Sophias Schläfen begannen zu schmerzen, und sie rieb sie energisch. „Das habe ich nicht so gemeint, wie es vielleicht klang. Ich wollte nur sagen, dass er nichts Falsches gemacht hat. Nichts, wogegen Red etwas gehabt hätte.“ Angus’ finsterer Blick wurde noch finsterer. „Langsam glaub ich, Ihr Vater weiß nicht, wie hoch der Einsatz bei ’nem Spiel sein darf.“'

„Mein Vater hat dieses Haus verspielt, und ich muss es zurückgewinnen. Willst du, dass wir auf der Straße landen, heimatlos?“

Unsicher musterte Angus den leblosen Körper am Boden, wich Marys anklagendem Blick aus und seufzte. „Ach, wenn man’s so sieht, Miss. Ich wollt nicht, dass Sie Ihr Heim verlier’n. Sie wissen, dass ich das nicht will. “

„Ich weiß, zu welcher Sorte Mann Dougal zählt, Angus. Zwar tändelt er mit Frauen herum, die nicht den besten Ruf haben, aber er wurde als Gentleman erzogen. Er würde mich nie anrühren, wenn ich ihm nicht die Erlaubnis dazu gebe. “ Obwohl er natürlich unglaublich wirkungsvolle Methoden kannte und diese auch skrupellos anwenden würde, um eine Frau zu verführen. Doch das war ihr Problem und nicht das von Angus.

„Ja“, sagte nun Mary, die es sich nicht nehmen ließ, ihre Meinung kundzutun. „Weißt du nicht mehr, wie die Miss mit dem Sohn vom Squire fertiggeworden is, als er versucht hat, sie im Garten zu küssen?“ Sie strahlte Sophia an. „Das ham Sie gut gemacht.“

Sophia grinste. „Er musste eine ganze Woche humpeln.“ „Der Sohn vom Squire is nicht halb so’n Mann wie dieser hier. Das hier is kein grüner Junge, mit dem man leicht fertigwird. Er is ein richtiger Mann. Das können Sie in seinen Augen seh’n.“

Sophia legte Angus die Hand auf den Arm. „Falls es dich beruhigt, Angus, verspreche ich dir, um Hilfe zu rufen, sobald MacLean mir auch nur einen begehrlichen Blick zuwirft.“

Auf dem runden Gesicht zeigte sich deutliche Erleichterung. „Wenn Sie das wirklich versprechen, Miss, dann versuch ich Unten am Boden stöhnte Dougal und hob eine Hand, um sich damit über die Stirn zu streichen.

Wieder sank Sophia neben ihm auf die Knie. Sein linkes Auge war geschwollen und rot und würde in ein paar Stunden noch viel dunkler sein. Schlimmer war die Platzwunde, wo Angus’ Fingerknöchel ihn an der Wange getroffen hatte.

Mary tupfte das kleine Rinnsal aus Blut mit ihrer Schürze auf. „Ruhig, ruhig, Lord MacLean. Bewegen Sie sich nicht, bevor Sie wieder zu Atem gekommen sind. “

Sie schaute ihren Mann an. „Mach dich nützlich, Angus, und bring uns ein nasses, kaltes Tuch.“

Angus nickte und verschwand in Richtung Haus. Sophia half Dougal sich aufzurichten. Er lehnte sich an sie, doch es gelang ihm, sich größtenteils aus eigener Kraft aufrechtzuhalten.

Der leichte Duft seines Rasierwassers umgab sie, und durch den feinen Stoff seiner Kleidung spürte sie seine Wärme. Sie räusperte sich, doch als sie sprach, war ihre Stimme immer noch ein wenig heiser. „Wie fühlen Sie sich?“

Er berührte sein Auge mit den Fingerspitzen und zuckte zusammen. „Was ist passiert?“

„Angus.“

Als die Erinnerung zurückkam, zog Dougal die Brauen zusammen. „Der verdammte Kerl hat mich geschlagen!“

Ein heftiger Windstoß traf sie alle. Er zerrte an Sophias Röcken, und ihre Haare wurden ihr ins Gesicht geweht, sodass sie nichts mehr sehen konnte.

Mary erbleichte und bekreuzigte sich. „Verflucht, was is denn das?“

„Wo ist Angus jetzt?“ Dougals kalte Stimme durchschnitt die Luft wie ein Messer.

