Kapitel 32

J.T. verschränkte die Arme über der Brust und wartete ab. Jetzt sollte sie mich besser nicht herumkommandieren. Nur weil er sich wünschte, dass sie zugab, dass sie auch manchmal Hilfe brauchte, hieß das nicht, dass er springen musste, wenn sie rief.

Ein kräftiger Windstoß zerrte an Hannah. Sie verlagerte ihr Gewicht, um das Gleichgewicht zu halten, zuckte dabei aber zusammen.

J.T. ließ die Arme sinken und ging auf sie zu. „Bist du verletzt?“

„Nicht sehr schlimm.“ Sie versuchte zu lächeln, doch es sah gequält aus. „Mein Hauptproblem ist, dass ich mich in einem Kaktus verheddert habe.“

„In einem –“ Ein amüsiertes Glucksen entfuhr ihm. Während er versuchte, sein Lachen zu unterdrücken, ergriff er sanft Hannahs Schultern und zog sie ein wenig nach vorne, um sich das Ausmaß des Schadens anzusehen. Sie hing wirklich fest. Eine der Falten, die vorher noch so schmeichelnd um ihre Beine gefallen waren, hatte sich in dem Kaktus verfangen. Die langen Stacheln hatten sich durch den feinen Stoff gebohrt.

„Wie hast du das denn geschafft?“ J.T. kniete sich neben sie und löste das Kleid vorsichtig von der stacheligen Pflanze.

„Du wirst es mir nicht glauben, aber ich wollte mich gerade bei dir entschuldigen, da ist mir auf einmal ein Präriehundloch in den Weg gesprungen und hat meinen Absatz verschluckt.“

Ihre Darstellung der Dinge ließ ihn wieder kichern. Aber nun wusste er auch, warum sie zusammengezuckt war, als sie ihren anderen Fuß belastet hatte. Wahrscheinlich hatte sie sich den Knöchel verstaucht. „Sollte eine Schneiderin nicht mit scharfen Spitzen umgehen können?“

„Ach, wir Schneiderinnen pieksen uns den ganzen Tag. Berufsrisiko.“

J.T. sah zu ihr auf, um ihr zu sagen, dass er sie erfolgreich befreit hatte, doch ihr Lächeln steckte ihn an und er musste zurücklächeln. In dieser Position verharrten sie einen Moment, bis Hannah blinzelte und den Kopf wandte, um nach ihrem Kleid zu schauen.

„Wie schlimm sieht es aus?“

Von hier unten sah es sehr gut aus. Aber J.T. vermutete, dass sie das Kleid meinte und nicht die Kurven darunter. Er stützte sich mit den Händen auf die Knie und stand auf. „In der einen Falte ist ein ziemlich großes Loch. Aber man kann deine Unterhose nicht sehen.“

„Jericho!“ Hannahs Gesicht wurde tiefrot. Er grinste. Es machte einfach zu viel Spaß, sie aufzuziehen.

J.T. nahm ihren Arm und war dankbar, dass sie ihn diesmal nicht wieder wegzog. „Wie geht es deinem Knöchel?“

„Er schmerzt ein bisschen, aber es ist auszuhalten“, sagte sie und humpelte vorsichtig neben ihm her. „Ich bin sicher, es wird besser, wenn ich mich ein bisschen ausruhe.“

„Ich sollte dich nach Hause bringen.“ J.T. wollte nicht, dass ihr gemeinsamer Tag schon endete, aber sie schien wirklich Schmerzen zu haben.

Sie kamen zu einer Gruppe kleiner Bäume, die ihnen Schatten boten, und machten eine kurze Pause. Hannah wandte sich ihm zu, aber ihr Blick fiel über seine Schulter zu den Kindern, die in einiger Entfernung spielten. „Mir wäre es recht, früher zu gehen, um mir die Peinlichkeit eines zerrissenen Kleides zu ersparen, aber ich will die anderen auch nicht enttäuschen. Ich will ihnen nicht den Tag verderben.“

„Tom kann mit uns zurückfahren“, sagte J.T. und umfasste ihre Taille, um sie auf einen dicken Ast zu heben, der nahezu horizontal gewachsen war. Sie quietschte überrascht auf und umklammerte seinen Arm, um das Gleichgewicht wiederzuerlangen, als er sie auf die improvisierte Bank gesetzt hatte. Ihre Füße baumelten fast zwanzig Zentimeter über dem Boden, aber immerhin musste sie so nicht stehen. „Er kann uns in die Stadt fahren und den General dann hierher zurückbringen, damit die anderen heute Abend nach Hause kommen können.“

„Na gut.“

Mittlerweile waren die Kinder auf sie aufmerksam geworden und stürmten heran, um herauszufinden, warum Hannah auf einem Baum saß.

Nachdem Hannah allen versichert hatte, dass es ihr gut ging und J.T. ihnen aufgetragen hatte, sie sollten seine Gefangene bewachen, bis er wieder da war, eilte er zurück, machte Tom ausfindig und erklärte Delia die Situation. Er brauchte eine Weile, bis die Pferde wieder angeschirrt waren und der General über die unebene Wiese rollen konnte, doch schließlich schaffte J.T. es, Hannah und die anderen abzuholen, ohne jemandem über die Picknickdecke zu fahren oder eine Achse zu beschädigen. Nachdem J.T. Louisa und die Kinder bei Ike und Delia abgesetzt hatte, sammelte er Tom ein und machte sich endlich mit Hannah auf den Weg in Richtung Stadt.

