10

Ich bin wahnsinnig aufgeregt. Cat musste mir die Augenbrauen zupfen, die Nägel feilen und mit nudefarbenem Lack verschönern, und ich war tatsächlich shoppen. Jetzt stecke ich in einem nagelneuen Kostüm, das mich in eine seriös wirkende Frau verwandelt hat. Ich fühle mich erwachsen darin, und ich mag es. Es hat einen eng anliegenden Rock und eine kurze Jacke mit kleinem Schößchen. Die Haare habe ich zu einem Knoten hochgesteckt und meine schwarze Brille aufgesetzt. Auf der Besuchertoilette des riesigen Verlagshauses am Londoner Strand trage ich noch einen Hauch Rouge und Lippenstift auf, dann betrachte ich mich zufrieden im Spiegel.

Gwendolyn Hamlin, wie schön, Sie kennenzulernen!

Gwendolyn Hamlin. Es ist mir eine Ehre, Sie kennenlernen zu dürfen!

Mr Karry, es ist mir eine Freude, Sie heute hier zu treffen! Gwendolyn Hamlin!

Ich murmle die Worte vor mich hin und übe im Spiegel, möglichst entwaffnend zu lächeln. Mir geht es gut, obwohl in meinem Magen Chaos herrscht. Ich habe auf der Zugfahrt nach London zwei Beutel Weingummi gefuttert, und eine Packung Toffees. Jetzt ist mir ein bisschen übel, aber das kenne ich von mir, wenn ich aufgeregt bin.

Ich hebe meine Handtasche auf und werfe sie mir über die Schulter, dann sehe ich ein letztes Mal tief einatmend in den Spiegel und verlasse den Waschraum, um mich auf den Weg in die sechste Etage zu machen. Wo John Karry auf mich wartet.

»Ms Hamlin?«

Eine Frau mit kleiner Nickelbrille und grauen Strähnen in den brünetten Haaren nimmt mich in Empfang. Weil John Karry ein wichtiger Autor ist, findet das Treffen im Büro eines der Verlagschefs statt.

»Ja, die bin ich.«

Ich reiche der Dame höflich die Hand und registriere erleichtert, dass sie mich zufrieden betrachtet. Nein, wie eine dreiundzwanzigjährige Studentin sehe ich wirklich nicht aus, eher wie eine Junglehrerin. Was okay ist.

»Kommen Sie. Mr Newman und Mr Karry warten bereits.«

Mein Herz schlägt immer heftiger, als ich ihr durch den breiten Flur folge und auf eine mit Leder gepolsterte Tür zugehe. Dahinter sitzen sie – der Verlagschef und der größte Autor aller Zeiten! Von den nächsten Minuten wird meine gesamte Zukunft abhängen. Ich verspüre einen Druck, der mir den Atem rauben will, als ob sich jemand Schweres auf meine Brust gesetzt hat, aber ich muss jetzt stark sein, mich beherrschen.

Die brünette Dame reißt die Tür auf und weist mir mit der Hand den Weg. Ich folge ihrem Wink, zwinge mich zu einem unverbindlichen Lächeln und trete ein. Mein Lächeln gefriert mir im Gesicht, als ich sehe, wer an einem riesigen Wurzelholzschreibtisch auf mich wartet. Dann schnappe ich nach Luft und verliere komplett die Fassung. Und meine Handtasche.

»Ms Hamlin?«

Ich nehme den Besitzer der Stimme kaum wahr, weil mein Blick fassungslos an ihm hängt. Er hat sich auf seinem Stuhl halb zu mir umgedreht und zwinkert mir grinsend zu. Als sei es ganz normal, dass er hier sitzt. Was soll das?

»Gwendolyn Hamlin?«

Wieder diese Stimme. Das Blut rauscht so laut durch meinen Kopf, dass ich sie nur gedämpft höre.

»Sehr erfreut.« Adrian steht auf, mit einem Pokerface, das mich schwer beeindruckt. Der ältere Herr mit dem schütteren Haar, den ich jetzt verwirrt ansehe, während ich wie von selbst die Hand ausstrecke, wirkt mindestens so irritiert wie ich. Vermutlich über mein seltsames Verhalten, das ich hier an den Tag lege.

»Was tust du hier?«, zische ich Adrian zu, doch er antwortet mir nicht. Stattdessen setzt er sich wieder und beobachtet, wie ich mir von Mr Newman die Hand schütteln lasse.

