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Ich habe Probleme, mich auf meine Abschlussarbeit zu konzentrieren, weil meine Gedanken ständig abschweifen. Ich denke nicht an die bevorstehende Theaterpremiere, bei der ich Greg wieder küssen muss. Sogar das Foto, das Gaby auf der Facebook-Seite des Theaters von den Proben gepostet hat, war mir egal, obwohl es einige blöde Kommentare von Gregs Fanclub dazu gab. Cat hat sie für mich kommentiert und diverse Blondies in die Schranken gewiesen, aber ich konnte mich gar nicht darüber freuen.

Das Schlimmste jedoch ist, dass ich vor lauter Verwirrtheit Cats blödsinnigem Vorschlag zugestimmt habe, Jonathan zu treffen. Verkleidet und an einem Ort, an dem er mich ihrer Meinung nach niemals erwarten und daher auch nicht erkennen wird.

»Bist du bereit?«

»Wozu?« Ich nehme die Brille ab und sehe von meiner Hausarbeit auf, die um eine erbärmliche halbe Seite angewachsen ist.

»Jonathan! In zwei Stunden trefft ihr euch!« Cat sieht aus, als hätte sie sich zu einem Empfang im Londoner Dungeon zurechtgemacht.

Stirnrunzelnd betrachte ich ihre Maskerade. »Gehst du etwa mit?«

»Nein, natürlich nicht! Aber ich bin gerne vorbereitet, falls es zum Notfall kommt.«

Notfall? Glaubt sie, dass ich ohnmächtig werde oder mich übergeben muss, oder was? Mir ist völlig schleierhaft, wovon sie da gerade redet, doch ich bin auch nicht wirklich bei der Sache.

Während sie an meinen Haaren herumziept und diese so eng an den Kopf flechtet, dass ich zwischendurch laut fluche, gibt sie mir Instruktionen für das Treffen. Nicht zu viel reden (okay, kann ich). Schon gar nicht über Cat sprechen (auch kein Problem). Verführerisch lächeln (ähm ...). Möglichst viele Fragen stellen (wie das zu Punkt 1 passen soll, ist mir ein Rätsel, aber ich werde mich bemühen, das irgendwie auf einen Nenner zu bringen).

Nachdem sie mir eine langhaarige, schwarze Perücke mit wilden Locken auf den Kopf gesetzt und wir uns zehn Minuten lang vor Lachen auf dem Boden gewälzt haben, macht sie sich über mein Gesicht her. Ihr Make-up-Koffer wirkt wie eine Kriegsausrüstung, und als ich mein neues Ich im Spiegel betrachte, weiß ich auch, warum. Es ist eine Kriegsausrüstung, und ich sehe aus wie nach einer entsetzlichen, blutigen Schlacht.

»Ist das dein Ernst?«, frage ich skeptisch und beobachte meine neuen buschigen Augenbrauen, die zu tanzen scheinen, während ich spreche. Nicht mal meine Mutter würde mich in diesem Aufzug erkennen! »So kann ich doch nicht auf die Straße gehen, Cat! Halloween ist erst im Oktober!«

»Keine Sorge. Da kommt ja noch die Maske über die Augen ...«

Sie nimmt eine filigrane Augenmaske aus zerbrochener Spitze und steckt das zusammengeknotete Band mit Haarnadeln an der Perücke fest, damit es besser hält. Okay, jetzt könnte ich auch zum Casting für einen Tarantino-Film gehen. Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen, während ich mich im Spiegel betrachte. Mein grüner Bademantel passt überhaupt nicht dazu, aber natürlich hat Cat ein entsprechendes Outfit für mich vorbereitet. Als sie es stolz aus dem Schrank zieht und mir präsentiert, verschlägt es mir die Sprache.

»Nein, wirklich nicht!«

Schwarzer Lack. Kurz. Eng. Obwohl es an meinem dünnen Körper vermutlich nicht so eng sitzen wird wie an Cats üppigen Rundungen, es sei denn, sie hat es speziell für mich gekauft. Wovon ich nicht ausgehe.

