14
Es dauerte eine Stunde, bis sie wieder erwachte. Sie war immer noch etwas benommen, deshalb nahm ich ihr den Knebel aus dem Mund. Angesichts ihrer Verfassung musste ich kaum befürchten, dass jemand es hören könnte, falls sie um Hilfe schrie. Ich fragte sie, wie sie sich fühlte.
»Ganz okay«, sagte sie, »glaube ich.«
Wir redeten ein paar Minuten über Belangloses. Dann stopfte ich ihr den Knebel wieder in den Mund und ging nach unten. In der Halle war ein Zeitungsstand, wo ich einige Taschenbücher erstand. Ich ging wieder hoch und las, bis es Zeit für ihre nächste Spritze war.
Gegen die zweite kämpfte sie nicht so sehr wie gegen die erste.
Wir etablierten schnell eine Art Routine. Drei Tage blieben wir dort. Ich ging gelegentlich nach draußen und kaufte etwas zu essen. Alle vier oder fünf Stunden bekam sie ihre Spritze. Den Rest der Zeit blieben wir im Zimmer. Ein- oder zweimal löste ich ihre Fesseln, und wir hatten Sex. Es war nicht besonders gut. Es würde besser werden.
»Ich habe Tahoe satt«, sagte ich eines Morgens zu ihr. »Ich möchte ein paar Tausender. Ich will einen Wagen kaufen, und dann fahren wir nach Vegas.«
»Nimm dein eigenes Geld.«
»Ich hab nicht genug.«
»Dann scher dich zum Teufel!«
Ich hätte sie schlagen, bedrohen oder ihr einfach befehlen können, mir das Geld zu geben. Aber irgendwann musste ich den Test sowieso machen, je früher desto besser. Also zuckte ich mit den Schultern und wartete.
Ich wartete, bis ihre Spritze eine halbe Stunde überfällig war. Dann rief sie meinen Namen.
»Was ist los?«
»Ich … ich möchte eine Spritze.«
»Wie interessant. Und ich möchte viertausend Dollar. Wo hast du das Geld versteckt?«
Sie zuckte mit den Achseln, als wäre es ihr egal, ob sie einen Schuss bekam oder nicht. Aber ich konnte sehen, wie dringend sie das Zeug brauchte. Ihre Augen flackerten nervös, alle ihre Muskeln waren angespannt. Schließlich verriet sie mir, wo das Geld verborgen war. Ich holte es mir, dann nahm ich das Etui und bereitete ihren nächsten Schuss vor. Diesmal war sie sichtlich dankbar, als das Heroin zu wirken begann. Ich hatte ihr den Stoff direkt in die Vene gespritzt, und es wirkte schneller als die anderen Male.
Für den Wagen bezahlte ich in bar. Ich hatte mir einen hübschen neuen Buick ausgesucht, mit ausreichend Pferdestärken unter der Haube und so viel Chrom an der Karosserie, dass er wie ein futuristisches Bordell auf Rädern aussah. Ich lud sie in den Wagen, und wir fuhren zurück nach Vegas. Auf der Fahrt war sie sehr ruhig. In Vegas quartierte ich uns wieder in mein altes Zimmer im Dunes ein. Es war Zeit für ihre Spritze.
Ich weiß nicht, wie lange man braucht, um einen Menschen süchtig zu machen. Ich weiß nicht, wie lange es bei Mona dauerte. Abhängigkeit entwickelt sich nach und nach. Ich trieb den Prozess nur voran und ließ zu, dass sie süchtig wurde. Mit jedem Tag brauchte sie das Zeug mehr, jede Spritze trieb sie weiter in die Sucht. Sie wurde körperlich und seelisch abhängig. Heroin ist ein Gewehr mit zwei Läufen.
»Ich gehe«, sagte sie. Ich sah sie an. Es war zwei Uhr nachmittags, ein Freitagnachmittag. Wir waren immer noch im Dunes. Vor zwei Stunden hatte sie eine Spritze bekommen. In zwei Stunden war die nächste fällig.
