16

Mitten in der Nacht wache ich auf, von einem unbekannten Geräusch in einem fremden Haus geweckt. Das riesige Schlafzimmer wirkt düster durch die dunklen Holzvertäfelungen an den Wänden. Die cremefarbenen Vorhänge sind zugezogen, obwohl draußen Finsternis herrscht und ein Sichtschutz nicht nötig wäre in dieser Wildnis.

Ich taste im Bett neben mir, doch es ist leer. Himmel, wo ist er denn hingegangen um diese Zeit? Konnte er nicht schlafen? Schläft er woanders? Die alten Holzdielen knarren, das fremde Geräusch lässt die Härchen an meinen Armen aufrecht stehen. Auch wenn ich kaum zu atmen wage, höre ich nichts. Die schwere Holztür ist massiv und dicker als mein Oberarm, kein Ton dringt hindurch. Damit hat Adrian mich beruhigt, bevor wir ... es im Bett seiner Mutter getan haben. Ich grinse mit geschlossenen Augen bei der Erinnerung. Eine kleine Einschlafhilfe, so hat er es genannt, und mich zweimal zum Höhepunkt getrieben, mit Zunge und Fingern. Offenbar wirkte sein Trick, denn ich weiß nicht einmal mehr, wann genau ich eingeschlafen bin. Dafür durchfährt meinen Unterleib erneut das lustvolle Ziehen, wie immer, wenn ich an ihn denke.

Aber wo ist er jetzt? Ich krabble aus dem Bett und sehe in dem riesigen benachbarten Bad nach, doch auch das ist leer. Dann öffne ich vorsichtig die Tür, die mit einem lauten Knarren nachgibt, und lausche ins dunkle Haus. Unten brennt Licht und ich höre Stimmen. Adrians Stimme und ... eine Frau. Seine Mutter? Oder Nicole, Gordons Frau, die ich gestern nicht mehr kennengelernt habe weil sie erst spät vom Flughafen kam? Sie sprechen leise, ich kann kein Wort verstehen. Etwas nagt an mir und bringt meinen Magen dazu, sich zusammenzuballen. Wieder fühle ich mich ausgeschlossen aus seinem Leben. Als ob er mit Absicht versucht, mich auf Abstand zu halten. Lautlos schließe ich die Tür und krieche zurück ins Bett, wo ich die Decke über meinen nackten Körper ziehe und auf den Stuck über mir starre, bevor ich irgendwann wieder einschlafe.

*

»Happy birthday to you ...« Irritiert reibe ich mir die verquollenen Augen und richte mich halb im Bett auf. Adrian sitzt auf der Bettkante und ... singt! Ich muss lachen, weil er trotz seiner wunderschönen Stimme kaum in der Lage ist, einen Ton zu treffen. Dafür gibt er sich große Mühe, den Song so sexy wie möglich zu hauchen, aber ich habe Erbarmen (mit meinen Ohren!) und unterbreche ihn mit einem flüchtigen Kuss.

»Wo warst du heute Nacht?«, frage ich. »Du siehst aus, als hättest du eine Nachtwanderung gemacht oder jedenfalls wenig geschlafen.«

»Vielleicht stimmt das«, antwortet er geheimnisvoll. »Zieh dich an und komm runter. Es gibt eine Überraschung.«

»Jetzt gleich?«

»Jetzt. Sofort.« Er klopft nachdrücklich auf die Matratze, bevor er aufsteht und mir die Hand reicht. Ich lasse mich von ihm aus dem Bett zerren und verschwinde im Bad, wo ich erst mal unter die Dusche hüpfe. Geburtstag ... kein besonderer Tag für mich. Aber ich weiß, dass auch seine kleine Nichte heute feiern wird, deshalb sind wir schließlich hier. Plötzlich kribbelt Aufregung in meinem Körper. Ob er ein Geschenk für mich hat? Ich habe bisher nur von Cat Geschenke zum Geburtstag bekommen, sie hat mich vor zwei Jahren daran gewöhnt. Jetzt bin ich glatt ein bisschen nervös. Und neugierig.

