nachdem sie mir das Geld gegeben hatte; dieses eigenartige Gefühl, dass das Geld Bezahlung für geleistete Dienste war. Das war offenbar auch bei diesen dreitausend der Fall. Es war die Bezahlung, wahrscheinlich sogar die volle Summe, für die Beseitigung ihres Mannes. Ich fragte mich, was das gängige Honorar für Gattenmord war. Oder gab es einen festen Preis? Vielleicht variierte er, wegen der vielen Komponenten, die berücksichtigt werden mussten. Das Nettovermögen des Mannes zum Beispiel, und wie schlimm es war, mit ihm zusammenleben zu müssen. Das waren wichtige Faktoren. Es müsste mehr kosten, einen widerlichen Millionär umzubringen als einen gutmütigen, unversicherten armen Teufel. Das war doch logisch.

Dreitausend Dollar für Mord.

Dreitausend Dollar.

Dreitausend Dollar und nicht einmal ein Stück Papier, auf dem Lebewohl stand. Dreitausend Dollar und kein Wort, keine Adresse, gar nichts. Dreitausend Dollar als Abschiedsgruß mit einem weißen Umschlag, der klipp und klar ausdrückte, Es ist vorbei, das ist deine Bezahlung, jetzt verschwinde, vergiss mich, und zum Teufel mit dir. Dreitausend Dollar und eine kalte Schulter.

Für dreitausend Dollar kann man zweihunderttausend Zigaretten kaufen. Ich rauche zwei Packungen Zigaretten am Tag. Dreitausend Dollar würden mich also beinahe vierzehn Jahre lang mit Zigaretten versorgen. Mit dreitausend Dollar kann man vierhundert Gläser guten Bourbon kaufen, ein ziemlich gutes, neues Auto, oder dreihundert Hektar ziemlich minderwertiges Land. Mit dreitausend Dollar kann man dreißig gute Anzüge oder hundert Paar gute Schuhe oder dreitausend Krawatten kaufen. Man kann sechstausend Stunden hintereinander Billard dafür spielen.

Dreitausend Dollar für Mord.

Das war nicht annähernd genug.

Eine seltsame Ruhe war über mich gekommen, was mich überraschte. Wahrscheinlich hatte ich noch immer nicht voll kapiert, was geschehen war. Ich sah alles in einem anderen Licht – Mona, mich selbst, das ganze seltsame kleine Spiel, das wir gespielt hatten. Ich war ihr von Anfang an auf den Leim gegangen. Ich hatte für sie getötet, mehr als für das Geld. Ich hatte in Miami auf sie gewartet, während sie nach Las Vegas geflogen war und mich vergessen hatte.

Warum hatte sie mich aber dann überhaupt bezahlt?

Nicht um ihr Gewissen zu beruhigen, denn inzwischen wusste ich ganz genau, dass sie keines besaß. Auch nicht, um mir meinen Anteil auszuzahlen. Dreitausend Dollar waren wohl kaum ein fairer Anteil an dem Gewinn, den sie eingestrichen hatte.

Warum dann?

Ich dachte nach und fand zwei Erklärungen, die zu passen schienen. Eine war ganz vernünftig. Falls ich gar nichts von ihr hörte, würde ich in Panik geraten. Ich würde mich fragen, wo sie blieb, und versuchen, mit ihr Verbindung aufzunehmen. Schließlich würde ich jemandem auffallen, und das würde ihren feinen Plan durcheinanderbringen. Das wollte sie vermeiden, also musste sie mich wissen lassen, dass ich abserviert worden war. Genau das hatte sie perfekt erreicht. Kein Brief, kein Anruf, kein Telegramm. Nur ein anonymer Umschlag mit Geld.

Die andere Lösung konnte nur einem Menschen wie Mona vernünftig erscheinen. Sie war ein Mädchen, in dessen Leben immer alles geklappt hatte. Wenn sie mir nun etwas Kleingeld zukommen ließ, verschwand ich vielleicht einfach. Vielleicht war ich mit meinem winzigen Anteil zufrieden und ließ sie in Ruhe. Vielleicht nahm ich die Kohle, die sie mir aus reiner Nettigkeit geschickt hatte, und machte mich damit davon. Das war natürlich reines Wunschdenken. Aber Mona war es gewöhnt, dass ihre Wünsche in Erfüllung gingen.

