2. Kapitel
Seid vorsichtig, wie ihr über andere sprecht, meine lieben Kinder. Ihr wisst nicht, wann eure Worte zurückkommen und euch einen Tritt ins Hinterteil verpassen.
So sprach die alte Heilerin Nora von Loch Lomond in einer kalten Nacht zu ihren drei Enkelinnen.
Anders als Red vermutet hatte, dauerte es einen ganzen Monat, bis Dougal MacLean eintraf.
Er hatte in Stirling eine bezaubernde junge Witwe kennengelernt, und die Verheißung ihrer schmollenden Lippen und ihres wohlgefüllten Mieders veranlassten Dougal, seinen Aufenthalt zu verlängern.
Nicht dass es die junge Frau sehr viel Mühe gekostet hätte, ihn zum Bleiben zu veranlassen. Er plante einen Besuch im Haus seiner Schwester, und ihr Ehemann war schwer zu ertragen. Obwohl Fiona den Schurken zu lieben schien, akzeptierte Dougal ihn nur, weil Jack Kincaid offensichtlich ebenso verrückt nach Fiona war wie sie nach ihm. Was bedeutete, dass Dougal gezwungen war, „sich zu benehmen“, wie Fiona es ausdrückte.
Unter diesen Umständen gefiel es Dougal gar nicht, sich zu benehmen. Aber noch viel weniger gelang es ihm, die Bitte seiner einzigen Schwester, ihr seine Aufwartung zu machen, einfach abzulehnen. Aber hinauszögern konnte er die ganze Angelegenheit schon ein wenig.
Bevor er Fiona seinen Besuch abstattete, wollte Dougal sich auch noch das Haus ansehen, das er im Kartenspiel gewonnen hatte. Das Anwesen lag auf der Hälfte des Weges zu seiner Schwester, und so lenkte Dougal seinen großen schwarzen Wallach in die Auffahrt, die zu dem Haus führte, das seit Neuestem seins war. Er hatte eine Weile gebraucht, um die Pfosten zu finden, die den Weg zum Gebäude markierten. Sie waren zwischen zwei großen Eichen am Rand der langen, einsamen Straße verborgen.
Der Weg war schmal und an den Rändern überwuchert, wurde aber breiter und bequemer, während er sich an einer langen Reihe von Bäumen entlangwand, die vor dem Hintergrund des blauen Himmels anmutig über der Auffahrt ihre Zweige miteinander verschlangen, sodass sie ein durchscheinendes grünes Dach bildeten.
„Das ist ein hübsches Fleckchen Land, stimmt’s, Mylord?“
Dougal drehte sich zu Shelton um, seinem Reitknecht, der ihm auf einem großen braunen Pferd folgte. „Es ist annehmbar. “ In Wirklichkeit war er überrascht. Nur selten war eine Besitzurkunde, die man beim Kartenspiel gewann, tatsächlich etwas wert. Häufig waren die Ländereien verwahrlost, das Haus (falls es eines gab) war verrottet und hatte ein undichtes Dach, und das ganze Anwesen war bis zum Äußersten beliehen. Dieser Besitz wirkte jedoch nicht ungepflegt, wenn er auch einen eher rauen Charme hatte. Das war immerhin etwas.
Als ein Taubenschwarm vom Feld aufstieg und bei einem kleinen, malerischen See landete, nickte der Reitknecht anerkennend. „Famoses Jagdrevier, würde ich sagen. Vielleicht denken Sie noch mal drüber nach, ob Sie den Besitz tatsächlich Ihrem Neffen überlassen wollen und behalten ihn lieber selber. Sie könnten einen Jagdsitz daraus machen.“
„Das wäre Verschwendung. Ich benutze ja kaum die Jagdreviere, die ich schon habe.“
Der Knecht stieß einen neidischen Seufzer aus. „Wenn ich Sie wär, ich würd nichts anderes machen, als immer nur jagen.“
„Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel, denn ich bin in meinem Leben noch nie einem noch fauleren Menschen begegnet - abgesehen von mir selbst natürlich. “
Shelton strahlte. „Vielen Dank, Mylord! Was für ein seltenes Glück, dass ich mich auf irgendeinem Gebiet als Ihresgleichen betrachten darf.“
„Keine Ursache“, erwiderte Dougal mit ernster Miene. „Nun, Sie haben aus der Faulheit eine Art von Kunst gemacht, die ... sehen Sie!“ Der Knecht deutete eifrig vor sich auf den Weg, wo die Spur eines Fuchses zu erkennen war. „Juhu, und die Fährte sieht frisch aus!“
Dougal betrachtete das Dickicht, das sie umgab. „Frisch oder nicht frisch, es braucht einen besseren Reiter als mich, um ein Pferd ohne Beinbruch über diesen holperigen Untergrund zu bringen.“
Shelton warf ihm einen scharfen Blick zu. „Man kann viel über Sie sagen, Mylord, aber dass Sie ein schlechter Reiter sind, gehört nicht dazu.“
„Du beschämst mich, Shelton. Ich weiß nicht, was ich auf solch überschwängliches Lob erwidern soll. “
Der Knecht setzte eine Leidensmiene auf. „Nun sagen Sie schon wieder so seltsame Dinge, Mylord. Sind Sie sicher, dass Sie nicht ein bisschen irisches Blut in den Adern haben?“
Dougal grinste. „Jedenfalls gibt meine Mutter nichts dergleichen zu.“ Er drehte sich im Sattel um und bewunderte die Aussicht. Der Duft der sauberen, feuchten Erde und des frischen Grases stieg ihm in die Nase, und das Sonnenlicht drang in goldenen Flecken durch das Laub der Bäume. Über ihnen erklang Vogelgesang, während die Pferdehufe den Weg entlangklapperten.
