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Mein Herz klopft viel zu schnell. Aber äußerlich bin ich cool. Total cool.
Greg fährt sich schon zum dritten Mal durch die blonden Haare. Ich verkneife mir ein Grinsen und lehne mich lässig gegen den schwarzen Holzpfeiler, der mitten auf der Bühne steht. Eigentlich eine Bausünde – es ist ein Stützpfeiler für die Decke, der nicht einfach entfernt werden kann –, aber Gaby ist gut darin, das Ding in ihre Werke einzubauen.
So verführerisch wie möglich lasse ich die Finger über meinen Körper gleiten, angefangen beim Oberschenkel, sehr langsam über meinen Schritt, bis sie auf meinen Brüsten liegen bleiben.
»Super, Gwen!«, ruft Gaby aus dem Off.
An ihre ständigen Anweisungen habe ich mich gewöhnt, und inzwischen weiß ich auch, was ich zu tun habe. Ich soll Greg anmachen und ... liebe Güte, es scheint mir ja zu gelingen! Seine Zungenspitze taucht für den Bruchteil einer Sekunde zwischen seinen Lippen auf, dann schließe ich die Augen, hebe das Kinn und spitze den Mund. Unser erster Kuss, in einer Probe im leeren Theater. Ich weiß, dass Gaby uns von hinten beobachtet und jede Bewegung gleich kommentieren wird. Trotzdem wird mir plötzlich kalt, seine Lippen sind warm auf meinen und sie ... bewegen sich.
Das ist nicht zaghaft oder gar schüchtern. Das ist forsch, und das ist ... verdammt echt! Sollte das hier nicht so eine Art Filmkuss werden? Jedenfalls ohne ... Zunge? Mein Gesicht ist ganz heiß, und unter meinen Achseln wird es feucht, was hoffentlich keiner mitkriegt. Gott sei gepriesen für die Erfindung des Deos!
Gaby sagt irgendwas, das ich nicht mehr registriere. Weil Greg mich küsst! Und er küsst mich so, wie ich es mir früher immer vorgestellt habe. Gierig, leidenschaftlich. Als ob er mich wirklich wollte! Aber seltsamerweise passiert nichts in mir. Ich löse mich nicht auf, meine Knie werden nicht weich, ich verspüre nicht einmal ein leises Kribbeln. Liegt es an der Situation? Daran, dass wir auf der Bühne stehen, beleuchtet von verschiedenen Scheinwerfern? Daran, dass wir beobachtet werden, und ich weiß, dass es nur für ein Theaterstück ist, nur eine Probe? Aber muss sein Kuss wirklich so lange dauern?
Gaby räuspert sich vernehmlich, doch Greg macht weiter. Meine Hände liegen noch immer wie festgewachsen auf meiner Brust, während Greg seine um meinen Nacken geschlungen hat und mich festhält. Er küsst nicht schlecht, wirklich nicht, aber es fühlt sich ... seltsam an. Ich höre, wie Gaby jetzt laut hustet, dann löst er seinen Mund von mir und ich öffne die Augen. Mein Text ... verdammt, wie war denn noch der Text? Fieberhaft denke ich nach, aber in meinem Kopf geht einiges durcheinander und ich erinnere mich nicht mehr.
»Das nennst du einen Kuss?«, raunt Greg mir zu, mit zitternder Unterlippe, und ich brauche ein paar Sekunden um zu kapieren, dass genau das mein Text ist. Fast schon erleichtert zwinge ich mich dazu, diese wenigen, barschen Worte so ungerührt wie möglich zu sagen, dann teilt sich der hintere Vorhang und Gaby erscheint. Kopfschüttelnd.
»Greg, der Kuss war okay, aber viel zu lang! Schließlich wird das hier kein Erotikfilm. Etwas kürzer genügt, damit Gwen, also Ellen, auch einen Grund für ihre Abfuhr hat. Okay?«
Greg nickt, ohne den Blick von mir zu nehmen. Ich weiche seinen Augen aus, weil mir das Ganze plötzlich irgendwie peinlich ist. Was habe ich mir dabei gedacht, dieser Sache hier zuzustimmen?
»Du warst gut, Gwen, aber du musst den Satz am Ende mit mehr Nachdruck sagen. Spöttisch, amüsiert. Zeig ihm, dass du nichts von ihm hältst, dreh dich danach abrupt um und lass ihn stehen. Du musst dominant und überlegen wirken. Schaffst du das?«
Ich versuche, die Sorge in ihrem Gesicht zu übersehen, und nicke tapfer. »Klar. Ich geb mein Bestes.«
Dominant. Überlegen. Na, es wundert mich nicht, dass ich urplötzlich wieder Adrian vor mir sehe. Aber wenn meine Erlebnisse mit ihm zu irgendwas gut waren, dann hierzu. Ich kann Adrian sein. Ich kann Greg meine Verachtung zeigen, kann ihn mit Arroganz strafen, bis er vor mir kriecht, meine Füße küsst und mich anfleht, ihn zu ...