Sophia musterte ihn unbehaglich. Es gefiel ihr nicht, wie schmal plötzlich seine Lippen geworden waren. Seine Augen wirkten fast schwarz. „Angus ist im Haus, um ein kühles, nasses Tuch für Ihr Auge zu besorgen. Was geschehen ist, tut ihm sehr leid.“

Dougal betastete vorsichtig sein rasch anschwellendes Lid. „Womit hat er mich geschlagen, verdammt noch mal? Mit einem Hammer?“

„Mit seiner Faust.“

„Sie sollten diesen Dummkopf in einen Bärenkäfig stecken und auf dem Jahrmarkt ausstellen. Sie würden ein Vermögen verdienen.“

Sophia stützte ihn auf einer Seite, als Dougal ein paar Schritte unternahm, und Mary schob die Hand unter seinen anderen Arm.

Der Wind blies nun noch kräftiger und wirbelte eine Menge Staub auf.

„Gütiger Gott!“ Mary schaute nach oben. „Das ist das dritte Gewitter, das heute aus heiterem Himmel hier vorbeizieht. “

Sophia hob den Kopf nach oben. Eine riesige dunkle Wolkenbank hing über ihr. Sie erschien ihr wie ein lebendiges, grollendes Ungeheuer.

„Wir sollten ins Haus gehen“, schlug sie vor, weil sie sich plötzlich sehr unbehaglich fühlte.

Dougal gönnte den Wolken keinen Blick. Er bedeckte sein verletztes Auge und die blutende Wange mit einer Hand. „Zur Hölle, ich kann kaum etwas sehen.“ .

„Ja“, stimmte Mary ihm zu. „Das schwillt an. Ich hol ein paar Eisstückchen aus dem Eiskeller, das hilft besser als ein nasses Tuch.“ Der Sturm wurde immer heftiger, und Mary hustete, als ihnen eine Staubwolke und eine Menge Blätter entgegenwehten. „Am besten geh’n Sie und Lord MacLean ins Haus, Miss. Es wird eine Menge Regen runterkommen, das spür ich in den Knochen. “ Mit dieser Warnung verschwand sie.

Dougal entzog Sophia seinen Arm und stand ohne Hilfe aufrecht da. Allerdings schwankte er leicht hin und her.

„Kommen Sie, MacLean“, forderte Sophia ihn auf. „Es ist besser, wenn Sie sich hinlegen. “

Dougal warf ihr einen scharfen Blick zu. Das eine Auge war zwar inzwischen fast zugeschwollen, doch das andere funkelte wie das eines Adlers.

„Es tut mir leid, Dougal. Ich werde mit Angus sprechen und ... “

„Nein, danke. Ich rede selbst mit ihm. “ Nun richtete er seinen wütenden Blick auf das Haus. Die Eingangstür, die Mary hinter sich offengelassen hatte, wurde plötzlich von einem Windstoß gepackt und mit erstaunlicher Wucht zugeworfen.

Sophia schauderte, während sie den fast schwarzen Himmel betrachtete und den eisigen Wind fühlte. „Wir sollten uns besser beeilen oder ... “

„Gehen Sie allein ins Haus. Ich gehe lieber in den Stall. Es ist besser, wenn ich Angus während der nächsten ein oder zwei Stunden nicht sehe“, bemerkte Dougal mit düsterer Stimme. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und ging, so weit es möglich war, erhobenen Hauptes davon.

Sophia blieb allein zurück und verdammte im Stillen Angus und sein unbeherrschtes Temperament. Sie lief die Stufen zum Eingang hinauf, um unter das Vordach zu gelangen. Von einer Sekunde auf die andere öffnete der Himmel seine Schleusen, und das Wasser strömte herab. Der Regen war so heftig, dass sie nicht einmal mehr das Stallgebäude sehen konnte.

Bewegungslos stand Sophia unter dem schützenden Dach und starrte hinaus ins Unwetter. Wenn MacLean über einen Faustschlag derart in Wut geriet, was würde er dann erst fühlen, wenn sie MacFarlane House zurückgewann?

„Großer Gott, was is denn mit Ihnen passiert?“ Bei Dougals Anblick ließ Shelton den gefüllten Wassereimer fallen, den er gerade durch den Stall trug. Ohne sich darum zu kümmern, dass der Inhalt des Gefäßes sich auf dem Boden verteilte, starrte er Dougal an.

