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Nach dem Abendessen packte ich meinen Koffer und checkte aus dem Collingwood aus. Ich fand ein Schließfach im Grand Central und schob den Koffer hinein. Der geladene Revolver blieb in meiner Jackentasche. Er beulte die Jacke lächerlich aus und rutschte beim Gehen immer wieder auf und ab. In der Toilette des Zuges nach Scarsdale steckte ich die Waffe deshalb in meinen Hosenbund. Nun kam ich mir gleich viel professioneller vor, doch ganz geheuer war es mir nicht. Ich hatte Angst, das Ding könnte plötzlich losgehen, und dann würde ich Mona nicht mehr sehr viel nützen. Ich versuchte, an angenehmere Dinge zu denken.

Als wir Scarsdale erreichten, fing ich innerlich an zu zittern. Ich musste noch so viel Zeit totschlagen, und ich wusste nicht wie. Vielleicht war mein Plan doch nicht so gut. Ich hätte die Nacht auch noch im Collingwood bleiben und dann mit einem Frühzug herausfahren können. An Schlaf war nicht zu denken, aber ich hätte mich dort noch eine Nacht ausruhen können. Doch es hätte einfach zu viel schiefgehen können. Ich musste mir noch einen Wagen besorgen. Wäre ich morgens gefahren, hätte ich deshalb in Westchester eintreffen müssen, solange es noch dunkel war. Und es war viel sicherer, wenn ich mit einem vollen Zug ankam, weshalb ich auf keinen Fall einen Zug um vier Uhr früh hätte nehmen können. Mein Plan war perfekt durchdacht, trotzdem fühlte ich mich nicht wohl dabei.

Einen Block vom Bahnhof entfernt entdeckte ich ein Kino, zahlte meinen halben Dollar und ging hinein, um mich hypnotisieren zu lassen. Ich setzte mich in eine der hinteren Reihe und versuchte, mich an das Gefühl des Revolvers in der Hose zu gewöhnen. Das Metall war jetzt nicht mehr kalt. Es hatte meine Körpertemperatur angenommen, und ich trug die Waffe jetzt schon so lange bei mir, dass sie mir wie ein Teil von mir selbst erschien. Ich starrte auf die Leinwand und ließ die Zeit verstreichen.

Ich schaute mir den Film mindestens zweimal an, was mir problemlos gelang. Auf die Geschichte konnte ich mich eh nicht konzentrieren, mit den Gedanken war ich ganz woanders. Selbst beim zweiten Mal ging die Handlung des Films völlig an mir vorbei. Für mich war der Film ein durch und durch anonymer und ziemlich harmloser Zeitvertreib. Nach Mitternacht war die letzte Vorstellung zu Ende, und ich folgte der Menschenmenge auf die leeren Straßen von Scarsdale.

Jetzt begann es einfacher zu werden. Das Kino hatte mich in die Maschine verwandelt, die ich sein musste. Gänge wurden eingelegt, Knöpfe gedrückt und Schalter umgelegt. Ich fand eine Bar. Bars haben immer länger offen als Kinos, vielleicht weil das Auge weniger verträgt als die Leber. Ich setzte mich abseits auf einen Hocker am Ende der Bar und trank ein Bier ums andere, bis auch dieses Lokal schloss. Niemand redete mit mir. Ich war allein, und hier verkehrten Leute, die jede Nacht in dieser Bar zusammen saßen. Das hätte mir gefährlich werden können. Allerdings war ich überzeugt, dass sie sich nicht an mich erinnern würden, denn sie hatten überhaupt keine Notiz von mir genommen.

Die Bar schloss gegen vier, was mir recht war. In einem Imbiss, der die ganze Nacht offen hatte, aß ich einen Hamburger, den ich mit ein paar Tassen Kaffee hinunterspülte. Es war fast auf die Minute genau vier Uhr dreißig, als ich die Imbissstube verließ. Das war etwa die richtige Zeit.