Das Haus wirkt leer, als ich in Jeans und T-Shirt gekleidet die Treppe runtergehe und mir beim Laufen die Haare zu einem Pferdeschwanz binde. Dann höre ich Gelächter und Applaus aus einem Raum, also folge ich den Geräuschen durch den langen Flur mit den unzähligen Türen, bis ich vor einem offenen Zimmer stehen bleibe und hineinsehe. In der Mitte am Flügel sitzt Gordon, vor ihm hockt die kleine Emily und kräht: »Sie ist da!«

Lächelnd gehe ich ein paar Schritte näher und nicke in die Runde, die sich um das Klavier versammelt hat. Und dann legt Gordon los, spielt Happy birthday in der Version von Stevie Wonder. Die gesamte Familie singt mit. Adrians Hand legt sich um meine und hält mich, während ich dem Ständchen, das Emily und mir gewidmet scheint, lausche. Meine Augen sind ganz heiß, in meinem Hals steckt ein riesiger Klumpen, der mich kaum atmen lässt. Ich knete meine Finger, stehe fassungslos mitten im Zimmer, den großen offenen Kamin im Rücken, die Augen der ganzen Familie auf mich gerichtet.

Emily klatscht und quietscht vor Vergnügen mit den letzten, langsam ausklingenden Tönen, dann werde ich von allen Anwesenden in den Arm genommen.

»Alles Gute zum Geburtstag, Gwen. Schön, dass du hier bist!«, sagt Eleonor und drückt freundschaftlich meinen Arm. Sie sieht so souverän und gefasst aus wie immer und ich bewundere sie dafür. Nicole, die ebenso rothaarig ist wie ihre Tochter und nicht minder quirlig wirkt, entschuldigt sich, weil sie ungeschminkt ist, aber sie habe wenig geschlafen. Damit steht fest, mit wem Adrian die Nacht verbracht hat, und ich bin mir noch nicht sicher, wie ich das finden soll. Es ist allerdings absolut albern, auf die Ehefrau seines Bruders eifersüchtig zu sein, muss ich mich selbst ermahnen.

»Kommt mit ins Esszimmer. Wir haben dort etwas vorbereitet.«

Adrian legt mir die Hand auf den Steiß und küsst mich in den Nacken. Ich schmiege mich an ihn, dann folgen wir gemeinsam der kleinen Prozession.

»Das war wirklich nicht nötig«, flüstere ich, aber er erwidert nichts, sondern schiebt mich einfach weiter vor sich her in den großen Raum am Ende des Flurs. Dort reiße ich verblüfft die Augen auf. Über dem langen Holztisch hängen zwei Girlanden. Eine für Emily, eine für mich. Aus buntem Papier ausgeschnitten und an hellem Nähgarn aufgefädelt. Emily juchzt in Anbetracht des Geschenkebergs an ihrem Platz, auf den sie sich sofort stürzt, und ich bleibe wie erstarrt vor dem Stuhl stehen, zu dem Adrian mich sanft geschoben hat.

»Ist das für mich?«, frage ich dämlich, denn direkt vor mir finde ich ... eine Burg. Aus Schokoladenkuchen. Mit umgedrehten Eistüten als Türmen, dekoriert mit Zuckerperlen und anderen Süßigkeiten. Das Ding ist riesig, schief und an einigen Stellen fehlt dem Kuchen der Schokoladenguss. Es ist der hässlichste Kuchen, den ich je gesehen habe. Und der Schönste. Mit Tränen in den Augen drehe ich mich zu Adrian um.

»Hast du den selbstgemacht?«

»Die halbe Nacht«, sagt er lachend und umarmt mich, sodass ich meine albernen Tränen in seinem schwarzen Shirt verbergen kann. Zum Glück ist der Rest der Familie durch Emily abgelenkt und achtet nicht auf uns. Ich zittere, drücke mich so fest an ihn, dass ich kaum noch Luft kriege. »Adrian, ich ... das ist so ...« Ich kann gar nicht sprechen. Ich bin gerührt, erfreut, schockiert ... alles gleichzeitig. Gefühle prasseln auf mich ein wie ein Regenschauer, ich schlucke trocken und finde einfach keine Worte für das, was mich hier erwartet. Meine Augen sind immer noch nass. Vielleicht fühlt man sich so an einem Kindergeburtstag, wenn man mehr Aufmerksamkeit bekommt, als man eigentlich verträgt. Trotzdem ist es schön. Genauso sollte sich Glück anfühlen.