Dreitausend Dollar. Mit dreitausend Dollar konnte ich es mir leisten, sie zu vergessen. Ich konnte mit der Kohle Miami Beach auf den Kopf stellen und mir eine reiche, geschiedene Frau suchen und sie dazu überreden, mich zu heiraten und bis ans Ende meiner Tage auszuhalten. Mit dreitausend konnte ich einen neuen Anfang machen, und sie rechnete damit, dass ich genau das tat.

Wie wenig sie mich doch kannte.

 

Irgendwie hatte der Gedanke an Meer und Brandung seinen Zauber verloren, ebenso der Gedanke an Essen. Aber die Bar war offen, und Alkohol war durchaus nicht unattraktiv. Ich trank, betrank mich aber nicht. Ich war damit beschäftigt, all den leisen Stimmen zuzuhören, die irgendwo tief in meinem Kopf miteinander sprachen. Sie hörten nicht auf damit.

Ich glaube, ich hätte sie vergessen können, wenn es nur um das Geld gegangen wäre. Aber so war es nicht gewesen. Ich hatte Keith Brassard niedergeschossen, weil ich seine Frau wollte, nicht sein Geld. Und ich war nicht von meiner Partnerin ausgetrickst worden, mit der ich mich kurzfristig für dieses Verbrechen zusammengetan hatte, sondern genau durch die Person, die ich als Belohnung für das Verbrechen bekommen wollte. Zwei Sachen gingen mir im Kopf herum: Ich konnte ihr das nicht durchgehen lassen. Und ich konnte nicht zulassen, dass sie mich verließ.

Ich trank Bourbon und dachte an Mord. Ich überlegte, wie ich sie töten konnte. Ich dachte an Revolver und Messer. Ich sah meine Hand an, meine Finger, die sich um das altmodische Glas krampften. Mit bloßen Händen konnte ich sie erwürgen, so lange auf sie einprügeln, bis sie tot war. Ich trank immer mehr Bourbon, und mir fielen das Gesicht, der Knall und die fünf Kugeln ein. Mir wurde klar, dass ich sie nicht töten würde.

Ich war mir sicher, dass ich nicht noch einmal einen Menschen töten konnte. Der Gedanke kam mir, und ich akzeptierte ihn sofort, als wäre er unumstößlich. Erst später fragte ich mich, warum das so war. Brassard zu töten, war nicht schwierig oder beängstigend oder gar gefährlich gewesen. Aber ich tötete nicht gern. Vielleicht war das kein besonders logischer Grund, aber das war mir gleichgültig. Ich wusste, dass es die Wahrheit war. Das war alles, worauf es ankam.

Ich würde sie nicht töten. Weil ich nicht töten wollte, aber auch, weil sich dadurch mein Problem nicht lösen ließ. Ich würde ein sinnloses Risiko eingehen, nur um mich zu rächen. Ich würde meine Rache bekommen, aber nicht das Geld und nicht Mona.

Und das Geld wollte ich immer noch. Und die Frau auch. Fragen Sie mich nicht warum.

»Haben Sie Feuer?«

Ich hatte Feuer. Ich drehte mich um und sah das Mädchen an, das Feuer haben wollte. Brünett, Mitte zwanzig, ein modisches schwarzes Kleid, eine gute Figur. Dunkelroter Lippenstift, eine Zigarette, die von den Lippen hing und darauf wartete, angesteckt zu werden. Dieses Mädchen wollte nicht nur Feuer.

Ich hielt ein Streichholz an ihre Zigarette. Sie war gelassen und ruhig, aber nicht besonders subtil. Sie beugte sich vor, als ich ihr das Streichholz hinhielt, damit ich ihre großen Brüste sehen konnte, die in einen schwarzen Spitzen-BH gezwängt waren. Als Eva sich zum ersten Mal Kleider anzog und den Garten Eden verließ, hat sie diesen Trick gelernt. Seitdem sind noch immer alle Männer darauf hereingefallen.

Ich erinnerte mich an die Hure im Cleveland und den Fetzen aus dem Gedicht über Mandalay. In Gedanken schrieb ich die Zeile um. I’ve a richer, bitchier maiden in a funny money land. Mona war reich und eine Schlampe und in Las Vegas. Keine große Poesie, aber zutreffend.