Das Wetter war mild, am Horizont zog die Morgendämmerung herauf. Die Luft war frisch und sauber, ganz anders als die abgestandene New Yorker Luft. Nur der Hauch von schlechten Gerüchen erinnerte einen daran, dass man sich in einem Vorort und nicht auf dem Land befand. Der Himmel wurde heller, in höchstens einer Stunde würde die Sonne aufgehen. Es waren keine Wolken zu sehen. Ein wirklich prächtiger Tag lag vor uns.

Ich bog von der Hauptstraße in eine Seitenstraße ein, von dieser wandte ich mich in eine zweite Seitenstraße. Es war nicht gerade eine schlechte Gegend. Nicht das reiche Scarsdale, sondern das mittelständische Scarsdale – ganz gewöhnliche Einfamilienhäuser, die nur deshalb um die fünfundzwanzigtausend kosteten, weil sie in Scarsdale lagen. Bäume davor, Hecken, so wie Angestellte und Büroarbeiter eben wohnen. Ich musste ziemlich lange in der Gegend herumspazieren, weil die meisten Leute ihre Autos in der Garage hatten. Dann fand ich, was ich suchte.

Auf der linken Straßenseite parkte ein grüner Mercury direkt am Gehweg. Auf der rechten Seite stand ein schwarzer Ford, der vielleicht ein Jahr alt war. Ich hatte es auf den Ford abgesehen, und zwar aus dem Grund, warum ihn sich auch der professionelle Killer, der ich ja vorgab zu sein, ausgewählt hätte. Es war ein ganz gewöhnliches, unauffälliges Auto. Wenn man einen Wagen stiehlt, um einen Mord zu begehen, dann immer einen schwarzen Ford. Das ist eine der Spielregeln.

Es gab nur ein Problem. Der Besitzer des Fords konnte zu früh aufwachen. Wahrscheinlich fuhr er jeden Morgen mit dem Wagen nach New York und stand so gegen sieben auf. Wenn er dann den Bullen meldete, dass sein Wagen nicht mehr da war, ging die Suche nach dem Ford zu früh für meine Zwecke los.

Das brachte den Mercury ins Spiel.

Ich arbeitete schnell, schraubte die Kennzeichen von dem Mercury ab, trug sie zu dem Ford hinüber, schraubte dessen Kennzeichen ab und befestigte an ihrer Stelle die des Mercury. Dann ging ich zurück über die Straße und brachte die Ford-Kennzeichen am Mercury an. Das klingt kompliziert – dabei tauschte ich natürlich nur die Kennzeichen der beiden Wagen aus. Doch das würde für einige Verwirrung sorgen, die mir Zeit einbrachte. Der Besitzer des Fords würde zwar seinen Wagen als gestohlen melden, doch der Mercury-Besitzer würde nicht melden, dass man ihm die Kennzeichen gestohlen hatte. Die Chancen standen gut, dass er den Diebstahl ziemlich lange überhaupt nicht bemerken würde. Wie oft schaut man schon auf seine Kennzeichen, wenn man in sein Auto steigt?

Selbst wenn also irgendein neunmalkluger Bulle mich in dem gestohlenen Ford anhielt, hatte der Wagen das falsche Kennzeichen. Das konnte mir einen Vorteil bringen, vielleicht aber auch nicht. Aber ich riskierte ohnehin schon sehr viel. Deshalb musste ich jede Chance nutzen, die sich mir bot, um das Risiko, geschnappt zu werden, zu verringern.