»Tut mir leid, dass ich es nicht besser hinbekommen habe. Nicole hat mir geholfen und geschimpft, weil ich zu ungeduldig war. Aber ich habe noch nie einen Kuchen gebacken, ehrlich gesagt, und ...«

Ich löse mich von ihm, lege den Zeigefinger auf seinen Mund und schüttle den Kopf. »Sch. Nicht weiterreden.«

Wir küssen uns, als ob wir alleine im Raum wären, bis Emily uns mit lautem Lachen unterbricht und wir gezwungen sind, uns ihre Geschenke anzusehen.

»Du tust ihm gut«, flüstert Eleonor mir zu, als ich mit einem Glas Champagner in der Hand im Zimmer stehe und lächelnd beobachte, wie Adrian mit Emily und der neuen Barbie spielt, die er ihr geschenkt hat. Nicole hat getobt, weil sie das Spielzeug sexistisch findet und nie ins Haus lassen wollte, aber er hat erwidert, als Onkel hätte er das Recht, seine Nichte zu verziehen. Um die Folgen müsse sie sich als Mutter kümmern.

»Ich habe ihn lange nicht so glücklich gesehen.« Die blonde Frau drückt meine Hand, und ich erwidere die Geste dankbar.

»Das freut mich. Wirklich.«

Adrians Mutter zieht mich ein paar Schritte zurück, aus dem Hörbereich der anderen. »Seit der Sache mit Carol ist er nicht mehr derselbe. Ich weiß nicht, ob er dir davon erzählt hat. Er spricht nicht gern darüber ...« Sie sieht mich an und erst jetzt wird mir bewusst, dass ihr Sohn die gleichen blauen Augen hat wie sie. Sie ist wie gestern zu korrekt gekleidet, sodass ich mich in meiner Jeans ziemlich fehl am Platz fühle.

»Er hat es mir gesagt«, bestätige ich, und mein Puls beschleunigt sich. Vielleicht erfahre ich von ihr mehr, als Adrian mir erzählen wollte?

»Möchtest du Fotos von ihr sehen?«, fragt sie, und ich nicke, ohne weiter nachzudenken.

Unbemerkt von den anderen folge ich ihr in den Flur, bis wir in dem großen Terrassenzimmer landen, in dem wir gestern Nachmittag gesessen haben. Sie bedeutet mir, mich zu setzen, und holt nach ein paar Minuten ein Album aus dem Regal.

»Du musst denken, ich sei fürchterlich sentimental, dass ich dich gleich so mit alten Fotos belästige«, sagt sie lächelnd und legt das in Leder gebundene Buch auf meinen Schoß. »Aber es ist so schön, dass Adrian endlich wieder jemanden mit nach Hause bringt. Ich hatte Sorge, dass er nie ...« Sie beißt sich auf die schmale Unterlippe und schlägt das Album auf.

Ich erkenne sie sofort, obwohl sie auf den ersten Bildern noch ein Baby ist. Und ich sehe auch das, was ich schon in London bemerkt habe. Die Ähnlichkeit mit mir. Ist das ein Zufall? Ich schlucke, bevor ich umblättere und mir weitere Fotos ansehe. Ein sehr junger Adrian, der die Schaukel anschubst. Adrian, der einer blonden Puppe die Haare bürstet, während Carol ihn beobachtet. Adrian, der gebückt neben einem Fahrrad mit Stützrädern herläuft, auf dem das Mädchen sitzt. Meine Lippen zittern, und meine Brust wird eng, als ich die Aufnahmen der jugendlichen Carol betrachte. Ein braves Mädchen, hat Adrian gesagt, und ja, genau so sieht sie auf den Fotos aus. In dunkler Schuluniform, die rotblonden Haare zu Zöpfen geflochten. Ein leises Lächeln auf den Lippen, nicht frech, nicht aufdringlich. Ich kann verstehen, warum er sich seiner kleinen Stiefschwester so verbunden fühlte. Eleonor beobachtet mich lächelnd von der Seite, während ich jedes einzelne Bild lange mustere und in Gedanken mit den Fingern Adrians Konturen nachzeichne.

»Du bist ganz anders als sie, viel offener.«

Sie drückt meine Hand und ich klappe das Buch mit einem unguten Gefühl im Magen zu. Ganz sicher hat sie mit dem Vergleich nicht ihre Tochter Carol gemeint, sondern ...