Dass angeblich eine ehrlichere, süßere Frau irgendwo wartete, war ein leerer Traum. Das Mädchen auf dem Hocker neben mir war hübsch. Ich brauchte nicht länger so zu tun, als wäre ich ein Priester.

Ich erwiderte ihr Lächeln. Ich winkte dem Barkeeper und deutete auf ihr leeres Glas. Er füllte es.

»Danke«, sagte sie.

Die Unterhaltung ließ sich leicht an, weil hauptsächlich sie redete. Sie hieß Nan Hickman. Sie tippte für eine Versicherungsgesellschaft in New York.

Sie hatten zwei Wochen Ferien. Die übrigen Tippsen nutzten ihre zwei Wochen dazu, um sich in den Catskills einen Mann fürs Leben zu schnappen. Sie mochte die Catskills nicht, und sie wollte auch keinen Mann fürs Leben. Sie wollte sich amüsieren, aber bis jetzt hatte sie noch nicht sehr viel Gelegenheit dazu gehabt.

Sie war reizend und warmherzig und ehrlich. Und sie hatte Stil. Sie wollte sich amüsieren. In zwei Wochen fuhr sie wieder in die Bronx zurück zu ihrer Schreibmaschine. Dort überwachte ihre Mutter, mit wem sie ausging und wann sie abends heimkam. Ihre Tanten suchten schon einen Ehemann für sie aus. Sie hatte nur diese zwei Wochen.

Ich legte die Hand auf ihren Arm. Ich sah sie an, und sie blickte nicht weg.

»Gehen wir hoch«, sagte sie. »Lass uns miteinander schlafen.«

Ich legte Geld für die Getränke auf die Theke. Wir gingen hoch in ihr Zimmer und wir liebten uns. Wir liebten uns sehr langsam, sehr sanft, mit großer Leidenschaft. Sie hatte etwas mit Rum getrunken, und ihr Mund schmeckte warm und süß.

Sie hatte einen guten Körper. Mir gefiel, dass nur ihre Arme, Beine und das Gesicht gebräunt waren, von den Brüsten bis zu den Hüften war ihre Haut bleich. Es gefiel mir, sie anzusehen und sie zu berühren. Es gefiel mir, mich mit ihr und gegen sie zu bewegen. Und danach tat es gut, neben ihr zu liegen, heiß und verschwitzt und vollkommen erschöpft, während die Erde langsam wieder fest unter uns wurde.

Eine Weile brauchten wir nicht miteinander zu reden. Dann fing sie an, Kleinigkeiten über sich, über ihren Job und ihre Familie zu erzählen. Sie hatte einen älteren Bruder, der verheiratet war und auf Long Island wohnte, und eine jüngere Schwester.

Sie erzählte mir nicht, dass wenn überhaupt jemand auf der Welt in ihrem Alter noch eine Jungfrau war, dann sie. Sie entschuldigte sich nicht dafür, dass sie mich aufgegabelt und mit mir geschlafen hatte. Sie wollte sich amüsieren.

Sie sprach auch nicht von morgen oder übermorgen oder den Tagen nachher. Sie sprach nicht von einem Heim, einer Familie oder einer Ehe oder kleinen weißen Häusern mit grünen Läden. Sie stellte mir auch keine Fragen.

Ich sah in ihre hübsches Gesicht, schaute auf ihre Brüste und ihren Körper. Ich dachte, wie gut es doch wäre, sich in sie zu verlieben und sie zu heiraten. Ich wollte, ich könnte es, und wusste genau, dass es unmöglich war.

I’ve a richer, bitchier maiden …

Ich wartete, bis sie schlief. Dann glitt ich unter der Decke hervor und zog mich an. Die Schuhe nahm ich in die Hand, weil ich sie nicht wecken wollte.

Ich blickte auf sie hinab. Eines Tages würde jemand sie heiraten. Ich hoffte, er war gut genug für sie, und sie würden zusammen glücklich werden. Ich hoffte, ihre Kinder würden wie sie aussehen.

Ich ging mit den Schuhen in der Hand hinaus zurück zu meinem Zimmer.