Ich wischte beide Kennzeichen mit dem Taschentuch ab und zog dann ein Paar gewöhnliche Gummihandschuhe an, von der Art, wie sie in jedem Haushaltswarengeschäft verkauft werden. Ich hatte sie mir besorgt, ehe ich New York verließ, und jetzt kamen sie mir sehr gelegen. Es waren gute Handschuhe. Ein Chirurg hätte damit nicht operieren können, aber sie waren so dünn, dass ich noch ein Gefühl in den Händen hatte. Ich sah mich sorgfältig um, schickte ein Stoßgebet zum Himmel und öffnete die Tür des Fords. Ich nahm hinter dem Steuer Platz und schloss die Zündung kurz. Das war nicht schwierig. Das ist es nie. Als 14-Jähriger hatte ich gelernt, wie man einen Wagen ohne Schlüssel anlässt. Solche Dinge vergisst man nicht.

Der Motor schnurrte wie ein Kätzchen. Ich rollte langsam zur nächsten Kreuzung. Dann bog ich zweimal um die Ecke, dann noch einmal nach rechts, und dann war ich auf der Hauptstraße Richtung Norden, auf dem Weg nach Cheshire Point. Ich verließ Scarsdale ohne besonderes Bedauern. Ein netter Ort für einen Autodiebstahl, aber wohnen möchte ich dort nicht.

Der Ford war für einen Mord ideal geeignet, aber auf dem Highway taugte er überhaupt nichts. Immer wieder ertönte ein leises Klopfen unter der Kühlerhaube, und der Motor reagierte mit einigen Sekunden Verzögerung, wenn ich aufs Gaspedal drückte. Der Wagen bewegte sich wie ein behindertes Kind. Außerdem hatte er ein automatisches Getriebe, weshalb ich nicht zum richtigen Zeitpunkt schalten konnte, und Servolenkung – eine Erfindung, die jeden Menschen verrückt macht.

Ich ließ den Ford dahinzockeln und dachte über den Wagen nach, den Mona und ich eines Tages kaufen würden, wenn alles vorbei war. Einen Jaguar vielleicht. Eine große, chromverkleidete Bestie mit einem Kraftwerk unter der Haube, bei der die Newton’sche Mechanik intelligent und ganzheitlich für die Autokonstruktion benutzt worden war. Ich fragte mich, ob Mona schon einmal auf dem Rücksitz eines Jaguars geliebt worden war? Ich konnte es mir nicht vorstellen.

Cheshire Point ließ Scarsdale wie Levittown aussehen. Ich fuhr herum zwischen den hektargroßen Anwesen mit Villen, die riesig groß waren und förmlich nach Geld stanken. Die Straßen waren sehr breit und ausgesprochen ruhig. Die Bäume an den Straßenrändern waren hoch gewachsen und wirkten sehr feierlich. Es war ein Vorort, gegründet von New Yorker Exilanten, denen bei ihrer Flucht nur ihr Geld geblieben war. An der Oberfläche war es ein extrem künstlicher Ort, weshalb es mir schwer fiel, mich zurechtzufinden. Der Straßenplan war ziemlich unsinnig. Straßen verzweigten sich grundlos hierhin und dorthin, offenbar nur, weil sie Spaß daran hatten. An was man sich hier orientieren sollte, war mir schleierhaft.

Nach einigem Suchen fand ich schließlich den Roscommon Drive. Die Straße war breiter als die meisten, und in der Mitte verlief ein über zwei Meter breiter Grünstreifen mit Gras, Blumen und Sträuchern. Ich suchte nach Hausnummern, fand heraus, wo ich war, und fuhr weiter, bis ich Brassards Haus entdeckte. Es war in einem Stil gebaut, den man, meine ich, Georgianischen Kolonialstil nennt, hauptsächlich Stein, abgesetzt mit weiß gestrichenem Holz. Zum Haus hoch führte eine frisch gemähte, grüne Rasenfläche. Eine große Ulme stand mittendrauf. Sehr eindrucksvoll.