„Ich bin hingefallen.“ Dougal griff nach einer Kardätsche und begann Poseidons Fell zu striegeln.

Shelton stieß einen leisen Pfiff aus. „Sind Sie in etwas hineingefallen? In einen Hammer?“

„So etwas Ähnliches.“

Draußen schiffte es vom Himmel und prasselte laut auf das Stalldach.

Shelton runzelte die Stirn. „Das regnet nicht schlecht.“ Er presste die Lippen aufeinander und betrachtete Dougals blaues Auge mit neuer Hochachtung. „Ich verstehe.“

„Du kennst nicht die Hälfte von dem, was passiert ist.“ Vorsichtig betastete Dougal sein Auge und zuckte zusammen. „Verdammt!“

„Ich hab was, das hilft.“ Der Reitknecht verschwand in der Sattelkammer, und als er zurückkehrte, hielt er ein Stück rohes Rindfleisch in der Hand.

„Wo hast du das denn her?“

„Aus der Stadt. Ich habe es für Ihr Abendessen auf Eis gelegt.“

Dougal klatschte sich ächzend das Steak aufs Auge. „Danke.“ Draußen hallte ein leises Donnergrollen durch den Regen.

Shelton nahm Dougals Arm und führte ihn zu einem kleinen Fass. „Setzen Sie sich hierher, während ich die Pferde versorge. “

„Ich bin kein Invalide.“

„Nein, aber wie woll’n Sie Miss MacFarlane umgarnen, wenn Ihr eines Augen zugeschwollen ist? Sie müssen warten, bis die Schwellung weg ist.“

Seufzend blieb Dougal auf dem Fass sitzen und legte den Kopf in den Nacken, während das kalte Fleisch immer noch auf seinem Auge lag. Shelton sattelte Sophias Pferd ab, bürstete es und brachte die beiden Pferde in ihre Boxen. Dann holte er den Wassereimer, den er vorher fallen gelassen hatte, und tränkte alle Tiere. Als er damit fertig war, hängte er den Eimer ordentlich an einen Haken und zog ein zweites Fass neben das, auf dem Dougal Platz genommen hatte.

Dougal öffnete sein gesundes Auge und stellte fest, dass Shelton ihn nachdenklich betrachtete. „Was ist los?“, brummte er.

Der Reitknecht verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich hab mich nur grade gefragt...“ Er zeigte mit dem Daumen zur Decke.

Dougal schloss seine Augen wieder. „Ja, ich habe den Regen gemacht. Ich war wütend, weil ich angegriffen worden bin - und dann noch von hinten. Ich hatte mich eben umgedreht, da schlug mich im selben Augenblick dieser riesige Ochse von einem Diener. “

„Hat die Miss das alles gesehen?“

„Ja“, blaffte Dougal.

Der Wind frischte auf, und die großen Tore des Stalls klapperten, als würden sie protestieren. Sie wurden jedoch von einem altertümlichen Eisenriegel zugehalten. Das Dach wiederum knarrte und ächzte, als müsste es sich strecken und dehnen, um den heulenden Wind ins Gebäude zu lassen. Doch er hatte keine Chance, er musste draußen bleiben. Nur über die alten Wände lief der Regen und tropfte auf den strohbedeckten Boden.

Shelton seufzte und stand auf. „Ich werd in der Sattelkammer das Feuer im Ofen schüren. Sie werden was essen woll’n, bevor Sie wieder ins Haus geh’n.“

Dort war die reizende Miss Sophia wahrscheinlich in diesem Moment in der Küche damit beschäftigt, sein Essen ungenießbar zu machen. Trotz seines schmerzenden Auges grinste Dougal widerstrebend. „Du hast recht. Ich sollte vorher zu Abend essen und ein Bad nehmen.“

„Das Wasser wär wohl sicher kalt, wenn Sie im Haus baden täten, nehm ich an?“

„Und es wäre außerdem noch Juckpulver drin, wenn Miss Sophia und ihre Komplizen dran denken, es reinzutun.“

„Ich bin froh, dass wir bald wieder von hier verschwinden“, erklärte Shelton und zog ein finsteres Gesicht. Dougal antwortete nicht.