»Setzen Sie sich. Mr Moore, das ist Gwendolyn Hamlin, die Studentin, die Ihnen bei Ihrer Biografie helfen soll.«

Ich bleibe hinter dem Stuhl stehen, der offenbar für mich vorgesehen war, und hebe den Arm.

»Entschuldigen Sie, aber da muss ein Missverständnis vorliegen. Ich bin hier wegen der Biografie von John Karry

Adrians Schultern zucken verdächtig. Er wird ja wohl nicht wagen, sich über mich lustig zu machen? Schließlich ist es seine Schuld, dass ich wie eine Idiotin in diesem Büro stehe! Er hat mich aus dem Konzept gebracht!

»Ja, genau. Setzen Sie sich doch.«

Mr Newman kehrt an seinen Platz hinter dem riesigen Schreibtisch zurück und kräuselt die Lippen. Ich lasse mich verdattert auf den Stuhl fallen und werfe Adrian einen Seitenblick zu, den er mit einem undurchsichtigen Lächeln erwidert. Himmel, hier ist was im Busch. Mir wird ganz komisch.

»Mr Moore hat die Romane unter Pseudonym veröffentlicht. Es tut mir leid, die Identität John Karrys ist bislang geheim geblieben, aber nach dem sagenhaften Erfolg seines letzten Romans haben wir gemeinsam beschlossen, es zu lüften. In Zusammenhang mit der Biografie.«

Ich höre, dass er spricht, aber ich verstehe nichts mehr. Kein Wort. Wortfetzen rotieren in meinem Kopf, ich muss mich am Stuhl festhalten, um das hier zu begreifen. Das ist ein Traum, ganz sicher. Das kann nicht wahr sein! Niemals kann er mich so belogen haben! Er hat mich nach London eingeladen und mir versprochen, dass ich John Karry dort treffen werde. Weil er wusste, dass ich den Autor liebe. Wie konnte er mir die ganze Zeit verschweigen, dass er John Karry ist? Ist das ein verspäteter Aprilscherz? Meine Augen brennen, aber ich versuche, mich zu sammeln und Mr Newman weiter zuzuhören, denn der redet auf mich ein, als könnte er nur durch möglichst viele und schnelle Worte zu mir vordringen.

Adrian sieht mich immer noch an, aber ich weiche ihm aus, obwohl ich seinen stechenden Blick förmlich spüren kann. Ich bin so sauer auf ihn, dass ich ihn am liebsten hier vor den Augen des Verlagschefs verprügeln möchte. Ihn mit meinem Epilierer rasieren oder einen Knoten in seinen verdammten Schwa ...

»Ms Hamlin?«

Was? Hat er mich was gefragt? »Entschuldigung, ich war gerade ...«

Der Herr mit den schütteren Haaren wirft Adrian einen missbilligenden Blick zu und schüttelt leicht den Kopf. Himmel, Gwen, jetzt reiß dich zusammen.

»Mr Moore möchte sehr eng mit Ihnen zusammenarbeiten für seine Biografie. Ich hoffe, das ist zeitlich kein Problem? Sie würden eine Weile in London leben müssen und ...«

»Ja, natürlich«, sage ich und lache bitter.

Mr Newman zieht irritiert beide Brauen hoch. »Ist alles in Ordnung?«

»Sicher. Klar. Alles gut. Ich bin nur ... durcheinander.«

Ich verschränke die Arme vor der Brust. Mein rechter Fuß wippt ganz automatisch auf und ab, und wenn ich zur Seite sehe und Adrian anschaue, kann ich es wieder spüren. Das entsetzliche Kribbeln, das durch meinen Körper zieht. Sehnsucht. Verlangen. Wut. Alles mischt sich in mir zu einem Gefühlscocktail, der zu viel ist. Zu viel von allem. Ich fühle mich wie eine geschüttelte Champagnerflasche, die dringend entkorkt werden will, um überschäumen zu können. Aber nicht hier. Nicht vor den Augen eines wichtigen Mannes, der über meine berufliche Zukunft entscheiden könnte.

»Das merke ich. Es tut mir leid, wenn Ihnen nicht klar war, dass es sich bei John Karry um Adrian Moore handelt.« Mr Newman sieht wirklich besorgt aus.