Ich hatte mir das Haus zwar vorgestellt, aber ich hatte es nie wirklich gesehen. Sein Anblick blieb nicht ohne Wirkung auf mich. Sanft schob ich das Bild von L. Keith Brassard, König des Drogenhandels, beiseite. Es wurde ersetzt durch die Illusion vollkommen anständiger Achtbarkeit. Ich sah den abfallenden Rasen und die große alte Ulme, dann erinnerte ich mich an den netten alten Mann, der im Rollstuhl über die Promenade rollte, neben sich seine hübsche, junge Braut. Nur ein Teufel konnte diesen Mann töten. L. Keith Brassard, die Säule von Cheshire Point, zu ermorden, war ein gemeines, verachtenswertes Verbrechen.

Ich musste mich körperlich schütteln, um die Illusion aus dem Kopf zu bekommen. Es kostete mich viel Kraft, mir wieder klar zu machen, dass der Mann alles andere als ein netter, alter Mann war. Das schöne, alte Haus wurde mit entzündeten Einstichstellen und vernarbten Venen zusammengehalten. Die hübsche, junge Braut war die Frau, die ich liebte. Er war ein verkommener, alter Gauner, den ich aus der Welt schaffen würde. Ich sagte mir, was ich mir schon Hunderte Male gesagt hatte – dass es richtig und angemessen war, ihn umzulegen, dass die Tatsache, dass er ein verkommener, alter Gauner war, die Tat rechtfertigte.

Das alles war schwer zu glauben, wenn ich mir das Haus ansah. Nicht der luxuriöse Stil – erfolgreiche Verbrecher leben oft wie Könige im Gegensatz zu wirklichen Königen. Doch dieser Eindruck, so voller Ehrbarkeit …

Ich schüttelte mich noch einmal, noch heftiger. Ich musste den Bahnhof finden. Mona hatte berichtet, dass er jeden Morgen zu Fuß zum Bahnhof ging und den Wagen für sie zurückließ. Der Bahnhof musste also in der Nähe liegen, und ich musste herausfinden, wo. Und ich musste in Erfahrung bringen, wie man schnell dort hinkam. Das war wichtig für den Plan.

Der Ford fand den Bahnhof, mit meinem Ortssinn hatte das wenig zu tun. Der Wagen bog in eine Seitenstraße nach der anderen, bis er schließlich auf den üblichen braunen Ziegelbau mit den Gleisen dahinter stieß. Dann bewies er sein wunderbares Gedächtnis, indem er den Weg zum Roscommon Drive zurückfuhr, und wir überschlugen die Entfernung und rechneten aus, wie lange es dauerte, auf kürzestem Weg vom Haus zum Bahnhof zu gelangen. Es waren etwa sieben Minuten.

Es war immer noch zu früh. Ich überlegte, ob ich vor dem Haus der Brassards parken und auf ihn warten sollte. Ich stellte mir vor, wie Brassard zum Fenster hinaussah, mich entdeckte und mich mit seiner eigenen Waffe vertreiben wollte. Dann schaute ich mich nach einem Café um.

Ich fand eins. Es hatte einen Parkplatz, und ich stellte den Ford dort ab, zog die Handschuhe aus und schob sie in die Tasche. Der Kaffee war heiß, schwarz und stark.

Genau, was ich brauchte.

 

Später zog ich die Handschuhe wieder an, öffnete die Tür und klemmte mich erneut hinters Steuer. Falls mich jemand beobachtete, musste mein Verhalten sehr eigenartig wirken. Wie oft sieht man schon einen Mann, der sich Gummihandschuhe überstreift, ehe er in seinen Wagen steigt. Aber es war niemand da, und so ließ ich den Wagen an und fuhr zurück zum Roscommon Drive, Es war inzwischen etwa halb neun. Jetzt saß er vermutlich bei seinem Kreuzworträtsel am Frühstückstisch, mit dem Bleistift in der Hand, der Zeitung vor sich und einer Tasse Kaffee neben dem rechten Ellbogen. Ich fragte mich, ob er wohl an diesem Morgen etwas im Lexikon nachschlagen musste, ob das Rätsel schwierig oder einfach war.