Himmel, was ist denn mit mir los? Meine Fantasie war zwar schon immer wild, aber was mein Kopf in letzter Zeit für seltsame Filme produziert, ist echt bedenklich! Ich meine, was würde Cat dazu sagen, wenn sie es wüsste? Ich bin stolz auf dich, Gwen! Endlich wirst du normal! Haha.
»Also, bereit für eine Wiederholung?« Gaby legt den Kopf zur Seite und spitzt die Lippen so übertrieben, dass ich lachen muss.
»Okay.«
So professionell wie möglich nehme ich meine Position an der Säule ein und schaue zum ersten Mal nach diesem Kuss Greg in die Augen. Er wirkt plötzlich unsicher und scheint etwas von mir zu erwarten. Sucht er wirklich Bestätigung? Großer Gott, werden wir jemals über das hier hinauskommen? Will ich das überhaupt noch? Oder besser ... kann ich?
Ich schließe die Augen und verharre am Pfeiler, bis ich seinen Atem auf dem Gesicht spüre. Er kitzelt mich an der Nase und ich muss ein Kichern unterdrücken, dann sind seine Lippen auf mir. Fordernder und forscher als beim ersten Mal, dafür diesmal ohne Zunge. Sekundenlang presst er den Mund auf meinen und ich versuche, den Kuss zu erwidern, aber mein Mund fühlt sich an wie nach einer Betäubungsspritze beim Zahnarzt!
Wenige Sekunden später zieht er sich zurück und ich öffne die Augen, richte mich auf, strecke den Rücken durch und die Brust raus und sage so kühl wie möglich: »Das nennst du einen Kuss?«
Mit einem Grinsen werfe ich den Kopf herum und gehe von der Bühne ab, aufrecht und stolz. Gabys Applaus lässt mein Herz vor Freude hüpfen, bis sich mein Puls wieder verlangsamt.
»Super, Gwen! Das war perfekt!«
Greg lächelt gequält und folgt mir hinter den Vorhang.
»Unseren ersten Kuss habe ich mir ehrlich gesagt anders vorgestellt«, flüstert er mir im Vorbeigehen zu. Als ich seine Körperwärme spüre, richten sich die Härchen an meinen Armen auf.
Plötzlich ist es da, das Kribbeln, das ich vorhin vermisst habe. Vielleicht war es doch ganz richtig. Vielleicht wird hier etwas passieren, das ich jetzt noch nicht glauben kann. Immerhin haben wir mindestens zehn Vorstellungen vor uns, und in jeder davon werden wir uns ... küssen. Vor Publikum! Nachdenklich bleibe ich hinter der Bühne stehen und luge durch einen Schlitz im Vorhang nach vorn. Natürlich ist der Raum leer, aber der Gedanke, dass all diese Stühle und Bänke bei unserer Aufführung besetzt sein werden, jagt mir einen Schauer über den Rücken.
Trotzdem betrete ich wenig später gut gelaunt die Garderobe – und stoße auf Gregs nackten Hintern.
»Großer Gott, Greg! Zieh dir was an!«, rufe ich entsetzt und schlage die Hände vor die Augen, nur um durch die Finger doch heimlich hinzusehen. Muss er ja nicht wissen, aber sein Hinterteil ist nackt tatsächlich noch aufregender, als ich es mir immer vorgestellt habe.
Er dreht sich nicht um, dafür wackelt er aufreizend mit dem Hintern. Und ich muss lachen.
»Wieso? Gefällt dir nicht, was du siehst?«, fragt er neckend und zieht so entsetzlich langsam eine weiße Boxershorts über seine perfekten, schmalen Hüften, dass ich mich nicht lange fragen muss, was er mit diesem Auftritt bezweckt.
»Wenn das ein Attentat sein soll, Greg, dann ...«
»Dann was?«
Er fährt herum und grinst mit blitzenden Augen. Ich nehme die Hände vom Gesicht und versuche, zu lächeln.
»Dann ist es gelungen«, sage ich leise, ohne den Blick von ihm zu lösen. Ich weiß, dass er durchtrainiert ist, ich habe ihn oft genug ohne Hemd gesehen. Aber nun, so dicht vor ihm, seinen Geruch noch in der Nase, löst sein Anblick ein seltsames Ziehen in meinem Bauch aus. Alles ist auf einmal möglich. Fast alles.
»Du hast dich so verändert«, sagt er.
Mein Herz klopft schneller, als er sich langsam vorbeugt. Ich rieche ihn, ich höre seinen Atem, spüre seine Nähe. Eigentlich müsste ich wahnsinnig werden vor Begierde, jahrelang habe ich davon geträumt, aber seltsamerweise ...