»Nein, das war es ganz und gar nicht«, antworte ich und werfe nun einen Blick zur Seite, der hoffentlich Adrians Eingeweide zum Einfrieren bringt. Er zuckt tatsächlich kurz zusammen, fängt sich aber im Gegensatz zu mir gleich wieder und grinst so ungerührt wie immer.

»Nun, vielleicht möchten Sie die heutige Gelegenheit nutzen, um sich gegenseitig kennenzulernen? Sie haben ja ein sehr fundiertes Wissen über John Karrys Werk, wie Mr Moore mir mitteilte. Er hat sie für die Stelle vorgeschlagen, obwohl ich mir nicht sicher war, ob es gut ist, eine junge Studentin mit so einer wichtigen Aufgabe zu betreuen.«

»Natürlich.«

Ich weiß gar nicht, was ich noch sagen soll. Kennenlernen ... am liebsten würde ich Mr Newman mitteilen, dass ich Adrian Moore schon ziemlich gut kenne. Und er mich. Er kennt sogar Teile meines Körpers, von deren Existenz ich selbst nichts geahnt habe. Und ich weiß, wie er aussieht, wenn er ...

»Ich habe einen Tisch im Savoy reserviert. Dort können wir reden.« Adrian sagt das todernst und höflich. Als ob er keine Ahnung hätte, dass ich wütend auf ihn bin!

»Gut«, sage ich und springe so abrupt von meinem Stuhl auf, dass Mr Newman erschreckt zusammenfährt. Wahrscheinlich hält er mich schon längst für eine Irre, aber das ist mir im Moment ziemlich egal. Ich kann es kaum erwarten, Adrian endlich meine Meinung zu sagen!

»Wir ziehen uns dann mal zurück«, erklärt er dem verwirrten Mr Newman, der mir ein bisschen leidtut. Ich bin mir nicht sicher, ob er jemals eine Erklärung für diesen Auftritt bekommen wird, vielleicht erwartet er die gar nicht. Adrian dürfte auch ihn mit seinem Buch reich gemacht haben und hat daher vermutlich Narrenfreiheit.

»Das nenne ich eine überraschende Wendung«, sage ich auf dem Weg zum Fahrstuhl, ohne ihn anzusehen. Er geht mit großen Schritten neben mir her und beobachtet mich, ich spüre es.

»Du hast doch in meinem Roman bemängelt, dass es eine solche nicht gab. Bist du jetzt immer noch nicht zufrieden?«

Ich bleibe mitten im Gang stehen und schaue ihm stirnrunzelnd in die Augen. »Dies ist nicht dein Roman, sondern mein Leben, Adrian! Und du spielst damit, wie du mit deinen Protagonisten spielst.«

»Sei nicht böse, Kleines.« Die Worte, in Kombination mit dieser dunklen, einschmeichelnden Stimme, fahren mir umgehend durch den Körper. Mein Magen verkrampft sich schon wieder.

»Hör auf damit«, knurre ich. »Ich will sauer auf dich sein.«

»Dann sei sauer. Ich hindere dich nicht daran.«

Ich beiße mir auf die Lippe, um nicht zu grinsen. Er neigt den Kopf und lächelt, der Blick aus den blauen Augen ist so herzerweichend wie der eines Welpen. Verdammter Mist, ich hätte allen Grund, ihn für diese Sache zu hassen, aber ich kann nicht! Verzweifelt umklammere ich den Riemen meiner Handtasche und marschiere einfach weiter auf den Aufzug zu. Adrian folgt mir mit etwas Abstand. Der Lift wartet bereits, wir steigen ein. Er drückt an meinem Gesicht vorbei einen Knopf und ich nehme den Duft seines Aftershave wahr. Der Geruch sorgt für einen Erinnerungsflash, der mich kurz taumeln lässt.

»Ich sagte doch, dass ich noch ein Ass im Ärmel habe.« Während wir uns nach unten bewegen, schiebt er beide Hände in die Hosentaschen seines Anzugs und sieht mir fest in die Augen. »Und ich war mir sehr sicher, dass du diesem Ass nicht widerstehen wirst.«

»Du hast mich die ganze Zeit belogen.«

Wir verlassen das großzügige Entree des modernen Bürogebäudes, die Sonne quält sich wärmend durch die üblichen Wolken. Adrian legt die Hand auf meinen Rücken und lenkt mich geschickt durch die vielen Menschen, die uns entgegenkommen. Es sind nur wenige Schritte bis zum berühmten Savoy.