 

Nach dem Frühstück am nächsten Morgen checkte ich aus dem Eden Roc aus. Der Mann an der Rezeption bedauerte es, mich gehen zu sehen. Und ob er es nun bedauerte oder nicht, das Lächeln wich nicht aus seinem Gesicht.

Er überprüfte meine Rechnung. »Sie bekommen eine Rückzahlung, Mr. Marlin. Etwa dreißig Dollar.«

»Na, lassen Sie mal«, sagte ich. »Ich habe keine Zeit mehr gehabt, etwas für das Zimmermädchen hinzulegen. Behalten Sie einfach das Geld und verteilen Sie es.«

Er war überrascht und erfreut. Der Großteil der Summe verschwand wahrscheinlich in seinem Geldbeutel. Mir war es egal. Ich brauchte die dreißig Dollar nicht. Es war mir gleichgültig, wer sie bekam.

Eigenartigerweise war mir im Augenblick fast alles ziemlich gleichgültig.

In einer Bar telefonierte ich. Es war nicht die Bar, von der aus ich das letzte Mal telefoniert hatte, aber ein ähnlicher Schuppen. Ich hatte ein schwieriges Anliegen. Von der Auskunft von Cheshire Point ließ ich mich mit dem größten Immobilienmakler dort verbinden. Ich erreichte sein Büro und erkundigte mich, ob er 341 Roscommon Drive in seinem Angebot hatte; das war nicht der Fall. Ob er wohl herausfinden könnte, wer es anbot? Das konnte er, und er würde mich auf meine Kosten wieder anrufen. Ich wartete.

Ich hatte noch nie ein R-Gespräch an einem öffentlichen Telefon entgegengenommen. Das Mädchen von der Vermittlung überzeugte sich zuerst, dass ich am Apparat war, und sagte mir dann, ich solle Geld in den Apparat werfen. Das tat ich.

»Lou Pierce bietet das Anwesen an«, sagte er. »Pierce und Pierce.« Er gab mir die Telefonnummer, und ich notierte sie.

»Er verlangt einen ziemlich hohen Preis«, sagte er. »Zu hoch, wenn Sie mich fragen. Ich kann Ihnen ein ähnliches Anwesen in derselben Gegend um mindestens fünftausend Dollar billiger bieten. Und gute Bedingungen. Haben Sie Interesse?«

Ich sagte ihm, wahrscheinlich nicht, aber wenn doch, würde ich ihn anrufen. Ich bedankte mich, ließ ihn wissen, dass er mir sehr weitergeholfen hatte. Dann legte ich auf, warf noch einmal zehn Cent in den Apparat und ließ mich von der Vermittlung mit Pierce und Pierce verbinden. Fast sofort meldete sich ein Mann namens Lou Pierce.

»Fred Ziegler hat mich angerufen«, sagte er. »Er sagt, Sie interessieren sich für das Anwesen 341 Roscommon Drive. Glauben Sie mir, etwas Besseres gibt es zurzeit nicht auf dem Markt. Herrliches Haus, wunderschönes Gelände. Ein sehr günstiges Angebot.«

Beinahe hätte ich gesagt, dass Ziegler da anderer Meinung war, doch ich hielt mich zurück. »Ich kenne das Anwesen«, sagte ich. »Ich möchte es aber nicht kaufen. Ich hätte gerne ein paar Informationen.«

»Ach?«

»Über Mrs. Brassard.«

»Nur zu«, sagte er. Seine Stimme klang jetzt nicht mehr so warm, eher vorsichtig.

»Ihre Adresse.«

Ein kurzes Schweigen, bevor er antwortete. »Tut mir leid«, sagte er dann, wobei sein Ton alles andere als bedauernd klang. »Mrs. Brassard hat strikte Anweisung hinterlassen, ihre Adresse vertraulich zu behandeln. Ich kann sie Ihnen nicht geben. Und sonst auch niemandem.«

Logisch.

Doch darauf war ich vorbereitet. »Ach«, sagte ich, »das haben Sie falsch verstanden. Sie hat mir selbst geschrieben und mir mitgeteilt, wo sie wohnt. Aber ich habe ihre Adresse in Nevada verloren.«

Er wartete darauf, dass ich mehr sagte. Ich ließ ihn warten.