Das Land allein würde bereits ein hervorragendes Geschenk für seinen neugeborenen Neffen abgeben. Doch MacFarlane hatte beteuert, das Anwesen sei das Juwel des Besitzes. Als der Mann versucht hatte, die Besitzurkunde anstelle einer bedeutenden Geldsumme einzusetzen, hatte Dougal an der Wahrheit seiner Worte gezweifelt.
Dougal trieb sein Pferd an, ritt durch die letzte Kurve der Auffahrt und war ein weiteres Mal angenehm überrascht. Vor ihm lag das Haus. Es war groß und quadratisch, und die zweigeteilten Fenster funkelten in der Spätnachmittagssonne. MacFarlane House - das schon bald Kincaid Manor heißen würde - war ein ansehnliches Gebäude aus roten Ziegeln mit einer hübschen Fassade, vor der ein breiter Säulengang mit acht hohen ionischen Säulen lag, der zum Eingang führte. Über der zweiflügligen weißen Tür zeigte ein buntes halbkreisförmiges Glasfenster sonnenbeschienene Hügel, die denen ähnelten, auf denen das Haus stand. An beiden Seiten des Hauptgebäudes erstreckten sich Seitenflügel aus Backstein, welche mit ihrem Bewuchs aus tiefgrünem wildem Wein einen äußerst romantischen Anblick boten.
MacFarlane - in Dougals Augen ein notorischer Aufschneider-hatte behauptet, das Haus sei elegant. Doch das war es nicht unbedingt. Es war eher ... anmutig.
Sein Neffe würde seine Freude daran haben, wenn er volljährig war. Der Knabe würde einen eigenen Wohnsitz brauchen, einen Ort, an dem er tun und lassen konnte, was er wollte, ohne dass seine Mutter wie eine Glucke um ihn herumflatterte und sein strenger Vater ihn ständig anblaffte.
Dougal grinste. Black Jack Kincaid war der König aller Taugenichtse gewesen, bevor Fiona ihn gezähmt hatte. Es würde den Kerl maßlos ärgern, zusehen zu müssen, wie sein eigener Sohn denselben Weg einschlug - wofür er, sein Onkel Dougal, sorgen würde, wenn man ihm nur die geringste Gelegenheit dazu gab.
Es würde Jack absolut nicht gefallen, wenn Dougal seinem Sohn das Haus schenkte, was die Geste nur umso reizvoller für ihn machte. Oh ja, es war durchaus eine gewisse Entschädigung für die vorhergegangenen Ereignisse, nun Onkel eines Knaben zu sein.
Dougal lenkte sein Pferd durch das hübsche schmiedeeiserne Tor dicht vor dem Haus. Er würde sich flüchtig Umsehen und anschließend, falls es einigermaßen vernünftig erschien, Handwerker beauftragen, alle nötigen Reparaturen durchzuführen.
Als er die letzte Kurve der langen Auffahrt durchritt, tänzelte sein Wallach plötzlich nervös und blieb dann abrupt stehen.
„Mist! “, sagte Shelton und lenkte sein Pferd an den Rand des Weges, während er erbost nach unten schaute. „Diese Auffahrt sieht aus wie ein frisch gepflügter Acker.“
Dougal runzelte die Stirn. Der Weg, der vor ihm lag, war nicht glatt und eben, sondern glich einem Sumpf mit großen Löchern. Im Gegensatz zu anderen Zufahrten, die jahrelang benutzt und nicht regelmäßig wieder instand gesetzt worden waren, sah diese Auffahrt nicht nur vernachlässigt aus, sondern so, als sei sie vor Kurzem umgegraben worden.
„Da laust mich doch der Affe“, stieß Shelton entsetzt hervor. „Wer, um alles in der Welt, gräbt Löcher in einen Pfad, der vollkommen in Ordnung ist?“
„Ich habe keine Ahnung. Allerdings scheint mir die Mühe vergebens zu sein.“ Dougal lenkte Poseidon, seinen Wallach, um die Löcher herum und hielt schließlich vor den Stufen, die zur Eingangstür führten.
Obwohl einige der Fenster trotz der kühlen Abendluft geöffnet waren, schien niemand sein Eintreffen zu bemerken. Er schwang sich vom Pferd und reichte Shelton die Zügel, bevor er die Treppe hinaufstieg. Oben angekommen, blieb er stehen und zog seine Handschuhe aus.
Sein Reitknecht band die Pferde an den dafür vorgesehenen schmiedeeisernen Pfosten und beeilte sich, Dougal zu folgen. „Soll ich anklopfen, Mylord?“
„Unbedingt.“ Dougal steckte seine Handschuhe in die Jackentasche und betrachtete die hohen Säulen neben dem Eingang. Sie passten sich harmonisch dem Äußeren des Gebäudes an und schienen fest und haltbar gebaut zu sein. Die Verzierungen waren geschmackvoll und von guter Qualität. Shelton klopfte, doch im Haus rührte sich nichts.