»Ich habe nicht gelogen. Du hast mich ja nie gefragt, ob ich zufällig John Karry bin.«

»Sehr witzig, Mr Moore! Etwas zu verschweigen, ist übrigens auch eine Lüge, falls dir das niemand beigebracht hat."

Er bleibt abrupt stehen und hält mich fest, dreht mich an der Hüfte zu sich herum, sodass ich ihn ansehen muss. Ich bin froh, zumindest Schuhe mit kleinen Absätzen angezogen zu haben, obwohl ich immer noch den Kopf in den Nacken legen muss, um ihm in die Augen sehen zu können. Er greift mit beiden Armen um mich und zieht mich dicht zu sich heran. Mein Herz klopft jetzt schneller.

»Dann sollten wir daran arbeiten, alle Lügen auszuräumen. Bitte. Gib mir die Chance.«

»Adrian, ich ...«

Ach du lieber Gott. Ich muss schlucken und kann nicht weitersprechen, weil er mich so ansieht. Dieser große, starke Mann sieht mich an, als hinge sein Leben von meiner Antwort ab. Ich komme mir vor wie in einem Film mit Meg Ryan.

»Übrigens siehst du heute absolut umwerfend aus«, raunt er dann.

Wir stehen wie zwei Verliebte mitten auf dem belebten Bürgersteig und sehen uns in die Augen. Es ist wie im Film. Wenn jetzt gleich noch der Big Ben ertönt, bin ich mir sicher, in einem Paralleluniversum gelandet zu sein.

»Wenn es nach mir ginge, würde ich das Essen glatt sausen lassen und stattdessen eine Suite mit dir verwüsten. Ich liebe diesen seriösen Sekretärinnen-Look an dir.«

Stirnrunzelnd schaue ich über seine Schulter. Vor der prachtvollen Fassade des geschichtsträchtigen Hotels stehen zwei Pagen in altmodischen Uniformen. Eine Suite verwüsten ... mir läuft ein Schauer über den Rücken bei der bildhaften Vorstellung, was er damit meint. Zwischen meinen Beinen pocht es, aber ich ermahne mich, sauer auf ihn zu sein. Was ich schließlich bin.

»Ihre Tricks funktionieren heute nicht, Mr Moore. Außerdem brauche ich nach dem Schock definitiv Alkohol. Und was zu essen.«

Entschlossen nehme ich seine Hand und ziehe ihn hinter mir her zum Eingang. Nachdem wir einen wunderschönen Raum mit einer bunten Glaskuppel und antik wirkenden Sesseln durchschritten haben, führt Adrian mich in das Restaurant, wo der Kellner uns umgehend einen Tisch in einer Nische zuweist. Das Hotel ist voller Besucher, aber in der Ecke sitzen wir geschützt vor neugierigen Blicken und Ohren.

»Offenbar kennt man dich hier«, stelle ich fest und klappe die Speisekarte auf, damit er gar nicht erst in die Versuchung kommt, für mich zu bestellen. Diesmal wähle ich selbst. Witzigerweise stehen auf meiner Karte überhaupt keine Preise, wie altmodisch! »Ich hoffe, du hast dich die ganze Zeit über meine Dummheit amüsiert?«

»Gwen, bitte ... Ich hatte nie vor, mich über dich lustig zu machen. Ich wusste nur nicht, wie ich damit umgehen sollte, dass du mich für eine gespaltene Persönlichkeit halten würdest. Einerseits der Lieblingsautor John Karry, andererseits der Schundheftverfasser Adrian Moore. Das war selbst für mich schwer zusammenzubringen.«

Ich kräusele die Lippen und falte die Karte wieder zusammen. Ich habe keine Ahnung, was ich bestellen soll, weil mir die Aufregung und die Tatsache, dass ich ihm gegenüber sitze, den Magen zuschnüren. Er sieht unglaublich gut aus in dem dunklen Anzug, der maßgeschneidert an seinem Körper anliegt und die muskulösen Rundungen betont.