Sie trug ihr rotes Baumwollkleid, dazu eine einfache Perlenkette, die schwarzen Lederstiefel mit den hohen Absätzen. Und mir wollte sie weismachen, dass sie abhauen wollte.
Ich fragte, was sie meinte.
»Ich gehe«, sagte sie. »Ich verlasse dich. Ich lasse dich sitzen, Joe. Dass du mich nicht mehr fesselst, das ist wirklich süß von dir. Also lasse ich dich jetzt einfach sitzen.«
»Und du kommst nicht zurück?«
»Ich komme nicht zurück.«
»Du bist süchtig«, sagte ich. »Du bist ein Junkie. Versuch abzuhauen, und du kommst auf allen Vieren zurückgekrochen. Wem willst du hier eigentlich was vormachen?«
»Ich bin nicht süchtig.«
»Und das glaubst du wirklich?«
»Ich weiß es.«
»Dann ist ja klar, wem du hier was vormachst«, sagte ich. »Nur dir selbst. Mach’s gut.«
Sie ging. Und ich wartete darauf, dass sie zurückkam. Wartete, bis der Zeitpunkt, an dem die nächste Spritze fällig war, vorüberging.
Dann kam sie zurück.
Sie war vollkommen verändert. Ihr Gesicht war leichenblass wie ein Fischbauch, und ihre Hände zitterten. Ihr ganzer Körper wurde von unkontrollierten Krämpfen geschüttelt. Sie eilte ins Zimmer und warf sich auf einen Stuhl.
»Du wolltest mich doch verlassen«, sagte ich. »Sag bloß nicht, dass du schon wieder zurück bist. Das war aber eine kurze Reise.«
»Bitte«, sagte sie. Nur das eine Wort – bitte.
»Stimmt etwas nicht?«
»Ich brauche es«, sagte sie. »Ich brauch es, verdammt! Du hattest recht, und ich hatte unrecht. Jetzt gib mir meine Spritze.«
Ich lachte. Nicht aus Grausamkeit, nicht weil es mir Spaß machte; ich lachte, damit sie sich der vollen Wahrheit stellte. Sie musste begreifen – mit dem Verstand und in ihrem Herzen –, dass sie abhängig war. Je schneller sie es kapierte, desto unwiderruflicher würde sie dem Heroin verfallen.
Ich sah, wie sie vor Schmerz zusammenzuckte, wie sehr sie das Zeug brauchte. Sie bettelte um die Spritze, und ich tat so, als hörte ich nicht. Ich sah ihr zu, wie sie auf Händen und Knien herumkroch und die Spritze suchte. Ich hatte sie gut versteckt. Sie konnte sie nicht finden.
Dann stand sie auf und riss sich das teure rote Kleid vom Leib. Sie zog den Büstenhalter und die Unterwäsche aus. Sie nahm ihre Brüste in beide Hände und bot sie mir an.
»Was du willst«, sagte sie. »Was immer du …«
Ich holte die Nadel und verpasste ihr die Spritze. Ich sah mit an, wie der Schmerz aus ihren Zügen wich, und streichelte sie, bis sie aufhörte zu zittern. Dann hielt ich sie ganz sanft in den Armen, und sie weinte.
Danach gab sie allen Widerstand auf. Ich musste sie nicht einmal mehr bedrohen, sie stimmte allem zu. Was immer ich verlangte, wurde gemacht. So einfach war das.
Ein Standesbeamter traute uns in Las Vegas. Er stellte uns die traditionellen Fragen, und ich sagte Ja, und sie sagte Ja, und er erklärte uns zu Mann und Frau. Wir zogen aus dem Dunes in ein Apartment mit drei Zimmern und einer Küche im Norden der Stadt. Sie überwies ihr Geld an eine Bank in Las Vegas und eröffnete ein Konto bei einem hiesigen Börsenmakler.