Vom Säulengang vor dem Eingang aus betrachtete Dougal nachdenklich die Auffahrt und wunderte sich wieder über die frisch gegrabenen Löcher. Vielleicht hatte man gerade einige große Steine entfernt und auf diese Weise eine solche Verwüstung angerichtet.
Shelton klopfte ein weiteres Mal, nun ein wenig lauter -doch wieder reagierte niemand.
Nachdem er eine Weile gewartet hatte, stieß der Reitknecht einen Seufzer aus. „Scheint keiner zu kommen, Mylord. Soll ich ... “
Dougal hob die Hand, und der Knecht schwieg gehorsam. Aus einem der offenen Fenster am anderen Ende des Säulengangs drangen gedämpfte Stimmen.
Dougal zeigte auf das betreffende Fenster. „Offenbar haben die Dienstboten im Seitenflügel zu tun und hören das Klopfen nicht. “
Shelton zog ein finsteres Gesicht. „Die sind doch nur faul. Ich würde meinen ganzen Monatslohn setzen, dass sie mich gehört haben und einfach nur ihre Pflicht nicht tun wollen!“ Er wandte sich um, als wollte er zum Fenster marschieren und diejenigen, die im Zimmer waren, zur Rede stellen.
„Nein.“ Douglas hielt ihn mit leiser Stimme zurück.
Dann ging er den Säulengang entlang zu dem offenen Fenster und spähte hinein. Als seine Augen sich an den dämmerigen Raum gewöhnt hatten, erkannte er, dass er in ein Wohnzimmer schaute. Mit seinen großen, gleichmäßig in der Außenmauer verteilten Fenstern hätte der Salon luftig und hell sein sollen, erschien aber Stattdessen trübe und unordentlich. Ein fleckiges Sofa und zwei Sessel - von denen dem einen eine Armlehne fehlte und der andere jeden Moment umzukippen drohte - zerstörten die natürliche Schönheit des Zimmers. Und auch die weiteren Möbelstücke, die samt und sonders nicht zusammenpassten, trugen nicht gerade zur Gemütlichkeit bei.
Noch schlimmer war der Anblick der Wände, welche mit einer verblichenen rot-weiß gestreiften Tapete versehen waren. Das wäre nicht ganz so schlimm gewesen, hätten nicht Umrisse in der Größe von gerahmten Porträts deutlich gemacht, wie leuchtend die Farben der Tapete einst gewesen waren.
Irgendwo im Zimmer schrie jemand: „Autsch!“
Dougal beugte sich nach links und entdeckte zwei Gestalten, die vor einem Kamin am anderen Ende des Raums knieten. Bei einer von ihnen handelte es sich um einen großen, stämmigen Mann mit muskulösen Armen, der eine Maurerkelle in der Hand hielt. Er reckte den Kopf mit den grauen Haaren vor und blickte hinauf in den Schornstein. Neben ihm hockte eine Frau in einem verwaschenen blauen Kleid. Sie hatte sich ein Tuch um den Kopf geschlungen, doch Dougal bemerkte eine glänzende blonde Strähne, um einiges heller als seine eigenen Haare, die sich unter dem Stoff hervorgestohlen hatte.
Gerade hob sie ihren Ellenbogen und untersuchte ihn. „Ich habe mir die Haut an der Kante des Kaminsimses abgeschürft. “
„Sie müssen vorsichtiger sein“, brummte ihr Helfer.
„Ich weiß, ich weiß. Wenn wir hier endlich fertig sind, werde ich keinen Fetzen heile Haut mehr am Körper haben.“ Sie beugte sich vor und spähte ebenfalls den Schornstein hinauf. „Ich glaube nicht, dass es so, wie es jetzt ist, genügend Rauch geben wird, Angus.“ Weich wie Schlagsahne betörte ihre süße Stimme Dougals Sinne.
Verdammt und zugenäht, wenn diese Frau auch nur halb so schön war wie ihre Stimme, würde er sich möglicherweise verleiten lassen, den Besuch bei seiner Schwester noch ein wenig länger aufzuschieben.
Der Mann neben ihr schnaubte. „Vertrauen Sie mir, Miss. Ich glaube, der Kamin wird rauchen und rußen, und zwar mächtig.“
Miss? Offensichtlich gehörte sie nicht zu den Dienstboten.
„Ich weiß nicht recht, Angus“, erwiderte die Frau, und ihre kultivierte, weiche Stimme bildete einen deutlichen Kontrast zu den rauen Tönen des Mannes. „Ich möchte, dass dieser Kamin fürchterlicher lodert und qualmt als das Höllenfeuer. Lassen Sie uns im Abzug noch einen Ziegel anbringen, damit der Schornstein garantiert nicht mehr zieht.“
Dougal erstarrte. Er war der Meinung gewesen, dass die beiden dort drinnen den Schornstein reparierten, aber sie wollten offenbar, dass er rauchte. Was, zur Hölle, ging da drinnen vor?
Die Frau rieb sich mit ihrer Hand, die in einem Handschuh steckte, den Nacken und verteilte dabei großzügig schwarzen Ruß auf ihrer Haut. „Gütiger Himmel, morgen wird mir alles wehtun. “
„Nicht so sehr wie neulich, als wir drei Tage damit verbracht haben, die Holzvertäfelung in der Bibliothek mit Ruß und Wachs einzureiben“, erwiderte der Mann in heiterem Ton, während er Mörtel aus einem Eimer schöpfte und sich daran machte, einen Ziegel innen im Schornstein anzubringen.