Der Knecht runzelte die Stirn. „Wir reisen doch bald ab oder etwa nicht, Mylord?“

„Das weiß ich noch nicht.“

„Aber ich dachte, Sie wollten nur herausfinden, was dieser Gauner und seine Tochter vorham.“

„Das weiß ich schon. Sie wollen mich dazu bringen, dass ich die Besitzurkunde für das Haus als Einsatz auf den Spieltisch werfe, sodass sie es zurückgewinnen können.“ „Dann müssen wir nicht noch eine Nacht bleiben.“ Müssen? Das war ein seltsames Wort. Dougal musste gar nichts. Aber wollen? Das war eine vollkommen andere Sache.

Shelton stöhnte. „Wir werd’n nicht abreisen, stimmt’s? Ich seh das in Ihren Augen. Sie sind besessen.“

„Wann hast du je erlebt, dass ich von etwas besessen bin?“ Dougal schnaubte verächtlich.

„Das is vielleicht das falsche Wort“, erklärte Shelton missmutig. „Sie fühl’n sich herausgefordert. Ihr Ehrgeiz is geweckt.“

Schweigend verschob Dougal das Fleisch auf seinem Auge, sodass es nicht mehr zur Seite wegrutschte. Dann erst ließ er sich zu einer Antwort herab. „Was ist falsch an ein wenig Ehrgeiz, wenn man zu einem Wettkampf herausgefordert wird?“

„Nichts, solange man in der Schlacht kein Auge verliert!“

Dougal lachte vor sich hin. „Ich werde absolut nichts verlieren, das verspreche ich dir. Weder ein Auge noch das Haus.“ Und ganz sicher nicht mein Herz, fügte er im Stillen hinzu.

Sein Lächeln verblasste auf einmal. Wo war dieser Gedanke so plötzlich hergekommen?

Nach einer kleinen Pause stieß Shelton einen tiefen Seufzer aus. „Ich hoff jedenfalls, dass wir nicht mehr viel länger hierbleiben. Sie woll’n heut Abend baden, und es macht mir zwar nix aus, Ihnen als Koch zu dienen, aber ich werd Ihnen nicht den Rücken waschen.“

„Das werde ich auch nicht von dir verlangen. Versprochen. “ Dougal nahm das Fleisch von seinem Auge und betastete vorsichtig die Schwellung. Es fühlte sich schon ein bisschen besser an. In ein oder zwei Stunden würde er sein Auge wieder so wie vorher benutzen können.

Ein greller Blitz funkelte durch die Risse in der Stallwand, und fast sofort folgte ein lauter Donner. Nun seufzte Dougal. Der verdammte Fluch war mal wieder eifrig am Werk. Er verlor nur selten die Beherrschung, aber die Ereignisse der letzten paar Tage hatten ihn an seine Grenze gebracht, und der krönende Abschluss war Angus’ Angriff gewesen. Der Schlag hatte seinen Zorn endgültig geweckt.

Dougal schaute hinüber zur geschlossenen Stalltür, die immer noch laut klapperte, weil von außen der Wind dagegen drückte. Gleichzeitig prasselte der Regen gegen das Holz. Es war seine Pflicht als MacLean, dem Fluch keine Macht über sich zu geben. Und als Mann war es seine Aufgabe, sich von nichts und niemandem besiegen zu lassen -auch nicht von einem Familienfluch.

Doch nun bestand nicht nur die Gefahr, dass er die Beherrschung verlor. Er fand seine Gastgeberin viel zu reizvoll, als dass es keine Komplikationen geben könnte. An diesem Nachmittag hatte sie mehrmals ihre gleichmütige Maske fallen gelassen, und er hatte einen Blick auf eine faszinierende Frau erhascht. Sie war nicht nur anmutig und bezaubernd, sondern hatte auch etwas ganz Besonderes an sich. In ihm war der Wunsch erwacht, er hätte sie unter anderen Umständen kennengelemt und könnte sich ihr auf Augenhöhe nähern, ohne die versteckten Andeutungen und geheimen Pläne.

Solche Gedanken waren natürlich gefährlich.

Es war besser für sie beide, wenn sie dieses Spiel beendeten. Doch vorher würde er noch ein einziges Mal mit der wunderbaren Miss Sophia Karten spielen. Schließlich und endlich: Was konnte ihnen schon passieren, wenn sie sich ein- oder zweimal küssten?