»Warte, ich hab was Besseres.«

Mein Herz klopft schneller, als ich rüber in mein Zimmer gehe und den Schrank öffne. Es ist in der hintersten Ecke verborgen, weil es mich eigentlich schmerzt, es anzusehen. Aber für den heutigen Zweck erscheint es mir passend, auch wenn meine Hände zittern, während ich es überstreife.

»Und?«

Cat klappt der Mund auf. »Wow! Was ist das denn ...? Woher hast du das? Ich dachte, du besitzt gar keine Kleider?«

Doch, ich besitze sogar einige Kleider. In London. Adrian und ich haben sie zusammen gekauft, und ehrlich gesagt vermisse ich das Gefühl fließender Stoffe auf meinem Körper. Zurück nach Newcastle bedeutete für mich auch, zurück in Jeans und Sweatshirts. Bequemlichkeit. Doch das weiße Kleid habe ich mitgenommen. Weil es mich an Adrian erinnert.

Heute trage ich also das Kleid mit dem tiefen Rückenausschnitt, das ich im Club anhatte. Ich sehe aus wie eine Diva. Zwar eher wie eine Diva aus der Rocky Horror Show in Anbetracht meines Make-ups, aber immerhin.

Ich antworte nicht auf ihre Frage und starre noch immer gebannt in den Spiegel. Ich kann mich selbst kaum erkennen, aber irgendwie gefällt es mir. Es ist wie ein Schutzschild, hinter dem ich mich verstecken kann. Langsam begreife ich, warum Cat Spaß an solchen Maskeraden hat. Ich könnte mir sogar vorstellen, Dinge zu tun, die ich normalerweise niemals tun würde. Weil ich ja eben verkleidet bin, fast eine andere Person. Aufregend, aber auch beängstigend, was so eine Kostümierung auslöst.

»Ich bin bereit«, sage ich, schnappe mir die kleine schwarze Handtasche in Korsettform, die Cat mir geliehen hat, und schlüpfe in ein Paar Pumps. Sie sind mir eine Nummer zu groß, allerdings hat Cat Taschentücher vorne reingestopft, sodass ich beinahe darin laufen kann.

Ihr klappriger VW gibt seltsame Geräusche von sich, ich bin mir nicht sicher, ob das am Auto oder an ihrem Fahrstil liegt. Sie trägt hohe Plateauschuhe, daher verwundert es mich nicht, dass jeder Halt an einer Ampel sich anfühlt wie eine Notbremsung. Ich werde vermutlich eine Narbe auf der Schulter davontragen!

»Da sind wir«, erklärt sie nach einer quälend langen Fahrt an den Stadtrand.

Verwirrt sehe ich mich um. Wir sind irgendwo in einem alten Industriegebiet, das natürlich so spät am Abend wie ausgestorben wirkt. Ich habe wirklich nicht zu viele Gruselfilme gesehen, aber falls ich mal einen drehe, wird er hier stattfinden.

»Wenn du glaubst, dass ich hier aussteige und ...« Wortlos beugt sie sich über mich und öffnet die Beifahrertür. »Wo soll ich denn hier bitte hingehen?«, frage ich verzweifelt, ohne auszusteigen. Nur wenige Straßenlaternen werfen spärliches Licht, von draußen dringt kühle Luft in den Wagen.

»Da vorne, die Nummer 11. Wo die Lampe brennt. Du brauchst nicht zu klingeln, kannst einfach reingehen und an der Theke auf ihn warten. Er wird ganz bestimmt kommen.«

Tatsächlich hängt vor der windschiefen Tür des roten Backsteingebäudes, auf das Cat gezeigt hat, eine flackernde Laterne. Wie bei Edgar Wallace.

»Ist das ein Club, oder was?«, frage ich flüsternd und ziehe den Mantel eng über meiner Brust zusammen, weil ich mich plötzlich in dem dünnen Kleid viel zu nackt fühle.