Dougal ballte die Hände zu Fäusten. Sie mauerten seinen Schornstein zu und hatten bereits die Vertäfelung der Bibliothek mit Asche beschmiert? Er würde diesem Treiben unverzüglich Einhalt gebieten. Während er Anstalten machte, sich über die niedrige Fensterbank zu schwingen, um ins Zimmer zu gelangen, erhob sich die Frau. Nun stand sie, immer noch mit dem Rücken zu ihm, vor dem Kamin und seufzte. „Wenn du den Ziegelstein angebracht hast, werde ich noch ein paar ölgetränkte Lappen in den Schornstein stopfen, Angus. Dadurch wird es noch mehr rauchen. “
Angus grinste seine Kumpanin bewundernd an. „Sie ham sehr viel Talent für so was hier, Miss, das is wohl wahr. “ Sie gluckste leise vor sich hin, und auch diese Töne klangen in seinen Ohren höchst verführerisch, wenn er davon absah, dass der Spott, der in ihnen mitschwang, offenbar ihm galt. „Ich bekomme Übung in diesen Dingen, und sie wächst mit jedem Tag, den der neue Eigentümer dieses Hauses seine Aufgaben vernachlässigt.“
„Vielleicht hat er ’nen guten Grund, hier nich aufzutauchen, Miss.“
„Was sollte das für ein Grund sein?“
„Ich weiß nich. Vielleicht hat er beim Kartenspiel noch mehr Häuser gewonnen und besucht nun eins nach dem anderen. “
„Viel wahrscheinlicher ist, dass er von einem Mädchen mit lockerer Moral aufgehalten wird. Nach allem, was ich über ihn weiß, ist dieser Mann ein in Samt und Seide gekleideter Lebemann, der nichts Besseres zu tun hat, als seine Zeit und sein Geld zu verschwenden. “
Dougal verfluchte im Stillen diese Frau und ihre unhöflichen und völlig unbegründeten Vermutungen! Möglicherweise war er tatsächlich ein wenig länger in Stirling geblieben, um den besonderen Charme einer Witwe zu genießen, doch das machte ihn noch längst nicht zu einem geckenhaften Verschwender. Am meisten ärgerte ihn, dass sie mit ihrer Annahme, was ihn so lange von seiner neuen Aufgabe abgehalten hatte, vollkommen richtig lag.
Der große Mann dort drinnen richtete sich auf, und Asche und Ruß lösten sich aus seinen Kleidern und seinem Haar und verteilten sich rings um ihn auf dem Fußboden. Als er jetzt die Arme ausbreitete, war er groß und breit wie ein Scheunentor. „Ach, Miss, der Schornstein raucht jetzt sicher ganz fürchterlich. Nun kommen Sie, für heute ham wir uns genug geschunden. Wenn es noch mehr zu tun gibt, machen wir das morgen.“
„Wenn wir morgen noch Zeit dazu haben. Schließlich wissen wir nicht, wann MacLean sich die Mühe machen wird, hier zu erscheinen.“ Seufzend streifte sie ihre Handschuhe ab. „Ich sollte mich wirklich nicht beklagen, denn die Trödelei dieses Mannes war ein wahrer Segen für uns -wir hatten Gelegenheit, eine Menge Dinge zu erledigen.“ „So is es“, stimmte der Mann ihr zu. „Das Haus hat noch nie so schlimm ausgesehen. “
„Genau.“ Die Frau hörte sich äußerst zufrieden an. „Wir haben all die schönen Möbel auf den Dachboden geschafft und den alten Krempel nach unten getragen. Sämtliche hübschen Porträts sind gut versteckt und durch die schrecklichen Gemälde ersetzt worden, die wir unter den Treppenschrägen gefunden haben. Wir haben die Treppengeländer gelockert, einige der Bodendielen herausgelöst und das gute Geschirr weggepackt, sodass nur noch etwas altes, angeschlagenes Porzellan da ist.“
Dougal blinzelte entsetzt in das dämmerige Zimmer. Gütiger Gott!
Der große, stämmige Mann gluckste in sich hinein. „Sie haben vor, dem neuen Eigentümer das Essen auf einem Tisch ohne Tischtuch zu servieren, stimmt’s?“
„Ich habe noch viel mehr in der Hinterhand, als selbst du ahnst. Warte nur, bis du siehst, was Red und ich im Haus alles verändert haben! “ Als sie nun lachte, klang die Frauenstimme warm und herzlich, und Dougal konnte sich nicht gegen die Vorstellung wehren, dieses Lachen würde dicht neben seinem Ohr in einem Bett mit Seidenlaken erklingen.
Eine Frau mit einer solchen Stimme sollte eigentlich das Gesicht eines Engels, den Körper einer griechischen Statue und die Fertigkeiten einer Kurtisane besitzen. Dennoch bestand die Möglichkeit, dass sie ein verhärmtes altes Weib war.