Nachdem er diesen Entschluss gefasst hatte, sprang er vom Fass herunter und bereitete sich auf seinen letzten Abend mit Sophia MacFarlane vor.

„Er hatte es verdient“, erklärte Angus empört.

„Unsinn“, widersprach Red ruhig. „Sophia weiß, was sie tut.“

Mary schnaubte und klopfte Reds Kissen weitaus energischer glatt, als es nötig gewesen wäre. „Du bist ein Dummkopf, Angus. Wie oft muss ich das noch wiederholen. Miss Sophia hatte schon immer mehr gesunden Menschenverstand als die meisten anderen Mädchen.“

„Ich bin mir nicht so sicher, dass die Miss die Gedanken von MacLean mit ihrer weiblichen List durcheinanderbringen kann, ohne selbst wirr zu werden. “ Angus blickte seine Frau voller Unmut an. Und bevor Mary etwas erwidern konnte, fügte er in anklagendem Ton hinzu: „Du hast selbst gesagt, dass der Mann so hübsch is, dass du ihn am liebsten mit ’nem Löffel aufessen würdest. “

„Ich will, dass meine Tochter ihr Haus zurückbekommt. Doch zu diesem Zweck darf sie sich nicht in Gefahr bringen“, erklärte Red und runzelte die Stirn. „Seid ihr sicher, dass es für sie bedrohlich werden kann?“

„Ja“, behauptete Angus.

„Nein“, widersprach Mary.

Sie starrten einander an.

Dann sagte Mary in entschiedenem Ton: „Angus, hör auf zu denken, dass sie etwas tun könnte, was sie nicht tun sollte. Keiner bringt sie dazu, etwas zu machen, was sie nicht machen will.“ Sie ging zum Fenster und zog die Vorhänge zu. „Sie ist kein Dummkopf.“

Red wusste weitaus mehr über Lebemänner als Mary oder Sophia, und ein Mann mit MacLeans Charme und gutem Aussehen konnte durchaus eine so große Versuchung sein, dass selbst seine praktisch begabte und logisch denkende Tochter ihm nicht widerstehen konnte.

Doch er wusste auch, dass Dougal ein MacLean war und seine Familienehre ihm bestimmte Handlungen verbot. Sophia war ebenso schön wie ihre Mutter, ebenso begabt und ebenso willensstark. Sie vibrierte vor Lebendigkeit und war ungestüm, und allein durch ihre Anwesenheit war sie eine Herausforderung für jeden Mann. Solch eine verlockende Frau konnte einen Mann durchaus dazu bringen, den Kopf zu verlieren und die Grenzen der Schicklichkeit zu überschreiten, selbst wenn er womöglich einen hohen Preis dafür zahlen musste.

Red hörte, wie sich die Tür zu Sophias Zimmer öffnete und gleich darauf wieder schloss.

„Da is die Miss. Ich werd sie fragen, ob sie vor dem Dinner noch ein bisschen was essen will.“ Mit diesen Worten huschte Mary aus der Tür.

Red begann im Stillen eine kurze Rede für Sophia vorzubereiten, in der er sie darauf aufmerksam machen wollte, wie wichtig es war, dass zwischen ihr und ihrem Gast die erforderliche körperliche Distanz gewahrt wurde. Er war gerade dabei, eine äußerst brillante, aber auch ergreifende Schlussbemerkung zu erdenken, als Sophia ins Zimmer trat.

Das Lächeln, mit dem Red sich ihr zuwandte, gefror augenblicklich. „Verdammt und zugenäht! Das kannst du unmöglich tragen! “

„Warum nicht?“, fragte sie, während sie auf ihr Kleid hinabblickte. Es war aus schwerer blauer Seide, besaß Borten aus cremefarbener Spitze und fiel in eleganten Falten bis hinunter auf ihre Knöchel. Die kurzen Ärmel waren mit schimmernder heller Seide verziert, die denselben Farbton hatten wie die Schärpe, die den Stoff unter ihren Brüsten zusammenhielt. „Was stimmt denn nicht mit diesem Kleid? Ich finde es wunderhübsch. “

Es war tatsächlich sehr hübsch, wenn man von einer bestimmten Tatsache absah: Das Dekollete war sehr viel tiefer als bei den Kleidern, die sie sonst trug. Und schlimmer noch - es steckte ein kleines Sträußchen aus blauen und cremefarbenen Seidenröschen genau an der Stelle, wo ihre Brüste zusammenstießen. Als würde ihr herrlicher Busen nicht ohnehin schon viel zu viel Aufmerksamkeit erregen. „Du kannst das nicht tragen“, wiederholte Red mit fester Stimme. „Es ist zu tief ausgeschnitten.“

Sophia setzte sich auf seine Bettkante und erklärte seelenruhig: „Dieses Kleid ist nach der neusten Mode geschneidert, Red.“

„Vielleicht für eine verheiratete Frau, aber nicht für meine Tochter.“

„Red!“

Er nahm den Tadel in ihrer Stimme wahr und zuckte zusammen.