»Nein, eine Bar. Wirklich anständig, nur zum Kennenlernen und so. Also keine Angst.«

Anständig. Klar. Genauso gut hätte sie mir erzählen können, dass sich hinter dieser Tür ein katholisches Schwesternheim befindet! Warum habe ich mich bloß auf diesen Mist eingelassen? Ich muss mir dringend mal einen großen Gefallen überlegen, den Cat mir schuldet. Für alles, was ich in den letzten zwei Jahren für sie getan habe.

Während ich vorsichtig über die alten Pflastersteine auf das Haus zugehe, lasse ich einige skurrile Aktionen von Cat vor meinem inneren Auge Revue passieren. Da war die Sache mit Gary, dem blonden Typen, der aussah wie der Sänger einer Boygroup. Das war, bevor sie auf den ganzen SM-Kram reingefallen ist. Sie war unsterblich in ihn verliebt, vertraute ihm aber nicht, weil er angeblich viel zu schön für sie war. »Von einem schönen Teller isst man nie allein«, sagte sie und nötigte mich dazu, mich an ihn ranzumachen, um seine Treue zu prüfen. Den Test bestand er leider nicht, und ich hatte riesige Angst, dass unsere noch frische Freundschaft darunter leiden könnte. Aber zum Glück war Cat klar, wen die Schuld traf. Immerhin habe ich nur zugelassen, dass er mich küsste, und es war ein sehr schüchterner, fast braver Kuss. Zu mehr kam es natürlich nicht.

Ich weiß, dass sie Probleme damit hat, anderen zu vertrauen. Und wenn ich an ihre Eltern denke, ist mir auch klar, warum. Ihr Vater hat ihre Mutter ständig betrogen. Er versoff sein ganzes Geld, bis auf das, was er regelmäßig in Puffs und auf dem Straßenstrich ließ, und ihre Mutter hatte zeitweise zehn Putzstellen, um die Familie irgendwie durchzubringen. Heute ist er zwar trocken, aber ich weiß, dass sie auf gar keinen Fall so enden will.

Jetzt ist es also Jonathan, der ihr Herz gebrochen hat, während ich in London war. Seine anschließenden Beteuerungen, es sei gar nichts gewesen mit der anderen, nutzten nichts. Sie vertraut ihm nicht mehr. Nun soll ich prüfen, ob er sich längst über sie hinweg getröstet hat und schon wieder auf der Suche nach neuen Liebesfreuden ist. Mit MadeMoiSelle aus dem Chat, zum Beispiel.

Mein Herz wummert, als ich die Tür aufstoße. Sie gleitet quietschend ins Innere, wo mich trübes Licht und ein muffiger Geruch erwarten. Großer Gott, es riecht hier wie in einer Grabkammer! Kein Vergleich zu dem eleganten, beschämenden Club in London, in dem ich mit Adrian war. Wieder löst der Gedanke an ihn einen schmerzhaften Stich in meinem Herzen aus, und ich schnappe unwillkürlich nach Luft. Ein düster aussehender Typ mit viel zu dickem Lidstrich und langen schwarzen Haaren nickt mir wortlos zu, als ich an ihm vorbei auf eine schmale Treppe zugehe, die nach unten führt.

Eine Kellerbar. Warum habe ich geahnt, dass Cat sich in zwielichtigen Etablissements herumtreibt? Es sind nur wenige Menschen anwesend, und da außer mir alle Schwarz tragen und das Licht kaum den Namen wert ist, fühle ich mich, als wäre ich von lauter Schatten umgeben. Mir ist kalt, also lasse ich den Mantel an und schleiche zu einer altmodischen Holztheke mit Barhockern am anderen Ende des Raums.

»Whisky«, sage ich mit fester Stimme zu der jungen Frau auf der anderen Seite der Bar, die ungerührt eine Reihe von schottischen und amerikanischen Namen runterleiert. Wenigstens ist das muffige Etablissement gut bestückt.

»Tullamore Dew. Ohne Eis«, unterbreche ich ihre Aufzählung und lehne mich mit dem Rücken gegen das Holz. Mein Herz klopft noch immer zu schnell, ich fühle mich unwohl. Weil ich hier einfach nicht hingehöre.