„Meinst du, ich bin wieder zurück, bevor der Squaredance anfängt?“, rief Tom besorgt von der Ladefläche, als J.T. den General schließlich vor Hannahs Haus zum Stehen brachte.

„Ich denke schon.“ Er stellte die Bremse fest und wartete, bis Tom bei ihm war und ihm die Zügel abnahm. „Sie haben vorhin erst angefangen, die Holzplanken für den Boden aufzubauen. Die Geiger hatten sich noch nicht mal warmgespielt. Du hast Zeit.“

Tom liebte die schnellen Lieder und die ganze Stadt liebte es, ihm dabei zuzusehen, wie er seine Mutter und alle weiblichen Wesen, die nicht nein sagten, über die Tanzfläche wirbelte. Seine Begeisterungsfähigkeit kam bei den Zuschauern immer gut an, auch wenn er manchmal die Anweisungen des Ausrufers durcheinanderbrachte. Ohne ihn wäre der Tanz nicht dasselbe.

* * *

J.T. griff nach Hannahs Hand und half ihr vorsichtig aus der Kutsche zu steigen. Für einen Augenblick hielt er ihren Blick mit dem seinen fest. „Geht es mit dem Knöchel?“

Sie nickte. Langsam ließ er sie los, versicherte sich aber, dass sie sicher stand, bevor er sich wieder Tom zuwandte.

„Fahr nicht zu schnell zurück. Du kommst besser an, wenn du vorsichtig fährst.“

„Ja, Sir.“

Sobald J.T. einen Schritt zurückgetreten war, trieb Tom die Pferde an. J.T. lächelte und wandte sich zu Hannah um, doch sie sah nicht zu ihm. Besorgnis war auf ihre Stirn getreten, während sie auf ihr Geschäft starrte. J.T. trat neben sie und legte seinen Arm um ihre Schulter. „Was ist los?“

Sie trat vorsichtig einen Schritt nach vorne. „Ich weiß es nicht, aber irgendwas stimmt hier nicht.“

Er starrte wieder zu dem Haus. Die Sonne blendete ihn so, dass er es nicht richtig erkennen konnte, aber es schien ihm, als stünde die Tür ein wenig auf. „Hast du vor dem Picknick die Haustür abgeschlossen?“

„Ja.“

Hannah befreite sich aus seiner Umarmung und ging los. Sofort folgte J.T. ihr. Er hielt sie zurück.

„Warte, gib mir deinen Schlüssel.“

Sie blickte ihn fragend an, als sie ihm den Schlüssel reichte.

„Bleib hier, während ich nach dem Rechten sehe.“

Sie zuckte zusammen. „Du glaubst doch nicht, dass jemand da drin ist, oder? Ich will nicht, dass dir was passiert.“

Er tätschelte ihre Hand. „Ich bin sicher, dass niemand da ist. Vielleicht funktioniert der Schließmechanismus nicht mehr richtig. Ist ja eine alte Tür. In Ordnung?“

Sie nickte unsicher.

Sehr vorsichtig ging J.T. auf die Tür des Geschäftes zu. Sie war wirklich nur angelehnt. Er schob sich mit dem Rücken an der Wand entlang, steckte Hannahs Schlüssel in die Hosentasche und umfasste langsam den Türknauf. Das Holz war beschädigt und zersplittert. Hier hatte sich jemand mit Gewalt Zutritt verschafft.

Er stieß mit dem Stiefel gegen die Tür, sodass sie weit aufschwang. Kein Schuss und auch keine fliehenden Schritte zerrissen die Stille, nur das Quietschen der Angeln. Vorsichtig spähte J.T. in den Raum hinein. Wer auch immer hier gewesen war, war schon lange wieder verschwunden, aber er hatte eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Rasende Wut stieg in J.T. auf.

Er trat nun ohne weiteres Zögern ein und besah sich den Schaden. Die Regale, die Hannah eigenhändig angebracht hatte, waren von den Wänden gerissen worden. Lange Stoffbahnen lagen überall auf dem Boden verstreut. Doch nicht nur das. Der Eindringling war mit seinen Stiefeln auf den teuren Stoffen herumgetrampelt, was man an den staubigen Abdrücken erkennen konnte. Zum Glück stand die Nähmaschine unversehrt in ihrer Ecke, doch alle ihre Schubladen fehlten. J.T. konnte nur vermuten, dass sie irgendwo herumlagen und der Inhalt wild verstreut worden war.

Er ballte seine Hände zu Fäusten und hätte sie am liebsten in das Gesicht desjenigen geschleudert, der diese Zerstörung angerichtet hatte.

Ein gequälter Schrei erklang hinter ihm.

J.T. fuhr herum. Hannahs verzweifelter Gesichtsausdruck drehte ihm den Magen um. „Komm, Liebling“, murmelte er, trat an ihre Seite und legte seine Arme um sie. „Ich bring dich nach Hause. Du musst dir das jetzt nicht anschauen.“ Er merkte, wie sie anfing zu zittern, und schob sie sanft aus der Tür. Sie wandte den Kopf und hielt die Augen starr auf die Zerstörung in ihrem Geschäft gerichtet.

J.T.s Beschützerinstinkt erwachte, als er in ihre traurigen Augen blickte. Er würde das für sie in Ordnung bringen. Irgendwie würde er es schaffen.

Er griff nach dem Türknauf und wollte die Tür schließen, doch Hannah schnappte erschrocken nach Luft. J.T. sah, was sie nun noch mehr aus der Fassung gebracht hatte. An der Innenseite der Tür hing ein Zettel mit einer Botschaft.

Sie hätten niemals hierherkommen sollen.