Sie lachte. „Muss ich dich daran erinnern, dass ich MacLean heute Abend unbedingt dazu bringen muss, mit mir um das Haus zu spielen. “

Red atmete auf. „Heute Abend? Meinst du, das wird gelingen?“

„Ich hoffe es. Ich habe vor, schamlos mit ihm zu flirten. Es ist also gut, dass du hier oben das Bett hüten musst.“ „Flirten?“

„Natürlich. Ich muss ihn beim Spielen ablenken, und wie kann das besser gelingen, als einem Mann ganz nebenbei schöne Augen zu machen ... “

„Lenk ihn auf irgendeine andere Weise ab.“

„Auf welche andere Weise?“

„Das weiß ich nicht. Du könntest ... du könntest ihn mit irgendetwas bekleckern.“ Nachdenklich kniff Red die Augen zusammen. „Ja! Bekleckere ihn mit Tee.“

„Während des Spiels? Ich will, dass er das Spiel zu Ende bringt und nicht zwischendurch aufspringt und aus dem Zimmer rennt.“

„Dann denk dir was anderes aus.“

„Ich habe mir etwas anderes ausgedacht. Ich habe sogar so gut wie alles in Erwägung gezogen, wenn du es genau wissen willst.“ Sie tätschelte seine Hand. „Du kannst dich gelassen zurücklehnen. Denk einfach daran, dass sein Dünkel es ihm nicht gestattet, eine Frau anzufassen, die nicht von ihm angefasst werden will.“

Damit hatte sie einen wichtigen Punkt genannt. Stolz war ein mächtiger Antrieb. Das wusste niemand besser als Red. Angestrengt musterte er seine Tochter und stellte fest, dass sie zwar in ihrem Seidenkleid mit dem Perlenschmuck frivol aussehen mochte, aber dennoch höchst nüchtern wirkte. Seine kleine Sophia ließ sich von niemandem zum Narren halten.

Das Problem mit ihr war nicht, dass sie diesbezüglich unfähig war. Vielmehr war sie derart tüchtig, dass es ihm nicht schwerfiel, ihr ihren Willen zu lassen, ganz gleich, ob ihre Entscheidung richtig oder falsch zu sein schien.

Seine Tochter war ihrer Mutter Beatrice so ähnlich, dass es ihm manchmal Schmerzen bereitete. Natürlich war Beatrice eine furchtbar schlechte Spielerin gewesen, doch sie war niemals einer Herausforderung aus dem Weg gegangen. Sophia war da anders ... oder täuschte er sich? Der Verlust des Hauses hatte sie sehr getroffen, viel mehr, als er erwartet hatte. War es möglich, dass sie sich darauf versteifte, MacFarlane House um jeden Preis zurückzugewinnen, ganz gleich, was es kostete? Sie hatten Jahre damit zugebracht, das Haus zu renovieren. Und es war ihm nie in den Sinn gekommen, dass es Sophia vielleicht gar nicht wirklich um das Anwesen ging. Indem sie all ihre Zeit und Kraft ihrem Zuhause opferte, das so weit draußen auf dem Land lag, schnitt seine Tochter sich von allen anderen Möglichkeiten ab, ihre Zukunft zu gestalten.

Dieser Gedanke gefiel Red nicht. Hatte er zugelassen, dass Beatrices Traum von einem sicheren Zuhause zu Sophias Gefängnis wurde?