An einem kleinen Tisch sitzt ein Pärchen, das sich verliebt anlächelt. Sie sähen fast normal aus, wenn die Frau nicht mit auf dem Rücken gefesselten Händen dasitzen würde, was etwas seltsam anmutet. Er trägt eine schwarze enge Lederhose und ein dunkles Hemd, seine Haare sind raspelkurz und stehen ein wenig ab. Wieder muss ich an Adrian denken und drehe mich erleichtert um, als die Barkeeperin meinen Whisky auf den Tresen stellt. Ich nippe an dem Glas und starre auf die Wand hinter der Theke, an der Fotos hängen. Schwarz-Weiß-Fotografien mit SM-Motiven. Gefesselte, geknebelte Frauen. Gerten, Peitschen, Schlagstöcke ... lieber Himmel. An dieses Zeug werde ich mich niemals gewöhnen können.

»Gwen?«

Die Stimme hinter mir lässt mich erschreckt zusammenfahren. Ach du ...! Woher zum Teufel weiß er, dass ich das bin? Nichts anmerken lassen, Gwen. Tu einfach so, als fühltest du dich gar nicht angesprochen. Ich starre weiter auf die Wand und gebe mich ungerührt, obwohl ich inzwischen mein Blut in den Ohren rauschen höre.

»Gwen. Ich weiß, dass du es bist.« Jonathan klingt amüsiert, nicht sauer. Oh Gott.

»Woher?«, frage ich und drehe mich langsam zu ihm um. Es hat ja doch keinen Sinn, hier weiter Scharade spielen zu wollen.

Er legt den Kopf schief und lächelt. Doch, Cat hat recht. Er sieht wirklich gut aus. Und er scheint klüger zu sein, als sie glaubt.

»Das war nicht so schwierig. Cat hat sich im Chat schon nach zwei Sätzen verraten, aber ich habe mitgespielt.« Jonathan lässt sich auf den Barhocker neben mir fallen und grinst mich von der Seite an. »Nette Verkleidung!«

»Danke«, murmle ich peinlich berührt und versuche, seinem Blick auszuweichen. »War Cats Idee.«

»Klar. Und warum hat sie dich vorgeschickt?«

»Weil ... aus Gründen.«

Ich bin eine Löwenmutter, wenn es um meine wenigen Freunde geht. Bereit, sie zu verteidigen, komme, was wolle. Niemals werde ich Cat verraten, nicht mal, wenn er mich foltert.

»Was ist zwischen euch vorgefallen?«, frage ich schließlich, weil er schweigt und ich nicht weiß, was ich sonst in dieser dämlichen Situation sagen soll.

Jonathan hebt die Schultern und wirkt auf einmal gar nicht wie ein Dom, sondern wie ein unsicherer junger Mann. Bekümmert und verwirrt. »Sie hat behauptet, ich hätte sie in ihrem Beisein mit einer anderen betrogen. Dabei habe ich mich nur mit einer alten Bekannten unterhalten, mehr nicht. Aber Cat hat eine Riesenszene veranstaltet und ist beleidigt abgerauscht, seitdem ist Funkstille. Davon abgesehen, dass sie ständig bei mir anruft und auflegt, sobald ich abhebe, und mein Handy trackt.« Er lächelt schief.

»Das weißt du auch?« Ich kann mir ein Lachen nicht länger verkneifen.

»Sicher. Sie ist nicht gerade ... diskret.«

»Eigentlich müsstest du sauer auf sie sein«, stelle ich fest, das Whiskyglas mit beiden Händen haltend. Dabei sehe ich ihm fest in die Augen, weil ich mich nicht weiter umsehen möchte in dieser Bar. Das alles erinnert mich zu sehr an Adrian und an das, was er eigentlich mag.