»Hat er dir von ihr erzählt? Seiner letzten Beziehung?« Sie sieht vorsichtig zur Tür und flüstert nur, als ob sie mir ein Geheimnis anvertrauen wollte. In meinem Magen rumort es leise, während ich den Kopf schüttle und angespannt darauf warte, dass sie mir mehr sagt. Mehr, als Adrian lieb sein dürfte, das ist mir klar.

»Es war eine schreckliche Geschichte, und er hat sich sehr verändert seitdem. Manchmal erkenne ich ihn kaum wieder! Darum bin ich wirklich glücklich darüber, dass er dich mit zu uns gebracht hat. Ich weiß nicht, was er sonst so treibt in London, außer zu schreiben, aber von einer neuen Freundin war seit einem Jahr keine Spur. Die Sache nagt stärker an ihm, als er zugeben will.«

»Welche Sache?«, frage ich und halte den Atem an, als sie den Mund zu einer Antwort öffnet. Mein Herzschlag beschleunigt sich. Doch eine scharfe Stimme zerschneidet die angespannte Atmosphäre und lässt mich wie ertappt zusammenfahren.

»Hier steckst du. Ich habe dich gesucht.« Adrian steht mit verschränkten Armen in der Tür, die Falte auf seiner Stirn ist tief wie ein Graben. Er wirft seiner Mutter einen warnenden Blick zu. Sie steht lächelnd auf, das Album in der Hand.

»Ich habe Gwen Fotos von Carol und dir gezeigt.«

»Mutter! Was soll das?«

Ihr leises Lachen klingt gequält. »Er hält mich für sentimental, weißt du?«, sagt sie zu mir gewandt und zwinkert mir zu. »Aber in meinem Alter hat man das Recht dazu, auch wenn es ihm nicht gefällt. Eines Tages, mein lieber Sohn, wirst auch du sentimental werden. Lass mich dir das prophezeien.«

»Komm«, sagt er, ihren Einwurf ignorierend, und streckt den Arm in meine Richtung aus. Ich stehe auf und folge ihm durch den Flur zur Treppe und nach oben ins Schlafzimmer. Dort wirft er die Tür hinter mir zu und bleibt dicht vor mir stehen.

»Warum bist du wütend?«, frage ich verwirrt. »Ich habe nur ...«

»Worüber habt ihr gesprochen?« Seine Augen funkeln intensiv.

»Über nichts. Über Carol.« Und vielleicht über Gisele, aber den Einwand verkneife ich mir. Ich weiß nicht, was er gehört hat, doch mein Instinkt sagt mir, dass ich jetzt besser schweige. Sein eisiger Blick jagt mir einen Schauer über den Rücken.

»Es gefällt mir nicht, wenn in meiner Abwesenheit über mich geredet wird. Es gibt Dinge, die du nicht wissen musst. Ich will dich nicht wieder verlieren, Kleines. Vertrau mir einfach.«

»Dann musst du endlich anfangen, dich mir zu öffnen! Warum erwartest du von mir bedingungsloses Vertrauen und lässt mich im Ungewissen? Ich kenne Gerüchte, Andeutungen ... nur die Wahrheit kenne ich nicht. Wie soll ich damit leben, Adrian? Du machst mir Angst und schüchterst mich ein.«

»Kleines ...«

Ich will zurückweichen von ihm, aber er ist schneller und stärker und hat mich so rasch umklammert, dass ich mich nicht wehren kann. Meine Wangen sind plötzlich feucht und ich weiß nicht, wo ich hinsehen soll.

»Du bist zu viel für mich, Adrian. Viel zu viel«, sage ich leise, während er mich gegen seine Brust drückt und festhält. »Ich kann dich nicht begreifen, ich verstehe dich nicht. Du verwirrst mich, du machst mich glücklich, du fühlst dich so gut an, du ...«

Mit einer Hand hebt er mein Kinn an, damit ich ihm in die Augen sehe, dann senkt er den Mund und küsst mich. Sanft und zärtlich. Lange. Meine Knie werden weich und ich ärgere mich darüber. Verflucht noch mal, warum kann ich nicht einfach wütend auf ihn sein? Warum muss er so nett sein und doch so verschlossen?

»Du machst es mir nicht leicht«, murmle ich schließlich, aber ich habe mich längst wieder ergeben.

»Dann arbeite ich daran, es leichter zu machen. Für dich. Für uns.«

Wir bleiben einige Minuten so stehen, in einer engen Umarmung.