Und ich habe eine enge Beziehung zu dem großen Mann aufgebaut, der im Café sitzt und kalten Kaffee trinkt. Alle fünf Tage verkauft er mir für hundert Dollar Kapseln. Alle vier Stunden bekommt Mona ihre Spritze. Sechs Kapseln am Tag. Ein Affe, der dreißig Steine wert ist, würde man unter Junkies sagen. Mich kostet er nur zwanzig Dollar am Tag, denn ich bekomme Großhandelspreise. Ein Großeinkäufer kommt immer besser weg, selbst wenn das Produkt illegal ist.
Dabei konnte es uns eigentlich egal sein. Zehn Dollar am Tag oder auch zwanzig oder dreißig oder vierzig machten nicht den geringsten Unterschied für uns. Meine Frau besitzt eine ungeheure Menge Geld. Und es sieht so aus, als würde es ewig reichen, weil der Börsenmakler es gut angelegt hat. Einen Teil der Kohle hat er in Wertpapieren angelegt, einen anderen Teil in normalen Aktien und den Rest in sehr einträglichen Immobilien. Allein von den Zinsen können wir im großen Stil leben und brauchen das Kapital überhaupt nicht anzugreifen. Es gibt einen Punkt, wo man aufhört, sein Geld zu zählen. Man nennt es dann Vermögen, nicht mehr Geld. Zehn Dollar, zwanzig Dollar, dreißig Dollar – solche Summen sind Kinkerlitzchen für uns.
Und ihre Sucht tut nicht weh. Mona ist keine von den Junkies, die ich hin und wieder im Café sehe: hohläugige, zitternde Kreaturen, die mit dem großen Mann feilschen. Für eine Rauschgiftsüchtige ist Mona eine Schönheit.
Aber manchmal sehe ich sie an, diese sehr schöne und sehr reiche Frau, die zufällig meine Gattin und rauschgiftsüchtig ist. Ich sehe sie an und erinnere mich an die Frau, die sie einmal gewesen war, frei und unabhängig. Ich erinnere mich an unsere erste Nacht am Strand von Atlantic City und an andere Nächte und andere Orte. Dann weiß ich, dass etwas für immer verloren ist. Sie ist nicht mehr wirklich lebendig. Das Gesicht ist dasselbe, und ihr Körper ist derselbe, aber etwas hat sich geändert. Die Augen vielleicht. Oder die tiefe Dunkelheit dahinter.
Der Vogel im Käfig ist nicht mehr das wilde Ding, das man im Wald gefangen hat. Es gibt einen Unterschied.
So viele unvorhergesehene Dinge könnten passieren. Vielleicht verschwindet eines schönen Tages der große Mann für immer aus dem Café. Sie wird wie ein Tiefseetaucher reagieren, dem man den Luftschlauch durchgeschnitten hat. Wir werden ganz Las Vegas durchsuchen und jeden Stein umdrehen, bis wir einen neuen Dealer finden. Und ich werde das seltene Privileg haben, Monas Seele sterben zu sehen. Stück für Stück.
Oder es gibt eine Razzia, und sie macht einen kalten Entzug hinter Gittern, schlägt mit dem Kopf gegen die Wand und verdammt die Wächter mit unnützen Flüchen. Oder sie krepiert an einer Überdosis, weil irgendein Idiot in der Verteilerkette vergessen hat, das Heroin zu strecken. Eine Überdosis, und ihre blauen Venen und ihre Augen treten hervor und sie ist tot, ehe sie die Nadel aus dem Arm zieht.
So viele Dinge …
Ich glaube, sie ist jetzt glücklich. Sobald sie sich an die Sucht gewöhnt hatte – wie gewöhnt man sich eigentlich daran, abhängig zu sein? Eine gute Frage – jedenfalls, sobald sie sich daran gewöhnt hatte, begann sie Gefallen daran zu finden. Eigenartig, aber es stimmt. Wenn es einen juckt, tut es gut, sich zu kratzen. Jetzt freut sie sich auf ihre Spritzen, hat Vergnügen daran. Natürlich hat sie den Bezug zu einem Teil der Realität verloren. Aber sie scheint zu glauben, dass das, was sie stattdessen bekommt, diese Wirklichkeit mehr als ersetzen kann. Vielleicht hat sie recht. Die Wirklichkeit wird oft sehr überschätzt.