»Bin ich nicht. Ich kann sie ja verstehen, aber ehrlich gesagt habe ich absolut keine Erfahrung mit so eifersüchtigen Frauen und weiß mir nicht zu helfen.«

»Du bist doch der Dom. Dachte ich jedenfalls. Kannst du sie nicht irgendwie ... bestrafen oder so was?«

Oh Himmel, ich rede mich hier um Kopf und Kragen. Dabei ist mir klar, dass die beiden ein ganz anderes Problem miteinander haben! Aber darf ich ihm das erzählen, ohne Cat dadurch zu verraten? Ich weiß, dass sie gern die Geheimnisvolle gibt, aber in diesem Fall ...

»Gwen, es geht hier nicht um Bestrafen oder um ein paar Peitschenhiebe. Eine SM-Beziehung erfordert Vertrauen, von beiden Seiten. Viel mehr Vertrauen als eine Vanilla-Beziehung. Und wenn Cat mir das nicht entgegenbringen kann ...«

Vanilla? Das klingt so süß, dass ich grinsen muss.

»Okay. Ich verrate dir etwas, aber du darfst ihr nicht sagen, dass du das von mir hast, ja?« Ich drehe das Glas hin und her, bevor ich den Rest mit einem Zug leere. »Cat ist sehr eifersüchtig. Sie braucht viel Bestätigung, das Gefühl, die einzige Frau auf der Welt zu sein für ihren Mann. Und du hast in der Vergangenheit ... nun ja, soweit ich weiß, bist du nicht gerade bekannt dafür, monogam zu leben.« Vorsichtig ausgedrückt.

Jonathan nickt nur und sieht mich fest an, offenbar wartet er, dass ich weiterspreche. Also gut. Ich hole tief Luft und bete innerlich, dass Cat mir das hier verzeihen wird, falls sie es jemals erfährt.

»Sie hat ... ihr Elternhaus war nicht gerade geprägt von Liebe und Zuneigung, und sie hat panische Angst davor, wie ihre Mutter zu enden. Jonathan, ich gebe zu, dass ich dich von Anfang an nicht leiden konnte, aber Cat liegt offenbar sehr viel an dir und deshalb will ich, dass das mit euch funktioniert. Aber dazu brauchst du eine ganze Menge Geduld, und ich bin mir nicht sicher, ob du die aufbringen willst. Oder kannst.«

»Danke für deine Ehrlichkeit.«

Er hebt die Hand und signalisiert der Kellnerin, uns zwei Drinks zu bringen. Ich bin ein bisschen erstaunt, dass er nicht sauer ist, doch es lässt ihn in meinen Augen auch wachsen.

»Ich will, und ich kann. Denn Cat bedeutet mir etwas. Ich bin mir sicher, dass sie es wert ist, und ich will dafür kämpfen. Aber sie lässt mich nicht! Warum verfolgt sie mich, um mich gleichzeitig zu ignorieren? Ich werde einfach nicht schlau aus ihr.«

Ich zupfe an meiner Unterlippe und lasse den Blick durch den düsteren Raum schweifen. Vertrauen ... ja, das scheint mir in der Tat nötig bei dieser Geschichte. Aber das ist ein großes Wort und leichter gedacht als getan.

»Sie will die Sicherheit, dass du sie liebst. Dass du es zuerst sagst. Du solltest ihr das Gefühl geben, wirklich wichtig für dich zu sein. Wenn du stattdessen nach London fährst und dich in ominösen Clubs rumtreibst, ist das ganz sicher nicht hilfreich.«

Er runzelt die Stirn und nimmt die zwei Whiskygläser von der Kellnerin entgegen, eins davon stellt er vor mir auf der Theke ab.

»Ich dachte, es wäre vorbei und wollte mich ablenken. Schließlich habe ich genauso gelitten wie sie. Cat hat immerhin Schluss gemacht und ist vor mir geflüchtet, also dachte ich ...«

Ich beiße mir so fest auf die Unterlippe, dass es wehtut.

»Ich habe eine Frage, Jonathan. Hast du in London ... hast du wirklich Adrian Moore dort ...?« Ich traue mich kaum, ihn anzusehen, weil ich Angst vor seiner Antwort habe. Oh Himmel, bitte lass ihn nicht da gewesen sein. Bitte mach, dass Jonathan sich das nur ausgedacht hat.