»Ich hätte nie gedacht, dass du dich mit einem wie mir abgeben würdest, Gwen. Du wirkst immer so ... elitär.«
Seine Hände sind auf mir, auf meinem Körper. Wie winzige Spinnen spüre ich seine Finger auf dem Rücken und erschauere.
»Greg, ich ...«, höre ich mich noch sagen, dann ist sein Mund wieder auf meinen Lippen. Ich muss mich konzentrieren, um mich auf ihn einlassen zu können. Liegt es daran, dass mir die Probe so nahegegangen ist? Dass ich mich fühle, als ob Gaby uns zusieht und mir gleich zurufen wird, was ich anders machen soll?
Seine Finger gleiten tiefer und bleiben kurz auf meinen Pobacken liegen, bevor er sie sanft durch die Jeans hindurch knetet. Ich seufze leise, während seine Zunge sich langsam vorschiebt und meinen Mund erkundet. Er sieht das offenbar als Aufforderung, weiterzumachen. Mit beiden Händen hebt er mich jetzt an und setzt mich auf Gabys Schminktisch. Etwas Hartes drückt sich gegen meinen Po, ein Nagellack oder ein Lippenstift. Die Garderobe ist das reine Chaos. Kostüme, deren intensiver Geruch die Luft durchtränkt, liegen in unordentlichen Haufen auf dem Boden. Ich kann kaum atmen, so gierig ist Gregs Kuss geworden. Er schiebt meine Beine auseinander und stellt sich zwischen meine Schenkel, presst sich an mich, während er mich weiter küsst und seine Hände langsam über meinen Oberkörper wandern. Jetzt spüre ich auch etwas Hartes an meinem Schoß, und das ist ganz sicher kein Nagellack oder Lippenstift!
»Greg«, hauche ich in einer kurzen Pause, die er sofort mit seiner Zunge beendet, bevor ich weitersprechen kann. Er wird immer wilder, seine Hand ist plötzlich unter meinem Pullover, gleitet über meine erhitzte Haut, bis er die Rundungen meiner Brüste erreicht und die Luft scharf durch die Zähne einzieht.
»Greg, bitte ... nicht.«
Entschlossen schiebe ich ihn von mir. Mein Gesicht glüht und ich höre meinen eigenen Herzschlag in den Ohren.
Er schaut mich irritiert an. »Entschuldige, ich dachte ...«
»Nicht so. Und schon gar nicht hier!«
Ich mache eine ausladende Handbewegung, die seine Aufmerksamkeit auf das heillose Durcheinander lenkt, das uns umgibt. Er grinst verlegen und sieht für den Moment aus wie ein kleiner Junge, der sich heimlich am Süßigkeitenschrank bedient hat und erwischt wurde.
»Sorry, du hast natürlich recht.«
Ich zupfe an meiner Unterlippe und frage mich, ob ich von meinem unbequemen Sitzplatz aufstehen soll oder besser nicht. Greg sieht aus, als ob er sogar einen Trip nach Afghanistan buchen würde, wenn ihm das jetzt jemand anböte. Nur, um schnell hier wegzukommen. Verdammt, es tut mir leid. Aber irgendwie fühlte es sich nicht richtig an.
»Vielleicht können wir mal zusammen ausgehen?«, versuche ich mich mit einer Versöhnung, und er zieht skeptisch eine Braue hoch.
»Ein Date? Klar, hm ... warum nicht?«
Gut, etwas mehr Begeisterung hätte er heucheln können. Aber ich will auf keinen Fall enden wie eine der vielen Blondies, die er regelmäßig in sein Bett zerrt und anschließend sausen lässt. Warum zum Teufel zieht es mich dauernd zu Männern hin, die nicht beziehungsfähig sind? Was stimmt nicht mit mir?
»Also ...« Ich drücke mich an ihm vorbei und versuche, meine Gliedmaßen zu sortieren. Meine Knie sind weich und zittrig.
»Ja, ich sollte dann auch mal ... haben ja heute Abend Vorstellung«, murmelt er vor sich hin und wendet sich ab, um in den Klamotten an einem alten Kleiderständer herumzuwühlen. Wahrscheinlich will er seine Erektion vor mir verbergen, was ich ihm natürlich nicht übel nehmen kann. Mein Herz klopft ganz schnell. War es das schon? Hab ich es versaut, weil ich mich nicht auf einen bedeutungslosen Quickie in der Garderobe einlassen wollte? Das ist doch einfach unfair!
»Dann bis ... übermorgen. Oder so.«
Er nickt nur kurz und ich frage mich beim Rausgehen, was sein komisches Verhalten zu bedeuten hat. Vielleicht kann Cat mir helfen – sie hat schließlich viel mehr Erfahrung mit Männern.