Der Riesenkerl von einem Diener begann, sein Handwerkszeug zusammenzusuchen. „Ich hoffe, Sie und Ihr Vater wissen, was Sie tun. Lebemann oder nicht - kein Mann mag es, wenn man ihm seinen Besitz wegnimmt.“
„Das ist ein Irrtum“, erklärte die Frau in heiterem Ton. „Es ist ja nun nicht so, als würden wir Vorhaben, ihm den Kopf einzuschlagen und seine Taschen zu leeren.“
Wie gnädig, dachte Dougal erbittert.
Der Diener grunzte vor sich hin. „Ich hoffe für Sie, dass es funktioniert, Miss.“
„Ja. Und dann kann ich mein wunderschönes Haus in Ordnung bringen, bis es hier wieder blitzt und funkelt wie früher.“ Die wohlklingende Stimme hörte sich traurig an. Dougal sah, wie die Frau sich mit einer Hand am Kaminsims abstützte, bevor sie fortfuhr: „Ich wünschte, wir wären nicht gezwungen gewesen, all diese Dinge zu tun, aber wir hatten keine andere Wahl. Ich hoffe, der neue Eigentümer kommt bald, damit er sieht, was wir gemacht haben. Aber vermutlich hält irgendeine Schlampe in einer Schenke MacLean fest, indem sie ihm von morgens bis abends Schmeicheleien ins Ohr flüstert. “
Die Frau stieß ein sanftes Lachen hervor und fuhr dann mit hoher Stimme fort: „Oh Lord MacLean, Ihre Stimme klingt so männlich. Oh Lord MacLean, noch nie habe ich so reinliche Hände gesehen! Oh Lord MacLean, noch nie hatte ich für irgendeinen Mann solche Gefühle wie für Sie!“ Dougal kniff die Augen zusammen. In seinem Inneren stieg Hitze auf. Der Wind wurde ein wenig stärker, blähte die Vorhänge am Fenster und strich durch die Kleider der Frau vor dem Kamin.
„Miss!“, mahnte der Diener. „Sie sollten nicht von Schlampen sprechen, die in billigen Schenken arbeiten.“ Sie musste husten, weil der Wind den Ruß und die Asche im Zimmer aufwirbelte. „Nein, das sollte ich wohl nicht tun“, stimmte sie zu und wedelte mit der Hand durch die Luft, um die Asche zu vertreiben. „Obwohl ich einiges über ihn gehört habe. Ich glaube, er ist diese Art von Mann, der sich mit jeder Frau vergnügt, die sich nicht rasch genug in Sicherheit bringt.“
„Meinen Sie, das ist schlecht für Ihren Plan?“
Dougal beugte sich gespannt vor und heftete seinen Blick auf den schmalen Rücken der Frau dort drinnen.
Sie schüttelte den Kopf, und die goldfarbene Haarsträhne, die sich in ihrem Nacken kringelte, leuchtete auf. „Nein, das ist nur von Vorteil für uns. Ein Mann, der leicht abzulenken ist, ist auch leicht hereinzulegen.“
Dougal starrte finster vor sich hin und umklammerte den Fensterrahmen mit beiden Händen so fest, dass seine Finger weiß wurden. Der Plan war also, ihn zu täuschen, sodass er das Haus nicht haben wollte! Er wollte verflucht sein, wenn er den Besitz wegen etwas so Lächerlichem wie wackeligen Sesseln, Möbeln, die nicht zusammenpassten, und rußenden Schornsteinen aufgab! Da musste schon Schlimmeres passieren.
Lautlos zog er sich vom Fenster auf den Säulengang zurück und schlenderte wieder zu der Stelle, wo die Pferde angebunden waren. „Hast du das gehört?“
„Nicht alles, aber einen Teil davon.“ Shelton schüttelte den Kopf. „Gütiger Himmel, es scheint, als will man Sie hier nicht!“
„Es ist mein Haus, verdammt noch mal! Ich sollte dieses Pack an den Ohren da herauszerren! “
„Und dann?“
„Dann werde ich weiterreiten und Simmons herschicken. Als mein Vermögensverwalter kann er sich bestens darum kümmern, dass alles, was zerstört wurde, wieder in Ordnung gebracht wird.“ Dougal zog eine finstere Miene und starrte das offene Fenster an, vor dem er eben noch gestanden hatte. „Was sind das nur für Dummköpfe, wenn sie glauben, sie könnten mich auf diese Weise hereinlegen! “ Shelton nickte. „Soll ich die Pferde in den Stall bringen?“
„Nein. Ich werde nicht lange hierbleiben. Falls ich in zwanzig Minuten nicht zurück bin, kommst du ins Haus und informierst mich, dass die Pferde Wasser erhalten haben und bereit für den Weiterritt sind.“
Sheltons wettergegerbtes Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. „Glauben Sie, dass Sie jemanden brauchen, der Sie da herausholt?“
Dougal zog die Brauen hoch. „Musste ich jemals irgendwo herausgeholt werden? Brauchte ich jemals einen Retter? Ich möchte einfach nur einen sauberen Abgang haben, nachdem ich den Leuten klargemacht habe, dass ich ihre List durchschaue.“
Entschlossen wandte er sich um und stapfte die Treppe zur Eingangstür hinauf. Der Reitknecht folgte ihm. „Klopfen Sie, Shelton, und hören Sie nicht auf, bevor der Türklopfer abfällt. Ich habe vor, diesen Aufstand ein für alle Mal zu beenden. “
Sophia wirbelte herum und blickte zur Tür. Es klopfte schon wieder, und zwar so laut, dass die ganze Eingangshalle da draußen zu beben schien.