»Sie hat Ihnen also geschrieben, wie? Ihnen mitgeteilt, wo sie wohnt, aber Sie haben den Brief verloren?«

»So ist es.«

»Nun«, sagte er, »nun, ich will nicht sagen, dass ich Ihnen nicht glaube. Wenn mir allerdings jemand schreibt, dass er in einem Hotel in Tahoe abgestiegen ist, dann vergesse ich den Namen des Hotels nicht. Aber ich habe vielleicht ein besseres Gedächtnis als andere Leute. Ich muss mich an die Anweisungen von Mrs. Brassard halten. Ich darf Ihnen keine vertraulichen Informationen geben.«

Dabei hatte er genau das schon getan.

Ich tobte noch ein bisschen am Telefon herum, um den Anschein zu wahren. Dann heuchelte ich Verständnis für seine Lage, dankte ihm trotzdem und legte auf. Hoffentlich fiel dem gewissenhaften Geheimniswahrer nicht auf, dass er mir schon zu viel verraten hatte.

Ich nahm meine Koffer, verließ die Bar, rief ein Taxi heran und warf mein Gepäck in den Kofferraum. Dann stieg ich ein und ließ mich auf den Rücksitz fallen.

 

Ich habe ihre Adresse in Nevada verloren.

Es war reines Glück gewesen, dass ich Nevada und nicht Las Vegas gesagt hatte. Mir war es um ihre Adresse, nicht um den Namen der Stadt gegangen, wo sie sich jetzt aufhielt. Auf den Gedanken, dass sie den Brief außerhalb der Stadt aufgegeben haben könnte, war ich gar nicht gekommen. Ich war hinter der Adresse her gewesen, doch die hatte ich nicht bekommen. Und jetzt brauchte ich sie nicht mehr.

Tahoe. Nicht Las Vegas. Der gute alte Lake Tahoe, an dem ich noch nie gewesen war. Aber ich wusste ein wenig über Tahoe. Der Ort war überschaubar. Dort konnte ich sie leicht finden, ob ich den Namen ihres Hotels nun kannte oder nicht.

Tahoe.

Ein weiteres Detail von Monas Plan wurde mir klar. Ich stellte mir Mona Brassard vor, die in einem stinkvornehmen Club in Tahoe würfelte und sich über den armen Trottel zu Tode lachte, der ganz Las Vegas nach ihr absuchte. Es war eine äußerst komische Vorstellung.

Sie würde überrascht sein, mich zu sehen.

Es gab keinen direkten Flug nach Lake Tahoe. TWA hatte einen nach Vegas mit einer Zwischenlandung in Kansas City. Damit war ich zufrieden. Ich wollte ohnehin nicht schon in Tahoe ankommen, bevor ich für die Begegnung gewappnet war. Ich hatte noch genug Zeit.

Der Flug war ziemlich furchtbar. Eigentlich war gutes Wetter, aber der Pilot erwischte jedes einzelne Luftloch zwischen Miami und Kansas City, und davon gab es eine ganze Menge. Bei mir litt nur mein Appetit unter der Fliegerei. Einige Passagiere hatten weitaus größere Probleme, doch die meisten erwischten noch die kleinen Papiertüten, die TWA für diesen Zweck freundlicherweise zur Verfügung stellte. Einer allerdings erwischte aus Versehen den Boden. Man kann nicht sagen, dass es ein langweiliger Flug war.

Den Umständen entsprechend war ich sehr ruhig. Diese eigenartige Ruhe erfasste mich wieder, wie jedes Mal, wenn ich nach menschlichem Ermessen eigentlich aufgeregt sein sollte. Ein bisschen wurde ich wieder zur Maschine. Ich hatte eine Funktion, einen Zweck. Ich brauchte mir nicht darüber den Kopf zu zerbrechen, wie es weiterging, denn ich wusste genau, was ich zu tun hatte. Ich würde Mona und das Geld kriegen. So einfach war das.

Warum in aller Welt wollte ich eigentlich die Frau noch und das Geld? Eine gute Frage. Ich wusste es nicht genau, aber auf jeden Fall wollte ich sie, und das war die einzige Frage, auf die es ankam. Also hörte ich auf, mir über die Gründe den Kopf zu zerbrechen.