Sophia, die keine Ahnung hatte, welche Angst in diesem Moment Red das Herz schwer machte, lächelte ihn ebenso selbstsicher und beherrscht an wie immer. „Ich weiß, dass du lieber durch Europa ziehen und mal hier, mal dort leben würdest, Red. Aber ich bin nicht du. Dieses Haus ... “ Ihre Stimme zitterte leicht, und sie schwieg einen Augenblick, bevor sie fortfuhr: „Dieses Haus ist nicht einfach nur mein Zuhause, es ist die letzte Erinnerung an Mama, die mir geblieben ist.“

„Aber sie war niemals hier“, erinnerte er sie und zog die Stirn in Falten. „Hast du denn gar keine eigenen Träume, mein Mädchen?“

Die Frage ihres Vaters traf Sophia vollkommen überraschend. Sie hatte nie daran gezweifelt, dass das Haus alles war, was sie brauchte. „Ich weiß nicht“, erwiderte sie nach kurzem Nachdenken. „Ich glaube, ich habe mir darüber noch nie Gedanken gemacht.“

„Wenn wir das Problem mit dem Haus gelöst haben, möchte ich, dass du darüber nachdenkst. Vielleicht wird es langsam Zeit für dich, ein eigenes Leben zu leben und den Traum deiner Mutter loszulassen.“

Sophia stand von Reds Bettkante auf. „Ich weiß, was ich will, Red. Und ich will dieses Haus.“

„Natürlich willst du es - es ist unsere liebste Erinnerung an deine Mama. Aber im Leben geht es um mehr als um Erinnerungen, daran sollten wir beide immer wieder denken.“ Red lächelte müde und nahm ihre Hand. „Hör auf, mich anzusehen, als würdest du mich am liebsten aus dem Fenster werfen. Nimm mich noch mal kurz in den Arm, und dann geh hinunter zu deinem Dinnergast. Vergiss aber nicht, dass das Leben mehr für dich bereithält als dieses Haus. Wenn wir es zurückgewinnen, freuen wir uns. Wenn nicht, bedeutet das nicht, dass wir nicht irgendwo anders ganz von vorn anfangen und dort glücklich werden können.“

Sophia zwang sich, ihre Lippen zu einem Lächeln zu verziehen. „Ich bin sicher, wir werden hier sehr glücklich sein, hier, wo Mama mit uns leben wollte. Und nun entschuldige mich bitte, ich muss mich um unseren Gast kümmern. “ Sie hauchte einen flüchtigen Kuss auf Reds Stirn und verließ das Zimmer. Dabei spürte sie deutlich, wie der Blick seiner scharfen blauen Augen ihr folgte.

Nachdem Sophia die Tür hinter sich ins Schloss gezogen hatte, lehnte sie sich für einen Augenblick dagegen. Was meinte Red? Sie war entschlossen, heute Abend zu gewinnen. Dann konnten sie in Frieden ihr Leben weiterleben, während Dougal MacLean in das seine zurückkehrte.

Seltsamerweise hatte sie bei diesem Gedanken ein komisches Gefühl, so als würde sie etwas verlieren. Während des heutigen Ausritts war ihr eine Erkenntnis gekommen: Sie und MacLean hatten mehr gemeinsam, als sie vermutet hatte. Irgendetwas an Dougal MacLean brachte sie dazu, ständig an ihn zu denken.

Sie runzelte die Stirn. Vielleicht löste er ein solches Wechselbad der Gefühle in ihr aus, weil er ein Mann voller Widersprüche war. Ein Mann, der Seide trug und doch überaus männlich war, der Humor besaß und sensibel sein konnte, warmherzig, aber auch distanziert. Sie spürte, dass er trotz seines sorgfältig hergerichteten Äußeren rücksichtslos tun würde, was immer er vorhatte. Und genau aus diesem Grund musste sie heute gegen ihn gewinnen.

Energisch straffte Sophia ihre Schultern. Heute Abend würde sie die Bühne für ihren Triumph bereiten. Dazu war es nötig, dass sie die ersten paar Runden verlor, allerdings nicht zu viele und auf keinen Fall so, dass MacLean Verdacht schöpfte. Auf diese Weise würde sie ihn dazu bringen, sich sicher zu fühlen und immer mehr zu riskieren.

Sie hatte auch bereits entschieden, was sie ihm als ihren Einsatz anbieten wollte.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich, während eine Mischung aus Angst und Spannung in ihr hochstieg. Sie strich ihre Haare glatt, zog ihr Dekollete noch ein wenig weiter nach unten und glitt mit anmutigen Bewegungen die Treppe hinunter, bereit, sich dem Feind zu stellen.