Drei Türen von seinem Haus entfernt bremste ich, legte den Leerlauf ein und zog die Handbremse. Den Motor ließ ich laufen. Von hier aus konnte ich sein Haus sehen, die schwere Eichentür und den mit Platten gepflasterten Weg. Hoffentlich konnte er mich nicht sehen.

Ich hatte Lust auf eine Zigarette. Es gab keinen Grund auf der Welt, warum ich jetzt keine Zigarette rauchen sollte, doch ich erinnerte mich daran, was Kriminallabors mit Zigarettenasche alles anstellen konnten. Ich wusste, dass es keine Rolle spielte. Meinetwegen konnten sie alles über mich wissen; was für eine Zigarettenmarke ich rauchte, was für Zahnpasta ich benutzte, um beim Küssen frischen Atem zu haben, ob ich Boxershorts oder Slips trug. Sie konnten dennoch nicht herausbekommen, wer ich war. Es gab nichts, das mich mit Brassard verband. Nichts, das die Bullen auf meine Fährte führen konnte. Selbst wenn sie eine komplette Beschreibung meiner Person hätten, würden sie nicht weiterkommen.

Trotzdem rauchte ich die Zigarette nicht.

Stattdessen rückte ich meine Krawatte gerade, auch wenn sie gar nicht schief saß, und musterte mich sehr genau im Rückspiegel. Mein Spiegelbild war cool und ruhig, ein Beispiel der Gelassenheit. Das war eine Lüge.

Ich wartete. Ich wünschte, er würde sich mit seinem Kreuzworträtsel beeilen. Und wartete weiter.

Dann kurbelte ich das Fenster am Beifahrersitz herunter. Ich knöpfte das Jackett auf und zog den Revolver aus dem Hosenbund. Ich nahm ihn in die rechte Hand und legte meinen Zeigefinger um den Abzug. Es war ein sehr seltsames Gefühl, die Waffe mit einem Handschuh an der Hand zu halten. Ich konnte jedes Detail von ihr spüren, aber der Handschuh, diese dünne Schicht zwischen Haut und Metall, schien mich ein wenig aus dem gewalttätigen Szenario zu entfernen. Der Handschuh, und nicht meine Hand, hielt die Waffe. Der Handschuh, und nicht mein Finger, würde den Abzug betätigen.

Ich verstand jetzt, warum Generale keine Schuld empfanden, wenn ihre Piloten Zivilisten bombardierten. Und ich war froh, dass ich die Handschuhe trug.

Acht Uhr fünfundvierzig.

Die Eichentür schwang auf, und ich sah ihn, in seinem Geschäftsanzug, die Aktentasche unter den Arm geklemmt. Sie hatte ihn zur Tür gebracht und wirkte wie das typische Heimchen am Herd mit ihren Lockenwicklern in den Haaren. Er wandte sich um, und sie küssten sich kurz. Aus irgendeinem Grund konnte ich ihm diesen letzten Kuss nicht verübeln. Ich war beinahe froh, dass er ihr noch einen Abschiedskuss gegeben hatte. Vielleicht hatten sie in der letzte Nacht miteinander geschlafen. Vor ein paar Tagen hätte mich der Gedanke krank gemacht. Jetzt machte es mir überhaupt nichts aus. Für ihn war es das letzte Mal. Er sollte noch einmal alles bekommen, was er kriegen konnte.

Sie wandte sich von ihm ab. Die Tür schloss sich. Ich löste die Handbremse und legte den Gang ein.

Ich atmete nicht, während er den Plattenweg zur Straße hinunterging. Inzwischen war sie schon in einem anderen Zimmer, vielleicht zusammen mit einem der Mädchen. Oder sie wartete, ob es heute geschehen würde, stand vielleicht am Fenster, um in morbider Faszination zuzusehen. Hoffentlich war sie nicht am Fenster. Ich wollte nicht, dass sie zusah.

Er erreichte die Straße und wandte sich von mir ab, in Richtung Bahnhof. Ich fuhr ihm nach. Langsam.