»Ja, habe ich. Er war im Pain Club von Lord Nelson. Allerdings ohne Begleitung, falls das wichtig für dich ist.«

Meine Perücke verrutscht, als ich den Kopf vehement schüttle. »Nein, ist es nicht. Ich wollte nur wissen ...«

»Was auch immer du mit ihm hast, sei vorsichtig, Gwen. Er hängt mit sehr komischen Leuten zusammen, vor denen man sich in Acht nehmen sollte.«

»Was meinst du damit?«

Mein Herz schlägt wieder schneller, weil mir die anonymen Nachrichten einfallen. Haben sie doch mit Adrian zu tun? Steckt er dahinter, weil er mir Angst machen will? Aber warum?

»Es wird natürlich viel über ihn gesprochen, nicht nur in London. Er ist so was wie ein Guru in der Szene, alle Doms wollen so sein wie er und alle devoten Frauen verzehren sich nach ihm. Weil er so unnahbar und hart ist. Aber man munkelt über Dinge in seiner Vergangenheit, die wirklich Grund zur Sorge geben, sollten sie zutreffen. Ich will das nicht vertiefen, aber ich muss dich trotzdem vor ihm warnen. Nur für den Fall, dass da noch was mit dir und ihm ...«

»Da ist nichts und da war nie etwas, aber danke für die Warnung«, sage ich hastig und nippe an dem Whisky, der mir die Kehle verätzt. »Ich war nur neugierig.«

»Klar.« Jonathan grinst wissend und trinkt ebenfalls.

Die düstere Musik hier unten macht mir schlechte Laune, ebenso wie das Wissen, dass Adrian wieder in Clubs geht. Natürlich geht er, warum sollte er nicht? Trotzdem verknotet sich mein Magen bei dem Gedanken, was er dort mit anderen ... es fühlt sich an wie Eifersucht, und das ist verdammt albern.

»Zurück zu Cat ...« Jonathan streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sieht mich Hilfe suchend an. »Hast du eine Idee, wie ich wieder an sie rankomme?«

Darüber muss ich nicht lange nachdenken. Grinsend leere ich das Glas und stelle es neben mir ab, dann stehe ich vom Barhocker auf und nicke.

»Ja, hab ich. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie gleich mit dir sprechen wird. Ob sie will oder nicht.«

»Ich bin gespannt. Und danke. Ich weiß, dass du dich überwinden musst, weil du eigentlich was dagegen hast. Gegen diese Sache hier, meine ich.«

Ich folge seiner ausladenden Handbewegung. Mein Blick bleibt auf einem Paar haften, das mit den Augen aneinander zu kleben scheint. Sie beugen sich beide über einen kleinen Tisch und ihre Gesichter sind so nah, dass kein Buch dazwischen passen würde. Es liegt so viel Liebe, so viel Vertrauen in ihren Blicken, dass mir eine Gänsehaut über den Rücken läuft.

»Ich verstehe es«, antworte ich leise und verknote meine Finger ineinander. »Doch, ich glaube, ich verstehe immer besser, was einige daran finden. Und da Cat es wirklich will und ihr gut zueinanderpasst ...«

»Dann verrate mir, wie ich Cat dazu bringe, mit mir zu sprechen.«

Jonathan folgt mir zur Tür, während ich ihm meinen Plan erzähle.

Hand in Hand verlassen wir die düstere Bar. Ich ziehe ihn hinter mir her zu der Straßenlaterne, von der ich weiß, dass Cat sie vom Auto aus sehen kann. Sie parkt nur wenige Schritte entfernt, und ich traue mich nicht, nachzusehen, ob sie uns beobachtet. Vermutlich duckt sie sich im Wagen, damit Jonathan sie nicht erwischt. Ich kehre dem VW den Rücken zu und ziehe Jonathan näher an mich heran. So nah, dass ich seine Lippen fast an meinen spüre. Er beugt sich tiefer zu mir, und ich kneife die Augen zu. Nicht, weil ich ihn wirklich küssen will. Auch er will nicht, das kann ich fühlen. Aber in meinem Bauch kitzelt ein unbändiges Lachen, das nach oben drängt. Ich versuche es zu unterdrücken und gebe weiter vor, ihn zu küssen.