Angus, der soeben damit beschäftigt war, mit einem feuchten Tuch die Asche vom Boden vor dem Kamin zu wischen, hob den Kopf. „Himmel, Miss! Glauben Sie, dass das unser neuer Herr is?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Kutsche Vorfahren hören. “
Angus atmete auf, und in seinem Gesicht spiegelte sich die Erleichterung, die er offenbar spürte. „Stimmt. Ihr Vater sagt, der neue Eigentümer fährt ’nen Sechsspänner, nich wahr?“
„Acht“, korrigierte sie ihn abwesend, denn im selben Moment dröhnte erneut das Klopfen durchs Haus. „Das muss der Junge aus der Stadt sein, der das Holz bringt. “
„Wird auch langsam Zeit.“
Sie nickte. Während des vergangenen Monats war ihr Plan zur Rettung des Hauses immer umfangreicher und komplizierter geworden. Dennoch empörte es Sophia, dass MacLean sich so viel Zeit ließ. Offensichtlich betrachtete der mächtige und vornehme Lord MacLean die Tatsache für unbedeutend, dass er beim Kartenspiel ihr wunderschönes Haus gewonnen hatte. Schließlich machte er sich nicht einmal die Mühe, sich den Besitz anzusehen.
Ihre Brust wurde eng, und sie bekam plötzlich kaum noch Luft. Er musste hier aufkreuzen. Falls er das nicht tat, war all ihre Mühe umsonst gewesen. All die Arbeit, mit der sie ihre Tage verbracht hatte, und all die Übungen im Kartenspiel, die sie jeden einzelnen Abend gekostet hatten.
Red hatte erklärt, sie besäße ein angeborenes Talent für den Umgang mit Karten, und sie hatte ihn fast jeden Abend besiegt. Sie konnte ihr Haus zurückgewinnen, indem sie die Karten zählte und MacLean überlistete. Alles, was sie brauchte, war die Chance, mit ihm um das Haus zu spielen.
Wieder pochte es laut an die Eingangstür, und Angus warf empört seinen Lappen auf den Boden. „Dieser Kerl braucht ’ne ordentliche Tracht Prügel, so is es!“ Mit diesen Worten wischte er sich die Hände an den Hosen ab, wo seine Finger lange schwarze Streifen hinterließen, und wandte sich der Tür zu.
„Warte! Du solltest wenigstens deine Jacke anhaben.“ Angus kniff erstaunt die Augen zusammen. „Für den Burschen mit dem Holz?“
„Zur Übung. Wenn MacLean kommt, musst du meinen Butler spielen.“ Sie reichte ihm einen Lappen. „Wisch dir die Hände ab und zieh die Jacke an. Damit unser Plan funktioniert, muss MacLean denken, dass wir reich sind. Und das bedeutet, dass unser Butler weiß, wie man anständig die Tür öffnet, wenn Gäste erscheinen.“
„Der Junge wird sich über mich lustig machen“, vermutete Angus in düsterem Ton. Dennoch griff er nach dem Lappen und wischte sich die Hände ab.
„Nicht, wenn er sieht, wie toll du angezogen bist.“ Sie half Angus in die Jacke aus schwarzem Stoff. Dann knotete er sich murrend ein Musselintuch um den Hals.
Sophia musterte ihn kritisch. Nach einem Bad, und wenn er die schwarzen Hosen trug, die zu der Jacke gehörten, würde Angus einen eindrucksvollen Butler abgeben. „Geh jetzt. Du weißt, was zu tun ist.“
„Genau. Ich mach die Tür auf und schau gelangweilt aus. Ich hab ab und zu gesehen, wie Poole das für den Squire gemacht hat, aber ich hätt nie gedacht, dass ich das irgendwann selber mal tun muss.“
Sophia nickte ermutigend. Sie hatte Angus und seine Frau Mary vom Squire ausgeliehen. Sophia und ihr Vater hatten bescheidene Ansprüche, und sie hatten nur zwei Mädchen aus dem Dorf, die einmal in der Woche zum Saubermachen und Kochen kamen. Da nur Red und sie hier wohnten, benutzten sie die meisten Zimmer nicht und hielten die Vorhänge geschlossen, um das schädliche Licht und den Staub draußen zu halten.
Sie strich Angus die Jacke glatt und lächelte. „Falls Jimmy dich aufzieht, wirst du ihm Kontra geben müssen.“ „Sehr wohl, Miss.“
Gemeinsam gingen sie in die Eingangshalle. Dort wandte Angus sich der Tür zu. Er machte einen Schritt nach vorn und erstarrte.
Etwas an seiner Haltung ließ auch Sophia stutzen. Sie schaute in die Richtung, in die auch er starrte, nämlich zu den Milchglasscheiben, die rechts und links von der Eingangstür in die Wand eingelassen waren. Dort draußen im hellen Sonnenlicht war nicht der kleine, dürre Junge aus dem Dorf zu sehen, sondern ein großer, breitschultriger Mann.