Der Pilot überraschte uns alle mit einer glatten Landung in Kansas City. Ich verbrachte die fünfundzwanzig Minuten zwischen der Landung und Weiterflug im Flughafen von Kansas City. Es war ein hübsches neues Gebäude, das nach Farbe und Plastik roch. Ich stellte mich an einen Flipperautomaten. Früher war ich gut beim Flippern gewesen, und dieser Automat war einfach zu bedienen. Ich hatte noch sieben Freispiele offen, als es plötzlich Zeit war, das Flugzeug wieder zu besteigen. Ein Junge hatte mir gelangweilt zugeschaut, und ich sagte ihm, er könne meine Freispiele zu Ende spielen. Er starrte mich vollkommen erstaunt an, als ich ihn bei dem Flipperautomaten stehen ließ.

Der Rest des Fluges war besser. Sie hatten entweder die Piloten ausgewechselt oder eine nagelneue Atmosphäre ohne Luftlöcher für uns gefunden. Jedenfalls glitten wir weich wie auf Wolken nach Las Vegas. Die Stewardess servierte mir ein gutes Abendessen, und ich ließ mir zwei- oder dreimal Kaffee nachschenken. Ich verspeiste alles mit Genuss, und hatte auch keine Probleme, alles bei mir zu behalten. Vielleicht konnte man sich doch an das Fliegen gewöhnen.

Ich lachte, weil mir dieser Werbeslogan einfiel. Sie wissen schon: Frühstück in London, Mittagessen in New York, Abendessen in Los Angeles, Gepäck in Buenos Aires. Genau der.

Aber bei diesem Flug klappte wirklich alles. Mein Gepäck und ich trafen zusammen in Las Vegas ein, genau rechtzeitig, sodass wir uns noch den Sonnenuntergang anschauen konnten. Dann taten wir uns zusammen, mein Gepäck und ich, und nahmen ein Taxi zum Dunes. Ich hatte telefonisch ein Zimmer reserviert, und es war bereit für mich. In Vegas wird geklotzt, nicht gekleckert. Der Luxus ist unglaublich und die Preise moderat. Das große Geld wird mit dem Glücksspiel gemacht.

Ich duschte heiß, trocknete mich ab, zog mich an und packte die Koffer aus. Ich ging nach unten und sah mich im Kasino um. Es herrschte ziemlicher Betrieb. In keiner Stadt der Welt findet man so viele gelangweilte Menschen wie in Las Vegas. Verbitterte junge Frauen, die auf ihre Scheidung warten, Mafiosi auf Urlaub, die sich nicht richtig entspannen können, und andere nette Leute dieser Art.

Am Roulettetisch kam sechsmal hintereinander Rot. Ein Mann mit vorstehenden Zähnen hatte einen Fünfundzwanzig-Dollar-Chip auf den Tisch gelegt, gewann siebenmal und räumte alles ab mit Ausnahme des ursprünglichen Chips, dann verschwand er. Eine beleibte Matrone mit einem Silberfuchs um die Schultern knackte einen Spielautomaten, wechselte sämtliche Fünfcentstücke in halbe Dollarmünzen um und verfüttere sie eine nach der anderen wieder in die Maschine.

Vegas.

Ich beobachtete, wie die Menschen gewannen und verloren. Alles ging hier ehrlich zu. Nirgends wurde getrickst. Das Haus strich seinen eigenen kleinen Anteil an allen Spielen ein und wurde reich dabei. Geld aus Alkoholschmuggel, Waffenschieberei, Rauschgifthandel und Prostitution wurde vollkommen legal in diese blühende Stadt investiert, einem Monument der menschlichen Dummheit. Es war die Goldgrube in dem Staat mit der geringsten Bevölkerungsdichte und den einfältigsten Landbewohnern.

Vegas.

Ich sah ihnen drei Stunden lang zu. Im Laufe dieser drei Stunden trank ich ein halbes Dutzend Drinks, und ich spürte keinen von ihnen. Dann ging ich auf mein Zimmer und legte mich schlafen.

Für mich war es ein billiger Abend gewesen. Ich hatte keinen einzigen Penny riskiert. Ich bin kein Spieler.