»Du kannst dir nicht vorstellen, wie schwer zu begreifen es für mich ist. Ich bin immer noch geschockt. Hast du noch mehr Pseudonyme? Nora Roberts oder so was?«

Er lacht sein raues Lachen, das mir über den Rücken rinnt und mich erschauern lässt. »Nein, versprochen.«

»Warum hast du nicht den Schund unter einem Pseudonym herausgebracht und die guten Bücher unter deinem richtigen Namen? Oder heißt du womöglich gar nicht Adrian Moore?«

»Mein Name ist tatsächlich Moore, ich schwöre. Und ich gestehe, vor der Veröffentlichung meines ersten Romans zu unsicher gewesen zu sein, um ihn unter meinem richtigen Namen zu veröffentlichen.«

Verblüfft reiße ich die Augen auf. »Du – unsicher? Entschuldige, aber diese beiden Dinge kriege ich in meinem Kopf nicht zusammen.«

»Ich war zweiundzwanzig, als ich Außer Atem schrieb. Ich war ambitioniert und wollte Schriftsteller werden, sonst nichts. Ich studierte, las und schrieb. Tag und Nacht. Und dazwischen versuchte ich, die Boheme zu leben, wie man sagt. Mich mit schönen Dingen und Frauen zu umgeben, das Leben zu genießen und Grenzen auszuloten. Aber ich war mir nicht sicher, was meine Fähigkeiten als Autor anging. Ich legte das Manuskript mehreren Verlegern vor, und als Newman zuschlug, setzte ich ein Pseudonym durch. Ich hatte das Gefühl, mich dahinter verstecken zu können, sollte der Roman nicht gut angenommen werden. Dann hätte es mich nicht persönlich getroffen, sondern eine fiktive Person.«

Es fällt mir unglaublich schwer, mir Adrian als unsicheren jungen Mann vorzustellen. Er wirkt so souverän in allem, was er tut, dass ich geglaubt habe, er wäre so auf die Welt gekommen. Was natürlich Unsinn ist. Wir alle sind das Produkt unserer Lebenserfahrung, und ein solches Selbstvertrauen braucht sicherlich eine entsprechende Portion Erfolg. Den er zweifellos hat.

»Warum hast du dich dann ausgerechnet bei der Fesselnden Liebe entschieden, den Roman unter deinem richtigen Namen zu veröffentlichen?«

»Nun, Ms Curiosity ... Du hast jedes Recht, zu fragen. Newman war so angetan von dem Buch und behauptete, es ließe sich besser vermarkten, wenn die weibliche Leserschaft wüsste, wer es geschrieben hat und sich bei dem Protagonisten eine reale Person vorstellen kann.«

Ich lache. »Also reines Kalkül? Haltet ihr uns Frauen wirklich für so berechenbar?«

»Ich verweise nicht gern auf die Verkaufszahlen, aber ...« Er lehnt sich zufrieden im Stuhl zurück und zwinkert mir zu.

»Ja, schon gut. Die Verkaufszahlen sagen aber nichts über die Qualität des Buches aus, und die ist ... Nun ja, du weißt es selbst, nehme ich an.«

Ich nippe an dem Wasser, das der Kellner in vornehme Kristallgläser eingeschenkt hat. Erst jetzt wird mir klar, was es bedeutet, dass Adrian John Karry ist. Er hat mich jahrelang begleitet, ohne dass ich es wusste oder auch nur ahnte. Er hat mir einige wertvolle Weisheiten geschenkt, die ich verinnerlicht habe. Adrian Moore ist John Karry – und damit nicht nur einer der schönsten Männer, die mir je begegnet sind, sondern auch ... einer der klügsten. Plötzlich fühle ich mich noch kleiner in seiner Gegenwart. Eingeschüchtert. Die Erkenntnis schnürt mir die Kehle zu.

»Kleines, es gibt keinen Grund für dich, mich jetzt mit anderen Augen zu sehen. Ich bin immer noch der Schmierfink, der chauvinistische und kontrollsüchtige Arsch, der Angst vor Frauen hat und einen Mutterkomplex.«

Ich verschlucke mich am Wasser und huste entsetzt. »Hör auf damit, in meinen Gedanken herumzuwühlen! Wie kann es sein, dass du weißt, was ich gerade gedacht habe?«

»Das liegt an dir. Dein Gesicht ist wie ein Buch für mich, und ich liebe das. Ich sehe dir an, was du denkst und was in dir vorgeht. Außerdem bist du derart auf deinem Stuhl zusammengesunken, dass ich mir Sorgen machen musste.«

Zum Glück unterbricht der Kellner das heikle Gespräch, um unsere Bestellung aufzunehmen. Adrian öffnet den Mund, dann klappt er ihn wieder zu und sieht mich an. Nickend. »Du zuerst.«

Ach du je. Ich durchforste mein verwirrtes Gehirn nach irgendwas, das ich vorhin auf der Karte gelesen habe, um mir keine Blöße zu geben. »Öhm ... Chateaubriand?«

»Gut. Das nehme ich auch.« Adrian gibt dem Kellner die Karten zurück und bestellt eine Flasche Château Margaux aus irgendeinem Jahrgang, der mir nichts sagt. Schon wieder Alkohol, mitten am Tag. Aber diesmal nicht aus der Dose.