„Er ist da“, hauchte sie, und ihr Herz schlug so heftig, dass es ihr ebenso laut vorkam wie das Klopfen an der Tür. „Verdammt“, fluchte Angus. „Und Ihr Pa is nich hier.“ Red war fortgegangen, um sich vom Squire eine gute Jacke zu leihen. Die Schneiderin im Dorf hatte Tag und Nacht gearbeitet, um sechs neue Kleider für Sophia zu nähen. Außerdem Nachthemden, Petticoats und Umhänge. Deshalb hatte sie keine Zeit gehabt, eine neue Jacke für Red zu machen.
Wieder donnerte das Klopfen durch die Halle.
Angus warf Sophia über seine Schulter einen Blick zu. „Geh’n Sie nach oben, Miss! Er darf Sie so nich sehn.“ Sophia schaute auf ihr abgetragenes, mit Ruß beschmutztes Kleid hinunter. „Gütiger Himmel, nein! Aber ... was ist mit dir?“ Sie deutete auf seine Hosen mit den Dreckstreifen.
„Wenn er mich deswegen fragt, sag ich ihm, dass ich über den Kohleneimer gestolpert bin, als ich eine Katze weggejagt hab.“
„Das muss als Erklärung reichen.“ Sie wandte sich der Treppe zu und befahl ihm beim Weggehen: „Mach es genau so, wie wir es geübt haben, Angus! Lass ihn herein und hol ihm ein Glas von dem schrecklichen Portwein, den wir in der Stadt gekauft haben. Wenn das erledigt ist, schickst du Mary sofort mit einem Eimer Wasser nach oben. Ich muss mich waschen.“
Eine seiner großen Hände lag bereits auf dem Türknauf, doch Angus hielt noch einmal inne. „Jetzt woll’n Sie sich waschen? Aber MacLean ist doch schon hier.“
Sie warf den Kopf in den Nacken. „Ich habe lange genug auf MacLean gewartet, jetzt kann er auf mich warten.“
„Sehr wohl, Miss“, erwiderte Angus grinsend.
Sophia eilte die Treppe hinauf, lief den Flur zu ihrem Zimmer entlang und begann schon beim Gehen, sich auszuziehen.
Von unten hörte sie den leisen Klang von Stimmen. Wenig später stand Mary mit einem Eimer Wasser in der Tür. Sophia schrubbte sich energisch sauber und zitterte dabei vor Kälte, während Mary wartend hinter ihr stand und missbilligend mit der Zunge schnalzte.
„Oh“, stöhnte Sophia und zuckte zusammen, als sie sich nach ihrem zu Boden gefallenen Handtuch bückte. „Mein Rücken tut weh.“
Die pummelige, grauhaarige Mary schüttelte den Kopf. „Ich weiß wirklich nich, was Sie sich dabei denken, Miss. Für eine Dame Ihres Standes is es nich recht, solche Arbeiten zu tun.“
„Irgendjemand muss es ja machen“, erklärte Sophia mit fester Stimme. Sie trocknete sich ab. Zum Glück hatte sie sich am Abend zuvor die Haare gewaschen.
Nachdem sie sich ihr Unterkleid und die Strümpfe angezogen hatte, vollbrachte Mary wie üblich wahre Wunder mit Bürste und Haarnadeln. Innerhalb erstaunlich kurzer Zeit war Sophias Haar wie das einer Dame von Welt hochgesteckt, und über jedem Ohr lockte sich eine dicke, glänzende Strähne. Als das erledigt war, öffnete Mary die neue Schmuckkassette, die Sophia von Red bekommen hatte. Der Inhalt des Kästchens sah aus, als wäre er ein Vermögen wert. In Wahrheit hätte sich nicht einmal ein Taschendieb die Mühe gemacht, die Klunker zu stehlen, wenn er ihren Preis gekannt hätte.
Mary zog prunkvollen Schmuck aus falschen Saphiren hervor und legte Sophia die Kette um den Hals. Bald darauf baumelten an Sophias Ohren die passenden Ohrringe, und an ihrem Handgelenk glitzerte ein breites Armband. Dann ging Mary zum Schrank und holte ein blassgelbes Seidenkleid hervor, das mit Bändern und winzigen Blümchen in Königsblau geschmückt war.
Nachdem Mary die letzte Schleife gebunden hatte, drehte Sophia sich vor dem Spiegel, um sich zu betrachten. Sie war eine zierliche Frau, kleiner als die meisten ihrer Geschlechtsgenossinnen. Ihr Kleid lag an den Schultern eng an, und die kurzen Ärmel bedeckten nur den oberen Teil ihrer schlanken Arme. Das Oberteil war mit kleinen blauen Rosetten geschmückt. Unter ihren vollen Brüsten wurde der Stoff von einer breiten, ebenfalls blauen Schärpe zusammengehalten, und die gelbe Seide des Rocks floss anmutig bis auf ihre Füße hinunter.