»Wie lange noch?«, flüstert Jonathan.

»Sch«, antworte ich leise. »Mach einfach weiter.«

Es dauert nur wenige Sekunden, bis ich Cats Absätze auf der Straße höre. Dann zerschneidet ein schrilles Keifen die Stille, und im selben Moment zieht sie mich mit einem Ruck von ihm weg.

»Bist du irre geworden, Gwen?«

Jonathan und ich brechen gleichzeitig in schallendes Gelächter aus, das zwischen den alten Lagerhäusern widerhallt. Mit Lachtränen in den Augen sehe ich Cat an, die mich verwirrt und sauer zugleich anfunkelt. Ich halte mir den Bauch, während Jonathan beide Arme ausbreitet und auf Cat zugeht.

»Süße, ich habe dich unglaublich vermisst! Warum musstest du mir das antun?«

»Spinnt ihr?«

Cat trommelt wütend mit den Fäusten auf Jonathan ein, der das geduldig mit sich geschehen lässt, während meine Augen von der zerlaufenen Wimperntusche brennen.

»Himmel, Cat, du hättest dich sehen sollen!«, sage ich glucksend, als Jonathan endlich ihre Hände zu fassen bekommt und festhält. Sie beruhigt sich nur langsam.

»Mein kleiner eifersüchtiger Teufel«, murmelt er und neigt sich zu ihr.

Hastig drehe ich mich um und gehe einige Schritte auf das Auto zu, um den beiden ihre Privatsphäre zu gönnen. Gut, das lief nicht so, wie Cat es sich gedacht hat. Aber ich bin mir sicher, dass es genauso richtig war.

»Soll ich euch mitnehmen, oder wollt ihr gleich wieder reingehen?«, rufe ich zehn Minuten später über die Straße, weil die zwei immer noch knutschen wie verliebte Teenager und mich offenbar vergessen haben. Mir ist kalt und ich will nach Hause. Mit oder ohne die beiden.

»Wir kommen«, ruft Jonathan, und Cat kichert albern.

Gemeinsam fahren wir zu uns und ich stelle fest, dass ich Cat schon lange nicht mehr so glücklich gesehen habe. Fast bin ich ein bisschen stolz auf mich, weil mir der Trick eingefallen ist, um sie aus der Reserve zu locken. Wäre ich einfach wieder zu ihr ins Auto gestiegen, hätte sie mich nach Strich und Faden ausgequetscht, aber Jonathan niemals die Chance gegeben, mit ihr zu reden. Vielleicht wird für die beiden alles gut ... ich wünsche es ihr so sehr.

Vom Rücksitz aus beobachte ich, wie Jonathan den linken Arm ausstreckt und Cats Nacken streichelt. Er fährt, was meinem Magen ziemlich gut tut nach der Schleudertrauma-Tour mit Cat. Nicht so gut tut mir meine Sehnsucht nach dem, was Cat gerade erlebt. Sie verknotet meine Eingeweide und wird plötzlich so groß, dass mir Tränen in die Augen schießen. Ich starre aus dem Fenster auf die menschenleeren Straßen, durch die wir fahren, und erinnere mich an London. An Adrian.

Je weiter etwas weg ist, umso sehnsüchtiger wünschen wir es uns. Deshalb sehne ich mich nach Adrian, obwohl mir klar ist, dass wir nicht kompatibel sind. Ich sollte mich besser auf Greg konzentrieren. Meine Schwärmerei für ihn ging nie so tief wie das, was ich für Adrian empfunden habe. Also ist das Risiko einer Verletzung auch nicht so groß. Oder? Schließlich weiß ich, dass ich mir sehr viel mehr Schaden zufüge, wenn ich aus dem zwanzigsten Stock eines Wolkenkratzers springe, als wenn ich mich bloß vom Klettergerüst stürze ...