»Zurück zu uns. Gwen, ich möchte nicht, dass sich etwas an unserem Verhältnis ändert, nur weil du jetzt weißt, wer ich wirklich bin. Ich freue mich auf lange Nächte mit dir.«

Meine Wangen werden warm.

»Nächte, in denen ich mit dir über meine Bücher reden möchte. Über John Karrys Bücher.« Er zwinkert erneut, die kleine Narbe am Auge kräuselt sich. Waren seine Wimpern schon immer so lang und dicht? Wie winzige Fächer sehen sie aus.

»Natürlich. Reden«, murmle ich und schwenke mein Wasserglas.

»Du weißt, wie sehr ich dich begehre, Kleines. Ich weiß es spätestens, seit du mich verlassen hast. Ich habe gelitten und ich verspüre körperliche Schmerzen. Auch jetzt, wo du mir gegenübersitzt in diesem Kostüm und mit dieser Brille und ich dich nicht berühren kann, weil wir nicht allein sind.«

Er atmet lang gezogen aus, während er spricht. Ich sehe ihn stumm an und fühle, dass er die Wahrheit sagt. Vorsichtshalber nehme ich die Brille ab, weil ich keine Lust habe, im Savoy Aufsehen zu erregen und ein lebenslanges Hausverbot zu kassieren. Schließlich hat Adrian mir schon in den Wochen in seinem Penthouse zu verstehen gegeben, dass er mich mit dieser schwarzen Brille verdammt scharf findet, und ich traue ihm inzwischen so einiges zu.

Er beugt sich über den Tisch zu mir und flüstert. »Ich würde jetzt gern den Knoten aus deinen Haaren lösen, um mein Gesicht in dieser Pracht zu vergraben. Danach möchte ich dich ausziehen, meine Hände über deinen Körper gleiten lassen, deine Haut spüren, dich schmecken, einatmen ... In dir sein. Dich in mir spüren, ganz tief. Deinen perfekten kleinen Hintern an meinem Bauch fühlen und dich ..."

»Bitte, Adrian ...«, unterbreche ich ihn leise.

Meine Wangen brennen inzwischen und ich frage mich, wann der steife Kellner merkt, was hier los ist. Ich für meinen Teil sehne dringend das Essen herbei, damit er aufhört. Die Leute um uns herum plaudern in verschiedenen Sprachen. Wortfetzen auf Englisch, Französisch, Arabisch und Japanisch dringen an meine Ohren, eine Symphonie des Lebens, die mich im Moment nicht mal irritiert, geschweige denn interessiert. Adrian greift über den Tisch nach meiner Hand und hält sie fest. Seine Finger sind warm, sein Griff sicher. Seine Augen ... tief. Und so leuchtend blau wie selten, was am Licht liegen mag oder an seiner besonderen Stimmung.

»Bleib bei mir und arbeite mit mir. Lass mich dich lieben, Kleines. Ich verspreche, dir nicht wehzutun, aber du musst mir vertrauen.«

Ich schlucke hart und versuche, seinem Blick standzuhalten. Wie war das mit der Sechs-Sekunden-Regel? Ich bin weit davon entfernt, ihn umbringen zu wollen, obwohl ich vorhin noch sauer auf ihn war und das eigentlich immer noch sein möchte. Aber ich bin nicht weit davon entfernt, ihn zu lieben. Das spüre ich plötzlich mit einer Wucht, die mir den Atem rauben will.