Sophia wünschte sich, ihr Herz würde aufhören, so schnell zu schlagen. Es war zu dumm, dass MacLean ausgerechnet heute gekommen war, an einem Tag, an dem Red nicht da war, um sie zu unterstützen. Doch es lag ohnehin ganz allein bei ihr, ihr Opfer an die steinigen Gestade des gewagten Spiels und des Verlusts zu locken. Das würde ihr gelingen, indem sie an seine Eitelkeit und seinen männlichen Stolz appellierte. Sie lächelte ihrem Spiegelbild zu. „Es ist nicht perfekt, aber es wird gehen müssen.“
„Also wirklich, Miss! Sie sind schön wie eine Prinzessin.“ Mary öffnete ihr die Tür und trat beiseite. „Sei’n Sie vorsichtig, wenn Sie die Treppe runtergehn. Ihr Pa hat die dritte Stufe mit dem Brecheisen bearbeitet.“
„Eine der Stufen? Jemand könnte verletzt werden.“ „Genau das wollte er.“
Sophia runzelte die Stirn. „Ich werde Angus sagen, dass er es wieder in Ordnung bringen soll. Ich will, dass MacLean das Haus hasst, nicht, dass er hier stirbt.“
„Männer denken nie nach, Miss. Das ist eins der traurigen Dinge in diesem Leben.“
„Das musst du mir nicht sagen“, murmelte Sophia vor sich hin. „Wünsch mir Glück. Ich habe schon viel über MacLean gehört, aber nichts Gutes.“
„Viel Glück, Miss. Ich weiß genau, dass Sie mit solchen wie ihm umgehen können. Und jetzt nach unten mit Ihnen!
Der Mann wartet auf Sie.“
„Danke, Mary.“ Als Sophia sich in Bewegung setzte, um zu ihrem Gast zu gehen, protestierte ihr schmerzender Rücken. Sie blieb auf der obersten Stufe stehen und atmete tief durch. Dabei nahm sie all ihren Mut zusammen, um ihre Angst zu unterdrücken. Ich kann das, redete sie sich selbst gut zu. Doch gleichzeitig flüsterte es in ihrem Kopf: Wenn ich es nicht schaffe, verliere ich Mutters Haus - mein Haus.
Ihre Kehle wurde eng, und sie hatte Mühe zu atmen. Doch sie straffte ihre Schultern und setzte ihren Weg nach unten fort, wobei sie sorgfältig darauf achtete, nicht auf die beschädigte Stufe zu treten,
Sophia ahnte nicht, dass ihr Gast alles beobachtet hatte: Wie sie sich anmutig der Treppe genähert und auf der obersten Stufe innegehalten hatte, ihr Zögern, bevor sie den nächsten Schritt tat, und wie sich innerhalb eines Augenblicks ihre Anspannung in Ruhe verwandelte.
Dougal stand neben der Tür zur Bibliothek, die seitlich von der Treppe lag. Er konnte zwar ihr Gesicht nicht sehen, aber er hatte Gelegenheit, die graziösen Bewegungen zu bewundern, mit denen sie die Stufen herabstieg. Und er stellte fest, dass ihn eines besonders bezauberte, etwas, was er nicht erwartet hatte: Sie war eine ungewöhnlich sorgfältig gekleidete und hergerichtete Frau. Als sie oben an der Treppe aufgetaucht war, hatte er sich fast gewünscht, es möge nicht seine Gastgeberin sein, die Frau, die keine dreißig Minuten zuvor Schaden an seinem Haus angerichtet hatte.
Und während er zusah, wie sie die Treppe herunterschwebte, den Kopf majestätisch erhoben, das blonde Haar aufgesteckt, konnte er nicht anders, als sich zu fragen, wie sie wohl im Bett sein mochte. Sie war winzig klein, eine Westentaschen-Venus, wie geschaffen, einem Mann Lust zu bescheren.
Oh ja, er würde das Zusammentreffen mit ihr sehr, sehr genießen.
Die Wut, die sie zu Beginn in ihm entfacht hatte, war verschwunden. Dougal wartete, bis sie die unterste Stufe erreicht hatte, dann hüstelte er leise.
Langsam wandte sie sich um und schaute ihn an. Obwohl Dougal bereits von ihrem Anblick auf der Treppe bezaubert gewesen war, hatte nichts ihn auf das vorbereitet, was er nun sah.
Sie besaß das Gesicht eines Engels. Ihre Lippen waren rot und üppig, die Nase klein und leicht nach oben gebogen. Doch es waren ihre Augen, die ihn vollkommen in ihren Bann zogen. Beschattet von dunkelbraunen Wimpern, die sich schwungvoll nach oben bogen, schimmerten sie in einem blassen Türkis, hell und doch lebendig. Es kam ihm vor, als würde er in einen unglaublich klaren See blicken.
Bei Gott, er musste diese Frau in seinem Bett haben! Diese dringende Notwendigkeit erfüllte ihn mit einer Leidenschaft, die sein Blut in Flammen setzte.
Die Frau errötete, legte sich die Hand gegen die Kehle, und ein wachsamer Ausdruck trat in ihre Augen.
Dougal verbeugte sich und bemerkte in seinem üblichen gelangweilten Tonfall: „Miss MacFarlane, nehme ich an.“
Sie knickste, und er konnte deutlich sehen, dass sie sich konzentrierte. Dann erwiderte sie mit einer volltönenden, ein wenig heiseren Stimme, die er sofort als die erkannte, die er vorhin durchs Fenster gehört hatte: „Ja, und Sie sind wahrscheinlich Lord MacLean. Mein Vater drückte sich so ungenau aus, als er mir erklärte, wie er endlich das Haus losge...“ Sie stockte, als wäre ihr versehentlich etwas herausgerutscht. Dann lachte sie leise und zuckte mit den Schultern. „Ich wollte nur sagen: Willkommen in MacFarlane House!“