Eigenartig.
»Du solltest es versuchen«, sagt sie hin und wieder. »Ich würde dir so gerne beschreiben, wie es sich anfühlt. Total abgefahren. Als ob eine Bombe explodiert, kapierste?«
Manchmal, wenn sie high ist, redet sie wie ein Hippie.
»Du solltest es mal versuchen, Joe. Nur eine kleine Bombe, um dich auf Trab zu bringen. Damit du weißt, wie es sich anfühlt.«
Ein eigenartiges Leben in einer eigenartigen Welt.
Gestern geschah etwas Seltsames.
Es war vier Uhr, und ich spritzte ihr den Nachmittagsschuss. Ich kochte das Heroin auf, zog es in der Spritze auf, hob ihr Bein und suchte nach der Vene. Sie war knapp an dem Punkt, wo sie den Schuss brauchte. In fünf oder zehn Minuten hätte sie zu zittern begonnen. Ich fand die Vene, spritzte ihr das Zeug und beobachtete, wie sich das selige Lächeln über ihr Gesicht ausbreitete, bevor sie wegkippte.
Dann wusch ich den Löffel und wollte die Sachen gerade wegräumen. Manche Junkies passen nicht auf ihre Geräte auf; auf diese Weise sterben sie an einer Infektion. Ich bin immer vorsichtig.
Wie gesagt, ich wusch gerade den Löffel und legte ihn weg. Dann hielt ich inne – vielleicht sollte ich sagen, ich verlangsamte meine Bewegung – und nahm noch eine kleine Kapsel mit dem komischen weißen Pulver und legte sie auf den Löffel.
Ich wollte selbst einen Schuss.
Komisch. Das hatte nichts mit ihren Worten zu tun, ihrer Einladung, ich solle doch auch herausfinden, wie es sich anfühlte. Ich war kein Schuljunge mehr, der ein verbotenes Laster suchte.
Natürlich legte ich die Kapsel wieder weg. Ich räumte auch den Löffel und die Spritze auf. Ich schloss das Etui und den Beutel mit den Kapseln weg. Selbst in Las Vegas weiß man nicht, wann ein Bulle plötzlich auf die Idee kommt, dass seine monatliche Verhaftungsquote zu niedrig ist. Ich lasse nie etwas herumliegen.
Ich räume immer alles weg.
Zumindest habe ich das bis jetzt immer gemacht.
Doch seitdem denke ich immer daran. Ich kann mir gut vorstellen, was geschehen wird. Vielleicht beim nächsten Mal, wenn ich ihr die Spritze gebe. Oder eine Woche später. Oder einen Monat. Sie wird ins Land der Träume sinken, und das dankbare Lächeln wird langsam ihr trauriges, wunderschönes Geschichte verlassen, und ich werde die Geräte abwaschen.
Und dann werde ich mir selbst einen Schuss setzen.
Nicht zum Spaß, nicht zum Vergnügen, nicht aus einer Laune heraus. Auch nicht als Belohnung oder als Buße. Nicht, weil ich mein Leben als Süchtiger fristen will. Das will ich nicht.
Ich tue es aus einem anderen Grund. Vielleicht, um etwas mit ihr zu teilen. Oder vielleicht, weil ich genau weiß, dass das Heroin sie mit jedem Schuss ein bisschen weiter fort von mir nimmt. Deshalb vielleicht. Ich weiß es nicht. Aber eines Tages, in ein paar Wochen oder auch Monaten, werde ich mir selbst diesen Schuss setzen.
Irgendwie, glaube ich, werden wir immer zusammen sein. Ganz egal, wie, jedenfalls bleiben wir zusammen. Und das ist es doch, was ich wollte. Oder nicht?