Für einen Mann seines Alters ging er ziemlich schnell. Falls er den Ford hörte, ließ er es sich nicht anmerken. Mit einem Arm hielt er die Aktentasche, der andere schwang an seiner Seite. Die Waffe fühlte sich kalt an, selbst durch den Gummihandschuh.

Jetzt hatte ich ihn eingeholt, bremste schnell und beugte mich über den Sitz in seine Richtung. Er wandte sich um, als er das Geräusch der Bremsen hörte – nicht schnell, nicht verängstigt, sondern einfach verwundert, was da los war. Ich richtete die Pistole auf ihn und drückte ab. Die ganze Zeit über hatte totale Stille auf der ruhigen Straße geherrscht. Der Schuss ließ diese Stille explodieren, er war viel lauter, als ich angenommen hatte. Mir war, als hörte jeder Mensch auf der ganzen Welt zu.

Wahrscheinlich war die erste Kugel schon tödlich. Sie traf ihn ein paar Zentimeter unter dem Herzen in die Brust, und er sank auf die Knie. Der Ausdruck in seinem Gesicht zeigte vollkommene Verwunderung, fast schien er gekränkt. Die Aktentasche fiel zu Boden. Ich wollte nicht noch einmal schießen. Einmal war genug. Der eine Schuss würde ihn töten.

Aber Profikiller arbeiten nicht so. Profikiller überlassen nichts dem Zufall.

Genauso wenig wie ich.

Ich verschoss das gesamte Magazin. Die zweite Kugel traf ihn in den Magen, und er brach zusammen. Die dritte Kugel verfehlte ihr Ziel, die vierte riss ihm den halben Kopf ab. Auch die fünfte und sechste erwischten ihn, aber ich kann mich nicht mehr erinnern, wo.

Ich schleuderte die Pistole nach ihm. Dann trat ich das Gaspedal bis zum Boden durch, falls es doch neugierige Zeugen gab, und der Ford schoss davon, auch wenn er nicht dafür gebaut war. Ich fuhr geradeaus über zwei Kreuzungen mit voll durchgedrücktem Gaspedal, bog dann auf zwei Rädern um eine Ecke, beruhigte mich ein wenig und verlangsamte das Tempo des Fords auf gemächliche vierzig Stundenkilometer.

Ich schwitzte wahnsinnig, und meine Hände juckten in den Handschuhen. Ich musste mich zusammenreißen, damit ich nicht zu schnell fuhr. Aber ich schaffte es. Die Fahrt zum Bahnhof dauerte sieben Minuten, exakt, wie ich ausgerechnet hatte.

In der Nähe des Bahnhofs parkte ich. Ich schaltete den Motor ab und zog die Handbremse. Dann stieg ich aus, schloss die Tür, streifte die Gummihandschuhe ab und warf sie auf den Rücksitz. Ich wischte mir die Hände an der Hose ab und bemühte mich, ruhig zu bleiben.

Dann ging ich in den Bahnhof. Am Bahnsteig war ein Zeitungsstand, und ich kaufte mir für fünf Cent die Times und wartete auf den Zug. Ich musste mich dazu zwingen, die Schlagzeilen zu lesen. Castro in Kuba hatte wieder Privateigentum konfisziert. In Chile hatte es ein schweres Erdbeben gegeben. Keine Morde. Noch nicht.

Der Zug kam. Ich stieg ein und fand einen Sitzplatz. Ich saß in einem Raucherabteil und steckte mir eine Zigarette an. Ich brauchte sie dringend. Ich schlug den Wirtschaftsteil der Zeitung auf und studierte Reihe um Reihe von eng gedruckten, völlig bedeutungslosen Zahlen.

Ich sah mich um. Niemand interessierte sich für mich. Dutzende von Männern in Anzügen saßen da und lasen die Times, und keiner warf mir auch nur einen Blick zu. Warum sollten sie auch? Ich sah genauso aus wie alle anderen.