»Vertrauen ist ein großes Wort für jemanden, der sogar seine wahre Identität verschwiegen hat, Adrian. Du verlangst da etwas von mir ...«

Er seufzt, ohne seinen Griff zu lockern. »Ich weiß. Vertrauen passiert nicht einfach. Ich bin bereit, dafür zu kämpfen. Für dich. Aber du musst es zulassen.«

Mein Körper kribbelt bei seinen Worten. »Warum, Adrian? Warum ich?«

»Weil ich dich vom ersten Moment an wollte. Weil du etwas in mir angerührt hast, das ich noch nie bei einer Frau gespürt habe. Weil ich so vieles in dir sehe, das du selbst nicht erkennst. Weil ich mich in dir verlieren kann, weil ich das Gefühl habe, in deiner Gegenwart ich selbst sein zu können und keine Rolle spielen zu müssen. Weil du mir gezeigt hast, dass ich auch sanft sein darf.«

Mir schießen Tränen in die Augen bei seinen Worten. Ich umklammere seine Finger fester und lasse auch nicht los, als der Kellner wortlos das bestellte Essen serviert.

»Du schüchterst mich ein, und das macht mir Angst. Ich bewundere dich, ich kann zu dir aufsehen, nicht nur körperlich, aber ich fühle mich nicht ebenbürtig. Außerdem hasse ich den Gedanken, dass du mich kontrollieren willst, weil es mich an meine Mutter erinnert und an all das, was sie mir angetan hat.«

»Ich will dich nicht kontrollieren, Kleines. Ich will dich beschützen. So wie ich früher genau darin versagt habe, so wichtig ist es mir jetzt. Ich möchte dir einen Kokon bauen und dich darin aufbewahren wie einen kostbaren Schatz, damit dir niemals im Leben ein Leid angetan wird. Du bist zerbrechlich und verletzlich hinter deiner rauen Schale, und ich habe das dringende Bedürfnis, auf dich aufzupassen.«

Eine winzige Träne rollt langsam über meine Wange. Nicht einmal der Duft des Filets, der mir in die Nase steigt, reißt mich aus der Blase, in der ich gefangen bin. Für den Moment sind wir nur zu zweit auf der Welt. Und es fühlt sich ... wahnsinnig an. Weil ich nicht daran glauben kann.

»Ich konnte ihr nie verzeihen, Adrian. Bis heute nicht. Ich weiß, dass sie keine Schuld trifft, weil sie selbst krank ist und ihre Psychosen an mir ausgelassen hat. Aber die Angst davor, jemals wieder von einem anderen Menschen bestimmt zu werden, frisst mich auf.«

»Zur Liebe gehört neben Vertrauen auch, sich auf einen anderen Menschen einzulassen. Sich auf ihn zu verlassen, auf ihn zu bauen. Das Risiko, dabei enttäuscht und verletzt zu werden, besteht ohne Zweifel. Aber es gibt keine Liebe ohne Risiko.«

Das Essen wird kalt, aber keiner von uns macht Anstalten, zuzugreifen. Stattdessen sehen wir uns stumm in die Augen, das körperliche Verlangen ist spürbar. Wie sirrende Luft in der Sommerhitze hängt es zwischen uns, in diesem Raum. Mein Herz zieht sich zu einem kleinen Knoten zusammen, das Atmen fällt mir schwer.

»Hast du mir gegenüber gerade von Liebe gesprochen?«, frage ich leise. Meine Stirn kräuselt sich.

»Ja, das habe ich. Und da ich ein Mann der Worte bin, war das kein Zufall.« Seine ruhige, dunkle Stimme klingt sicher, während er das sagt. Ich kann kaum glauben, was ich da höre, in meinem Kopf geht einiges durcheinander. »Hast du keinen Hunger?«

Ich schüttle den Kopf. Nicht einmal das köstlich duftende Steak kann mich dazu bewegen, jetzt etwas zu essen. »Nicht auf dieses Fleisch, jedenfalls. Ich habe keine Ahnung, warum ich es bestellt habe.« Mein Mund verzieht sich zu einem Grinsen, und er lacht.

»Dann ... eine Suite?«

Er deutet mit dem Kinn zur stuckverzierten Decke, und mir wird warm. Mein Körper kribbelt, aber ich lasse mich von ihm vom Stuhl ziehen und warte geduldig, während er an der Rezeption steht und mit einem jungen Pagen spricht. Großer Gott, ich sollte abhauen. Raus auf die Straße rennen in die Sonne, damit er mich nicht wieder manipulieren kann. Aber mein Körper reagiert nicht auf die Befehle meines Gehirns. Erst, als er seine warme Hand um meine legt und mich zum Fahrstuhl führt, bewegen sich meine Beine. Wie von selbst.