»Lass uns zurück nach London fahren. Vielleicht war es keine gute Idee, mit dir hierher zu kommen.«

»Ich fand es sehr schön hier, bis ...«, sage ich und beiße mir auf die Zunge, um es nicht aussprechen zu müssen. »Außerdem habe ich Kilian gestern noch eine Nachricht geschickt. Er wohnt doch auch in Aberdeen und ich dachte, wir könnten ihn besuchen, solange wir hier sind.«

Adrians Miene wird hart. Als hätte jemand einen Vorhang zugezogen, ist sein Ausdruck schier undurchdringlich. Ich erschauere und suche seinen Blick, doch er weicht mir aus.

»Adrian? Ich dachte, es wäre nett, wenn du einen meiner Freunde kennenlernst.«

»Lass uns zurückfahren«, sagt er so eisig, dass ich eine Gänsehaut bekomme.

»Was ist los? Du musst nicht eifersüchtig sein, wirklich. Kilian ist ein guter Freund und ich würde ihn gern besuchen, weil er wegen seiner Mutter ...«

»Nein. Ich denke, es ist besser, wenn wir den Besuch hier abbrechen. Es war nicht gut, dich so früh mitzunehmen.«

Er geht einen Schritt zurück und fährt sich mit beiden Händen durchs Haar. Verwirrt sauge ich an meiner Lippe und versuche zu erkunden, was mit ihm los ist. Warum stößt er mich weg, wenn ich gerade das Gefühl habe, ihm nähergekommen zu sein?

»Glaub mir, Kleines. Wir haben viel zu tun und brauchen die Zeit. Es war eine dumme Idee von mir, ich hätte nicht ... Was du wissen musst, wirst du erfahren. Wenn der Zeitpunkt richtig ist. Ich will dich nicht wieder verlieren und es gibt Dinge in meinem Leben, die du vielleicht falsch verstehen könntest. Zumindest jetzt. Vertrau mir einfach.«

»Wie soll ich dir vertrauen, Adrian? Ich habe das Gefühl, dass du mir etwas verheimlichst. Etwas Wichtiges. Vertrauen platzt nicht einfach so ins Leben, es muss wachsen. Aber du machst es mir nicht leicht.«

Ich presse die Lippen fest aufeinander und schaue ihn an. Sehe in seine tiefblauen Augen, die so hart und undurchdringlich wirken können. Wärme durchströmt meinen Körper. Eine tiefe Zuneigung, die wie ein Magnet auf mich wirkt. Immer dann, wenn ich das Gefühl habe, dass er mich von sich stoßen will, weil er etwas verbergen möchte. Je mehr er sich entfernt, desto stärker werde ich zu ihm gezogen. Als ob eine unsichtbare Macht mich an ihn fesselt.

»Du hast meine Bücher gelesen – alle. Auch die, von denen du nicht wusstest, dass ich sie geschrieben habe. Du kennst mich vermutlich besser als die meisten anderen Menschen, Gwen.«

Das Lachen, das mir entfährt, klingt nicht mal für meine Ohren echt. »Ich kenne dich überhaupt nicht. Ganz und gar nicht. Ich weiß, wie du aussiehst, wenn du schläfst. Ich weiß, wie du dich anfühlst, wie du riechst. Ich weiß, wie du aussiehst, wenn du kommst. Wenn du heiß auf mich bist. Aber sonst ...? Ich frage mich langsam, was das hier sein soll? Eine Sexaffäre mit angeblicher Lektoratsarbeit? Recherche?«

»Gwendolyn, ich bitte dich, nachzudenken, bevor du weitersprichst.« Seine Stimme klingt mit einem Mal wieder dunkel und hart und jagt einen kalten Schauer über meinen Rücken. Er hat meinen vollen Namen gesagt, und es erinnert mich daran, wie meine Mutter ihn ausgesprochen hat. Es erzeugt dieselben Gefühle, die ich damals hatte. Angst und ein diffuses schlechtes Gewissen. Und das gefällt mir nicht.

»Dann erzähl mir, was mit Gisele passiert ist. Mit welchen Frauen du zusammen warst und was du mit ihnen getan hast. Warum du so ein Problem mit meinen Freunden hast. Alles.«

Herausfordernd suche ich seinen Blick, den er stumm und mit regloser Miene erwidert.

»Wir fahren nach London.«